SECHS NEUE ENSEMBLEMITGLIEDER MACHEN SICH GRÖSSER, ALS SIE SIND
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THEATER DER STADT MÜNCHEN
Münchner Volkstheater GmbH
Zenettistraße 21
80337 München
Telefon 089.52355-0
Fax 089.52355-39
www.muenchner-volkstheater.de
Kartentelefon 089.5234655
Kartenfax 089.5235556
INTENDANZ UND GESCHÄFTSFÜHRUNG
Christian Stückl, Intendant und Geschäftsführer
Frederik Mayet, Künstlerischer Direktor
Beate Schlegelmilch, Verwaltungsdirektorin
Philipp Arnold, Hausregisseur
DRAMATURGIE
Leon Frisch, Anouk Kesou, Hannah Mey, Nicholas Zöckler
KÜNSTLERISCHES BETRIEBSBÜRO
Utto Kammerl, Künstlerischer Betriebsleiter
Katharina Osterhammer, Disponentin
Emma Greve
TECHNISCHE LEITUNG
Carsten Lück, Technischer Leiter
Markus Graw, stellv. Technischer Leiter
Moritz Köster, Werkstättenleitung
Franziska Schweiger, Produktionsleitung
Markus Carobbio, Assistenz technische Leitung
PRESSE UND KOMMUNIKATION / BOOKING
Frederik Mayet, Pressesprecher
Weronika Nina Demuschewski, Pressereferentin und Bookerin
Clara Unger, Digitales Marketing
NN, Online Kommunikation und Social Media
Elisabeth Maslik, Werkstudentin
ENSEMBLE
Ruth Bohsung, Silas Breiding, Lena Brückner, Luise
Deborah Daberkow, Lukas Darnstädt, Pascal Fligg, Julian Gutmann, Carolin Hartmann, Maximiliane Haß, Lorenz Hochhuth, Jan Meeno Jürgens, Nils
Karsten, Alexandros Koutsoulis, Steffen Link, Jonathan Müller, Henriette Nagel, Anton Nürnberg, Max Poerting, Jawad Rajpoot, Liv Stapelfeldt, Anne Stein, Nina Noé Stehlin, Cedric Stern
GÄSTE SCHAUSPIEL
Paulina Alpen, Pia Amofa-Antwi, Markus Brandl, Maximilian Brückner, Susanne Brückner, Ursula Maria Burkhart, Tobias van Dieken, Alexander Duda, Nicola Fritzen, Pauline Fusban, Cengiz Görür, Sabine Heißner, Mauricio Hölzemann, Jonathan Hutter, Jakob Immervoll, Maral Keshavarz, Philipp Lind, Patricia Litten, Janek Maudrich, Peter Mitterrutzner, Justin Mühlenhardt, Stefan Murr, Thomas Offner, Pola Jane O’Mara, Jonah Pietsch, Vincent Sauer, Hubert Schmid, Hans Schuler, Luka David Singer, Kathrin von Steinburg, Nina Steils, Noah Tinwa, Hans Dieter Trayer, Timocin Ziegler
REGIE
Philipp Arnold, Ran Chai Bar-zvi, Lucia Bihler, Claudia Bossard, Sophie Haydee Colindres Zühlke, Simon Friedl, Sapir Heller, Bastian Kraft, Max Lindemann, Anna Marboe, Serhat „Saïd“ Perhat, Mathias Spaan, Katharina Stoll, Christian Stückl, Christine Umpfenbach, Jessica Samantha Starr Weisskirchen Co-Autorin/Recherche: Tunay Önder
BÜHNEN UND KOSTÜMBILD
Lili Anschütz, Anna Armann, Evi Bauer, Marielena Büld, Eleonore Carrière, Julia Dietrich, Leonie Falke, Stefan Hageneier, Paula de la Haye, Ingrid Jäger, Marlene Lockemann, Pascale Martin, Veronika Müller-Hauszer, Wicke Naujoks, Helene Payrhuber, Sophia Profanter, Ansgar Prüwer, Viktor Reim, Jessica Rockstroh, Romy Springsguth, Wanda Traub, Anna van Leen, Alu Walter, Anna Wörl
VIDEO
Bastian Bolenius, Annalena Fröhlich, Anton Kaun, Oliver Portmann, Sebastian Pircher
MUSIK UND KOMPOSITION
Junge Riederinger Musikanten, Adel Akram Alameddine, Gabriel Cazes, Romain Frequency, Arthur Fussy, Ralph Heidel, Markus Hein, Fabian Kalker, Juri Kannheiser, Kim Ramona Ranalter, Severin Rauch, Evelyna Saylor, Jacob Suske, Fiete Wachholz, Alexander Yannilos, Tom Zimmer
Julie Fritsch, Jonas Konrad, Sarah Kratzl, Veronika Müller-Hauszer, Jessica Puentes, Pauline Stephan, Felix Loeffelholz von Colberg, Matteo Marangoni, Philine Schneider
INSPIZIENZ
Eva Breitweg, Theresa Derksen-Bockermann, Christian Gnasmüller
SOUFFLEUSEN
Christina Geiersberg, Maren Pertiet
CHOREOGRAPHIE
Michael Bronczkowski, Jemima Rose Dean, Johanna Heusser, Jenny Jenka Schinkler, Mats Süthoff, Franziska Jack Willenbacher
LICHTDESIGN
Anton Burgstaller, Björn Gerum, David Jäkel, Carina Premer, Arndt Rössler, Anja Sekulic, Günter E. Weiß
BELEUCHTUNG
Beleuchtungsmeister: Rainer Heuser, David Jäkel, Gerhard Sehl
Maoz Barda, Christian Böhlen, Anton Burgstaller, Kay Burster, Patrick Eckerl, Nikolaus Einhauser, Axel Hack, Daniel Martina, Milan Other, Emanuel Remus, Raphael Reuter, Alexander Röll, Fiona Schneck, Anja Sekulic, Christopher Weck, Mark Zopf, Uwe Zwicknagel
TON- UND VIDEOTECHNIK
Danny Raeder (Leitung)
Roland Auerhammer, Jens van Blericq, Finn Desler, Michael Fuchs (stellv. Leitung), Julian Klein, Stefan Pfeffer, Kevin Pregler, Morin Pressler, Daniel Winzinger, Johannes Wucherer
KOSTÜMABTEILUNG
Margit Faigle (Leitung), Kirsten Budde genannt Dohmann, Silvia Gutser, Melanie Hilme, Abdulrahman Khalil, Ina Konitz, Raphael Marchl, Laura Meinert, Henny Meyer, Sara Morea (Assistentin der Kostümleitung), Aline Mühlbauer, Barbara Mühldorfer, Petra Münch, Marie Muhr, Morteza Nikqadam, Regine Ries, Andrea Schnarre, Annette Schöwel (stellv. Leitung)
Auszubildende Schneiderei: Lilie-Lucia Altmann, Joanna Lin Seiben
MASKE
Lisa Müller-Gahr (Leitung)
Lena Bader, Marieke Berries, Karoline Franz (stellv. Leitung), Nina Kutsch, Pia Leinberger, Julia Lorenz, Iona Roelly, Maria Seitle, Susanne Taborsky, Ines Tekin, Ulrike Tischler, Philipp Turinske
Aushilfen: Astrid Raffauf, Eva Richter, Steffen Roßmanith, Mai Strathmann, Henny Durand, Cosima Leipnitz, Laura Weber
TECHNIK
Markus Graw (Bühneninspektor), Bühnenmeister*innen: Philipp von Bergmann-Korn, Werner von Bremen, Oliver Cersowsky-Gross, Timo Schmid, Cornelia Schmid
Maschinist*innen: Kirsty Campbell, Mihael Taborsky, Korbinian Wegmann, Benedikt Hasiner Bühnentechniker*innen: Christian Alcaraz Fernandez, Simon von Barloewen, Phil Baltes, Gabriel Gamper-Johnson, Jussi Gerard, Matthias Gotovac, Ralph Grundke, Ivan Gulija, Ruth Hanke, Rosalie Heller, Simon Henrichs, Josephine Jaufer (Elternzeit), Felicia Kindermann, Christopher Krois, Marie zu Linden, Daniel Mitterer, Paul Mooney, Robin Ramos Perez, Thomas Sgodda, Philip Zimmermann
Auszubildende Veranstaltungstechnik: Philena Cebrian, Lukas Galuschky, Luis Mettenleiter, Lucien Römich, Joel Strickmann, Tristan Van Camp, Janina Voss
BÜHNENMALEREI
Paul Mooney, Bernd Rodenhausen
WERKSTÄTTENLEITUNG
Moritz Köster (Leitung), Hermann Bantner (stellv. Leitung)
SCHREINEREI: Benedikt Wieland (Leitung), Peter Gerhard, Nikolai Hartmann, Jakob Stenzel
Auszubildende Schreinerei: Oskar von Bremen, Malou-Velvet For
SCHLOSSEREI: Michael Graser (Leitung), Faruk Perhat, Michael Vaheri
HAUSTECHNIK: Behnur Alishev, Andreas Thieme, Murad Timucin, Michael Weiß
REQUISITE
Franz Bayer (Leitung)
Susi Gilke, Hilde Heigl, Lilli Maier, Marion Mayer, Martin Mühlbauer, Nicola Rademacher, Bernd Rodenhausen, Tim Schnabbe (stellv. Leitung), Flo Schmidt, Jana Schützendübel, Astrid Weinert
VERWALTUNG
Nicole Arifaj, Gabriele Hack, Oliver Heininger, German Huber, Gabriele Kistler, Anna Münzer, Andrea Karina Pahl, Nicole Schaucher, Karelis Ungar, Padmi Weiß
„Pabst vergisst einfach alles, auch seinen Anstand“
Der Filmregisseur G. W. Papst arbeitete auch für die Nazis. Christian Stückl und Daniel Kehlmann im Gespräch / Seite 6
Poledance für Anfänger Ein Tutorial / Seite 30
Rechtsterrorismus in München Man will es nicht wahrhaben / Seite 34
Es grünt so grün
Eine Ortsbesichtigung / Seite 42
Stückl inszeniert den Roman „Lichtspiel“
Daniel Kehlmann und spricht mit ihm über den
G. W. Pabst
Anne Stein, Steffen Link, Liv Stapelfeldt und Jan Meeno Jürgens machen sich auf die Suche Echt wahr 2
– Bei Max Poerting gibt es keinen Tag ohne Schach – Jonathan Müller wäre beinahe Förster geworden
Die Spielzeit 2024/2025 52 Premieren, Repertoire und Informationen
Bei der Regie kurz nachgefragt 54 Wann hast du das letzte Mal herzlich gelacht?
» Als Autor habe ich das Gefühl, auf der Seite meiner Figuren stehen zu müssen «
(Daniel Kehlmann)
Pabst vergisst einfach alles, auch seinen Anstand«
»
(Christian
Stückl)
In seinem Roman „Lichtspiel“ erzählt der Schriftsteller Daniel Kehlmann die Geschichte des Filmregisseurs Georg Wilhelm Pabst, der aus dem Exil in Amerika freiwillig nach Nazideutschland zurückkehrte. Christian Stückl, Intendant des Münchner Volkstheaters, adaptiert diese Geschichte nun für die Bühne. Ein Gespräch über die Herausforderung, von historischen Figuren zu erzählen, die gesellschaftliche Verantwortung als Künstler und das Schweigen in Familien.
INTERVIEW: JULIA ROTHHAAS / FOTOS: URBAN ZINTEL
VOLKSMUND: Herr Kehlmann, im Mittelpunkt Ihres Romans „Lichtspiel“ steht Georg Wilhelm Pabst, einer der bedeutendsten Filmregisseure der Weimarer Republik. Was hat Sie an dieser Figur gereizt?
DANIEL KEHLMANN: Eigentlich wollte ich etwas über das Milieu des deutschen Stummfilms der 1920er-Jahre schreiben. Beim Lesen einiger Standardwerke tauchte dann
immer wieder der Name G. W. Pabst auf. Obwohl ich nur wenig Material über ihn fand, stand bald für mich fest: Das ist, was ich wirklich erzählen möchte, diese vollkommen aberwitzig umgedrehte Emigrationsgeschichte. Er hatte es 1933 ins Exil geschafft und konnte in Hollywood Fuß fassen, doch 1939 kehrte er freiwillig nach Nazideutschland zurück –obwohl er gar kein Nazi war.
Pabst ist nicht die erste historische Figur, die Sie in Ihren Romanen auftauchen lassen. Wie denkt man sich in jemanden hinein, wenn es kaum Informationen gibt?
KEHLMANN: Über Pabst fand ich tatsächlich nur wenige Dokumente, in der Deutschen Kinemathek und im Bundesarchiv. Trotzdem hat er in meinem Kopf bald ein Eigenleben bekommen. Als
Autor habe ich immer das Gefühl, auf der Seite meiner Figuren stehen zu müssen, selbst wenn es wie im Fall Pabst nicht unbedingt einfach ist nachzuvollziehen, was die Person eigentlich antreibt. Für die Nebenfiguren gilt diese Offenheit hingegen nicht immer: Leni Riefenstahl schildere ich in meinem Roman als Karikatur. Wie wichtig ist es für Sie, beim Schreiben so nah wie
möglich an die historische Figur heranzukommen?
KEHLMANN: Da nehme ich mir die Lizenz zum Erfinden. Auf dem Buch steht schließlich Roman. So ist es ja auch im Theater, da weiß man, dass der Mensch auf der Bühne nicht wirklich Heinrich der Dritte ist, sondern ein Schauspieler. Gleichzeitig finde ich es wichtig, im Bereich dessen zu bleiben, was möglich gewesen wäre. Beim Erfinden muss man sich also immer die Frage
stellen, ob die Idee für die Geschichte auch sinnvoll ist. Wie ist das mit dem Alltag im Dritten Reich, den Sie ja auch beschreiben: Fiel es Ihnen leicht, sich da einzufühlen?
