Kurt Ausgabe 10

APRIL 2019

Studierendenmagazin für Dortmund

Timon

Wenn ich Nacktbilder verschicke, haben Google und Co. die dann auch? Frage für einen Freund …

17:02

Larissa

Liege im Bad, der Käse bei Luigi war doch nicht laktosefrei. Kann ich eigentlich nirgendwo mehr essen gehen?

17:04

Julius

Suche dringend einen RiesenTeddybär. Tipps anyone?

17:08

KURT

Lest doch einfach alle das neue KURT-Magazin #jetztaufdemcampus

…

17:11

Senden

Eins vorab Eine gesellschaftliche Katastrophe sei der derzeitige Mangel an Hebammen in Deutschland, sagen Expertinnen. Die Akademisierung soll den Beruf aufwerten. Ob das gelingt?

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TEXTKARLA KALLENBACH FOTOMALINA RECKORDT

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iebe KURT-Familie, verdient ihr euch mit einem Nebenjob Geld dazu? Ich schreibe Texte für eine Digitalagentur und bin zufrieden damit. Bei früheren Jobs war das anders. In den vergangenen Jahren habe ich Geschenke verpackt und bin als Weihnachtsengel durch ein Einkaufszentrum flaniert. Kurios endete das Verteilen von Flyern für eine Hochzeitsmesse. Nachdem ich acht Stunden mit eingefrorenem Lächeln versucht hatte, Menschen für meine Broschüren zu begeistern, motzte mich eine Frau an: „Eine Scheidungsmesse wäre besser!“

Es geht noch kurioser. Studentin Pia arbeitet als Hakenhalterin bei Operationen im Krankenhaus. Was es damit auf sich hat, erfahrt ihr auf Seite 19. Wer nach dem Studium einen Traumjob will, muss dafür kämpfen. Die Opernsängerin Irina behauptet sich gegen enorme Konkurrenz. Für ihren Erfolg braucht es Disziplin, Durchhaltevermögen und Verschwiegenheit über das eigene Alter. Ab Seite 20 lest ihr, warum Irina ihren Beruf trotzdem liebt.

Heike will mit ihrer Arbeit andere unterstützen. Aufgrund ihrer Allergien kann sie nicht alles essen, was sie möchte. Oft wissen Kellnerinnen und Kellner aber nicht genau, welche Zutaten in welchem Gericht stecken. Für Heike und Tausende andere ist das ein Risiko. Jetzt möchte sie Allergikerinnen und Allergikern mit einer App Orientierung für Restaurantbesuche bieten. Wie das genau funktioniert, lest ihr ab Seite 34.

Viel Spaß beim Lesen der neuen KURT-Ausgabe wünscht euch

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Alexa, hört Google mit? Siri, liest Facebook meine Chats?

Hey Google, stalkst du meine Bilder? Professor Erich Schubert gibt Antworten.

34 Ohne Angst essen zu gehen: Das war der Wunsch von Heike Bähr. Dafür hat sie eine App entwickelt. Denn Heike leidet an Unverträglichkeiten und muss wissen, welche Inhaltsstoffe ihr Essen hat.

Inhalt

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NEXT STOP VERSTEIGERUNG

Thank you for losing your things in Deutsche Bahn

WILLKOMMEN, BABY!

Geburtshilfe kann man jetzt studieren

NICHT SAUBER …

… sondern rein: Putzgeld im Wohnheim

WER NICHT PUTZT, ZAHLT

Sven fordert eine gerechte Reinigungsgebühr

IS BIG GOOGLE WATCHING ME?

Ein Prof für Datenwissenschaften klärt auf

HALT MAL KURZ

Pia jobbt als Hakenhalterin im OP

IN DEN HÖCHSTEN TÖNEN

Irina Simmes lebt den Traumberuf Opernsängerin

SAG MAL, PROF …?

Gibt es Alternativen zum Gefrierbeutel?

KUMPEL UND MALOCHER

Arbeiterkinder sind an der Uni selten

UNAUFHALTSAM

Wenn das eigene Kind sterbenskrank ist

LASST ES EUCH SCHMECKEN

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre App

KURT UNTERWEGS

Kulturszene Ruhrgebiet – mehr als Taxiteller

KURTS TRIP

Paul versucht sich als Wilhelm Tell

IMPRESSUM

Wer was wann wie gemacht hat und Rätsel

FOTOINGO HINZ, DANIELA ARNDT & JUDITH WIESRECKER

⁄⁄ MOMENTE

Es ist noch nicht alles verloren Wöchentlich versteigert die Deutschen Bahn die Fundsachen ihrer Fahrgäste. Ein Besuch in Wuppertal wirft Fragen auf: Wer lässt einen Rasierer in der Bahn liegen? Wer vergisst zwei gigantische Teddybären? Und sucht dann nicht mehr nach ihnen?

TEXTSARAH SENDNER FOTOSARAH SENDNER & INGO HINZ

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Täglich werden vergessene Gegenstände aus den Zügen der Deutschen Bahn zum Wuppertaler Hauptbahnhof geliefert. Dort machen sie zunächst Station im Fundsachenlager. Im Schnitt liegen dort 15.000 Teile und warten auf ihre neuen Besitzerinnen und Besitzer. „Im Jahr sind es wohl um die 250.000“, schätzt der Leiter des DB Fundsachenbüros Udo Feld.

Unter den 14 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Büros sind auch Sachverständige, die Luxusuhren auf Echtheit prüfen, und Daten-Expertinnen und -Experten, die Dateien und Apps von Handys und Laptops löschen.

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⁄⁄ MOMENTE

70 Tage lang wird ein Fundstück in Wuppertal gelagert. Wird in dieser Zeit keine Eigentümerin oder kein Eigentümer ausfindig gemacht, kommen die Sachen in die Auktionsvorbereitungsstufe.

Hier wird geprüft, was sich überhaupt zur Versteigerung eignet. Alles, was kaputt, dreckig oder wertlos ist, wandert in die Tonne. Der Rest kommt unter den Hammer – an diesem Donnerstag zum Beispiel eine Kiste Champagner, ein Longboard und eine Ukulele. In einem Raum des Fundsachenlagers warten außerdem zwei riesige Teddybären.

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Am Auktionspult: Walter Schreiner. Er preist hunderte Gegenstände an: einen Rucksack voller Rasierapparate, Apple- und Samsung-Smartphones im Zehnerpack, eine Sporttasche voller Kinderspielzeug. Udo Feld verwaltet die Käufe. Er erklärt, dass pro Woche Fundstücke für insgesamt etwa 7000 bis 10.000 Euro versteigert werden. Rund 85 Prozent der Gegenstände finden jedoch zurück zu ihren Besitzerinnen und Besitzern. Bei teuren Wertgegenständen wie zum Beispiel Laptops liegt die Quote sogar bei 90 Prozent.

