Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de
SELTENE ERKRANKUNGEN


Die Waisen der Medizin
Ein Leben mit Zwangspausen
Gerlinde Brück ist betroffen von einer paradoxen Myotonie und spricht über ihr Leben mit dieser seltenen neurologischen Erkrankung.
NICHT VERPASSEN:
Polycythaemia vera Blutkrebs mit 24: Wie die Diagnose PV Martinas Leben von heute auf morgen komplett veränderte
Seite 10
Sichelzellkrankheit
Eine Herausforderung für das deutsche Gesundheitssystem
Seite 14
GIST
Kai Pilgermann über sein Leben mit dieser seltenen Krebserkrankung
VERANTWORTLICH FÜR DEN INHALT IN DIESER AUSGABE
Miriam Hähnel
"Vier Millionen Menschen in Deutschland haben eine Seltene Erkrankung. Schenken Sie ihnen Gehör!"

IN DIESER AUSGABE

13
Dem Tod näher als dem Leben Dimitra hat EGPA und erzählt von ihrem Leben mit der Erkrankung.
16
Die Belastungen sind allgegenwärtig
Menschen mit Seltenen Erkrankungen trifft die aktuelle weltpolitische und wirtschaftliche Lage besonders hart.

Eva Luise Köhler Schirmherrin der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) e. V.

Was ist mit unserem Kind?
Die Diagnose PFIC stellte das Leben von Familie Minich auf den Kopf.
Director Business Development Health: Miriam Hähnel Geschäftsführung:
Richard Båge (CEO), Philipp Colaço (Managing Director), Alexandra Lassas (Head of Editorial & Production), Henriette Schröder (Sales Director) Designer: Juraj Príkopa
Mediaplanet-Kontakt: de.redaktion@ mediaplanet.com Coverbild: Privat
Alle Artikel, die mit “in Zusammenarbeit mit“ gekennzeichnet sind, sind keine neutrale Redaktion der Mediaplanet Verlag Deutschland GmbH
facebook.com/
MediaplanetStoriesNorge
@Mediaplanet_germany
Please recycle
Fragen wir Menschen mit chronischen Seltenen Erkrankungen, was ihr sehnlichster Wunsch ist, lautet die Antwort umgehend: Mehr Forschung für Therapien, die meinem Kind, meinem Partner oder mir ein schmerzfreies und längeres Leben, gar Heilungschancen ermöglichen. Oder die zumindest Erleichterung im täglichen Leben bringen. Denn schauen wir genau hin, hören zu, sprechen miteinander, wird deutlich, welche enormen Herausforderungen Betroffene im Alltag meistern müssen. Sei es, weil sie ihre Erkrankung immer neu erklären und bei Behörden für eine adäquate Versorgung kämpfen müssen, weil Inklusion an Bildungseinrichtungen nicht so klappt, wie es wünschenswert und vor allem notwendig wäre, oder weil sie zu dem großen Teil derjenigen gehören, die ihre Angehörigen zu Hause pflegen und umsorgen.
Die Auswirkungen der aktuellen weltpolitischen und wirtschaftlichen Lage treffen diejenigen besonders hart, die sowieso schon zu den vulnerablen Gruppen in unserer Gesellschaft gehören und aufgrund einer chronischen Erkrankung oft über geringere Einkommen verfügen beziehungsweise höhere Ausgaben stemmen müssen. Auch die Corona-Pandemie hat deutliche Spuren hinterlassen, die Belastungen sind weiterhin allgegenwärtig. Erst kürzlich berichtete ein Vater aus dem Netzwerk der Allianz Chronischer Seltener Krankheiten (ACHSE) e. V., wie sehr die Pandemie noch immer den Alltag der Familie bestimmt: Zum Schutz der
kleinen Tochter, die an einer Neurodegeneration mit Eisenablagerung im Gehirn leidet, isolieren sie sich weiterhin, denn die Folgen einer Infektion sind wie bei vielen Seltenen Erkrankungen nicht abschätzbar. Das zehrt an den Nerven und raubt Kraft. Betreuungspersonen, die für Entlastung sorgen könnten, fallen immer wieder aus.
Diese besonderen Belastungen in der Versorgungssituation von Menschen mit Seltenen Erkrankungen während der Covid-19-Pandemie untersucht gerade ein Team vom Universitätsklinikum Hamburg, unterstützt von der ACHSE in einer wissenschaftlichen Befragung. Die Eva Luise und Horst Köhler Stiftung für Menschen mit Seltenen Erkrankungen hat das Forschungsprojekt ausgeschrieben und finanziert es, um Versorgungslücken zu identifizieren und wissenschaftlich fundiert konkrete Hinweise für eine Verbesserung zu erarbeiten. Unser Ziel sind Strukturen, die umfassend sind und langfristig greifen.
Und was greift im Alltag? Ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte, das Betroffene und Angehörige auch bei der Beratung der ACHSE finden. Sie steht ratsuchenden Menschen zur Seite und bietet konkrete Hilfestellung. Dabei kann sie auf ihr Netz aus über 130 Selbsthilfeorganisationen und deren krankheitsspezifisches Wissen bauen. Die Selbsthilfe ist eine wesentliche Säule in unserer Gesellschaft. Sie verdient Anerkennung, Aufmerksamkeit und bedarf unserer Unterstützung.
Seltene Erkrankungen – Die Herausforderungen für Betroffene mehren sich

Nina Steinborn Rehabilitationswissenschaftlerin, ACHSE-Beraterin für Betroffene und Angehörige
Menschen mit Seltenen Erkrankungen hatten durch die Pandemie zusätzliche Herausforderungen zu bewältigen. Hat sich die Lage normalisiert?
in der hiesigen gesundheitsspezifischen Versorgungslandschaft nicht orientieren können.
Text Hanna Sinnecker
Nein, für Betroffene ist die pandemische Lage oftmals noch immer herausfordernd. Einige unter ihnen konnten z. B. keinen ausreichenden Impfschutz aufbauen, deshalb meiden sie auch weiterhin Kontakte. Gleichzeitig fühlen sie sich mit ihren bestehenden Belastungen öffentlich nicht wahrgenommen. Erkrankte leiden aktuell zudem ganz besonders unter den steigenden Preisen für Lebensmittel und Energie, da sie wegen eingeschränkter Arbeitsfähigkeit ohnehin oft am Existenzminimum leben. Und auch unter geflüchteten Ukrainern sind Betroffene, die z. B. spezielle gesundheitsspezifische Bedarfe an Unterkünfte aufweisen oder sich
Was sind die drängendsten Probleme, mit denen sich die betroffenen Menschen gerade an die Beratung der ACHSE wenden?
Sie finden häufig keine oder unzureichende Informationen zu ihrer Seltenen Erkrankung.
In diesem Fall sind unsere über 130 Mitgliedsorganisationen kompetente Ansprechpartner. Sie verfügen über krankheitsspezifische Expertise und können dabei unterstützen, an Ärzte zu verweisen, die sich speziell mit ihrer Erkrankung auskennen. Außerdem erhalten wir durchgehend viele Anfragen von Menschen mit unbekannter Diagnose, denn Betroffene durchlaufen oft einen jahrelangen Ärztemarathon. Die
ratsuchenden Personen unterstützen wir mithilfe unseres großen Netzwerks dabei, an entsprechende Stellen zu gelangen.
Was muss geschehen, damit Betroffene besser unterstützt sind?
Es bedarf zugänglicher Patientenpfade für nicht spezialisierte Ärzte, aus denen hervorgeht, welche Schritte im spezifischen Fall zu verfolgen sind und an wen sie verweisen müssen. Für Menschen mit Seltenen Erkrankungen ist das deutsche Gesundheits- und Sozialsystem zudem wie ein Dschungel, weil sich deren Leistungsbezug aus mehreren Sozialgesetzbüchern speist. Eine Lösung dafür wäre die Implementierung eines entsprechenden Case-Managements oder auch sogenannter Patientenlotsen.


