Kurt Ausgabe 4

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in der er erklärt, was damals mit den Menschen passiert ist: „Viele wurden zu Unrecht als Pestkranke verhaftet und auf Schiffe verladen, die man dann auf offener See anzündete. Andere Gesunde endeten in Siechenlagern vor den Stadttoren, wo sie erkrankten und starben.“

FÜR MIRCO IST DER TOD MITTLERWEILE EIN BERUF Mit einer geübten Handbewegung streift Mirco Lehmann die Totenkopfmaske ab. Unter der Kapuze seines pechschwarzen Umhangs kommt ein mit dunkler Schminke umrandetes Augenpaar zum Vorschein. Die Sense lehnt er an einen nahestehenden Baum und lässt sich mit einem Seufzer auf eine der hölzernen Bänke fallen. Mirco fand vor über zehn Jahren zur Mittelalterszene und ist inzwischen auf fast allen MPS-Märkten dabei. Auch er ist Heerlagerist. Die Rolle des Todes war zunächst nur ein Hobby, mittlerweile ist es sein Beruf. Für die Abschlussszene des Pestumzuges fehlte damals noch die mythologische Gestalt eines Sensenmannes. An den Details seiner Gewandung hat Mirco mit den Jahren immer weiter gefeilt: Seine Sense ist selbst gebastelt. Mirco verkörpert mit dem „Tod“ einen der drei Hauptcharaktere des MPS. Beim Pestumzug macht er nicht mehr mit, weil er als Schauspieler in andere Programmpunkte des Veranstal-

ters eingebunden ist. Auch wenn der Sensenmann eine furchteinflößende und düstere Gestalt ist, legt Mirco viel Wert auf den unterhaltenden Aspekt seiner Arbeit: „Wir zeigen ganz bewusst die romantische Seite des Mittelalters. Vor allem wegen der Kinder können und dürfen wir gar nicht allzu viel Grausames zeigen. Niemand soll vom MPS ein Trauma davontragen.“

» ROMANTISIERUNG IST KEINE BEWUSSTE VERDRÄNGUNG « Die Mittelalterszene lässt eine reale historische Epoche aufleben, in der Kindstod, Seuchen, Folter und andere Gräuel an der Tagesordnung waren. All das wird beim MPS bewusst ausgeblendet. Ausnahmen sind die Pest und einige wenige andere düstere Aspekte wie

die Inquisition. Die Faszination für ein so finsteres Zeitalter gründet sich laut dem Soziologen Paul Eisewicht gerade nicht auf dem Interesse, stundenlang für einen Lehnsherrn auf einem Acker zu schuften oder tödlichen Krankheiten ausgesetzt zu sein. „Vielmehr ist es der Kontrast zum Alltag. Es geht um ein erlebenswertes Bild einer mittelalterlichen Fantastik.“ Eisewicht betont, dass ein Mittelalterfestival auch dazu führen kann, dass sich Besucherinnen und Besucher mit dem historischen Mittelalter auseinandersetzen. Das Erlebte werde hinterfragt und nicht einfach nur zur Kenntnis genommen. Romantisierung ist nicht gleichbedeutend mit bewusster Verdrängung, findet Sven: „Die schöne Seite des Mittelalters, die beim MPS dargestellt wird, ist vielleicht auch eine, die es so nicht gegeben hat. Aber wir möchten nicht zeigen, wie es damals gewesen ist, weil das niemand sehen wollen würde. Wir überlegen, was sich die Gäste vorstellen könnten.“ Ebenso wie Rollenspiele regen die Märkte die Fantasie an. Eisewicht zufolge ist die Mittelalterszene kein sinnloser Freizeittraum, denn Orientierungsfragen, Streit und Hierarchieprobleme kommen genauso vor wie im alltäglichen Leben. Manchmal seien fremde Welten allerdings nicht mehr als ein kurzzeitiger Urlaub vom Alltag, vergleichbar mit einem Wochenende im Grünen.

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