KEHLMANN: Auch wenn das in dem Zusammenhang seltsam klingen mag, bereitet es mir große Freude, mich in solche, mir fremde Situationen hineinzudenken und etwa von der ganz und gar unerträglichen Welt des Dritten Reichs zu erzählen. Es
gibt in meinem Buch beispielsweise eine Szene, in der sich ein paar Damen der Gesellschaft treffen, um über ein zunächst unscheinbares Buch zu diskutieren. Eine normale Diskussion ist aber nicht möglich, weil alles durchtränkt ist von der Angst, in einem totalitären Staat etwas Falsches sagen zu können. Über einen solchen Lesezirkel gibt es keine Quellen, so eine Szene muss man schlichtweg erfinden. Die britische Schriftstelle-
DANIEL KEHLMANN wurde 1975 in München als Sohn einer Schauspielerin und eines Regisseurs geboren und studierte nach seinem Schulabschluss Philosophie und Germanistik. Sein Roman „Die Vermessung der Welt“, der 2005 erschien, war eines der erfolgreichsten Bücher der Nachkriegszeit; mit „Tyll“, erschienen 2017, schaffte er es auf die Shortlist des International Booker Prize. Bisher ausgezeichnet wurde Kehlmann für sein Werk unter anderem mit dem Kleist-Preis, dem Thomas-Mann-Preis und dem Ludwig-Börne-Preis. „Lichtspiel“ ist im Rowohlt-Verlag erschienen.
rin Zadie Smith, mit der Sie befreundet sind, hat über „Lichtspiel“ gesagt: „Endlich machst du mal was mit Nazis.“ Kommt man als Schriftsteller in Deutschland um das Thema einfach nicht herum?
KEHLMANN: Ich glaube nicht, dass es ein Thema gibt, das man zwingend behandeln muss. Vielmehr hat man als deutschsprachiger Schriftsteller qua Kultur und Sprache einfach Zugang zu diesem ungeheuer bedrängenden, aber auch erzählenswerten Themengebiet. Ich hatte schon immer das Gefühl, dass ich darüber eines Tages schreiben könnte, sofern ich einen Zugang für die richtige Geschichte finde –allerdings nicht im Sinne einer moralischen Aufgabe. Ich hätte jedoch auch kein schlechtes Gewissen gehabt, wenn ich das nicht gemacht hätte. Denn als Schriftsteller muss man gar nichts. Außer versuchen, gute Bücher zu schreiben.
Herr Stückl, Sie bringen „Lichtspiel“ in der Spielzeit 2024/2025 auf die Bühne des Münchner Volkstheaters. Was reizt Sie an dieser Inszenierung? Warum jetzt?
STÜCKL: Ich habe das Buch wahnsinnig gerne gelesen. Nach der Lektüre stand schnell für mich fest, dass ich daraus ein Stück machen möchte. Für die Theateradaption muss man ja eine ganz eigene Sprache finden, das Ganze muss auf der Bühne schließlich dialoghafter werden als im Roman, in dem allerdings schon viele tolle Dialoge stecken. Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit Themen zum Dritten Reich, deswegen stellt sich mir die Frage nach dem „Warum jetzt?“ also nicht. Gleichzeitig tauchen heute leider wieder die gleichen Fragen auf, die auch das Buch stellt: Welche Verantwortung hat man als Mensch, als Kunstschaffender in einer Gesellschaft, die immer wei-
ter ins Extreme abdriftet? In „Lichtspiel“ erklärt G. W. Pabst, dass er nichts anderes machen will als Kunst –„unter den Umständen, die man eben vorfindet“. Also dreht er in Nazideutschland Filme und blendet dafür Grausamkeiten aus, wie etwa die Tatsache, dass KZInsassen als Statisten bei Drehs zum Einsatz kommen. Daher die Frage, die Christian Stückl gerade aufgeworfen hat: Welche Verantwortung hat man als Künstler? Welche Kompromisse darf man eingehen?
KEHLMANN: Das ist in jedem Kunstbereich anders. Als Schriftsteller muss schon sehr viel passieren, dass man nicht mehr so schreiben kann, wie man will. Da muss die Polizei immer wieder das Haus durchsuchen und die Manuskripte mitnehmen. Oder aber sie nimmt gleich den Schriftsteller mit und sperrt ihn ein. Bei Regisseuren sieht das anders aus, denn allein kann ja niemand einen Film drehen oder ein Stück inszenieren. Dafür braucht man Mitarbeiter, eine Produktion, Ressourcen; man ist also gezwungen, sich zu überlegen, in was für einem System man arbeitet – oder eben nicht. Paradoxerweise muss Pabst in meinem Buch in Hollywood viel größere Kompromisse machen als in Deutschland. Unter Goebbels erlebt er zunächst eine viel größere künstlerische Freiheit. Wie sehen Sie das mit den Kompromissen, Herr Stückl?
STÜCKL: Manchen Regisseuren wie Max Reinhardt blieb nichts anderes übrig, die konnten nicht einfach bleiben. Reinhardt sah sich gezwungen, Deutschland wegen seines jüdischen Glaubens zu verlassen, und musste sich in der Emigration neu erfinden. Ich stelle mir oft die Frage, wie ich selbst damals reagiert hätte. Natürlich hofft man, dass man verantwortungsvoll
umgegangen und gewesen wäre. Aber wenn ich ehrlich bin, weiß ich es nicht. Herr Kehlmann, Sie haben anfangs von einer umgedrehten Emigrationsgeschichte gesprochen. Können Sie sich das Verhalten von G. W. Pabst erklären?
KEHLMANN: Über den historischen Pabst kann ich abschließend nichts sagen, da gibt es unterschiedliche Theorien und Behauptungen. Im Falle meiner Roman-
»Welche Verantwortung hat man als Mensch in einer Gesellschaft, die ins Extreme abdriftet?«
Christian Stückl
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»Von außen betrachtet gibt es Aspekte der totalen Diktatur, die man nur mit groteskem Humor fassen kann« Daniel Kehlmann
figur aber ist es so, dass er ja schon in Los Angeles von einem Mitarbeiter des Propagandaministeriums kontaktiert wird, der ihm signalisiert, dass er als Regisseur in Deutschland offene Türen vorfinden würde. Das hat zunächst den Effekt, dass er sich überhaupt traut, ins Dritte Reich zu reisen, weil er davon ausgehen kann, nicht verhaftet zu werden. Dazu kommt, dass er in Hollywood nicht so arbeiten kann, wie er sich das vorstellt, also fühlt er sich geschmeichelt von dem Angebot – immerhin ist Pabst einer der Miterfinder des modernen Kinofilms.
Zurück in Deutschland will er das geplante Projekt zunächst absagen, doch er wird praktisch dazu gezwungen, den Film zu drehen. Den will er dann so gut wie möglich machen, und mit guten Schauspielern an der Seite fängt es an, ihm auch Freude zu bereiten.
Das geht gar nicht anders bei einem echten Künstler. Haben Sie in der Vorbereitung Ihrer Inszenierung bereits ein Gefühl für die Figur Pabst entwickeln können, Herr Stückl?
STÜCKL: Ich verstehe schon,
dass es schmerzhaft sein muss, in Hollywood überhaupt nicht gesehen zu werden, als Regisseur von seinem Format. Und dass er zurück in Deutschland das macht, was ihm gesagt wird. Trotzdem hat Pabst eine Verantwortung, vor allem für seine Frau und seinen Sohn. Das hätte ihn davon abhalten müssen, überhaupt nach Deutschland zurückzugehen.
KEHLMANN: Das ist absolut richtig.
STÜCKL: Ich möchte mir kein abschließendes Urteil über die Person Pabst erlauben, aber in mir arbeitet, dass er nie auf die Idee kommt zu sagen: Ich kann ja gar nicht zurück nach Deutschland! Stattdessen erklärt er seine Reise zunächst damit, dass er seine kranke Mutter besuchen will. Aber das ist für mich eine Ausrede. Irgendetwas treibt ihn an. Und deswegen verdrängt er schon bald alles, was ihm lieb ist, seine Frau, seinen Sohn, er ist wie in einem Tunnel nur auf seinen Film konzentriert. Er vergisst einfach alles, auch seinen Anstand.
KEHLMANN: Das sehe ich genauso. Er hätte in Hollywood bleiben müssen, selbst
wenn er dort als Regisseur keinen Fuß mehr hätte fassen können, gerade um seines Sohnes willen. Das gilt auch für den historischen Pabst. Im Gegensatz zu ihm hat Fritz Lang ja die Herausforderung Hollywood angenommen und nach einigen sehr mühsamen Jahren dort auch sehr gute Filme gemacht. Er hat sich gegen das System der teils biederen Filmstudios durchgesetzt. Ja, Pabst hat einen Fehler gemacht, aber gleichzeitig ist der aus dem damaligen Kenntnisstand heraus nicht so unbegreiflich wie für uns, die wir heute auf diese Zeit zurückblicken. Solch existenzielle Entscheidungen trifft man immer mit großem Unwissen. Dass einen die Weltgeschichte plötzlich überrollt, kann man nicht ahnen. Die Frage „bleiben oder gehen“ stellt sich auch heute wieder, beispielsweise für Schriftsteller, Filmregisseure, Theaterintendanten in Russland.
KEHLMANN: Die Antwort darauf muss jeder für sich selbst finden. Ich würde weg wollen, da teile ich die Meinung der Bremer Stadtmusikanten: „Etwas Besseres als den
der stehen. Nehmen Sie die Szene mit dem Lesezirkel, von der ich vorhin sprach. Das Geschilderte ist total schrecklich, doch wenn ich diesen Teil des Buchs bei Veranstaltungen vorlese, wird im Publikum viel gelacht. Wie ist das im Theater: Achten Sie bei Inszenierungen darauf, dass an manchen Stellen bewusst nicht gelacht wird, Herr Stückl?
on ist, hat es ihn tatsächlich gegeben. Hat sich nach der Veröffentlichung seine Familie bei Ihnen gemeldet?
Tod findest du überall.“ Aber es gibt natürlich auch Menschen, die im Land bleiben und sich nicht schuldig machen in so einem System. Sie haben mal erzählt, „Lichtspiel“ sei Ihr lustigstes Buch. Wie viel darf man beim Thema Nationalsozialismus lachen?
KEHLMANN: Ich bin bei Weitem nicht der Erste, der Humor im Erzählen über Nazis entdeckt, das hat ja Tradition, von Ernst Lubitschs Film „Sein oder Nichtsein“ von 1942 hin zu „Jojo Rabbit“ von Regisseur Taika Waititi, der 2019 in die Kinos kam. Es mag komisch klingen, aber für totalitäre Staaten – ob Drittes Reich, Stalins Russland und auch Nordkorea – gilt: Sie sind extrem lächerlich. Natürlich ist es überhaupt nicht lustig, wenn man dem Schrecken in so einem Staat unterworfen ist, aber von außen betrachtet gibt es Aspekte der totalen Diktatur, die man nur mit groteskem Humor fassen kann. Weil man dem Schrecken damit auch ein Stück weit den Zahn zieht?
KEHLMANN: Witz und Schrecken können gut nebeneinan-
STÜCKL: So wie Daniel Kehlmann nie weiß, an welchen Stellen bei seinen Lesungen gelacht wird, ist es auch im Theater. Trotzdem bin ich oft überrascht, wann das Publikum tatsächlich lacht. Manchmal passiert das an Stellen, an denen ich es nie gedacht hätte. Selbst wenn der Zuschauer natürlich machen kann, was er will, und lachen kann, wann er will: Das ist nicht immer einfach für einen als Regisseur. Wenn ich bereits bei Proben merke, dass etwas missverständlich sein könnte, ändere ich es. Ich möchte zum Beispiel nicht, dass über Antisemitismus gelacht wird. Das ist mir vor ein paar Jahren bei der Inszenierung von „Der Kaufmann von Venedig“ passiert. Auch wenn der G. W. Pabst in Ihrem Roman eine Fikti-
KEHLMANN: Die Familie war nicht sehr glücklich über meinen Roman und hatte darum gebeten, dass wir hinten im Buch einen sehr deutlichen Hinweis anbringen, dass einige wesentliche Teile der Geschichte erfunden sind. Ich bin zwar der Meinung, dass, wenn auf einem Buch „Roman“ steht, auch klar ist, dass es sich um einen Roman handelt, aber ich habe das natürlich gerne gemacht. Ich glaube, dieser Teil der Geschichte ist für die Familie sehr schmerzhaft. Es gab dennoch sehr offene Gespräche, denn wir haben ein gemeinsames Interesse daran, dass jemand endlich eine Biografie über ihn schreibt, in der wir mehr über die Umstände, unter denen er im Dritten Reich gearbeitet hat, erfahren. Da ist nämlich immer noch sehr vieles völlig ungeklärt. Ich möchte aber noch etwas zum Thema Fiktion klarstellen. Bitte!
KEHLMANN : Die Szenen im Buch, die davon erzählen, wie etwa KZ-Insassen als Statisten eingesetzt werden, liegen zwar im Bereich der
Erfindung, sind aber meiner Meinung nach künstlerisch legitim. Das hat Leni Riefenstahl tatsächlich für ihren Film „Tiefland“ gemacht, bei dem Pabst immerhin kurze Zeit Co-Regisseur war. Außerdem wurden in den großen deutschen Filmstudios, ebenso wie in allen anderen Industriezweigen des Naziregimes, Zwangsarbeiter aus dem Osten eingesetzt, Mindestalter: zehn Jahre. Das heißt, auch bei dem Film „Paracelsus“, den Pabst in Barrandov drehte, wurden wohl minderjährige Zwangsarbeiter eingesetzt. Anders hat man im Dritten Reich Filme gar nicht gedreht. Natürlich sind Zwangsarbeiter und KZInsassen nicht das Gleiche, aber es ist nun auch kein himmelhoher moralischer Unterschied. Deshalb erzähle ich zwar eine erfundene Geschichte, die sich aber innerhalb dessen bewegt, was unter den damaligen Produktionsbedingungen nicht so ferngelegen hätte. Sie haben eben erwähnt, dass es bislang noch keine Biografie über Pabst gibt. Was ist der Grund, warum sich Historiker noch nicht an seine Geschichte gesetzt haben?