Seit 30 Jahren führend bei seltenen Erkrankungen – seit 15 Jahren in Deutschland




Seit 30 Jahren engagieren wir bei Alexion uns jeden Tag für Menschen mit schwerwiegenden seltenen Erkrankungen und ihre Familien, indem wir lebensverändernde Therapien erforschen, entwickeln und verbreiten.
Weitere Informationen unter www.alexion.de
Paramyotonie: Vom Leben in der Dauerpause zum Leben mit Pausen
Die seltenen nicht-dystrophen Myotonien (NDM) treten in verschiedenen Formen auf: Die ehemalige Lehrerin Gerlinde Brück, 59, leidet seit ihrer Jugend an einer sogenannten paradoxen Myotonie (Paramyotonie) und berichtet im Interview, wie die Krankheit sie über Jahre in die Dauerpause zwang, wie sie selbst auf die Diagnose kam und wie sie dank der Behandlung heute ein Leben mit Pausen lebt.
Text Doreen Brumme
Gerlinde, wann traten bei Ihnen erste Beschwerden auf und wie sahen diese aus?
Aus der Rückschau hatte ich bereits als Teenager erste Beschwerden, doch damals hielt ich die „Schwächeanfälle“ für normal, für wachstumsbedingt. Als junge Erwachsene häuften diese sich und ich wurde aufmerksamer. Dabei konnte ich Regelmäßigkeiten beobachten, zum Beispiel, dass die Schwächeanfälle immer auftraten, wenn ich lange Strecken ging, viele Stufen stieg oder es kalt war. Sie hielten zwischen einer und drei Stunden an und zwangen mich zu Pausen. Beispielsweise war ich, als ich einmal mit meinem damaligen Freund eine Kirmes besuchen wollte und wir dazu einen Hügel erklimmen mussten, nicht dazu imstande. Mein Freund zog und schob mich nach oben. Dort angekommen, musste ich mich lang hinlegen – und erntete dafür missbilligende Blicke: Die Kirmesgäste vermuteten, ich sei mittags schon betrunken. Die Schwächeanfälle, teils mit Lähmungen, wurden
in der Schwangerschaft mit meinem Sohn mehr und stärker. Mir ging es immer schlechter.
Wann wurde die Diagnose gestellt und was waren bis dahin große Herausforderungen?
Ich habe viele Ärzte aufgesucht und mein Leid geschildert. Von Ratlosigkeit über Fehldiagnosen, Ungläubigkeit bis hin zur nicht gerechtfertigten Überweisung in die Psychologie – ich habe alles erlebt. Sicher lag das auch daran, dass meine Erkrankung selten und in ihrer Ausprägung ungewöhnlich ist – und so nicht unbedingt in den Lehrbüchern auftaucht. Genetische Untersuchungen sprachen immer wieder gegen alles Mögliche und für nichts Konkretes. Immer wieder ohne Diagnose nach Hause zu gehen, das war frustrierend. Das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden, verletzte. Zumal ich irgendwann nicht mehr in der Lage war, meinen Beruf als Lehrerin auszuüben. Ich habe oft nur liegen bleiben können oder musste mich hinlegen. Weil ich bei
Ich wünsche mir, dass Ärzte uns Betroffenen glauben und uns und unserem Leiden mit echtem Interesse begegnen.
meinem Sohn recht früh Auffälligkeiten, darunter die für NDM typische Steifigkeit der Muskeln, wahrnahm, begann ich, selbst zu recherchieren, was die Ursache unserer Beschwerden sein könnte. Ein Zusammenhang unserer Symptome lag für mich auf der Hand. 2015 bin ich draufgekommen: NDM. Über den Verein Mensch & Myotonie e. V. kam ich dann schließlich zu einem Facharzt, der sich mit meinem Krankheitsbild auskannte. 2018 erhielt ich meine Diagnose: Paramyotonie. Mein Sohn wurde gleichfalls damit diagnostiziert.
Wie werden Sie behandelt?
Ich nehme seit 2019 ein Medikament, das eigentlich ein Herzmittel ist und bislang das einzige bei NDM zugelassene ist. Es regelt die für die Erkrankung ursächlichen Ionenkanalprobleme – braucht aber eine enge kardiologische Kontrolle. Für mich war und ist das Mittel ein Gamechanger: Mich hatten die täglich wiederkehrenden Schwächeanfälle über Jahre täglich immer wieder ans Bett gefesselt, mitunter konnte ich nicht mal das Handy zur Hand nehmen. Ich lag da und wartete, dass ich wieder zu Kräften komme. Und so, wie ich pausierte, pausierte alles um mich herum: Arbeit, Social Life, Haushalt. Ich schaffte trotz Rollator kaum die täglichen Gassirunden mit den Hunden, zwang mich aber dazu, denn Bewegung ist ein Muss bei nichtdystrophen Myotonien. Dank des Medikaments kann ich heute für mich, Hunde und Katze recht gut sorgen – immer schön langsam, immer in meinem Rhythmus, immer mit Pausen und leider immer mit Rückenschmerzen.
Was gibt Ihnen Lebensfreude?
Ich lese viel, lerne Hindi und habe seit Kurzem ein Patenkind, um das ich mich aus der Ferne kümmere. Dessen Briefe sind herzerfrischend. Große Freude machen mir meine Vierbeiner, die Mischlingshunde Foxi und Jack, die Katze Purzel, die mir wahre Therapietiere sind. Ich gehe mit den dreien Gassi, komme so raus und unter Menschen.
Wenn Sie auf Ihren Weg mit der Paramyotonie zurückblicken: Was wünschen Sie anderen Betroffenen bezüglich Diagnose und Therapie?
Ich wünsche ihnen, dass ihre Ärzte ihnen glauben, ihnen und ihrem Leiden mit echtem Interesse begegnen, die persönliche

Leidensgeschichte akzeptieren, auch dann, wenn die Symptome vom Lehrbuch abweichen. Den Ärzten wünsche ich mehr Mut zur Lücke, keiner kann alles wissen. Ein allzeit offenes Ohr hilft uns Betroffenen, eine ehrliche, klare Aussage

ebenso. Uns Betroffenen wünsche ich mehr Forschungsgelder, um neue Therapien und Medikamente zu entwickeln, die auf die individuelle Krankheitsgeschichte zugeschnitten werden können.
Weitere informationen unter: menschund myotonie.de



Erwachsenwerden mit Seltener Erkrankung
Seltene Erkrankungen sind in der Kinder- und Jugendmedizin gar nicht so rar!
Ungefähr 700.000 der unter 18-Jährigen in Deutschland sind betroffen.

