Seltene Erkrankungen

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SELTENE ERKRANKUNGEN

Die Waisen der Medizin
„Ich war dem Tod näher als dem Leben“

Dimitra leidet bereits seit ihrer Kindheit an eosinophiler Granulomatose mit Polyangiitis (EGPA).

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EINE UNABHÄNGIGE KAMPAGNE VON MEDIAPLANET
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Miriam Hähnel

Die Forschung im Bereich der seltenen Erkrankungen schreitet voran. Trotzdem ist noch viel zu tun: damit immer mehr Betroffene von einer individuellen Behandlung profitieren können.

IN DIESER AUSGABE

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Beta-Thalassämie Nicola De Nittis über sein langes Doppelleben mit der Erkrankung und den Mut, Klartext zu reden.

Online

Die Genmutation SCN8A

Eine unter 400 – Unser Kind leidet an der seltenen Erkrankung de Novo. Eine Mutter im Interview.

Industry Manager Health: Miriam Hähnel Geschäftsführung: Richard Båge (CEO), Philipp Colaço (Managing Director), Franziska Manske (Head of Editorial & Production), Henriette Schröder (Sales Director) Designer: Elias Karberg Mediaplanet-Kontakt: redaktion.de@ mediaplanet.com Coverbild: Privat Artikel, die mit mit Unterstützung gekennzeichnet sind,sind keine neutrale Mediaplanet-Redaktion.

Wenn Kinder mit seltenen Erkrankungen älter werden

Es gibt etwa 8.000 Seltene Erkrankungen. Darunter sind Autoimmunerkrankungen, Knochen-, Augen- und Muskelerkrankungen oder neurologische Erkrankungen. Mal fehlt ein Enzym oder ein Botenstoff, dann werden Fette oder Zucker nicht abtransportiert, reichern sich in verschiedenen Organen an und zerstören sie. Die Krankheitsbilder und Ausprägungen sind so vielfältig und komplex wie die Ursachen.

80%

der Seltenen Erkrankungen sind genetisch bedingt, treten oft schon früh auf und betreffen somit vor allem Kinder, die zu Hause umsorgt werden, oftmals mit umfassendem pflegerischem Aufwand. Es wird Schleim aus den Lungen gesaugt, Kanülen werden gewechselt, Medikamente verabreicht, es wird getragen, gelagert und gestützt. Um die medizinische Versorgung kümmert sich die Pädiatrie. Doch aus Kindern werden Jugendliche und Erwachsene, die weiterhin ihr Leben lang auf Unterstützung angewiesen sind: Wie steht es aber um die medizinische Versorgung chronisch kranker Menschen, die mit dem 18. Lebensjahr aus der pädiatrischen Versorgung herausfallen? Wie können sie in einer Erwachsenenmedizin behandelt werden, die auf sie nicht eingestellt ist und weder Kapazitäten noch Fachkenntnisse hat?

In der ACHSE sind über 130 Selbsthilfeorganisationen vereint. Hier wird Wissen ausgetauscht und gebündelt. Viele Themen überschneiden sich krankheitsübergreifend. Diese packen wir gemeinsam an. Der Übergang von der Jugend- in die Erwachsenenmedizin ist so ein Thema, das viele Eltern und Betroffene in der ACHSE bewegt. Deshalb haben wir eine Arbeitsgruppe

Transition gebildet. Damit wollen wir nicht nur den Finger in die Wunde legen, sondern die Bedarfe analysieren und gemeinsam Lösungen erarbeiten. Zugleich werden wir das Thema an die Politik adressieren. Wir wollen die allgemeine medizinische Versorgungssituation betrachten. Dabei gibt es eine ganze Reihe von Unzulänglichkeiten und Mängeln aufzudecken, die schon auf anderen Ebenen häufig adressiert wurden: Es fehlt an gebündelter Expertise, qualifizierten Fachkräften und Strukturen. Darunter leiden nicht nur chronisch kranke Menschen, diese jedoch besonders. Als Netzwerk und Dachverband von und für die Waisen der Medizin sind wir es gewohnt, dicke Bretter zu bohren und steinige Wege zu beschreiten.

Wie können Sie helfen? Am 28. Februar ist Rare Disease Day. Betroffene Menschen und ihre Angehörigen machen weltweit auf Seltene Erkrankungen aufmerksam. Sie rücken ihre Anliegen in den Fokus der Öffentlichkeit. Denn Menschen mit Seltenen Erkrankungen benötigen Aufmerksamkeit, damit ihre Bedarfe vernommen werden – in Politik, Gesellschaft, Forschung, Medizin und Wissenschaft. Unterstützen Sie die vielfältigen Aktionen in den Sozialen Medien. Schauen Sie sich um: Auch in diesem Jahr erstrahlt die weltweite Lichterkette aus angeleuchteten Gebäuden in Pink, Grün, Lila und Blau. Vielleicht ja auch in Ihrer Nähe! Eine interessante Lektüre wünscht Ihnen

Kunstaktion „Selten allein“

– Ausstellung zum Tag der Seltenen Erkrankungen 2022

Viele Menschen wissen nicht, was es bedeutet, mit einer Seltenen Erkrankung zu leben. Das möchte die Allianz der Chronischen Seltenen Erkrankungen (ACHSE) e.V. ändern. Der Anstoß für die Aktion „Selten allein“ kam von den universitären Zentren für Seltene Erkrankungen. Verantwortlich für die Koordinierung sind der Verband der Universitätsklinika Deutschlands e.V. sowie die ACHSE e.V. als Dachorganisation von rund 130 Patientenorganisationen. Gastgeber und Unterstützer vor Ort sind die Einkaufsbahnhöfe.

Die Kunstaktion "Selten allein" ...zeigt 20 Selbstporträts, die Menschen mit Seltenen Erkrankungen in den letzten Monaten gemalt, gezeichnet oder fotografiert haben. Diese Bilder sind zusammen mit einer kurzen Selbstauskunft zur Person und deren Erkrankung in ausgewählten Einkaufsbahnhöfen und Uniklinika in Deutschland zu sehen. Auf diese Weise machen Betroffene am 28. Februar 2022 auf den 15. weltweiten

Tag der Seltenen Erkrankungen aufmerksam. Ausstellungsorte bundesweit

In folgenden Einkaufsbahnhöfen wird die Ausstellung "Selten allein" ab 18. Februar 2022 zwei Wochen lang gezeigt:

Bahnhof Zoologischer Garten, Berlin

Bahnhof Friedrichstraße, Berlin

Hauptbahnhof Dresden

Bahnhof Neustadt, Dresden

Bahnhof Halle an der Saale

Bahnhof Freiburg

Bahnhof Heidelberg

Bahnhof Tübingen

Bahnhof Mainz

Bahnhof Mannheim

Vernetzung und Informationen online

Die Website www.seltenallein.de zeigt nicht nur die Bilder der Ausstellung und weitere Kunstwerke von Betroffenen, sondern bietet Informationen zu Seltenen Erkrankungen und eröffnet den direkt oder indirekt Betroffenen die Gelegenheit, sich zu vernetzen.

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VERANTWORTLICH FÜR DEN INHALT IN DIESER AUSGABE
Lisa Biehl Leiterin der ACHSE Selbsthilfegemeinschaft
Please recycle facebook.com/ MediaplanetStories @Mediaplanet_germany

Wenn durch medizinischen Fortschritt Licht ins Dunkel kommt

Unter erblichen Netzhauterkrankungen wird eine Vielzahl seltener Augenkrankheiten zusammengefasst, bei denen die Funktion der Sinneszellen in der Netzhaut aufgrund genetischer Veränderungen gestört ist. Die Schwestern Vildana (V) und Emina (E) sind beide betroffen von Retinitis pigmentosa. Sie sprachen mit uns über ihren Weg bis zur Diagnose und über neue Hoffnung durch innovative Therapiemöglichkeiten.

Vildana und Emina, Sie haben beide die Diagnose Retinitis pigmentosa erhalten. Wann traten die ersten Beschwerden bei Ihnen auf und wann wurde jeweils die Diagnose gestellt?

V: Wir haben die Diagnosen ca. 2002 bekommen. Da war ich sieben und meine Schwester war vier oder fünf Jahre alt. Das erste Anzeichen, das wir beide bemerkten, war Nachtblindheit. Das trat auch etwa zu dieser Zeit auf.

Bei der Retinitis pigmentosa sterben schrittweise Netzhautzellen ab, was die Sehfähigkeit zunehmend beeinträchtigt. Können Sie uns etwas mehr erzählen über Ihren Alltag mit Ihrer Erkrankung?

E: Zunächst habe ich nur nachts einen Blindenstock gebraucht. Dass ich eine zunehmende Verschlechterung der Sehfähigkeit bemerkt habe, hat bei mir im Alter von 13 Jahren angefangen.

V: Ich habe schon in der ersten Klasse starke Vergrößerungen gebraucht, um

lesen zu können. Das hat sich im Laufe der Schulzeit verschlechtert, 2019 wurde es noch einmal deutlich schlimmer. Schrift kann ich seitdem nicht mehr ohne Hilfsmittel lesen. Die Nachtblindheit ist bei mir konstant, da hat sich auch nichts verbessert.

Die Retinitis pigmentosa ist genetisch bedingt. Gab es in Ihrer Familie bereits vor Ihnen bestätigte Fälle oder Familienangehörige, die entsprechende Symptome gezeigt haben?

V: Unsere Mutter und unser Vater haben beide den gleichen Gendefekt, und wir Geschwister, also meine Schwester, unser Bruder und ich, sind ebenfalls alle betroffen. Unsere Eltern haben, seit ich denken kann, sehr schlecht gesehen, wenn es dunkel wurde. Sie gingen dann nicht aus dem Haus. Im Laufe der Jahre hat sich das weiter verschlechtert. Unser Vater, der jetzt Anfang 50 ist, kann außer hell, dunkel oder Umrissen fast nichts mehr sehen. Davor konnte er sehr gut Fahrrad fahren

Der Gentest:

und auch lesen, das ist jetzt nicht mehr möglich. Die Erkrankung ist sehr selten und unsere Eltern sind nicht miteinander verwandt. Es ist fast ein kosmischer Scherz, dass die beiden sich getroffen haben. Unsere Eltern wussten zwar, dass sie beide eine Augenerkrankung haben, aber nicht, welche es ist. Erst gegen 2002, als wir nach Tübingen kamen und sie an der Augenklinik untersucht wurden, wurde bei ihnen die Diagnose gestellt. Daraufhin wurden dann auch wir Kinder untersucht und diagnostiziert.

Bis 2018 gab es keine zugelassene Therapie gegen Ihre Erkrankung. Was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie erfuhren, dass Ihnen nun vielleicht mittels einer Gentherapie geholfen werden kann?

E: Das war sehr aufregend! Wir wussten schon länger, dass an einer Therapie geforscht wird, und mussten im Vorfeld viele Tests machen, um zu sehen, ob wir geeignet sind. Als wir dann im Herbst 2019 das OK bekamen und die Therapie in Deutsch-

Ein wichtiger Meilenstein bei der Diagnose von erblichen Netzhauterkrankungen

In Deutschland sind Schätzungen zufolge insgesamt rund 75.000 Menschen von einer erblichen Netzhauterkrankung betroffen. [1] Sie treten häufig bereits bei Säuglingen und Kleinkindern auf, weshalb besonders (Groß-)Eltern auf Symptome, wie z.B. Nachtblindheit oder Verlust der Lichtempfindlichkeit bzw. Sehschärfe achten sollten. Weil diese Symptome unterschiedliche Ursachen haben können, ist eine genetische Testung für die gesicherte Diagnose einer erblichen Netzhauterkrankung unabdingbar.

Ein Gentest: Der Weg zur Diagnose Mit einem Gentest kann mit hoher Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, ob es bei einem Pati -

land zugelassen wurde, habe ich mich sehr gefreut.

Wie sieht Ihr Alltag nun nach erfolgter Behandlung aus?

E: Nach der Therapie habe ich viel besser gesehen, auch nachts. Normalerweise brauche ich jetzt keinen Blindenstock mehr. Auch brauche ich nicht mehr so viel Licht, zum Beispiel beim Lesen.

V: Bei mir war von vornherein klar, dass es nicht so große Veränderungen geben wird wie bei meiner Schwester. Die Grundvoraussetzung der vorhandenen Zellen ist unterschiedlich. Konkret verändert hat sich, dass ich viel besser Lichter sehen kann und Lichtquellen schneller identifizieren kann. Es ist ein großer Fortschritt, dass es diese Therapie gibt. Wer betroffen ist, sollte jedenfalls keine Angst vor der Behandlung haben und die Therapie in Anspruch nehmen. Vor allem wenn man jünger ist, ist sie wirklich eine gute Möglichkeit, die Lebensqualität zu erhalten.

enten genetische Veränderungen gibt. Ein Gentest umfasst die Untersuchung der DNA mittels Blut- oder Speichelprobe: So analysieren Humangenetiker die Ergebnisse und suchen nach Veränderungen (Mutationen). Liegt eine genetische Veränderung vor, lassen sich Rückschlüsse darauf ziehen, wie die Netzhauterkrankung in der Familie vererbt wird und wie der Verlauf der Erkrankung höchstwahrscheinlich verlaufen wird.

Mithilfe der Gentestung kann zudem herausgefunden werden, ob der Patient gegebenenfalls für eine Therapie infrage kommt oder an einer klinischen Studie teilnehmen könnte. Sobald die Analyse vorliegt, sollten Betroffene oder ihre Eltern eine humangenetische Beratung zur Erläuterung der Ergebnisse in Anspruch nehmen.

Wissenswertes rund um den Gentest

■ Bei Verdacht auf eine erbliche Netzhauterkrankung wird in Abhängigkeit vom klinischen Erscheinungsbild und dem aufgrund der Stammbaumanalyse anzunehmenden Erbgang ein gewisses Panel (Gruppe) infrage kommender Gene ausgewählt.

■ Gentestung bei Hinweis auf eine seltene Erkrankung ist eine Kassenleistung und kann von jedem Arzt bei jedem Patienten mit einem Überweisungsschein nach Muster 10 veranlasst werden.

■ Während Privatpatienten eine Kostenübernahmebestätigung benötigen, ist ein solcher Antrag bei gesetzlich Versicherten nicht notwendig.

[1]

PNAS

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Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit der Novartis Pharma GmbH entstanden.
Hanany M, Rivolta C, Sharon D. Worldwide carrier frequency and genetic prevalence of autosomal recessive inherited retinal diseases.
2020; 117(5) 27102716.
www.erbliche-netzhauterkrankungen.de
Weitere Informationen unter:
FOTO: SHUTTERSTOCK

„Was bleibt, ist die Hoffnung“

Die seltene erbliche Augenkrankheit Lebersche hereditäre Optikusneuropathie (LHON) soll Studien zufolge erstmals ursächlich behandelt werden können. Welche Hoffnungen damit geweckt werden und wie der Alltag mit LHON ist, darüber spricht Ines.

Bei der Krankheit LHON handelt es sich um eine seltene Erbkrankheit, die immer von der Mutter übertragen wird. Bei meinem Sohn Lars brach die Krankheit aus und wir erfuhren durch die Diagnosestellung zum erstem Mal davon, dass unsere Familie von LHON betroffen ist. Ob vielleicht auch weitere Mitglieder unserer Familie betroffen waren oder sind, wissen wir nicht. Die Angst ist groß, dass auch noch sein Bruder und ich erkranken.

Mein Sohn Lars (20) stand voll im Leben, absolvierte seine Ausbildung, fuhr leidenschaftlich gern Auto und genoss seine neue Freiheit als junger Erwachsener in vollen Zügen. Im September 2020 kam er nach Hause und erzählte von Sehproblemen. Auf dem einen Auge konnte er plötzlich nicht mehr richtig sehen. Das Sichtfeld war zu diesem Zeitpunkt bereits stark beeinträchtigt. Dieser Prozess geschah vollkommen schmerzfrei. Wir dachten uns alle nichts dabei, haben aber dennoch einen Termin beim Augenarzt gemacht, der am 1. Oktober stattfand. Als Lars danach nach Hause kam, war er ganz durcheinander, weil der Arzt ihm nahegelegt hatte, sofort in die Uniklinik zu gehen. Das haben wir dann auch getan. Ich bin immer noch davon ausgegangen, dass Lars vielleicht eine Brille braucht, war voller Optimismus. Als er dann auf der Neurologie aufgenommen wurde, schwand dieser schon ein bisschen – Verdachtsdiagnosen von MS bis hin zu Hirntumor standen im Raum. Es wurden dann sehr viele Untersuchungen gemacht. Nach einigen Tagen auf der Station verlor er sein Augenlicht fast komplett und war quasi von heute auf morgen stark auf Hilfe angewiesen, sein Sehvermögen hat sich stark verschlechtert. Das war eine sehr schwierige Zeit für ihn. Meinen Sohn so verzweifelt zu sehen, brach mir fast das Herz. Am 12. Oktober wurde er fast blind entlassen. LHON stand schon als Verdacht auf dem Arztbrief. Nach weiteren ambulanten Untersuchungen wurde die Diagnose dann auch gestellt, Lars bekam ein Medikament. Ich setzte mich kurz darauf mit PRO RETINA und Experten aus dem Bereich in Kontakt und baute mir ein Netzwerk aus Freunden und Experten auf. So kam Lars auch zum LMU Klinikum München (Friedrich-Baur-Institut an der Neurologischen Klinik und Augenklinik), und als der humangenetische Befund feststand, bekamen wir zeitnah einen Termin bei der LMU. Dort, am 15.01.21, erfuhren wir auch das erste Mal von der neuen Möglichkeit der Gentherapie. Lars entschied

GENOMISCHE MEDIZIN

Das Leben sehend erleben dürfen.

sich sofort, an der Therapie teilzunehmen. Doch durch Corona verzögert sich die Zulassung bis heute. Ich kämpfte wie eine Löwin, um Lars diese Therapie zu ermöglichen. Ich schrieb Krankenhäuser überall auf der Welt, in England, der Schweiz, in den USA, Paris, und auch das Uniklinikum Bonn an, um herauszufinden, ob die Therapie dort bereits zugelassen ist. Leider ohne Erfolg. Lars hofft jeden Tag auf den Anruf, dass es losgehen kann. Es ist seine größte Hoffnung auf ein wieder sehendes uneingeschränktes Leben.

