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Wenn Kinder sogar in den Ferien in die Schule gehen

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Endstation Filiale

Endstation Filiale

Elfenbeinküste Die Reise der Schokolade endet zwar im Regal, aber mit jeder verkauften Tafel fliesst Geld zurück an die Kakaobauern in der Elfenbeinküste. Zu Besuch in einer Primarschule, die mit Migros-Unterstützung gebaut wurde.

Primarschule

Der Feiertag ist vorbei, und einem Augenschein in der Primarschule Broukro steht eigentlich nichts mehr im Weg. Ausser dass in der Elfenbeinküste auch die Tage nach Allerheiligen schulfrei sind. «Kein Problem», beschwichtigt Félix Koffi (55), Leiter der Kooperative Necaayo. «Wir fahren trotzdem hin, und Sie können mit dem Rektor und ein paar Schülern sprechen.» Etwas seltsam, die haben doch alle frei. Oder?

Die Schule, 2018 mit Unterstützung der Migros erbaut, liegt inmitten der Kakaoplantagen des Distrikts Bas­ Sassandra. Nach 40 Minuten Fahrt auf holprigen Feldwegen erreichen wir einen Wegweiser: «Erbaut mithilfe der Partnerschaft zwischen Necaayo und Chocolat Frey». Wir sind da – und die Überraschung ist gross: Nicht nur der Rektor, sondern auch zwei Lehrer und Dutzende Schülerinnen und Schüler nehmen uns in Empfang. Ob die Kinder nun an einem Ferientag in die Schule beordert wurden,

Text: Kian Ramezani

Bilder: Flurina Rothenberger

fragen wir mit schlechtem Gewissen. «Sie kommen gerne», versichert Rektor Ndri Koukou (29). Wenn Besuch aus der Schweiz da ist, sei das viel interessanter als ein Tag zu Hause in ihren Dörfern.

Im Schulzimmer Nummer 2 beginnt der Unterricht, und alle scheinen gespannt zu sein auf diese improvisierte Lektion. Vielleicht auch Lehrer Jules Ouattara (24) selbst. Durch die offenen Fenster sieht man Kakaobohnen in der Sonne trocknen, und ein Lüftchen trägt deren süssen Geruch ins Klassenzimmer. Vielleicht lässt er sich davon inspirieren.

Lehrer: «Wie heisst unser Land?»

Klasse: «Elfenbeinküste.»

Lehrer: «Und woher kommen die Besucher?»

Klasse: «Frankreich.»

Lehrer: «Nein. Weitere Ideen?»

Klasse: «Amerika.»

Lehrer: «Auch nicht. Sie kommen aus der Schweiz.»

Die Szene zeigt eindrücklich, welche Präsenz Frankreich als ehemalige Kolonialmacht in der Elfenbeinküste noch immer hat, über 60 Jahre nach der Unabhängigkeit. Auch die Unterrichtssprache ist ausnahmslos und im ganzen Land Französisch. Lehrer Ouattara steuert die Lektion nun geschickt auf den Elefanten im Raum.

Lehrer: «Was verkaufen eure Eltern?»

Klasse: «Kakao.»

Lehrer: «Genau, Kakao. Und was machen die Besucher aus der Schweiz daraus?»

Klasse: «Kaffee.»

1 Die Kinder laufen bis zu zwei Kilometer von der Schule nach Hause.

2 Lehrer Jules

Ouattara unterrichtet eine Klasse von Primarschülerinnen und -schülern.

Lehrer: «Kaffee? Wirklich?»

Klasse: «Schokolade.»

Lehrer: «Sehr gut! Schokolade.»

«Was denkt ihr, warum kommen wir aus der Schweiz, um euren Kakao zu kaufen?», fragt nun Martin Lobsiger, Leiter Nachhaltigkeit bei der Delica. Die Klasse schweigt. Martin Lobsiger: «Weil wir keinen haben. Kakao wächst bei uns nicht, dafür ist es viel zu kalt.»