Prof. Dr. Helge Hebestreit Vorsitzender der Kommission Seltene Erkrankungen, Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ)
Der Grund: Ca. 70% der insgesamt ca. 8.000 Erkrankungsbilder manifestieren sich klinisch bereits im Kindes- oder Jugendalter. Die meisten Seltenen Erkrankungen verlaufen chronisch, die Symptome nehmen im Lauf der Jahre zu und viele betreffen gleich mehrere Organsysteme.
Eine möglichst frühzeitige Diagnose ist für eine frühe Behandlung und damit oft für den weiteren Verlauf entscheidend. In den letzten Jahren hat hier die molekulargenetische Diagnostik wie z. B. die Untersuchung der gesamten Erbinformation (Ganzexom- oder Genomsequenzierung) enorme Fortschritte gebracht.
Auch in der medizinischen Versorgung haben sich neue Wege etabliert: In den bundesweit mehr als 30 Zentren für Seltene Erkrankungen wird für diese besonderen Patientinnen und Patienten neben den pädiatrischen Spezialist*innen ein ganzes Team aus weiteren Berufsgruppen wie z. B. aus der Psychologie, Kinderkrankenpflege, Diätberatung oder Sozialarbeit aktiv, um die Kinder bestmöglich zu unterstützen und zu begleiten. Für die Familien der Patient*innen entstehen jedoch häufig weite Wege zu
den Fachzentren, da diese (etwa für Mukoviszidose, seltene Hormonstörungen, seltene neuromuskuläre Erkrankungen oder seltene Stoffwechselstörungen) überregional und zum Teil bundesweit aufgestellt sind.
Wie bei anderen chronischen Erkrankungen auch müssen betroffene Kinder schon sehr früh lernen, mit der Krankheit umzugehen. Je nach Erkrankung erhalten sie daher bereits im Vorschul- oder Grundschulalter Schulungen, um mit ihren gesundheitlichen Bedürfnissen und Grenzen, mit der Medikation und mit Therapieplänen zurechtzukommen. Mit zunehmendem Alter werden sie dann schrittweise auf das Verlassen der pädiatrischen Versorgung vorbereitet – die Überleitung in die Erwachsenenmedizin ist aber nicht auf den 18. Geburtstag fixiert, sondern ein oft langjähriger Prozess, der weit früher beginnt und bis in das junge Erwachsenenalter hineinreichen kann. „Transition“ bezeichnet diesen Prozess, der strukturiert und begleitet werden muss, z. B. von spezialisierten Lots*innen. Sie können verhindern, dass die Betreuung der Jugendlichen auf dem Weg in die neuen Versorgungsformen unterbrochen wird oder ganz abbricht und damit gesundheitliche Schäden entstehen.
Knapp 15 % der Kinder im Alter bis 17 Jahre sind in Deutschland von einer chronischen oder Seltenen Erkrankung mit speziellem Versorgungsbedarf betroffen und benötigen somit einen solchen strukturierten Transitionsprozess. Bei der Umsetzung der Transition entsteht ein hoher personeller Aufwand, insbesondere in den Versorgungsstrukturen der Pädiatrie. Zudem bringt der Transfer von jungen Menschen mit einer Seltenen Erkrankung eine weitere Herausforderung mit sich, denn in der Erwachsenenmedizin ist ihr spezielles Krankheitsbild oft kaum bekannt. Wichtig ist daher auch, eine*n kompetente*n Ansprechpartner*in in der Erwachsenenmedizin zu finden. Die Gesundheitskompetenz der Patient*innen selbst ist hier unverzichtbar, um die eigenen Interessen und Bedürfnisse wahrnehmen und vertreten zu können. Dies zu ermöglichen und zu fördern, zählt auch zu den Aufgaben und Herausforderungen der heutigen Medizin. Als innovativer Versorgungsansatz werden für Menschen mit Seltenen Erkrankungen auch altersgruppenübergreifende Strukturen geschaffen, die den Transitionsprozess erleichtern.
Weitere Informationen unter: dgkj.de
XLH: Wenn dem Körper Phosphat fehlt
XLH ist eine seltene Störung des Knochenstoffwechsels, die X-chromosomal vererbt wird und zu einem Phosphatmangel führt. Wir sprachen mit Sabrina Hauck*, die selbst betroffen ist und zwei erkrankte Kinder hat.
Frau Hauck, wann und wie hat sich die Erkrankung bei Ihnen geäußert?
Seit ich sechs Wochen alt war wurde ich in der Orthopädie einer Uniklinik behandelt. Rein orthopädisch. Zuerst war es die Hüfte, dann, als ich - sehr spät - mit dem Laufen begann, entwickelten sich sofort die für eine XLH-Erkrankung typischen X-Beine. Die Verkrümmung der Knochen wird durch den für XLH charakteristischen Phosphatmangel verursacht. In der Klinik wurde diese mit vielen Korrekturoperationen begradigt, doch zunächst ohne dauerhaften Erfolg. Ohne Medikation, die eine Diagnose voraussetzt, werden die Knochen schnell wieder krumm, man bleibt klein und hat weiterhin starke Schmerzen. Auch können z.B. Schwerhörigkeit, Schädeldeformationen oder Zahnprobleme auftreten. Die Krankheitslast ist enorm.
Wie wurden Sie dann behandelt?
Ich bekam große Mengen an Phosphat und Vitamin D, die ich verteilt über den Tag einnehmen musste. Meine Knochen waren ab diesem Zeitpunkt wesentlich stabiler, ich hatte weniger Schmerzen und war insgesamt viel fitter. Seit einigen Monaten bekomme ich ein Medikament, das bei Erwachsenen nur alle vier Wochen verabreicht werden muss.
Auch Ihre beiden Kinder sind betroffen: Wie wirkt sich die Erkrankung auf Ihren Familienalltag aus?
Unsere Kinder wurden früh diagnostiziert und behandelt. Dennoch haben sie Symptome: Körperlich wirkt sich die Erkrankung bei unseren Kindern sehr unterschiedlich aus. Ein Kind hatte schon im Kleinkindalter die XLH-typischen Zahnprobleme, in Form von Abszessen, Fisteln und
Zahnverlusten. Das andere Kind ist zahngesund, hat aber eine Muskelschwäche und ist körperlich nicht so belastbar. Für die Kinder und uns als Familie waren und sind die zahllosen Termine bei Ärzten und Therapeuten, und die stets ermüdenden Verhandlungen mit der Krankenkasse, sehr quälend. Das Anderssein durch die Erkrankung belastet die Kinder zudem. Die Umstellung auf das neue Medikament, das bei Heranwachsenden alle zwei Wochen verabreicht werden muss, führte gerade bei unseren Teenagern zu einer verbesserten Lebensqualität. Trotzdem kann die Therapie nicht alles verhindern. Das Leben mit XLH ist weiter beschwerlich und von Schmerzen geprägt.
Welche Rolle spielt für Sie die Vernetzung mit anderen Betroffenen? Für meine Kinder war es wichtig, andere betroffene
*Name von der Redaktion geändert
Kinder kennenzulernen. Für uns als Eltern spielt der Austausch eine ebenso wichtige Rolle: Man kann Vergleiche ziehen, Informationen austauschen, sich Tipps geben. Und natürlich stärkt der Zusammenhalt sehr: dadurch, dass man plötzlich zu Vielen ist, hat diese seltene Erkrankung eine viel größere Aufmerksamkeit bekommen, wir sprechen nun mit einer starken Stimme.
Die Patientenorganisation Phosphatdiabetes e.V. ist eine Gemeinschaft von Betroffenen und Angehörigen, die Informationen bereitstellt, Hilfestellung anbietet und durch persönlichen Erfahrungsaustausch im Umgang mit der Erkrankung unterstützt. Die Belange aller Altersstufen –von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen – finden Beachtung.
Weitere Informationen unter: www.phosphatdiabetes.de
Dieser Beitrag ist in Zusammenarbeit mit der Kyowa Kirin GmbH entstanden. ANZEIGE
Kyowa Kirin engagiert sich für Menschen mit seltenen Erkrankungen
Kyowa Kirin ist ein weltweit tätiges biopharmazeutisches Unternehmen, das dort unterstützen möchte, wo es bislang keine ausreichenden Behandlungsmöglichkeiten gibt. Hierzu zählt unter anderem der Bereich der seltenen Erkrankungen.
Das Unternehmen wurde in Japan gegründet und entwickelt seit dieser Zeit innovative Therapien in den Bereichen Nephrologie, Neurologie, Onkologie und Immunologie. Die Forschungs- und Entwicklungsarbeit sowie die Wirkstoffproduktion stützen sich dabei auf Verfahren der Spitzen-
Biotechnologie aus eigenem Hause.
Das Unternehmen gilt als Pionier in der Behandlung des nur selten auftretenden Phosphatdiabetes – einer zumeist vererbten, lebenslangen Störung des Phosphatstoffwechsels, welche die Gesundheit von Knochen, Muskeln, Sehnen und Gelenken der Betroffenen beeinträchtigen kann. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Einsatz therapeutischer Antikörper zur Behandlung seltener onkologischer Erkrankungen.
Kyowa Kirin verfolgt ein klares Ziel: sämtlichen Menschen, mit denen
es sich im Austausch befindet, ein Lächeln zu schenken – nicht nur durch die Entwicklung neuer Wirkstoffe, sondern auch durch gelebte Partnerschaften, konsequenten Umweltschutz und ein positives Arbeitsumfeld für sämtliche Mitarbeiter. Das Unternehmen sucht weltweit den Austausch mit Betroffenen und Beteiligten, um gemeinsam und kontinuierlich bessere Antworten auf Patientenbedürfnisse zu finden. Das Unternehmen wird sich auch zukünftig für eine bessere Zukunft einsetzen, getrieben von dem Ansporn „Make people smile“.
Weitere Informatio
Therapielinien für GIST – Die Krankheit kontrollieren
Gastrointestinale Stromatumoren (kurz GIST) sind sehr seltene Weichteiltumoren (Sarkome), die im Magen-Darm-Trakt entstehen. In Deutschland erkranken pro Jahr ein bis zwei von 100.000 Menschen, die meisten sind bei Diagnosestellung 60 Jahre alt oder älter. Prof. Dr. med. Sebastian Bauer, Leiter des Sarkomzentrums am Westdeutschen Tumorzentrum der Universitätsklinik Essen, der auch im Vorstand der Deutschen Sarkom-Stiftung ist, erklärt, was die Herausforderungen bei der Behandlung von GIST in späten Stadien sind.
Text Miriam Barbara RauhWas sind die besonderen Herausforderungen bei GIST im Verlauf der Erkrankung?
Die Therapien wirken bei vielen Patient*innen nur eine begrenzte Zeit, da sich Resistenzen entwickeln. Hier muss man dann die Therapie wechseln. Spätere Therapielinien sind oft weniger gut verträglich und wirken kürzer als die Erstlinientherapie. Insgesamt haben wir derzeit vier zugelassene Therapien zur Verfügung.
Eine weitere Herausforderung ist die flächendeckende spezialisierte Versorgung betroffener Patient*innen. Es gibt nicht viele Ärzt*innen in Deutschland, die GIST im Schwerpunkt behandeln. In den erfahrenen Zentren können, meist in Absprache mit den Behandler*innen vor Ort, die einzelnen Therapiesequenzen immer wieder länger ausgereizt

