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Strom wird erst 2035 knapp
Idealer Ort für eine Solaranlage: Der Stausee Lac des Toules im Val d’Entremont VS
Bilder: Getty Images, Alessandro Della Bella
vielen Monaten in ganz Europa sehr wenig Wind – ein äusserst seltenes Ereignis. Diese Energie fehlte im Markt; es gab einen Run auf Gas, was die Preise schon vor dem Krieg steigen liess. Auch die Versorgungslage löst Ängste aus. Wird es im Winter zu wenig Strom geben? Man kann das nicht ausschliessen, die Gefahr besteht jedoch aus meiner Sicht nur bei einer Extremsituation, in der vieles zusammenkommt.
Und was wäre das? Zum Beispiel wenn fast die Hälfte aller Kernkraftwerke in Frankreich ausser Betrieb bleibt und gleichzeitig bei allen anderen Energieformen Mangel herrscht. Ich vertraue aber darauf, dass die Schweizer Elektrizitätswerke solche Probleme lokal eingrenzen könnten. Also kein Totalausfall? Nein, ich rechne weder mit einem landesweiten Stromausfall noch mit Rationierungen für Privathaushalte. Wir müssen aber alle das Stromsparpotenzial ausschöpfen. Was stimmt Sie so zuversichtlich? Ich sage nicht, dass ein Blackout unmöglich ist, ich halte ihn nur für unwahrscheinlich. Bis eine Überlastung durchs Stromnetz in einem Haushalt ankommt, dauert es eine Weile – es gibt für Netzbetreiber zuvor genügend Möglichkeiten einzugreifen. Meine Sorge sind weniger Blackouts als eine regelmässig wiederkehrende Mangellage, die uns immer wieder zu Einschränkungen zwingt. Aber mit Umsicht kann man die Energieversorgung gewährleisten. Wieso warnen denn zurzeit alle vor einem Blackout? Für die Zeit nach 2035, wenn die Nuklearkraft nach und nach wegfällt, braucht die Schweiz eine klare Strategie, wie grössere Mengen Energie bereitgestellt werden können. Auf das Thema aufmerksam zu machen, ist also richtig. Im Sommer haben wir keine Probleme, es geht lediglich um die zweite Winterhälfte. Wenn wir jetzt nicht sicherstellen, dass wir mehr Strom produzieren können, bekommen wir in 15 Jahren ein Problem.
Wodurch ersetzen wir die wegfallende Atomkraft? Mit Solarenergie, unterstützt von dezentralen Kraftwerken, die mit erneuerbaren Brennstoffen betrieben werden. Die Fotovoltaik ist technisch, ökonomisch und von ihrer sozialen Akzeptanz her die einzige neue Energiequelle, die hierzulande grössere Mengen liefern kann.
Windenergie ist das nicht? Nein. Wind und auch zusätzliche Kleinwasserkraftwerke führen zu endlosen, langwierigen Diskussionen und würden am Ende nur wenig zur Lösung des Problems beitragen. Ich würde die zahllosen Kleinkriege in diesen Bereichen deshalb beenden und ganz auf Solarenergie fokussieren – eine Konzentration der Kräfte also.
Wie viel Energie müssen wir denn überhaupt ersetzen? Etwa 15 Terawattstunden bei einem künftigen Gesamtverbrauch von 75; also rund ein Fünftel, vor allem im Winter. Einsparen lässt sich das nicht? Nein. Zwar sinkt der Stromverbrauch pro Kopf trotz wachsender Bevölkerung seit Jahren leicht. Die Zahl der Elektroautos und Wärmepumpen wird aber weiter wachsen, das führt zu zusätzlichem Strombedarf.