Ich kämpfe, wie auch oben bereits gesagt, wie eine Löwin, um Hilfe für Lars zu erhalten. Erst jetzt weiß ich, welche Stolpersteine Menschen mit Behinderung im Weg liegen und dass man wenig langfristige Begleitung und Hilfe erhält. Wir mussten uns tatsächlich jede Hilfe selbst erbitten. Auf dem Weg sind uns viele helfende Menschen begegnet, jedoch auch viel Ignoranz und Unverständnis. Letztendlich ist Lars derjenige, der tagtäglich mit großen Herausforderungen im Leben mit stark eingeschränktem Sichtfeld zurechtkommen muss und dafür wirklich wie ein Löwe kämpft, dass es auch bitte keiner sieht.

Mittlerweile sind so viele Monate vergangen, dass Lars gelernt hat, mit seinem Handicap zu leben. Er macht gerade sein Abitur auf der Carl-Strehl-Schule. Ob er danach studiert oder wir einen Weg finden, dass er seine Ausbildung fortsetzen kann, wissen wir noch nicht. Alles Step by Step. Ich bin einfach unglaublich stolz auf meinen Sohn und wünsche ihm so sehr, dass sein allergrößter Wunsch, die Welt dank der Gentherapie wieder uneingeschränkt sehend zu erleben, wahr wird.

BEI SELTENEN NETZHAUTERKRANKUNGEN

GenSight Biologics, ein Biopharma-Unternehmen aus Frankreich, hat sich auf die Forschungsarbeit an schweren neurodegenerativen Augenerkrankungen und Erkrankungen des zentralen Nervensystems spezialisiert. Die innovativen Therapieansätze fokussieren sich dabei besonders auf Patientinnen und Patienten mit Leberscher hereditärer Optikusneuropathie (LHON) und Retinitis Pigmentosa.

Am weitesten fortgeschritten ist eine Gentherapie, die aus der Forschung am Institut de la Vision in Paris hervorgeht und in einem klinischen Studienprogramm bei mehr als 200 Patientinnen und Patienten mit Leberscher Hereditärer Optikusneuropathie (LHON) entwickelt wird. Der gentherapiebasierte Ansatz ist so konzipiert, dass beide Augen mittels einer einzigen intravitrealen Injektion behandelt werden. Ziel ist es, den Patientinnen und Patienten eine nachhaltige Wiederherstellung des Sehvermögens und eine weitgehende Verbesserung der Lebensqualität zu ermöglichen. Damit wird ein großer medizinischer Bedarf in dieser sehr seltenen Erkrankung angegangen. Von der European Medicine Agency wird derzeit der Antrag auf Marktzulassung überprüft. Diese wird für 2023 erwartet.

GenSight Biologics untersucht mit seinem zweiten Therapiekandidaten eine Behandlung zur Wiederherstellung des Sehvermögens bei Patienten, die an Retinitis pigmentosa im Spätstadium leiden. Der optogenetische Ansatz ist unabhängig von den spezifischen genetischen Mutationen und hat potenzielle Anwendungen bei anderen Erkrankungen der Netzhaut, wie der trockenen altersbedingten Makuladegeneration.

5 Fakten zu LHON

Die Lebersche hereditäre Optikusneuropathie ist eine erblich bedingte Erkrankung, bei der es durch eine mangelnde Energieversorgung in der Netzhaut zu einer Schädigung des Sehnervs kommt.

In Deutschland sind ca. 3.000 Menschen davon betroffen. Meistens sind dies junge Männer im Alter von 15 bis 30 Jahren.

Die ersten Symptome bleiben oft unbemerkt: ein plötzlicher einseitiger Sehverlust, der schmerzlos einhergeht. Das zweite Auge folgt innerhalb einiger Wochen. Betroffen ist hauptsächlich das zentrale Sehen, das für das Lesen und das Erkennen von Gesichtern verantwortlich ist.

Eine vollständige Heilung der LHON ist momentan nicht möglich. Für die betroffenen Patienten bedeutet der rapide Verlust ihrer Sehfähigkeit eine hohe Beeinträchtigung der Lebensqualität. Eine Behandlung mit einem Medikament, welches zu einer Verbesserung der Sehschärfe führen kann, ist möglich. Eine Gentherapie zu LHON befindet sich momentan in der Zulassung.

Um die Erkrankung besser zu verstehen, hat die Selbsthilfeorganisation PRO RETINA eine Verlaufsstudie zu LHON ins Leben gerufen. www.pro-retina.de

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CTX schon im Kindesalter erkennen!

für Kinder- und Jugendmedizin Carl-Thiem-Klinikum Cottbus

Dr. med. Simone Stolz, Chefärztin der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin im Carl-Thiem-Klinikum Cottbus gGmbH, spricht im Interview über die cerebrotendinöse Xanthomatose, kurz CTX: eine schwerwiegende Erkrankung, die sich meist schon im frühen Kindesalter bemerkbar macht. Text

Die cerebrotendinöse Xanthomatose, kurz CTX, ist eine schwerwiegende Erkrankung, die sich meist schon im frühen Kindesalter bemerkbar macht. Wie lange dauert es durchschnittlich bis zur Diagnose und auf welche Symptome sollte geachtet werden?

Leider dauert es immer noch viel zu lange, bis die Diagnose gestellt wird. Untersuchungen haben ergeben, dass die Latenz zwischen Erstsymptom und Diagnosesicherung bei durchschnittlich 20 Jahren liegt.

Also findet eine Diagnose häufig erst im Erwachsenenalter statt. Woran liegt das?

Das ist im Wesentlichen so, weil die Symptome, die im Kindesalter auftreten, relativ unspezifisch sind und bei vielen Krankheitsbildern in dem Alter auftreten. Das sind Dinge wie verlängerte Gelbsucht in der Neugeborenenzeit, chronischer Durchfall oder auch eine spätere Entwicklungsabweichung.

Können Sie uns an einem konkreten Fall erklären, was die Schwierigkeit bei der Diagnose und Therapie ist?

Bei einem unserer CTX-Patienten, der jetzt bereits 14 Jahre alt ist, bestanden

seit dem 8. Lebensmonat schwere Durchfälle. Die Eltern haben mir berichtet, wie schlimm das alles war. Es sind Dutzende Untersuchungen erfolgt wie Ultraschall, Stuhluntersuchungen, Proben wurden aus dem Darm entnommen, viele Diäten wurden versucht, doch die Durchfälle blieben. Die Eltern haben eine große Odyssee hinter sich und sind von einem Arzt zum anderen gereist – ohne Erfolg. Im Alter von fünf Jahren kam bei dem Patienten eine Linsentrübung (Katarakt) hinzu, was die Ärzte auch nicht auf die richtige Spur führte. Dann kam die Familie zu uns und im Alter von neun Jahren konnten wir die Diagnose stellen.

Wie wird die Diagnose dann genau gestellt?

Die Kombination von Durchfall, Katarakt und Entwicklungsabweichung ist sehr typisch für die CTX-Erkrankung im Kindesalter. Hat ein kleiner Patient diese Symptome, sollte jeder Arzt hellhörig werden und an einen bestimmten Laborwert denken: Cholestanol im Blut. Im Rahmen der Kindergastroenterologie versuchen wir, das so weit wie möglich zu streuen, sodass die Diagnosesicherung nicht 20 Jahre dauern

muss. Denn je früher eine Diagnose gestellt werden kann, desto positiver ist der Therapieverlauf im späteren Leben.

Bitte gehen Sie genau darauf ein. Therapieeffekte können anhand von Familienuntersuchungen herausgefunden werden. CTX ist ja eine Erbkrankheit. Gehen wir mal von unserem 14-jährigen Jungen aus. Würde er ein Geschwisterkind bekommen, könnte man bereits im Säuglingsalter die Diagnose stellen. Hier gibt es auch eine Reihe von Untersuchungen, die belegen, dass durch sehr frühe medikamentöse Therapiemaßnahmen Symptome wie Katarakt, Durchfälle, Entwicklungsverzögerungen verhindert werden können.

Bringt eine Therapie im Erwachsenenalter nichts mehr?

Eine Symptomverbesserung erreicht man, egal in welchem Alter die Diagnose erfolgt. Doch erfolgt die Diagnose sehr früh, kann ein normales Leben gewährleistet werden, was bei einer späten Diagnose in dem Umfang nicht mehr möglich ist. Aus diesem Grund bin ich auch ein großer Verfechter davon, dass man CTX ins Neugeborenenscreening mit aufnimmt.

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Die Symptome der cerebrotendinösen Xanthomatose (CTX)

INFORMATION

Die CTX zeigt sich durch sehr unspezifische Symptome.

Typische Symptome: chronischer Durchfall, grauer Star; zudem können Schwierigkeiten in der Schule aufgrund verminderter Intelligenz oder Aufmerksamkeitsstörungen auftreten.

ACHTUNG!

Oftmals wird eine CTX zunächst mit einer multiplen Sklerose oder einer peripheren Neuropathie verwechselt. Wenn die Therapie keine Wirkung zeigt und zusätzlich weitere der hier aufgeführten Symptome auftreten, sollten unbedingt ein Bluttest und eine genetische Untersuchung stattfinden. So kann die Mutation des krankheitsauslösenden Gens nachgewiesen und die Diagnose gestellt werden.

Weitere Informationen unter elaev.de/cerebrotendinoese-xanthomatose und auf www.se-atlas.de (Suchbegriff "Xanthomatose, zerebrotendinöse")

Allgemeine Symptome

Im Säuglingsund Kindesalter:

• Verlängerte Neugeborenengelbsucht

• Chronischer Durchfall

• Gallensteine

• Beidseitiger grauer Star

• Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung

• Entwicklungsverzögerung

• Epilepsie

Im Erwachsenenalter:

• Frühzeitige Arterienverkalkung

• Xanthome (geschwulstartige Verdickungen im Bereich der Hände, Ellenbogen, Achillessehnen, Knie oder des Halses)

• Osteoporose

• Kardiovaskuläre Probleme

• Neurologische und psychiatrische Auffälligkeiten

• Bewegungsstörungen

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Benjamin Pank

„Ein Wendepunkt kommt immer als Schicksalsschlag“

Die Beta-Thalassämie ist eine seltene, genetisch bedingte Erkrankung, bei der im Körper Betroffener zu geringe Mengen des roten Blutfarbstoffes Hämoglobin produziert werden. Die Folge ist eine chronische Blutarmut, die dazu führt, dass der Körper nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt werden kann. Bleibt die Erkrankung unbehandelt, kann das lebensbedrohliche Folgen haben. Wir sprachen mit Nicola De Nittis, der selbst mit Beta-Thalassämie major lebt und Vorstandsvorsitzender der Patientenvereinigung DEGETHA e.V. ist.

Herr De Nittis, seit Ihrer Geburt leben Sie mit Beta-Thalassämie major, Sie kennen also kein Leben ohne die Erkrankung. Wie hat sich die Erkrankung konkret bei Ihnen ausgewirkt?

Ich habe schon sehr früh Auswirkungen gespürt, in allen Bereichen. Schon in der Grundschule. Wegen der Beta-Thalassämie muss ich regelmäßig in eine Klinik. Die anderen Kinder haben das mitbekommen, dann hieß es „der ist ansteckend“, oder „Vorsicht, der hat Aids“. Betroffene werden schnell ausgegrenzt. Inklusion ist meist nur vorgeblich da, sie wird nicht gelebt. Das ist fast noch schlimmer als die Tatsache, dass man mit Nichtbetroffenen nicht über seine Ängste reden kann. Es gibt noch immer viele Tabus, und Einsamkeit ist ein großes Problem.

Die Ausgrenzung ist ein Schock. Hinzu kommt der Schock, wenn man gesagt bekommt, dass man mit dem Gendefekt nicht alt wird. Ich bekam die Prognose, dass ich vielleicht 18, 19 oder 20 werde. Das muss man erst mal verarbeiten. Und man muss raus aus der Isolation. Auf andere zu treffen, auch in Netzwerken wie der DEGETHA, ist ein wichtiger Schritt.

Sie sagen, Sie haben lange ein Doppelleben geführt: Können Sie uns dazu mehr erzählen?

Das Doppelleben fing im Berufsleben an. Ich hatte einen Fokus, ich wollte ein normales Leben und einen Job. Sie müssen sich vorstellen, meine Eltern bekamen gesagt, dass ich nicht alt werden würde. Deswegen kam ich auf die Hauptschule und sollte dann Frührente beantragen. Das wollte ich aber nicht. Ich habe Karriere in der IT gemacht, bei großen amerikanischen Firmen. So wie man sich das wünscht, mit Reisen in die ganze Welt. Ich bin Big-Data-Experte, Headhunter haben mich gejagt. Aber wenn man in diesem Job von seinem Gendefekt erzählt, ist es aus. Es heißt schnell „Der ist nicht billable“, „Der kann nicht on-site sein“… Also habe ich lieber nichts von meiner Erkrankung gesagt. Diese Belastung hat zu einer tiefen Depression und drei Hörstürzen geführt. Dennoch war das Doppelleben eine Zeit lang richtig. Bis zum Knall.

Eine schwerwiegende Erkrankung wie die Ihre wirkt sich auf alle Lebensbereiche aus. Wie haben Sie Alltag und Erkrankung mit der regelmäßig notwendigen Therapie unter einen Hut gebracht?

Das war ein unglaublicher Stress. Ich muss alle zwei Wochen zur Transfusion in eine Klinik, musste aber auch arbeiten und auf Dienstreise gehen. Einmal war ich mehrere Wochen beruflich in den USA. Eine Transfusion hätte ich dort privat bezahlen müssen, das ist sehr teuer. Also habe ich mir zwei Tage freigenommen, bin an einem Tag nach Deutschland geflogen – mit schlechten Blutwerten, weil ich bis zum letzten Moment gewartet hatte, entsprechend ging es mir – und am nächsten Tag bin ich zurück in die USA.

Die regelmäßigen Krankenhaus- und Arzttermine sind insgesamt ein Problem, wenn man ein normales Leben führen möchte. Termine sind in der Regel wochentags von 9 bis 15 Uhr. Ich habe zusammen mit meiner Krankenkasse bundesweit nach Praxen gesucht, die zu Randzeiten behandeln – ohne Erfolg. Schließlich klappte es doch, über Kontakte. Eine Ärztin hat mich samstags behandelt. Bevor ich sie gefunden hatte, musste ich immer Urlaubstage nehmen.

Was war Ihr persönlicher Wendepunkt, der Sie dazu bewogen hat, offen mit Ihrer Erkrankung umzugehen?

Ein Wendepunkt kommt nie in positiver Form, sondern als Schicksalsschlag. Sonst ändert man nichts. Meiner war der Hörsturz. Davor hatte ich zwei Jahre eine schwere Depression gehabt, bin aber danach wieder in das Doppelleben zurück. Dann kam der Hörsturz und das hat mich aufgerüttelt. Die Ärzte machten mir klar, so geht es nicht weiter. Danach hatte ich mein „Outing“, habe ein Buch geschrieben. Das war befreiend. Damit es einem gut geht, braucht es Mut. Mut heißt auf Italienisch „coraggio“, das kommt aus dem Lateinischen, von „cor habeo“, ein Herz haben. Mut hat mit dem Herzen zu tun – in Kombination mit dem Verstand unbesiegbar. Den Mut haben, sein Leben zu leben – das ist das Wichtigste.

DEGETHA & FRIENDS

DEGETHA & FRIENDS ist eine Patientenorganisation für Thalassämie und alle seltenen Erkrankungen. Dabei liegt ein besonderes Ziel darin, die psychische Gesundheit Betroffener zu stärken. Patientenkompetenz steigern – Informationen bereitstellen – Netzwerk fördern: Der Verein unterstützt dabei Betroffene, Familienmitglieder, Mediziner, Kliniken, Vereine, Organisationen und Forschungseinrichtungen. www.degetha.org

Im Verein bin ich tätig in der Patientenvertretung und Mitglied des Vorstands. Ich setze mich nicht nur für die Interessen der Patienten ein, sondern unterstütze sie und ihre Angehörigen dabei, mental gesund zu bleiben und ihre persönlichen Ressourcen zu mobilisieren. Die Vereinsarbeit ist eine Herzensangelegenheit für mich. Sie erfüllt mich und schenkt mir Hoffnung für eine bessere Zukunft. Meine Mission ist es, die Lebensqualität der Menschen mit seltenen Erkrankungen zu fördern.

Dr. Mohamed El Missiry 40-jähriger Thalassämie-Patient

Meine Aufgaben beim DEGETHA e. V. als medizinische Fachperson sind die medizinische Vertretung, Patientenberatung, medizinische Fragen zu beantworten und die medizinischen Inhalte unserer Website zu überprüfen. Zudem arbeiten wir daran, das erste spezialisierte Zentrum für Seltene Erkrankungen (RADICE | RAreDIseaseCEnter) Deutschlands zu gründen.

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– Der Patient im Fokus

Wer wirksame Behandlungsoptionen für Menschen mit seltenen Erkrankungen entwickeln will, muss die Bedürfnisse der Betroffenen kennen und stets mit ihnen im Dialog bleiben. Daher ist der Fokus auf den Patienten ein essenzieller Teil der Unternehmensphilosophie des forschenden Pharma-Unternehmens Chiesi, das sich unter anderem auf die Erforschung seltener Erkrankungen spezialisiert hat. Um das zu bewerkstelligen, hält Chiesi engen Kontakt zu den behandelnden Ärzten und Fachzentren sowie zu Patientenorganisationen.

Dr. med. Raimund Hövelmann, Direktor der Business Unit Rare Diseases bei Chiesi, bringt es folgendermaßen auf den Punkt: „Patientenzentrierung bedeutet bei uns nicht zu schauen, was wir haben und wie wir es verkaufen können, sondern im Gegenteil zuerst zu schauen, was den Patienten fehlt und was sie benötigen. Danach richten wir unser Handeln aus.“

Allein auf dieser Basis können in Zusammenarbeit mit Betroffenen, den behandelnden Ärzten und spezialisierten Zentren die Aufmerksamkeit für seltene Krankheitsbilder erhöht und Forschungsaktivitäten vorangetrieben werden, um das Leben von Menschen mit seltenen Erkrankungen nachhaltig zu verbessern.