werden – mit Konsequenzen für Lebensqualität und -dauer der Betroffenen. Das Angebot von klinischen Studien zu GIST ist hier meist der wichtigste Indikator für besondere Expertise.
Wie sieht die Prognose derzeit aus, und hat sich diese in den vergangenen Jahren geändert?
Als ich 1999 mein Examen machte, gab es noch keine Therapien für diese Erkrankung, Patient*innen mit GIST sind in dieser Zeit meist innerhalb von ein bis zwei Jahren verstorben. Das hat sich in den letzten 20 Jahren dramatisch geändert. Heute haben wir Medikamente, mit denen ein Teil der Betroffenen, etwa 10 Prozent, sogar eine nahezu normale Lebenserwartung hat. Jede weitere Therapielinie dient dazu, die Zeit ohne
Prof. Dr. med. Sebastian Bauer, Leiter des Sarkomzentrums am Westdeutschen Tumorzentrum der Universitätsklinik Essen
Beschwerden durch den Tumor und natürlich die Lebenserwartung zu verlängern.
Wie äußert sich GIST bei den Betroffenen insbesondere in späten Stadien?
„Späte Stadien“ bedeutet in der Regel hier eine gestreute Erkrankung in die Leber oder das Bauchfell. Beschwerden durch den Tumor entstehen hier meist eher durch Verdrängung von gesundem Gewebe – das ist anders als bei den häufigen Karzinomen im Bauchraum. Wenn der Tumor in den Schleimhautbereich hineinwächst, können Patient*innen eine Blutung bekommen, die sie entweder im Stuhlgang bemerken oder die sich über eine Blutarmut zeigt. Eine Zunahme des Bauchumfangs, Gewichtsverlust, Leberfunktionsstörungen oder Darmverschluss
Weitere Informationen zur Arbeit der Deutschen SarkomStiftung finden Sie unter: sarkome.de
treten meist erst am Ende der Krankheit auf – was eine überwiegend ambulante Betreuung erlaubt.
Welche Behandlungsoptionen gibt es? Wie ist deren Stellenwert?
Chemotherapie spielt bei GIST keine Rolle, es werden ausschließlich zielgerichtete Therapien angewendet. GIST gehört zu den Krebserkrankungen, deren Krankheitsmechanismus erstaunlich gut bekannt ist. Das Treiberprotein lässt sich sehr effektiv medikamentös hemmen. Das Imatinib wirkt am längsten und ist am besten verträglich und daher der Standard am Anfang. Sobald Patient*innen auf Imatinib nicht mehr ansprechen, muss man auf eine andere Therapielinie
Drittlinien-therapien sind im Mittel deutlich kürzer wirksam, bevor sich Resistenzen bilden. An dieser Stelle wird derzeit viel geforscht, man versucht, die Ausbildung von Resistenzen hinauszuzögern oder sogar zu verhindern. Wie oben erwähnt, beobachten wir bei 10 Prozent der Patienten keine Resistenzen mit Imatinib, und Betroffene haben möglicherweise eine normale Lebenserwartung. Allerdings lässt sich das nicht vorhersagen.
Bei der Therapie spielen für Patient*innen in den verschiedenen Phasen der Erkrankung nebst der Wirksamkeit auch die Verträglichkeit und Lebensqualität wichtige Rollen. Wie sieht es bei den Behandlungsoptionen
Stadien aus?
Imatinib ist eine der am besten verträglichen Tumortherapien überhaupt. Viele Patient*innen können trotz Therapie ein normales Leben führen, zur Arbeit gehen, sogar Leistungssport ist für manche Betroffene möglich. Die breitere Wirksamkeit der zweiten und dritten Therapielinie geht leider auch mit stärkeren Nebenwirkungen einher. Betroffene haben dann beispielsweise mit Entzündungen der Mundschleimhaut zu kämpfen oder mit Entzündungen von Händen und Füßen. Beides beeinflusst den Alltag der Patient*innen deutlich. Hier gilt es, die Dosis möglichst individuell zu optimieren.
Im letzten Jahr wurde erstmals ein Medikament
Deciphera –inspired by patients, driven by science
Viertlinientherapie) entwickelt, Ripretinib. Es hat einen deutlichen Überlebensvorteil und verbessert sogar die Lebensqualität gegenüber keiner Therapie. Das ist ein wichtiger Schritt, um die Zahl der Patient*innen, die mit GIST ein normales Leben führen können, weiter zu steigern.
Haben Sie eine Empfehlung für Betroffene?
Ich empfehle Patient*innen, sich mit anderen Betroffenen zu vernetzen. Die Deutsche Sarkom-Stiftung bietet ideale Möglichkeiten dafür. Jede*r GISTPatient*in sollte zudem zu Beginn der Erkrankung einmal in einer Schwerpunktsprechstunde vorstellig werden und bei aktiver Therapie auch regelmäßig

Deciphera ist ein biopharmazeutisches Unternehmen, das sich auf die Entdeckung, Entwicklung und das Inverkehrbringen wichtiger neuer Medikamente konzentriert, um das Leben von Menschen mit Krebs zu verbessern. Der Firmenname „Deciphera“ leitet sich aus dem englischen Wort „decipher“, auf Deutsch „ergründen, entschlüsseln“, ab.
Deciphera hat sich zum Ziel gesetzt, Tyrosinkinasen zu untersuchen und Schlüsselstellen für den Ansatz innovativer Medikamente zu identifizieren. Das Unternehmen nutzt die firmeneigene Switch-ControlKinaseinhibitor-Plattform und die umfassende Expertise seiner Mitarbeiter:innen in der Biologie der Kinasen zur Entwicklung eines breiten Portfolios innovativer Therapieansätze insbesondere im Bereich von fortgeschritten Gastrointestinalen Stromatumoren (GIST).
GIST sind seltene maligne Tumoren aus der Gruppe der Weichteilsarkome. Gen-Mutationen in den Tyrosinkinasen KIT oder PDGFRA treiben das Tumorwachstum. GIST können in jedem Alter auftreten. Das mittlere Alter für den Ausbruch liegt bei etwa 60 Jahren. Etwa die Hälfte der Patienten:innen haben bereits bei Diagnosestellung Metastasen. Entstehende Sekundärmutationen führen auch unter Therapie beim fortgeschrittenen GIST zu einem Progress – daher der Bedarf nach neuen Medikamenten mit innovativen Wirkansätzen.

Es dreht sich alles um Rot-Weiß!
Martina erhielt die Diagnose Polycythaemia vera (PV), ein seltener Blutkrebs der Gruppe der Myeloproliferativen Neoplasien (MPN), im Jahr 2007. Typisch für die Erkrankung ist eine Überproduktion roter Blutkörperchen, die viele Symptome verursachen kann und so die Diagnose erschwert. Untypisch ist, dass die PV mit Martina eine Frau traf, die erst 24 Jahre alt war.
Text Doreen Brumme
Martina, wann merkten Sie, dass gesundheitlich etwas nicht stimmt, und welche Beschwerden hatten Sie?
Nach meiner Ausbildung zur Krankenschwester im Jahr 2003 hatte ich immer wieder Kreislaufbeschwerden: Herzrasen, Schwindel. Als „Frau vom Fach“ ließ ich meine Blutwerte regelmäßig testen – die waren immer wieder auffällig: Mein Körper produzierte ständig zu viele rote Blutkörperchen. Eine Knochenmarkpunktion brachte 2007 mit der Diagnose Polycythaemia vera die Gewissheit: Ich hatte eine Form von chronischem Blutkrebs. Dass die Krankheit in so jungen Jahren auftrat, überraschte meine Hausärztin, an die der Facharzt die Diagnose weitergereicht hatte. Sie kannte sie nur bei Älteren, kniete sich dann aber ins Thema rein und ich fühle mich bei ihr – neben der zusätzlichen Betreuung durch eine Uniklinik – bis heute gut aufgehoben. Auch ich war überrascht, auf meiner To-do-Liste fürs Leben stand doch noch so viel!
War es für Sie ein Vorteil, dass Sie selbst im Krankenhaus arbeiteten? Einerseits schon: Mein medizinischer Hintergrund ließ mich von Anfang an verstehen, was mit mir los ist, was die Therapien bedeuten. Ich stellte die richtigen Fragen, analysierte meine Blutwerte selbst. Auch die Kommunikation mit dem Krankenhaus als Arbeitgeber fiel leichter. Ich traf auf Verständnis, musste nicht viel erklären. Andererseits sah ich im Krankenhaus, in dem ich damals arbeitete, die teils sehr bösen Gesichter von Krebs ungeschminkt. Der Krebs trübte die Aussicht auf mein Leben dramatisch, ich verzichtete beispielsweise sehr bewusst auf Kinder, weil ich um sämtliche mögliche Komplikationen wusste, versorgte ich doch immer wieder schwer kranke und auch sterbende Patient*innen.
Was kam nach der Diagnose?
Meine seltene Form von Blutkrebs behielten wir nach dem Prinzip „watch and
wait“ im Auge: Ich musste alle drei Monate zur Blutkontrolle. Es ging immer um die Frage: Wie viele rote, wie viele weiße Blutkörperchen habe ich und wie hoch ist der Hämatokrit? Parallel setzte ich die Antibabypille ab, um die Thrombosegefahr zu senken, die bei PV wegen des Überschusses roter Blutkörperchen eh schon sehr hoch ist. Die daraufhin einsetzende Monatsblutung war regelmäßig sehr stark, was sich als ein glücklicher Umstand herausstellte: Sie diente mir als „natürlicher Aderlass“. Eine Zeit lang ging es mir ok, die Symptome gingen zurück, ich arrangierte mich mit meiner chronischen Krebserkrankung: Ich war immer sportlich, achtete jetzt besonders auf einen gesunden Lebensstil.
2013 waren die Symptome zurück, neue kamen hinzu und blieben bis heute: Nachtschweiß, Muskel- und Knochenschmerzen, Eisenmangel, Konzentrationsstörungen, Kurzatmigkeit bis Atemnot, Fatigue, Sehstörungen. Ich reduzierte meine Arbeitszeit, wechselte
nach einer Fachweiterbildung schließlich an den Schreibtisch und mehrmals den Arbeitgeber. Heute arbeite ich in Teilzeit im Staatsdienst. Darüber bin ich echt froh, denn meine Vorgesetzten sind Mediziner, ich kann in Gleitzeit und auch im Homeoffice arbeiten. Letzteres weiß ich immer öfter zu schätzen, denn selbst ein kurzer Gang fällt mir inzwischen oft schwer. Ich komme immer häufiger an den Punkt: „Scheiße, das geht doch nicht mehr!“ Ich habe mittlerweile eine medikamentöse Therapie angefangen und bin viel engmaschiger in medizinischer Betreuung.
Wie kommen Sie aus solch düsteren Momenten heraus?
Ich mache Achtsamkeitsübungen, Meditation, Yoga. Ich setze auf die kleinen Dinge des Lebens: einen gemütlichen Abend mit meinem Lebensgefährten, einen kurzen Spaziergang, eine Auszeit auf dem Balkon. Ich male. Und natürlich genieße ich die Vorteile, die die