KEHLMANN: Einige seiner Filme kennt man noch, aber als Regisseur ist Pabst in Vergessenheit geraten. Nach dem Krieg wurde er auf internationalen Retrospektiven lange Zeit überhaupt nicht mehr gezeigt. Lotte Eisner, Filmhistorikerin und Gründerin der Cinémathèque franÇaise, die ihn gut kannte, nannte ihn in ihrer Biografie eine zwielichtige Figur; sie wollte überhaupt nichts mehr mit ihm zu tun haben. In der Deutschen Kinemathek habe ich wiederum einen Brief von Louise Brooks gefunden, sie war Schauspielerin in seinem wohl bekanntesten Stummfilm „Die Büchse der Pandora“. Sie hatte versucht, eine Retrospektive über Pabst in Amerika auf die Beine zu stellen. Doch kein Filmkurator wollte damit etwas zu tun haben. Das liegt an Pabsts Biografiebruch, an seiner Rückkehr nach Deutschland. Ich glaube, das ist ein Grund, warum sich Historiker bislang nicht für ihn interessiert haben. Es heißt, Sie hätten „Lichtspiel“ auch geschrieben, um sich mit Ihrer eigenen Familiengeschichte auseinanderzusetzen. KEHLMANN: Ja, aber nur im weitesten Sinne. Mein
Freunde des
„Kultur muss für alle da sein. Dafür setze ich mich ein.“
Thomas Gierling, Medienmanager, engagiert sich ehrenamtlich im Vorstand der Freunde des KulturRaum München e. V.
KulturRaum München ermöglicht Kulturerlebnisse für Menschen mit geringem Einkommen. www.kulturraum-muenchen.de/unterstuetzen-sie-uns
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Vater war Regisseur, und wenn man so will, habe ich jetzt einen Roman über einen Regisseur geschrieben. Ich war von klein auf bei Dreharbeiten dabei und hatte dadurch schon früh ein Gefühl dafür, wie es beim Film abläuft. Ansonsten könnten die beiden Familiengeschichten unterschiedlicher nicht sein.
Ein Großteil meiner Familie väterlicherseits wurde im Dritten Reich in Konzentrationslagern ermordet. Das hat mich natürlich geprägt, ebenso wie mein Interesse für dieses Thema. Aber ich glaube, ich hätte das Buch auch geschrieben, wenn das
nicht so gewesen wäre. Wurde in Ihren beiden Familien viel über die Vergangenheit gesprochen oder – wie bei so vielen in Nachkriegsdeutschland – geschwiegen?
STÜCKL: Bei uns herrschte großes Schweigen, die Nazivergangenheit wurde vollkommen unter den Tisch gekehrt. Ich war der Erste, der Fragen stellte. Weil ich irgendwann mitbekam, dass es so etwas wie Antisemitismus gibt, bin ich zu meinem Opa und habe ihn gefragt: „Was ist das?“ Weil der Großvater auf meine Fragen hin immer nur sagte, „Hör auf mit dem Schmarrn!“, wurde es für
mich besonders interessant. Bis ich 14, 15 Jahre alt war, habe ich Antisemitismus nur mit der Schoah in Verbindung gebracht. Der christliche Antisemitismus, der lange auch im Passionsspiel steckte, war mir gar nicht bewusst. Als ich im Alter von 24 Jahren dann Passionsspielleiter wurde, war ich der Erste, der sich damit auseinandergesetzt hat. Haben Sie auch in der Geschichte Oberammergaus gebohrt?
STÜCKL: Ja, und das war gar nicht so einfach. Ich weiß noch, wie ich drei Frauen aus dem Ort, die bereits weit über 90 Jahre alt waren, mal mit der Geschichte von Otto
Szenen aus Stummfilmen von G. W. Pabst: Die Psychoanalyse beeinflusste die Produktion von „Geheimnisse einer Seele“ aus dem Jahr 1926.
1925 drehte Pabst „Die freudlose Gasse“ mit Greta Garbo.
Veitz konfrontiert habe. Ich wollte wissen, ob sie ihn kannten. Die Frauen haben sich ständig widersprochen, es entstand eine große Unruhe am Tisch. Irgendwann hatte ich genug und sagte: „Ihr müsstet ihn aber kennen. Der Veitz hat in Oberammergau einen Juden versteckt und ist deswegen in das KZ nach Dachau gekommen!“ Erst dann haben die Frauen ausgepackt. Es gab außerdem noch einen Juden, der in der Reichskristallnacht in Unterhose durchs Dorf gejagt und nach Dachau gebracht wurde, an den wollte sich auch lange niemand erinnern. Da musste
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erst Henry Kissinger kommen, der nach dem Krieg als Soldat in Oberammergau stationiert war und später US-Außenminister wurde: Er fand den Namen des Mannes heraus und veröffentlichte ihn. Durch das Aufwühlen hat es immer große Unruhe in meinem Dorf gegeben. Wie war das in Ihrer Familie, Herr Kehlmann?
KEHLMANN : Bei uns wurde dauernd über die Vergangenheit gesprochen. Mein Vater hat sehr viel von seinen Verwandten erzählt, die abtransportiert wurden und die er nie wiedergesehen hatte. Und er sprach auch oft von den drei Monaten, die er selbst als 17-Jähriger im Konzentrationslager verbringen musste, in Maria Lanzendorf, einem Nebenlager von Mauthausen. Wie alt waren Sie, als Sie von diesem Teil der Familiengeschichte erfuhren?
KEHLMANN: Vier oder fünf Jahre. Mein Vater erklärte mir, dass es damals böse Menschen gab, die an der Macht waren, und dass er eingesperrt wurde. Mich haben diese Geschichten schockiert, doch meine Eltern wollten nicht, dass ich die Zeit meines Vaters im KZ missverstehen und denken könnte:
Der war mal im Gefängnis, der hat was angestellt. Noch mal zurück zum Roman und zur Inszenierung am Münchner Volkstheater: Was kann die Literatur, was das Theater nicht kann, und was kann das Theater, was die Literatur nicht vermag?
STÜCKL: Wenn ich ein Buch lese, entsteht in meinem Kopf etwas ganz Eigenes. Liest jemand anderes das gleiche Buch, habe ich oft das Gefühl, als wären es zwei unterschiedliche Bücher gewesen. Beim Theater wird hingegen das, was auf Papier steht, plötzlich real; zu Figuren, denen man zusehen kann. Das kann Menschen aber genauso verstören und durcheinanderbringen wie ein Buch. Als ich das erste Mal das Passionsspiel inszeniert habe, verlangte das American Jewish Committee, dass wir den Satz „Ich wasche meine Hände in Unschuld“ weglassen, weil Pilatus über Jahrhunderte als Unschuldiger dargestellt wurde. Ich habe diesen Aufruf damals brav befolgt, stattdessen habe ich Pilatus nur schreien lassen: „Wasser!“ Er hat dann seine Hände gewaschen und das Wasser weggeschüttet. Nach der Vorstellung kamen so
viele Leute zu mir und sagten: „So toll habe ich den Satz noch nie gehört!“ Da habe ich gemerkt: Sie sehen diese Szene zwar nur, aber sie hören den gestrichenen Satz trotzdem. Solche Bilder kann nur das Theater transportieren.
KEHLMANN: Ich finde, Bücher können etwas, das überhaupt kein anderes Medium kann, einen nämlich in den Kopf eines anderen Menschen versetzen. Als Schriftsteller kann man eine Figur denken lassen. Im Film und Theater hat man diese Möglichkeit nicht. Gedanken lassen sich schließlich nicht lesen, man bleibt im Außen. Klar kann man da mit technischen Tricks wie Voiceover arbeiten, aber das ist nicht das Gleiche. Das Magische am Theater ist hingegen diese Gegenwart, ein absolutes Alleinstellungsmerkmal, dass man eben nicht den Aufzeichnungen eines Ereignisses beiwohnt oder dem festgehaltenen Gedanken eines Autors, sondern dem echten Moment. Deswegen kann Theater – wenn es wirklich gelingt – einen so in den Bann schlagen wie nichts anderes. Haben Sie Wünsche für die Inszenierung Ihres Romans
am Münchner Volkstheater?
KEHLMANN: Nein, da halte ich mich zurück. Wenn jemand ein Theaterstück von mir inszeniert, das ich geschrieben habe, gibt es immer Wünsche, die natürlich auch nicht zwingend erfüllt werden müssen. Bei einem Theaterstück hingegen, das aus einem meiner Bücher entsteht, basiert das Stück zwar auf meinem Buch, aber es ist nicht mehr meins.
STÜCKL: Ich hoffe sehr, dass es mir gelingt, „Lichtspiel“ bestmöglich auf der Bühne zu erzählen. Vor Langeweile sind wir im Theater schließlich auch nicht gefeit. Grundsätzlich würde ich mir aber wünschen, dass es in Deutschland eine größere Nähe zwischen Autor und Theater für Romanadaptionen gibt. Ich weiß, was ich als Regisseur kann, was mir gelingt und was mir eher nicht so gelingt. Es mag viele geben, die darüber anders denken: Aber das richtige Schreiben ist eine große Kunst. Nicht jeder Regisseur kann auch automatisch Stücke schreiben.
Die Premiere von „Lichtspiel“ findet am 24. Oktober 2024 im Münchner Volkstheater statt.
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STARS am START
Das Volkstheater greift nach den Sternchen!
Gleich sechs neue leuchten zur Spielzeit 2024/2025 so hell, dass man sie sogar aus dem Weltraum sehen kann. Bevor sie bald blendend über unsere Bühnen schweben, haben wir sie in die Kostüme der größten Popstars unserer Zeit gesteckt. Um den Beweis zu erbringen: In welche Rolle sie auch schlüpfen, die Vorlage verblasst vor unseren neuen Schauspieler*innen.
zur neuen Spielzeit:
Abriss
Nina Stehlin wrecked Miley Cyrus
FOTOS: GABRIELA NEEB
Swifties aus aller Welt strömen ins Volkstheater: Maximiliane Haß shaked it off
Jawad Rajpoot holt als Apache 207 den größten Star aus Mannheim nach München
Hi, my name is
Nils Karsten – Eminems neuestes Alter Ego
Chillig statt eilig: Lena Brückner nimmt sich beim Shooting Zeit für den perfekten
Billie-Eilish-Look
Man kann sich nicht sicher sein, ob hier Harry Styles als Cedric Stern post – oder andersrum
Hohe Whiskosität
Ein kritischer Umtrunk rund ums Volkstheater
Trägt das Volkstheater am neuen Platz in der Tumblinger Straße zur Gentrifizierung des Viertels bei? Diese Frage treibt das Ensemble des Hauses um. Henriette Nagel und Lukas Darnstädt gehen an die Orte, an denen sich solche Entwicklungen am zuverlässigsten ablesen lassen: Bars und Boazn. Eine investigative Trinktour in vier Stationen.
>Es ist Sommer, die Fußball-EM der Herren in vollem Gange, und in der Dreimühlenstraße haben die Betreiber des Stüberls Rollrasen unter die Tische im Außenbereich gelegt. Ist einem jungen, hippen Publikum die wahre Härte
der Straße nicht mehr zuzumuten? Darnstädt und Nagel lassen sich von der sportiven Atmosphäre inspirieren und bestellen ihren Lieblingscocktail: Whisky Sour. Dieses Getränk, erklären sie, habe viele Vorzüge: „Vitamine durch den Zitronensaft“, „Eiweiß für Pumper“ durch einen Schaum aus Eiklar – im Prinzip handele es sich um eine vollwertige Mahlzeit. Sie beschließen, den Abend zur Suche nach dem besten Whisky Sour im Viertel zu nutzen. Wenn sich beim Saufen Gedanken über positive Gesundheitseffekte gemacht werden, ist das ein todsicherer Gentrifizierungshinweis, denkt man fast, aber da kommen auch schon die Getränke. Und wie schmeckt’s? Darnstädt lobt die Präsentation (Cocktailkirsche, Orangenscheibe), Nagel vermisst Eiklar und Cremigkeit, lobt dafür aber den tropisch-fruchtigen Charakter. Noch während die beiden versuchen, im Mund einen Knoten in den Kirschstil zu züngeln, setzen sich vier Studentinnen mit an den Tisch – und bestellen beim Anblick der Drinks direkt auch Whisky Sour. Henriette Nagel und Lukas Darnstädt –actors and cocktail influencers. Das Valentin Stüberl atmet 2024er-Zeitgeist. Im besten Sinne! Weiter geht’s!
FOTOS: GABRIELA NEEB / TEXT: MORITZ HÜRTGEN
>Ein zuvorkommender Türsteher winkt die Exkursion gegenüber der Großmarkthalle in die Gruam, eine Boazn mit halbseidener Vergangenheit. Direkt nach dem Eintreten vergisst man im Dunkel, ob 2024 oder doch wieder 1994 ist. Angenehm ohrenbetäubende Musik verhindert Gespräche, die unnötig vom Trinken abhalten. Nagel und Darnstädt merken, dass an einem solchen Ort kein guter Vorsatz zu halten ist: Für den Whisky Sour ist kein Whisky mehr da, der Mann an der Bar bringt Bier als alternative Erfrischung ins Spiel.