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SCHÖN, DASS DU DA BIST! Eine Hebamme muss in Deutschland pro Jahr 100 Geburten betreuen, damit alle Familien versorgt sind. Die Rechnung geht nicht auf; vielen Familien fehlt eine adäquate Betreuung.

Die Akademisierung soll den Beruf attraktiver machen. Vier Meinungen, ob das gelingt.

TEXTINGA KAUSCH FOTOINGO HINZ

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ena Biller konnte ihr Glück kaum fassen, als sie endlich schwanger war. Für die 29-Jährige war es die erste Schwangerschaft. Ein absolutes Wunschkind. Doch aus Vorfreude wurden schnell Angst und Stress, denn Lena fand einfach keine Hebamme. „Ich wollte unbedingt eine haben, weil ich mir diese persönliche Betreuung gewünscht habe.“ Die Recherche im Internet machte ihr wenig Mut: Die meisten Hebammen waren auf Monate ausgebucht, von Beratungsstellen und Geburtenstationen bekam sie nur Broschüren. Zum Stress kam allmählich die Ratlosigkeit hinzu. „Die Suche hat mich so sehr belastet.

Jeden Tag habe ich im Internet recherchiert, telefoniert und Nachrichten geschrieben, aber immer ohne Erfolg.“ Irgendwann begann sie, nachts davon zu träumen. Die Wunschschwangerschaft

wurde immer mehr zum Albtraum.

Wachsender Druck und Panik, je näher die Geburt rückte. Das Gefühl, allein dazustehen. Ohne Hilfe. Irgendwann beschloss sie, eine Pause von der Suche zu machen. Die Sorgen belasteten sie Tag und Nacht: psychisch und physisch durch Schlafstörungen.

SCHLECHTE ERINNERUNGEN AN DIE SCHWANGERSCHAFT Als Lena nach gut fünf Monaten der Suche fast schon nicht mehr daran glaubte, half ihr der Zufall – und die Leiterin ihres Geburtsvorbereitungskurses. Diese wurde nämlich krank und die Vertretung hatte durch die Absage einer anderen Mutter einen Platz zur Geburtsbegleitung frei. Lenas Tochter Luna kam mithilfe der Hebamme Ostern 2017 auf die Welt. Heute ist Luna fast zwei Jahre alt. Die schlechten Erinnerungen an die

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Schwangerschaft sind geblieben. Trotzdem soll Luna Geschwister bekommen.

Mit ihrer Familie will Lena bald aufs Land ziehen – und macht sich ähnliche Sorgen wie vor der Geburt ihres ersten Kindes. „Auf dem Land schließen immer mehr Geburtenstationen und ich habe jetzt schon Angst, dass ich mein zweites Kind im Auto zur Welt bringen muss – ohne Hebamme.“ So wie Lena geht es vielen hunderttausend Frauen in Deutschland. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes werden jährlich etwa 800.000 Kinder geboren, 2200 täglich. Die Zahl der Hebammen liegt bei 24.000. Hinzu kommen Geburtshelfer, denn auch Männer können den Beruf ergreifen. Davon gibt es aber gerade einmal vier in Deutschland.

Ein solcher Hebammenmangel ist für Jule Tilgner „eine gesellschaftliche Katastrophe“. Tilgner ist Hebamme und

Hebamme Kerstin Toms arbeitet im Geburtshaus Unna. Hier untersucht sie eine Frau, die Zwillinge erwartet.

bloggt auf hebammezauberschoen.de über den liebevollen und achtsamen Start ins Leben. Sie hat ihre Selbstständigkeit gerade aufgegeben, weil sie es sich schlichtweg nicht mehr leisten kann. Gesetzlich hat jede Mutter den Anspruch, während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbettzeit von einer Hebamme unterstützt zu werden.

72 Prozent der Hebammen arbeiten in Teilzeit, sodass rein rechnerisch eine Hebamme etwa 100 Geburten pro Jahr betreuen müsste. Und das ist kaum zu schaffen. Die Geburt sei nämlich der kleinste Teil der Arbeit, erklärt Tilgner.

AKADEMISIERUNG SOLL DEN BERUF AUFWERTEN Durch Geburtsnachsorge, Stillberatung, Putzdienste im Kreißsaal und Dokumentationsaufgaben bleibt den Hebammen wenig Zeit für die intensive

Begleitung der Mütter und ihrer Neugeborenen. Hinzu kommt der Personalmangel auf den Geburtenstationen, weshalb sich die Hebammen laut Tilgner um zu viele Gebärende gleichzeitig kümmern müssen. „Dadurch herrscht Frustration und Überforderung unter den Hebammen und die Situation auf Deutschlands Geburtenstationen verschlimmert sich zunehmend.“ Die Akademisierung der Hebammenausbildung soll den Beruf aufwerten und dem Mangel entgegenarbeiten.

Deutschland ist laut dem Deutschen Hebammenverband das EU-weite Schlusslicht in der universitären Hebammenausbildung. Eine EU-Richtlinie soll das ändern: Diese legt fest, dass ab dem 18. Januar 2020 nur noch Hochschulen ausbilden dürfen. Der deutsche Hebammenverband hofft auf einen höheren Status der Hebammen durch

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mehr Autonomie und Bezug zur Forschung sowie auf mehr Gehalt und neue Perspektiven. Macht die universitäre Ausbildung den Beruf wirklich attraktiver? Vier Blickwinkel.

Johanna Diekmann Studiert im dritten Semester Hebammenkunde Johanna Diekmann will Hebamme werden. Das weiß sie, seit sie Praktika auf Geburtenstationen gemacht hat: „Ich möchte als Hebamme Frauen und Familien in der spannenden Zeit vor, während und nach der Geburt begleiten.“ Nach vielen Zusagen für eine Ausbildung entschied sie sich schließlich für das Studium der Hebammenwissenschaften. Ihre Hoffnung: eine bessere Zukunft in ihrem Traumjob. Aktuell studiert sie im dritten Semester an der Hochschule für Gesundheit Bochum

Für die Betreuung von Schwangeren gibt es in Deutschland zu wenige Hebammen. Die Akademisierung der Ausbildung soll den Beruf aufwerten und dem Mangel entgegenwirken.

(HSG). Besonders gut gefällt der 20-Jährigen am Studium, dass von Anfang an wissenschaftliches Arbeiten vermittelt wird, verbunden mit praktischen Ausbildungsanteilen. In dieser Kombination sieht sie die besten Jobchancen. Vor allem die vielfältigen Möglichkeiten, die sie durch das Studium bekommt, überzeugen Johanna: Arbeiten im Ausland, eigene Forschung oder Lehrberufe. Für sie stimmt an der Uni das Gesamtpaket.

