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Bald Fleisch aus dem Labor?

«Es ist nicht wie Fleisch, es ist Fleisch»

In Israel tüfteln Start-ups an Fleisch, das in Bioreaktoren aus einer Zelle heranwächst. Die Migros hat in zwei davon investiert. Wir haben sie in Tel Aviv besucht und exklusiv Gerichte probiert, die damit zubereitet wurden.

Text: Ralf Kaminski Bilder: Daniel Grieser

Sieht aus wie echt, ist der erste Gedanke beim Anblick der Gerichte. Und im Grunde sind sie es ja auch. Nur dass das Pouletfleisch nicht an einem Tier in einem Mastbetrieb gewachsen ist, sondern in einem runden, grossen Metallbehälter in einer pflanzenbasierten Nährlösung, aus lediglich einer Zelle eines Huhns, dem sonst nichts weiter geschehen ist.

Wir befinden uns in einem Aussenquartier der israelischen Metropole Tel Aviv bei «SuperMeat», einem Start-up, das seit 2015 an kultiviertem Fleisch arbeitet und sich auf Geflügel spezialisiert hat. Die kleine MigrosDelegation aus der Schweiz sitzt im Testrestaurant des Start-ups, mit direktem Blick in die Produktionsanlage, wo das Fleisch entsteht und anschliessend in der offenen Küche für uns zubereitet wird.

Wie ein ganz normales Poulet Es gibt eine kleine Wurst, eine Frühlingsrolle und einen Burger, alle mit Beilagen und hübsch angerichtet wie in einem echten Restaurant. Neben den Laien probieren auch drei Profis diese neuartige Form von Fleisch: Rolf Hiltl (57), Inhaber des Hiltl, dem ältesten vegetarischen Restaurant der Welt; Nicole Hasler (38), Ökonomin und Innovationsberaterin aus Zürich, sowie Daniel Tinembart (49), Koch und Rezeptautor bei Migusto. Für alle drei ist es das erste Mal – entsprechend gespannt sind sie. Und alle räumen anschliessend ein: Hätten sie nicht gewusst, dass dies kein klassisch produziertes Fleisch ist, wären sie nie auf die Idee gekommen. «Ich habe den Burger auseinandergenommen und auch das Fleisch unter der Panade probiert», erzählt Rolf Hiltl, «die Struktur, die Fasern … es schmeckt und fühlt sich an wie tierisches Poulet.»

Die Migros bereitet sich vor Daniel Tinembart findet, dass man bei der Rezeptur noch etwas kreativer werden könnte, aber am Fleisch selbst gebe es nichts zu beanstanden. Fleischfan Nicole Hasler sagt es so: «Es ist nicht wie Fleisch, es ist Fleisch. Punkt.»

Auch Matthew Robin (56), Geschäftsführer der ELSA-Mifroma, die zur Migros-Industrie gehört, ist beeindruckt. Er steckt hinter dem Engagement der Migros in diesem Bereich, dem von vielen eine grosse Zukunft prophezeit wird. «Es wird noch ein paar Jahre dauern, bis die Behörden alle Fragen geklärt haben, aber dann werden diese Produkte auch in den Kühlregalen der Migros erhältlich sein», sagt er. Allenfalls werde die Migros-Industrie sie irgendwann sogar selbst herstellen.

Eine Herausforderung sieht er darin, dass Lebensmittel sehr stark mit Emotionen aufgeladen sind. «Es wird

«Es schmeckt und fühlt sich an wie tierisches Poulet.»

Rolf Hiltl

Burger mit kultiviertem Pouletfleisch

Daniel Tinembart

Koch und Rezeptautor bei Migusto

Nicole Hasler

Ökonomin und Innovationsberaterin aus Zürich

Rolf Hiltl

Inhaber der vegetarischen Hiltl-Restaurants

«So wie es hergestellt wird, ist es eigentlich ein vegetarisches Produkt»

Rolf Hiltl, Nicole Hasler und Daniel Tinembart haben kultiviertes Poulet probiert. Ihr Urteil.