Digitalität mit sich bringt. Statt selbst zu lesen, höre ich gerne Podcasts. Statt viele Menschen persönlich zu treffen, treffe ich sie im Internet. Das ist für mich als chronisch Krebskranke in Coronazeiten schon vorteilhaft gewesen, moduliert doch das Medikament, das ich nehme, mein Immunsystem. Und wenn es mal ganz düster wird, dann hilft mir meine Psychotherapeutin da raus. Auch der Austausch mit anderen Betroffenen im Selbsthilfeforum des MPN-Netzwerks tut mir sehr gut.
Was hilft seitens der Medizin, aber auch seitens des Umfeldes, damit Sie und andere Betroffene den Alltag meistern?
Meinen Blutkrebs sieht man mir nicht an. Das bringt mich bei Nichtmedizinern regelmäßig in die Rechtfertigung, insbesondere bei Behördengängen. Es frustriert schon, dass ich mich als chronisch Krebskranke auf dem Arbeitsmarkt unter Wert verkaufen musste, das aber
hinnehme, um überhaupt arbeiten zu können. Die bürokratischen Schritte bis zur Teilerwerbsrente kamen mir wie hohe Hürden vor, aber ich bin letztendlich sehr froh, dass ich diese finanzielle Unterstützung bekomme. Von der Medizin wünsche ich mir, dass sie mich ernst nimmt, meine Krankheit erforscht und stets weiter an neuen Therapien und Medikamenten arbeitet. Ich bin natürlich sehr dankbar, dass ich ein Medikament bekomme, das die Krankheit in Schach hält. Aber es sind bei den derzeit verfügbaren Therapien natürlich auch Nebenwirkungen möglich, die nicht unerheblich sein können. Von meinem privaten Umfeld und vor allem von meinem Freund bin ich auf viel Rücksicht und Verständnis für die Ups and Downs meines Wohlgefühls angewiesen – und zugleich möchte ich nicht nur die Krebskranke sein: Ich bin immer noch Partnerin, Freundin, Sportbegeisterte, Künstlerin und mehr.
MPNNETZWERK – EIN NETZ, DAS TRÄGT
Das mpn-netzwerk e. V. ist eine Selbsthilfeinitiative für Menschen mit Myeloproliferativen Neoplasien (MPN) und ihre Angehörigen. Wir stellen fundierte, allgemein verständliche Informationen zu MPNErkrankungen zur Verfügung und bieten Patient*innen und deren Angehörigen die Möglichkeit, sich miteinander auszutauschen und zu vernetzen. Zudem arbeiten wir eng mit einschlägigen Expert*innen für die MPNErkrankungen zusammen, um die Forschung weiter voranzutreiben. Weitere Informationen finden Sie unter: www.mpn-netzwerk.de

Komorbiditäten bei ANCAassoziierter Vaskulitis

Die beschriebenen Erkenntnisse hinsichtlich der Therapie einer ANCA-Vaskulitis, zu denen auch die Eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis (EGPA) gehört, und der damit verbundenen Komplikationen verdeutlichen den Zusammenhang zwischen einer ANCAVaskulitis und dem erhöhten Risiko des Auftretens von Begleiterkrankungen (sog. Komorbiditäten). Die absolute Notwendigkeit einer immunsuppressiven Therapie bei Patienten und Patientinnen mit einer ANCA-Vaskulitis machen die daraus resultierenden Konsequenzen unumgänglich.
Daher sind die Prophylaxe sowie die Früherkennung möglicher Komplikationen im Rahmen der immunsuppressiven Therapie essentiell, um Betroffene vor weiteren Belastungen, die das Ergebnis verschlechtern, zu bewahren. In dieser Arbeit liegt der Fokus auf den Glukokortikoiden, die in der Therapie zur Anwendung kommen und einen Einfluss auf den Glukosestoffwechsel haben.
Eine schwedische bevölkerungsbezogene Kohortenstudie ergab, dass im Vergleich zur
Allgemeinbevölkerung (alters- & geschlechterangepasste Referenzgruppe) ANCA-Vaskulitis Patienten und Patientinnen höhere Raten ärztlicher Konsultationen aufgrund auftretender Begleiterkrankungen aufweisen. Ursächlich hierfür seien unter anderem immunsuppressive Medikamente, welche zur Therapie der ANCA-Vaskulitis eingesetzt werden und das Auftreten von Komorbiditäten prädisponieren.
Lange Zeit wurde die Mortalität aufgrund kardiovaskulärer Ereignisse bei ANCA Vaskulitis Patienten und Patientinnen unterschätzt. Darunter fallen vor allem Erkrankungen wie die arterielle Hypertonie, ischämische Herzerkrankungen sowie Myokardinfarkt. Es wird daher eine regelmäßige Einschätzung kardiovaskulärer Risikofaktoren und Anpassung der Medikation zur Behandlung einer Hypertonie, einer Hypercholesterinämie sowie eines Diabetes mellitus empfohlen. Psychologische Erkrankungen, Osteoporose sowie ein Diabetes mellitus können ebenfalls als Begleiterkrankung im Rahmen einer ANCA-Vaskulitis auftreten.
Das Vorkommen einer arteriellen Hypertonie und eines Diabetes mellitus könnten sich als direkte Folge der Nierenschädigung durch die ANCA-Vaskulitis bzw. als Konsequenz der langfristigen Glukokortikoid-Therapie erklären. Die ANCA-Vaskulitis stellt zudem einen wichtigen prädisponierenden Faktor für das Vorkommen thromboembolischer Ereignisse (tiefe Venenthrombose, Pulmonalarterienembolie) dar – insbesondere im Rahmen von Episoden der Behandlung einer aktiven Vaskulitis.
Ein erhöhter KreatininBasiswert sowie die Beteiligung der Haut und des Gastrointestinaltrakts im Rahmen einer ANCA-Vaskulitis sollen laut kürzlich durchgeführten Analysen von der Europäischen Gesellschaft für Vaskulitis zum Risiko thromboembolischer Ereignisse beitragen. In aktiven Krankheitsphasen von ANCA-Vaskulitis Patienten und Patientinnen sind entscheidende Gerinnungsparameter beeinträchtigt. Es zeigt sich eine Erhöhung der Thrombozytenzahl, des D-Dimer-Wertes (Der D-Dimer-Wert ist also ein Laborwert, der Veränderungen in der Blutgerinnung
aufzeigt) sowie des Fibrinogens. In Phasen der Remission zeigen sich unter anderem höhere Konzentrationen des Faktor VIII sowie des endogenen Thrombinpotentials. Infolge der Hyperkoagulabilität sind ANCA-Vaskulitis Patienten und Patientinnen daher einem höheren Risiko thromboembolischer Ereignisse ausgesetzt.
Was ist der Unterschied in der Behandlung bei Multimorbidität & Komorbidität?
Komorbidität: Das Auftreten zusätzlicher Erkrankungen im Rahmen einer definierten Grunderkrankung.
Multimorbidität: Das gleichzeitige Auftreten mehrerer Krankheiten bei einem Betroffenen.
Weitere Unterstützung finden Betroffene und deren Angehörige bei dem bundesweit tätigen Verein
„Vaskulitis e. V.“: Hauptstraße 6
54526 Landscheid/Eifel
Tel.: 06575-9014995
Fax.: 06575-903794
Weitere Informationen unter info@vaskulitisverein-rlp. de www.vaskulitisvereinrlp.de
Ich war dem Tod näher als dem Leben

Dimitra
EGPAPatientin
Dimitra, du hast die seltene Erkrankung EGPA. Wie hat sich die Erkrankung bei dir bemerkbar gemacht?
Als ich neun Jahre alt war, habe ich plötzlich schweres Asthma bekommen und niemand konnte sich erklären, woher das kam. Anfangs wurde eine Allergie vermutet, aber auch mit verschiedenen Therapien wurde es nicht besser.
Wie ging es dann weiter?
mir Lunge, Herz, Darm und die Nerven von der EGPA betroffen.
Du warst jahrelang kerngesund. Plötzlich kommt ein gesundheitlicher Tiefschlag nach dem anderen. Wie bist du damit umgegangen?
Wie hast du dich zurück ins Leben gekämpft?
Text Franziska ManskeNach dem Asthma bekam ich 2011 meine erste Perikarditis, eine Entzündung des Herzbeutels. Das wurde mit Kortison behandelt. Dadurch wurde es besser, dann kam jedoch 2012 eine Darmentzündung hinzu und Anfang 2013 eine Lungenentzündung und erneut eine Perikarditis – da war ich dann gesundheitlich komplett am Ende. Insgesamt waren bei
Mir ging es krankheitsbedingt so schlecht, dass ich nicht mehr viel davon weiß. Ich habe diese Zeit wie im Delirium erlebt, selbstständig konnte ich fast gar nichts mehr machen. Es gab Momente, in denen ich Angst hatte, zu sterben. Doch ich habe sie dann immer wieder verdrängt, denn zu sterben war keine Option – ich wollte leben. Teilweise war ich dem Tod näher als dem Leben. Als ich 2013 ins künstliche Koma versetzt wurde, hatten mich die Ärzte abgeschrieben. Zehn Tage verbrachte ich in diesem Zustand.
Dieser Beitrag ist in Zusammenarbeit mit der GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG entstanden.
Als ich aus dem Koma erwacht bin, war ich blind, weil meine Sehnerven geschädigt waren. Obwohl ich nichts sah, war ich total positiv gestimmt. Ich habe gespürt, wie überglücklich meine Familie in diesem Moment war, dass dies einfach auf mich übergangen ist. Kurz darauf kam dann auch die Diagnose und aus dem jahrelangen Leid wurde endlich wieder Leben.
Nun bekomme ich seit einiger Zeit ein Biologikum, das mein Freund mir einmal im Monat spritzt. Das hat mir mein Leben zurückgegeben. Ich bin komplett beschwerdefrei und kann ein völlig normales Leben führen – dafür bin ich jeden Tag dankbar.

