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Die vielen Gesichter der CMD

Neue Wege in der Schmerztherapie Die vielen Gesichter der CMD

Wer sich mit Thomas Koch über seinen Job unterhält, lauscht einem Mann, der in der Zahnmedizin seine Berufung gefunden hat. Obwohl seit mehr als 20 Jahren aktiv, beschreibt Koch, der seit 2017 die Erlenbusch Praxis in Münster führt, die Anamnesen, die ihn tagtäglich beschäftigen, mit einer Faszination, die auch das laienhafte Gegenüber in wenigen Minuten anzustecken vermag. Besonders ein Gebiet hat es dem Fachzahnarzt für Ästhetische Zahnheilkunde, Funktionsdiagnostik, Kiefergelenkstherapie und Prothetik angetan: die ganzheitliche Therapie der Craniomandibulären Dysfunktion, kurz CMD. Warum er seine Patienten bereits im Wartezimmer genau beobachtet, welche Auswirkungen eine Kiefergelenksfehlstellung auf unser gesamtes Körpersystem haben kann und was unser oberster Halswirbel damit zu tun hat, erklärt Thomas Koch im Gespräch.

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Wenn Kinder über ihren Traumberuf sprechen, gibt es ja die Klassiker: Tierärztin, Feuerwehrmann, Fußballer. War es bei Ihnen der Zahnarztberuf?

Ja, das war es tatsächlich. Das ist mir in die Wiege gelegt worden. Mein Vater war Zahnarzt und Zahntechniker, mein Leben als Kind spielte sich in der Praxis ab. Für mich stand schon in der siebten, achten Klasse fest, dass ich beruflich in diese Richtung gehen möchte. Wie der Vater, so der Sohn (lacht). Studiert habe ich dann in Marburg, anschließend meine Assistenzzeit in verschiedenen Praxen absolviert. Dann bin ich als selbstständiger Zahnarzt in eine Gemeinschaftspraxis gegangen, habe mich fortlaufend weiterbilden lassen. Seit 2017 habe ich meine Praxis in Münster und seit 2021 eine weitere in Dortmund.

Was ist Ihre persönliche Philosophie als Zahnarzt?

Was mich vielleicht von anderen unterscheidet, ist, dass ich aus einer sehr genauen Diagnostik heraus ganzheitlich therapiere. Dafür habe ich alle Fachrichtungen vereint. Natürlich mache ich das nicht alles selbst. Jeder hat sein Spezialgebiet. Was nicht mein Fokusgebiet ist, gebe ich an einen meiner Kollegen ab.

Sie haben sich insbesondere der ganzheitlichen Behandlung von CMD verschrieben. Was ist CMD und wie kann sie sich äußern?

Eine CMD ist eine Fehlfunktion in der Kiefergelenksmechanik. Durch eine Fehlstellung des Kiefergelenks können verschiedenste Körperregionen betroffen sein, da vom Schädel aus sehr viele Nerven-, Blut- und Muskelbahnen in den restlichen Körper verlaufen. Auch die Hirnstammnerven verlaufen da entlang. Das erzeugt dann ganz vielfältige Symptome. Es kann Kieferschmerzen und Kieferknacken, Nacken- und Schulterprobleme geben, die Hüfte kann mit beeinträchtigt sein. Es können aber auch Symptome wie Schwindel, Seh- und Hörschwierigkeiten oder Tinnitus entstehen, des weiteren Schlafstörungen, Konzentrations-

„Die wenigsten verbinden ihre Grundsymptomatik mit dem Kiefergelenk, [...] wenn [...] Hüfte oder Knie betroffen sind.“

schwäche, Migräne oder Taubheitsgefühle in den oberen Extremitäten. Die Kieferstellung kann sich sogar auf das Stimmvolumen und die Stimmqualität auswirken, das habe ich bei professionellen Sängerinnen und Sprechern beobachtet. Es sagen auch viele Experten, dass die CMD eine psychologische Komponente hat.

CMD-Experten gehen davon aus, dass mindestens 15 Prozent der Deutschen an einer CMD leiden. Warum wird dieses Krankheitsbild dennoch recht selten behandelt? Weil kaum jemand mit diesem Begriff etwas anfangen kann. Es sucht deshalb auch keiner nach diesem Begriff, wenn er Beschwerden hat, denn die wenigsten verbinden ihre Grundsymptomatik mit dem Kiefergelenk. Besonders, wenn untere Extremitäten wie die Hüfte oder das Knie betroffen sind. Aber auch vielen Kollegen fehlt es einfach an dem Wissen oder den Tools, eine CMD bei Ihren Patienten zu erkennen oder wirksam zu therapieren.

„Ich sehe mir meine Patienten gerne schon im Wartezimmer an“

Warum begeistert Sie dieser Fachbereich so sehr, dass Sie Ihren Schwerpunkt darauf setzt?

Weil das ein sehr dankbarer Teilbereich der Zahnmedizin ist. Weil Du helfen kannst. Manche Patienten kommen mit gravierenden Problemen zu uns, und wir können oft in letzter Instanz noch etwas für sie tun. Ich habe schon Patienten erlebt, die lebensmüde geworden waren, weil sie eine derart langen Schmerzgeschichte hinter sich hatten. Wenn man solchen Menschen schließlich helfen kann, ist das eine tolle Erfahrung!

Haben Sie ein Patientenbeispiel?