Hätten Sie gedacht, dass das kultiviertes Fleisch ist, wenn Sie es nicht gewusst hätten? Rolf Hiltl: Nein. Daniel Tinembart: Ich auch nicht. Nicole Hasler: Beim Würstchen habe ich mich allerdings gefragt, ob man das nicht auch mit einem pflanzenbasierten Ansatz hinkriegen würde. Hiltl: Könnte schon sein, ist aber nicht so einfach. Die Struktur hier ist eben schon gut: Beim Brechen knackt es ein bisschen wie bei einem Wienerli. Das ist pflanzenbasiert schwer zu erreichen. Hasler: Klar, aber das entwickelt sich noch und wird stetig besser.

Und die Frühlingsrollen? Tinembart: Die waren überzeugend verpackt, und man musste das Poulet erst mal herausfiltern. Aber wenn man das gemacht hat, schmeckte es, wie es sollte. Hiltl: Das fand ich auch, die Struktur hat mich aber noch nicht ganz überzeugt, es hat zu sehr geflockt, fiel zu leicht auseinander. Hasler: Mir hat gerade gefallen, dass es nicht so pappig aneinanderklebte.

War der Burger der Höhepunkt? Tinembart: Ganz klar, der war wirklich überzeugend. Hiltl: Ja, tipptopp. Das Fleisch hatte die richtige Konsistenz und Struktur, der Geschmack stimmte. Aus meiner Sicht hätte es keine Panade gebraucht, und statt in der Fritteuse hätte ich ihn lieber auf dem Grill gehabt. Aber das Produkt als Ganzes überzeugt. Hasler: Sehe ich genauso. Umso mehr, als kultiviertes Fleisch auf dem Grill besser schmecken dürfte als pflanzenbasierte Ersatzprodukte. Die Maillard-Reaktion, dank der beim Grillieren von Fleisch das typische rauchige Aroma entsteht, können diese derzeit noch nicht imitieren. Hiltl: Und bei keinem der drei gab es diesen Nachgeschmack, den es bei pflanzenbasierten Produkten ab und zu gibt. Hasler: Es ist eben nicht wie Fleisch, es ist Fleisch. Punkt.

Wo sehen Sie noch Verbesserungspotenzial? Tinembart: Vor allem bei der Rezeptur. Der Wurst hätte ich noch mehr Zutaten beigemischt, Kräuter und anderes, das noch etwas Farbe und Geschmack gibt. In dieser Form ist es kein

also darum gehen, dass für diese neue Form von Fleisch positive Gefühle entstehen – nur dann wird sie breit akzeptiert.»

Ido Savir freut die Reaktion seiner Gäste sichtlich. Der 44-jährige Mitgründer und Geschäftsführer von «SuperMeat» hat grosse Pläne. Derzeit läuft in den USA die Planung für eine riesige Produktionsanlage, in der bald mehrere 100 Tonnen Pouletfleisch pro Jahr auf diese Weise entstehen sollen. «Der Bau dürfte noch 2022 beginnen und dauert etwa ein Jahr, bis dahin rechnen wir auch mit der Zulassung durch die US-Behörden.» Er hofft, dass die Fleischproduktion in der zweiten Jahreshälfte 2023 starten kann. In Europa wird es länger dauern: «Wir erwarten die Zulassung in der EU etwa ein Jahr nach den USA.»

Für den Fokus auf Poulet gibt es mehrere Gründe: «Der Konsum dieses Fleisches wächst global enorm, und es wird auf der ganzen Welt in allen Kulturen und vielen Formen gegessen», sagt Savir. Hinzu komme, dass die industrielle Massenproduktion von Hühnerfleisch ganz besonders problematisch und dieses Fleisch fast immer mit Erregern kontaminiert sei, weshalb viel Antibiotika zum Einsatz komme.

«Wir können enorm viel Gutes tun, wenn wir hier ansetzen. Für die Tiere, unsere eigene Gesundheit und die des Planeten.» Generell werde sich die Nachfrage nach Fleisch global in den kommenden Jahrzehnten etwa verdoppeln, sagt Savir. Dies lasse sich allein mit klassischer Produktion kaum bewältigen. «Ich sehe kultiviertes Fleisch als wichtige Unterstützung.»

