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Diese Rübe macht die Schoggi süss

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MehimChörbli!

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Bisikon ZH Im Herbst werden in der Schweiz Zuckerrüben geerntet. Von einer riesigen Maschine, die dennoch die Pflanzen schonend aus dem Boden zieht. Es sind mehr als auch schon – weil die Sonne den Boden stärker erwärmt.

An einem erst nebligen und dann erstaunlich warmen Herbstmorgen kriecht ein knallrotes Ungetüm über einen Acker im Zürcher Oberland. Es ist vier Meter hoch, 15 Meter lang und macht ordentlich Lärm: Der Rübenroder Terra Dos T4 holt zur Erntezeit Zuckerrüben aus dem Boden. Den Rest des Jahres steht er still in einer Halle. Er sieht aus wie ein Mähdrescher, geht aber raffinierter vor. Die Rüben reisst er nicht einfach aus, sondern ertastet mit seinem gewaltigen Vorbau, wo sie genau stecken, und richtet das Aggregat danach aus. Dieses schlegelt dann zuerst das Blattwerk in vorgegebener Höhe ab und lockert anschliessend die Wurzel – die Rübe – behutsam mit einer Schar aus dem Boden. Der hintere Bereich des Fahrzeugs dient dazu, die Rüben aufzusammeln und mit einer Art Lift vorsichtig in den sogenannten Bunker zu befördern. 20 Tonnen Zuckerrüben passen dort hinein. «Viel zu wenig», urteilt Andreas Pfister (62), der Fahrer.

Die schonende Vorgehensweise der Maschine steht in krassem Widerspruch zu ihrer brachialen Gestalt, mit der sie ihre Runden auf dem Acker zieht. An dessen Rand steht

Text: Thomas Meyer

Bilder: Nik Hunger der 51-jährige Landwirt Martin Isler und erklärt anerkennend, dass frühere Rübenroder jeweils nur eine Reihe Pflanzen hätten ernten können, der Terra Dos aber sechs gleichzeitig schaffe. Der kehrt nun brummend zurück, sein Bunker ist voll. Pfister lehnt sich aus der Kabine und will von Isler wissen, ob die Stelle in Ordnung sei zum Abladen. Isler hebt den Daumen seiner riesigen Hand, woraufhin seitlich ein Förderband aus dem Terra Dos herausfährt und unter lautem Gepolter Hunderte von Rüben auf den Acker purzeln.

«Vor 30 Jahren, als ich den Beruf erlernte, musste eine Hektare 60 Tonnen erbringen», sagt Isler, nachdem der laute Roder wieder verschwunden ist. «Auch in diesem Bereich wird aber immer weiter gezüchtet, und heute bin ich unter 100 Tonnen nicht mehr zufrieden.» Der Acker umfasst drei Hektaren, also 30 000 Quadratmeter. Isler wird dieses Jahr somit gut 300 Tonnen Rüben verkaufen können. «Man darf das kaum sagen, aber wir profitieren nicht nur von der Züchtung, sondern auch vom Klimawandel. Das heisst, ich kann im Frühling früher aussäen, und im Herbst wächst die Rübe länger.» Während Isler spricht, brennt die Sonne so vom Himmel, dass die Jeans des Reporters heiss werden. Es ist der wärmste Oktober, seit die Temperatur von Oktobern gemessen wird. «Ansonsten ist es natürlich ein Problem, vor allem die Sommertrockenheit. Heute kann kein Bauer mehr behaupten, er sei davon überrascht.»

Während Isler redet, geht er immer wieder mal zum Rübenhaufen hin und zieht mit einem Holzstab, an dessen Ende zwei Metallzacken befestigt sind, gezielt eine Rübe heraus und wirft sie beiseite. Etwas nicht in Ordnung? Isler lacht, das sehe man doch: Sie sehe ganz anders aus als die anderen, nicht weiss, sondern schwarz, also faul. Es sind aber nur einzelne.

