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Nicola Spirig: Ausblick Olympiade

SPORTLERIN ODER MUTTER? BEIDES!

Die 3-fache Mutter und Olympiasiegerin nimmt diesen Sommer zum fünften Mal an den Olympischen Sommerspielen teil.

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Nicola Spirig steht vor ihren fünften Olympischen Spielen, welche vom 23. Juli bis 8. August in Tokio stattfinden. Die Jagd nach der dritten Medaille führt die 39-jährige Zürcherin auch über Wettingen.

Text: Stephan Santschi Bilder: Kirsten Stenzel Maurer

«Versucht das Unmögliche. Es ist möglich, dass wir scheitern.» Mit dieser Botschaft tritt Nicola Spirig im Frühjahr 2022 zu einem ganz besonderen Wettkampf an – dem «Sub8-Projekt». Unter möglichst optimalen Bedingungen (u.a. flaches Wasser, flache Radstrecke, kurze Wege zur Wechselzone, ideale Temperaturen, Pacemaker) soll sie einen Ironman in weniger als acht Stunden und damit in Weltrekordzeit absolvieren. Die aktuelle Bestmarke, gehalten von der Britin Chrissie Wellington, liegt bei 8:18:13 Stunden. Die Männer streben sogar eine Zeit unter sieben Stunden an, hier gelang dem Deutschen Jan Frodeno mit 7:35:39-Stunden die globale Topleistung. «Unterbieten sie diese Marken, werden sie zu Rockstars des Ausdauersports», sagt Chris McCormack, der für den Initiator, die Stiftung Pho3nix, die Athleten für dieses Megavorhaben ausgesucht hat.

Ein Ironman, so sei hier nochmals festgehalten, zählt zu den grössten sportlichen Herausforderungen überhaupt: Nach einer Schwimmstrecke von 3,8 Kilometern und 180 Kilometern auf dem Rad wartet noch ein nahrhafter Marathon (42,195 km) auf die Absolvierenden. Doch, bevor Spirig auf der Langdistanz zu Höhenflügen ansetzt, steht ihr nächster grosser Wettkampf über die Kurzdistanz auf dem Programm. Der ist jeweils Teil des Olympischen Programms und führt über 1,5 Kilometer im Wasser, 40 Kilometer auf dem Velo und 10 Kilometer in Laufschuhen. Am 27. Juli ist es so weit, dann steht die 39-jährige Zürcherin um 6.30 Uhr mitteleuropäischer Zeit in Tokio am Start und greift bei ihrer fünften Olympia-Teilnahme nach der dritten Medaille. Es wäre nach Gold in London 2012 und Silber in Rio 2016 eine letzte Krönung ihrer Karriere, in der sie seit über 25 Jahren in der Weltspitze mitmischt – zunächst als Juniorin, später als Aktive.

Über Leidenschaft und Liebe Es sind aber nicht nur die nackten Zahlen oder die Farben ihrer Auszeichnungen, welche Nicola Spirig zu einer Ausnahmeerscheinung machen. Auch die Art und Weise, wie sie den Spitzensport, das weitere Berufsleben und den privaten Bereich kombiniert, ist äusserst bemerkenswert. Nicola Spirig und ihr Mann Reto Hug haben drei gemeinsame Kinder, den achtjährigen Yannis, die vierjährige Malea und den zweijährigen Alexis. «Meine Familie gibt mir Superkraft. Ich kann nicht weniger als 100 Prozent für alles geben. Denn ich liebe beide Seiten meines Lebens gleichermas-

«Meine Familie gibt mir Superkraft. Ich kann nicht weniger als 100 Prozent für alles geben.»

Nicola Spirig

Die 39-jährige Bülacherin nahm bereits mit 10 Jahren zum ersten Mal an einem Triathlon teil.

sen. Sportlerin oder Mutter? Das sollte man nicht wählen müssen», sagt Nicola Spirig und sie hält fest: «Ich bin Mutter und Athletin, in dieser Reihenfolge. Sport ist meine Leidenschaft, die Familie meine Liebe.» Wie glücklich sie sich schätzen kann, zeigt auch eine Aussage, die ihr gegenüber eine andere Goldmedaillen-Gewinnerin gemacht habe: «Wenn ich Gold in eine intakte Familie tauschen könnte, würde ich es innerhalb eines Herzschlags tun.»