Die richtige Diagnose ist die halbe Miete
Etwa 400 verschiedene Erkrankungen gehören zum rheumatischen Formenkreis. Darunter auch die eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis (EGPA) und das hypereosinophile Syndrom (HES). EGPA und HES werden häufig erst Monate nach Symptombeginn diagnostiziert. Zeit, in der die Grunderkrankung voranschreitet und die Lebensqualität der Betroffenen immer mehr leidet, bis hin zum tödlichen Verlauf.
Prof. Hellmich, Ihre Klinik ist spezialisiert auf systemische-rheumatische Erkrankungen, wie EGPA und HES. Was macht die Diagnose so schwierig? Das liegt sowohl an der Seltenheit wie auch der Heterogenität der Krankheitsbilder. Die ersten Anzeichen reichen von allgemeiner Müdigkeit, Fieber, Muskelschmerzen bis hin zu Hautveränderungen oder Herzbeschwerden. Bei EGPA tritt in frühen Phasen häufig ein Asthma auf, manchmal begleitet von Nasenpolypen. Treten weitere Beschwerden auf, kann es einige Zeit dauern, bis ein Zusammenhang auffällt. Meist pendeln Betroffene zwischen Hausarzt und verschiedenen Fachärzten, bis der Krankheitsprozess erkannt wird und sie beim Spezialisten landen. In dieser Zeit nimmt die Lebensqualität der Betroffenen kontinuierlich ab und die unterschwellig lodernden Entzündungsprozesse können schon zu oft irreparablen Organschäden geführt haben.
Wie kommen die Betroffenen zur richtigen Diagnose?
Entscheidend ist, erst mal an die Möglichkeit einer seltenen Erkrankung zu denken, z.B. wenn eine chronische Entzündung mehrerer Organe vorliegt, die nicht auf Antibiotika anspricht. Ein wichtiger Punkt ist dann sicherlich die interdisziplinäre Zusammenarbeit. Die Kollegen müssen sich über die Befunde austauschen und ihre Puzzleteile zusammenlegen. Bzgl. der Diagnose selbst kann im ersten Schritt ein Blutbild zur Analyse von Biomarkern wie Eosinophilen, Entzündungswerten etc. Hinweise geben. Diese Ergebnisse sollten um bildgebende Verfahren ergänzt werden. Je nach betroffenem Organ kann auch eine Gewebeprobe weiteren Aufschluss geben. Dazu ist immer die Überweisung in eine Spezialklinik ratsam.
Gibt es Behandlungsmöglichkeiten für diese seltenen Erkrankungen?
Seltene Erkrankungen sind generell ein schwieriges Feld, da es wenige Studiendaten und nicht viele zugelassene Behandlungsoptionen gibt. Die herkömmliche Strategie besteht darin, die körpereigene Abwehr mit Kortikosteroiden und/oder Immunsuppressiva runterzufahren. Da wir sie im Alltag zur Abwehr von Bakterien, Viren oder Parasiten aber brauchen, wandelt man hier auf einem sehr schmalen Grat. Moderne Wirkstoffe wie Biologika bieten die Möglichkeit, spezifischer in die pathologischen Prozesse einzugreifen. Dabei handelt es sich um Antikörper, die einzelne Entzündungsprozesse blockieren können. Für die Betroffenen von Erkrankungen wie EGPA und HES stellen diese modernen Technologien eine wichtige Perspektive dar. Doch alles beginnt eben mit der richtigen Diagnose.

Prof. Dr. Bernhard Hellmich Klinik für Innere Medizin, Rheumatologie und Immunologie, EUReferenzzentrum für Autoimmunvaskulitiden (ERN-RITA), Medius Kliniken, Kirchheim-Teck, Deutschland
„Mehr darüber sprechen“
Die Sichelzellkrankheit ist weltweit eine der am häufigsten vorkommenden Erberkrankungen. Besonders Menschen in Afrika, dem Nahen Osten, dem Mittelmeer- und dem indischen Raum oder mit Wurzeln in diesen Regionen können betroffen sein. In Deutschland hingegen ist die Krankheit zwar noch recht selten, aber die Zahl der Betroffenen steigt. Ging man Ende der Neunziger Jahre von 350 Patient*innen aus, schätzt man die Zahl heute auf 3.500. Wir sprachen mit Carmen AramayoSingelmann über die Notwendigkeit einer angemessenen Versorgung Betroffener und über die zusätzlichen Hürden, mit denen sich viele Patient*innen hierzulande konfrontiert sehen.