Anfangs befürchtete sie, die Praxis im Studium könne zu kurz kommen.

Mittlerweile hat sie diese Sorgen nicht mehr: Die Theorie aus den Seminaren und Vorlesungen wird durch Praxisphasen in Geburtshäusern, Kliniken und Seminaren ergänzt. In Letzteren üben die Studierenden Geburts- und Vorsorgeuntersuchungen an Modellen und in Rollenspielen. „Dort sind wir in einem geschützten Raum, in dem wir Fehler machen dürfen und Dinge verinnerlichen können, damit wir in den Praxisphasen nicht komplett ins kalte Wasser geschmissen werden.“ Dabei lernen die Studierenden auch, sich gegenseitig Feedback und Hilfe zu geben und das eigene Handeln zu reflektieren. Einen Nachteil habe ihr Studium dennoch:

Die Praxisphasen liegen in den Semesterferien und sind – anders als eine Ausbildung – unbezahlt. Auf längere Ferien muss Johanna also verzichten.

Prof. Dr. Annette Bernloehr Professorin für Hebammenkunde „Durch das Studium ist man am Puls der Zeit“, sagt Prof. Dr. Annette Bernloehr, Professorin für Hebammenwissenschaften an der HSG in Bochum. „Es wird geforscht, man lernt, mit aktuellen Erkenntnissen umzugehen und diese und sich selbst zu reflektieren. Studierende erhalten ganz neue Perspektiven.“ Bernloehr wurde selbst fernab von Universitäten an einer Hebammenschule ausgebildet, machte in Großbritannien ihren Master in Hebammenwissenschaften, um dann in die Lehre zu gehen.

Sie hat den Studiengang der Hebammenkunde mit aufgebaut und glaubt an die Vorteile der Akademisierung: „Aktuelle berufliche und gesellschaftliche Herausforderungen erfordern neue Fähigkeiten.“ Vor allem Themen wie Migration, älter werdende Mütter und neue Zeugungsmethoden wie künstliche Befruchtung erforderten qualifi-

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ziertes Personal. Hebammen könnten somit eine umfassendere Karriere planen und auch im Management oder der Gesundheitspolitik arbeiten. „Man wird anders wahrgenommen und es entsteht ein neuer Bezug zur aktuellen wissenschaftlichen Debatte.“

Kerstin Toms Selbstständige Hebamme Kerstin Toms hat lange davon geträumt, einen medizinischen Beruf zu ergreifen. Also ist sie Hebamme geworden. „Schwangerschaften werden heute oft nicht mehr als etwas Natürliches angesehen.“ Doch vor allem diese Natürlichkeit möchte sie bewahren. Sie leitet mit fünf Kolleginnen als selbstständige Hebamme das Geburtshaus Unna. In Geburtshäusern kommen Babys in einem häuslichen Umfeld zur Welt. Die Mütter gehen meist schon wenige Stunden nach der Entbindung mit ihrem Kind nach Hause. In Unna werden jedes Jahr etwa 120 Geburten betreut.

Ob Kerstin Toms studiert hätte, wenn sie die Möglichkeit dazu gehabt hätte? „Ja“, lautet ihre Antwort. Durch das Studium würden Hebammen die allge-

» Frauen werden tief von Geburten geprägt. Wie das Leben beginnt, sagt viel über die Gesellschaft aus. « Kerstin Toms, selbstständige Hebamme

meine und europaweite Anerkennung bekommen, die längst überfällig ist.

Vor allem die Verbindungen zur Wissenschaft sieht Toms als großen Fortschritt, weil es den Stand der Hebamme hebe. Viele Studien und Empfehlungen für die Berufspraxis seien oft nicht an die tatsächlichen Gegebenheiten angepasst, da laut Toms oft nur Ärztinnen und Ärzte daran arbeiten. Denen aber fehle häufig die Nähe zu den Frauen und der Praxisbezug. „Als Hebamme ist kein Tag gleich und keine Geburt wie die andere. Man lernt immer neue Frauen und Familien kennen. Um eine gute Hebamme zu werden, muss man den Beruf mit ganzem Herzen ausüben, sonst geht das nicht“, sagt Toms.

Denn was auch dazu gehört und oft vergessen würde: Rufbereitschaft, unterbrochene Familienfeiern und 50- bis 60-Stunden-Wochen prägen den Alltag einer freiberuflichen Hebamme. Jahrelang hat Toms in Kliniken gearbeitet und dort die schlechten Arbeitsbedingungen aufgrund der Klinikstrukturen, Hierarchien und des kosteneffizienten Arbeitens erlebt. „Die Arbeit in der Klinik kann sehr frustrierend sein, weil es nicht möglich ist, die Geburtshilfe

zu leisten, die man leisten möchte.“ Im Geburtshaus in Unna könne sie ihre Arbeitsprozesse selbst gestalten. Ihr sei es vor allem wichtig, ein positives Bild von Geburten zu vermitteln. „Frauen werden tief von Geburten geprägt“, erklärt Toms. Deswegen sei es umso wichtiger, sie richtig und intensiv zu betreuen. „Wie das Leben beginnt, sagt viel über die Gesellschaft aus!“

Maria Klein-Schmeink Bundestagsabgeordnete Was die Politik zum Hebammenmangel sagt, ist gar nicht so einfach in Erfahrung zu bringen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und auch niemand aus seinem Ministerium konnten die Zeit für eine Äußerung finden. Aus der Grünen-Fraktion nahm schließlich die Bundestagsabgeordnete und gesundheitspolitische Sprecherin, Maria KleinSchmeink, Stellung. Verantwortlich für den Hebammenmangel ist für sie vor allem die deutsche Gesundheitspolitik: „Man hat sich viel zu lange darauf verlassen, dass genügend Hebammen vorhanden sind und sich nie mit der Situation rund um die Geburtshilfe beschäftigt.“ Es sei versäumt worden, ein

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umfassendes Konzept für eine funktionierende Geburtshilfe zu schaffen. Vor allem im Hinblick auf das Einkommen und die Berufshaftpflichtversicherungssummen – momentan rund 8200 Euro jährlich für selbstständige Hebammen – seien diese in einer finanziell schwierigen Situation. „Eine prekäre Gesamtlage“, sagt die Politikerin. „Auf politischer Ebene wurden lediglich Eckpunkte hinsichtlich der Akademisierung besprochen, zu kurzfristig gedacht und noch keine ausgereiften Gesetze verabschiedet.“ Nun bleibe den Hochschulen wenig Zeit, um zum Beispiel ihre Kapazitäten zu erweitern.