„Bier auf Whisky, das ist richtig“, reimen sie. Künstler bleiben eben Künstler. Und die Gruam bleibt eine ehrliche Boazn. Vielleicht nicht ganz so ehrlich wie der Goldene Handschuh in Hamburg, aber München hat auch kaum Milieu und keinen Hafen. Nur den in der Stadt gestrandeten Touri-Dampfer Alte Utting, auf den man aus dem Fenster der Gruam beste Sicht hat. Einen Besuch dort lehnen Nagel und Darnstädt aber ab, noch seien sie nicht Ü40. Ihr nächstes Ziel: der angesagte Club Apollon in der Oberländerstraße …
>… doch Apollon, der Gott des Lichts, hat in seinem Club leider schon die Birnen ausgeknipst. Nichts zu machen. Nagel und Darnstädt geht ein Licht auf: Befindet sich um die Ecke nicht mitten im Wohngebiet die Kneipe Schwarzer Engel? Doch, doch.
An den Wänden signierte E-Gitarren, an der Theke Stammkunden, großes Hallo. Lukas Darnstädt kündigt dem Wirt an, man sei zum Whisky-Sour-Trinken da, und erklärt, wie der Drink gemixt wird. Als der Barkeeper schon halb in den Keller verschwunden ist, um Zitronen aufzutreiben, legt die Stammkundschaft ein vehementes
Veto ein. Im Schwarzen Engel gebe es die herrlichsten Whiskys; kostbare Tropfen, die man unmöglich mit irgend etwas vermischen dürfe. Es wird nicht wenig gespottet über die Neuankömmlinge, nach kurzer Beratung werden aber großzügig vier Probiergläschen mit ausgewählten Schotten präsentiert. Mit Namen, die man alle nicht richtig aussprechen kann: Lagavulin, Laphroiag, Auchentoshan und Glenfiddich. Die Schauspieler leiten die Verkostung, besonders Henriette Nagel sticht mit Sommeliersvokabular hervor: Der erste verfüge über künstliche Zitrusnoten, der zweite schmecke stark nach Alkohol, der dritte nasal, aber platt – und der vierte schließlich torfe wunderbar im Mund herum. Alle zeichneten sich insgesamt durch hohe Whiskosität aus.
Nach anfänglicher Skepsis umarmen Wirt und Stammkunden die Gäste aus dem Theater und reichen einen weiteren Whisky sowie einen Obstbrand, der nach den fauligen Aromen aus Schottland wie ein Fruchtzwerg schmeckt. Herzlichkeit und Gastwirtschaft in angestaubtem Ambiente, ein hochprozentiger Spaß werktags um 0 Uhr. Im Schwarzen Engel ist die Welt noch in Ordnung.
>Letzte Station Südbahnhof, bitte einsteigen. Praktischerweise liegt die Sportsbar direkt gegenüber dem Volkstheater in der Tumblingerstraße. Darnstädt und Nagel können beim Eintreten ihr Glück kaum fassen: Aus einer lustigen Traube Gäste heraus fällt ihnen Anna um die Hälse, die legendäre und beim Ensemble äußerst beliebte Thekenfrau der zu diesem Zeitpunkt noch in Renovierung befindlichen Kneipe Zenetti Pils. Die Augen der beiden verraten: Das fühlt sich ein bisschen wie Nachhausekommen an. In der Sportsbar herrscht überhaupt eine Atmosphäre wie in einer modernen Wohnküche. Und wie es sich da gehört, flattern prompt Nüsschen und Chips auf den Tisch. An der Theke wird derweil an der Rezeptur für einen letzten Whisky Sour gefeilt. Wie sich schnell herausstellt, schmeckt es am besten, wenn man den Whisky pragmatisch in Sprite ertränkt. Eine Kostprobe ergibt: So schmeckt der Sour süß und geht direkt ins Blut. Was man wohl im Schwarzen Engel dazu sagen würde?
Das Fazit der Trinktour: Noch ewig könnte man so weitermachen, wenn morgen keine Vorstellung zu spielen wäre. Rund ums Volkstheater lässt es sich selbst unter der Woche erstklassig zechen. Und von der Gentrifizierung merkt man zumindest an den Theken des Viertels noch nicht allzu viel. Wer hier keine Miete zahlen muss, kann weiterhin fröhlich anstoßen.
23.15 Uhr / Zur Gruam
»Beim Schreiben gelingt es mir, mich von meinen Ängsten zu lösen«
In ihrem Roman „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ erzählt die US-amerikanische Schriftstellerin Ottessa Moshfegh von einer jungen Frau, die mit Hilfe von Medikamenten ein Jahr verschlafen will. Ein Gespräch über das Gefühl, vom Erdboden verschwinden zu wollen, Mitleid mit den eigenen Romanfiguren und warum sie eine Workaholic ist.
INTERVIEW: JULIA ROTHHAAS / FOTO: BRIGITTE LACOMBE
VOLKSMUND: Frau Moshfegh, Sie leben im kalifornischen Pasadena. Wie fühlt es sich aus der Ferne an, dass die Regisseurin Katharina Stoll Ihr Buch „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ nun auf die Bühne des Münchner Volkstheaters bringt?
OTTESSA MOSHFEGH: Das Buch wurde 2020 schon mal in Zürich aufgeführt, aber ich habe bis heute nicht einmal ein Szenenbild aus dieser Produktion gesehen. Natürlich hängt man als Autorin an seinem Werk. Man nennt es „mein Baby“, und das stimmt auch ein Stück weit. Aber als Theaterstück wird es immer eine Interpretation meines Romans bleiben. Wenn es außerdem in einer anderen Sprache aufgeführt wird, fühlt es sich gleich noch weiter weg an. Das gefällt mir, weil ich mich dadurch von Erwartungen lösen kann,
die ich damit verknüpfe.
In Ihrem Roman beschließt eine junge Frau, deren Namen man nicht erfährt, mit Hilfe von Beruhigungsmitteln, Antidepressiva und Schlaftabletten ein Jahr lang durchzuschlafen, als eine Art Grundreinigung gegen ihre Gleichgültigkeit dem Leben gegenüber. Wie sind Sie auf die Idee für dieses Buch gekommen? Bei vielen Büchern kommt die Idee aus dem Nirgendwo, das lässt sich gar nicht zurückverfolgen. Aber bei diesem Roman war es anders. Und zwar wie?
Ich habe lange in New York City gewohnt und kehrte viele Jahre nicht dorthin zurück. Als ich doch mal einen Freund besuchte, sah ich, wie sehr sich die Stadt seit meinem Umzug nach Kalifornien verändert hatte, vor allem nach den Terroranschlägen vom
11. September 2001. Warum auch immer, tauchte dann genau der Charakter dieser Frau in meinem Kopf auf. Mit einem Mal wusste ich sehr genau, wer sie war, wo, wann, wie sie lebte und dass sie ein Jahr lang nichts anderes tun wollen würde – außer zu schlafen. Als Leser tut man sich zunächst schwer zu verstehen, warum sie das so unbedingt will: Da ist eine junge Frau, gut aussehend, mit einem tollen Job in einer Kunstgalerie, die viel Geld geerbt hat. Es scheint, als gäbe es keine Probleme. Sie ist jemand, die von außen beneidet wird, die unerreichbar wirkt, weil sie auf so vielen Ebenen perfekt ist. Gleichzeitig hat diese Frau aber eine unglaubliche Angst vor sich und ihren Gefühlen. Sie fühlt sich allein und alleingelassen und kann all dem nicht entkommen. Ich konnte ihr
»Ich bin vom Leben enttäuscht, wenn ich nicht mitten in einem Schreibprojekt stecke«
28 Vorhaben gut verstehen. Weil Sie selbst gerne ein Jahr lang durchschlafen würden?
Als ich das Buch schrieb, hatte ich mit dem Gegenteil davon zu kämpfen, nämlich mit enormer Schlaflosigkeit. Da habe ich enorm viel übers Schlafen nachgedacht. Abgesehen davon kennen bestimmt viele Menschen das Gefühl, nur ins Bett gehen zu wollen, und nach dem Aufwachen haben sich alle Probleme in Luft aufgelöst. Dieser Sehnsucht wollte ich nachgehen. Wie fühlt man sich in einen Menschen ein, der – wenn auch nur auf Zeit – vom Erdboden verschwinden will?
Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber ich hatte nie das Gefühl, Tagebuch schreiben zu können. Schon als Kind befürchtete ich, dass jemand meine Einträge lesen könnte. Denn unser eigenes Melodrama, gepaart mit der Art und Weise, wie wichtig wir uns nehmen, kann extrem lächerlich wirken. Wenn ich doch mal über meine Gefühle schreibe und das später lese, kann ich nicht fassen, wie absurd alles klingt. Als Schriftstellerin gefällt mir aber, mich genau davon inspirieren zu lassen. Also dahin zu gucken, wo vieles in uns so hässlich ist. Haben Sie je Mitleid mit
Ihrer Romanfigur?
Nein, niemals. Aber ich muss Mitgefühl haben.
Am Ende des Romans kommt die Protagonistin zu dem Schluss: „Schmerz ist nicht das Einzige, an dem man wachsen kann.“
Ist das Ihre Botschaft an all diejenigen, die davon überzeugt sind, dass man aus jeder noch so miesen Erfahrung gestärkt hervorgeht?
No pain, no gain: Das gilt für mein gesamtes Leben, für meine Arbeit, die Beziehung zu meinem Körper und zu anderen, selbst für meine Hobbys. Aber ich möchte nicht, dass dies die einzige Ausgangslage für inneres Wachstum ist. Vielleicht ist Liebe oder Glaube ja viel besser! Deswegen finde ich diesen Satz ehrlicher und menschlicher als alles, was man sonst aus der so populären Selbsthilfekultur hört, die gerade hier in Kalifornien so unerschütterlich wirkt.
Der Erfolg Ihres Buchs kam in zwei Wellen: zur Erstveröffentlichung im Jahr 2018 und dann zwei Jahre später, als es zu Beginn der Pandemie besonders von jungen Frauen gelesen wurde, die sich dann als „sad girls“ in melancholischem Look mit verweinten Augen auf TikTok inszenierten und gegenseitig zelebrierten. Haben Sie sich Sorgen um
Ihre Leserinnen gemacht? Nein. Diese Frauen waren während der Lockdowns mit sich selbst konfrontiert. Vermutlich gab es nicht viele Geschichten, in denen sie sich zu diesem Zeitpunkt wiederfinden konnten. Manche von ihnen schrieben mir Mails, in denen sie davon erzählten, wie sie durch die Lektüre meines Buchs mit anderen Leserinnen in Kontakt kamen und zu Freundinnen wurden. Ich glaube, das ist das größte Kompliment, das man überhaupt bekommen kann als Schriftstellerin. Dass man etwas geschaffen hat, das andere miteinander verbindet. Mit dem Schreiben haben Sie im Alter von 13 Jahren begonnen. Doch nicht nur in Ihren Romanen tauchen jede Menge Tragödien auf: Als Kind sollen Sie an paranoiden Wahnvorstellungen gelitten haben, Sie hatten Essstörungen und besuchten bereits als junge Frau Treffen der Anonymen Alkoholiker. Zudem starb Ihr Bruder früh an einer Überdosis. Wurde das Schreiben zu Ihrem Rückzugsort?
Einer der Gründe, warum ich überhaupt Romane schreibe, ist, dass ich dadurch das sagen kann, was ich denke, und gleichzeitig nichts über mich oder über die Beziehungen, die ich zu anderen Menschen führe, preisgeben muss. Wenn ich schreibe, fühle ich mich am lebendigsten. Ich halte mich nicht für eine besonders nachdenkliche, reflektierte Person, aber wenn ich an meinem Arbeitstisch sitze, werde ich mit einem Mal klüger. Und zwar nicht, weil ich etwas Unglaubliches mache, sondern weil es mir beim Schreiben gelingt, mich von meinen Ängsten zu lösen. Das gibt mir das Gefühl von Freiheit. Wissen Sie noch, über was Sie mit 13 geschrieben haben?
Das klingt heute etwas albern, aber ich habe versucht, ein Stück weit meine
permanente Traurigkeit zu überwinden, die mich schon als Kind erfasste. Sprache ist für mich ein Ventil, um ein Gefühl darzustellen. Damals ging es mir aber nicht so sehr um eine sinnvolle Erzählung, meine Geschichten waren ziemlich kurz, manchmal nur einen Satz lang. Stattdessen schrieb ich über die immergleichen Figuren, einer von ihnen hieß Joe. Er wurde zu jemandem, der mir sehr nahestand. Ein unsichtbarer Freund? Vielleicht. Er tauchte in unterschiedlichen Szenarios auf, mal war er jung, mal alt. Joe wurde zum Archetyp meiner Geschichten. Lesen durfte die aber niemand, ich behielt sie wie vieles andere für mich. Sie gelten als sehr fleißig. Mit welchem Teil Ihrer Arbeit tun Sie sich besonders schwer? Nicht zu arbeiten! Ich bin vom Leben tatsächlich enttäuscht, wenn ich nicht mitten in einem Schreibprojekt stecke und mit den Fragen zu kämpfen habe, die sich mir dabei stellen. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit zu finden, mag mir einfach nicht gelingen. Wenn mich eine Freundin anruft und sagt, oh, das Wetter ist so schön, lass uns treffen und irgendwo Kaffee trinken gehen, zögere ich sehr lange. Ich entkomme dem Schreiben nur schwer.
Die Schriftstellerin und Drehbuchautorin Ottessa Moshfegh wurde 1981 in Boston geboren. Sie studierte Englisch und Kreatives Schreiben, anschließend unterrichtete sie selbst. Bereits ihr Debütroman „Eileen“ war ein großer Erfolg und stand u.a. auf der Shortlist für den Booker Prize. 2018 erschien „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“, ein internationaler Bestseller, der nun von Kathrina Stoll am Münchner Volkstheater inzeniert wird.
Das Stadtmagazin
Tanz an der Stange
Silas Breiding begeistert in „Die Zofen“ mit einer Performance an der PoledanceStange. Bei der Premierenvorstellung von Jean Genets Tragödie bekam er in seiner Rolle als „gnädige Frau“ Szenenapplaus, als er sich an der Stange schwang. Bevor er zum ersten Mal eine der Figuren tanzen konnte, war wochenlanges Training nötig. „Das Schwierigste ist, die Bewegungen elegant aussehen zu lassen und die Körperspannung zu halten“, sagt er. Mittlerweile sei er aber ziemlich geübt, zwischen den Vorstellungen probe er nicht mehr. Im „Volksmund“-Kurs „Poledance mit Silas“ lernen auch Sie, wie es geht!