Carmen AramayoSingelmann Assistenzärztin an der Kinderklinik (Hämatologie-Onkologie) der Universität Essen und Leiterin der Sprechstunde für Patienten mit der Sichelzellkrankheit
Frau Aramayo-Singelmann, Sie behandeln unter anderem Patient*innen, die an der Sichelzellkrankheit leiden. Was passiert bei der Erkrankung im Körper Betroffener und wie wirkt sie sich konkret aus?
Die Krankheit ist vielfältig. Betroffene haben sowohl chronische als auch akute Gefäßverschlüsse und leiden dadurch an wiederkehrenden Schmerzkrisen. Es können Schlaganfälle und akutes Organversagen vorkommen. Die Erkrankung kann Schäden am gesamten Körper hervorrufen.
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es, um die Erkrankung zu therapieren, wo können sich Betroffene behandeln lassen?
Therapeutikum ist z. B. ein Zytostatikum seit 2007 in Europa zugelassen, das bei Kindern ab zwei Jahren eingesetzt werden kann. Es gibt seit Kurzem zwei weitere Medikamente für Patienten, die ab 12 bzw. 16 Jahren in Deutschland zugelassen sind.
Können Betroffene unter Therapie ein normales Leben führen?
Nein, leider nicht. Es sind regelmäßige ärztliche Kontrollen notwendig, und Krankenhausaufenthalte sind durch die akuten Komplikationen sehr häufig. Um diese akuten Komplikationen zu vermeiden, müssen Betroffene auf manche Aktivitäten verzichten.
Text Miriam Barbara RauhEine Heilung ist derzeit nur mithilfe einer Stammzellentransplantation möglich. Die aktuellen zugelassenen Therapien für Betroffene mit einer Sichelzellkrankheit werden eingesetzt, um der Symptomatik der Erkrankung vorzubeugen, wie zum Beispiel den schmerzhaften vaso-okklusiven Krisen. Als
Da die Therapien von erfahrenen Fachmediziner*innen eingesetzt werden: Erreichen diese Therapiemöglichkeiten die in Deutschland lebenden Patient*innen?
Gibt es Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen, zwischen Stadt und Land?
Alle Patient*innen in Deutschland können von den verfügbaren Therapien profitieren. Hier ist es wichtig, daran zu arbeiten, sowohl alle betreuenden Kolleg*innen als auch die Patient*innen über diese Therapien zu informieren. Für Betroffene, die auf dem Land leben und von niedergelassenen Ärzten betreut werden, würde es das sehr vereinfachen, von den neuen Therapien zu profitieren. Wir empfehlen, etwa einmal im Jahr für verschiedene Untersuchungen in ein multidisziplinäres Zentrum zu kommen, z. B. nach Essen, Köln, Ulm, Berlin, Hamburg oder Heidelberg. Darüber hinaus versuchen wir, möglichst viel mit niedergelassenen Kolleg*innen zusammenzuarbeiten. Eine Rolle spielt auch das Alter –mit 16 Jahren hat man mehr Therapiemöglichkeiten als jüngere Betroffene.
Patient*innen mit einer Sichelzellkrankheit haben häufig afrikanische, arabische, indische oder mediterrane Wurzeln. Mit
welchen Herausforderungen sehen sich Betroffene zusätzlich zur Krankheitslast in Deutschland konfrontiert?
Wenn man in ein neues Land kommt, sich ganz neu einlebt und die Sprache noch nicht spricht, vielleicht auch traumatische Erlebnisse auf einer Flucht hatte, hat man an sich genug damit zu tun. Für Außenstehende ist kaum vorstellbar, wie schwer es für die Familien ist, wenn noch eine chronische Erkrankung hinzukommt. Oft wissen Familien auch zunächst gar nicht, was ihnen oder ihren Kindern fehlt. Hürden des Gesundheitssystems, mit strikten Vorgaben, machen die Situation nicht leichter. Wer neu in einem fremden Land ist, kennt die Besonderheiten des jeweiligen Gesundheitssystems noch nicht und wird dann vielleicht wieder nach Hause geschickt, weil eine Überweisung
fehlt oder man verspätet eingetroffen ist. Wir geben uns in der Ambulanz der Uniklinik Essen alle Mühe, das Bewusstsein im ganzen Team für diese besondere Situation zu schärfen. Und auch Wege aufzuzeigen, wie man sich notfalls ohne Sprache verständigen kann. Manchmal helfen gezeichnete Symbole wie Sonne und Mond weiter, um das Einnehmen von Tabletten zu erklären.
Patient*innen berichten, dass viele Ärzte in Deutschland die Krankheit nicht kennen oder sie unterschätzen und dass sie sich von deutschen Ärzten häufig nicht verstanden fühlen. Aus Ihrer ärztlichen Sicht: Was muss sich ändern, damit Betroffene sowohl fachmedizinisch als auch diversitätssensibel versorgt werden können?
Die Krankheit muss ins Licht,
damit Betroffenen geholfen werden kann. Die Sichelzellkrankheit zählt zwar noch immer zu den seltenen Erkrankungen – aber sie ist längst nicht mehr so selten, dass sie einem nicht begegnet. Es gibt immer mehr betroffene Patient*innen, Informationen müssen schnell und ortsunabhängig verfügbar sein.
Wir sind dabei, ein Netzwerk aufzubauen, eine Online-Plattform, auf der sich niedergelassene Kolleg*innen informieren und uns Fragen stellen können.
Es ist wichtig, insgesamt mehr über die Erkrankung zu sprechen, sich an die Medien zu wenden, auch in den Sozialen Medien präsent zu sein. Die Erkrankung darf nicht länger ein Tabu sein. Es hilft den Familien, besonders den Kindern, wenn sie wissen, dass sie nicht allein sind.
Dieser Beitrag ist in Zusammenarbeit mit der Global Blood Therapeutics Germany GmbH entstanden.
Die Sichelzellkrankheit fordert unser Gesundheitssystem heraus
Die Sichelzellkrankheit ist eine seltene Erkrankung, die ihren Ursprung im subsaharischen Afrika hat. Sie entsteht aufgrund einer genetischen Mutation des Hämoglobins, die Überlebensvorteile gegenüber dem Malariaerreger bietet. Heute betrifft sie Menschen in vielen Teilen der Welt. Nach Afrika kommt die Krankheit besonders häufig im arabischen Raum, im Mittelmeerraum oder in Teilen Südostasiens vor. Auch hat sie schon sehr früh durch den Sklavenhandel auf den amerikanischen Kontinent Einzug gefunden. In den Vereinigten Staaten leben mehr als 100.000 Menschen mit der Sichelzellkrankheit –meist African Americans.
Mittlerweile leben auch in Deutschland ca. 3.200 Menschen mit der Sichelzellkrankheit. Sie ist hier „neu“ und sie trifft an vielen unterschiedlichen Stellen auf unsere komplex differenzierte Versorgung. So zeigt sie wie im Brennglas, wo unser Gesundheitssystem auch jenseits der überfälligen Entwicklung neuer therapeutischer Optionen wachsen muss.
Die Krankheit ist in der Medizin in Deutschland noch nicht angekommen. Betroffene fühlen sich von den Behandelnden nicht verstanden, nicht ernst genommen oder sie erleben sogar Diskriminierung. Oft wird lange nach kompetenten Behandler:innen gesucht.
Ärzt:innen hingegen beklagen kulturelle Hürden in der Behandlung und auch sie benötigen Unterstützung. An der Sichelzellkrankheit wird man ablesen können, ob Deutschland in der Lage ist, sein oft exzellentes Gesundheitssystem diversitätssensibel und für die Anforderungen des 21. Jahrhunderts zu gestalten.
Hintergrund
Die Sichelzellkrankheit ist eine schwere, erbliche Krankheit der roten Blutkörperchen. Sichtbarster Ausdruck sind krisenhaft auftretende extreme Schmerzen bei einem Teil der Patient:innen. Weniger sichtbar sind die durch die chronische Anämie ausgelösten Endorganschäden,
die zu einer bis zu 30 Jahre verkürzten Lebenserwartung führen können. Trotz der Krankheitsschwere und des lange verstandenen Krankheitsmechanismus waren bisher nur begrenzt Therapien verfügbar.
2011 wurde Global Blood Therapeutics (GBT) in Kalifornien mit der Mission gegründet, moderne Therapien für die Sichelzellkrankheit zu entwickeln. Auch darüber hinaus und in Deutschland engagiert GBT sich dafür, dass die Krankheit und die von ihr Betroffenen die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen.
Weitere Informationen unter: www.gbt.com/de/
So leben wie ein ganz normales Kind
Was ist mit unserem Kind? Diese Frage stellte sich Familie Minich, als ihre neugeborene Tochter ohne erkennbaren Grund Schmerzen hatte, nicht essen wollte und unruhig war. Die Diagnose, PFIC, Progressive Familiäre Intrahepatische Cholestase, eine seltene genetisch bedingte Lebererkrankung, stellt den Alltag der Familie auf den Kopf. Über den Weg, mit der Erkrankung zu leben, erzählt Erika Minich im Interview.
Frau Minich, wann ist Ihnen aufgefallen, dass Ihr Kind Beschwerden hat?
Nach der Geburt hatte unsere Tochter eine Gelbsucht – was normal sein kann, aber diese dauerte deutlich länger an. Dann bekam ich Probleme beim Stillen, sie hatte Hunger, wollte aber nicht trinken und schien Schmerzen zu haben. Sie war insgesamt unruhig und kratzte sich, schon mit etwa zwei Monaten. Auch hat sie wenig zugenommen und wuchs kaum. Mit vier Monaten bekam sie sehr heftiges Nasenbluten, wir sind dann mit ihr ins Krankenhaus gefahren. Dort wurde unserer Tochter Blut abgenommen, die Werte waren schlecht. Da wussten wir, dass etwas Grundlegendes nicht stimmt.
Wie ging es Ihnen als Eltern, nachdem die Diagnose gestellt wurde?
sehr heftig. Ich hatte viele Fragen. Auch wie wir als Familie den Spagat schaffen, wussten wir zunächst nicht.
Wo haben Sie medizinische und persönliche Unterstützung bekommen?
Die Überweisung zur MHH (Medizinische Hochschule Hannover) war ein Glücksfall. Dort wurden wir aufgefangen, beruhigt und fachlich sehr kompetent über die Erkrankung aufgeklärt. Wir haben großes Vertrauen zur MHH. Das hat uns geholfen, unseren Weg zu finden und zu gehen. Auch unsere Familien und gute Freunde haben uns sehr unterstützt und die Kirchengemeinde, in der wir aktiv sind.
Wie wirkt sich die Erkrankung auf Ihren Familienalltag aus?
gestörten Gallenfluss. Dazu kamen die Gerinnungsstörungen, sie hatte starkes Nasenbluten, das nicht stillbar war. Schließlich konnte sie immer weniger essen, über zweieinhalb Jahre musste ich sie künstlich über eine Sonde ernähren. Bis zur Transplantation.
Wie geht es Ihrem Kind nun unter Therapie?
Text Miriam Barbara RauhWir hatten ja zunächst gedacht, unser Kind sei gesund, und dann wird sie als Notfall in die Klinik geschickt – das war ein Ausnahmezustand, es war schlimm für unsere Familie. Als Krankenschwester wusste ich, was eine Leberzirrhose bedeutet. Das eigene Kind, das wachsen muss und fröhlich sein sollte, betroffen zu sehen, war
Das Schlimmste ist der Juckreiz. Damit unsere Tochter überhaupt schlafen konnte, musste ich bei ihr liegen und ihre Arme und Beine streicheln. Sie konnte nicht mehr zum Kindergarten, weil sie so müde war, und später nicht zur Schule. Ich habe in dieser Zeit auch kaum Schlaf bekommen. Auch war sie komplett zerkratzt und blutete, ihre Beine sind ganz vernarbt. Hinzu kam der Vitaminmangel durch den
Als wir gemerkt haben, so geht es nicht weiter, die Leber gibt auf, hat das MHH reagiert und eine Lebertransplantation durchgeführt. Das war ihre einzige Überlebenschance. Wir sind unglaublich dankbar, dass es funktioniert hat. Unsere Tochter bekommt Medikamente und es gibt auch immer mal wieder Termine im Krankenhaus, aber im Moment kann sie so leben wie ein ganz normales Kind. Der Verein Leberkrankes Kind e. V. ist ein Netzwerk für Familien leberkranker und lebertransplantierter Kinder. Hier finden betroffene Familien Informationen über Krankheitsbilder und Unterstützungsmöglichkeiten und können sich mit anderen betroffenen Familien austauschen.
Dieser Beitrag ist in Zusammenarbeit mit Albireo Pharma entstanden.
Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten bei PFIC
Herr Prof. Ganschow, was sind die Ursachen und das charakteristische Merkmal der Progressiven Familiären Intrahepatischen Cholestase (PFIC)?
Die Ursache der PFIC ist ein Gendefekt, meist zeigt sich die Erkrankung bereits bei betroffenen Säuglingen oder Kleinkindern. Die PFIC ist eine progressive, sehr seltene Lebererkrankung, der Störungen im Galletransport der Leber zugrunde liegen. Diese verursachen einen Gallestau, der häufig zu erheblichen Funktionsstörungen der Leber und in vielen Fällen zur Notwendigkeit einer Lebertransplantation führt. Ohne effektive Behandlung in einem erfahrenen Zentrum ist die Überlebensrate deutlich reduziert.
Welche Symptome gehen mit einer PFIC-Erkrankung einher?
Quälender und unstillbarer Juckreiz ist ein sehr weit verbreitetes Symptom. Betroffene Kinder kratzen sich oft an den Beinen, Armen oder am Kopf blutig und leiden dadurch massiv. Der Juckreiz führt zusätzlich zu schweren Schlafstörungen.
Gelbsucht ist ein weiteres Zeichen dafür, dass der Galletransport gestört ist. Zusätzlich fallen betroffene Kinder durch schwere Wachstums- und
Entwicklungsstörungen auf. Grund dafür ist die gestörte Funktion der Leber und eine unzureichende Aufnahme von Fetten und fettlöslichen Vitaminen über den Darm. Auch auf die Eltern hat die Erkrankung des Kindes schlimme Auswirkungen. Bei ihnen liegt durch die hohe Betreuungsbedürftigkeit des Kindes nachts eine massive Schlafstörung vor. Sie berichten über verminderte psychische und körperliche Gesundheit, eine verringerte Leistungsfähigkeit sowie Beeinträchtigungen im Beruf, den sozialen Beziehungen und ihrer finanziellen Situation.
Bitte erörtern Sie die in der Vergangenheit zur Verfügung stehenden Therapieoptionen.
Viele Behandlungen zielten in erster Linie darauf ab, den Juckreiz zu lindern – meist ohne Erfolg. Neben dem Einsatz von Medikamenten, die nicht für die PFIC zugelassen sind, können auch Operationen durchgeführt werden. Bei einer chirurgischen Galleableitung wird zum Beispiel die Gallenflüssigkeit durch die Bauchwand in einen Beutel abgeleitet, den das Kind dauerhaft außen am Körper tragen muss. Bei fortschreitender Lebererkrankung oder auch wenn der Juckreiz unerträglich wird, verbleibt als letzte Behandlungsoption nur eine