Damit Isler mit seinen Rüben Geld verdient, ist nicht nur die Menge ausschlaggebend, sondern auch der Zuckergehalt. Mindestens 16 Prozent müssen es sein, und ob die aktuelle

Ernte diesbezüglich überzeugen kann, wird sich erst noch weisen. Isler hat nämlich eine neue Sorte angepflanzt, sie heisst Escadia. Eine Empfehlung des Branchenverbands, der die verschiedenen Sorten auf Ertrag, Zuckergehalt und Krankheitsanfälligkeit hin prüft. «Vor vier Jahren bin ich ziemlich auf die Nase gefallen mit einer Sorte», erzählt der Bauer, «viele Pflanzen sind verdorrt vor lauter Pilzen. Da hat man dann natürlich deutlich weniger Ertrag.»

Um Krankheiten vorzubeugen und den Boden nicht einseitig zu nutzen, rotiert Isler den Anbau. Im nächsten Frühling wird er auf diesem Acker Mais anbauen, dann Weizen, dann Raps, dann Weizen, dann wieder Zuckerrüben. Der Terra Dos wird also nächstes Jahr an einer anderen Stelle von Islers Land herumkurven.

Der Haufen, den die Maschine erzeugt hat, ist nun ziemlich gross, aber dass da tatsächlich schon 60 Tonnen liegen sollen, erstaunt dann doch. Das wären etwa 45 Autos, und die würden viel mehr Platz wegnehmen. Nimmt man aber mal eine Zuckerrübe in die Hand, wird das vergleichsweise geringe Volumen verständlich: Die Dinger sind saumässig schwer. Kein Wunder, dass es 650 PS braucht, um sie so zügig aus dem Boden zu holen. Die 30 000 Quadratmeter sollen gemäss Isler in vier bis fünf Stunden abgeerntet sein. Pfister fährt seinen riesigen Roder dann zu einem anderen der 50 Bauern der Region und macht dort weiter. Lange wird der Haufen nicht liegen bleiben, denn bald werden die Rüben an ihren einzigen Bestimmungsort abgeholt: die Zuckerfabrik. •

1 Sechs Reihen auf einmal schafft der Rübenroder.

2 Eine Schneckenwelle bringt die Rüben in den Bunker.

3 Zum Schluss wird alles auf einen Haufen geschüttet, wie man es auf dem Land kennt.

Für Hackis. Und Veggies.

Zucker fürs ganze Jahr

Aarberg BE Ohne Zucker keine Schokolade. Die Migros bezieht ihn aus einer Fabrik im Berner Seeland. In der Hochsaison werden hier 800 000 Tonnen Schweizer Zuckerrüben verarbeitet.

Text: Kian Ramezani

Bilder: Flurina Rothenberger

Dass Zucker Dinge schmackhaft macht, ist den Menschen schon lang bekannt. Bereits vor 6000 Jahren gewannen sie den Saft aus der Zuckerrohrpflanze und liessen ihn in der Sonne trocknen. Das klumpig helle Ergebnis ähnelte Kies, und so erhielt das Sanskrit-Wort dafür, «scharkara», eine neue Bedeutung. Um das Jahr 600 n. Chr. entdeckten findige Perser, dass man Zuckerrohrsaft mit Kalk reinigen kann, woraufhin er kristallisiert. Was man heute im EinKilo-Beutel in der Migros kauft, entsteht im Prinzip genauso – aber nicht aus Zuckerrohr, sondern aus Zuckerrüben. Schuld daran ist Napoleon. Der verhängte 1806 eine Wirtschaftsblockade gegen England. So gelangten keine Kolonialwaren mehr nach Europa – und eine Alternative für Zuckerrohr musste gefunden werden. Schon bald war aus der Not eine Industrie entstanden. Eine ihrer Blüten steht in Aarberg im Kanton Bern.