Auch Verschnaufpausen lassen sich unauffällig einbauen.
… rundherum, solang es Ihnen taugt! Zum Bremsen drücken Sie die Hände zusammen.
Sie zum Abschluss die eigene Hand: Wie viele Finger sehen
Begrüßen Sie die Stange höflich mit einem tiefen Knicks.
Schwindelgefühle sind nicht hinderlich, sondern gewollt: Hängen Sie sich rein!
Umschwung …
Richten Sie sich vorsichtig auf und achten Sie auf mögliche Schmerzen im unteren Rücken.
Eventuell herausgesprungene Wirbel renken Sie mit einer lasziven Handbewegung ein.
Los geht’s: Aufschwung …
Fixieren
Sie?
FOTOS: GABRIELA NEEB
Die Bühnen-WG
Der „Salon Sonnenberg“ der Musikerin Nina Fiva Sonnenberg findet in der Spielzeit 2024/2025 an drei Terminen statt. Ein fester Bestandteil der Bühnenshow: ihre Freunde und Musikerkollegen Benedikt Wiessmeier und Jakob Döring von der Schlachthofbronx. Ein guter Anlass also, das Trio auf einen Kaffee zu treffen.
32 Musikalisch haben sie wenig gemein. Die Musikerin und Moderatorin Nina Sonnenberg ist unter ihrem Künstlernamen Fiva für ihren vielseitigen und eingängigen Deutschrap bekannt. Die beiden Musikproduzenten und DJs Benedikt Wiessmeier und Jakob Döring von der Schlachthofbronx machen hingegen elektronische Tanzmusik, die irgendwo zwischen Dub, Bass, Reggae, Dancehall und Techno jegliche Genregrenzen über Bord wirft. Gemeinsam Musik machen? „Das ließe sich nur schwer zusammenbringen und würde weder im Club noch auf der Bühne funktionieren“, so Nina Sonnenberg.
Die Genres mögen noch so unterschiedlich sein, doch die drei Musiker*innen verbindet seit Jahren eine enge Freundschaft. Seit über 16 Jahren kennen sie sich schon. „Wir haben uns beruflich durch den Bayerischen Rundfunk kennengelernt. 2008 interviewte ich die Schlachthofbronx für den ,Zündfunk‘ auf dem Lidl-Parkplatz hier im Schlachthofviertel“, so Sonnenberg. „Nina hat das allererste Interview mit uns gemacht“, ergänzt Wiessmeier. Seitdem ist viel Zeit vergangen, und weder die Schlachthofbronx noch Fiva sind inzwischen aus der Münchner Musikszene wegzudenken.
Ein Freitagvormittag Mitte Juli, die Luft ist schwül und drückend, man sehnt sich nach ein paar Sonnenstrahlen, doch aus dem Nichts fängt es zu regnen an. Sonnenberg, Wiessmeier und Döring sitzen vor einem Café unweit des Münchner Volkstheaters. Auf den großen, roten Sonnenschirm über ihnen prasseln die Regentropfen. Die drei sitzen zusammen, um mit dem „Volksmund“ über ihre langjährige Freundschaft zu sprechen und über den „Salon Sonnenberg“ am Münchner Volkstheater. Das Konzept der Veranstaltung ist bestechend einfach: Nina Sonnenberg lädt Kolleg*innen ein, um mit
ihnen Musik zu machen und über die Welt zu sprechen. Neben Musiker*innen verschiedenster Spielart sind auch immer wieder Kabarettist*innen Teil des Programms. Zwei ausverkaufte Ausgaben gab es bereits auf der Bühne 1 des Volkstheaters. In der Spielzeit 2024/2025 folgen drei weitere „Salons“. Ein nicht unwesentlicher Teil jeder Ausgabe der lockeren und improvisierten Bühnenshow ist die Schlachthofbronx. Wiessmeier und Döring spielen zwar nicht selbst auf der Bühne Musik, sind aber als Gastgeber mit dabei und ergänzen das Programm, indem sie mal Getränke an die Gäste ausschenken oder gemeinsam mit Sonnenberg einen Teil der Moderation übernehmen. „Wir machen halt das, was wir können“, meint Wiessmeier lapidar. „Also Hallo sagen und Gläser vollmachen.“
Das Bühnenkonzept, angelegt als WG mit Küchenzeile, Kühlschrank und Esstisch, ist im Grunde ein Ergebnis der Pandemie. Als der Kulturszene durch die Coronamaßnahmen der Stecker gezogen wurde, veranstaltete Sonnenberg Wohnzimmerkonzerte bei sich zu Hause, zu denen sie Freund*innen und Nachbar*innen einlud. „Benedikt und Jakob kamen rein und fingen sofort an, die Gastgeberrolle zu übernehmen und allen was zu trinken zu geben. Die beiden waren so eine Hilfe. Es fühlte sich an, als ob sie bei mir wohnen. Danach dachte ich mir, ich will das unbedingt auf die Bühne bringen“, so Sonnenberg. Ihre Verbundenheit auf der Bühne zeigt sich auch im Gespräch. Sonnenberg ist die Wortgeberin und erzählt freimütig über sich, ihre Show und die Schlachthofbronx. Wiessmeier und Döring hören hingegen einfach zu und ergänzen nur hie und da. „Nina redet ja gerne und viel. Das ist bei dem Job auch sehr wichtig. Da braucht es nicht noch jemanden, der genauso viel erzählt, sondern vielmehr jemanden, der nur
punktuell seinen Senf dazugibt“, kommentiert Wiessmeier auf seine lakonische Art. Für Sonnenberg sind die beiden jedoch auch ohne viele Worte unverzichtbar: „Es ist keine Freundschaft, die daraus besteht, dass wir uns jeden dritten Tag sehen. Wir haben vorhin schon darüber gelacht, dass ich erst eine Veranstaltung im Theater auf die Beine stellen musste, um die beiden regelmäßig sehen zu können. Aber was ich an der Freundschaft und auch an der WG, die wir auf der Bühne haben, toll finde, ist, dass Benedikt und Jakob eine der wenigen Menschen und auch wenigen Männer sind, die sich sowohl für Feminismus als auch Antirassismus konsequent starkmachen. Und zwar auf eine total unterstützende Art und Weise. Das macht sie schon sehr besonders.“
Dabei sind die beiden eher für ihr Understatement bekannt. Sie suchen nicht nach der großen Aufmerksamkeit, sondern gehen ihren eigenen Weg. In ihrer über 16-jährigen Geschichte als Schlachthofbronx kalkulierten sie ihre Musik nie nach den jeweils vorherrschenden Trends. „Es ist nicht Teil unseres Konzepts, vorher die Marktlage zu checken. Wir sind einfach stur und machen das, worauf wir Lust haben. Und wenn sich das zufällig mit Sachen überschneidet, die gerade gut ankommen, freuen wir uns“, meint Döring. Im „Salon Sonnenberg“ zählen sie womöglich zu jenen Menschen, von denen Döring im Laufe des Gesprächs erzählt: „Es gibt Leute, die nicht selber in einer WG wohnen, aber trotzdem immer als eine Art Inventar da sind und dadurch eine WG entscheidend prägen.“ Dass sie diese Rolle auf der Bühne übernommen haben, steht für Sonnenberg außer Frage. Deswegen hat sie mit der Schlachthofbronx noch einiges vor: „Ich sehe die beiden in Zukunft viel mehr in der Moderation. Zum Glück haben wir diese Spielzeit gleich drei Mal die Gelegenheit, um das auszuprobieren.
Rechter Terror –traurige Kontinuität in München
In keiner anderen deutschen Stadt sind so viele Menschen rechtsextremen Terroranschlägen zum Opfer gefallen wie in München. Dennoch sind viele Taten in Vergessenheit geraten, wurden verdrängt oder verklärt, wie auch der jüngste Anschlag am Olympia-Einkaufszentrum 2016. Erst das Engagement der Angehörigen hat jüngst zu einem Umdenken geführt.
Wer am achten Jahrestag den Ort des Anschlags am Olympia-Einkaufszentrum besucht, erkennt die Orte direkt wieder: Die Hanauer Straße, auf der die Reporter bei ihren Liveschalten standen. Den McDonald’s, in den der Attentäter seine potenziellen Opfer per FacebookPost lockte und in dem er am 22.7.2016 um 17 Uhr 51 das Feuer eröffnete. Den U-Bahn-Eingang, die Tiefgarage und das Einkaufszentrum selbst, an dem er weitere Leute erschoss. Und das Parkdeck, auf dem er sich mit einem Anwohner auf einem angrenzenden Balkon unterhielt. Heute, acht Jahre später, steht auf der Hanauer Straße eine in schwarzen Stoff gehüllte Bühne. Es erklingen Lieder, die Angehörige mit ihren getöteten Kindern, Ehefrauen und Verwandten verbinden, vom anatolischen Sänger Tanju Okan, dem Rapper Bushido oder dem Griechen Giorgos Margaritis. Der OEZ-Attentäter hatte gezielt Jagd auf Menschen mit Migrationshintergrund gemacht, seine Opfer hatten etwa Eltern aus dem Kosovo oder der Türkei, sie waren Muslime, Sinti oder Roma. Die Tatsache, dass es sich bei dem Anschlag um rechtsextremen Terrorismus handelte, ist allerdings bis heute nicht in allen Köpfen angekommen.
Ein paar Wochen vorher sitzen fünf Menschen im Kulturzentrum Zirka auf einem Podium: Dass sie eine Gemeinsamkeit haben, sieht man ihnen auf den ersten Blick gar nicht an. Ein Mann in seinen Fünfzigern trägt Bürstenhaarschnitt, daneben zwei jüngere Frauen, eine in Seidenbluse, die andere in Jeans und T-Shirt – und eine ältere Dame, auf deren Oberteil das Gesicht eines jungen Mannes abgebildet ist: Giuliano Kollmann. Die Frau ist seine Großmutter Gisela Kollmann. Beim Anschlag am 22.7.2016 tötete der Attentäter im Olympia-Einkaufszentrum den 19-jährigen Giuliano. Auch der Bruder der Frau in Seidenbluse, Dijamant Zabergja, war unter den Todesopfern. Der Vater von Mandy Boulgarides, der Frau in Jeans, wurde 2005 vom NSU erschossen. Und Robert Höckmayr, der Mann in der Runde, überlebte 1980 als 12-Jähriger schwer verletzt den rechtsextremen Terroranschlag aufs Münchner Oktoberfest. Zwei Geschwister starben am Tatort.
Kurz vor dem achten Jahrestag des Anschlags am Olympia-Einkaufszentrum, sitzen die vier Angehörigen hier nun als Zeugen eines traurigen Kontinuums: In keiner anderen deutschen Stadt sind
seit 1945 so viele Menschen Opfer von rechtsextremen Anschlägen geworden.
Dass auch der Anschlag am Olympia-Einkaufszentrum als ein solcher Anschlag gilt, ist vielen bis heute nicht bewusst; vielmehr wurde er lange als „Amoklauf“ einsortiert. Am 22.7.2016 hatte der spätere Attentäter David S. auf Facebook andere Nutzer aufgefordert, in die McDonald’s-Filiale am OlympiaEinkaufszentrum zu kommen: „Kommt heute um 16 Uhr Meggi am OEZ ich spendiere euch was wenn ihr wollt aber nicht zu teuer“. Dort tötete er mehrere Jugendliche und verletzte einen weiteren schwer. Vor dem Restaurant schoss er auf weitere Passanten und Autos, tötete zwei Menschen in der Nähe einer Tiefgarage, einen an der U-Bahn-Haltestelle. Sein letztes Opfer war Dijamant Zabergja, den er im Olympia-Einkaufszentrum erschoss. Erst nach zweieinhalb Stunden konnte der Täter gestellt werden, er erschoss sich schließlich selbst. Nachdem die Öffentlichkeit vor dem Hintergrund der Anschläge des „Islamischen Staat“ und der iranischen Eltern des Attentäters zunächst von einem islamistischen Attentäter ausgegangen war, spielten Polizei und Politik die Tat her-
26.9.1980
Rechtsterroristischer Bombenanschlag am Haupteingang des Oktoberfests
Durch die Explosion einer handgefertigten Bombe am Eingang des Oktoberfests wurden 13 Personen getötet und 221 verletzt. Der Täter Gundolf Köhler war Mitglied der neonazistischen Wiking-Jugend und der „Wehrsportgruppe Hoffmann“, einer NeonaziOrganisation mit zeitweise zwischen 400 und 600 Mitgliedern. Das Oktoberfest-Attentat gilt als blutigster Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Nach dem Abschlussbericht der Ermittler vom November 1982 plante und verübte Köhler den Anschlag allein und aus persönlichen Motiven. Erst 2020 stellte die Bundesanwaltschaft nach erneuten Ermittlungen fest, dass es sich um einen rechtsextremen Terrorakt gehandelt hatte.
7.1.1984
Brandanschlag auf die Diskothek „Liverpool“
Zwei junge Männer betraten am 7. Januar die Diskothek in der Schillerstraße 11a und warfen Benzinkanister in den Eingangsbereich, wodurch sofort ein Feuer ausbrach. Knapp 30
Gäste und Angestellte wurden von den Flammen eingeschlossen, einige konnten sich retten, andere zog die Feuerwehr ins Freie. Die Polizei ermittelte zunächst im Rotlichtmilieu. Erst ein Bekennerschreiben der Täter der Neo-
nazigruppe „Ludwig“, das zehn Tage später bei der italienischen Nachrichtenagentur Ansa einging, brachte die Polizei auf die richtige Spur.