Univ.-Prof. Dr. med. Rainer Ganschow Direktor der Klinik und Poliklinik für Allgemeine Pädiatrie am Universitätsklinikum Bonn
Transplantation der Leber. Dieser sehr schwerwiegende Eingriff belastet die betroffenen Familien meist stark. Sie müssen lebenslang Medikamente einnehmen, die das Immunsystem unterdrücken, damit der Körper die fremde Leber nicht abstößt.
Welche Durchbrüche gab es hier aus Ihrer Sicht in den letzten Jahren hinsichtlich der Therapie der PFIC?
Seit 2021 gibt es ein von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) zugelassenes Medikament zur Behandlung der PFIC. Dieses kann in vielen Fällen den Gallestau lösen und dadurch innerhalb weniger Wochen bis Monate eine deutliche Verringerung der Beschwerden bewirken.
Weitere Informationen unter: www.albireo pharma.com
Da in Deutschland die Kosten für neue Medikamente sofort nach der Zulassung von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden, bekommen Patienten mit seltenen Krankheiten in der Bundesrepublik neu zugelassene Medikamente in der Regel lange vor ihren Leidensgenossen in anderen europäischen Ländern. Insbesondere bei dem neuen Präparat zur Behandlung der PFIC ist das zum Vorteil der Patienten, denn es ist ein gut verträgliches und in vielen Fällen effektives Präparat.

Beeinträchtigung des Sehvermögens: Auch an LHON denken
LHON, die Lebersche hereditäre Optikus-Neuropathie, ist eine erbliche Erkrankung des Sehnervs. Durch eine Mutation werden Nervenzellen geschädigt, was zu schwerer Sehbehinderung führen kann. Wir sprachen mit Prof. Dr. Wolf Lagrèze, Leitender Arzt an der Augenklinik des Universitätsklinikums Freiburg sowie Universitätsprofessor der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau, über die Erkrankung und neue Behandlungsansätze.
Prof. Dr. Lagrèze, wie häufig tritt LHON auf?
Als seltene Erkrankung hat sie eine Häufung von weniger als 1 zu 2.000. Man
schätzt, dass es jährlich etwa 50 Neuerkrankungen in Deutschland gibt und insgesamt etwa 3.000 Betroffene.
Wer erkrankt?
Etwa 80 Prozent der Betroffenen sind Männer.
Das typische Erkrankungsalter liegt bei 25 Jahren,
wir sehen aber insgesamt Neupatient*innen im Alter von zwei bis 80 Jahren. Man schätzt, dass ca. 15 Prozent Kinder und Jugendliche sind, der Rest sind Erwachsene.
Was macht die Diagnostik der Erkrankung so schwer?
An sich ist die Diagnose nicht schwer zu stellen – aber man muss an die Erkrankung denken. Die Krux bei seltenen Erkrankungen ist, dass sie oft nicht bedacht werden, weil das Häufige naheliegender ist. Oft dauert es Monate, selten Jahre, bis Betroffene die richtige Diagnose erhalten. Oft wird die LHON mit einer Sehnerventzündung verwechselt.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Aktuell steht ein zugelassenes Medikament zur Verfügung mit dem Inhaltsstoff Idebenon. Diese orale Therapie zielt nicht spezifisch auf eine bestimmte Mutation ab, sondern soll den Elektronentransport


der Atmungskette in den Mitochondrien verbessern. Leider garantiert die Behandlung nicht jedem Betroffenen eine Sehverbesserung – es gibt eine Spontanerholungschance, die aber durch die Gabe des Medikaments erhöht wird. Für eine Gentherapie wird derzeit die Zulassung geprüft.
Wie wird eine Gentherapie bei der Behandlung von LHON am Auge durchgeführt?
Ein Virusvektor schleust per Injektion in den Glaskörper des Auges eine intakte Kopie des defekten Gens in die Nervenzellen der Netzhaut ein. Diese Kopie dient als Vorlage für die Produktion des Enzyms ND4 (NADHDehydrogenase-4). Auf diese Weise erzeugen die Mitochondrien wieder Energie und sichern die Versorgung der Nervenzellen, damit diese Seheindrücke zum Gehirn weiterleiten können. Allerdings kommt die Therapie nur für die Mutation 11778 infrage, die jedoch ca. ¾ der Fälle von LHON ausmacht.

GENOMISCHE MEDIZIN
BEI SELTENEN NETZHAUTERKRANKUNGEN
GenSight Biologics, ein Biopharma-Unternehmen aus Frankreich, hat sich auf die Forschungsarbeit an schweren neurodegenerativen Augenerkrankungen und Erkrankungen des zentralen Nervensystems spezialisiert. Die innovativen Therapieansätze fokussieren sich dabei besonders auf Patientinnen und Patienten mit Leberscher hereditärer Optikusneuropathie (LHON) und Retinitis pigmentosa.
Am weitesten fortgeschritten ist eine Gentherapie, die aus der Forschung am Institut de la Vision in Paris hervorgeht und in einem klinischen Studienprogramm bei mehr als 200 Patientinnen und Patienten mit Leberscher Hereditärer Optikusneuropathie (LHON) entwickelt wird. Der gentherapie-basierte Ansatz ist so konzipiert, dass beide Augen mittels einer einzigen intravitrealen Injektion behandelt werden. Ziel ist es, den Patientinnen und Patienten eine nachhaltige


Prof. Dr. Wolf Lagrèze Leitender Arzt an der Augenklinik des Universitätsklinikums Freiburg sowie Universitätsprofessor der AlbertLudwigsUniversität Freiburg im Breisgau
Welche Vorteile sprechen für die Gentherapie am Auge?
Die Behandlung ist technisch einfacher als andere Gentherapien im hinteren Augenabschnitt, da der Vektor nicht unter die Netzhaut injiziert wird, sondern in den Glaskörper, ähnlich einer Behandlung der Makuladegeneration. Im Vergleich zu Idebenon hat die Gentherapie bei der Mutation 11778 eine höhere Seherholungsrate. Es ist eine einmalige Behandlung, die abgesehen von einer kurzzeitigen Entzündungsreaktion im Augeninneren gut vertragen wird. Wurde in ein Auge injiziert, verbesserten sich in Studien meist beide Augen. Das Genprodukt war im Tierexperiment auch im nicht injizierten Auge nachweisbar.
Allerdings sollte die Erkrankung möglichst bald nach Ausbruch behandelt werden, im Idealfall etwa innerhalb eines halben Jahres, da die Chancen, dass die Nervenzellen sich erholen, mit der Zeit abnehmen.

Wiederherstellung des Sehvermögens und eine weitgehende Verbesserung der Lebensqualität zu ermöglichen. Damit wird ein großer medizinischer Bedarf in dieser sehr seltenen Erkrankung angegangen. Von der European Medicine Agency wird derzeit der Antrag auf Marktzulassung überprüft. Diese wird für 2023 erwartet.
GenSight Biologics untersucht mit seinem zweiten Therapiekandidaten eine Behandlung zur Wiederherstellung des Sehvermögens bei Patienten, die an Retinitis pigmentosa im Spätstadium leiden. Der optogenetische Ansatz ist unabhängig von den spezifischen genetischen Mutationen und hat potenzielle Anwendungen bei anderen Erkrankungen der Netzhaut, wie der trockenen altersbedingten Makuladegeneration.
»Ein Kind bedeutet nicht wenig und nicht viel, es bedeutet alles.«
Fritz P. Rinnhofer

IHRE ENTSCHEIDUNG KANN VIEL BEWEGEN. JEDER EURO HILFT!

Die Deutsche Kinderhospiz- und Familienstiftung (DKFS) hilft u. a. Familien in Deutschland, deren Kind oder Kinder lebensverkürzend erkrankt sind. Dabei fördern wir sowohl aktive ambulante Kinderhospizdienste als auch stationäre Kinderhospize in der Bundesrepublik.
Deutsche Kinderhospiz- und Familienstiftung (DKFS)
Tel. 03631 46089260 · info@dkfs-hilft.de
dkfshilft
dkfshilft
oder über Spendenkonto:
IBAN: DE57 1012 0100 1700 0173 09
BIC: WELADED1WBB
Weberbank Actiengesellschaft Berlin
www.DKFS-hilft.de
Foto: