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Ab zur «Manniküre»
Von Mann zu Mann
Hygor Marques ist neben 100 Frauen der erste Kosmetiker, der im Schönheitssalon Schminkbar arbeitet. Wie das ist, erklärt er unserem Autor, dem er dabei die erste Maniküre seines Lebens verpasst.
Text: Dario Aeberli Bilder: Daniel Winkler
Hygor Marques hat warme, weiche Hände. Er hält die meinen in seinen, mustert meine Finger, meine Nägel und fragt: «Soll ich die Nägel schneiden oder nur feilen?» Ich weiss es nicht. Das ist die erste Maniküre meines Lebens. Weil meine Nägel schon kurz sind, empfiehlt Marques, sie zu feilen. «Ich finde es schöner, wenn der Nagelrand vorne nicht zu kurz ist und noch ein bisschen Weiss zu sehen ist», sagt er, legt meine rechte Hand auf ein Kissen, besprüht meine Nägel mit Desinfektionsmittel und beginnt. Während er die Ecken und Kanten abrundet, streift er kein einziges Mal meine Fingerbeeren.
Neben Marques sitzt Kim Petri und beobachtet den ersten männlichen Kosmetiker, den sie in der 19-jährigen Geschichte der Schönheitssalons Schminkbar eingestellt hat.
Fast nur Frauen in der Branche In den sieben Filialen der Schminkbar in Zürich, Winterthur, Basel und Luzern arbeiten 100 Frauen – und seit Mai auch Hygor Marques. «Wir hatten einmal einen Lehrling, der sich jedoch nach der Ausbildung neu orientiert hat. Ansonsten bewerben sich fast nur Frauen bei uns», erzählt Inhaberin Petri. An den Berufsschulen gebe es wenige, die die dreijährige Lehre zum Kosmetiker absolvieren. Marques reicht mir zwei Schalen mit lauwarmem, milchigem Wasser, zwei Steinen darin und Rosenblätter als Deko. Es sieht aus wie eine thailändische Suppe. Ich weiche meine Hände ein, bis Marques einen Schaber hervorholt. Damit schiebt er die Häutchen auf meinen Nägeln nach hinten und schabt sie mit dem scharfen Ende weg. Ob er damit schon mal jemanden geschnitten habe, frage ich. Er grinst. «Schon lange nicht mehr.» Zuletzt während seiner Ausbildung.
Er entfernt immer mehr Haut. So viel überschüssige Haut hätte ich an meinen Fingern nicht vermutet. «Das ist bei Männern die beliebteste Behandlung», weiss Petri. Sie schätzt, dass 20 Prozent ihrer Kundschaft Männer sind. «Wir hatten sogar einen Junggesellenabschied hier, die alle zum ersten Mal eine Maniküre beka-
Von den 116 Lernenden, die 2022 ihren Abschluss machten, waren fast alle Frauen.
«In Brasilien war es ausgeglichener», sagt Marques. Der 31-Jährige ist in Rio de Janeiro im Coiffeursalon seiner Eltern aufgewachsen und entschied sich mit 15, ein vierjähriges Studium in Kosmetik zu absolvieren. «An der Uni hatten wir viel Chemie. Ich könnte die Nagelöle und Cremes hier selbst herstellen», sagt er. Brasilien hat weltweit den höchsten Pro-Kopf-Konsum an Kosmetika, entsprechend viele Menschen – auch Männer – verdienen in dieser Branche ihr Geld. Vieles, das Marques gelernt hat, darf er in der Schweiz jedoch nicht anwenden.
In Brasilien spritzte Marques Kundinnen und Kunden Botox oder traktierte deren Haut mit Hunderten Nädelchen auf einer Rolle. Durch diese Microneedling-Methode sollen Falten und Unreinheiten verschwinden. «In der Schweiz gilt das als medizinische Behandlung, weshalb wir das nicht machen dürfen», erklärt Petri. Währenddessen legt Marques die Feile beiseite und holt vier mit farbigem Pulver gefüllte Schälchen. «Willst du deine Hände in Wasser mit Rosen-, Granatapfel-, Kokosnuss- oder Zitrusduft baden?» Auf Empfehlung entscheide ich mich für Granatapfel.







Trotz Fussscham geniesst unser Autor eine Massage. Zuvor durfte er seine Fussballschuh-geplagten Füsse in Mohnwasser einweichen. men.» Ich stelle mir das mit meinen Freunden vor und versinke immer tiefer im Loungesessel. Im Hintergrund sind Coversongs begleitet von Gitarrenklängen zu hören. Nach dem Schaber greift Marques zu einem Stift, der mich an einen Tintenkiller erinnert. «Den brauchen wir für die Nagelhaut, stossen diese vorsichtig zurück und tragen pflegende Öle auf.» Ihm gefallen die Vorher-Nachher-Effekte seiner Arbeit. «Es macht mich glücklich, wenn ich sehe, dass ich jemanden verschönert habe.» Auch ich freue mich. So schön waren meine Hände noch nie. Zu Hause werde ich sie stolz meiner Freundin präsentieren.

Der einzige Mann im Unternehmen Im Schönheitssalon Schminkbar machen sich die Mitarbeitenden bei Gelegenheit gegenseitig schöner. Waren sie überrascht, als plötzlich ein Mann in ihr Team kam? «Nein, er hat sofort gepasst, als wäre er schon lange hier. Aber einige Kundinnen haben gestaunt», sagt Petri. Sie hätten sich noch nie von einem Mann die Zehennägel lackieren lassen.
Dass Marques der einzige Mann im Unternehmen ist, habe ihn nie beschäftigt. «Seit ich vor zwölf Jahren zu meiner Tante in die Schweiz zog, habe ich fast immer in Frauenteams gearbeitet», sagt er. Auch ob er Frauen- oder Männerfüsse vor sich habe, spiele für ihn keine Rolle. «Es macht aber mehr Spass, wenn ich richtig an der Hornhaut arbeiten kann», sagt Marques. Das sei übrigens bei Frauen mehr der Fall. «Männer haben tendenziell weichere Füsse, weil sie öfter Socken und flache Schuhe tragen», so Petri. Aber für beide Geschlechter gilt: «Die meisten schämen sich für ihre Füsse.» Ich mich auch.
Nach der Maniküre fragt mich Marques: «Willst du noch eine Pediküre oder eine Fussmassage?» Ich zögere. Gestern habe ich meine Füsse in Nockenschuhen beim Fussballspielen gequält, und sie haben dieses Jahr noch kaum Sonne gesehen. «Keine Sorge, wir haben keine Angst davor, Füsse anzufassen. Du kannst vor der Behandlung ein Fussbad nehmen», sagt Petri. Ich entscheide mich für eine Massage und tauche meine Füsse in eine Schüssel voll Wasser mit Mohnduft, während Marques mir noch eine Gesichtsmaske auflegt.
Er nimmt meine Füsse aus dem Wasser und legt sie auf einen Stoffhocker. Mit hochgelagerten Füssen, der Massage und der Maske im Gesicht döse ich fast weg. Leider ist die Fussbehandlung nach einer halben Stunde vorbei. Auf Marques wartet schon die nächste Kundin. MM
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