Derzeit liegt der Schwerpunkt auf lysosomalen Speicherkrankheiten, seltenen Augenerkrankungen und seltenen hämatologischen Erkrankungen (z.B. Thalassämien). Das erklärte Ziel ist es dabei immer, die ungedeckten Bedürfnisse von Menschen mit seltenen Erkrankungen besser zu verstehen und zu erfüllen – im engen Austausch mit den Betroffenen selbst.

Weitere Informationen unter: www.chiesi.de

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FOTO: SHUTTERSTOCK
Stella Pelteki Thalassämikerin, Brave Coach und Dozentin

Farbe bekennen zum Rare Disease Day 2022

ACHSE e. V. ruft auf: Farbe bekennen und so ein Zeichen für Menschen mit Seltenen Erkrankungen setzen – denn „Selten sind Viele"; vielfältige Aktionen rund um den internationalen Aktionstag Ende Februar laden zum Mitmachen ein.

Am 28. Februar 2022 ist der 15. Rare Disease Day, der internationale Tag der Seltenen Erkrankungen. Sie sind selbst betroffen oder möchten den Aktionstag unterstützen? Die Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) e.V., Dachverband und Stimme der 4 Millionen betroffenen Menschen und deren Angehörigen in Deutschland, ruft wie jedes Jahr dazu auf: Machen Sie mit! Denn „Selten sind Viele", und das wollen wir zeigen. Das Motto 2022 lautet: Bekennen Sie Farbe. Ob

beleuchtete Gebäude in Pink, Blau, Grün, Lila, die Ausstellung „Selten allein" in Bahnhöfen bundesweit und online, Fachveranstaltungen oder Social-Media-Kampagnen – die Beteiligungsmöglichkeiten sind vielfältig. Unterstützt wird der Aktionstag jedes Jahr von Eva Luise Köhler, Schirmherrin der ACHSE, und weiteren Persönlichkeiten aus Politik, Medizin und Gesellschaft.

Beleuchtungsaktion

„Global Chain of Lights" Über zwanzig Standorte in Deutschland haben sich bisher angemeldet. Darunter die BayArena in Leverkusen, die Bahnhöfe in Stuttgart, Mannheim, Dresden, die Neckarfront Tübingen, das Marburger Schloss, das Rathaus Dessau, die Marienkirche Neubrandenburg uvm. Eine Liste der Gebäude bundesweit sowie Fotos vom vergangenen Jahr finden Sie auf der Website der ACHSE e. V.

Sie alle sind Teil der weltweiten Lichterkette, bei der Sehenswürdigkeiten, Monumente, sonstige Bauten in B lau , G rün , P ink und/oder lila, den Farben des offiziellen Rare-DiseaseDay-Logos, von innen oder außen strahlen und

PATIENT – Selbstbestimmung versus Fremdbestimmung bei der Versorgung von Patienten mit seltenen Krankheiten

• Was wünschen sich Patientinnen und Patienten mit einer seltenen Krankheit?

• Was brauchen sie, und wie stellen wir sicher, dass die Lösungen, die wir entwickeln, auch tatsächlich einen Nutzen für sie stiften?

Seien Sie live dabei, wenn wir am 30. März 2022 die Perspektiven der Experten verbinden und das Thema „PATIENT –Selbstbestimmung versus Fremdbestimmung“ diskutieren.

30. März

16:30 - 18:00 Uhr

change4rare.com/event

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so ein sichtbares Zeichen in Zeiten von Corona setzen werden. Viele Bauten werden schon vor dem 28.02. leuchten und einige sogar bis zu einem Monat angestrahlt bleiben. Außerdem werden am 28.02.2022 auf der Weltkarte, in der alle angemeldeten Orte markiert sind, die Lämpchen der interaktiven Lichterkette nach und nach angeknipst: www.rarediseaseday.org

Hintergrund Rare Disease Day Weltweit leben rund 300 Millionen Menschen mit chronischen seltenen Erkrankungen. Jedes Jahr am und um den letzten Tag im Februar machen sie gemeinsam auf ihre Anliegen aufmerksam. Sie wünschen sich mehr Forschung, mehr Therapien und Behandlungsmöglichkeiten sowie die Chance auf ein besseres, längeres Leben. Zudem geht es ihnen um gesellschaftliche Anerkennung und Teilhabe. Denn viele der etwa 8.000 als „selten" eingestuften Erkrankungen gehen mit zum Teil schwerwiegenden körperlichen und geistigen Einschränkungen einher. Als deutsche Allianz im internationalen Verbund koordiniert die ACHSE den Tag der Seltenen Erkrankungen seit 2008 in Deutschland.

Dr. Tobias Gantner

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Informationen:

www.achseonline.de

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POLITIK Martina Stamm-Fibich

Mitglied des Bundestages, Patientenbeauftragte der SPD, Mitglied des Ausschusses für Gesundheit des Deutschen Bundestages

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Wissen verbinden, Perspektiven schaffen EINLADUNG ZUM VIRTUELLEN ROUND TABLE RECHT Rechtsanwalt, Managing Partner Dierks+Company, Berlin Prof. Dr. Dr. Christian Dierks MEDIZINISCHE WISSENSCHAFT Facharzt für Neurologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin Leiter Myasthenie-Ambulanz Prof. Dr. Andreas Meisel PATIENTENPARTIZIPATION Geschäftsführer SHARE TO CARE, TAKEPART Media + Science, 1. Vorsitzender der Deutschen Fatigue Gesellschaft e.V. PD Dr. Jens Ulrich Rüffer PATIENTENVERTRETUNG Member of the IMI Scientific Committee, President NF Kinder Claas Röhl PATIENTENORGANISATION Geschäftsführerin ACHSE e.V. –Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen, Berlin Mirjam Mann COMMUNITY + DIGITALISIERUNG Gründer und Managing Partner HealthCare Futurists
JAHRE AN DER SEITE DER PATIENTEN Eine
Initiative der Alexion Pharma Germany GmbH

Nicht so schnell zu fassen –

Die Multisystemerkrankung ATTR-Amyloidose

Die ATTR-Amyloidose hat viele Gesichter. Bei der seltenen Erbkrankheit lagern sich Eiweiße als Amyloid überall im Körper ab. Je nach genetischer Ausprägung werden dabei unterschiedliche Organe nachhaltig geschädigt: oft das Herz, das periphere Nervensystem, also die Nerven außerhalb von Gehirn und Rückenmark, und der Verdauungstrakt, seltener die Augen. Unbehandelt ist die ATTR-Amyloidose lebensbedrohlich. Im Interview berichten Dr. Sarah Bernsen vom Universitätsklinikum Bonn und ihr Patient Manuel F. da Silva, Mitgründer des Amyloidose-Patientenverbandes, von schwierigen Diagnosen und hoffnungsstiftenden Behandlungen.

Herr da Silva, wie machte sich Ihre ATTR-Amyloidose bemerkbar und wie kam es zur Diagnose?

Ich war Anfang 30, als im Jahr 2004 erste Taubheitsgefühle aufkamen. Zum Glück bin ich an einen Arzt geraten, der die Erkrankung kannte, da er ein Praktikum in Portugal absolviert hatte. Ich habe portugiesische Wurzeln, was insofern von Bedeutung ist, als die ATTR-Amyloidose dort endemisch ist.

Das heißt, es gibt in Nordportugal deutlich mehr Betroffene als hierzulande, wo die Krankheit mit nur 300 bis 400 Fällen (bei sicher hoher Dunkelziffer) sehr selten ist.

Dank meiner Aktivität im Patientenverband weiß ich, dass die meisten Patient*innen drei bis vier Jahre unterwegs sind, bis sie ihre Diagnose bekommen. Was tragisch ist, da die Organschäden irreparabel sind und einige versterben, noch bevor sie eine Diagnose bekommen.

Dr. Bernsen, was passiert genau im Körper der Betroffenen und wie verläuft die Erkrankung?

Die ATTR-Amyloidose entsteht infolge vererbter Genveränderungen (Mutationen) im TTR-Gen. Mehr als 130 Mutationen sind bis heute bekannt. Bei allen kommt es zu einer Destabilisierung des Transporteiweißes Transthyretin, das zu 90 Prozent in der Leber und zu zehn Prozent im Nervensystem produziert wird. Es zerfällt und lagert sich an verschiedenen Organen im Körper als Amyloid ab. Deshalb wird die ATTR-Amyloidose auch als Multisystemerkrankung bezeichnet. Je nachdem welche Mutation vorliegt, schädigen die Ablagerungen einzelne Organe besonders stark. Am häufigsten sind das periphere Nervensystem und das Herz betroffen.

Unbehandelt liegt die mittlere Überlebenszeit der Betroffenen, die zum Zeitpunkt, an dem die ersten Symptome auftreten, typischerweise 30 Jahre und älter sind, zwischen zwei bis zehn Jahren. Wobei schon nach der Hälfte der Zeit mit einem Verlust der Gehfähigkeit und im weiteren Verlauf mit einer RundumPflegebedürftigkeit zu rechnen ist.

Herr da Silva, wie wurden Sie therapiert?

Zu der Zeit, in die meine Diagnose fiel, war eine Lebertransplantation noch die Therapie der ersten Wahl. Man entfernte die Leber, die einen Defekt hatte. Ich entschied mich aus Angst vor einem Leben im Rollstuhl und einem frühen Tod dafür und ließ mir 2005 in Münster eine gesunde Leber transplantieren. Meine kranke habe ich einem Krebspatienten gespendet, der damit noch sieben Lebensjahre geschenkt bekam. Das nennt man Domino-Transplantation, eine in Portugal übliche Vorgehensweise, in Münster war ich damit der erste Fall.

Dr. Bernsen, was macht die Diagnose so schwierig?

Der unspezifische Symptombeginn und die Seltenheit der Erkrankung erschweren die Diagnose. Denn Herzprobleme, von Rhythmusstörungen bis hin zur Insuffizienz, Nervenprobleme wie Missempfinden, Taubheitsgefühle und Lähmungen, Erektionsstörungen, Magen-Darm-Probleme wie Durchfall, Appetitlosigkeit und infolgedessen Gewichtsverlust könnten für sich genommen auch Zeichen einer anderen Erkrankung sein. Erst die Kombination mehrerer dieser Symptome bringt uns Ärzte auf die Spur der ATTR-Amyloidose. Vorausgesetzt, wir schauen über den Tellerrand hinaus und sehen als Kardiologe nicht nur aufs Herz, als Neurologe nicht nur auf die Nerven, als

Dr. Bernsen, ist das typisch, dass die Krankheit trotz neuer Leber wiederkommt?

Ja, das kommt bei einem Teil der organtransplantierten Patienten vor. Es spielen offensichtlich weitere Faktoren eine Rolle. Und auch die oben erwähnten Prozentanteile Transthyretin, die nicht in der Leber produziert werden, können zu einem Fortschreiten der Erkrankung im zentralen Nervensystem führen.

Herr da Silva, welche Therapie bekommen Sie jetzt?

Ich erhalte derzeit Infusionen, die den Krankheitsverlauf bremsen sollen.

Dr. Bernsen, wie bewerten Sie die verfügbaren Therapien?

Die Lebertransplantation ist nicht mehr Therapie der ersten Wahl. Seit 2011 gibt es ein Medikament, das – oral verabreicht – das Transthyretin stabilisiert. In den letzten Jahren kamen – und das ist durchaus ungewöhnlich für eine derart seltene Erkrankung – zwei weitere Medikamente hinzu, die teils als Infusion verabreicht, die Produktion des Eiweißes in der Leber mindern. Gentherapien, die nicht nur die Erkrankung verlangsamen, sondern die Krankheitsursache angehen, sind noch Zukunftsmusik.

Ich wünsche mir aufgeweckte Kolleg*innen, die über ihren Fachbereich hinausschauen und interdisziplinär denken. Hat jemand eine unklare Kardiomyopathie und leidet zugleich an einem Karpaltunnelsyndrom, dann sollten die Alarmglocken klingeln. Ich erhoffe mir, dass die ATTR-Amyloidose bekannter wird, da eine frühe Diagnosestellung wichtig für eine erfolgreiche Therapie ist.

Internist oder Gastroenterologe nicht nur auf den Magen-Darm-Trakt. Die Diagnose der ATTR-Amyloidose ist fachübergreifend –ebenso wie ihre Therapie.

Herr da Silva, wie ging Ihr Leben nach der Lebertransplantation weiter? Mir ging es lange gut. Nach etwa sieben Jahren jedoch zeigten sich wieder Symptome der Erkrankung. Zum Beispiel litt ich an einem unkontrollierbaren Durchfall, bekam Probleme mit dem Wasserlassen. Heute wache ich jeden Morgen mit Taubheitsgefühlen im Gesicht auf.

Über den Patientenverband für ATTR-Amyloidose

Was wünschen Sie sich für die Versorgung Betroffener?

Ganz klar: schnellere Diagnosen. Das braucht auf beiden Seiten, der der Betroffenen und der der Medizin, mehr Achtsamkeit für die typischen Symptomkombis. Außerdem wünsche ich mir, dass die Therapien überall verfügbar sind. In Portugal beispielsweise ist meine Art der Infusiontherapie aus finanziellen Gründen nicht erhältlich. Es kann nicht sein, dass eine Therapiemöglichkeit abhängig von dem Land ist, in dem man lebt. Hier gibt es noch Handlungsbedarf.

Der Patientenverband für ATTR-Amyloidose, den Manuel F. da Silva mitgegründet hat, ist unter dieser Internetadresse zu erreichen: http://patientenverband-fap.de Dort finden insbesondere Betroffene und Angehörige Informationen, Anlaufstellen zu Beratung, Behandlung und ganz wichtig: eine Plattform zum Austausch.

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Dr. Sarah Bernsen Fachärztin für Neurologie und Intensivmedizin am Universitätsklinikum Bonn Manuel F. da Silva Amyloidose-Patient und Mitbegründer des Patientenverbandes FAP e.V.
Text
Doreen Brumme

Gen-Stilllegung mit RNA

Die Ursache der meisten „Seltenen Erkrankungen“ liegt im Erbgut. Mit konventionellen Behandlungsmethoden lassen sich häufig nur die Symptome lindern. Einen innovativen Ansatz bietet eine neue Klasse von Arzneimitteln auf RNA-Basis. Das Prinzip der RNA-Interferenz ermöglicht es, die Aktivität einzelner Gene gezielt zu regulieren. Genetisch bedingte Erkrankungen können so ursächlich therapiert werden – ohne dabei das Erbgut zu verändern.

Ein kurzer RNA-Strang (orange) führt einen speziellen Protein-Komplex (weiß) präzise zu jener mRNA (grün), die abgebaut werden soll. Sobald der ProteinKomplex an die mRNA bindet, zerschneidet er diese. Das Protein, für das die mRNA den Bauplan trägt, wird dadurch nicht mehr bzw. in geringerem Maße hergestellt.

Im vergangenen Jahr hat eine neue Klasse von Impfstoffen auf Basis von Boten-Ribonukleinsäuren (messenger-RNA, mRNA) ihren Durchbruch erlebt und die weltweite Aufmerksamkeit auf das noch junge Gebiet der RNA-Medizin gelenkt. Durch das Einbringen von mRNA erhalten die Zellen den Bauplan für ein bestimmtes Virus-Protein, das sie dann selbstständig herstellen. Gegen diese Proteine erzeugt das Immunsystem anschließend eine Immunantwort. mRNA gibt es in nahezu allen Zellen in Hülle und Fülle. Ihre biologische Funktion ist es, die in den Genen gespeicherten Protein-„Baupläne“ an die Protein-„Fabriken“, die Ribosomen, zu übermitteln. Diese Transportfunktion macht die mRNA zu einem Ziel für neue therapeutische Ansätze – weit über Impfstoffe hinaus.

Die Ursachen für die meisten der sogenannten „Seltenen Erkrankungen“ gehen zurück auf Mutationen im Erbgut. Dadurch können etwa die Baupläne für wichtige Proteine fehlerhaft sein. Diese „defekten“ Proteine können zu schweren Komplikationen im Stoffwechsel führen, zum Beispiel wenn sie toxisch wirken, wie bei der akuten hepatischen Porphyrie, wo es zu Krampfanfällen bis hin zu Atemlähmungen kommen kann. Andere Genmutationen verändern die Struktur von Proteinen, wodurch die Proteine „verklumpen“ und Ablagerungen (Amyloid) bilden, die wiederum die Funktionsfähigkeit der Organe beeinträchtigen können, zum Beispiel bei der ATTRv-Amyloidose.

RNAi-Medizin: Eine neue Klasse von Arzneimitteln

Vor gut 20 Jahren entdeckten Forschende einen natürlichen biologischen Mechanismus, mit dem Zellen die Aktivität einzelner Gene steuern können. Dieser Mechanismus wird als RNA-Interferenz (RNAi) bezeichnet und existiert seit Jahrmillionen in nahezu allen Zellen von Pflanzen, Tieren und Menschen. Für ihre Entdeckung erhielten die US-Wissenschaftler Andrew Z. Fire und Craig C. Mello im Jahr 2006 den Medizin-Nobelpreis. Mit ihrer Forschung legten sie den Grundstein für eine völlig neue Klasse von Arzneimitteln, den RNAi-Therapeutika.

Die Grundidee ist simpel. Die Aktivität eines für eine Erkrankung ursächlichen Gens lässt sich herunterregulieren, das Gen gewissermaßen „stilllegen“. Im Ergebnis wird das entsprechende Protein

nicht mehr oder in einer deutlich geringeren Menge hergestellt. Dies funktioniert, indem der Informationsträger des Protein-Bauplans – die mRNA – auf dem Weg vom Zellkern zu den Ribosomen „abgefangen“ und abgebaut wird, bevor das entsprechende Protein gebildet wird. Mittels des zelleigenen Mechanismus der RNAInterferenz lässt sich präzise genau jene mRNA erkennen und deaktivieren, die den fehlerhaften Bauplan überträgt. Um diesen Prozess zu aktivieren, wird eine kurze RNA-Sequenz in die Zellen eingebracht. Diese sogenannte siRNA (small interfering RNA) ist spiegelbildlich zur Ziel-mRNA und lenkt einen speziellen Proteinkomplex präzise zu jener mRNA, die abgebaut werden soll. Sobald die Ziel-mRNA gefunden ist, wird sie zerschnitten und abgebaut bevor sie das Ribosom erreicht und ein Protein hergestellt wird. Im Ergebnis wird die Produktion der krankheitsverursachenden Proteine erheblich reduziert. Ein Vorteil der RNA-Interferenz: Im Gegensatz zu einer Gentherapie wird nicht in das Erbgut eingegriffen. Setzt man die Behandlung aus, erreicht die mRNA wieder die Ribosomen und das betreffende Protein wird wieder hergestellt.