Die Hochschulen hätten in Kooperation mit den Hebammenverbänden schon viele Vorschläge eingebracht. „Es mangelte allerdings lange an der politischen Umsetzung“, kritisiert Klein-Schmeink.

Die Umstrukturierung könnte zu einem langen Prozess werden, denn es fehle an Lehrkräften für die akademische Ausbildung. In der Akademisierung selbst sieht die Grünen-Politikerin viele Vorteile. So werde die Professionalisierung und Autonomie der Hebammen vorangebracht, die dann auf Augenhöhe mit Ärztinnen und Ärzten stünden.

SAUBER! Velga Polinska aus Lettland wollte wie eine normale Studierende behandelt werden. Doch in ihrem Wohnheim an der TU Dortmund musste die Austauschstudentin eine Reinigungsgebühr zahlen, die für langfristig Eingeschriebene entfällt. Unser Autor hat das Studierendenwerk damit konfrontiert.

TEXTSVEN DRÖGE FOTOSVEN DRÖGE & MALINA RECKORDT

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ie Banane, so nennen die Erasmusstudentin Velga Polinska und ihre beiden Mitbewohnerinnen das Haus am Gardenkamp in Eichlinghofen. Es ist eines der älteren Wohnheime des Studierendenwerks Dortmund, gebaut im Jahr 1993. Linoleumboden, grelle Deckenleuchten und kahle Wände. In fahlem Gelb krümmt sich das Haus hinter den neu gebauten Studierendenapartments. Sechs Monate hat Velga dort gewohnt, bis ihr Auslandssemester im Februar beendet war. Unser Autor hat die Lettin vor ihrer Abreise getroffen. Sie ist frustriert, fühlt sich vom Studierendenwerk ausgetrickst.

REINIGUNGSKRÄFTE PUTZEN EINMAL PRO WOCHE Es geht um Geld – 30 Euro, um genau zu sein. Diesen Betrag mussten sie und ihre zwei Mitbewohnerinnen monatlich an das Studierendenwerk für einen Reinigungsdienst zahlen – pro Person. Die Gebühr für den Reinigungsdienst ist Teil der Pauschalmiete für einen Wohnheimplatz. Nur Austauschstudierende sind davon betroffen. Das regt Velga auf.

2017 hat das Studierendenwerk den Reinigungsdienst für alle Wohnheime eingeführt. Zuvor hatten sich Mieterinnen und Mieter über Austauschstudierende beschwert, die Wohnungen und Möbel offenbar verschmutzt hatten.

Seitdem müssen den Reinigungsservice pauschal alle Austauschstudierenden tragen, die in den WGs der Wohnheime unterkommen. Betroffen sind also fast ausschließlich junge Menschen aus dem Ausland, deutsche Austauschstudierende hat die TU Dortmund aktuell nämlich nicht. Reguläre Studierende sind von der Gebühr ausgenommen. Einmal

pro Woche sollen die Reinigungskräfte in den WGs die Gemeinschaftsräume, das Badezimmer sowie die Arbeitsflächen in der Küche putzen.

Velga würde das gern selbst übernehmen, abbestellen kann sie den Reinigungsdienst jedoch nicht, wie sie schildert. Am Küchentisch, den noch ein Brandfleck von einer Vormieterin oder einem Vormieter zeichnet, erklärt sie ihre finanzielle Situation. Immer wieder erhebt die Erasmusstudentin dabei ihre Stimme. Zu Hause in Lettland lebt ihr Ehemann mit den zwei Kindern. Das Geld sei knapp. „Ich muss die Kindergartengebühren bezahlen und dann auch die Wohnung in Riga.“ Ihr Mann könne sie finanziell nicht unterstützen, Velga selbst arbeite neben dem Studium als Übersetzerin und verdiene so einen Teil des Lebensunterhalts. Eine Putzhilfe könne sich die Familie selbst in Lettland nicht leisten. Während Velga erzählt, umklammert sie ihre Teetasse.

Klaudia Kocaj hat mit ihren beiden Mitbewohnerinnen im Wintersemester ebenfalls eine WG des Studierendenwerks Dortmund bezogen. Alle drei sind Austauschstudierende. Seit ihrem Einzug am Ostenberg hätten sie für den Reinigungsdienst bezahlt, während ihres Aufenthalts jedoch nie Reinigungskräfte gesehen, sagt Klaudia. Erst auf Nachfrage bei einem Bekannten habe sie erfahren, dass ihre Miete höher war als die von Studierenden, die längerfristig im Wohnheim leben.

Klaudia beschwerte sich mehrfach beim Studierendenwerk. Eine Reaktion habe es nicht gegeben. Auf die Frage, ob ihr das Geld erstattet würde, habe sie ebenfalls keine Antwort erhalten.

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Das Studierendenwerk gibt auf Anfrage von KURT jedoch an, den Sachverhalt aufklären zu wollen. Zudem hätten die Studierenden jederzeit die Möglichkeit, sich online oder in einem persönlichen Gespräch an das Studierendenwerk zu wenden.

KEIN VERSTÄNDNIS FÜR DIE ZUSATZGEBÜHR Austauschstudierende, die nur ein oder zwei Semester in Dortmund bleiben, würden vom Studierendenwerk unfair behandelt, findet Velga. „Warum sollte ich schlechter sein als ein 20-jähriger deutscher Student, der gerade in seine erste Wohnung einzieht? Der kann seine Wohnung sauber machen und ich kann das nicht. Warum?“, fragt die 30-Jährige. Sobald Austauschstudierende mit regulären Studierenden zusammenwohnen, entfällt die Gebühr für den Reinigungsdienst.

In den Wohnheimen werden mittlerweile viele Austauschstudierende von regulären Studierenden getrennt.

Das Studierendenwerk möchte dies

DATEN ZU MIETEN & WOHNHEIMPLÄTZEN Etwa 2700 Wohnheimplätze

gibt es in Dortmund.

Preise für Wohnheimplätze des Studierendenwerks: rund 185 bis 405 Euro warm pro Monat Nur Austauschstudierende müssen monatlich 30 Euro mehr bezahlen – diese Gebühr für den Reinungsdienst ist Teil ihrer Pauschalmiete.

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» Warum sollte ich schlechter sein als ein 20-jähriger deutscher Student, der in seine erste Wohnung einzieht? « Velga Polinska (30), Austauschstudentin aus Lettland

forcieren: „Aktuell befinden wir uns in einem Umstellungsprozess. Einige Apartments sind bereits ausschließlich mit Austauschstudierenden belegt, in anderen gibt es eine Mischbelegung“, heißt es in einer Mitteilung des Studierendenwerks.

