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Vom perfekten Team in jeder Frau

Text: Brigitta Soraperra, Fotos: Mara Greußing, Rebekka Sohm Bildrechte „Blood mountain“© Liv Strömquist/avant-verlag

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Obwohl es sich um einen völlig natürlichen, körperlichen Vorgang handelt, ist die weibliche Menstruation nach wie vor mit einer seltsamen Scham besetzt. „Ma darf drübr reda, aber ma tuat‘s net“, sagt Angelika Greußing (37) und bricht mit ihrem Buch „Vom Powergirl zur Superfrau“ das Schweigen. Was sie darin allen Mädchen – und Jungs – vermitteln will, was eine „Zyklusmentorin“ ist, und wie sie sich selber mit ihrem „inneren Team“ versöhnt hat, darüber hat die marie mit der Lehrerin der Mittelschule Bezau gesprochen.

Warum ist ein völlig natürlicher körperlicher Vorgang, der bei der Hälfte der Menschheit auftritt und dafür sorgt, dass diese nicht ausstirbt, nach wie vor dermaßen mit Scham und Peinlichkeit verbunden? Warum kennen nicht einmal Frauen selber ihren eigenen Körper und wissen, was in ihm vor sich geht, wenn „die Hormone verrückt“ spielen? Warum feiern wir die Erstkommunion mit einem großen Fest, aber nicht, wenn ein junges Mädchen das erste Mal seine Monatsblutung hat? Alles Fragen, die sich die Hirschauerin Angelika Greußing gestellt hat, und die dazu geführt haben, dass die Mathematiklehrerin ganz unerwartet zur Buchautorin geworden ist.

Das monatliche „Muss“

„Bei uns in der Familie war die Menstruation zwar nie ein Tabuthema“, erzählt Angelika Greußing im Gespräch, „aber meine Mutter war regelrecht krank, wenn sie ihre Tage hatte. Extreme Schmerzen, zum Teil Fieber, das war beinahe jeden Monat der Fall. Wenn du das so mitbekommst, dann ist die Regel nichts Schönes, nichts Gutes, sondern einfach ein Muss“. Natürlich weiß sie, dass die Generation ihrer Mutter wenig in Sachen Aufklärung gehört hatte. „In den 1960er bzw. 1970er Jahren wurden die jungen Leute neben der Schule vor allem von der ‚Bravo‘ aufgeklärt, da ihre Eltern diese Funktion leider nicht übernehmen konnten.“ In der Nachkriegszeit wurde im katholisch geprägten Vorarlberg schlichtweg nicht über Sexualität, Fruchtbarkeit und allem, was damit zusammenhängt, gesprochen. Viele wussten nicht einmal, was mit ihnen los ist, als sie das erste Mal bluteten, manche meinten sogar, sie müssten jetzt sterben. Das hat mir auch meine eigene Mutter, Jahrgang 1939, erzählt. Den meisten wurde dann nur verschämt eine Binde in die Hand gedrückt, und – oft mit seufzendem Unterton – gesagt, dass das jetzt jeden Monat passieren werde, weitere Fragen waren verboten. Dass sich aber ein Wissen über die Vorgänge im eigenen Körper und eine positive Einstellung dazu ganz maßgeblich auf das Erleben von Zyklus und Periode auswirken, das hat Angelika Greußing sehr eindrücklich erfahren. Umso wichtiger ist der ausgebildeten Pädagogin, dass junge Mädchen nicht erst über 30 Jahre alt werden müssen, wie sie selber, bis sie ihre monatliche Blutung als etwas Schönes und Sinnliches erleben und ihren Zyklus sogar für ihr alltägliches Leben nutzbar machen können.