Und damit ist die inoffizielle Schulstunde fast vorbei. Bevor sie auf den Pausenplatz entlassen werden, können die Kinder ein Stück der neuen Schokolade probieren, die aus dem Kakao ihrer Dörfer hergestellt wird. Es scheint ihnen zu schmecken.

Dass hier rund 150 Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren in einem befestigten Bau in die Schule gehen können, ist keine Selbstverständlichkeit. Oft sind die Schulwege zu lang und zu mühselig, oder die Eltern können es sich nicht leisten, alle ihre Kinder zur Schule zu schicken. Nach wie vor ist Kinderarbeit im Kakaoanbau in ganz Westafrika ein grosses Problem. Die Migros bemüht sich im Rahmen ihrer Partnerschaft mit der Kooperative Necaayo um Lösungen (siehe rechts). «Kinder gehören in die Schule», betont Rektor Ndri Koukou immer wieder. Sieht er eines auf den Plantagen, sucht er das Gespräch mit den Eltern. Oft fehlt es am Geld für das sogenannte Schul-Kit, bestehend aus Uniform, Heften, Büchern und Schreibzeug. Im vergangenen Jahr konnte die Kooperative mithilfe der Migros 1000 solche Kits kostenlos an die Kinder verteilen.

Dennoch fehle es auch hier an vielem, sagt Rektor Koukou: Neben Elektrizität und Latrinen vor allem an drei weiteren Klassenzimmern.

Diese sind aktuell in einem Provisorium untergebracht, das nur ungenügend vor Regen schützt. Weiter wären Unterkünfte für die Lehrpersonen wünschenswert, die auf den schlechten Strassen zu viel Zeit fürs Pendeln verlieren. Trotz der Probleme ist Koukou überzeugt: «Die Kinder sind hier glücklicher als zu Hause. Hier können sie etwas lernen, hier können sie spielen.» Man stelle sich vor, es ist schulfrei und alle gehen trotzdem hin. C’est l’Afrique.

Wie gross ist das Problem der Kinderarbeit im Kakaoanbau in der Elfenbeinküste?

Nach wie vor gross, im Einzugsgebiet der Kooperative Necaayo jedoch weniger ausgeprägt. Die Bauern helfen einander bei der Ernte, was die soziale Kontrolle verstärkt. Und es gibt weniger angeheuerte Fremdarbeiter, bei denen das Risiko von Kinderarbeit höher ist.

Wie hilft die Migros beim Kampf gegen Kinderarbeit?

Durch den Bau von Schulen und besserer Infrastruktur sowie die bessere Bezahlung und Sensibilisierung der Bauern. Wir finanzieren Schul-Kits und bezahlen eine überdurchschnittliche Prämie für den zertifizierten Kakao.

Wie erfolgreich sind diese Massnahmen?

Man kann ihren Erfolg nicht 1:1 messen, jedoch haben wir den Eindruck, dass die Schulgebäude gut genutzt werden, mehr Kinder zur Schule gehen und das System insgesamt etwas besser funktioniert. Für nachhaltige Fortschritte sind wir aber auch auf das Mitspielen der Behörden angewiesen, die eigentlich für die Bereitstellung der Infrastruktur zuständig sind. Leider stellen wir hier oft eklatantes Staatsversagen fest.

Wie funktioniert die Unterstützung der Migros genau?

Für die 1500 Tonnen von der Rainforest Alliance zertifizierten Kakaobohnen, die wir jährlich von der Kooperative Necaayo kaufen, entrichten wir Zusatzprämien von über 250 000 Franken. Die Hälfte wird den Bauern direkt in Cash ausbezahlt, mit dem Rest werden mehrheitlich Projekte zur Förderung des Gemeinwohls der Kakaobauern und ihrer Familien unterstützt.

Und die Spenderappen?

Pro verkaufte Tafel Schokolade «Côte d’Ivoire» überweisen wir zusätzlich 50 Rappen. Unter anderem wollen wir damit weiterhin die Kosten für die Schul-Kits von allen Kindern der Kakaobauern übernehmen. Das ist eine grosse Entlastung und wird weitere Familien ermuntern, ihre Kinder in die Schule zu schicken.

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