‹Tegia da vaut›, Domat/Ems Die ‹Tegia da vaut› – Waldhütte – in Domat/Ems ist eine Schule im Wald. Das Gebäude steht als Bildungsort sämtlichen Waldberufen und Schulklassen, aber auch Gemeinschaften und Vereinen, eigentlich allen am Wald interessierten Menschen zur Verfügung. ‹Plong Vaschnaus› – Schafweide – ist die romanische Bezeichnung eines einzigartigen Gebietes in der Gemeinde Domat/Ems. Einzigartig darum, weil innerhalb eines engen Perimeters äusserst unterschiedliche Atmosphären herrschen. Der untere Teil der ‹Plong Vaschnaus› ist Weideland und wird von Hochspannungsmasten und vom Lärm des Kieswerks beherrscht. Die Situation ist hochtechnisiert. Die Ebene geht über in bergiges Gelände, hinauf in den Wald. Beim Betreten des Waldes werden die Baumkronen immer dichter und die Flächen dunkler. Die Landschaft verändert sich innert kurzer Zeit. Man fühlt sich plötzlich in einer anderen Welt. Dann folgt eine Waldlichtung, und es wird wieder heller. Dort spannt sich die langgezogene Wand eines Gebäudes auf. Seine geschuppte Holzfassade wirkt im ersten Moment als Sperre. Der untere Rand des Gebäudes folgt dem abfallenden Boden, und die Dachkante steigt auf spielerische Weise zwischen den Baumkronen zum Himmel. Das Gebäude bekommt allmählich eine weiche Form und verliert seinen Widerstand. In der
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Wandfläche klafft ein tiefes Loch. Über einige Tritte leitet diese Durchdringung zu einem grossen Raum. Eine Doppelreihe aus grossen, überdimensionierten Säulen steht Spalier. Ein einziges Material, das Tannenholz, bildet den Raum. Das Material ist unterschiedlich strukturiert und bearbeitet. Es stützt, trägt, verbindet oder grenzt ab. An einem Ort wirkt das Holz geschichtet und schwer, an einem anderen ist es gewebeartig eingesetzt und erzeugt Leichtigkeit. Das Material und die Verarbeitung unterstützen die primäre Idee, die Bildung von Raum, das Aufgehobenund Geborgensein. Die Wand gegenüber der Eingangstüre ist fast vollständig aus Glas. In der Dominanz der Holzsäulen wirken die Transparenz und die Auflösung der Holzwand eher zurückhaltend. Die Baumstämme des nahen Waldes werden durch die Verglasung sichtbar und leisten einen Beitrag zur geschlossenen Raumwirkung. Keine Panoramasicht stört die Beziehung zwischen dem architektonischen Raum und der Landschaft. Die Durchsicht und die Enge wirken als Befreiung und Einschränkung zugleich. Die Trennung von Natur und Kultur scheint aufgehoben. Die Besucher fühlen sich drinnen und draussen zugleich. Das Licht dringt zwischen den Baumkronen in den Raum. Dunkle Stellen harmonieren mit stark erhellten. Die mächtigen Raumsäulen sowie die Tannen und Föhren des nahen Waldes
werfen lange Schatten auf den Riemenboden. Die Unebenheiten und die Poren der hölzernen Oberflächen werden vom einfallenden Licht fein modelliert. Der Geruch des Holzes füllt den Raum. Im Zentrum des Raumes lagert ein Steinkörper. Das aufsteigende Kaminrohr zeigt seine Rolle als Feuerstelle an. Die Wärme, die der Ofen ausstrahlt, gewinnt beim Nähertreten an Intensität. Man spürt, dass die Luftbewegungen mässig sind. Die Luftmasse bekommt durch die Ruhestellung eine Schwere. Die Akustik des Raumes ist dumpf. Das gesprochene Wort wird absorbiert, ähnlich wie unter Bäumen in einem dichten Wald. Ein grosses Dach schützt den Aussensitzplatz vor Regen. Der Geruch der Pflanzen, der Blätter und der Baumnadeln ist intensiv. Der sinnlichen Wahrnehmung kann man sich in diesem natürlichen Refugium, das durch die Kultur aktiviert wird, nicht entziehen. Und aus der Entfernung ist nur eine Fassade der ‹Tegia da vaut› sichtbar. Das Gebäude scheint sich im Wald zu verstecken.