Weniger Energie, Wasser, Land Dessen Produktion braucht zwar viel Energie, ist aber dennoch nachhaltiger als die industrielle Massentierhaltung: «Erste Studien zeigen, dass wir rund 50 Prozent energieeffizienter produzieren können», erklärt er. «Ausserdem brauchen wir 99 Prozent weniger Land, erheblich weniger Wasser und produzieren nur das, was tatsächlich gegessen wird. Es ist deutlich effizienter und deshalb auch nachhaltiger.» Ido Savirs Vision: Irgendwann stehen auf der ganzen Welt kleine Produktionsanlagen, die mit lokalen Ressourcen Fleisch für die lokale Bevölkerung herstellen. «Das würde in Zentralafrika ebenso funktionieren wie in der Arktis – anders als klassische industrielle Fleischproduktion.»

Ähnlich euphorisch klingt Didier Toubia (49), Mitbegründer und Geschäftsführer von Aleph Farms, einem weiteren Start-up in Tel Aviv, in dem die Migros investiert hat.

«Wir können damit enorm viel Gutes tun – für die Tiere und den Planeten.»

Ido Savir

2023 in den USA auf dem Markt Aleph Farms fokussiert auf Rindssteaks – ein erheblich anspruchsvolleres Produkt, weil die komplexe Struktur und Muskeldicke schwieriger nachzuahmen sind. Doch inzwischen gibt es eine Lösung, die zu offenbar ansprechenden Resultaten führt. Selbst davon überzeugen kann sich die Delegation zwar nicht, Toubia stellt jedoch in Aussicht, dass auch Aleph Farms bald breiter testen wird, wie ihr Produkt ankommt. Auch er will 2023 in den USA kommerziell auf den Markt.

«Wir werden mit ausgewählten Köchen in renommierten Restaurants starten, dann mit Unternehmen, die Restaurants und Kantinen beliefern.» Der Detailhandel komme anschliessend. Das liegt auch daran, dass die kultivierten Steaks zu Beginn nur in begrenzter Menge hergestellt und deshalb noch deutlich teurer sein werden als konventionelle Steaks. «Wir rechnen damit, in unseren Pilotproduktionsanlagen rund zehn Tonnen pro Jahr herzustellen», so Toubia. Doch mit grösseren Anlagen wachse die Menge dann schnell.

Und die Herstellung ist auch hier sehr viel effizienter. Es dauert drei bis vier Wochen, bis sich aus der Zelle in einer pflanzenbasierten Netzstruktur ein Steak entwickelt hat. Am Rind auf dem Feld dauert das Gleiche zwei bis drei Jahre. Toubia unterstreicht aber auch, dass er die Bauern nicht ersetzen will. «Ich möchte, dass wir zusammenarbeiten. Tierische Landwirtschaft wird zur Kultivierung der Böden und der Landschaft weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Aber wir müssen die Zahl der Tiere in unserem Lebensmittelsystem reduzieren.»

Toubia und Savir betonen, wie wichtig ihnen die Kooperation mit der Migros ist. «Das Unternehmen ist sehr offen und innovativ, zudem verfügt die Schweiz über eine tolle Infrastruktur, grosses Know-how und eine vielseitige Esskultur», sagt Toubia. Savir erklärt, die Unternehmen ergänzten sich ideal: «Die Migros profitiert von unserer technologischen Kompetenz, wir profitieren von ihrer grossen Erfahrung im Konsumentenbereich und ihrem Wissen im Umgang mit Regulierungsbehörden.» Und wenn sein Produkt den Qualitätsansprüchen der MigrosKundschaft genüge, funktioniere es auch weltweit.

Das Interesse ist da Läuft alles wie geplant, könnte es Steaks von Aleph Farms in rund fünf Jahren im Migros-Regal geben, schätzt Toubia – zum Preis eines hochwertigen Stücks konventionellen Fleisches. Savir hofft, dass es seine Poulets deutlich früher schaffen. Aber wird diese Art Fleisch auch akzeptiert? Davon sind beide Firmenchefs überzeugt, und sie haben auch einige Daten aus Studien, die dafürsprechen. «Gerade Jüngere sind interessiert und offen», sagt Toubia.