29.8.2001
Mord an Habil Kılıç durch den „Nationalsozialistischen Untergrund“
Habil Kılıç wurde durch zwei Kopfschüsse in seinem Familienfeinkostladen in München-Ramersdorf ermordet, der sich in unmittelbarer Nähe einer Polizeistation befand. Die Mordkommission fokussierte ihre Ermittlungen zunächst nicht auf einen rechtsex-
tremen Hintergrund, sondern auf das deutsch-türkische Milieu, organisierte Kriminalität und Drogenhandel.
9.11.2003
Anschlagsplan auf Jüdisches Zentrum am Sankt-Jakobs-Platz
Die Polizei deckte einen geplanten Anschlag auf die Grundsteinlegung des neuen Jüdischen Zentrums München am 9.11.2003 auf und stellte 1,7 Kilogramm des Sprengstoffs TNT sicher. Unter den drei Verhafteten war auch Drahtzieher Martin Wiese, Führungsfigur der „Kameradschaft Süd“. Diese sah sich in der Tradition der „Wehrsportgruppe Hoffmann“, aus der der Oktoberfest-Attentäter hervorging.
15.6.2005
Mord an Theodoros Boulgarides durch den „Nationalsozialistischen Untergrund“
Theodoros Boulgarides wurde im Laden seines Schlüsseldienstes in der Trappentreustraße durch Angreifer des „Nationalsozialistischen Untergrund“ erschossen. Die „Abendzeitung“ titelte nach dem Mord zunächst: „TürkenMafia schlägt wieder zu“. Auch die Behörden vermuteten laut Boulgarides’
Witwe zunächst einen Zusammenhang mit Menschen- und Drogenhandel.
24.6.2015
Brandstiftung an Moschee in der Planegger Straße
Unbekannte begingen am frühen Mittwochmorgen Brandstiftung an einem Nebengebäude der Moschee in der Planegger Straße in Pasing. Die Seitenwand fing Feuer und der Brand griff ins Innere über. Der Imam bemerkte das Feuer und konnte es selbst löschen. Im September 2001 war das Gotteshaus schon einmal Ziel eines Anschlags gewesen. Damals hatte ein Fußgänger einen Molotowcocktail mit brennender Lunte vor dem Kulturzentrum entdeckt. Der Täter wurde nie gefasst.
3.3.2016
Versuchter Brandanschlag auf eine künftige Geflüchtetenunterkunft
Drei junge Männer warfen Molotowcocktails auf das Gelände der zukünftigen Geflüchtetenunterkunft an der Neuherbergstraße, doch die Brandsätze zündeten nicht. Die Täter versuchten außerdem, einen Heizungsschlauch zu entzünden. Am nächsten Tag tauchten die Jugendlichen erneut mit Brandbeschleunigern auf, wurden aber dank eines Hinweises festgenommen. Die Jugendlichen gaben zu, dass sie den Einzug von Menschen in die Unterkunft verzögern wollten, die Polizei sah jedoch keinen politischen Hintergrund.
22.7.2016
Attentat am OlympiaEinkaufszentrum
Am fünften Jahrestag des rechtsterroristischen Massenmords von Anders Breivik in Norwegen erschoss der 18-jährige David S. im Bereich des McDonald’s-Restaurants sowie des Olympia-Einkaufszentrums an der Hanauer Straße in München neun Menschen und verletzte fünf weitere schwer, bevor er sich selbst tötete. 2015 hatte er bereits ein Manifest verfasst, in dem er ankündigte, „ausländische Untermenschen“ in seinem Stadtteil „exekutieren“ zu wollen. Erst drei Jahre später gelangte das bayerische Innenministerium zu der Einschätzung, dass der Anschlag rechtsextremistisch motiviert war.
Gisela Kollmann, Großmutter von Guiliano Kollmann
worden, eine ausführliche Rücksprache mit den Angehörigen habe es nicht gegeben. „Es war gut gemeint“, sagt wiederum Margareta Zabergja, „das sollte alles ganz schnell gehen, aber wir waren noch so traumatisiert, dass wir dann erst im Nachhinein für die neue Inschrift kämpfen konnten.“
den Jahrestagen des Oktoberfest-Attentats lange keinen ausreichenden Polizeischutz zur Verfügung gestellt habe, erzählt Höckmayr, hätten die Angehörigen ihre Gedenkveranstaltung neben betrunkenen Wiesn-Besuchern abhalten müssen, die an die Wände des Mahnmals urinierten.
unter: Mobbingerfahrungen des Täters seien „tatauslösend“ gewesen, er habe als nach Rache sinnender Einzelgänger gehandelt. Diese Einschätzung wurde bereits früh kritisiert, da zahlreiche Anhaltspunkte auf eine rassistische Motivation hindeuteten: Der Attentäter war in einer psychotherapeutischen Behandlung durch Hakenkreuz-Malereien und das Zeigen des Hitlergrußes aufgefallen und hatte sich in rechtsextremen Chatgruppen mit Namen wie „Anti-RefugeeClub“ aufgehalten.
Außerdem hatte er den Ermittlern –wahrscheinlich bewusst – ein „Manifest“ auf seiner Festplatte hinterlassen, in dem er von „ausländischen Untermenschen“ und „Kakerlaken“ schrieb, die er „exekutieren“ werde. Inspiriert worden war er dabei offenbar vom Utøya-Attentäter Anders Breivik: Der OEZ-Attentäter setzte seinen Plan am fünften Jahrestag der Ereignisse in Norwegen um, sein Whatsapp-Profilbild war ein Bild von Breivik. Das Bundesamt für Justiz bewertete die tödlichen Schüsse bereits Anfang 2018 als extremistische Tat. Das bayerische Innenministerium zögerte jedoch, diese Bewertung zu übernehmen, was Kritik von SPD, Grünen und Vertretern der Hinterbliebenen hervorrief. Insgesamt untersuchten vier Expertengutachten das Motiv des Attentäters – drei stützten die These eines rechtsextremen Anschlags, eines stufte den Vorfall als Amoklauf ein.
Erst im Oktober 2019 stuften die bayerischen Sicherheitsbehörden die Tat als politisch motiviert ein. Die Rede vom „Amoklauf“ hatte sich aber bereits im Gedächtnis der Stadt verfangen: Ein Jahr nach dem Anschlag hatte die Stadt am Tatort ein Mahnmal mit einer Inschrift enthüllt: „In Erinnerung an alle Opfer des Amoklaufs vom 22.7.2016“. Erst 2020 wurde die Inschrift geändert, sie erinnert nun an „alle Opfer des rassistischen Attentats“.
„Der Erinnerungsort, der bedeutet mir nicht viel“, sagt Gisela Kollmann bei der Diskussion im Zirka Anfang Juli. Er sei eilig von der Stadt in Auftrag gegeben
Dass rechtsextreme Anschläge erst Jahre oder gar Jahrzehnte später als solche erkannt werden, ist nicht ungewöhnlich: Hinter dem Oktoberfest-Attentäter von 1980 vermutete man zunächst linken Terrorismus, dann einen Einzeltäter, trotz der Vernetzung des Attentäters mit der berüchtigten „Wehrsportgruppe Hoffmann“. Beim fast vergessenen Brandanschlag auf einen Nachtclub in der Münchner Schillerstraße im Jahr 1984 ermittelte man anfangs in Untergrundkreisen des Rotlichtmilieus – bis sich die Täter der Neonazigruppe „Ludwig“ per Bekennerschreiben zur Tat bekannten.
Auch Mandy Boulgarides, deren Vater 2005 durch den NSU ermordet wurde, regt es im Fall des OEZ-Attentats auf, „dass wir uns immer noch dafür rechtfertigen müssen, dass es eben nicht nur eine Einzeltat war.“ Nach dem Mord an ihrem griechischen Vater hatte die „Abendzeitung“ zunächst ohne jeden Beleg getitelt: „Türken-Mafia schlägt wieder zu“. Die Behörden hätten in alle möglichen Richtungen ermittelt, von Glücksspiel bis Menschenhandel, erzählt Boulgarides, nur nicht in Richtung rechtsextremer Terror: „Weil das der blinde Fleck von Deutschland ist, das will man nicht sehen, das will man nicht hören.“
Robert Höckmayr, der Überlebende des Oktoberfest-Anschlags, sieht nicht nur bei den Ermittlungen, sondern auch im Umgang mit Hinterbliebenen wie ihm eine traurige Unbelehrbarkeit – bis heute: „Es hat immer dieselbe Systematik“, sagt Höckmayr, „wir, die Hinterbliebenen und Überlebenden, unsere Anliegen und Bedürfnisse, bekommen kaum Aufmerksamkeit.“ Die mangelnde Empathie für die Angehörigen, die mit ihren Einwänden kein Gehör finden, und jahrelang für eine angemessene Entschädigung kämpfen müssen, beschäftigt alle vier auf dem Podium. Höckmayr, der für eine angemessene Entschädigung immer wieder vor Gericht ziehen musste, hat erst 2023 erneut Klage gegen den Freistaat Bayern eingereicht, 43 Jahre nach dem Anschlag. Er forderte einen finanziellen Ausgleich für die beruflichen Nachteile, die er durch das Wiesn-Attentat in Kauf nehmen musste.
Auch ein würdiges Gedenken sei lange nicht möglich gewesen: Da die Stadt an
Rückhalt finden die Angehörigen der Opfer zumindest untereinander: Sie haben sich in der Initiative „München OEZ erinnern“ organisiert, betreiben einen Erinnerungsraum am Münchner Marienplatz – und stehen auch mit den Angehörigen der Anschläge in Hanau oder Halle in Kontakt. Seit den beiden Anschlägen dort und der beharrlichen Erinnerungsarbeit und Vernetzung der Hinterbliebenen findet langsam auch hinsichtlich des Anschlags am OEZ ein Umdenken statt. Er wird – zumindest von Teilen der Öffentlichkeit – nicht mehr als isolierte Tat gesehen, sondern als das, was er ist: ein Glied in einer traurigen Kette rechtsextremer Gewalt, Polizeiversagens, falscher Verdächtigungen und tiefer Wunden bei all jenen, die zurückbleiben.
Am achten Jahrestag sieht man viele der Gesichter aus dem Zirka wieder, sowohl die Angehörigen als auch die jungen Aktivist*innen der Gruppe „München OEZ erinnern“. Gisela Kollmann steht vor der Bühne, neben ihr Dieter Reiter, der zweite Bürgermeister Dominik Krause, außerdem die Grünen-Politikerin Katharina Schulze. Auch Robert Höckmayr, der Hinterbliebene des Oktoberfest-Attentats, ist gekommen. Vertreter der bayerischen Staatsregierung oder gar Bundespolitiker sucht man vergebens.
Die erste Rede des Tages kommt von Oberbürgermeister Reiter: „Erinnert euch immer an diesen Tag vor acht Jahren“, sagt er, gerichtet an die Münchner Bürgerinnen und Bürger, „erinnert euch an die Menschen, deren Leben hier gewaltvoll ausgelöscht wurde.“ Er verkündet, dass die Stadt den Angehörigen nun auch einen Raum in Moosach für ihre Erinnerungsarbeit zur Verfügung stelle. Die Namen und Gesichter der Opfer müssten im „kollektiven Gedächtnis der Stadt“ verankert werden. Dann liest er acht Namen vor. Im Publikum entsteht ein Murmeln. Ein Name fehlt. Reiter bemerkt seinen Fehler: „Giuliano habe ich vergessen“, sagt er, „kann nicht sein.“
Die Premiere des dokumentarisches Theaterstück „Offene Wunde“ über das Attentat am OEZ von Tunay Önder und Christine Umpfenbach findet im April am Münchner Volkstheater statt
FÜR HIRN & ZWERCHFELL: MUH DIR WAS GUTES!
MUH, das Magazin für bayerische Aspekte, beschäftigt sich mit Themen aus, um und in Bayern – von Gaudi und Unterhaltung über Geschichte und Brauchtum bis hin zu Gesellschaft, Ökologie und Politik. Die MUH erscheint vier Mal im Jahr, immer neu zu jeder Jahreszeit, im Handel oder im Abo. Außerdem im MUH-Laden: die formidablen MUH-Spielkarten, die Neuinterpretation des klassischen „bayerischen Blatts“ von MUH-Chefzeichner Boris Tomschiczek sowie unser kaum übertreffliches MUH-Witzebuch mit den besten Witzen und Cartoons aus 13 Jahren MUH-Witzeseite.
» Es könnte sein, dass es die schönste Zeit meines
Lebens ist «
„Seit 1. September bin ich 15 Jahre am Volkstheater. Und das bedeutet laut meinem Vertrag die Unkündbarkeit. Er kann nur noch unter anderen Bedingungen fortgesetzt, aber nicht mehr beendet werden. Das ist mein neuer Status, der auch für das Münchner Volkstheater ein Novum ist. Christian Stückl hat mal im Scherz gesagt, er habe einfach vergessen, mir zu kündigen. Für mich ist das eine großartige Sache. Ich spüre viel Vertrauen und Zuspruch. Normalerweise könnte es einem Ensemblemitglied jedes Jahr passieren, dass der Vertrag nicht mehr verlängert wird. Das ist bei uns nicht häufig der Fall. Die meisten, die gehen, wollen auch weiterziehen. Oftmals ist die Angst vor einer Kündigung also nicht so berechtigt, wie man befürchtet, sondern Kopfkino. Doch wenn die Möglichkeit einer Kündigung besteht, machst du dir automatisch Sorgen. Auch wenn du von allen geschätzt wirst und deine Arbeit gut machst. Das ist bei vielen Ensemblemitgliedern unterschwellig vorhanden. Ich hatte tatsächlich schon viele Schauspielkolleg*innen. Das ist einerseits schön, weil es immer Veränderung gibt. Aber es ist andererseits nicht ganz so einfach, was Freundschaften und Beziehungen betrifft. Alles ist immer auf Zeit. Wenn man sich mit jemandem richtig gut versteht und sich auch privat trifft, hat man immer schon im Hinterkopf, dass er oder sie irgendwann weiterziehen könnte.
