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Der Traum aller Kinder
Buchs AG Wie erfindet man eine neue Schokolade? Und wie wird sie dann in grossen Mengen hergestellt? Ein Besuch bei der Delica im Aargau, dem wohlriechendsten Ort der Schweiz und Zuhause der Frey-Schoggi.
Bilder: Flurina Rothenberger
Vor etwas mehr als einem Jahr gab die Migros ein neues Schoggi-Produkt in Auftrag: eine Frey-Tafelreihe «Côte d’Ivoire», für die ausschliesslich Kakao der Kooperative Necaayo verwendet wird. «Alles klar», sagten Rahel Merkofer (25) und Markus Müller (54), Produktentwickler bei der Delica in Buchs bei Aarau, und zogen sich in die sogenannte Musterei zurück. Das ist quasi eine Schokoladenfabrik in der Schokoladenfabrik. Hier durften die beiden mit Töpfen, Kellen sowie kiloweise Kakao, Zucker und Milchpulver das tun, wovon jedes Kind träumt: Sie durften Schokolade erfinden. Und essen. Wochenlang.


Dass die neue Kollektion eine Milchschokolade enthalten muss, war klar. Und eine dunkle auch. Darüber hinaus hatten die zwei
1–3 In der Musterei probieren Markus Müller und Rahel Merkofer neue Rezepturen –bis es stimmt.
4 In der Fabrik kommen laufend die ausgehärteten Tafeln vom Band.
5 Anschliessend erhalten sie ihre recyclingfähige Verpackung aus Alufolie und Karton.

Alles beginnt in der Musterei. Nur was hier überzeugt, hat eine Chance, in grossen Mengen für die Migros hergestellt zu werden.
Schokoladenköche freie Hand. Mit dieser gaben sie Caramel hinzu. Und Salz. Und Nüsse. Und Zitrone. Und Maulbeeren. Und mehr Milch. Und weniger Zucker. Am Ende, nach über 100 Stunden des köstlichen Tüftelns, hatten sie sieben verschiedene Sorten erschaffen. Die Migros wählte vier davon aus. Die mit der Maulbeere war nicht dabei. War Markus Müller traurig darüber? «Natürlich! Aber das ist der Job, das muss man aushalten», lacht er. «Und die vier Sorten sind alle super.» Ob er denn schon an etwas Neuem arbeite? «Ja. Aber darüber darf ich nichts verraten, das ist ein Geheimprojekt!» Er verschränkt die breiten Arme vor der Brust, als wolle er klarmachen, dass jede weitere Frage sinnlos sei.
Nachdem die Migros grünes Licht gegeben hatte, ging die «Côte d’Ivoire» in Produktion. Die beginnt damit, dass die aus Amsterdam angelieferten Kakaobohnen unter lautem Rauschen aus ihren mannshohen EinTonnen-Säcken befreit, durch Erhitzen entkeimt und dann maschinell geschält und gebrochen werden, wobei sogenannte Nibs zum Vorschein kommen – reiner Kakao. Er schmeckt auf angenehme, fast elegante Art bitter und nur entfernt schokoladig. Nach der Röstung ist es umgekehrt, jetzt steht die Bitterkeit im Hintergrund, das Schokoladige im Zentrum.
Schliesslich werden die Nibs fein zermahlen und mit Zucker, Kakaobutter und Milchpulver vermengt – in exakt der Dosierung, die Merkofer und



Milena Rüeger, verantwortlich für das Tafelschokoladensortiment in der Migros

Müller festgelegt haben. Das ergibt das sogenannte Walzgut, das für ein paar Stunden in eine Conche kommt. Das französische Wort stammt vom spanischen «Concha» für Muschel, weil die Tröge zum Walzen der Masse einst so aussahen. Das Conchieren dient dazu, der Schokolade ihre cremige, zarte Konsistenz zu verleihen und die Bitterstoffe entweichen zu lassen.
Unter betörendem Geruch ergiesst sich die fertig conchierte Schokolade schliesslich in die Tafelformen, die danach ordentlich durchgerüttelt werden, um die Masse gleichmässig zu verteilen. Nach 40 Minuten im Kühlturm wird noch einmal gerüttelt, und die fertigen, 100 Gramm schweren Tafeln fallen aus ihren Formen. Anlagenführer Thomas Exner (40) steht am Förderband und sortiert die nicht perfekten aus. Aber nach welchem Kriterium? Die Tafeln sehen doch alle gleich aus? «Überhaupt nicht», grinst er und zieht wieder eine vom Band, «da ist eine leicht dunkle Stelle. Das kommt daher, dass wir vorher dunkle Schokolade produziert haben.» Das ungeübte Auge hätte es nie gesehen. Was Exners Anspruch nicht genügt, wird eingeschmolzen und wiederverwertet.
Im Obergeschoss, wohin die Tafeln mit einem Paternosteraufzug zum Verpacken gefahren werden, geht eine Gruppe von Mitarbeiterinnen nicht minder pingelig vor: Was von der Maschine nicht ganz exakt gefalzt oder verklebt worden ist, öffnen sie und legen es noch einmal vorn hinein. Am Ende steckt die Maschine 20 Tafeln in eine Schachtel, besser: wickelt weissen Karton um 20 Stück herum – und klebt eine Etikette mit dem Herstellungsdatum darauf. Danach fahren die Schachteln mit einem kleinen Lift zurück ins Erdgeschoss und kommen auf eine Palette. Diese wird in einen Eisenbahnwagen gestellt und der wiederum von einer Rangierlok ins Nachbardorf Suhr geschoben, zum Migros-Verteilzentrum. Von hier aus gelangt die «Côte d’Ivoire» in die Filialen. •