Vom Zauber des Zyklus

Sie habe früher eine „ganz unregelmäßige Regel gehabt, immer verbunden mit starken Bauchkrämpfen, Kopfweh, Rückenschmerzen und extremen Stimmungsschwankungen“. Nicht einmal die Geburt ihrer Kinder habe eine Veränderung gebracht, erzählt Angelika Greußing, „obwohl mir das oft gesagt wurde.“ Das einschneidende, für sie im wahrsten Sinne des Wortes lebensverändernde Ereignis, das sie „in Einklang mit ihrem Zyklus und den Zyklus mit mir“ gebracht hat, geschah im Jahr 2015. Da war sie bereits 32 Jahre alt und Mitglied einer Frauengruppe, die sich regelmäßig zum gemeinsamen Meditieren traf. Eine der Frauen habe erzählt, dass es in Deutschland Kurse für „Gebärmuttersegnungen“ gäbe. Das habe sie neugierig gemacht. Sieben Mitglieder der Gruppe schlossen sich zusammen und reisten nach Frankfurt zu einem Workshop mit Miranda Gray. Gray ist Engländerin, Autorin und eine weltbekannte Lehrerin für Spiritualität und Menstruation. Sie hat mehrere Bücher über Weiblichkeit und den weiblichen Körper geschrieben, ihr bekanntestes Buch „Roter Mond“ bildet die Grundlage ihrer „Moon Mother“-Kurse, die sie weltweit anbietet. Darin vermittelt sie den Teilnehmerinnen ein Verständnis für den eigenen Menstruationszyklus und – im Besonderen – für die vier Phasen, die ihn auf der körperlich-hormonellen und auf der emotional-psychischen Ebene begleiten. „Und die gelebt werden wollen“, fügt Angelika Greußing hinzu, „denn wenn sie ignoriert werden, zeigen sie sich in einer negativen Art“. Wie das aussehen kann, davon berichtet die Wälderin erfrischend offen: „Ich war in den Tagen vor der Regel meist sehr gereizt, verletzlich und aufbrausend, also regelrecht unausstehlich, besonders zu den Kindern. Als ich im Seminar dann gehört habe, dass das einer der vier Phasen, nämlich der Phase der Zauberin, zuzuordnen ist, ging es mir sofort besser. Und ich habe dann gelernt, dass diese Zauberin einfach einen sinnvollen Kanal braucht, dann ist sie nicht mehr zerstörerisch und ich kann im Gegenteil diese Energie nutzen und in die nächste Phase kommen.“ Auch die anderen Frauen, mit denen sie darüber sprach, hätten verblüffende Erkenntnisse gehabt, erzählt die heute 37-Jährige. Sie hätten beispielsweise plötzlich verstanden, warum sie an manchen Tagen geradezu Berge ausreißen konnten und voller Ideen und Pläne waren und ein paar Tage später alles in Frage stellten und anzweifelten.

Aus eins wird vier

„Wir sind zu siebt hingefahren und zu achtundzwanzigst zurückgekommen“, sagt Angelika Greußing lachend, „weil wir erkannt haben, dass jede von uns eigentlich vier Frauen ist und nicht nur eine“. Im Kern bedeuten diese vier Phasen des weiblichen Zyklus nämlich, dass – bedingt durch die Hormone – rundum Eisprung und Periode, aber auch die Wochen dazwischen, jeweils unterschiedliche Fähigkeiten und Persönlichkeitsmerkmale im Vordergrund stünden. „Die Phasen sind im Grunde bei allen Frauen gleich, aber in welcher Form und an welchen Tagen im Zyklus sich die Stärken und Schwächen zeigen, variiert bei jeder Frau, weil jede Frau natürlich ihre eigene Persönlichkeit hat“, erklärt Angelika Greußing. Miranda Gray hat die Phasen und ihre Merkmale zur Versinnbildlichung mit vier weiblichen Archetypen gleichgesetzt, die wir aus Mythen und Märchen kennen, und Greußing hat sie teilweise – für junge Mädchen verständlich – verändert: „Mädchen“, „Mutter“, „Zauberin“ und „Hexe“. „Jede der vier Frauenfiguren hat andere Eigenschaften, wo ich beispielsweise in der Phase vom Mädchen – das ist nach der Periode – voller Tatendrang bin, logisch denken, gut planen und organisieren kann, bin ich in der Mutter-Phase – das ist während des Eisprungs – vermehrt kontaktfreudig, fürsorglich und einfühlsam.“ Allerdings sei eine Verallgemeinerung schwierig, sagt die mittlerweile selber zur Zyklusmentorin ausgebildete Pädagogin, deshalb „ist es wichtig, den eigenen Zyklus zu beobachten und wahrzunehmen, wie man dann jeweils ist. Und es sind nicht immer genau sieben Tage bei einem 28 Tage Zyklus, die die Phasen dauern, sofern eine Frau überhaupt einen regelmäßigen Zyklus hat“. >>

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„Was würde zum Beispiel passieren, wenn plötzlich, auf magische Weise, Männer menstruieren könnten und Frauen nicht? Die Antwort ist klar – die Menstruation würde ein beneidenswertes, würdiges, männliches Ereignis werden“.