Im Laufe der 15 Jahre habe ich auf jeden Fall viel an Erfahrung gewonnen. Mich wirft nichts mehr so schnell aus der Bahn. Aber ich versuche nach wie vor, in den Arbeiten herauszufinden, was der oder die Regisseur*in vom Stoff und von uns als Ensemble will, um eine gute Arbeit zu liefern. Ich versuche, jedem Abend eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen und dabei immer etwas Neues zu entdecken. Natürlich gab und gibt es Momente, in denen es mir nicht so gut geht. Dann versuche ich herauszufinden, woran das liegt. Hat das was mit mir zu tun oder liegt der Grund bei anderen Personen? Ich möchte dann die jeweilige Situation verändern. Daher war bei mir nie der Impuls da, das Theater zu wechseln. Ich vermute, dass die Schwierigkeiten an anderen Theatern ähnlich sind – wenn nicht sogar gleich. Es ist tatsächlich so, dass ich seit ein paar Jahren das Gefühl habe, dass ich mich im Moment womöglich in der schönsten Zeit meines Lebens befinde. Daraus resultiert für mich, dass ich gut daran tue, alles aufzunehmen und aufzusaugen für eine Phase, die sehr sicher kommen und nicht mehr so gut sein wird. Dann möchte ich mir die jetzige Zeit ins Gedächtnis rufen und mir nicht vorwerfen müssen, nicht aufmerksam genug gewesen zu sein. Natürlich gibt es schwierige Tage. Aber generell bin ich gerade sehr einverstanden mit meiner Arbeit hier am Theater. Das klingt nach wenig, aber es ist größer gemeint. Wenn es die schönste Zeit meines Lebens ist, will ich sie genießen.“
„Als eineiiger Zwilling sehe ich meiner Schwester eigentlich sehr ähnlich. Aber wir leben, seit ich 2007 ausgezogen bin, nicht mehr zusammen. Ich kann es nicht leugnen, aber man entwickelt sich einfach weiter. Wir haben auch nicht mehr dieselbe Haarfarbe und Haarlänge. Definitiv gleich geblieben ist dafür unser Humor und unsere Art zu lachen. Auch unsere ganze Gestik und Mimik sind wirklich identisch. Wenn sie bei mir zu Besuch ist, sind alle immer ganz entgeistert, weil sie nur mich kennen. Auch von der Größe und der Statur sind wir gleich. Wir hatten aber auch mal eine Phase, in der wir unsicher waren, ob wir Zwillinge sind. Wir sahen so krasse Unterschiede. Ich hatte das längere Gesicht, meine Schwester Franzi das rundere. Dass wir verwechselt wurden, kam trotzdem oft vor.
Für mich bleibt meine Schwester immer meine erste große Liebe. Das habe ich auch zu meinem Partner gesagt. Es gibt keinen Menschen, den ich so sehr liebe wie meine Schwester. Wir sind einfach unzertrennlich. Wir haben alles zusammen gemacht. Bis wir 15 Jahre alt waren, trugen wir auch die gleichen Klamotten. Es war sehr schön, immer jemanden an seiner Seite zu haben – egal ob in der Krippe, im Kindergarten oder in der Schule. Es hat einem Selbstvertrauen gegeben, dass man durch vieles nicht alleine musste. Irgendwann fing es an, dass wir individueller sein wollten. In dieser Zeit wurde uns klar, dass der Zeitpunkt kommen wird, an dem wir unsere eigenen Wege gehen.
Als meine Schwester ihren ersten Freund hatte, fragte sie mich, ob ich zum ersten Date mitkomme. Ich meinte zu ihr: „Ne Franzi, das musst du alleine machen.“ Ich weiß noch, wie das überhaupt gar nicht zur Debatte stand, dass ich da mitkomme.
Als Franzi ihren ersten Partner hatte und einen neuen Freundeskreis kennengelernt hat, merkten wir, dass wir in unterschiedliche Richtungen gehen. Mittlerweile sehen wir uns relativ selten, aber ich habe nach wie vor ein sehr inniges Verhältnis zu meiner Schwester. Wir telefonieren oft. Wir haben ein festes Date jeden Dienstag. Ich bin meiner Schwester sehr dankbar für alles. Schauspiel zu studieren ist sehr teuer, und ich habe davor schon studiert. Aber meine Schwester hat sich nie beschwert oder war meinen Eltern böse, die mich fast acht Jahre lang unterstützt haben. Sie sagte immer nur: „Ich will, dass du glücklich bist.“
» Sie weiß alles von mir, wirklich alles «
Mein Lieblingsort im Grünen
Wo findet man Ruhe in einer Stadt wie München?
In welche grünen Oasen zieht sich das Ensemble des Münchner Volkstheaters zurück, um mal richtig durchzuschnaufen? Wir haben nachgefragt.
Rosengarten, Untergiesing / Julian Gutmann „Ich lebe seit drei Jahren in München, aber erst vor einem Jahr hat mir mein Kollege Steffen Link vom Rosengarten erzählt, der in Untergiesing zwischen der Braunauer Eisenbahnbrücke und der Wittelsbacher Brücke liegt. Was für ein wunderbarer Ort! Er liegt so zentral mitten in der Stadt, und wie in einem Wiener Kaffeehaus kann ich dort hervorragend in der Öffentlichkeit und gleichzeitig alleine sitzen und meine Ruhe haben. Ist mir hingegen nach Gesellschaft, finden sich auch schnell Gespräche mit anderen. Ob denken, lesen, schlafen, sonnen – für all das ist der Rosengarten der perfekte Platz. Besonders gut gefällt mir, dass ich dort nicht auf einer Parkbank festhänge, sondern sich einzelne Stühle dorthin stellen lassen, wo ich es gerade hübsch finde: an dem kleinen Bach, auf einer Wiese, unter einem blühenden Baum.“
FOTOS: GABRIELA NEEB / PROTOKOLLE: JULIA ROTHHAAS
Wiese, München-West – Ruth Bohsung
„Das, was ich ,meinen Vorgarten‘ nenne, ist kein idyllischer Park, sondern einfach ein Stück Wiese mit ein paar Bäumen, umgeben von mehreren Hochhäusern, unweit meiner Wohnung. Dort trinke ich in der Sonne gern Kaffee, lese oder lerne Text. Im Sommer esse ich dort auch ab und zu. Meist bin ich die Einzige, die dieses Stück Grün nutzt. Außer mir gibt es noch einen älteren Mann, der sich um die Blumen kümmert, die er dort gepflanzt hat, und eine ältere Dame, die ihre beiden Schildkröten durchs Gras laufen lässt. Ich mag diese Ruhe inmitten der Stadt, auch wenn viele Nachbarn an mir vorbei zu ihren Wohnungen gehen. Gleichzeitig würde ich mich freuen, wenn mehr Menschen diese kleine Wiese nutzen würden.“
Südgarten, Schlachthofviertel – Lorenz Hochhuth
„In den Probepausen oder wenn ich für eine Rolle lernen muss, gehe ich am liebsten in den Südgarten, das ist ein kleines verstecktes Grundstück, nur eine Gehminute vom Münchner Volkstheater entfernt. Zwischen Bahngleisen, Schlachthof-Lkw-Waschanlage und den Containern vom ,Bahnwärter Thiel‘ wächst dort in Hochbeeten Gemüse, überall blühen Blumen, es surrt und summt. Wenn ich dort auf der Mauer sitze, ist das für mich wie eine InstantErfrischung nach den Stunden auf der Bühne, auf der es keine Fenster gibt und damit kein natürliches Licht. Sofort fühle ich mich wie in einer anderen Welt. Mich erinnert dieser Garten außerdem an meine Heimat: Im Hamburger Viertel St. Pauli gibt es viele solche Urban-Gardening-Projekte.“
Weideninsel, Au – Alexandros Koutsoulis „Ich gehe – so oft es geht – an die Isar und setze mich auf die Höhe der Weideninsel. Besonders zwischen den Proben oder direkt danach bekomme ich an diesem Ort meinen Kopf schnell frei. Vielleicht liegt es am Fluss, meine Gedanken fließen an dieser Stelle besonders gut. Außerdem ist es wirklich toll, dass es mitten in einer Großstadt wie München die Möglichkeit gibt, ins klare Wasser zu hüpfen und zu schwimmen.“
Balkon, München – Luise Deborah Daberkow „Ich mag meinen Balkon sehr. Dort habe ich Trinkschalen für die Insekten und Badeschalen für die Vögel aufgestellt und sehe, dass die von vielen Bienen, Wespen und Vögeln genutzt werden. Das freut mich. So ist aus meinem Zuhause das Zuhause von ganz vielen geworden. Es macht mich sogar ein bisschen stolz, dass die Tiere das annehmen und die Vögel keine Angst vor mir haben. Die Amseln baden fast täglich auf meinem Balkon, wir sind schon Freunde. Dieser Ort ist ein Rückzugsort, an dem ich im Privaten sein und gleichzeitig auf die Welt da draußen schauen kann.“
Alter Südfriedhof, Isarvorstadt – Anton Nürnberg „Wenn ich nachdenken muss oder mich konzentrieren will, gehe ich manchmal auf den Alten Südfriedhof, weil es da so schön ist und so leise, und das mitten in der Stadt. Während meiner Schauspielausbildung habe ich da mal einen ewig langen Monolog auswendig gelernt, indem ich stundenlang kreuz und quer über den Friedhof gelaufen bin und die Verse vor mich hin gesprochen habe. Antike, Euripides, Bakchen: Mutter tötet ihren eigenen Sohn, reißt ihm das Fleisch von den Knochen, spießt seinen Kopf auf. Wenn mir jemand entgegenkam, habe ich kurz die Klappe gehalten, will ja keiner hören, klar. Ist ja ein Friedhof und kein Theater. Aber ein super Ort, um Text zu lernen. Im wahrsten Sinne ein Ort des Erinnerns. Den Monolog kann ich heute noch.“
Fünf Minuten Stille
Wie bringt man Stille in eine Welt, in der keine mehr herrscht? Wenigstens für fünf Minuten? Anne Stein, Steffen Link, Liv Stapelfeldt und Jan Meeno Jürgens machen sich in dieser Spielzeit auf die Suche nach der absoluten Ruhe. Auf Baustellen bei Nacht, auf verwaisten Rennstrecken und auf der Bühne. Ganz ohne lärmende Regie, als Taskforce Silence, spielen sie ein Stück von Leo Meier.
» Das Knobeln reizt mich sehr
50 „Ich spiele jeden Tag Schach. Mich entspannt das total. Ich mag diesen Mix aus Kombinieren und Rätseln und dass ich dabei wirklich an nichts anderes denke. Man ist völlig konzentriert und fokussiert. Das ist hervorragend, um herunterzukommen. Wenn man zu viel grübelt, kann man einfach eine Runde Schach spielen. Wenn man so will, dient es mir als eine Art Meditation, nur mit einer Prise sportlichem Ehrgeiz. Oft spiele ich abends noch eine Runde auf dem Handy, wenn ich nach Hause komme. Meistens sind es Partien gegen andere Spieler*innen aus der ganzen Welt, die nur zehn Minuten dauern. Hinzu kommen fünf Sekunden Inkrement (nicht zu verwechseln mit Exkrement). Das bedeutet, dass man zehn Minuten Zeit für seine Züge hat und für jeden Zug noch fünf Sekunden obendrauf bekommt. Wenn die Zeit abgelaufen ist, hat man verloren – egal, wie sehr man auf Gewinn steht. Ansonsten können Schachpartien sehr viel länger dauern. Bei der Schachweltmeisterschaft 2021 kam es in der sechsten von elf Partien zwischen den Kontrahenten zum Beispiel zu einer Zugzahl von 136. Die Partie dauerte knapp acht Stunden. Klingt nach absolutem Irrsinn, aber die habe ich mir tatsächlich live und in Gänze angesehen, so wie ich die meisten Schachmeisterschaften leidenschaftlich gerne verfolge, bei denen die Besten der Besten aufeinandertreffen.
Da wird es dann naturgemäß etwas nerdig. Die begleitenden Kommentator*innen, selbst in der Regel Großmeister*innen, gehen mit Hilfe einer Schach-Engine, sprich einem Computer, alle Möglichkeiten durch, die jemandem wie mir sonst verborgen bleiben. Was wäre der sinnvollste Zug und ist dieser überhaupt von einem Menschen zu finden? Der Variantenreichtum ist unermesslich. Es sind „nur“ 64 Felder und 32 Figuren, aber alleine nach den ersten zwei Zügen einer Partie können mehr als 72.000 verschiedene Stellungen auf dem Brett landen. Deswegen ist man auch noch lange nicht mit der Erforschung des Spiels fertig, was das Ganze für mich noch faszinierender macht.
Das Knobeln reizt mich sehr. Ich weiß natürlich alles nicht im Ansatz so gut wie die Großmeister*innen. Aber ich bin tief beeindruckt davon, wie manche ihre Züge finden und wie weit im Voraus sie die auch berechnen. Darin liegt die Herausforderung am Schach: Man kann sich auf niemanden verlassen, außer auf sich selbst.
Wenn man im Schach besser werden möchte, gibt es nur einen Weg: einfach viel spielen und schauen. Gut, vorher die Regeln zu lernen, könnte helfen. Es schadet auch nicht, sich ein paar Eröffnungszüge anzueignen. Da gibt es einfach unglaublich viele. Die spanische oder die italienische Eröffnung? Die schottische oder doch die Wiener Partie? Verteidige ich russisch, sizilianisch oder mit der Berliner Mauer? Es gibt unendlich viele Namen und Begriffe. Am Anfang kann das auch frustrierend sein, weil man oft verliert. Aber da muss man wie bei allem dranbleiben. Irgendwann wendet sich das Blatt. Ganz sicher! Hab ich zumindest gehört …“
ECHT WAHR: JONATHAN MÜLLER WÄRE BEINAHE FÖRSTER GEWORDEN
„Ich habe zwei Semester Forstwirtschaft in Weihenstephan studiert und das Vordiplom gemacht. Das Studium war mein Plan B zur Schauspielerei. Parallel zum Studium ging ich zu Vorsprechen an Schauspielschulen. Ich überlegte mir, was mich sonst noch interessiert, und kam auf Forstwirtschaft, da ich voll der Waldtyp bin. Ich liebe es, durch den Wald zu laufen. Daher dachte ich, das wäre genau richtig für mich, und schrieb mich nach dem Abitur ein. Mein Schnitt war gerade gut genug dafür. Zum Glück bekam ich aber einen Platz an der Schauspielschule in Hannover, woraufhin ich mein Diplom abgebrochen habe.