DEUTSCHER MIETERBUND SIEHT DIE SACHE KRITISCH Die Annahme, deutsche und ausländische Studierende würden voneinander getrennt, sei falsch. Nach den Beschwerden der Mieterinnen und Mieter sei es dem Studierendenwerk wichtig gewesen, eine einvernehmliche Lösung für alle Beteiligten zu finden. Deshalb habe man die Wohngemeinschaften für Austauschstudierende gebildet. „Die Reaktion auf diese Lösung ist seit der Einführung gut“, hält das Studierendenwerk weiter fest. Auch die Austauschstudierenden würden die Umstellung loben. Zudem würde das Inventar der Wohnungen geschont, wenn es regelmäßig geputzt würde. So wirke man Mietpreissteigerungen entgegen.

Knapp 2700 Wohnheimplätze gibt es in Dortmund, von denen 2017 mehr als ein Drittel an ausländische Studierende vergeben wurde. Die monatliche Warmmiete für einen Wohnheimplatz des Studierendenwerks liegt aktuell bei rund 185 bis 405 Euro. Auf dem freien Markt kostete ein WG-Zimmer in Dort-

mund 2018 durchschnittlich 300 Euro monatlich. Das ergab eine Erhebung des Onlineportals wg-gesucht.de.

sich dabei um einen rechtlichen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz handeln.

Stefan Grob, Pressesprecher des Deutschen Studentenwerks, kann das Vorgehen des Studierendenwerks Dortmund nachvollziehen. „Wie wir auch von anderen Studierenden- und Studentenwerken wissen, neigen Austausch- beziehungsweise Programmstudierende dazu, ordentlich Party zu machen und sich um die Reinigung von ihren Partyüberresten, sagen wir mal, nicht immer vorbildlich zu kümmern“, sagt er. Aus seiner Sicht profitieren alle Seiten vom Reinigungsdienst – die Austauschstudierenden genauso wie das Studierendenwerk, das seine Wohnheime so in Schuss und damit bezahlbar halte. „Wenn wir den internationalen Austausch ernst meinen, müssen wir uns auch mit dessen Realitäten und weniger schönen Seiten auseinandersetzen.“

Das Studierendenwerk hält dagegen: „Wir behandeln inländische und ausländische Studierende bei der Vergabe von Plätzen in unseren Wohnanlagen absolut gleich!“ Von einem Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgesetz zu sprechen, entbehre jeglicher Grundlage. Zudem betont das Studierendenwerk, „dass der Reinigungsservice nur für Programmstudierende vorgesehen ist – und zwar völlig unabhängig davon, welcher Nationalität sie angehören.“ Der Reinigungsdienst sei lediglich für die Bewohnerinnen und Bewohner vorgesehen, die für einen kurzen Zeitraum einen Wohnplatz mieten.

Der Deutsche Mieterbund sieht die unterschiedliche Behandlung von Mieterinnen und Mietern jedoch kritisch.

Grundsätzlich sei es Vermieterinnen und Vermietern zwar erlaubt, unterschiedlich hohe Mieten zu fordern, ohne dies zu begründen. UIrich Ropertz, Sprecher des Mieterbunds, weist aber darauf hin, dass „die unterschiedliche Behandlung von ausländischen und inländischen Studierenden aus Sicht des Mieterbunds eine Diskriminierung“ darstelle. Es könne

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» KOMPROMISS WÄRE DIE BESTE LÖSUNG « Velga hat wiederholt beim Studierendenwerk nachgefragt und darum gebeten, den Reinigungsdienst abzuschaffen. Bis zu ihrer Abreise konnte sie jedoch nichts erreichen. „Ich habe einfach den Grund nicht mehr gesehen, dafür zu zahlen“, sagt sie. Einen Kompromiss hält sie für die beste Lösung: „Das Studierendenwerk kann doch einmal die Woche vorbeikommen und schauen, ob alles sauber ist.“ Wenn die Studierenden die Wohnungen nicht sauber hielten, könne das Studierendenwerk immer noch die Reinigungsgebühr verlangen.

⁄⁄ KURTSMITTEILUNG

Trennung unerwünscht In jedem Heft schreiben wir einen Brief. Dieses Mal an das Studierendenwerk Dortmund. Unser Autor fordert: Hört auf, deutsche und Austauschstudierende in den Wohnheimen zu trennen! Auf diese Weise von Gästen höhere Reinigungsgebühren zu kassieren, ist unfair.

TEXTSVEN DRÖGE FOTODANIELA ARNDT & ONLYYOUQJ/FREEPIK

KANN MICH JEMAND HÖREN? Ein Großteil unserer Kommunikation läuft über Unternehmen wie Facebook oder Google. Die haben so Zugriff auf einen enormen Datenschatz. Werden auch die Inhalte unserer Gespräche gespeichert und ausgewertet? Erich Schubert, Professor für Datamining, gibt Antworten.

TEXTNATHAN NIEDERMEIER INFOKASTENSTEPHAN KLEIBER FOTODANIELA ARNDT

H

err Schubert, welche technischen Möglichkeiten gibt es bereits, um Inhalte von Telefonaten und Chats auszuwerten?

Bei der Spracherkennung und der automatischen Sprachverarbeitung haben wir in den vergangenen Jahren deutliche Fortschritte gesehen. Das lässt sich zum Beispiel daran erkennen, dass der Videomessenger Skype inzwischen simultane Übersetzungen anbietet. Das heißt: Das System erkennt und übersetzt während des Telefonats. Das ist mitunter sehr erheiternd. Ein weiteres Beispiel ist die „OK-Google“-Funktion

auf Android-Smartphones. Damit können Nutzerinnen und Nutzer ihr Handy mit ihrer Stimme bedienen. Beides setzt voraus, dass Sprache schnell analysiert werden kann.

Die Anfragen der „OK-Google“-Nutzer werden aufgezeichnet und von Google zur Verbesserung der Spracherkennung gespeichert und ausgewertet. Was genau aufgezeichnet wurde, das kann online bei Google abgerufen werden. Es ist empfehlenswert, sich die gespeicherten Audiodateien mal anzuschauen, zumal die Daten dort gelöscht werden können.

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An der Stelle muss man Google loben, weil das Unternehmen das vergleichsweise transparent kommuniziert. Das zeigt: Rein technisch wäre es durchaus möglich, die Inhalte von Telefonaten und Chats auszuwerten.

Bedeutet das, dass Chats und Telefonate bereits mitgehört und ausgewertet werden?

