Leben wenn es daheim gar nicht mehr geht. Die Einrichtung in Brunn am Gebirge hält ihre Pforten auch für traumatisierte Mädchen offen: Sie kommen aus zerrütteten Familien, haben Missbrauchserfahrungen, alkoholkranke Eltern oder sie überhaupt schon verloren. Ohne Worte. „Manche waren auf der Psychiatrie, sind teilweise suizidgefährdet“, weiß Alexandra Kimla, pädagogische Leiterin von „mission: possible“. „Jugendlichen ist es oft nicht möglich, mit Worten auszudrücken, was sie bewegt, belastet oder verletzt. Sie äußern Gefühle oft über psychische oder psychosomatische Störungen oder Verhaltensauffälligkeiten.“ Auf 300 Quadratmetern, in Einzel- bzw. Doppelzimmern will ihnen die Einrichtung die Möglichkeit geben, ein neues Kapitel in ihrem jungen Leben aufzuschlagen. Zehn Mädchen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren wohnen dort; sie besuchen die Schule oder machen eine Berufsausbildung – die Aufarbeitung des Erlebten findet auch in Einzeltherapien Raum. An diesem Abend darf ich Luzia Artmüller in die WG begleiten, die mit Umarmungen empfangen wird. Bis vor rund 15 Jahren hatte die vielseitige Geschäftsfrau – unter anderem Inhaberin einer EDV-Firma – recht wenig mit sozialem Engagement auf dem Hut. Ein Telefonat veränderte alles. „Eine sehr gute Freundin sagte mir: Die WG wird geschlossen, die Mädchen müssen raus, wenn wir nicht etwas tun“, erinnert sie sich. In wenigen Tagen gelang es Artmüller, einen neuen Vereinsvorstand aus dem Boden zu stampfen und die Einrichtung vor dem Aus zu retten. „Das Haus war damals in einem schlimmen Zustand und ich hatte von dem Ganzen keine Ahnung“, gibt sie zu. Heute sind die Mädchen ein wichtiger Teil ihres Lebens; selbst ihre Tochter studiert nunmehr Sozialpädagogik. „Manchmal, wenn ich mit den Mädels beispielsweise reiten fahre und sie sich die ganze Zeit im Auto streiten, frage ich mich ehrlicherweise schon, warum ich mir all das antue. Dann brauche ich fünf Minuten, um mich zu sammeln, komme zurück und finde sie in totaler Harmonie bei den Pferden wieder, wie sie den Stall ausmisten oder die Tiere
ÜBERGABE VOR DER NACHTRUHE. Katharina Hartmann, diplomierte Sozialpädagogin, und Verena Ehrnberger, Juristin und Propädeutikum-Praktikantin
„SO ANSTRENGEND ES AUCH IST, ICH GEHE IN DIESER ARBEIT TOTAL AUF.“ Katharina Hartmann, diplomierte Sozialpädagogin
striegeln. Ja, genau dafür zahlt sich all die Mühe aus.“ Musical. Die jungen Frauen kommen über Zuweisung des Jugendamtes in die WG, die Freiwilligkeit ist Bedingung. Die finanzielle Absicherung des täglich Notwendigen ist gegeben. „Ohne Spenden ginge es trotzdem nicht“, betonen Alexandra Kimla und Luzia Artmüller unisono. Ihnen beiden liegt das gemeinsame kreativkünstlerische Arbeiten, der gruppentherapeutische Aspekt besonders am Herzen. Diese Projekte stärken nachhaltig den Selbstwert, das Durchhaltevermögen, die Teamfähigkeit und die Toleranzbereitschaft. Viele Schuhabsätze liefen sich die beiden Frauen in der Vergangenheit auf der Suche nach Sponsoren ab, um etwa einen Jahreskalender mit Arbeiten der Mädchen, eine Studioaufnahme einer CD oder Musicalaufführungen verwirklichen zu können. An solchen Projekten wird monatelang gearbeitet; auch an diesem Abend gastiert die Sängerin Sabine Müller-Vohnout bei „mission: possible“. Längst wurde
die Wienerin quasi als Familienmitglied aufgenommen; Atemübungen, Gesangstechniken, Spiele, und Singen ganz nach dem Geschmack der Teilnehmerinnen stehen am Programm. „Die Mädels haben alle ihre Geschichten, ich versuche aber, alle gleich zu behandeln und sie von ihrem Alltag und Sorgen ein bisschen abzulenken. Ich will ihnen in erster Linie Selbstvertrauen geben – und Singen trägt dazu bei.“ Viel professionelles Engagement steckt hinter diesen klingenden Stunden; manche schlagen später tatsächlich eine musikalische Laufbahn ein bzw. treten selbst nach ihrer WG-Zeit regelmäßig auf. Vor dem Schlafengehen. Nachdem sich die Sängerin verabschiedet, herrscht Aufbruchsstimmung – in Richtung Nachtruhe. Einige der Zimmer sind erst kürzlich mit viel Liebe zum Detail und zum Großteil in Eigenregie renoviert worden, erzählt Luzia Artmüller stolz, die selbst stets mitanpackt. In das Obergeschoß darf ich als Journalistin aus verständlichen Gründen nicht: Die Privatsphä-
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