Das Schöne am Studium war, dass wir wahnsinnig viel draußen waren. Ich hatte viele Zoologie- und Botanikkurse, die alle in den Isarauen stattfanden. Das war richtig cool. Wir saßen dann mit unseren Ferngläsern draußen, haben Vögel beobachtet und ihrem Gesang zugehört. Das Studium war aber auch sehr trocken. Wir hatten Statistik, Stochastik und Informatik. Das war einfach nur zum Kotzen. Bei meinem Vordiplom bin ich mit 3,9 durchgekommen, also gerade noch. Das Studium heute noch zu beenden, würde ich nicht schaffen. Ich bin 40 Jahre alt. Nach 20 Jahren noch mal zu studieren, das bekomme ich nicht mehr hin. Hätte ich mein Studium doch beendet und wäre dem Job nachgegangen, würde ich mich mein ganzes Leben lang fragen, warum ich eigentlich nicht Schauspieler geworden bin. Aber in so stressigen Phasen, wenn der Druck bei Premieren richtig hoch ist, denke ich mir relativ oft, warum sitze ich eigentlich nicht im Wald und habe meine Ruhe?“
26. SEPTEMBER 2024
THE LOBSTER
Deutsche Erstaufführung nach dem Film von Yorgos Lanthimos und Efthimis Filippou Regie: Lucia Bihler
Bühne 1
28. SEPTEMBER 2024
MEIN JAHR DER RUHE UND ENTSPANNUNG
Deutsche Erstaufführung nach dem Roman von Ottessa Moshfegh Regie: Katharina Stoll Bühne 2
9. OKTOBER 2024 FÜNF MINUTEN STILLE
Uraufführung von Leo Meier von und mit: Jan Meeno Jürgens, Steffen Link, Liv Stapelfeldt und Anne Stein Bühne 3
24. OKTOBER 2024
LICHTSPIEL
Uraufführung nach dem Roman von Daniel Kehlmann Regie: Christian Stückl Bühne 1
PREISE / ABOS / INFORMATIONEN
BÜHNE 1 A B
Kategorie I 39,- E 36,- E
Kategorie II 35,- E 33,- E
Kategorie III 29,- E 28,- E
Kategorie IV 23,- E 22,- E
Kategorie V 15,- E 14,- E
Rollstuhl 0,- E
BÜHNE 2 28,- E / 22,- E / 15,- E
BÜHNE 3 19,- E
Karten
www.muenchner-volkstheater.de Tel. 089.52346-55
THEATERKASSE IM VOLKSTHEATER Tumblingerstraße 29 Öffnungszeiten
Montag bis Freitag 11–18 Uhr
Samstag 11–14 Uhr Die Abendkasse öffnet eine Stunde vor Vorstellungsbeginn Karten erhalten Sie auch an allen München-Ticket-Vorverkaufsstellen.
15. NOVEMBER 2024
UNSTERBLICHKEIT ODER: DIE LETZTEN SIEBEN WORTE EMILIA GALOTTIS
Uraufführung von Arna Aley Regie: Philipp Arnold Bühne 2
4. DEZEMBER 2024 FRÜCHTE DES ZORNS nach dem Roman von John Steinbeck Regie: Max Lindemann Bühne 1
23. JANUAR 2025 CALIGULA von Albert Camus Regie: Ran Chai Bar-zvi Bühne 1
31. JANUAR 2025 FAULENDER MOND von Anaïs Clerc Regie: Simon Friedl Bühne 3
27. FEBRUAR 2025 EIN NEUES STÜCK Regie: Christian Stückl Bühne 1
– Menschen mit Beeinträchtigung 50–99 GdB 50% Ermäßigung; 100 GdB freier Eintritt (Begleitperson 50% Ermäßigung)
Das Volkstheater ist barrierefrei Die Bühnen sind barrierefrei erreichbar. Es gibt 5 Behindertenparkplätze in der Tiefgarage an der Tumblingerstraße.
Das Schmock
Unsere Theatergastronomie freut sich auf Sie. Informationen unter www.schmock-muenchen.de
MVG – Öffentliche Verkehrsmittel Sie erreichen uns:
– U3/U6 bis Goetheplatz (9 Gehminuten zum Theater) oder bis Poccistraße (6 Gehminuten).
– Buslinien 58/68 vom Hauptbahnhof oder Ostbahnhof bis zur Haltestelle Kapuzinerplatz (5 Gehminuten)
– Buslinie 62 vom Ostbahnhof bis zur Tumblingerstraße (3 Gehminuten)
20. MÄRZ 2025 EIN TANZTHEATERSTÜCK
Uraufführung von Sophie Haydee
Colindres Zühlke & Serhat „Saïd“ Perhat Bühne 2
3. APRIL 2025 DIE NASHÖRNER von Eugène Ionesco Regie: Anna Marboe Bühne 1
25. APRIL 2025 OFFENE WUNDE
Uraufführung
Ein dokumentarisches Theaterstück über das Attentat am OEZ von Tunay Önder und Christine Umpfenbach
Regie: Christine Umpfenbach Bühne 2
23. MAI 2025 EIN NEUES STÜCK
Regie: Philipp Arnold Bühne 1
Jede nicht ermäßigte Eintrittskarte (auch der Theaterscheck) gilt am Tag der Vorstellung ab 15 Uhr als Fahrschein zur Hin- und Rückfahrt mit allen MVG-Verkehrsmitteln.
Theaterscheck
Sie kaufen bei uns 10 Theatergutscheine und sparen bis zu 40%. Die Gutscheine gelten für alle Vorstellungen (mit Ausnahme von Konzerten und Lesungen), sind auf andere Personen übertragbar und drei Jahre gültig. Sie können dann Ihre Theaterkarten telefonisch oder per E-Mail reservieren und holen Ihre Karten – gegen Vorlage Ihres Gutscheins – an der Abendkasse ab.
10 SCHECKS
Kategorie I: 260,- Euro
Kategorie II: 220,- Euro
Kategorie III: 150,- Euro
6 SCHECKS
Kategorie I: 171,- Euro
Kategorie II: 147,- Euro
Jung ganz vorn
Mit unserem Abo JUNG GANZ VORN bezahlen Schüler*innen, Student*innen und Auszubildende bis 30 Jahren für 3 Vorstellungen nur 15 € und bekommen dafür die besten verfügbaren Plätze.
8 1/2 MILLIONEN nach dem Roman von Tom McCarthy Regie: Mathias Spaan
AMSTERDAM von Maya Arad Yasur Regie: Sapir Heller
ANIMAL FARM nach George Orwell Regie: Sapir Heller
BILDER VON UNS von Thomas Melle Regie: Christian Stückl
DAS GROSSE HEFT nach Ágota Kristóf Regie: Ran Chai Bar-zvi
DER BESUCH DER ALTEN DAME AUFTRITT DER ENKELIN nach Friedrich Dürrenmatt Regie und Konzept: Sapir Heller
DER BRANDNER KASPAR UND DAS EWIG’ LEBEN von Franz von Kobell / Kurt Wilhelm Regie: Christian Stückl
DER KAUFMANN VON VENEDIG von William Shakespeare Regie: Christian Stückl
DER ZAUBERBERG nach Thomas Mann Regie: Claudia Bossard
DER ZERBROCHNE KRUG von Heinrich von Kleist Regie: Mathias Spaan
DIE BRÜDER KARAMASOW nach Fjodor Dostojewski Regie: Christian Stückl
DIE GOLDBERG-VARIATIONEN von George Tabori Regie: Christian Stückl
DIE VERLORENE EHRE DER KATHARINA BLUM ODER: WIE GEWALT ENTSTEHEN UND WOHIN SIE FÜHREN KANN nach Heinrich Böll Regie: Philipp Arnold
DIE ZOFEN von Jean Genet, aus dem Französischen von Simon Werle Regie: Lucia Bihler
ERNST IST DAS LEBEN (BUNBURY) von Oscar Wilde Regie: Philipp Arnold
FABIAN ODER: DER GANG VOR DIE HUNDE von Erich Kästner, mit neuen Texten von Arna Aley, Viktor Martinowitsch und Maryna Smilianets Regie: Philipp Arnold
FELIX KRULL nach Thomas Mann Regie: Bastian Kraft
IN DEN GÄRTEN ODER LYSISTRATA 2 von Sibylle Berg Regie: Christian Stückl
MARIA MAGDA von Svenja Viola Bungarten Regie: Jessica Weisskirchen
PRANA EXTREM nach Joshua Groß Regie: Philipp Arnold
ÜBER MENSCHEN nach Juli Zeh Regie: Christian Stückl
WAS IHR WOLLT von William Shakespeare Regie: Christian Stückl
Schmock Israeli Fusion Bar & Restaurant
Tumblingerstr. 29 im Innenhof des Münchner Volkstheaters
ab 11:30h Sa+So ab 17:00h
& Infos: www.schmock-muenchen.de
Wann hast du das letzte Mal herzlich gelacht?
LUCIA BIHLER:
„Als ich mich morgens im Schlafanzug aus der Theaterwohnung ausgesperrt hatte - bei der Vorstellung, dass ich in dem Outfit dann die Probe leiten werde, falls ich niemanden finde die/der mir meine Wohnung wieder aufsperren kann. Ich bin dann durch das Theater gelaufen und habe Lydia, die Chefin des Reinigungsteams, gefunden, die mich gerettet hat.“
PHILIPP ARNOLD: https://m. youtube.com /shorts/d6g Bu2Zd7Bc? si=hM6Ga06h DBHPM-MQ”
RAN CHAI BAR-ZVI: Das letzte Mal, dass ich mich daran erinnere, wirklich laut gelacht zu haben, war bei einer Drag-Show in Tel-Aviv. Das war vor ein paar Monaten bei einer Show einer Drag Queen namens „Isha“ (Frau auf Hebräisch). Man muss sich eine Kombination aus Divine und einer Schönheitskönigin vorstellen. Sie verbindet immer krassen Humor mit politischem Kommentar und es gelang ihr, Netanyahu zu kritisieren und gleichzeitig alle im Raum in dieser schwierigen Zeit aufzuheitern und bestärken. Für mich war es ein Moment der Hoffnung.
SERHAT „SAID“ PERHAT: „Das letzte Mal habe ich so richtig laut gelacht, als mein Tanzschüler mir völlig ernsthaft erklärte, dass er Vegetarier für Menschen mit einer Fleischallergie halte. Er meinte, er fühle wirklich mit denen mit, die kein Fleisch essen können wegen ihrer besonderen ‚Allergie‘ und betonte nochmals, wie froh er sei, dass er alles essen kann, was er möchte.“
KATHARINA STOLL: „Vor zehn Minuten.“
CHRISTINE UMPFENBACH:
„Eine Kollegin aus dem Bellevue di Monaco zeigt ihre neugeborenen Zwillinge. Als das eine anfängt zu weinen, übergibt sie es ihrem Mann und holt das andere; sagt der Hausmeister in die Runde:‚Zwillinge san recht praktisch zum herzoang, weil wenn oans zum plärrn ofangt, dann hoid ma einfach des andere vierra.‘“
ANNA MARBOE: „In der Westbahn beim Lesen von „Per Anhalter durch die Galaxis“. Und die „Gedichte der Vogonen“ gehören zum Lustigsten, was ich je erlebt habe.“
· den Austausch mit Gleichgesinnten
MAX LINDEMANN: „Das letzte Mal, als ich laut gelacht habe, war während einer Probe zu Tod eines Handlungsreisenden am Berliner Ensemble. In einer Szene, in der es eigentlich darum geht einen Suizid zu verhindern, improvisierten sich zwei Spieler*innen in so eine absurde Situation, dass wir alle laut loslachten. Dieses Lachen war nicht nur ein Moment der Erleichterung, sondern auch ein Spiegelbild dessen, wie Humor oft als Überlebensstrategie in schwierigen Zeiten dient. Selbst in den dunkelsten sozialen Realitäten, die wir auf der Bühne darstellen, verbindet uns oft das gemeinsame Lachen und das finde ich sehr schön.“
SIMON FRIEDL: „Gerhard Polt. Wann auch immer ich das letzte Mal etwas von ihm gesehen, gelesen oder gehört habe.“
SOPHIE COLINDRES:
„Das letzte Mal sehr laut gelacht habe ich wegen und mit meinem Papi José. Er betrachtet das Leben einfach durch andere Linsen und erinnert mich daran, dass, was ich als ernst und schwierig sehe, gar nicht so schwierig und ernst sein muss. Lieb ihn sehr. Und bin super dankbar für seine anderen Perspektiven.“
*Werden Sie Mitglied im Verein der Freunde des Münchner Volkstheaters e.V. Für einen Jahresbeitrag von nur 35 Euro (60 Euro für Paare) gibt es eine Menge Vorteile:
– der Austausch mit Gleichgesinnten
– das gemeinsame Erleben von Theateraufführungen
– den bevorzugten Erwerb von Theaterkarten
– Führungen zu kulturellen Extras
– die kollektive Liebe zum Theater
– die Verleihung des Publikumspreises Radikal Jung
Weitere Informationen und Formulare zum Beitreten und Zahlen finden Sie unter: www.muenchner-volkstheater.de/menschen/freunde