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Die Friedensforscherin
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Viele in Vorarlberg kennen sie: Julia Felder (31, aus Hohenems) ist eine Frau, die das öffentliche Leben mitgestaltet. Als Leiterin der freien Initiative InKonTra setzt Die sie Impulse zur interkulturellen Konflikttransformation. Friedensforscherin
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Text: Christina Vaccaro, Fotos: privat
Mit der marie sprach die weitgereiste Vorarlbergerin über ihr Leben. Spurensuche nach dem Frieden.
Am Anfang des Weges steht ein Name: Thandiwe. Er ist eine Mitgift aus Südafrika, wo Julia Felders Eltern einige Jahre verbrachten, und bedeutet „geliebt“. Ein schöner Name in einer unschönen, von der Apartheid geprägten Zeit Südafrikas. Noch vor der Geburt von Julia Thandiwe Felder kehren die beiden Vorarlberger deshalb zurück, und das Kind wächst mit zwei Geschwistern im Bregenzerwald auf. „Ich hatte das Glück, Wald hinterm Haus und Bäume als Lehrer zu haben“, erinnert sich Julia Felder heute. Ihre direkte Beziehung zur Natur prägt sie und wird sie Jahre später zurück nach Vorarlberg holen. Doch der Reihe nach.
Mit 16 Jahren beginnt sich die junge Julia ziemlich plötzlich intensiv für Politik zu interessieren. Die Frage der Gerechtigkeit, des Respekts füreinander, Rassismus und Geschlechterrollen beschäftigen sie, werden zum „rebellischen Impuls“, wie sie mit einem Schmunzeln erzählt. Ein Englisch-Lehrer des BORG Dornbirn-Schoren stellt Themen bereit und lässt seine Schüler*innen diskutieren, im Austausch ohne Vorbestimmung, ohne moralische Erziehung. Julia Felder ist zum Teil schockiert über die Meinung ihrer Mitschüler*innen und den Lauf der Welt: „Zu sehen, dass der Kolonialismus nicht etwas ist, das in der Vergangenheit liegt, sondern tagtäglich geschieht, dass Menschen unter einem versteckten Rassismus ausgebeutet werden, das hat mich aufgerüttelt. Selbst in der Entwicklungshilfe wird teils das Sich-über-andere-Stellen weiter fortgesetzt.“
Besagter Lehrer bemerkt Julias Engagement, das mehr als ein politisches Interesse ist: der Wunsch, in der Gesellschaft gestalterisch zu sein. Er versorgt sie mit Literatur zum Thema Globale Gerechtigkeit und empfiehlt seiner Schülerin, in Eigeninitiative ihren Weg einzuschlagen, anstatt zu viele Kompromisse in der formalen Politik einzugehen. Nach der Matura ist für Julia Felder klar: Sie möchte nach Ghana, um dort Menschen respektvoll zu unterstützen.
Südlich der Sahara
In Kumasi im zentralen Süden Ghanas lebt sie im Zimmer der Familie, die die 20 Minuten Fußmarsch entfernte Schule leitet. „Ich bin da als ,Co-Lehrerin‘ hin, habe aber recht bald bemerkt, dass die das gut ohne mich können und es mehr bewirkt, Förderunterricht zu geben“, erzählt Julia Felder. „Die Schülerinnen und Schüler hatten extrem unterschiedliche Niveaus, auch wenn sie im gleichen Alter waren. Viele verstecken sich, wenn sie merken, dass sie dem Unterricht nicht folgen können.“ Felder unterrichtet vor allem Lesen und Schreiben, Mathematik in den höheren Stufen und – auf eigenen Wunsch der Schule – ein bisschen Deutsch.
In Ghana werden Felders Glaubenssätze umgewälzt. „Was mich von Anfang an extrem beeindruckt hat, ist das grundsätzliche Vertrauen, das dir entgegengebracht wird, wogegen ich hier oft das Gefühl hatte, dass die Menschen eher ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber anderen Menschen, denen sie begegnen, haben.“ Ihre Mitmenschen sind kommunikativ und gehen auf sie zu, was die 18-Jährige auch sehr herausfordert. Sie hat manchmal das Gefühl, keine Privatsphäre zu haben. Andererseits ist immer jemand da, der hilft. Angst hat sie keine. Gleichzeitig fühlt sie sich als „Weiße“ einsam und fremd. Ihr Humor scheint nicht geteilt und verstanden zu werden.
Mit einem einheimischen Freund, zu dem sie noch heute Kontakt hat, taucht sie in die spirituellen Zugänge der Aschanti ein und lernt, „dass es verschiedene Formen von Realitäten gibt und dass die einen gleich wahr sind wie die anderen: die Realität des Herzens, des Körpers, der Erde...“. Der Zugang zu anderen Ebenen als allein jener des Verstandes wird später auch Felders Verständnis der Konflikttransformation und Friedensarbeit prägen. >>
„Friedensforscherin ist der einzige Begriff, den ich gerne sage, wenn man mich fragt, wer ich bin. Mehr als ein Beruf ist es eine Haltung – immer wieder fragend zu sein: Was heißt es eigentlich, Mensch zu sein? Was gibt es zum Anerkennen, zum Sehen und wie können wir unser menschliches Potenzial als Friedenswesen leben?“
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Nach sechs Monaten Aufenthalt in Ghana bekommt Julia Felder Malaria und stirbt fast daran. Sie kehrt zurück nach Österreich, das Gefühl des Fremdseins bleibt ihr noch: Wer versteht schon, was sie südlich der Sahara alles erlebt hat? Sie geht nach Wien, studiert dort Politikwissenschaften und Internationale Entwicklung – beide Bachelor schließt sie in zweieinhalb Jahren ab. „In der Zeit in Wien war ich sehr auf das Studium fokussiert. Ich dachte, ich studiere so schnell wie möglich, um alles zu wissen, was ich wissen muss, um das System zu verändern und die richtig großen Ziele zu erfüllen. Dabei bin ich voll an meine eigene Grenze gekommen und habe gelernt: Wenn ich nicht auf mich selbst schaue, sagt der Körper irgendwann: So geht das nicht.“
Friedensforscherin im Werden
Sie war viel krank in Wien, „hatte immer irgendwas“ und fing schließlich an, zu schauen, was sie für sich selbst tun kann. Sie setzte sich mit dem inneren Widerspruch auseinander, etwas Gutes für die Welt tun zu wollen, aber nicht zu sich selbst gut zu sein. Ein Widerspruch, den sie in ihrem Studium wiederfand, das sich inhaltlich mit Demokratie beschäftigte, aber hierarchisch aufgebaut war. Das passte für Julia Felder nicht zusammen.
Nach ihrem Studium war ihr klar, dass das Stadtleben nicht das Richtige für sie ist und sie aus Wien weg will. Sie kehrt also zurück nach Vorarlberg, macht dabei einen Master in Peace, Development, Security and International Conflict Transformation (Frieden, Entwicklung, Sicherheit und Internationale Konflikttransformation) mit Präsenzphasen in der Nähe von Innsbruck, stößt auf die Forschung von Wolfgang Dietrich, einem österreichischen Friedensforscher und Politikwissenschaftler. Und Julia Felder weiß: Das ist es. Das ist ihr Thema, ihre Berufung. „Friedensforscherin ist der einzige Begriff, den ich gerne sage, wenn man mich fragt, wer ich bin. Mehr als ein Beruf ist es eine Haltung – immer wieder fragend zu sein: Was heißt es eigentlich, Mensch zu sein? Was gibt es zum Anerkennen, zum Sehen und wie können wir unser menschliches Potenzial als Friedenswesen leben?“
Während ihres Masters reist Julia Felder viel, lernt andere Lebensweisen kennen, arbeitet auf Biofarmen, wird mit Permakultur vertraut. Nach ihrem Studienabschluss ist sie zunächst ein Jahr bei der Offenen Jugendarbeit angestellt, merkt aber bald, dass es eigentlich keine Anstellung gibt, in der sie tun kann, was sie tun möchte. „Ich war dann ein paar Monate arbeitslos – wobei ich diesen Begriff eigentlich nicht verwende, denn wann ist man schon arbeitslos – und habe wirklich überlegt, was ich will und was mich davon abhält, zu tun, was ich wirklich will, was meinem Wesen entspricht. Ich wusste: Ich möchte Impulse für den Frieden setzen.“
Julia Felder vertraut darauf, dass sich finanzielle Angelegenheiten einregeln, wenn sie das tut, worin sie einen Sinn sieht, und ruft 2015 die freie Initiative InKonTra ins
Infobox
InKonTra steht für Interkulturelle Konflikttransformation und Friedensarbeit. Der Name spielt mit der Ähnlichkeit zum italienischen incontra, was Begegnung bedeutet. InKonTra bietet Raum für Begegnung in Bewegung, etwa mit dem Format „Theater zum Leben“, eine körpersprachliche und künstlerische Form des Dialogs in Gemeinwesen. Die nächste große Veranstaltung ist der Gecko Lernraum zur Gemeinschaftsbildung und Konfliktkultur von 24. - 26. Juni 2021 in St. Arbogast. Mehr Infos unter: www.inkontra.at
Leben (siehe Infokasten), zu einer Zeit, in der sie in Vorarlberg eine starke Unterscheidung eines „Wir“ und „die Anderen“ wahrnimmt. Seither leistet sie Bildungs- und Friedensarbeit, schafft Begegnungen, wo Vorurteile oder Angst sind, organisiert Veranstaltungen, leitet Workshops, geht mit ihrem „Theater zum Leben“-Ansatz (siehe Infokasten) Konflikten auf den Grund, heißt diese als Lehrmeister willkommen, um sich zu entwickeln. Ihre Selbstständigkeit versteht sie als Lebensweise, zu sich selbst zu stehen und das ständig. In ihrem Tiny House am Rande Hohenems‘ in Richtung Ried, welches sie als Forschungsatelier nutzt, lebt sie auf kleinstem Raum ihre kreativen, schöpferischen Ideen aus, setzt sie um, und bleibt dabei der Natur verbunden. „Ich habe bemerkt, wenn die einfühlsame Beziehung zur Natur als Ressource fehlt, ist es viel schwieriger, mit sozialen Konflikten umzugehen. Natur ist für mich ein Gefühl von Zuhause, ohne Wenn und Aber.“
In der Natur fühlt sich Julia ‚Thandiwe‘ Felder geliebt, in der Natur findet sie den Frieden jeden Tag neu und mit ihm die Kraft, gesellschaftliche Impulse für den Frieden zu setzen.