Eine Patientin hatte ich mal, die konnte nicht mehr richtig laufen, weil sie an starkem Schwindel litt. Sie musste von ihrem Mann überall hin geführt werden, war ganz wackelig. Auch in meiner Praxis musste er sie jedes Mal zur Toilette begleiten. Als sie nach Beginn der Schienentherapie zur dritten Kontrolle kam, zeigte sie mir ganz stolz, dass sie diesen Weg nun schon beherzt alleine gehen konnte. Und ich hatte mal einen Zollbeamten, der seinen Beruf nicht mehr ausüben durfte, weil seine CMD so starken Schwindel verursachte, dass er nicht mehr Auto fahren durfte und berufsunfähig geschrieben wurde. Das haben wir so gut hinbekommen, dass er am Ende wieder ins Auto steigen und eigenständig zu seinen Schienenkontrollen fahren konnte.

Wie genau behandeln Sie eine CMD?

Ich sehe mir meine Patienten gerne schon im Wartezimmer an, bevor ich sie im Behandlungs-Stuhl habe. So kann ich aus der Entfernung bereits Veränderungen in der Gesichtssymmetrie erkennen, oder Bewegungsauffälligkeiten und Schonhaltungen feststellen. Am Anfang steht dann eine klinische Funktionsanalyse: Ich gucke mir die Muskulatur an, die Mundöffnung, schaue, ob Reibe- oder Knirsch-Phänomene vorliegen, ob der Kiefer knackt, erfrage eventuelle Vorbehandlung. Das wird alles festgehalten. Dann geht es in die instrumentelle Funktionsanalyse. Dabei können wir mithilfe eines hochmodernen Vermessungssystems den exakten Ist-Zustand der Zähne und des Kiefers festhalten, auf den wir dann unsere Schiene aufbauen. Diese richtet den Unterkiefer vertikal und horizontal so aus, dass die komprimierten Kiefergelenke letztendlich in die optimale Stellung geleitet werden. Wir verlassen erst den Therapieweg der Schiene, wenn ein genügend langes beschwerdefreies Intervall da war oder gar alle Grundsymptome verschwunden sind. Das kann auch ein Jahr dauern. Um eine ausgewachsene CMD zu vermeiden, gilt es für mich bereits in der Erstdiagnostik schwache Symptome zu erkennen.

Ist eine ästhetische Zahnkorrektur Teil der Behandlung?

Je nachdem, wie stark die Zähne durch die vorliegende Fehlstellung, zum Beispiel aufgrund von Knirschen, beschädigt sind, wird schlussendlich natürlich noch eine Korrektur der Zahnform vorgenommen. Die kann – im Rahmen der Funktionalität – durchaus auch mit ästhetischen Veränderungen gepaart werden. Die Funktion steht dabei aber absolut im Vordergrund.

Sie greifen im Rahmen Ihrer CMD-Therapie auch auf ein ergänzendes Expertennetzwerk zurück. Warum?

Mit einer reinen zahnmedizinischen Therapie ist es bei einer CMD meistens nicht getan, denn mit der Korrektur des Kiefergelenks gehen körperliche Veränderungen einher, bei deren Betreuung das Fachwissen anderer Expertinnen und Experten gefragt ist. Ich arbeite z.B. mit Neurologen, Heilpraktikern, Physiotherapeuten, Osteopathen...

Insbesondere überweisen Sie viele Ihrer Patienten zur Atlas-Therapie ...

Dem Atlas, also unserem obersten Halswirbel, kommt eine besondere Rolle zu, denn muskulär steht der Band- und Halteapparat mit dem Kiefer und dem Atlas in Verbindung. Das gesamte orofasziale Muskelsystem „hängt“, wenn Du so willst, am obersten Halswirbel und dem darum liegenden Bereich. Zudem sitzt der Atlas sehr nah am Unterkiefer. Häufig ist es so, dass die CMD durch eine Atlasfehlstellung begünstigt wird, und wenn ich das sehe, schicke ich die Patienten erst einmal zu einer Atlastherapie, ehe ich selbst die instrumentelle Funktionsanalyse vornehme. Sonst würde ich meine Schiene in die Fehlstellung hineinbauen.

Gibt es „typische“ CMD-Symptome, die Patienten erkennen können?

Es gibt durchaus Symptome, die so häufig auftreten, dass sie als Marker für eine erste Selbstbeobachtung dienen können. Sollte jemand Kaubeschwerden oder Schwierigkeiten bei der Mundöffnung, regelmäßige Kopf-, Kiefer, Schulter- oder Rückenschmerzen oder generelle Haltungsprobleme haben, lohnt es sich auf jeden Fall, das prüfen zu lassen. Das sind jedoch nur einige der möglichen Symptome einer CMD. Auf meiner Internetseite gibt es ein Selbstanalyse-Tool, mithilfe dessen man herausfinden kann, ob eine CMD wahrscheinlich ist.

Werden die Kosten einer CMD-Behandlung von der Krankenkasse getragen?

Unser Experte

Thomas Koch ist selbstständiger Zahnarzt mit eigener Praxis in Münster und Dortmund. Seit über 20 Jahren widmet sich Koch der ganzheitlichen, interdisziplinären und individuellen Behandlung kieferorthopädischer und zahnmedizinischer Erkrankungen, insbesondere der CMD-Therapie. Seit 2021 ist Thomas Koch Mitgründer und Teil des Unternehmens twenty8, das eigene Spezialschienen für CMD-Patient:innen entwickelt.

Leider steht CMD nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen. Die Privaten übernehmen dagegen in der Regel einen erheblichen Teil der Kosten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Erlenbusch Praxis Münster

Zum Erlenbusch 4, 48167 Münster, Tel. 0251-962440

Mail: muenster@erlenbusch-praxis.de

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