Um alles unter einen Hut zu bringen, braucht es viel Organisation und Unterstützung. Eine zentrale Rolle nimmt hierbei Reto Hug ein, einst selber Europameister im Triathlon. Neben seiner Vaterrolle organisiert er den von Nicola initiierten Kids Cup, eine Triathlonserie für Kinder. «Der Kids Cup und meine Stiftung sind mir eine Herzensangelegenheit. Mein Mann und ich möchten möglichst vielen Kindern positiven Zugang zu sportlicher Betätigung ermöglichen und sie damit motivierende Erfahrungen machen lassen», erklärt Spirig. Wo und wenn immer möglich, verbindet sie das Familienleben mit den schweisstreibenden Trainingseinheiten, sei es beim Skifahren in St. Moritz oder beim Planschen im Pool auf Gran Canaria.

Zum Sport findet sie über ihre Eltern Immer wieder stellte sich dabei die Frage, ob Nicola Spirig nach einer Schwangerschaft und einer Geburt nochmals die Motivation und die körperliche Leistungsfähigkeit für Triathlon auf höchstem Niveau zurückerlangen würde. Jedes Mal konnte sie die Frage mit Ja beantworten. Neben ihrer Familie hat Brett Sutton eine Schlüsselfunktion. Seit 16 Jahren ist der Australier ihr Trainer. Er übernahm die Aufgabe von ihrem Vater Sepp, der sie anfänglich trainierte und dem sie ihre Weltklasse verdankt, wie sie sagt. «Meine Eltern gaben mir die Möglichkeit, viele verschiedene Sportarten auszuprobieren. Mein Vater nahm mich auf Skitouren, zum Klettern oder Kanufahren mit. Ich ging in den Schwimmverein, spielte lange Zeit Basketball und nahm im Alter von zehn Jahren zum ersten Mal an einem Triathlon teil», erzählt Spirig, die in Bülach aufgewachsen ist.

Sutton sagt, dass er keine Athletin kenne, die so viel Selbstdisziplin habe wie Nicola. Spirig selbst umschreibt ihre Einstellung zum Spitzensport so: «Ich bin sehr gut darin, mich auf einen

«Mit dem Kids Cup möchten wir möglichst vielen Kindern einen positiven Zugang zu sportlicher Betätigung ermöglichen.»

Die Medaillensammlung mit sechs EM-Titeln und zweifachem Edelmetall an Olympischen Spielen möchte sie mit Tokio nochmals erweitern.

grossen und wichtigen Wettkampf vorzubereiten. Ich denke, es gibt nur sehr wenige Sportler und Sportlerinnen, die wissen, wie man sich unter solchem Druck vorbereitet, konzentriert und die notwendige Leistung bringt. Das ist entscheidend, wenn man sein Ziel erreichen will.» Und Ziele hat sie viele erreicht in ihrer Laufbahn. Neben zweifachem Edelmetall an Olympischen Spielen gewann sie sechs EM-Titel und war auch Junioren-Welt- und Europameisterin im Triathlon. Im Duathlon gewann sie zudem U23-WM-Gold. Daneben misst sie sich in anderen Disziplinen, im Crosslauf etwa oder in Rennen über 5000 und 10000 Metern. Auch Einsätze an Schweizer Volkstriathlons streut sie immer wieder gerne ein. So bestritt sie letztes Jahr den ersten Triathlon nach ihrem Ellbogenbruch in Wettingen. «Für mich war der Tägi Tri perfekt, da ich nicht weit reisen musste und ohne Druck sehen konnte, ob mein Arm nach der Verletzung wieder hielt.»

Volksnah, sympathisch, inspirierend Sie geniesse diese Rennen, wegen der Stimmung und weil sie sehr familiär seien. «Ich treffe viele Triathleten, schnelle und

«Ich bin sehr gut darin, mich auf einen grossen und wichtigen Wettkampf vorzubereiten.

Nicola Spirig

langsamere, alle haben dasselbe Ziel, am Wettkampf ihr Bestes zu geben. Ich glaube, wir inspirieren uns jeweils gegenseitig.» Da passiert ihr auch schon mal ein sympathisches Malheur, wie 2015 am Sempachersee-Triathlon. Als sie von der Rad- auf die Laufstrecke wechselte, stellte sie das Rennvelo am falschen Ort ab und machte sich zunächst daran, die Schuhe eines Konkurrenten anzuziehen. «Sie waren grün wie meine. Allerdings zu gross. So etwas passiert mir sonst nie. Sonst schaue ich sehr genau und kontrolliere 15-mal, wo sich mein Platz befindet», erzählte sie mit einem Schmunzeln. Den Sieg holte sie sich dennoch in überlegener Manier, was eine Hobbyathletin zu einem Kompliment veranlasste: «Danke Nicola, dass du uns zeigst, wie es geht.»