«SuperMeat» war kürzlich mit einem Foodtruck in Tel Aviv unterwegs und bot zwei Chickenburger an, einen konventionellen und einen kultivierten – die Leute konnten wählen, mussten sich aber für einen entscheiden. 70 Prozent wählten den mit dem kultivierten Poulet. «Aus Neugier, aber in erster Linie aus ethischen Gründen», sagt Ido Savir. «Das Potenzial ist ganz klar da. Und das Feedback ist positiv.» MM

Einblicke in die Produktion von kultiviertem Pouletfleisch bei SuperMeat, am Stadtrand von Tel Aviv

Knackig wie ein echtes Wienerli: ein Würstchen aus kultiviertem Fleisch

Produkt, das in der Schweiz allzu gut ankäme, glaube ich. Hasler: Die Wurstpräferenzen sind sehr unterschiedlich, in der Schweiz bevorzugt man knackige Wienerli … Hiltl: … oder eine Bratwurst wie vom Sternen-Grill in Zürich. Die hier hat mich eher an eine dieser Billig-Hotdogs aus den USA erinnert. Tinembart: Oder an irische Frühstückswürstchen. Hiltl: Aber so verschieden die Geschmäcker bei der Zubereitung sind, die Struktur des Fleisches ist gut, da gibts keinen Verbesserungsbedarf. Hasler: Ich sehe hier grosses Potenzial für die Zusammenarbeit mit Metzgern. Sie können aus dem Grundprodukt jene Würste machen, die bei ihrer Kundschaft gefragt sind.

Haben Sie Bedenken wegen der künstlichen Herstellung? Oder hat das Zukunft? Hasler: Diese Start-ups haben noch einen langen Weg vor sich – neben der Akzeptanz geht es vor allem um die Bezahlbarkeit der Produkte. Tinembart: Ich denke, das wird künftig einen relevanten Teil des Fleischkonsums ausmachen. Hiltl: Ich war lange skeptisch. Aber angesichts von dem, was ich nun hier gehört und probiert habe, denke ich: Das hat eine grosse Zukunft. Gerade auch, wenn man schaut, wie klein der Anteil der Weltbevölkerung ist, der auf Fleisch verzichtet. Tinembart: Spannend ist auch, wie Vegetarier damit umgehen. Denn eigentlich ist es ja Fleisch, aber weil kein Tier dafür gestorben ist, könnte es ein Vegetarier im Grunde bedenkenlos essen. Hiltl: Das sehe ich ähnlich. So wie das hier hergestellt wird, ist das eigentlich ein vegetarisches Produkt.

Und wie schätzen Sie die Akzeptanz bei den Leuten ein? Hiltl: Die wird wohl kommen, es ist auch eine Gewohnheitsfrage, wie bei vielen Lebensmitteln. Hasler: Es dürfte zu einem Wettlauf zwischen pflanzenbasierten Fleischersatzprodukten und kultiviertem Fleisch kommen. Und ich bin nicht sicher, wer dann das Rennen macht. Hiltl: Die Mehrheit der Menschen isst auch Fleisch. Von daher dürfte das kultivierte Fleisch langfristig die Nase vorn haben.

Wenn solche Produkte in ein paar Jahren bei uns auftauchen, werden Sie sie konsumieren? Hasler: Auf jeden Fall. Ich unterstütze diese Herstellungsmethode, denn gerade beim Poulet steht die Branche vor der Herausforderung, dass westliche Konsumenten nur noch Brustfleisch essen möchten. Warum also das ganze Tier produzieren? Tinembart: Ja, man kann da sicher viel Gutes tun, wenn man auf kultiviertes Fleisch umstellt.

Wird es kultiviertes Fleisch irgendwann gar in den HiltlRestaurants geben? Hiltl: Ganz persönlich würde ich sagen: Ja. Aber das müssen wir im Team anschauen. Das Produkt ist zwar aus meiner Sicht vegetarisch, was wir in den Restaurants servieren, ist jedoch inzwischen zu 80 Prozent vegan. Aber wenn wir das vegetarische Angebot behalten, würde kultiviertes Fleisch aus meiner Sicht passen.

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