Das Potenzial der RNAi zum Wohle von Patienten nutzbar machen – mit dieser Vision wurde 2002 das biopharmazeutische Unternehmen Alnylam Pharmaceuticals gegründet. Seither hat Alnylam mehr als sechs Milliarden US-Dollar in die Entwicklung von RNAiTherapeutika investiert. Seit 2018 wurden bereits drei RNAi-Therapeutika zur Behandlung seltener, genetisch bedingter Erkrankungen in Europa zugelassen. Zahlreiche weitere sind in der Entwicklung und Erprobung. Perspektivisch lassen sich mit RNAi-Therapeutika nicht nur genetische Erkrankungen behandeln, sondern potenziell auch Herz- und Stoffwechselkrankheiten, Infektionskrankheiten und Erkrankungen des zentralen Nervensystems, zum Beispiel auch die Alzheimer-Demenz. Erste klinische Studien hierzu sollen noch in diesem Jahr starten. Dies ist ein gutes Beispiel, wie von der Forschung an Therapien für seltene Erkrankungen mittelfristig auch viele weitere Patienten profitieren können.

Erfahren Sie mehr über RNAi-Therapeutika und die Forschung von Alnylam unter alnylam.de.

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IMAGE: ALNYLAM PHARMACEUTICALS

Rheumatische Erkrankungen – dabei denken viele zunächst an entzündete und geschwollene Gelenke, an eine Volkskrankheit, die eine Vielzahl an Menschen betrifft. Dabei gibt es auch eine beträchtliche Anzahl an seltenen rheumatischen Erkrankungen, zu denen auch die sogenannten Vaskulitiden gehören, die durch eine Entzündung der Blutgefäße charakterisiert sind. Zu diesen gehört auch die eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis (kurz EGPA), an der Dimitra bereits seit ihrer Kindheit leidet. Dass sie vor acht Jahren fast gestorben wäre, sieht heute niemand mehr. Im Interview spricht sie über ihre Erkrankung und den Kampf zurück ins Leben.

„Ich war dem Tod näher als dem Leben“
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Manske
Text Franziska

Dimitra, du bist 21 Jahre alt und lebst nun seit elf Jahren mit der seltenen Erkrankung EGPA. Wie hat sich die Erkrankung bei dir bemerkbar gemacht? Als ich neun Jahre alt war, habe ich aus dem Nichts heraus plötzlich schweres Asthma bekommen und niemand konnte sich erklären, woher das kam. Anfangs wurde eine Allergie vermutet, aber auch mit verschiedenen Therapien wurde es nicht besser.

Wie ging es dann weiter?

Nach dem Asthma bekam ich 2011 meine erste Perikarditis, also eine Entzündung des Herzbeutels. Da ging dann gar nichts mehr. Ich konnte weder laufen noch richtig atmen und hatte am ganzen Körper starke Schmerzen. Das wurde mit Kortison behandelt. Dadurch wurde das besser, dann kam jedoch 2012 eine Darmentzündung hinzu und Anfang 2013 eine Lungenentzündung und erneut eine Perikarditis – da war ich dann gesundheitlich komplett am Ende.

EGPA wirkt sich auf verschiedene Organe aus. Wie sah bzw. sieht das bei dir genau aus, welche Organsysteme waren/sind bei dir speziell betroffen? Betroffen waren Lunge, Herz, Darm und die Nerven.

Du warst jahrelang kerngesund. Plötzlich kommt ein gesundheitlicher Tiefschlag nach dem anderen. Wie bist du damit umgegangen?

Mir ging es krankheitsbedingt so schlecht, dass ich nicht mehr viel davon weiß. Ich habe diese Zeit wie im Delirium erlebt. Meine Mutter musste damals sogar das

Als ich 2013 ins künstliche Koma versetzt wurde, hatten mich die Ärzte abgeschrieben.

Sprechen für mich übernehmen und mich füttern. Selbstständig konnte ich fast gar nichts mehr. Was ich weiß, ist, dass ich immer ängstlicher und unsicherer wurde.

... und verzweifelt?

Absolut. Besonders, wenn man die Verzweiflung von den Eltern erlebt. Meine Familie war teilweise am Ende. Als ich dann im Koma lag, war es komplett vorbei. Sie hatten einfach nur Angst, mich zu verlieren.

Hattest du Angst zu sterben?

Ja, solche Momente gab es. Doch ich habe sie dann immer wieder verdrängt, denn zu sterben war keine Option – ich wollte leben. Teilweise war ich dem Tod näher als dem Leben.

Erzähle uns bitte mehr davon. Als ich 2013 ins künstliche Koma versetzt wurde, hatten mich die Ärzte abgeschrieben. Sie sagten, dass sie nichts mehr machen könnten. Zehn Tage verbrachte ich in diesem Zustand, davon acht an der Herz-Lungen-Maschine, bevor ich zurückkam.

Wie hast du dich zurück ins Leben gekämpft?

Als ich aus dem Koma erwacht bin, war ich

blind, weil meine Sehnerven geschädigt waren. Obwohl ich nichts sah, war ich total positiv gestimmt. Es gab in dem Moment nichts Negatives für mich. Ich habe die ganze Zeit nur gegrinst. Ich habe gespürt, wie überglücklich meine Familie in diesem Moment war, sodass dies einfach auf mich übergangen ist. Kurz darauf kam dann auch die Diagnose und aus dem jahrelangen Leid wurde endlich wieder Leben.

Wie wurdest du nach der Diagnose behandelt?

Leider habe ich einiges nicht vertragen und auf vieles habe ich allergisch reagiert. Bis 2016 war es ein ständiges Auf und Ab.

Nun bekommst du seit geraumer Zeit eine individuelle Therapie. Wie geht es dir heute und wie sieht dein Alltag aus? Ich bekomme ein Biologikum, das mein Freund mir einmal im Monat spritzt. Das hat mir mein Leben zurückgegeben. Ich bin komplett beschwerdefrei und kann ein völlig normales Leben führen – dafür bin ich jeden Tag dankbar. Wenn man dem Tod so nahe war wie ich, weiß man erst, wie wertvoll Gesundheit und das Leben sind.

Deine Erkrankung ist selten und daher auch für erfahrene Mediziner nicht

leicht zu erkennen und demnach zu behandeln. Gibt es etwas, was du dir an Verbesserungen für Betroffene wünschen würdest?

Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass die Ärzte mehr auf meine Mutter gehört hätten. Sie hat beispielsweise schon relativ früh erkannt, dass ich auf Antibiotika allergisch reagiere und dadurch die Eosinophilen hochgehen, was meinen Gesundheitszustand stark verschlechtert hat. Erst als meine Neurologin gesehen hat, dass ich nach Gabe eines Präparates lila angelaufen bin, hat sie meiner Mutter geglaubt. Grundsätzlich darf man Ärzten aber nie einen Vorwurf machen. Alle wollen helfen, manchmal sind die Erkrankungen – wie meine – aber so selten, dass sie es einfach nicht besser wissen.

Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Durch das ganze Leid, das ich in den Krankenhäusern gesehen habe, ist mir bewusst geworden, dass es vielen noch viel schlechter geht. Das Gute ist, dass EGPA immer bekannter wird, es sehr gute Therapien gibt und man ein normales Leben mit der Erkrankung führen kann. Mein Tipp: Gebt niemals auf, bleibt positiv und hört niemals auf zu kämpfen – es lohnt sich!

Eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis (EGPA) Selten gesehen, häufig übersehen

Eosinophile gehören zu den weißen Blutkörperchen, die eine wichtige Rolle in unserer Immunabwehr spielen. Bei Menschen mit eosinophiler Granulomatose mit Polyangiitis (EGPA) steigt die Anzahl der Eosinophilen aus bisher ungeklärter Ursache stark an. Dadurch kommt es zu entzündlichen Veränderungen an kleinen und mittelgroßen Blutgefäßen, einer Vaskulitis, was zur Schädigung verschiedenster Organsysteme führt. Bei besonders schweren Verläufen kann die Erkrankung tödlich sein. Pro Jahr treten nur etwa 11 bis 18 Fälle pro eine Million Menschen auf, was EGPA zu einer seltenen Erkrankung macht.

Prof.

Dieter Thiel Klinik für Rheumatologie und Klinische Immunologie am Universitätsklinikum Freiburg, Deutschland, und Leiter der Klinischen Abteilung für Rheumatologie und Klinische Immunologie am medizinischen Klinikum Graz, Österreich.

Prof. Thiel, Sie betreuen seit vielen Jahren Patient*innen mit EGPA.

Worin besteht die besondere Herausforderung bei dieser Erkrankung?

Bei vielen entzündlich-rheumatologischen Erkrankungen liegt zwischen erstmaligem Auftreten und der Diagnosestellung eine gewisse Zeit. Aufgrund der Komplexität des Krankheitsbildes, ist diese Latenzzeit bei EGPA besonders ausgeprägt. Die Betroffenen haben häufig schon einen langen Leidensweg hinter sich, bis sie zu uns kommen. Oft ist es durch die Vaskulitis dann schon zu irreparablen Organschäden beispielsweise der Lunge, der Haut, des Herzens, der Nieren oder des Nervensystems gekommen.

Wieso wird die EGPA häufig erst so spät diagnostiziert? Und wie fällt sie dann letztlich auf?

In der ersten Phase der Erkrankung, tritt meist eine Asthma-Symptomatik auf, mit der die Patientinnen und Patienten beim Lungenfacharzt vorstellig werden. Dieser behandelt dann das Asthma. Die klassische Asthmatherapie ist aber nicht in der Lage, den Krankheitsverlauf der zugrunde liegenden EGPA zu unterbrechen. Die Entzündungsreaktion und eine Eosinophilie bleiben oft bestehen und bereiten den Weg für den Übergang in die zweite Phase, in der die Gefäßentzündungen stärker werden und beginnen,

Die Betroffenen haben häufig schon einen langen Leidensweg hinter sich, bis sie zu uns kommen.

Organe zu schädigen. Oft wird dann ein weiterer Facharzt aufgesucht. Bis erkannt wird, dass die unterschiedlichen Manifestationen miteinander in Verbindung stehen, dauert es häufig einige Zeit. Das ist der Grund, warum Zentren wie unseres stark an einem engen interdisziplinären Austausch mit den regionalen Arztpraxen interessiert sind. Mit Pneumologen hätten wir als Rheumatologen von Haus aus eher weniger Kontakt, doch bei der EGPA ist Asthma ein Kardinalsyndrom, das in Verbindung mit bestimmten Biomarkern im Blutbild, ggf. auch Beteiligung der oberen Atemwege z. B. in Form von Nasenpolypen die Alarmglocken läuten lassen sollte.

Wenn die Patienten zu uns kommen, sind sie meist bereits in der zweiten oder dritten Phase der Erkrankung, die geprägt ist von der Vaskulitis. Je nach betroffenem Gewebe führt diese zu vielfältigen Symptomen, die von entzündlichen Hautveränderungen, kardio-vaskulären Symptomen, bis hin zu neurologischen Auffälligkeiten

mit Muskelschmerzen und Taubheitsgefühlen in Armen und Beinen reicht. Begleitend bestehen häufig eine deutliche Abgeschlagenheit und Leistungsminderung.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es heute für die Betroffenen?

Generell richtet sich die Behandlung nach der individuellen Symptomatik, den Organbeteiligungen sowie dem Schweregrad der Erkrankung. In der Regel wird mit der Gabe von Glukokortikoiden („Kortison“) gestartet, um die Entzündung, die als Folge der überschießenden Immunreaktion entsteht, rasch in den Griff zu bekommen. Häufig werden zusätzlich Immunsuppressiva notwendig. Diese Ansätze zielen sehr breit auf die überschießende Immunreaktion ab. Es können auch Biologika in der Therapie der EGPA eingesetzt werden, die zielgerichtet in den Krankheitsprozess eingreifen und die Behandlungsoptionen des Arztes erweitern.

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HämophilieBetroffene werden von Beginn an ihrem Alter entsprechend in die Therapie einbezogen. Je älter die Patienten werden, umso mehr Verantwortung können sie für den eigenen Therapieerfolg übernehmen.

Hämophilie-Therapie im Kindes- und Jugendalter –Motivation zur Eigenverantwortung

Hämophilie, in ihren verschiedenen Ausprägungen, zählt zu den seltenen hämatologischen Erkrankungen und ist bisher nicht heilbar. Allerdings ist die Erkrankung, bei der Betroffenen Gerinnungsfaktoren im Blut fehlen, mittlerweile gut behandelbar, sodass ein weitgehend normales Leben möglich ist. Dabei ist es natürlich wichtig, dass die Therapie regelmäßig und gewissenhaft durchgeführt wird. Und genau das kann im jugendlichen Alter manchmal schwierig werden. Ein Gespräch mit Tobias Becker, Hämophilie-A-Patient und Vorstandsmitglied der IGH e.V., und Dr. Dr. med. Christoph Königs, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und Hämostaseologe am Universitätsklinikum Frankfurt am Main, über mögliche Stolpersteine und die Motivation jugendlicher Patienten zur Eigenverantwortung.

Text Hanna Sinnecker

Herr Becker, Sie leben mit einer schweren Hämophilie A. Wann wurden Sie diagnostiziert und wie ging es Ihren Eltern damit?

Die Hämophilie wurde innerhalb meines ersten Lebenshalbjahres festgestellt. Wie viele andere Hämophilie-Betroffene hatte ich viele blaue Flecken am Körper, direkt nach der Geburt hatte ich einen größeren Bluterguss am Kopf, der nicht ganz leicht zu behandeln war. Bei mir kam es aber nie zum Worst-Case-Szenario, das viele Eltern betroffener Kinder erleben: dass bei den blauen Flecken fälschlicherweise zunächst an Kindesmisshandlungen gedacht wird. Meine Eltern wurden direkt zu einem HämophilieZentrum geschickt, da die Ärzte bereits die richtige Vermutung hatten. Dort wurde die Diagnose gestellt. Für meine Eltern, die beide Ärzte sind, war das ein Schock. Denn damals, wie heute, war auch unter Ärzten das Wissen über die Hämophilie noch nicht sehr verbreitet.

Die Hämophilie ist Ihr lebenslanger Begleiter. Wie war das für Sie als Jugendlicher?

Mit welchen Herausforderungen sahen Sie sich konfrontiert?

TB: Ich kam mit der Hämophilie grundsätzlich immer recht gut klar. Ich bin sehr behütet aufgewachsen, meine Eltern haben mich immer optimal unterstützt. Aber es gab natürlich Einschränkungen. Ich wusste, dass ich mich

regelmäßig spritzen muss, daher hieß es an drei Tagen der Woche, früher aufzustehen, damit das vor der Schule noch erledigt werden konnte. Und es gab manche Dinge, die ich eher nicht tun sollte. Ich wollte zum Beispiel immer gern mit meinen Freunden im Verein Fußball spielen, aber das Verletzungsrisiko und somit die Gefahr von Blutungen ist da recht hoch. Ich habe dann angefangen, im gleichen Verein Tennis zu spielen. So konnte ich wenigstens das gleiche Trikot wie meine Freunde tragen und mich dort aufhalten, wo meine Freunde waren. Für meine Freunde war meine Hämophilie aber nie ein Problem, im Gegenteil: Sie waren eher interessiert und haben sich schützend vor mich gestellt, wenn es nötig war.

Ich glaube, meine Eltern hatten damals die größeren Herausforderungen zu bewältigen. Zusätzlich zur ständig präsenten Sorge um mich mussten sie sich mit Erzieher*innen, Lehrer*innen und Rektor*innen verständigen. Vor jeder Klassenfahrt mussten sie alles regeln, damit die verantwortlichen Personen Bescheid wussten, dass ich mit Hämophilie A lebe, was bezüglich der Medikamente zu tun ist und wie man sich im Ernstfall verhalten muss.

Herr Dr. Dr. Königs, Sie behandeln Kinder und Jugendliche mit Hämophilie: Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen, dass sowohl

Kinder als auch Eltern verschiedene Herausforderungen haben?

Natürlich spielt beides eine Rolle. Ein kleines Kind, das erst ein paar Monate alt ist, findet es sicher nicht schön, regelmäßig im Rahmen der Therapie gestochen zu werden. Aber natürlich liegt die Belastung hier erst mal eher bei den Eltern. Das verlagert sich mit zunehmendem Alter immer mehr auf den Betroffenen selbst.

Bei uns im Zentrum bemühen wir uns daher aktiv darum, bereits die kleineren Kinder ihrem Alter entsprechend mit einzubeziehen. Sie können mithelfen, das Spritzen erlernen, bis sie es irgendwann selbst übernehmen können. Mit zunehmendem Alter der Betroffenen versuche ich auch, die Eltern öfter einmal auszuklammern, damit meinen Patienten klar wird: Das ist deine Hämophilie, nicht die deiner Mutter oder deines Vaters.

Man kann mit einer Hämophilie heute gut leben, aber der Preis ist hoch. Allein, dass morgens, bevor es zur Schule geht, gespritzt werden muss oder dass bei sportlichen Aktivitäten berücksichtigt werden muss, dass der Faktorspiegel dafür passen sollte: Das sind alles Dinge, die zum Leben eines Hämophilie-Betroffenen dazugehören. Wir sehen unsere Aufgabe im Hämophilie-Zentrum daher besonders dort, die Kinder und ihre Eltern dabei zu unterstützen, damit zurechtzukommen.

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Becker Hämophilie-APatient und Mitglied des Vorstandes der IGH e. V.
FOTO: SHUTTERSTOCK

Warum ist Therapietreue denn so wichtig, gerade mit Blick auf die Zukunft?

CK: In erster Linie damit Betroffene gesund bleiben. Denn der Schaden, der heute gesetzt wird, zum Beispiel durch eine Gelenkblutung, wird sich später bemerkbar machen. Die Gelenke sind das Gedächtnis der Hämophilie-Therapie. Heißt: Die Blutung, die im Kindesalter entsteht, sorgt für einen Schaden, der auch dauerhaft bestehen bleiben kann. Das sehen wir heute deutlich bei jungen Erwachsenen, die erst spät mit einer Prophylaxetherapie angefangen haben, da sie einen deutlich schlechteren Gelenkstatus aufweisen als Betroffene, die bereits früh und suffizient prophylaktisch behandelt wurden und gute Medikamentenspiegel erreichen.