(Gloria Steinem, US Autorin)

Der innere Werkzeuggürtel

Angelika Greußing war so begeistert von dem, was sie durch Miranda Gray erfahren hatte, dass sie bei ihr eine Ausbildung zur „Moon Mother“ absolvierte. Dabei lernte sie, die Mondenergie für den weiblichen Körper zu nutzen und andere Frauen dabei zu unterstützen, ihre Energien zu kanalisieren und die eigenen Stärken und Schwächen auszubalancieren. Heute ist Greußing außerdem eine der wenigen Zyklusmentorinnen in Vorarlberg. Denn dass es sich plötzlich schön anfühlte, eine Frau zu sein, dass sie sich selber besser verstand und erkannte, dass der weibliche Zyklus nichts Schlimmes, sondern im Gegenteil etwas sehr Besonderes ist, voller ungeahnter Potenziale, motivierte sie, diese Erkenntnisse ihren Schülerinnen zu vermitteln. „Ich bin Lehrerin und nicht Energetikerin. Mir ist es vor allem ein Anliegen, dass die Frauen das Wissen bekommen.“ Sie begann mit Workshops an ihrer Schule, die die Mädchen begeistert annahmen und deren Inhalte auch in ihr Buch einflossen. „Ich sage den Schülerinnen immer: Du selber bist das perfekte Organisationsteam, du kannst selber alles abdecken, wenn du die Phasen berücksichtigst.“ Sie spreche zu ihren Schülerinnen gerne vom Zyklus als einem Werkzeuggürtel, den jede ganz selbstverständlich dabeihabe. Was nütze der, wenn sie nicht wüssten, wie sie die einzelnen Werkzeuge nutzen können. „Wenn ich weiß, in dieser Phase bin ich ungeduldig, dann atme ich halt einmal mehr durch. Oder ich sage bei der Gruppenarbeit zu meiner Kollegin oder meinem Kollegen, komm, lass mich das machen, ich mach das schnell, ich hab’ heute genug Energie, anstatt genervt zu warten. Oder wenn ich die Regel habe und weiß, dass ich eigentlich ruhen sollte, dann schaue ich, dass ich mir keine Arbeit zusätzlich aufhalse. Ich kann dann darauf vertrauen, dass ich in der nachfolgenden Phase wieder topfit bin und mit einem klaren Kopf viele Dinge leichter erledigen kann.“

Auch für Jungs

Dass aus diesen Workshops letztendlich ein Buch geworden ist, hat auch damit zu tun, dass Miranda Gray sie gebeten habe, ein Skript von ihren Schulworkshops zu erstellen. Und als diese Mitschrift immer länger und länger wurde, habe sie gemerkt, dass sie wohl ein Buch schreiben müsse. „So hat es sich einfach ergeben, es hat raus müssen“, sagt die pragmatische Hirschauerin. Sie sei zwar unsicher gewesen, ob die Welt das brauche, „irgendwann dachte ich aber, wenn meine Tochter mal so weit ist, dann muss das Buch aber da sein“. Und mittlerweile sage auch ihr neunjähriger Sohn: „Wenn ich so weit bin, musst du mir auch so ein Buch schreiben.“ Apropos: Jungen und Männer reagierten auf das Buch sehr positiv, berichtet Angelika Greußing, auch weil es ihnen helfe, „Frauen besser zu verstehen“. Allerdings seien die Buben der Mittelschule noch zu jung dafür.

Ganz zum Schluss frage ich Angelika Greußing, ob sie einen Wunsch für unsere Gesellschaft habe. Sie muss nicht lange überlegen: „Mein Traum ist, dass Frauen sich gegenseitig im Zyklus unterstützen, dass das normal wäre. Und dass jedes Mädchen zur ersten Regel das Wissen bekommt, das in diesem Büchlein steckt“, ergänzt sie schmunzelnd.

Tipps:

Angelika Greußing: Vom Powergirl zur Superfrau – Entdecke die Stärken des Menstruationszyklus. Mit Illustrationen von Rebekka Sohm. ISBN 978-3-85298-237-3 Kontakt, Buchbestellungen über: www.agreussing.at Miranda Gray: Roter Mond: von der Kraft des weiblichen Zyklus. Stadelmann Verlag. ISBN 978-3-943793-48-2 Liv Strömquist: Der Ursprung der Welt. avant-Verlag. ISBN 978-3-943793-48-2 Infos, Fakten und wertvolle Tipps zur Menstruation und allem, was damit zusammenhängt. www.erdbeerwoche.com

Rotes Zelt Vorarlberg:

In Vorarlberg gibt es eine engagierte Frauengruppe namens „Salon 13 – Weiblichkeit in Mann und Frau“, die jedes Jahr im Mai ein „Festival der Weiblichkeit“ organisiert. Im Mittelpunkt steht dabei das „Rote Zelt“ als Sinnbild und Schutzraum für den weiblichen Zyklus und die monatliche Blutung. In der Festivalwoche finden Seminar und Workshops statt. Nächstes Festival: 12. - 16. Mai 2021 in Nenzing. Nähere Informationen unter www.salon13.at

Blutige Tatsachen: Wussten Sie, dass

… eine Frau heute etwa 40 Jahre fruchtbar ist, dabei ca. 500 Menstruationszyklen hat und somit insgesamt zirka 6-7 Jahre ihrer Lebenszeit blutet? … der Menstruationszyklus bei jeder Frau unterschiedlich lang ist und eine

Spannweite zwischen 21 und 40 Tagen umfassen kann? … gemäß einer Umfrage in Österreich aus dem Jahr 2017 unter 1100 Jugendlichen rund 60 Prozent der Mädchen angaben, eine negative Einstellung zu ihrer Menstruation zu haben und 70 Prozent der Jungs das Thema Menstruation peinlich fanden? (siehe www.ready-for-red.at) … sich in Höhlenmalereien wie zum Beispiel in der allerältesten, uns bekannten religiösen Kultstätte „Göbekli Tepe“ in der Türkei menstruierende

Frauenkörper finden und es sehr wahrscheinlich ist, dass sie zur damaligen

Zeit, vor 12.000 Jahren, kultisch verehrt wurden? … im Mittelalter – unter männlichen Wissenschaftlern wie etwa Paracelsus – die Meinung bestand, dass das Menstruationsblut unrein und sogar giftig ist? Diese Meinung hielt sich hartnäckig, Frauen wurde während ihrer Monatsblutung zudem eine schädigende Wirkung auf ihre Umwelt zugesprochen und alle großen patriarchalen Weltreligionen bezeichne(te)n Menstruierende als unrein. Erst 1958 erfolgte durch den deutschen Mediziner Karl

Johann Burger der wissenschaftliche Beweis, dass das Monatsblut völlig ungiftig ist. Nichtsdestotrotz durften in Deutschland bis in die 1970er Jahre menstruierende Frauen kein Blut spenden, weil ihr

Blut angeblich rote Blutkörperchen zerstöre. … auch heute noch in vielen Kulturen menstruierende Frauen als „unrein“ und „schädigend“ gelten? In Indien dürfen Frauen während der Periode nicht mit ihren Männern reden und müssen nach der Blutung das Haus mit Kuhdung segnen. Auf Bali und im orthodoxen Judentum müssen sie „danach“ ein rituelles Bad zur Reinigung nehmen. Und wer hat hierzulande nicht auch schon gehört, dass wenn die Sahne nicht steif wird oder die Pflanzen verkümmern, wahrscheinlich „die Hausfrau die

Regel hat“? … 40 Prozent der menstruierenden Personen Tampons, 40 Prozent Binden und 20 Prozent andere Methoden wie wiederverwendbare Stoffbinden, Menstruationstassen oder keine Hygiene-Produkte benützen? Die Menstruation ist damit ein nicht unwesentlicher Wirtschaftsfaktor, denn eine Frau benötigt in einem Jahr rund 200 Tampons oder Binden und gibt in Österreich im

Laufe ihres Lebens ca. 5000 bis 7000 Euro dafür aus. … erst seit 1. Jänner 2021 Hygieneartikel für Frauen in Österreich nicht mehr als „Luxusartikel“ eingestuft werden, sondern als „Dinge des täglichen Gebrauchs“ und die Mehrwertsteuer deshalb von 20 Prozent auf 10 Prozent gesenkt worden ist? … in Schottland – als erstem Land der Welt – aufgrund eines Gesetzesbeschlusses vom November 2020 Binden und Tampons in öffentlichen Einrichtungen gratis zur Verfügung stehen müssen? … als 2017 (!) weltweit zum ersten Mal in einem britischen TV-Werbespot für Monats-Binden statt einer blauen Flüssigkeit eine rote das Monatsblut repräsentierte, ein weltweiter Shitstorm durch die Medien ging? Die Entrüstung wiederholte sich im Jahr 2019 (!) und führte sogar zu Beschwerden bei der staatlichen Regulierungsbehörde, als der Clip für Australien adaptiert wurde und damit die offenbar größten gesellschaftlichen Tabus durchbrachen: Nicht nur weil er rote Flüssigkeit verwendete, sondern auch Frauen mit Bauchkrämpfen im Bad, Männer beim selbstverständlichen Einkaufen von Damenbinden und Paare beim lustvollen Sex während der Periode zeigte. Die Beschwerden wurden übrigens mit der Begründung, die Kampagne „fördere die

Gleichstellung und Entmystifizierung der Menstruation“, abgelehnt. (#bloodnormal von Bodyform)

Quellen: www.erdbeerwoche.com; Sendung «Quarks&Co» vom 3.5.2016: „Was Männer schon immer über Menstruation wissen wollten“; „Der Ursprung der Welt“ von Liv Strömquist.

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