Es ist schwer, das zu beurteilen, weil man nicht wirklich hinter die Kulissen schauen kann. Die Frage ist, ob die Inhalte der vielen Nutzer auf diese Art und Weise gleichzeitig verarbeitet wer-

» Wir neigen dazu, uns selbst zu überschätzen, und denken, dass wir unabhängig von Werbung sind und uns davon nicht beeinflussen lassen. « Erich Schubert, Professor für Datamining

den können. Wenn die Auswertung der Daten auf dem Handy laufen würde, wäre der Akku zu schnell leer. Das würde der Nutzer merken und das Produkt würde sich nicht gut verkaufen. Wenn die Auswertung über Server läuft, dann sind das immer noch sehr viele Daten, die übertragen werden müssen. Ein hoher Rechenaufwand. Damit sind erhebliche Stromkosten für die Analyse der Daten verbunden.

Bei einer pauschalen Auswertung der Inhalte stellt sich zudem die Frage, ob die Serverkapazitäten dafür ausreichen.

Wenn man sieht was Apples Sprachassistent „Siri“ und die „Ok-Google“Funktion können, sind da durchaus erhebliche Kapazitäten vorhanden. Wie hoch genau die Kapazitäten tatsächlich sind, ist aber schwer einzuschätzen.

Aber selbst wenn sie ausreichen würden, ist fraglich, ob Kosten und Nutzen bei einer pauschalen Auswertung sämtlicher Inhalte in einem guten Verhältnis stehen und ob die Qualität ausreichend gut ist.

Heißt das, der Aufwand lohnt sich nicht, um alle Inhalte zu analysieren?

Nicht bei sämtlichen Telefonaten oder Chats. Anders sieht das bei den sogenannten Metadaten aus, also zum Beispiel wann wir mit wem wie lange telefonieren. Aus Metadaten kann definitiv mehr herausgelesen werden als die meisten ahnen. Besonders Zusammenhänge und Gewohnheiten, die den Leuten vorher vermutlich nicht bewusst sind, lassen sich darüber erkennen. Wir neigen dazu, uns selbst etwas zu überschätzen, und denken, dass wir unabhängig von Werbung sind und uns davon nicht beeinflussen lassen. Aber

das Einkaufsverhalten zeigt dann, dass wir eben doch beeinflussbar sind.

Welche Daten sammeln die Unternehmen, um so viel über unsere Gewohnheiten sagen zu können?

Gibt beispielsweise jemand einen Suchbegriff bei Google ein, liefert das ein sehr deutliches Signal über die Interessen der Person. Aber auch Klickver-

bei Android- und Apple-Smartphones sogenannte Werbe-IDs, über die sich das Nutzungsverhalten der einzelnen Anwendungen miteinander verknüpfen lässt. Das heißt beispielsweise: Facebook kann nicht nur potenziell den Chat-Verlauf eines Nutzers analysieren, sondern kann ihn auch über diese Werbe-ID mit anderen Anwendungen querverbinden, wie dem Facebook-Profil des

Erich Schubert (rechts) im Gespräch mit unserem Autor Nathan. halten, Besuche von Webseiten und das Verhalten auf unterschiedlichen Plattformen oder Diensten ist entscheidend. Besonders ergiebig ist es, all das miteinander zu verknüpfen. Google ist derzeit der größte Werbevermarkter im Internet und liefert Werbung in der Online-Welt so ziemlich überall hin aus und zwar möglichst personalisiert. Die Personalisierung funktioniert über diese Verknüpfungen besonders gut.

Das heißt, ob ich ein Smartphone habe, spielt gar keine so große Rolle?

Doch, durchaus. Es gibt zum Beispiel

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Nutzers. Verknüpfungen bedeuten in diesem Zusammenhang, Informationen von verschiedenen Diensten, Webseiten oder Plattformen, die sich einer Person zuordnen lassen, zu einer „Identität“ zusammenzuführen. Diese Verknüpfungen sind für die Unternehmen besonders ergiebig, denn je mehr Verknüpfungen möglich sind, desto präziser ist die „Identität“ und desto präziser lässt sich Werbung schalten. Aus Datenschutz-Perspektive sind die Verknüpfungen für die Nutzer ein großes Problem. Gleichzeitig ist das der Bereich, in dem sich Nutzer am besten schützen können, indem sie

» Das Filtern der Tracker-Flut ist essentielle digitale Selbstverteidigung. « Erich Schubert, Professor für Datamining

die potentiellen Verknüpfungen möglichst geringhalten.

Wie mache ich das als Nutzerin oder Nutzer?

Für das Verknüpfen muss ich als Nutzer identifiziert werden und das passiert zum Beispiel dann, wenn ich bei einem Dienst meine Handynummer angebe. Die Handynummer lässt sich meiner „Identität“ eindeutig zuordnen und eignet sich deshalb sehr gut zum Verknüpfen, weil es da nicht so leicht ist, sich weitere Profile anzulegen, wie beispielsweise bei E-Mails. Ich kann mir beliebig viele E-Mail-Adressen zulegen, um die Verknüpfungen zu er-

schweren. Bei Handynummern ist das schon schwieriger. Deshalb sollte man die Handynummer nicht zur Identifikation verwenden und Dienste meiden, die das erwarten.

Gibt es noch weitere Möglichkeiten, sich zu schützen?

Sinnvoll ist es, die vielen Löschfunktionen bei sozialen Netzwerken zu nutzen – also da mal alles zu löschen was geht, zum Beispiel alte Tweets. Auch die Werbe-ID bei Android und Apple sollte man regelmäßig zurücksetzen, was in den Einstellungen geht. Im Browser sollte man vorwiegend den Incognitobzw. privaten Modus verwenden. Auf

Handys gibt es dazu Firefox Klar. Und Nutzer sollten einen Adblocker installieren: Das Filtern der Tracker-Flut ist essentielle digitale Selbstverteidigung.

Bei DSGVO-Cookie-Fragen sollte man auf Details klicken und alles ablehnen.

Eine andere Möglichkeit ist es, manche Sachen einfach gar nicht zu nutzen. Ich komme derzeit zum Beispiel wunderbar ohne WhatsApp und Telegram aus und mein Facebook-Account ist die meiste Zeit abgeschaltet. Man hat anfangs natürlich das Gefühl, dass man vieles nicht mehr mitbekommt. Aber letztlich hat man ja mehr davon, wenn man sich offline trifft – finde ich.

5 TIPPS FÜR MEHR PRIVATSPHÄRE BEIM SURFEN 1. Die Datenschutz-Einstellungen des Browsers überprüfen. Viele moderne Webbrowser können Cookies von Drittanbietern blockieren und so verhindern, dass Werbeanbieter das Surfverhalten auswerten. Vorsicht: Der Inkognito-Modus, den viele Browser anbieten, verhindert nur, dass ein lokaler Verlauf angelegt wird. Gegenüber Webseiten bleibt man trotzdem weitgehend identifizierbar.