TB: Das ist tatsächlich auch etwas, was mich beunruhigt: Es gibt Studien, die darauf hindeuten, dass es z.B. Mikroblutungen geben kann, die man gar nicht bemerkt, die aber trotzdem Schaden anrichten und den Gelenkstatus langfristig negativ beeinflussen. Wenn ich daran denke, mit welchen Faktor-Leveln ich manchmal auf dem Tennisplatz aktiv war, sind diese im Vergleich zu dem, was heute in der Prophylaxe angestrebt wird, grauenvoll gewesen. Das zeigt aber umso mehr, dass man die heute verfügbaren Möglichkeiten ausschöpfen sollte, um später keine böse Überraschung zu erleben.

Aus Ihrer Erfahrung: Wie können Eltern betroffener Kinder/Jugendlicher und Behandler optimal zusammenarbeiten?

CK: Wichtig ist erst einmal zu betonen, dass wir in einem umfassenden Behandlungsteam arbeiten, das aus Hämophilieassistent*innen, Sozialarbeiter*innen, Physiotherapeut*innen, Ärzt*innen etc. besteht. Das Wichtigste ist dann für alle Beteiligten, offen und ehrlich zu

kommunizieren. Man muss Probleme benennen und darüber sprechen, was nicht funktioniert, Scham ist hier absolut fehl am Platz. Man muss den graduellen Übergang in die Eigenverantwortlichkeit der Betroffenen schaffen. Das ist Teamwork. Es ist ja heutzutage nicht mehr so, dass das Behandlungsteam sagt, was gemacht wird und die Eltern das dann durchsetzen. Der Patient wird altersentsprechend und früh mit eingebunden im Hinblick auf seine Ideen, Ziele, Therapieplanung und -durchführung.

Wie kann man jugendliche Patienten motivieren, Eigenverantwortung für den Erfolg ihrer Therapie zu übernehmen, ohne als Arzt oder Eltern zu viel Druck auszuüben?

CK: Hier gehen zwei Dinge Hand in Hand: Der Betroffene muss irgendwann “aus dem Nest hüpfen” und selbst Verantwortung übernehmen. Wenn die Mutter eines 22 Jahre alten Patienten anruft, um sein Faktorpräparat zu bestellen, dann ist dieser Sprung aus dem Nest deutlich überfällig. Auf der anderen Seite müssen die Eltern die Verantwortung irgendwann auch abgeben, heißt: Selbstständigkeit unterstützen und loslassen, wo es nötig ist. Und hier kommt Motivation durch positive Erfahrung ins Spiel: Wenn die Betroffenen selbst merken, dass sie durch Therapietreue mehr Möglichkeiten und Freiheiten und keine Blutungen und Schmerzen bekommen, dann ist das die ideale Motivation, um weiterzumachen und selbst Verantwortung zu übernehmen.

Ein Beispiel: Einer meiner Patienten, etwa zehn Jahre alt, bisher lief alles unkompliziert, dann haderte er sehr mit seiner Hämophilie, da seine Eltern ihn stets zur Vorsicht mahnten und gewisse Dinge nicht erlaubten, zum Beispiel Übernachtungen bei Freunden. Wir haben dann gemeinsam besprochen, dass er weiß, wie er Eltern und das Hämophilie-Zentrum

im Notfall erreicht. Und er kann auch schon selbst sein Medikament spritzen. Wir haben also gemeinsam den Weg frei gemacht für den Übernachtungsbesuch. Das hat ihm einen unheimlichen Motivationsschub verpasst und gleichzeitig die Eltern aufgefangen.

Was hätten Sie sich als Jugendlicher an Hilfe und Unterstützung gewünscht und was möchten Sie anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

TB: Ich habe mich tatsächlich immer sehr gut versorgt gefühlt. Sicher hätten die Dinge komfortabler sein können, aber manchmal brauchen die Dinge eben einfach Zeit, besonders wenn es um die Entwicklung besserer Medikamente geht, die nicht mehr so häufig gespritzt werden müssen. Auch die Herangehensweise an den Alltag hat sich verändert. Bei mir hieß es noch oft: Das geht nicht, das darfst du nicht. Das sieht heute aber schon anders aus: Hier wird jetzt eher geschaut, was individuell für Betroffene möglich ist, ohne direkt nur mit Verboten zu arbeiten. Beim Übergang in die Erwachsenenmedizin wäre es sicher gut gewesen, wenn ich etwas strukturierter herangegangen wäre, in der Hinsicht, dass ich Termine vor- und nachbereite und Themen konkret anspreche, die für mich in der jeweiligen Lebensphase relevant gewesen sind.

CK: Hier haben wir in der Medizin noch einiges zu lernen. Das Feld der Transitionsmedizin, also des Übergangs von der Kinder- in die Erwachsenenmedizin, ist in Deutschland noch relativ jung. Und dann muss man auch dazu wissen, dass es bei chronischen Erkrankungen immer eine Herausforderung ist, das Behandlungsteam zu wechseln. Hier können strukturierte Programme und integrierte Zentren helfen.

Dr. Dr. med. Christoph Königs Facharzt für Kinderund Jugendmedizin und Hämostaseologe am Universitätsklinikum Frankfurt am Main

Das Portal rund ums Thema Hämophilie

haemcare.de ist ein umfassendes Portal für Menschen mit Hämophilie und ihre Angehörigen. Hier findet man alles Wichtige über Blutgerinnungsstörungen und wie ein möglichst normaler Alltag mit der Erkrankung gelingen kann.

Umfassendes Wissen ist der Schlüssel

Die eigene Erkrankung zu verstehen ist der Schlüssel, um eine optimistische Einstellung zu behalten und die Therapie so in den Alltag zu integrieren, dass sie die bestmöglichen individuellen Ergebnisse erzielen kann. Daher finden Hämophilie-Betroffene auf haemcare.de umfassende Informationen zur Erkrankung, zur Therapie und zu begleitenden Behandlungsoptionen. Aber auch zu Themen wie Fitness, Ernährung, Alternativmedizin oder ganz aktuell zu Hämophilie und Covid-Schutzimpfung oder zum GSAV finden sich hier fundierte Informationen. Die HaemExperten updaten in Form von kurzen Videos zu verschiedensten Themen!

Digitale Helfer

Damit die Integration der verschiedenen Aspekte der Hämophilie in den Alltag ganz einfach gelingt, können sich Betroffene die Erinnerungs-App HaemMemo , das TherapieTagebuch smart medication und die FitnessApp HaemActive herunterladen. So wird das eigene Smartphone zum Therapiebegleiter und Patienten können einen wichtigen Teil ihrer Behandlung selbst in die Hand nehmen!

Unterwegs mit Hämophilie

Speziell für die Reisezeit können sich Betroffene die App HaemTravel™ herunterladen: so weiß man Bescheid, welche Dokumente im Urlaub mit dabei sein müssen, ob man den Faktor ungekühlt mitnehmen kann, oder wo sich im Zielland das nächste Hämophiliezentrum befindet.

Im Dialog bleiben

Zudem bietet haemcare.de verschiedene Angebote, um miteinander ins Gespräch zu kommen, zum Beispiel durch den „Talk am Mittwoch“ in Zusammenarbeit mit der IGH e.V.. Das Portal informiert außerdem über die verschiedenen Patientenorganisationen, an die sich Betroffene und ihre Eltern wenden können. Das Patientenunterstützungsprogramm myHaemCare bietet zusätzlich umfassende Hilfestellungen für Betroffene und ihre Eltern.

Aber auch Physiotherapeuten, die eine tragende Rolle in der Behandlung von Hämophiliepatienten spielen, finden in Form der HaemAcademy professionelle Unterstützung durch das HaemAcademy-Team, bestehend aus einem interdisziplinären Team von Hämostaseologen, Orthopäden und Physiotherapeuten: Dr. Günter Auerswald, Martina Bürhlen, Susan Halimeh, Björn Habermann und Marc Rosenthal und Bianca Wiese. Physiotherapeuten können hier direkt zu spannenden Weiterbildungen angemeldet werden.

Über Novo Nordisk

Deutschland

Novo Nordisk ist ein weltweit führendes Unternehmen im Gesundheitswesen, das 1923 gegründet wurde und seinen Hauptsitz in Dänemark hat. Unser Anspruch ist es, Veränderungen voranzutreiben, um Diabetes und andere schwerwiegende chronische Krankheiten wie Adipositas und seltene Blut- und Stoffwechselerkrankungen zu besiegen. Dafür arbeiten wir an wissenschaftlichen Innovationen bis hin zur Heilung von Krankheiten. Wir fördern den Zugang zu unseren Produkten für Patientinnen und Patienten weltweit und engagieren uns aktiv für Prävention. Novo Nordisk beschäftigt circa 47.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in 80 Ländern und vermarktet seine Produkte in rund 170 Ländern. Am deutschen Hauptsitz in Mainz sind rund 480 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig.

www.novonordisk.de

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„Junge Betroffene brauchen persönliche Ziele, für die sich die Anstrengung lohnt“

Die Mukoviszidose ist eine seltene, erblich bedingte Stoffwechselerkrankung, bei welcher der Wasser-Salz-Haushalt der Zellen gestört ist. In der Folge produzieren die innersekretorischen Drüsen des Körpers z.B. in der Lunge oder in der Bauchspeicheldrüse nur zähflüssige Sekrete, wodurch fortschreitend die Funktion verschiedener Organe einschränkt wird. Die Ursache ist ein defektes oder fehlendes CFTR-Protein als Folge bestimmter Mutationen im CFTR-Gen1. Die Erkrankung ist bis heute nicht heilbar, die mediane Lebenserwartung Betroffener liegt aber weltweit mittlerweile bei über 50 Jahren2. Seit 2012 stehen zusätzlich zur rein symptomatischen Therapie zunehmend moderne medikamentöse Therapieoptionen zur Verfügung, die näher an der Krankheitsursache angreifen und mit der rund 80% der Betroffenen behandelt werden können. Diese Medikamente können das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen, was die Lebensqualität und Lebenserwartung deutlich verbessern kann. Wir sprachen mit der Diplom-Psychologin Christine Lehmann, die am Mukoviszidose-Zentrum der Charité Berlin Mukoviszidose-Patient*innen betreut.

Christine Lehmann Diplom-Psychologin am Mukoviszidose-Zentrum der Charité Berlin

Frau Lehmann, Sie sind spezialisiert auf die psychosoziale Betreuung von Mukoviszidose-Patient*innen. Warum ist ein früher Therapiebeginn, möglichst direkt nach Diagnosestellung, so wichtig?

Das Mukoviszidosescreening ist seit 2016 Bestandteil des Neugeborenenscreenings. Vor diesem Zeitpunkt hatten die betroffenen Kinder und Eltern sehr häufig einen langen Leidensweg hinter sich, bis die Diagnose Mukoviszidose gestellt und die richtige Therapie eingeleitet wurde. Demgegenüber bietet die frühe Diagnosestellung den Vorteil, von Anfang an zu wissen, womit man es zu tun hat, um frühzeitig in das Krankheitsgeschehen eingreifen und es medizinisch-therapeutisch positiv beeinflussen zu können.

Wie geht es aber den Eltern mit der frühen Diagnosestellung?

Die durch das Neugeborenenscreening diagnostizierten Kinder haben in den meisten Fällen noch keine für die Eltern wahrnehmbaren Krankheitssymptome, d.h. es ist für die Eltern nicht gleich erkennbar, dass ihrem Kind „etwas fehlt“. Sie empfinden ihr neugeborenes Kind als „gefühlt gesund“ und erleben die Diagnosestellung daher oft mit Fassungslosigkeit und Irritation, manche auch mit einer vorübergehenden Verunsicherung in der Bindung zum Kind. Diese emotionalen Erschütterungen auszuhalten und zu überwinden, die Diagnose nach und nach zu akzeptieren, ist eine besondere Anpassungsleistung, die in den MukoviszidoseAmbulanzen durch die Behandler der verschiedenen Berufsgruppen kompetent begleitet werden kann.

Mit welchen Herausforderungen sehen sich

besonders Eltern betroffener Kinder konfrontiert?

Besonders bedeutsam auf der Elternseite sind zwei Bereiche: die Bewältigung von eigener emotionaler Belastung sowie die besonderen Erziehungsaufgaben, die sich durch die chronische Erkrankung des Kindes ergeben. Eine besondere emotionale Belastung für Eltern liegt darin, sich mit der drohenden Progredienz und der immer noch eingeschränkten Lebenserwartung bei Mukoviszidose auseinanderzusetzen. Schuldgefühle, Befürchtungen, Verlustängste – wie ein Damoklesschwert schwebt die ständige Sorge um das Kind über der Familie. Es liegt ja in der Verantwortung der Eltern als „Co-Therapeuten“, die komplexe und zeitaufwendige Therapie täglich im Alltag umzusetzen. Auf der einen Seite ist es ganz zentral, dass Eltern durch ihr Therapiehandeln

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FOTO: SHUTTERSTOCK

Einfluss auf den Krankheitsverlauf nehmen können, auf der anderen Seite entstehen nicht selten Therapiestress und Versagensängste, dies alles zu schaffen. Trotz verbesserter Therapiemöglichkeiten und positiverer Zukunftsperspektiven bleibt in den meisten Fällen die Progredienzangst bestehen, die aktivieren, aber auch lähmen kann. Gleichzeitig ist es den Eltern wichtig, ihr Kind mit Mukoviszidose in seiner psychosozialen Entwicklung zu unterstützen und für sein Leben mit Besonderheiten und Einschränkungen zu stärken. Mit ihren Bemühungen, ein möglichst „normales“ Leben zu ermöglichen, sind die meisten Familien erfolgreich. Auch haben sich die Bedingungen für Inklusion und Nachteilsausgleiche in Kita, Schule und Ausbildung sehr verbessert, sodass auch dem Kind die Gestaltung seiner„besonderen Normalität“ meist gut gelingt.

Aufgrund der neuen Therapieoptionen ist die Lebenserwartung von Mukoviszidose-Patient*innen in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, wenn Patient*innen die Therapie gewissenhaft durchführen. Welche Herausforderungen sehen Sie speziell beim Übergang vom Kindes- zum Erwachsenenalter?

Der Prozess der Transition, also des Hineinwachsens in die zunehmende Selbstverantwortung für die Therapie, begleitet die Pubertät. Wie auch in anderen Bereichen des Lebens eines Jugendlichen gibt es Phasen des „Verpeilt-Seins“, des "Null-Bock-Habens" und der Opposition gegenüber (Therapie-)Regeln, die von Erwachsenen gemacht scheinen. Nicht wenige Jugendliche benötigen für die Einsicht in die Therapienotwendigkeit auch einmal die Erfahrung am eigenen Körper, dass das Weglassen von Therapie tatsächlich zur Verschlechterung führt, z.B. zu mehr Husten,

Das Vorgehen in den Mukoviszidose-Ambulanzen, in der Sprechstunde die Jugendlichen als Hauptansprechpartner zunehmend selbst zu Wort kommen zu lassen, soll den Transitionsprozess unterstützen.

unangenehmen Bauchschmerzen oder reduzierten Lungenfunktionswerten. Zusätzlich ist wichtig, dass Eltern loslassen lernen und den Jugendlichen die Verantwortung nach und nach zutrauen. Dies sollte im Idealfall schrittweise und angepasst an die Reife des/der Jugendlichen und seiner/ihrer Motiviertheit und Selbstkompetenz geschehen. Im Alltag ergeben sich erfahrungsgemäß hieraus jedoch häufig Konflikte in der Familie. Das Vorgehen in den Mukoviszidose-Ambulanzen, in der Sprechstunde die Jugendlichen als Hauptansprechpartner zunehmend selbst zu Wort kommen zu lassen, soll den Transitionsprozess unterstützen.

Welche Hilfs- und Unterstützungsangebote brauchen Jugendliche und junge Erwachsene aus Ihrer Sicht, um an der Therapie dranzubleiben?

Wenn Eltern mehr und mehr in die Rolle eines

„Coaches“ rücken, braucht es für Jugendliche und junge Erwachsene relevante Rollenmodelle aus der Gleichaltrigengruppe. Zu hören, wie andere ihr Leben mit Mukoviszidose gestalten oder die Therapieumsetzung in den Alltag schaffen, sich auszutauschen, wie man krankheitsassoziierte Schwierigkeiten erlebt, und gemeinsam Problemlösungen zu diskutieren– dies sind hilfreiche Schritte auf dem Weg in das Erwachsenwerden. Wesentlich aus psychologischer Sicht ist ebenso für diese Altersgruppe, kurzfristige wie langfristige persönliche Ziele zu entwickeln, für deren Erreichen sich Einsatz und Anstrengung lohnen – und eben auch der tägliche Therapieaufwand. Digitale Möglichkeiten wie soziale Netzwerke oder Online-Veranstaltungen und virtuelle Treffen sind heutzutage gute Möglichkeiten, die genannten Bewältigungsstrategien umsetzen zu können.

Der Mukoviszidose e. V. – Bundesverband Cystische Fibrose (CF)

1Cystic Fibrosis Foundation. Basics of The CFTR Protein. Online verfügbar unter: www. cff.org/Research/ Research-Into-theDisease/RestoreCFTR-Function/ Basics-of-the-CFTRProtein/" www.cff.org/ Research/ResearchInto-the-Disease/ Restore-CFTRFunction/Basics-ofthe-CFTR-Protein/. Letzter Zugriff: Oktober 2021.