Was halten Sie von den Forderungen, die Laufzeiten der Atomkraftwerke zu verlängern oder gar neue zu bauen? In der Schweiz gibt es ja zum Glück anders als in Deutschland kein fixes Enddatum. Unsere Kernkraftwerke dürfen so lange laufen, wie sie sicher betrieben werden können. Will man das verlängern, müssten die Betreiber früher oder später nochmals Geld in sie stecken. Und diese machen natürlich eine KostenNutzen-Analyse und schalten dann vielleicht lieber ab, als er- neut in etwas zu investieren, das nur noch über eine beschränkte Lebensdauer verfügt. Gösgen und Leibstadt sind jünger und
Der Energieexperte
Konstantinos Boulouchos (66) ist emeritierter Professor für Energietechnik an der ETH Zürich und spezialisiert auf Energiesysteme. Er ist verheiratet und hat eine erwachsene Tochter. Neben der Schweizer hat er die griechische Staatsbürgerschaft. Boulouchos lebt in Zollikon ZH.
könnten vielleicht noch bis 2040 laufen, aber das ist schwer abzuschätzen.
Und Neubauten? Die sind vor allem erst einmal sehr teuer. Wenn Sie heute in Europa ein Kernkraftwerk in der Grösse von Leibstadt bauen wollen, müssen Sie im Voraus zehn Milliarden Franken auf den Tisch legen. Nicht zuletzt wegen hoher Sicherheitsanforderungen. Zwar kann man die Investitionen über 30 oder 40 Jahre amortisieren, aber niemand weiss, ob dann die Technologie noch konkurrenzfähig ist. Deshalb würde in der Schweiz derzeit keiner eins bauen, selbst wenn es rechtlich möglich wäre. Wieso werben bürgerliche Politiker dann alle paar Wochen für eine Renaissance der Atomkraft? Es geht vor allem darum, diese Diskussion am Leben zu halten, weil sich die Situation in 15 Jahren vielleicht verändern könnte. Auch ich finde, dass man aufgeschlossen sein sollte für die mittlere bis längerfristige Zukunft, also ab 2040 – je nach technologischer Entwicklung. Ein neues AKW käme also auf jeden Fall zu spät? Es ist schwer vorstellbar, dass ein solcher Bau hierzulande vor
2050 realisiert werden könnte. Und dann ist man, inklusive Rückbau, für 70 Jahre an diese Technologie gebunden. Das liegt viel zu weit in der Zukunft, um darin die Lösung heutiger Probleme zu sehen – im gesamten mitteleuropäischen Raum. Weshalb kommt die Solarenergie nicht schneller voran? Bei Privaten muss es passen, das ist nicht immer ganz leicht. Und bei grösseren Projekten gibt es nicht nur viele Widerstände, wir müssen auch zusehen, dass die notwendige Infrastruktur fürs Stromnetz zur Verfügung steht. Das heisst? Das Stromnetz muss im Sommer etwa mit den Überkapazitäten tagsüber klarkommen, also müssen die rund 800 lokalen Elektrizitätswerke das Verteilnetz ausbauen. Hauptproblem ist aber die Trägheit des Systems, weil es komplex ist, so viele Akteure bei der Infrastruktur involviert sind und so viele kleine Zahnräder nicht nur bewegt, sondern gut aufeinander abgestimmt werden müssen. Und das auch noch international. Aber wir hätten in der Schweiz das Potenzial, mit Solarenergie rund 30 Terawattstunden dazuzubauen.