2. Adblocker verwenden. Weniger Werbeanzeigen führen nicht nur zu deutlich aufgeräumteren Webseiten; viele Tracking-Versuche lassen sich so ebenfalls abwehren. Wer auf etwas Komfort beim Surfen verzichten kann, benutzt zusätzlich Scripblocker, mit denen sich sehr fein einstellen lässt, welche Elemente einer Webseite geladen werden dürfen und welche nicht.

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3. Facebook, Amazon und Co. in separaten Browsern öffnen. So können diese Anbieter nicht verfolgen, was man auf anderen Webseiten tut. Alternativ gibt es Erweiterungen für Browser, die einzelne Dienste vom Rest des Webseiten-Verlaufs isolieren können.

4. Einen VPN-Dienst benutzen. Der komplette Datenverkehr läuft dann verschlüsselt ab. Vorteil: Selbst der eigene Internet-Anbieter sieht nicht mehr, welche Seiten man besucht. Nachteil: Die Seiten laden langsamer. Kostenlose VPN-Dienste sollte man meiden.

5. App-Berechtigungen einschränken.

Nicht jede Smartphone-App muss auf Mikrofon und Adressbuch zugreifen. Hier sollte man restriktiv vorgehen und nur das erlauben, was wirklich benötigt wird.

⁄⁄ SPECIALOPS

Die Sache hat nen Haken Morgens Uni, mittags OP: Für Pia keine Seltenheit. Neben ihrem Studium arbeitet die 20-Jährige als Hakenhalterin in einer Sportklinik. Sie hält Schnitte auf, saugt Blut ab und bekommt auch mal ein Bein in die Hand gedrückt, das sie möglichst ruhig halten soll.

TEXTMELINA MILLER FOTOPIA HEIM

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ommandos wie „und Schnitt!“ hört Pia Heim oft bei der Arbeit. Sie ist Hakenhalterin im Operationssaal. Ihr Job ist es, Wunden nach einem gesetzten Schnitt der Chirurgin oder des Chirurgen mit Haken auseinander zu halten, sodass ungehindert operiert werden kann. „Je nach OP muss ich auch mal ein Bein halten“, sagt die 20-Jährige.

bleme mit Schwindel. „Das ist mir aber zum Glück noch nie passiert“, sagt sie.

Ob sich jemand für den OP eignet, wird bei einem „Schnuppertag“ getestet. Überstehen die Interessierten die erste Operation als Zuschauerin oder Zuschauer ohne Kreislaufprobleme, kann es losgehen: Pia hielt schon beim zweiten Termin selbst die Haken. Alle paar Wochen schult das OP-Personal sie in Hygiene. Am Anfang hatte sie Angst, ob sie das alles so hinbekommt. „Klar hatte ich Respekt und wollte alles richtig machen. Aber unter Argusaugen wurde alles angeleitet und ich wurde immer sofort korrigiert.“ Die operierende Ärztin oder der operierende Arzt gibt während der OP Anweisungen.

Kann sie eine Position nicht mehr halten oder gibt es andere Probleme, muss sie sofort Bescheid geben, sagt Pia. Der respektvolle Umgang im Team gebe ihr Sicherheit.

Pia studiert Bewegung und Ernährung in Weingarten am Bodensee. Wie sie zu dem ungewöhnlichen Nebenjob kam? „Über eine Freundin, die auch als Hakenhalterin arbeitet. Wir haben gerade zusammen gelernt, als sie angerufen wurde, ob sie einspringen könne.“ Das hat Pias Interesse geweckt und sie machte einen Termin zum Probearbeiten aus. Seit vergangenem Herbst gehört sie nun zu einem rund 15-köpfigen Team aus Studierenden, die alle auf 450 Euro-Basis bei einer externen Firma angestellt sind. Diese vermittelt die „Hakis“, wie sie liebevoll genannt werden, an die Sportklinik Ravensburg. Die Bezahlung liegt bei 13 Euro die Stunde, die Anforderungen sind hoch.

Hauptsächlich assistiert sie bei Operationen an Knie, Schulter, Hüfte, Ellenbogen sowie Fuß- und Sprunggelenk. Pro Monat absolviert Pia mittlerweile circa vier bis fünf Schichten, entweder als Früh- oder Spätdienst. Die spannendste OP war für sie bis jetzt das Zusammennähen einer gerissenen Achillessehne. „Zu sehen, wie die fingerdicke und kräftigste Sehne des Körpers wieder aneinandergenäht wird – das war schon richtig beeindruckend.“

In der Chirurgie muss Pia die gleiche Position so lange wie nötig halten – und eine ruhige Hand bewahren. „Die körperliche und geistige Anstrengung ist manchmal enorm“, sagt sie. „Nach den fünf Stunden kann man ja dann meistens etwas essen und sich ausruhen.“ Manche bekämen irgendwann Pro-

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TSCHÜSS, IHR DICKEN TANTEN Opernsängerinnen sind launische Persönlichkeiten in funkelnden Kleidern? Irina Simmes zeigt, dass es anders geht. Seit dieser Spielzeit singt sie am Theater Dortmund und vertritt eine junge Generation in einer extremen Branche.

TEXTIDA HERMES FOTOBJÖRN HICKMANN & IDA HERMES

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chwarze Stiefel wirbeln über den Bühnenboden. Irina Simmes tanzt in ihnen durch die Kulisse, eine junge Sängerin im Reitkostüm, sie lächelt und dreht sich. „Ich danke für die Huldigung und für den freundlichen Empfang.“ Herren in Frack und Zylinder heben schmachtend den Blick. Irina reckt eine Reitgerte in die Höhe, führt sie mit einem Schlag durch die Luft.

Wusch. „He, die knallt ja gar nicht“, ruft sie. Wedeln, Fuchteln, es nützt nichts.

Dann muss eben eine neue Abschlusspose her, für das hohe H, in dem ihre erste Arie gipfelt. Also alles nochmal auf Anfang, aber zügig, bitte.

Irina singt seit dieser Spielzeit, die Anfang Oktober begonnen hat, als Opernsängerin am Theater Dortmund.

Sie probt gerade für ihr Debüt in der romantischen Operette „Das Land des Lächelns“ von Franz Lehàr. Eine anstrengende Partie mit langen Liebesarien und Duetten sowie gesprochenen Dialogen. Irina muss hinter der Bühne immer bereitstehen. Die Probenzeit ist eng getaktet, die Abläufe sind komplex.

ARBEIT IST VON DISZIPLIN UND KONKURRENZ GEPRÄGT

Irina Simmes singt seit Oktober als Opernsängerin am Theater Dortmund.