Mit den Raffinerien des 19. Jahrhunderts hat die Zuckerfabrik Aarberg wohl das grundsätzliche Verfahren gemein, aber keinesfalls die Dimensionen. Man kann die Anlage unmöglich verfehlen; die gigantischen Silos und Kamine, aus denen mindestens so hohe Dampfwolken quellen, sind von weit her zu sehen. Sie ist auch ziemlich gut zu hören, es grollt und grummelt aus allen Ecken. Von Mitte September bis Dezember läuft die Zuckerfabrik auf Hochbetrieb, 24 Stunden an sieben Wochentagen. Eine Kampagne nennt man das, wie Martin Wanner (60) erklärt, der hier für den Anlagenbau zuständig ist. «800 000 Tonnen Zuckerrüben werden während einer Kampagne verarbeitet, 10 000 Tonnen pro Tag. Daraus entstehen am Ende 1100 Tonnen Kristallzucker», rechnet er auf den ersten Schritten durch das Gelände vor.

Die Kampagne beginnt damit, dass die geernteten Zuckerrüben von den Feldern der Umgebung aufgeladen und mit Traktoren, Lastwagen oder der Bahn zur Zuckerfabrik gebracht werden. Ständig rollen neue Fahrzeuge heran und reihen sich in zwei Warteschlangen, an deren Spitze die Rüben von oben mit einem dicken Wasserstrahl herausgespritzt werden, mit einem beweglichen Rohr, das ein Mann in einer Kabine steuert. Er sitzt hoch über der Abladestation und spritzt mal links und mal rechts. Rauschend rumpeln die Rüben von den Ladeflächen herunter in einen schmalen Kanal, wo sie zügig zum sogenannten Rübenwaschhaus schwimmen. Dort werden sie von Erde, Sand, Steinen und Kraut befreit – zehn Tonnen in der Minute.

Je nachdem, wo man sich auf dem riesigen Fabrikgelände aufhält, riecht es ganz anders. Mal nach Erde oder Heu, dann nach Kuhfladen, frischem Sauser oder gebackenen Süsskartoffeln. Das hängt davon ab, was gerade mit den Rüben angestellt wird: «Nach dem Waschen werden sie in längliche Schnitzel zerteilt, daraus wird dann der Zucker extrahiert», erklärt Martin Wanner. «So entstehen zwei Abfallprodukte, die gar keine sind: Die Schnitzel werden ausgepresst und zu Tierfutter weiterverarbeitet, aus dem Presswasser wird Restzucker gewonnen.»

1 Im Rübenwaschhaus kommen Erde, Sand, Steine und Kraut weg.

2 Aus den Zentrifugen rieselt der fertige Kristallzucker.

3 Die Big Bags fassen eine Tonne Zucker und sind für die lebensmittelverarbeitende Industrie bestimmt.

Auch im nächsten Schritt kommt ein Nebenprodukt zum Einsatz, das sonst überall unerwünscht ist: CO2 Es wird vom fabrikeigenen Kalkofen ausgestossen. Mit gebranntem Kalk –und dem Kohlendioxid – wird nun der Rohsaf t gereinigt. «Wo immer möglich, nutzen wir Abwärme, Abgase und vermeintlichen Abfall», sagt Wanner. So auch bei der Verdickung des Rohsafts in den 20 Meter hohen Druckbehältern: Mit dem Wasser, das dabei anfällt, werden weitere Rüben von den Ladeflächen gespritzt.

Zuckerrechnung

Nun könnte man es machen wie die alten Perser und den Dicksaft von allein kristallisieren lassen. Das würde aber viel zu lange dauern, weswegen dieser Prozessschritt im Vakuum beschleunigt wird: Nach wenigen Minuten rieselt der Zucker in der uns bekannten Form aus riesigen Zentrifugen und landet in Ein­Kilo­Beuteln für den Hausgebrauch, in 25­Kilo­ Säcken für Bäckereien oder in Ein­Tonnen­Big­Bags für die lebensmittelverarbeitende Industrie. Das sind aber nur 15 Prozent der Produktion. Der Rest wandert in Silos, unter denen später Silowagen andocken und auf der Strasse oder Schiene davonfahren – beispielsweise zur Schokoladenfabrik der Migros, nach Buchs AG. •

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