2 Cystic Fibrosis Foundation. CFF Patient Registry, Annual Data Report 2020

Der Mukoviszidose e.V. setzt sich seit über 50 Jahren für die Belange von Menschen mit Mukoviszidose und ihren Angehörigen ein und vernetzt seither die Patienten, ihre Angehörigen, Ärzte, Therapeuten und Forscher. Er leistet mit seinen vielfältigen Angeboten Hilfe zur Selbsthilfe, bietet Unterstützung in Notsituationen und ist ein kompetenter Ansprechpartner für Betroffene und ihre Familien. Das Ziel: jedem Betroffenen ein möglichst selbstbestimmtes Leben mit Mukoviszidose zu ermöglichen. Mit seiner Forschungsförderung leistet der Verein einen wichtigen Beitrag, um die Krankheit eines Tages heilen zu können. Auch die Aus- und Fortbildung von in der Mukoviszidose-Behandlung Tätigen ist ein wichtiges Anliegen des Mukoviszidose e.V. Darüber hinaus setzt er sich für die Belange der Betroffenen gegenüber Entscheidungsträgern in Politik, dem Gesundheitswesen und der Wirtschaft ein. Der Verein finanziert sich fast ausschließlich aus Spenden. www.muko.info

Die digitale Plattform mit Informationen und Services rund um CF.
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Pulmonale Arterielle Hypertonie (PAH) –

Wenn (zu) hoher Blutdruck in der Lunge den Atem nimmt

Prof. Dr. med. Hanno Leuchte Chefarzt für Innere Medizin II und Ärztlicher Direktor am Krankenhaus Neuwittelsbach, Klinik der Barmherzigen Schwestern München

Die Pulmonale Arterielle Hypertonie (PAH) ist eine seltene Erkrankung, die den Blutdruck in den Lungenadern erhöht, was kurzatmig macht und das Herz belastet. Unbehandelt ist die PAH lebensbedrohlich. Prof. Dr. med. Hanno Leuchte, Chefarzt für Innere Medizin II und Ärztlicher Direktor am Krankenhaus Neuwittelsbach, zeigt im Interview Warnsignale und Risikogruppen für eine PAH auf und erklärt bewährte Behandlungen.

Womit bekommen es Patienten zu tun, die an PAH leiden?

Die sich meist auf leisen Sohlen einschleichende Blutdruckerhöhung in den Lungenadern beeinträchtigt den Blutfluss in den Lungengefäßen. Das führt zu einer Mehrbelastung des rechten Herzens. Es gilt: Je weiter die Erkrankung an den Lungenadern fortschreitet, desto mehr leidet das Herz. Unbehandelt führt die PAHinnerhalb weniger Jahre zu erheblichen körperlichen Beeinträchtigungen und letztlich zum Tod. Erfreulicherweise gibt es mittlerweile gute Behandlungsoptionen.

Wie zeigt sich die PAH?

PAH-Patienten berichten von eingeschränkter Leistungsfähigkeit und Kurzatmigkeit. Das sind beides Beschwerden, die sich in Ruhemomenten oft noch gut ausgleichen lassen. Eine körperliche Belastung jedoch, zum Beispiel das Treppensteigen, wird der Lunge im Zusammenspiel mit dem Herzen schnell zu viel. Typisch ist, dass die Kurzatmigkeit nicht trainierbar ist und sich in der Regel verstärkt, wenn auch langsam. Zunehmende Wassereinlagerungen in den Beinen (Ödeme) und/oder starkes Herzklopfen unter Belastung, oft gefolgt von einer größeren Erschöpfung, gehören ebenfalls zu den Symptomen. Bei manchen Patienten färben sich auch die Lippen oder Fingerspitzen blau (Zyanose).

Wie viele Betroffene gibt es in Deutschland?

Man geht hierzulande von zwei- bis fünftausend Fällen aus, wobei eine Dunkelziffer zu befürchten ist. Dazu muss man wissen, dass auch in Deutschland nicht selten mehrere Jahre vom Auftreten klassischer Symptome bis zur sicheren Diagnose vergehen.

Wen trifft die PAH?

Während die PAH früher im Wesentlichen als eine Erkrankung junger Frauen galt, wissen wir heute, dass sie Menschen jeden Alters trifft. Das mittlere Erkrankungsalter liegt in

pulmonale hypertonie e.v.

Deutschland bei etwa 65 Jahren.

Gibt es Risikogruppen?

Ein Risiko besteht für Patienten mit Bindegewebserkrankungen, insbesondere der Systemsklerose und der Sonderform CREST-Syndrom, mit angeborenem Herzfehler, auch wenn dieser bereits korrigiert wurde, mit Lebererkrankungen, mit diversen Infektionskrankheiten. Zudem können verschiedene Medikamente und Stimulanzien die Entwicklung einer PAH fördern, falls eine Anfälligkeit vorliegt.

Wie wird die PAH diagnostiziert?

Auch wenn die PAH eine Lungenerkrankung

ganze Reihe medikamentöser Therapien für die PAH. Die Medikamente sind allerdings nicht leicht einzusetzen, der behandelnde Spezialist braucht dafür sehr viel Erfahrung. Und weil diese Therapien nur zum Behandeln der seltenen PAH oder CTEPH (Chronisch thromboembolische pulmonale Hypertonie, eine weitere Form der Lungenhochdruckerkrankung) zugelassen sind, ist die Behandlung in den schon erwähnten Spezialzentren dringend ratsam.

Was erschwert die Medikation?

In der Regel müssen mehrere Medikamente miteinander kombiniert werden. Welche und wie viel davon jeweils zum Einsatz kommen, das hängt auch davon ab, welche Thera -

Auch wenn die PAH eine Lungenerkrankung ist, lässt sie sich nicht so herkömmlich wie eine solche diagnostizieren.

ist, lässt sie sich nicht so herkömmlich wie eine solche diagnostizieren. Der Grund: Die PAH spielt sich an den Lungengefäßen ab. Mit verschiedenen Messungen, sowohl der Funktion der Lunge samt Gasaustausch als auch des Herzens, beispielsweise per Herzultraschall, lässt sich die PAH diagnostizieren. Ergänzend stützen Blutwerte und bestimmte bildgebende Verfahren wie Computertomografie die Diagnose. Mitunter ist zudem eine spezielle Belastungsuntersuchung nötig. Wichtig: Eine Katheteruntersuchung der rechten Herzkammer ist zwingend erforderlich – entweder für die sichere Diagnose der Lungenhochdruckerkrankung oder um sie auszuschließen. Diese Untersuchungen machen darauf spezialisierte Zentren gemäß den Empfehlungen der europäischen und deutschen Leitlinien, in der Regel während eines kurzen stationären Aufenthaltes. Die Herzkatheteruntersuchung bestätigt einerseits die Diagnose. In bestimmten Konstellationen lassen sich währenddessen auch Tests machen, die andererseits erste Rückschlüsse auf die mögliche individuelle Behandlung erlauben.

Wie lässt sich die PAH behandeln? Erfreulicherweise gibt es inzwischen eine

pieziele für die Patienten definiert werden. Oftmals erfolgt dann eine Risikoanalyse. Und da insbesondere ältere Patienten oft Begleiterkrankungen haben, ist es entscheidend, die einzelnen Therapien richtig zu balancieren.

Wie steht es um die Behandlungsaussichten?

Beim Behandeln der PAH – und auch der erwähnten CTEPH – sind wir mittlerweile sehr erfolgreich. Wobei der Behandlungserfolg auch immer davon abhängt, inwieweit Begleiterkrankungen zu Belastungseinschränkungen und mehr führen.

Mit den aktuellen Behandlungen können wir heute in der Regel nicht nur die Krankheitsverläufe stabilisieren, sondern auch die Lebensqualität der Betroffenen nachhaltig verbessern. Das zeigt sich insbesondere mit einer (wieder) zunehmenden Leistungsfähigkeit und abnehmenden Kurzatmigkeit im Alltag. Vor allem junge Menschen mit dieser seltenen Diagnose können dank dessen ein Leben mit nur geringen Einschränkungen führen. Was nicht darüber hinwegtäuschen soll, dass es auch schwere Verläufe gibt, die letztendlich nur mit einer Lungentransplantation zu behandeln sind.

Der pulmonale hypertonie e. v. (ph e.v.) unterhält einen Informationsdienst zum Krankheitsbild Lungenhochdruck. Er gibt Informationen über Möglichkeiten der Diagnostik und Therapie weiter und vermittelt Kontakte zu spezialisierten Ärzten und Kliniken. Er bietet Unterstützung bei Fragen zur medizinischen und sozialen Versorgung und veranstaltet bundesweite Patiententreffen mit Angehörigen. www.phev.de

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Text Doreen Brumme

„Es ging um Leben und Tod“

Als wir Carolin Thurmann kennenlernen, erleben wir eine lebenslustige, starke Frau. Dass sie schwer krank ist, sieht man ihr auf den ersten Blick nicht an. Im Interview spricht sie über ihr Leben mit PAH (Pulmonaler Arterieller Hypertonie).

Frau Thurmann, Sie leiden an der Erkrankung PAH. Können Sie uns erzählen, wie sich die Erkrankung bei Ihnen geäußert hat und wie die Diagnose gestellt wurde?

Es fing in der Grippewelle 2015 an, auch ich wurde krank, habe es aber erst einmal ignoriert und bin weiter arbeiten gegangen. Doch es wurde immer schlimmer. Ich war schon nach ein paar Treppenstufen aus der Puste, meine Belastungsgrenze sank von Tag zu Tag. Plötzlich traten starke Wassereinlagerungen in den Beinen auf, die Untersuchungen an Herz, Lunge und das Blutbild ergaben jedoch keinen Befund. Allerdings wurde eine Schilddrüsenunterfunktion festgestellt. Schilddrüsenhormone sowie vorübergehend Entwässerungstabletten wurden verordnet. Die Wassereinlagerungen blieben, zusätzlich löste die Schilddrüsenmedikation Migräneanfälle aus. Neue Symptome wie blaue Lippen, Atemnot und Husten kamen hinzu. Da ich etwas übergewichtig bin, hörte ich von den Ärzten immer wieder, dass ich abnehmen solle und es mir dann besser gehe – das war schrecklich für mich, und meine Selbstzweifel stiegen. Ich versuchte abzunehmen, doch die Probleme blieben, verschlechterten sich sogar, Übelkeit und Erbrechen kamen hinzu.

Warum sind Sie nicht zum Arzt gegangen? Meine Hochzeit stand kurz bevor. Darauf hatte ich mich so lange gefreut und alles sollte perfekt sein. Ich hatte Angst, dass ich sie absagen muss. Also zog ich das durch und vereinbarte danach einen Arzttermin, um hoffentlich endlich den Grund für meinen schlechten Gesundheitszustand herauszufinden. Doch dazu kam es gar nicht mehr. In der Nacht vor dem Termin wachte ich mit Schmerzen in den Beinen und akuter Luftnot auf. Der erste Gedanke, ein schlechter Traum, war jedoch nicht die Ursache. Mein Mann fuhr mich zum ärztlichen Notdienst. Der Notarzt nahm mich überhaupt nicht ernst, sagte nur, dass ich Sport machen solle und es dann schon besser werde. Dennoch wollte er eine Zweitmeinung und zog die Notaufnahme des örtlichen Krankenhauses hinzu. Die stellten eine Sauerstoffsättigung von 62% fest – dass ich überhaupt noch bei Bewusstsein war, war ein Wunder. Sie gaben mir Sauerstoff, doch der Wert stieg nicht an. Zudem wurde eine Herzschädigung festgestellt, die Ursache kannte aber niemand. 24 Stunden später wurde ich in die Lungenklinik Löwenstein verlegt. Ich war ein absoluter Notfall – es ging um Leben und Tod. In derselben Nacht kam dann auch die Diagnose: pulmonale Hypertonie. Eine medikamentöse Therapie wurde eingeleitet und mir ging es schnell besser. Meine Behandlung beinhaltet heute eine Kombinationstherapie plus Langzeit-Sauerstofftherapie.

Wie sieht Ihr Alltag nun aus, da Sie in Behandlung sind?

Ich bin froh, dass ich weiß, was ich habe. Dennoch ist mein Leben nicht mehr das, was es mal war. Vieles, was ich mir für mein Leben gewünscht habe, ist einfach nicht mehr möglich. Den Kinderwunsch loszulassen, war besonders schwer und schmerzt bis heute. Lange habe ich versucht, mich ins Arbeitsleben zurückzukämpfen, bis ich einsehen musste, dass ich damit meiner Gesundheit eher schade – somit bin ich heute berentet. Was mich lange sehr belastet hat, waren die Blicke der anderen Menschen. Eine junge Frau mit Sauerstoffgerät, dafür scheinen viele kein Verständnis zu haben. Auch viele Freunde und Bekannte haben sich von uns abgewandt. Ich habe lange gebraucht, um das zu akzeptieren. 2016 habe ich angefangen, einen Blog im Internet zu schreiben. Ich habe mir dabei all die vielen Fragen, auf die ich keine Antworten erhalten habe, alles, was mich bedrückte, richtiggehend von der Seele geschrieben. Ich erfahre durch den Austausch mit anderen Betroffenen, dass ich mit meinem Blog genau das zum Ausdruck bringe, was andere gleichermaßen empfinden, selbst aber nicht wagen, auszusprechen. Durch den Blog hat sich eine neue Aufgabe entwickelt, ein neuer Sinn ist entstanden, der mich glücklich macht.

„Die Diagnose dauert oft sehr lange“

Weltweit gibt es schätzungsweise 8.000 seltene Krankheiten und für viele existieren noch keine Behandlungsoptionen. Das forschende Pharmaunternehmen Janssen Deutschland engagiert sich bei mehreren seltenen Krankheitsbildern und wir sprachen darüber mit der Medizinischen Direktorin im Bereich PAH, Dr. Ursula Kleine-Voßbeck.

Welche Besonderheiten birgt die Forschung an Therapien gegen seltene Krankheiten?

Um neue Medikamente zu entwickeln, sind umfassende klinische Studien notwendig. Diese sind bei der limitierten Zahl der Patient:innen sowie wenigen spezialisierten Behandlungszentren häufig sehr schwer durchzuführen und dauern entsprechend lange. Auf der anderen Seite haben die betroffenen Menschen oft eine unglaublich hohe Bereitschaft, an den Studien mitzuwirken. Sie möchten helfen, dass die eigene Erkrankung besser erforscht wird.

Vor welchen Schwierigkeiten stehen

Patient:innen mit seltenen Krankheiten?

Die Diagnose dauert oft sehr lange, weil in der Regel zunächst häufigere Krankheiten vermutet werden. Dadurch kann kostbare Zeit für die Patienten verloren gehen und sie werden in einem „kränkeren“ Zustand diagnostiziert. Bei Atemnot denken z.B. viele zuerst an Asthma und nicht an Lungenhochdruck. Dann kann es sein, dass die Behandlungszentren schwer zu finden sind oder dort Wartezeiten bestehen. Die Odyssee durch das Gesundheitssystem bis zur Diagnose kann bei Betroffenen das Vertrauen in die Medizin erschüttern und im Extremfall zur Depression führen. Manchmal finden Patient:innen in Selbsthilfegruppen Un-

terstützung, aber auch diese sind natürlich seltener als bei häufigeren Erkrankungen.

In welchen seltenen Krankheitsgebieten forscht Janssen beispielsweise?

Wir engagieren uns zum Beispiel im Bereich Lungenhochdruck und seltenen hämatologischen Erkrankungen wie Amyloidose und Morbus Waldenström.

Außerdem forschen wir an Behandlungsmöglichkeiten für einige seltene Lungenkrebsarten, der seltenen Muskelschwäche Myasthenia gravis sowie weiteren Autoimmunkrankheiten. Auch die bisher unheilbare Netzhauterkrankung Retinitis pigmentosa sowie die Farbenblindheit Achromatopsie stehen bei uns im Fokus. Der medizinische Bedarf ist bei den seltenen Krankheiten sehr groß und wir wollen für die Betroffenen einen echten Unterschied machen.

Wie will Janssen dazu beitragen, die Versorgung bei seltenen Krankheiten zu verbessern?

Neben der Forschung liegt ein wichtiger Schwerpunkt in der Aufklärung – sowohl in der Öffentlichkeit als auch gezielt bei Ärzt:innen, der Selbsthilfe sowie in der Lehre. Außerdem wollen wir die Diagnostik beschleunigen und setzen zusammen mit Partnern auf neue Technologien, die zum Beispiel Biomarker und künstliche Intelligenz nutzen.

Lungenhochdruck: Manchmal gar nicht selten

Die pulmonale arterielle Hypertonie (PAH), eine spezielle Form des Lungenhochdrucks, kommt selten vor. Allerdings tritt bei manchen Menschen die Krankheit gar nicht so selten auf – wer sind die Risikogruppen?

Ein erhöhtes PAH-Risiko haben beispielsweise Menschen mit einem angeborenen Herzfehler. Schätzungsweise entwickeln bis zu zehn Prozent der Betroffenen eine PAH – selbst Jahrzehnte nach erfolgreicher Korrektur des Herzfehlers. Außerdem sind chronische Bindegewebserkrankungen wie die systemische Sklerose mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko verbunden. Für diese Risikogruppen ist daher ein regelmäßiger Check in spezialisierten Zentren zu empfehlen.

PAH ist behandelbar

Die PAH lässt sich heute häufig langfristig gut behandeln. Je frühzeitiger im Verlauf die Krankheit erkannt wird, desto besser. „Bei fast der Hälfte der Menschen mit PAH wird die Erkrankung nicht richtig diagnostiziert. Deshalb ist es uns so wichtig, über Lungenhochdruck aufzuklären“, erläutert Dr. med. Stefanie Walther, Commercial Director Rare and Infectious Diseases bei Janssen Deutschland.

Weitere Informationen zur Krankheit, Anlaufstellen und Erfahrungsberichte bietet das Portal JanssenWithMe.de

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Dr. med.

Jessica Kaufeld

Nierenexpertin aus dem Fabry-Zentrum der Medizinischen Hochschule Hannover

Morbus Fabry –Das Chamäleon unter den seltenen Krankheiten

Bei der Erkrankung Morbus Fabry kommt es zur übermäßigen Speicherung von Stoffwechselprodukten. Im Interview erklärt Dr. med. Jessica Kaufeld, Nierenexpertin aus dem Fabry-Zentrum der Medizinischen Hochschule Hannover, warum das dazu führt, dass sich die Krankheit vielfältig wie ein Chamäleon zeigt.

Warum gilt Morbus Fabry als das Chamäleon unter den seltenen Erkrankungen?

Die erblich bedingte Speichererkrankung Morbus Fabry führt zu Störungen beim Abbau bestimmter Fette (Lipide). Insbesondere das Globotriaosylceramid (kurz Gb3) lagert sich übermäßig stark in einer Vielzahl von Organen ab. Das beeinträchtigt nach und nach deren Funktion. Je nachdem welches Organ betroffen ist, ergeben sich andere Symptome. Die Erkrankung erscheint daher so vielfältig wie ein Chamäleon.

