28 | 4.7.2022 | KÖRPERPFLEGE
Von Mann zu Mann
Hygor Marques ist neben 100 Frauen der erste Kosmetiker, der im Schönheitssalon Schminkbar arbeitet. Wie das ist, erklärt er unserem Autor, dem er dabei die erste Maniküre seines Lebens verpasst. Text: Dario Aeberli Bilder: Daniel Winkler
Hygor Marques hat warme, weiche Hände. Er hält die meinen in seinen, mustert meine Finger, meine Nägel und fragt: «Soll ich die Nägel schneiden oder nur feilen?» Ich weiss es nicht. Das ist die erste Maniküre meines Lebens. Weil meine Nägel schon kurz sind, empfiehlt Marques, sie zu feilen. «Ich finde es schöner, wenn der Nagelrand vorne nicht zu kurz ist und noch ein bisschen Weiss zu sehen ist», sagt er, legt meine rechte Hand auf ein Kissen, besprüht meine Nägel mit Desinfektionsmittel und beginnt. Während er die Ecken und Kanten abrundet, streift er kein einziges Mal meine Fingerbeeren. Neben Marques sitzt Kim Petri und beobachtet den ersten männlichen Kosmetiker, den sie in der 19-jährigen Geschichte der Schönheitssalons Schminkbar eingestellt hat. Fast nur Frauen in der Branche
In den sieben Filialen der Schminkbar in Zürich, Winterthur, Basel und Luzern arbeiten 100 Frauen – und seit Mai auch Hygor Marques. «Wir hatten einmal einen Lehrling, der sich jedoch nach der Ausbildung neu orientiert hat. Ansonsten be werben sich fast nur Frauen bei uns», erzählt Inhaberin Petri. An den Berufsschulen gebe es wenige, die die dreijährige Lehre zum Kosmetiker absolvieren.
Von den 116 Lernenden, die 2022 ihren Abschluss machten, waren fast alle Frauen. «In Brasilien war es ausge glichener», sagt Marques. Der 31-Jährige ist in Rio de Janeiro im Coiffeursalon seiner Eltern aufgewachsen und entschied sich mit 15, ein vierjähriges Studium in Kosmetik zu absolvieren. «An der Uni hatten wir viel Chemie. Ich könnte die Nagelöle und Cremes hier selbst herstellen», sagt er. Brasilien hat weltweit den höchsten Pro-Kopf-Konsum an Kosmetika, entsprechend viele Menschen – auch Männer – verdienen in dieser Branche ihr Geld. Vieles, das Marques gelernt hat, darf er in der Schweiz jedoch nicht anwenden. In Brasilien spritzte Marques Kundinnen und Kunden Botox oder traktierte deren Haut mit Hunderten Nädelchen auf einer Rolle. Durch diese Microneedling-Methode sollen Falten und Unreinheiten verschwinden. «In der Schweiz gilt das als me dizinische Behandlung, weshalb wir das nicht machen dürfen», erklärt Petri. Währenddessen legt Marques die Feile beiseite und holt vier mit farbigem Pulver gefüllte Schälchen. «Willst du deine Hände in Wasser mit Rosen-, Granatapfel-, Kokosnuss- oder Zitrusduft baden?» Auf Empfehlung entscheide ich mich für Granatapfel.
Marques reicht mir zwei Schalen mit lauwarmem, milchigem Wasser, zwei Steinen darin und Rosenblätter als Deko. Es sieht aus wie eine thailändische Suppe. Ich weiche meine Hände ein, bis Marques einen Schaber hervorholt. Damit schiebt er die Häutchen auf meinen Nägeln nach hinten und schabt sie mit dem scharfen Ende weg. Ob er damit schon mal jemanden geschnitten habe, frage ich. Er grinst. «Schon lange nicht mehr.» Zuletzt während seiner Ausbildung. Er entfernt immer mehr Haut. So viel überschüssige Haut hätte ich an meinen Fingern nicht vermutet. «Das ist bei Männern die beliebteste Behandlung», weiss Petri. Sie schätzt, dass 20 Prozent ihrer Kundschaft Männer sind. «Wir hatten sogar einen Junggesellenabschied hier, die alle zum ersten Mal eine Maniküre beka-
«Seit ich vor zwölf Jahren in die Schweiz zog, habe ich fast immer in Frauenteams gearbeitet.» Hygor Marques Kosmetiker