Und wo wäre das am ehesten möglich? Gebäudedächer sind eine gute Sache. Ordentlich was bringen würden alpine Anlagen auf etwa 2000 Metern Höhe. Anders als im Mittelland lässt sich dort im Winter fast so viel Strom generieren wie im Sommer. Doch das bedingt nicht nur hohe Investitionen, es gibt auch grosse Widerstände von Umweltverbänden wegen des Landschaftsbilds. Ideal wäre, wenn man dort bauen würde, wo schon Stauseen sind, denn da gibts die notwendigen Leitungen bereits. Oft bekämpfen sich Natur- und Klimaschützer, und beide haben irgendwie recht. Gibts eine gute Lösung? Ein gangbarer Kompromiss wäre wohl, gewisse Bereiche im Land für erneuerbare Energie zu reservieren und den ganzen Rest unberührt zu lassen. Man müsste sich nur einig werden, welche Landschaften man quasi für die Stromgewinnung opfert. Diese Diskussion läuft auch schon, es gibt Umweltverbände, die diese Idee stützen, aber auch lokal verwurzelte, die sie ablehnen. Es ist eine Art Mediationsprozess. Würde ein Stromabkommen mit der EU helfen? Es wäre ein sehr wichtiger Baustein. Gerade für die wenigen Stunden im Winter, die wir in Mangellagen abdecken müssen. Ich hoffe, da findet sich in den nächsten Jahren eine gute Lösung. Bräuchte es generell mehr internationale Kooperation? Ja. Das betrifft nicht nur den Bau von Leitungen und Stromerzeugungsanlagen, sondern auch den Umstieg von fossilen auf erneuerbare Brennstoffe. Es macht sich etwa politisch gut, in der EU ab 2035 keine neuen Benzinautos zuzulassen, wie es kürzlich das EUParlament beschlossen hat. Man kann so Entschlossenheit demonstrieren. Nur: Woher kommt der Strom für all die Elektroautos?
Zur Not halt aus Kohlekraftwerken? … was natürlich völlig absurd wäre. Aber angesichts der Widerstände gegenüber den Windund Solarprojekten müssen wir aufpassen, dass wir den Umstieg von fossilen Energien nicht zu sehr forcieren, bevor wir eine saubere Lösung für die Produktion des dafür benötigten zusätzlichen Stroms haben. Der Umstieg muss graduell und gekoppelt erfolgen. Und Autos zu elektrifizieren ist das eine, Verkehrsflugzeuge und Frachtschiffe wird man mit Batterien aber nicht betreiben können, dafür wären sie viel zu gross und schwer.
Was wäre denn die Lösung? Brennstoffe aus erneuerbaren Quellen wie synthetisches Kerosin, Methanol oder synthetischer Diesel. Sie basieren auf Wasserstoff, werden mit Elektrizität hergestellt und müssen dort produziert werden, wo der Strom besonders günstig ist – an Orten mit viel Sonne oder Wind wie im Nahen Osten, in Afrika oder Südamerika. Deshalb sind internationale Kooperationen wichtig. Gibt es denn bereits die Technologie dafür? Es gibt erste Pilotprojekte von grossen Energiefirmen. Wenn wir das clever machen, wird das die Situation in weniger als 20 Jahren bahnbrechend verändern. Die Schweiz könnte dann bei einer Strommangellage dezentrale Blockheizkraftwerke damit betreiben, und die Industrie könnte Hochtemperaturwärme daraus beziehen. Die Herausforderungen sind die Produktion im grossen Stil und der Preis. Zudem braucht es beträchtliche Investitionen.
Von wie viel Geld sprechen wir? Die Energiebranche investiert weltweit jährlich drei bis vier Trillionen Dollar nur in die Produktions und Verteilungsinfrastruktur. Man müsste aber auch bestehende Anlagen abschreiben und gleichzeitig die Finanzierung für neue Anlagen aufbringen. Das wird teuer. Zugleich droht die Klimaerwärmung. Schaffen wir es noch, den Anstieg auf unter zwei Grad zu begrenzen? Ich befürchte, es wird schwierig. Das Problem ist erkannt, die Politik bemüht sich, auch viele Unternehmen haben begonnen, auf klimaneutrales Wirtschaften umzustellen. Aber wenn gewisse Staaten nicht mitmachen, besteht die Gefahr, dass andere Unternehmen auf diese Länder ausweichen und weitermachen wie bisher. Die Frage ist, ob wir es wirklich schaffen, schnell genug eine weltweite Kooperation aufzugleisen, und zwar technologisch und finanziell. MM
«Es wird wohl schwierig, den Temperaturanstieg auf unter zwei Grad zu begrenzen.»
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