Was passiert bei der Erkrankung im Körper?

Die Stoffwechselstörung beruht auf einem Mangel am Enzym Alpha-Galaktosidase A. Dieses sorgt normalerweise dafür, dass Fettstoffe aufgespalten und verarbeitet werden können. Morbus-Fabry-Patient*innen stellen das Enzym kaum bis gar nicht her. Dies führt unter anderem zu Herz-, Nieren- und Nervenproblemen. Daher spricht man im weiteren Verlauf auch von einer Multiorganerkrankung.

Was sind erste Anzeichen für einen Morbus Fabry?

Klassische Anzeichen sind beispielsweise Brennschmerzen in Händen und Füßen und ein spezieller Hautausschlag (stecknadelkopfgroße dunkelrot-violette Papeln). Häufig berichten Patienten von Herzproblemen wie Herzrasen, Magen-

problemen, Müdigkeit und Erschöpfung. Findet man keine gute Erklärung, sollte man an Morbus Fabry denken.

Viele Morbus-Fabry-Patient*innen leiden Jahre, bis sie endlich ihre Diagnose bekommen. Woran liegt das? Die Vielfalt möglicher Symptome ist immens und viele davon könnten durchaus auch andere Ursachen haben. Meist kommt es erst zur Diagnose, wenn sich mit Fortschreiten der Erkrankung immer mehr Beschwerden zeigen und diese ganzheitlich und von Mediziner*innen verschiedener Disziplinen gemeinsam betrachtet werden. Bei unseren Patient*innen kann der Leidensweg bis dahin im Schnitt bis zu zwölf Jahre dauern.

Wie lässt sich der Leidensweg abkürzen?

Mit Aufklärung. Denn ein früher Verdacht könnte schneller zur sicheren Diagnose und damit zur Behandlung führen. Wir wissen längst, dass der Morbus Fabry von einem Gendefekt verursacht wird und dass das veränderte Gen auf dem X-Chromosom der Geschlechtschromosomen sitzt. Deshalb könnte auch der Hinweis eines Familienmitgliedes mit Symptomen dienlich sein. Oder das Wissen einer Ärztin oder eines Arztes darüber, dass zum Beispiel der Nachweis von Eiweiß im Urin nicht nur unnormal ist, sondern ein Anzeichen für Morbus Fabry sein kann. Wer mit einem solchen

Befund bei uns im Zentrum nachfragt, sei es der*die behandelnde Arzt*Ärztin oder der*die Betroffene selbst, kann sofort mit der Hilfe und Expertise eines multidisziplinären Teams rechnen.

Wie behandeln Sie Morbus Fabry? Morbus Fabry lässt sich mit einer lebenslangen Enzymersatztherapie als Infusion behandeln. Eine alternative Therapie besteht in einer Kapsel zum Einnehmen, die die Enzymaktivität unterstützt, aber nur für spezielle Fabry-Patienten geeignet ist (sog. Chaperontherapie). Über die Indikation und die Art der Behandlung entscheidet das Fabry-Zentrum. Die Therapien haben möglicherweise auch Nebenwirkungen, die ebenfalls durch die Spezialisten überwacht werden müssen.

Was wünschen Sie Morbus-Fabry-Patient*innen für die Zukunft?

Ich wünsche mir schnellere Diagnosen und damit kürzere Leidenswege für die Patient*innen. Ganz weit oben auf meiner Wunschliste stehen zudem Therapieformen, die leichter oder seltener anzuwenden sind. Weniger Nebenwirkungen sind ebenso wünschenswert. Voller Hoffnung schaue ich derzeit auf die Arbeit der Kolleg*innen in der Forschung, denn neue Methoden in der Diagnostik und den Therapien für Morbus Fabry sind schon in der klinischen Erprobung.

Morbus Fabry Selbsthilfegruppe e. V. – Zusammen stärker!

An Morbus Fabry sind in ganz Deutschland etwa 1.200 Menschen erkrankt, mit einer hohen Dunkelziffer. Es ist eine Erbkrankheit, die zu Beginn sehr unspezifische Auswirkungen hat: Schmerzen in den Gelenken, Flecken auf der Haut oder extreme Müdigkeit. So wird die Krankheit häufig erst festgestellt, wenn sie schon große Schäden angerichtet hat: starke Nierenschädigung, Schlaganfall in jungen Jahren oder extreme Vergrößerung des Herzmuskels. Unbehandelt sterben Patienten rund 25 Jahre früher.

Seit 20 Jahren gibt es für Patienten mit Morbus Fabry wirkungsvolle Therapien, die die Erkrankung stoppen oder verlangsamen. Je früher sie erkannt wird, umso geringer sind die bleibenden Schäden. Doch gibt es nur wenige gute Behandlungszentren für diese seltene Erkrankung. Es ist wichtig, dass wir als Gruppe von betroffenen Patienten sichtbarer werden, uns gegenseitig mit Informationen über Kliniken und neue Therapieansätze versorgen –auch im persönlichen Austausch. Mit 120 Mitgliedern versucht die Morbus Fabry Selbsthilfegruppe (MFSH) unter anderem, in der Politik und in der Forschung auf dieses Krankheitsbild aufmerksam zu machen. Informieren Sie sich weiter unter: www.fabry-shg.org

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Text Doreen Brumme

Wenn die Diagnose 18 Jahre dauert

Ein Gespräch mit Conny Rudolph, Morbus-Fabry-Patientin, über die jahrelange Odyssee bis zur Diagnose ihrer seltenen Erkrankung und ein neues Leben mit der Therapie.

Sie sind Morbus-Fabry-Patientin und haben einen langen Weg gehen müssen, bis Sie die Diagnose erhalten haben. Wann sind die ersten Beschwerden aufgetreten und wann wurde letztlich die Diagnose gestellt?

Ich habe die Krankheit wohl seit meiner Kindheit. Die Diagnose habe ich allerdings erst im Dezember 2017 erhalten. Als Kind litt ich unter Schmerzen, bei Hitze konnte ich nicht am Sport teilnehmen. Ärzte und Eltern haben es auf das Wachstum geschoben. Mit Anfang 20 kamen Migräne und Schmerzkrisen an Händen und Füßen hinzu. 2003 hatte ich einen Schlaganfall, der zu spät erkannt wurde. Man diagnostizierte eine psychogene Lähmung, mit der aber niemand etwas anfangen konnte. Dann wurden die Schmerzen immer schlimmer. Schmerzmittel halfen nicht.

Die Odyssee ging weiter: Man diagnostizierte eine Ablösung der Netzhaut an meinem Auge, korrigierte den Befund aber wieder. 2015 war der berufliche und private Stress so groß, dass ich wegen meiner Depression mit Medikamenten behandelt wurde. Allerdings merkte ich, dass die Antidepressiva meine Schmerzen minderten. An dieser Stelle wurde meine Neurologin hellhörig. Daraufhin diagnostizierten Ärzte jedoch bei den folgenden Untersuchungen fälschlicherweise erst MS und dann vaskuläre Demenz. Meine Erkrankung war für keinen Arzt greifbar. Irgendwann entschied sich meine Neurologin für eine Genomuntersuchung. Eines Tages, an einem Donnerstagnachmittag rief sie mich an und fragte, ob ich sitze. Sie teilte mir nach 18 Jahren meine Diagnose mit. Ich habe Morbus Fabry.

Wie ging es nach der Diagnose weiter und wo haben Sie Hilfe gefunden?

Leider hörte die Odyssee nicht auf: Ich musste ein halbes Jahr auf einen Termin in einem medizinischen Zentrum warten. Dort teilten die Ärzte mir mit, dass mein Morbus Fabry angeblich nicht krankheitsrelevant sei. Das war für mich völlig absurd, denn meine sehr zahlreichen Symptome waren ja offensichtlich. Bei einem MRT hatte sich inzwischen herausgestellt, dass ich wohl in der Vergangenheit mehrere Schlagan -

fälle und damit Zellschädigungen im Gehirn gehabt hatte, ohne dies zu bemerken. Dennoch gab man mir keine Behandlung. An diesem Punkt war ich komplett verzweifelt. Ich wollte nichts mehr mit Ärzten zu tun haben. Hinzu kam die für mich anstrengende Anfahrt und Wartezeit vor Ort. 2019 schlug mir meine Neurologin einen zweiten Versuch in einem Zentrum in Dresden vor. Anfang 2020 untersuchte man dort gefühlt jede meiner Zellen. Die Ärzte nahmen auch meine Hautauffälligkeiten ernst, genauso wie meine inzwischen verdickte Herzwand. Aufgrund der Corona-Pandemie konnte jedoch meine Infusionstherapie nicht starten. Im Juli 2020 wurde ich dann endlich behandelt, sechsmal in der Klinik alle 14 Tage. Seit Oktober 2020 therapieren mich Krankenschwestern bei mir zu Hause. Das lässt sich natürlich leichter in meinen Alltag integrieren. Diese Therapie mit Medikamenten erhalte ich nun ein Leben lang.

Wie sieht Ihr Leben nun aus und welche Rolle spielt Ihre Erkrankung im Alltag?

Ich bin äußerst zufrieden. Der Umgang mit meinen Schmerzen ist um Welten besser. Seit vielen Jahren kann ich endlich richtig schlafen. Das bisherige Schlafdefizit hatte Unausgeglichenheit, Unkonzentriertheit und Vergesslichkeit zur Folge. Jeder Stress im Beruf war vorher ein weiterer Trigger für Schmerzen. Jetzt kann ich auch bei meiner Tätigkeit als Sachbearbeiterin mehr Ruhe ausstrahlen.

Was würden Sie anderen Betroffenen gern mit auf den Weg geben?

Typische Tipps wie Arztwechsel oder mehr Informationen waren in Ihrem Fall ja nicht hilfreich. Man sollte sich unbedingt einen Anker suchen, der einen aufrichtet. Man muss sich trauen, den Arzt zu wechseln, wenn der einen nicht versteht. Es ist heute natürlich schwer, weil Ärzte terminlich überlastet sind. Auch bei undefinierten Symptomen sollte man nicht die Hoffnung aufgeben. Zentren für seltene Erkrankungen sind sehr interessiert und hilfreich. Leider sind sie vor allem in großen Städten zu finden. Es lohnt sich dennoch, einen langen Anfahrweg für den richtigen Ansprechpartner in Kauf zu nehmen.

Morbus Fabry in der Familie?

Informationen für Betroffene und deren Angehörige

Morbus Fabry ist eine genetische Erkrankung, die über mehrere Generationen einer Familie vererbt werden kann. Das heißt: Wenn eine Person in einer Familie die Diagnose Morbus Fabry hat, können andere Familienangehörige ebenfalls betroffen sein. [1] Eine ausführliche Analyse des Familienstammbaums ist daher sehr wichtig für Betroffene und deren Angehörige.

Ich bin betroffen – Was nun?

Ist die Diagnose Morbus Fabry gestellt, dann ist es für Betroffene wichtig zu wissen, was die eigene Diagnose für Familienangehörige bedeuten kann und wer aufgrund des Vererbungsmusters ein erhöhtes Risiko für Morbus Fabry hat. Hier kommt die neue Website www.fabryfamilytree.de ins Spiel, die Betroffenen umfassende Informationen und Hilfestellungen an die Hand geben möchte. Dazu gehören grundlegenden Informationen, wie die Erkrankung vererbt wird und wer in der Familie ein erhöhtes Risiko

hat. Über ein Online Stammbaumtool kann man zusammen mit seinem behandelnden Arzt seinen individuellen Fabry-Stammbaum erstellen und für die persönliche Nutzung herunterladen, um Angehörige mit erhöhtem Fabry-Risiko gezielt informieren zu können. Die Daten werden streng vertraulich behandelt. Die Website gibt professionelle Hilfestellung, wie man Angehörige mit erhöhtem Risiko dann darauf ansprechen und sie aufklären kann. Dazu gehört auch eine Briefvorlage, die man nutzen kann, wenn eine direkte Ansprache sich schwierig gestalten sollte.

Informationen für Familienangehörige mit erhöhtem Fabry Risiko Auf der Website gibt es aber auch für Angehörige von Morbus Fabry-Patienten detaillierte Informationen, die dabei helfen sollen, die Erkrankung zu verstehen und warum sie selbst ein erhöhtes Risiko haben. Dabei ist eines sehr wichtig: ein erhöhtes Risiko be -

deutet nicht zwangsläufig, dass man tatsächlich auch betroffen ist. Daher sollten Angehörige, die laut Stammbaum ein erhöhtes Risiko haben, unbedingt einen Arzt ansprechen und eine genetische Analyse durchführen lassen. Das kann der eigene Hausarzt oder aber der Fabry-Spezialist des betroffenen Angehörigen sein.

Informationen für das Fachpersonal

Aber auch medizinisches Fachpersonal findet auf der Website Materialien und Hilfestellungen, wenn es darum geht, Fabry-Patienten oder deren Angehörige zu beraten und aufzuklären. Dazu gehört ebenfalls die Nutzung des Online Stammbaum-Tools in Zusammenarbeit mit dem Patienten, sowie weitere Broschüren, die beim Familienscreening unterstützen sollen.

Informieren Sie sich unter www.fabryfamilytree.de

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[1] GERMAIN DP. ORPHANET J RARE DIS. 2010; 5:30
NP/GAL/001/190/DE02-22
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Nicht-dystrophe Myotonien –Wenn Muskelentspannung ein Problem ist

Die Nicht-dystrophen Myotonien (NDM) sind seltene Erkrankungen. Von der Erbkrankheit Betroffene, in Deutschland sind rund 2.000 Fälle diagnostiziert, können ihre Muskeln nicht sofort wieder entspannen, wenn sie sie zum Bewegen angespannt hatten. Vielmehr blockiert die Muskulatur – je nach Ausprägung der NDM mal mehr, mal weniger stark, sodass die Beweglichkeit und damit auch die Lebensqualität leidet. Dr. Rudolf Andre Kley hat sich unter anderem auf neuromuskuläre Erkrankungen wie NDM spezialisiert. Im Interview erklärt er die Krankheitsursache, ihren typischen Verlauf und bewährte Therapien.

Dr. Kley, Sie behandeln unter anderem NDM-Patient*innen. Was ist die Herausforderung für Ärzt*innen beim Diagnostizieren von NDM-Erkrankungen?

Das ist ganz klar ihre Seltenheit. Die meisten Ärzt*innen haben noch nie eine Patientin oder einen Patienten mit NDM gesehen und wissen leider noch zu wenig darüber, sodass sich die Diagnosestellung verzögern kann. Zudem gibt es hinsichtlich der Beschwerden Überschneidungen mit anderen, viel häufiger vorkommenden Erkrankungen. Die Herausforderung ist also, trotzdem daran zu denken. Besteht erst einmal ein Verdacht auf NDM, lässt sich dieser meist schnell und sicher bestätigen oder widerlegen.

Zum Beispiel mit klinischen Tests, mit der Elektromyografie (EMG) oder mit genetischen Untersuchungen. Am einfachsten ist es, die Patient*innen hierfür an einem Neuromuskulären Zentrum vorzustellen.

Mit welchen Beschwerden kommen NDM-Patient*innen zu Ihnen?

Die meisten klagen über eine muskuläre Steifigkeit, die sie im Alltag beeinträchtigt. Sie können zum Beispiel bei einem Händedruck eine Hand und beim Türöffnen die Klinke nicht sofort wieder loslassen oder erklimmen die

Stufen einer Leiter nur verzögert. Häufig wird die Muskelsteifigkeit durch Kälte deutlich verschlimmert und geht mit Schmerzen einher. Manchmal kommt es auch zu einer zeitweisen (bis zu mehreren Stunden andauernden) Muskelschwäche. Mitunter leiden die Betroffenen zudem an einem Erschöpfungssyndrom, dieses steht jedoch ebenso wie die Schmerzen nur selten im Vordergrund. Erste Beschwerden setzen in der Regel schon in der Kindheit ein. Sie fallen zum Beispiel beim Schulsport auf, wo Betroffene, die Eltern oder Lehrkräfte erkennen, dass Bewegungen nicht so klappen, wie sie sollten.

Was passiert im Körper Betroffener, wie wirkt die Erkrankung dort konkret?

Bei Betroffenen sind spannungsabhängige Ionenkanäle in den Zellmembranen der Skelettmuskulatur mutiert, sodass es zu Fehlfunktionen oder gar einem Funktionsausfall kommt. Infolgedessen kommt es zu Erregungsstörungen der Muskeln. Man unterscheidet dabei Erkrankungen mit Störung eines Chloridkanals, die häufiger bei Männern als bei Frauen zu Symptomen führen, von den seltener vorkommenden Störungen eines Natriumkanals.

Wie behandeln Sie NDM?

Es gibt ein zugelassenes Medikament in Tablettenform, das sich zur symptomatischen Behandlung von NDM gut bewährt hat. Es bringt den Patient*innen zumeist eine schnell spürbare Linderung ihrer Beschwerden. Manche merken erst unter der Therapie, wie eingeschränkt sie vorher durch die Muskelsteifigkeit waren. Auch der Begriff Jungbrunnen fiel schon mal im Hinblick auf die medikamentöse Behandlung.

Welche begleitenden Maßnahmen können Betroffenen zusätzlich zur medikamentösen Therapie helfen?

Die Patient*innen sollten nach Möglichkeit plötzliche starke Muskelanspannungen vermeiden. In leichter Bewegung zu bleiben, kann hingegen helfen. Denn viele Patient*innen kennen den Warm-up-Effekt: Die Muskeln zeigen sich weniger steif, wenn sie in Bewegung und damit „warm“ bleiben. Bei Patient*innen mit einer kaliumsensitiven Myotonie (PAM) erweist sich auch eine kaliumarme Ernährungsweise mitunter als hilfreich.

Wichtig: Stark ausgeprägte NDM können psychisch belasten, insbesondere dann, wenn die gestörte Mobilität den Alltag funktional oder sozial beeinträchtigt. In diesem Fall sollten sich die Betroffenen bei Therapeut*innen Hilfe holen.

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Text Doreen Brumme FOTO: SHUTTERSTOCK

„Ich versuche, so normal wie möglich zu leben“

Bei den nicht-dystrophen Myotonien handelt es sich um seltene, genetisch bedingte Erkrankungen mit Funktionsbeeinträchtigungen von muskulären Ionenkanälen. Das charakteristische Symptom ist die Muskelsteifheit, verursacht durch eine Störung der Muskelrelaxation, was die Lebensqualität der Betroffenen negativ beeinflussen kann. Im Interview spricht NDM-Patientin Lilly Stenkamp über ihr Leben mit der Erkrankung.

Frau Stenkamp, Sie sind von einer nicht-dystrophen Myotonie betroffen. Wann traten bei Ihnen erste Beschwerden auf und wie sahen diese aus? Von Erzählungen meiner Mutter weiß ich, dass es schon Auffälligkeiten gab, als ich noch ein kleines Kind war. Ich bin öfters beim Laufen oder Rollerfahren gestürzt. Anfangs wurde vermutet, dass ein Bein kürzer sei als das andere. Doch die Beschwerden begleiteten mich weiterhin. In der weiterführenden Schule bin ich zum Beispiel im Sportunterricht einfach hingefallen – mein Bein ließ sich nicht so schnell nachziehen, um den nächsten Schritt zu machen. Dass es sich dabei um eine Muskelsteifheit handelt, verursacht durch eine Störung der Muskelrelaxation, wusste damals niemand.

Wie lange hat es vom Auftreten der ersten Symptome bis zur Diagnose gedauert und wer hat letztendlich die Diagnose gestellt?

Da die Muskelerkrankung vererbt wird, habe ich sie seit dem Kindesalter. Nur damals wusste das eben niemand. Ende 2018 war ich wegen meiner Migräne bei einem Neurologen in Behandlung. Nebenbei habe ich

ihm das mit den Verkrampfungen erzählt. Er hat mich aufgeklärt, was es sein könnte, und hat anschließend eine Untersuchung durchgeführt. Diese war positiv und ich wurde in die Neurologie ins Krankenhaus zu Prof. Dr. Kley geschickt. Seitdem bin ich bei ihm in Behandlung. Im Oktober 2019 hatten wir den genauen Befund und wussten auch, welches Gen betroffen ist.

Wie sieht Ihr Alltag mit der Erkrankung aus? Eigentlich habe ich einen normalen Alltag. Kritisch wird es, wenn mir kalt ist oder ich Stress habe. Beanspruche ich meine Muskeln durch schwere Arbeit oder Sport, dann merke ich, wie ich bei jeder nachfolgenden Bewegung verkrampfe. Ich bin dann schon sehr eingeschränkt, meine Bewegungen werden sehr langsam. Die Anspannung eines Muskels klappt dann zwar problemlos, die Entspannung jedoch nicht. Um meine Faust zu öffnen, brauche ich einige Sekunden länger – auch wenn ich dagegen ankämpfe. Zwei Faktoren, die mich bei meinen Bewegungen stark einschränken, sind Kälte und Adrenalin. Es lässt sich aber natürlich nicht immer vermeiden, in solche Situationen zu kommen.

Wie wird Ihre Erkrankung behandelt?

Ich habe ein Medikament bekommen, das sich positiv auf NDM-Patienten ausgewirkt hat. Andere Behandlungsmethoden gibt es zu dieser Krankheit nicht. Man lebt einfach damit, lernt, sich selbst einzuschätzen, und versucht, Dinge zu vermeiden, die sich negativ auf die Muskeln auswirken.

Welche zusätzlichen Maßnahmen oder Hilfsmittel helfen Ihnen dabei, die NDM in Schach zu halten?

Ich versuche, Kälte zu meiden, heize meine Wohnung im Winter stark auf und ziehe mich warm an. Auch versuche ich, Stress zu umgehen, was nicht immer leicht ist. Mein emotionaler Zustand wirkt sich ebenfalls auf die Muskeln aus. Manchmal reicht schon ein Gedanke, der mir Angst macht, und schon merke ich, dass ich verkrampfter in den Muskeln geworden bin. Zudem versuche ich, schwere körperliche Arbeit zu meiden, und gehe Dinge langsamer an, um eine Verkrampfung des beanspruchten Muskels zu vermeiden.

21 Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de ANZEIGE Anzeige Hormosan 248x123 RZ Pfade.indd 1 29.11.2021 13:59:56 Text Paul Howe
FOTO: PFRIVAT
Lilly Stenkamp versucht, ihren Alltag so normal wie möglich zu gestalten.
„Ein unbehandeltes

Cushing-

Syndrom verläuft sehr häufig tödlich“

Das Cushing-Syndrom gehört zu den seltenen endokrinologischen Erkrankungen und wird im Schnitt erst drei Jahre nach Auftreten der ersten Symptome diagnostiziert. Das Warten auf die richtige Diagnose, verbunden mit den durch die Erkrankung ausgelösten Beschwerden, kann eine große Belastung für Betroffene sein. Wir sprachen mit Dr. med. Leah Braun, die unter anderem Cushing-Patient*innen behandelt.

Frau Dr. Braun, was sind die Schwierigkeiten bei der Diagnosefindung und wo liegen die Verwechslungsgefahren mit anderen Erkrankungen?

Es gibt verschiedene Schwierigkeiten bei der Diagnosestellung. Einerseits ist die Erkrankung so ungewöhnlich, dass selten an ihr Vorliegen gedacht wird. Im Schnitt werden in Deutschland nur ungefähr 100 Patienten pro Jahr neu diagnostiziert. Zudem beginnt die Erkrankung oft schleichend mit wenigen Symptomen und das typische klinische Vollbild der Erkrankung entwickelt sich häufig erst sehr spät im Krankheitsverlauf. Sehr viele Symptome überschneiden sich mit anderen Erkrankungen wie dem metabolischen Syndrom, einer Depression oder einem polyzystischen Ovar-Syndrom. Dadurch kommt es leicht zu Fehldiagnosen oder verspäteten Diagnosen. Auch die Labordiagnostik ist herausfordernd, da die Erkrankung durch erhöhte Cortisolwerte definiert ist. Nun gibt es aber auch viele andere Erkrankungen oder Situationen, die zu hohen Cortisolwerten führen können. Daher sollten Patienten zur Abklärung hoher Cortisolwerte in ein hierauf spezialisiertes Zentrum gehen.

Welche Symptome belasten Betroffene bis zur Diagnose und dem Start der Therapie am meisten?

Dies kann ganz unterschiedlich sein. Belastend sind natürlich einerseits die vielen körperlichen Stigmata, die mit der Erkrankung einhergehen können. Dazu zählen beispielsweise eine Gewichtszunahme im Bereich des Bauches, Akne, verstärktes Haarwachstum an ungewöhnlichen Stellen – der sogenannte Hirsutismus –, Hämatome, eine Rötung des Gesichts, was als Plethora bezeichnet wird, und die klassischen lividen Striae, welche an Bauch und Beinen auftreten. Daneben entwickeln viele Patienten aber auch eine Myopathie, also eine Muskelschwäche, die Betroffene im Alltag einschränkt, oder eine Osteoporose, die zu schmerzhaften Wirbelkörperfrakturen führen kann. Die allermeisten Patienten leiden zudem unter Depressionen und Schlafstörungen, aber auch Angststörungen und eine verminderte kognitive Leistungsfähigkeit treten vermehrt auf. Neben all diesen sowieso schon belastenden Symptomen führt der häufig lange Krankheitsweg – im Schnitt konsultieren die Patienten mehr als vier Ärzte, bevor die Diagnose gestellt wird – zu einer zusätzlichen Belastung.

Das Cushing-Syndrom ist glücklicherweise gut behandelbar. Wie können sich die verfügbaren Therapien positiv auf das Leben Betroffener auswirken?

Ein unbehandeltes Cushing-Syndrom verläuft sehr häufig tödlich, Patienten mit unbehandeltem Cushing-Syndrom versterben meist an kardiovaskulären Ereignissen wie Schlaganfällen oder Herzinfarkten oder an Infektionen. Die Langzeitprognose der Patienten bessert sich durch eine effektive Therapie enorm. Deshalb ist eine rasche und effektive Behandlung essenziell. Es gibt

verschiedene Unterformen des Cushing-Syndroms, aber alle werden in erster Linie operativ behandelt. Nach der Operation kommt es häufig zu einem schnellen Gewichtsverlust und zu einer raschen Besserung von metabolischen Komplikationen. Dies bedeutet, wenn die Patienten unter einem Bluthochdruck oder einem Diabetes leiden, dann bessern sich beide Krankheitsbilder häufig sehr schnell. Viele Patienten benötigen nach einer Therapie zum Beispiel deutlich weniger Blutdruckmedikamente.

Gibt es auch belastende Aspekte der Therapie?

Ja, denn bei der häufigsten Form des Cushing-Syndroms, dem sogenannten Morbus

Wenn die Diagnose gestellt ist, kann schnell mit einer Behandlung begonnen werden, um Betroffene in Remission zu führen. Gibt es auch in dieser Remissionsphase belastende Aspekte? Auch hier gibt es viele belastende Aspekte, die häufig aber wenig im Fokus stehen. Das eigentliche Problem der Therapie ist der sogenannte Glukokortikoidentzug: Das Cushing-Syndrom führt ja, wie gesagt, zu sehr hohen Cortisolwerten. Nach der Therapie leiden die Patienten unter dem Gegenteil, einem Cortisolmangel. Dies bezeichnet man als Nebenniereninsuffizienz. Dieser rasche Wechsel von erst sehr hohen Cortisolwerten zu sehr niedrigen Cortisolwerten kann mit einer Reihe von

Patienten mit unbehandeltem Cushing-Syndrom versterben meist an kardiovaskulären Ereignissen wie Schlaganfällen oder Herzinfarkten oder an Infektionen. Die Langzeitprognose der Patienten bessert sich durch eine effektive Therapie enorm.

Cushing, wird eine Operation an der Hypophyse (Hirnanhangsdrüse) durchgeführt. Die Hypophyse produziert zahlreiche Hormone, die für das tägliche Leben wichtig sind. Durch die Operation kann es zu Schäden an der Hypophyse kommen. Falls eine Operation nicht möglich ist oder nicht erfolgreich war, kann das Cushing-Syndrom auch medikamentös behandelt werden. Die verschiedenen Medikamente führen zu einer Senkung des Cortisolspiegels, wodurch sich die körperlichen Begleiterscheinungen bessern. Natürlich haben diese Medikamente aber auch Nebenwirkungen. Diese unterscheiden sich von Präparat zu Präparat. Einige Nebenwirkungen vergehen nach einer Gewöhnungsphase, während andere persistieren können. Für einige Patienten, welche einen Morbus Cushing haben, kann auch eine Strahlentherapie infrage kommen. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass der Effekt der Strahlentherapie oft erst ein bis zwei Jahre nach Behandlung eintritt. Diese Wartezeit kann belastend sein. In der Regel wird die Strahlentherapie daher nur in Kombination mit einer medikamentösen Therapie durchgeführt.

Problemen einhergehen: vermehrtem Schlafbedürfnis, Gelenk- und Muskelschmerzen und einer depressiven Stimmungslage. Häufig geht es den Patienten also in den ersten Monaten nach der Operation erst mal subjektiv schlechter, bevor sie sich langsam erholen. Dies ist insofern problematisch, als das Glukokortikoidentzugssyndrom nicht sehr bekannt ist und Patienten daher häufig nicht darauf vorbereitet werden. Viele Betroffene profitieren von Schulungsprogrammen zum Umgang mit der Nebenniereninsuffizienz, von einer engmaschigen Betreuung, gegebenenfalls auch von einer Rehabilitation und leichtem körperlichem Training.

Zudem gibt es bei einigen Formen des Cushing-Syndroms ein Rückfallrisiko. Alle Patienten mit Cushing-Syndrom sollten daher lebenslang in ein Nachsorgeprogramm aufgenommen werden und einmal jährlich untersucht werden. Hierbei werden dann regelmäßig die Cortisolwerte gemessen, um einen Rückfall, ein Rezidiv, frühzeitig zu diagnostizieren.

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klinikum
Dr. med. Leah Braun Assistenzärztin der Medizinischen Klinik und Poliklinik IV am Universitäts-
München

„Wenn Sie Cushing hätten, würden Sie auch wie ein Cushing aussehen!“

Lars Rößler war vom Cushing-Syndrom betroffen und musste einige Hürden nehmen, bevor er die richtige Diagnose erhalten hat. Warum seine Erkrankung ihn trotz der notwendigen OP ein Leben lang begleiten wird, erzählt er uns im Interview.

Der Schock, knapp an einer Querschnittslähmung vorbeigeschrammt zu sein und gleichzeitig zu erfahren, dass man möglicherweise eine schwere Krankheit hatte, von der man nichts ahnte, war erheblich.

Herr Rößler, Sie waren betroffen vom Cushing-Syndrom. Wie lange hat es bei Ihnen vom ersten Auftreten der Beschwerden bis zur Diagnose gedauert? Gab es Fehldiagnosen und, wenn ja, welche?

Ab einem Alter von ziemlich genau 40 Jahren zeigten sich bei mir einige Auffälligkeiten, die ich allenfalls registrierte, ohne mir große Sorgen zu machen: leichter Muskelschwund, Neigung zu Blutergüssen, Atemaussetzer im Schlaf, später dann Bluthochdruck und eine erhöhte Infektanfälligkeit. Äußerliche Veränderungen vor allem im Gesicht fielen mir selbst und anderen erst sehr viel später beim Betrachten alter Fotos auf. Manches sprach ich durchaus auch mal bei meinem Hausarzt an, der dazu nachsichtig lächelnd meinte: „Ja, ja, wir werden alle älter …“ Der Ernst der Lage wurde mir und allen anderen schlagartig und recht dramatisch bewusst, als mir mit 47 infolge eines Hebetraumas ein Lendenwirbel brach und in der Klinik Osteoporose diagnostiziert wurde. Bei der Ursachensuche konnte auch der Endokrinologe nicht gleich eine mögliche Primärerkrankung feststellen, allerdings machte ich selbst mich gleich mit den erhaltenen Blutwerten an die Internetrecherche. Obwohl längst nicht alle Symptome bei mir zutrafen, hatte ich gleich ein mulmiges Gefühl, als ich auf eine mir bis dahin unbekannte Erkrankung namens Morbus Cushing stieß. Als ich meinen Hausarzt darauf ansprach, schien dieser amüsiert und meinte: „Wenn Sie Cushing hätten, würden Sie auch wie ein Cushing aussehen.“ In der Tat konnte von der meist zu beobachtenden Stammfettsucht keine Rede sein, trotzdem wiesen weitere Tests des Endokrinologen darauf hin. Eine erste Bildgebung des Kopfes war zwar unauffällig, sodass die Diagnosefindung erst einmal weiterging, aber ein zweites MRT machte dann doch ein vier Millimeter großes Hypophysenadenom sichtbar.

Was war für Sie auf dem Weg zur Diagnose am belastendsten?

Der Schock, knapp an einer Querschnittslähmung vorbeigeschrammt zu sein und gleichzeitig zu erfahren, dass man möglicherweise eine schwere Krankheit hatte, von der man nichts ahnte, war erheblich. In den Wochen danach rauchte mir zeitweise der Kopf vor lauter Recherchen und Grübeleien. Und dann zog sich die Diagnose nach dem Bruch ja über zehn Monate hin, bis wir Klarheit hatten. In dieser Zeit standen durchaus auch mal andere Möglichkeiten im Raum. So wurde mir recht mulmig, als ich in meinem Laborblatt sah, dass auch Tumormarker getestet wurden.

Was hat sich nach Diagnosestellung und Therapiebeginn verbessert? Gab es auch belastende Aspekte der Therapie für Sie?

Auf der einen Seite war ich froh, nun endlich Klarheit zu haben. Jedoch besteht die Therapie bei dieser Art Erkrankung ja nun mal aus einer nicht ungefährlichen Operation im Kopf. Leider war ich schlecht beraten, was die Wahl der Neurochirurgie betraf. Und auf den OP-Termin musste ich infolge dauernder Verschiebungen nochmals ein halbes Jahr warten. Da war ich dann mit den Nerven am Ende und wollte nur noch, dass das Ding endlich rauskam. Leider gab es gleich mehrere erhebliche Komplikationen in den Tagen und Wochen nach der OP. Fehler bei der Nachsorge bescherten mir eine schwere Nebennierenkrise, vor allem aber kam ich wenige Tage nach Entlassung mit einer schweren Meningitis in die Klinik zurück. Insofern hatte die Therapie für mich nicht nur belastende

Aspekte – sie war von vorne bis hinten ein Horror! Sie befinden sich in Remission, d.h. die Symptome der Erkrankung sind abgeschwächt bzw. zurückgedrängt. Gibt es für Sie auch in Remission belastende Aspekte, oder überwiegen die positiven Faktoren?

In den Veröffentlichungen, die es zu dieser Krankheit gibt, wie auch in den Erläuterungen der meisten Ärzte wird oft der Eindruck erweckt, mit der Operation sei nach jahrelangem Leiden dann alles gut. In meinem Fall waren die Symptome ja nicht sehr belastend, deswegen habe ich den Einschnitt infolge des Bruchs und dann infolge der Operation natürlich als regelrechten Absturz erlebt. Zwar hatte die OP den erwünschten Erfolg: Mein Blutdruck war sofort danach optimal, die Knochendichte verbesserte sich allmählich, Atemaussetzer im Schlaf gab es auch keine mehr. Aber alleine die hormonelle Umstellung war eine Tortur – acht Monate höllische Gelenkschmerzen, morgendliche Übelkeit, anfallartige Schwächezustände, um nur einige Beispiele zu nennen. Und da meine Nebennieren, die viele Jahre viel zu viel Cortisol produziert haben, nach der Operation zwei Jahre so gut wie gar nicht und heute, nach fünfeinhalb Jahren, nur unzureichend arbeiten, muss ich weiterhin Hydrocortison einnehmen, mein Stresslevel im Auge behalten und bin insgesamt sehr viel weniger belastbar geworden. Die Macht der Hormone habe ich in den letzten Jahren jedenfalls zur Genüge kennengelernt – so haben auch meine kognitiven Fähigkeiten (z.B. Kurzzeitgedächtnis und Multitasking) deutlich nachgelassen. Zur Operation gab es trotzdem keine Alternative, nur wüsste ich heute besser als damals, wohin ich mich wenden müsste.

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0-22-02-1 Stand Feb. 2022 ANZEIGE

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