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Kleine Zeitreise Willkommen im Paradies
Eine kleine
ZEITREISE… Willkommen im Paradies
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Endlich ist er weg – der Bauvorhang vor dem sogenannten Paradies. Frisch gereinigt und aufwendig restauriert präsentiert sich nun der Haupteingang des Dom. Probleme mit der Statik der Wände und marode Stützpfeiler hatten die Arbeiten verzögert. Neue Bodenplatten auf der 180 m² großen Fläche waren nötig, Sanierungsarbeiten an Fenstern und Türen wurden vorgenommen und die Spalier stehenden, überlebensgroßen, von spätromanischen Bildhauern geschaffenen Figuren, wurden gereinigt.
Das Paradies ist eine mit aufwendigen Giebeln bestückte Vorhalle des Doms, die ursprünglich nach vorne und zur Seite geöffnet war. Dies hatte einen praktischen Grund: das mittelalterliche Sendgericht wurde hier abgehalten. Seinerzeit war es allgemein üblich, dass Gerichtsverfahren im Freien abgehalten wurden, da kein Verdacht auf heimliche Mauscheleien hinter verschlossenen Türen aufkommen sollten. In Münster galt zudem ein äußerst strenger Marktfriede und jeder Bruch, der mit Blutvergießen verbunden war, wurde bis 1578 durch das Sendgericht mit dem Tode bestraft.
Der Name „Paradies“ für den Eingangsbereich des Doms deutet auf den paradiesischen Urzustand und den Sündenfall hin und steht so im örtlichen Zusammenhang mit der hier stattfindenden weltlichen Gerichtsbarkeit. Es stellt aber auch eine Pforte des Himmels dar, denn über den beiden Eingangstoren
TEXT: ELISABETH VOLLMER FOTOS: TOM BENDIX, ELISABETH VOLLMER
zum Dom thront Christus als Weltenrichter - allerdings als ein freundlicher - mit dem Buch des Lebens in der linken Hand, die Rechte zum Segen erhoben. So soll symbolisch die Tür zum Heil gezeigt werden: „ Ich bin die Tür, wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden.“ (Joh. 10.9) Darunter befindet sich die Figur des Dompatrons Paulus, dessen Heiligenschein dem hochgehaltenen Schwert den Schrecken nimmt. In Wandnischen stehen überlebensgroße Steinfiguren Spalier. Sie sind über einen langen Zeitraum von verschiedenen Steinmetzen geschaffen worden, bilden aber trotzdem eine homogene Gruppe. Vor Kopf sieht man die Apostel, die wohl auch die Säulen der Kirche darstellen sollen, während Heilige und Stifter in den Seitennischen Platz finden. Unterhalb der Figuren befinden sich Friese mit Darstellungen menschlicher Tätigkeiten. Wer sich die Reliefs über dem Eingang genauer anschaut, wird beim linksseitigen Relief eine antijudaistische Darstellung finden. Es zeigt die hei-
An der Außenfassade präsentieren sich nun die frisch restaurierten Sandsteinfiguren des Bildhauers Rudolf Breilmann, die Karl den Großen, den heiligen Georg, den Erzengel Michael und den Gründer des Doms, den heiligen Liudger, darstellen.

ligen drei Könige, die Maria mit dem Jesuskind huldigen. Unter den Füßen der Muttergottes werden jedoch zwei Gestalten niedergedrückt, die linke symbolisiert das Juden-

An der in diesem Jahr frisch renovierten Fassade prangt als Eckfigur ein kleiner Gargolye mit Mundschutz

➜ Die Eckfiguren an wichtigen mittelalterlichen Gebäuden wie Kirchen oder Schlössern dienen als Wasserspeier und werden meist als mystische Wesen dargestellt. Sie sollten durch ihr dämonisches Aussehen den teuflischen Geistern einen Spiegel vorhalten und sie somit vergraulen. Schon immer haben Steinmetze in Kontext der Zeit kleine Symbole eingehauen, so auch heutzutage. Der Gargoyle mit Mundschutz wird immer an das Pandemie-Jahr 2020 erinnern.

Foto: Tom Bendix


Oben: Das Marienrelief über dem Eingang. Unten links: Der Coventry-Stein. Unten rechts: Wer findet den Teufel?

tum, die rechte das Heidentum. Rechts neben Maria zeigt dieses Relief die Beschneidung Christi. Auf dem rechtsseitigen Relief findet man eine Darstellung vom Sturz des Saulus vom Pferd und seinen Transport nach Damaskus, wo er dann nach seiner Bekehrung, inzwischen erblindet, auf den Namen Paulus getauft wurde. Auch interessant ist ein Stein neueren Datums. Es ist der sogenannte Stein von Coventry, der 1961 auf der gegenüberliegenden Seite angebracht wurde. Er weist auf die Zerstörung der Kathedrale von Coventry durch deutsche Bomber am 14. November 1940 hin. „Forgiving one another as god in Christ forgave you“ lautet das versöhnliche Motto. Doch nicht immer haben die Menschen über die feinen Bildhauerarbeiten gestaunt. Zur Zeit der Wiedertäuferherrschaft wurde der Dom als Steinbruch benutzt, um die Stadtmauer zu verstärken. Wahrscheinlich war es auch zu dieser Zeit, dass von den wohl ursprünglich zwölf Aposteln, drei verloren gegangen sind. Zuvor schon hatte im Jahr 1527 ein Brand, der bei Dachdeckerarbeiten entstand, großen Schaden angerichtet. Im Paradiesvorbau war damals im oberen Teil ein Geschoss eingelassen, das als Bibliothek und Archiv diente. Viele der Schriftstücke, die uns heute wertvolle Informationen über die Frühgeschichte des Doms geben könnten, wurden hier ein Opfer der Flammen. Wer sich eingehender mit der Geschichte, den Kunstschätzen und der eindrucksvollen Architektur beschäftigen möchte, für den findet sich trotzdem jede Menge informativer Literatur. Und bei fachkundigen Domführungen kann man sich direkt vor Ort ein Bild machen. Vielleicht fällt Ihnen dabei dann auch ein kleines, kurioses Detail ins Auge: an einer versteckten Stelle, allerdings in Augenhöhe, findet man eine Ritzung, die den Teufel mit hochgestellten großen Ohren zeigt. Wer der „Künstler“ war...? •