Die grosse Stärke von Nicola Spirig ist das Radfahren, sie liebt es, das Feld anzuführen, das Tempo zu diktieren. Auch auf der Laufstrecke fühlt sie sich sehr wohl, unvergessen ist ihr Sprint in London 2012, als sie im Fotofinish gegen die Schwedin Lisa Norden zu Olympiagold lief. Ihre schwächste Disziplin ist und war schon immer das Schwimmen, daran wird sich auch nichts mehr ändern. «Mein Trainer sagt, dass er mich zu einer Spitzenschwimmerin machen könnte. Dann würde ich aber im Radfahren und beim Laufen schwächer werden», erklärt Spirig. Triathlon besteht eben aus drei Sportarten, im Training sind Kompromisse nötig, stets stellt sich die Frage, in was man Zeit und Energie investiert. «Ich bin immer noch leistungsfähig, kann immer noch besser werden. Dafür bin ich dankbar.»

«Ich bin immer noch leistungsfähig, kann immer noch besser werden. Dafür bin ich dankbar.»

Nicola Spirig

Vorbereitung im Saunazelt Und nun also Tokio, ihre fünften Olympischen Spiele. «Unglaublich» töne das, gibt sie zu, zumal sie erneut zu den Favoritinnen zählt. Der Formaufbau jedenfalls stimmt, im Mai gewann sie den Weltcup in Lissabon, und mit dem Team wurde sie Dritte, womit sie sich auch mit dem Schweizer Team für Olympia qualifizierte. Da die Velostrecke in Tokio sehr flach und kurvenreich ist, hat sie in der Vorbereitung auch einmal mit Michael Albasini, dem Schweizer Nationaltrainer der Strassenvelofahrer, trainiert. Mit einer Perfektionierung ihrer Kurventechnik hofft sie noch etwas Zeit gegenüber der Konkurrenz herauszuholen, «es geht um Details, um Prozente, darum, alles auszureizen, alles auszuprobieren», berichtet sie. Auf eine Akklimatisierung an die feuchten und warmen Verhältnisse in Asien muss sie indes verzichten, das geplante Trainingslager in Südkorea fällt aus, weil sie dort in Quarantäne müsste. Auch ihre Familie wird sie nicht, wie ursprünglich geplant, begleiten. So werde man sich halt in St. Moritz mit speziellen Massnahmen an das japanische Klima gewöhnen – mit einem Saunazelt zum Beispiel.

Die Velostrecke in Tokio ist sehr flach und kurvenreich, so feilt sie auch an der Kurventechnik, um Zeit gegenüber der Konkurrenz herauszuholen.

Die Pho3nix Kids by Nicola Spirig-Anlässe finden in Sursee, Bülach, St. Moritz, Sarnen, Balsthal, Locarno, Schaffhausen, Vevey und Bern statt. Weitere Infos unter: www.nicolaspirig-kidscup.ch.

Und danach? Im Frühjahr 2022 geht sie auf Weltrekordjagd. Einen Ironman hat sie bisher erst einen bestritten, 2014 in Mexiko, den sie auch gleich gewann. Hinter ihrer Teilnahme am «Sub8-Projekt» steht aber mehr als die Jagd nach einer historischen Marke. Die Stiftung Pho3nix setzt sich weltweit für einen aktiven Lebensstil von Kindern ein, will ihnen den Zugang zum Sport erleichtern – auch in der Schweiz, wo Spirig neben ihrem eigenen Kids Cup weitere Projekte beaufsichtigen soll. Mit dem Weltrekordversuch wird Geld für diese Initiativen gesammelt. Die Vorbereitungen werden für eine Filmserie auf Netflix festgehalten und sollen die nächste Generation dazu inspirieren, sich auch unmögliche Ziele zu setzen und diese zu verfolgen.

Persönlich

Name Spirig Vorname Nicola Geburtstag 7. Februar 1982 Wohnort Bachenbülach ZH Familie verheiratet mit Reto Hug, drei Kinder (Yannis, Malea, Alexis) Beruf Profisportlerin, studierte Juristin Trainer Brett Sutton Grösste Erfolge Triathlon: Olympiagold 2012, Olympiasilber 2016, 6-mal Europameisterin (2009, 2010, 2012, 2014, 2015 und 2018) Klubs Impuls Triathlon Club Bülach, Schwimmverein Limmat, Leichtathletik Club Zürich

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