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Jede Note, jede Geste, jeder Blick muss sitzen. Dazwischen muss Irina hin- und herlaufen: Umkleide, Bühne. Bühne, Umkleide. Hinter der Bühne ist wenig Platz. Die Sängerinnen und Sänger müssen sie nicht nur zur rechten Zeit von der richtigen Seite betreten, sondern nach ihrem Abgang auch schnell wieder aus dem Weg gehen. „Aber das ist ja das Tolle an dem Job: das Spiel, die Abwechslung, das Ausprobieren, die Arbeit mit den Kollegen. Ich hätte gar keine Lust, immer nur das Gleiche abzuspulen“, sagt sie. Die junge Sängerin ist seit mehr als zehn Jahren in der Branche, die Stelle in Dortmund ist ihr zweites festes Engagement. Ihr Alter möchte sie nicht verraten. Die Arbeit sei von Disziplin und Konkurrenz geprägt, der Leistungsdruck hoch. Trotzdem hat Irina stets ein Lächeln auf den Lippen, bewahrt sich den Spaß an dem, was sie tut.

» Sängerinnen wie Irina Simmes bringen eine ganz neue Einstellung zu diesem Beruf mit und sehen sich eben nicht nur als Sänger, sondern als Darsteller. « Gabriel Feltz, Generalmusikdirektor

Die Probe geht weiter. Während der Chor auf der Bühne rote Schirmchen schwenkt und exotische Melodien summt, laufen Backstage die Vorbereitungen für die nächste Szene. Requisiten werden an die richtige Stelle geschoben, der Theaterinspizient gibt per Funk durch, wer als nächstes dran ist.

Er koordiniert den Ablauf des Stücks, sorgt dafür, dass Orchester, Bühnenbild, Chor und Sängerensemble aufeinander abgestimmt agieren. „Irina Simmes bitte zur Bühne, Irina Simmes bitte zur Bühne“, spricht er in ein Mikrofon.

Dabei ist Irina jetzt gar nicht mehr Irina, sondern Lisa. Eine verwöhnte Grafentochter, die ihre Heimatstadt Wien verlassen hat, um mit der Liebe ihres Lebens in die Ferne zu flüchten, dem chinesischen Prinzen Sou-Chong. Irina zuppelt ihr goldbesticktes Etuikleid zurecht, richtet die Juwelenkette, streicht ihr langes braunes Haar aus dem Gesicht. Die Liebesszene steht an: Sie soll auf einem roten Plüsch-Kanapee mit ihrem Tenorkollegen Martin Piskorski turteln. Wie im Bilderbuch.

AUF DEM SOFA WIRD ES KITSCHIG Auch in Irinas Leben scheint alles wie im Bilderbuch zu verlaufen. Nach ihrem Studium an der Folkwang Universität der Künste bekam sie einen Platz im Opernstudio NRW, wurde am Musiktheater im Revier Gelsenkirchen ein Jahr lang als junges Talent gefördert, durfte so Erfahrung auf der Bühne sammeln. „Danach habe ich überall Vorsingen gemacht, viele gut, viele furchtbar.“ Irina lacht. Offenbar hat sie überzeugt:

Nach kurzer Zeit bot Intendant Heribert Germeshausen ihr eine feste Stelle im Ensemble der Oper Heidelberg an.

Bei seinem Wechsel an die Oper Dortmund im Oktober schlug er sie für das hiesige Ensemble vor. „Irina ist eine großartige Künstlerin und passt sehr gut in das Haus und das Programm, das ich hier umsetzen möchte.”

Holzbläserstimmen raunen über sanfte Geigenklänge, eine Solovioline lässt die Saiten vor Liebreiz erbeben. „Lotusblume“, seufzt der chinesische Prinz. Irina erwidert seinen Blick, lässt sich auf das Sofa sinken. „Stopp, stopp, stopp!“ unterbricht Generalmusikdirektor Gabriel Feltz die Probe der Liebesszene. „Ihr macht da ein Rieeesending draus.

Das ist zu viel. Das nimmt ja sonst nie ein Ende.“ Gelächter. Das „Land des Lächelns“ ist voll von Wunschkonzertschlagern, also gefühlsseligen Melodien, bei denen meist das ganze Publikum einstimmen könnte, so berühmt ist die Musik. Als Sängerin sei es eine große Herausforderung, dem nicht zu viel Raum zu geben und die Musik nicht auch noch schauspielerisch zu doppeln, erzählt Irina nach der Probe. „Das kann sehr schnell in die Sentimentalität abgleiten und kitschig werden.“

Sechs Wochen hat das Ensemble in Dortmund, um die Operette einzustudieren. „Absoluter Luxus für ein Stück von gerade einmal anderthalb Stunden“, sagt Generalmusikdirektor Feltz.

Er verschränkt die Arme und starrt auf seine Armbanduhr. „Es gibt immer einen festen Ablauf, wie solche Produktionen einstudiert werden. Trotzdem

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hat man nicht immer so viel Zeit, wie man eigentlich braucht.“ Zuerst üben die Sängerinnen und Sänger einzeln mit Klavierbegleitung ihre Stimmen ein. Es folgt eine Gruppenprobe, in der Feltz seine musikalischen Vorstellungen erläutert. „Es ist sehr wichtig, dass die Arbeit danach Hand in Hand mit der Regie geht. In den Proben kommt Stück für Stück immer etwas dazu: Chor, Kostüme, Licht, Orchester. Und am Ende spielen wir in mehreren sogenannten Bühnenorchesterproben das ganze Stück mehrere Male durch. So merke ich, an welchen Stellen es noch hapert.“

DIE THEATERLUFT REIZT DIE STIMMBÄNDER Hinter der Bühne trudeln Staubpartikel, holzig und schwer, wie in einer Schreinerwerkstatt. Die Luft ist trocken. Rauch aus Nebelmaschinen und das Scheinwerferlicht verdichten den Dunst zunehmend, treiben Fussel aus den schwarzen Seitenvorhängen. Irina hustet. Vergangene Woche lag sie mit einer Erkältung im Bett. Jetzt geht es ihr besser, doch die Theaterluft reizt die Stimmbänder. „Das wird bei der Premiere am Samstag eine Punktlandung“, sagt sie und zuckt mit den Schultern. „Ich mache mir da aber nicht so viele Gedanken drum. Manchmal passt man sehr auf sich auf und wird trotzdem total krank. Und manchmal ist es umgekehrt. Panik ist da auf jeden Fall kontraproduktiv.“ Eine ungewöhnliche Haltung für Sängerinnen und Sänger, wie Gabriel Feltz erzählt. Es gehöre dazu, bei gesundheitlichen Problemen extra gut aufzupassen.

Auf der Bühne möchte sich Irina frei bewegen können und den Spaß an ihrem Job zum Ausdruck bringen.

Der Leistungsdruck sei hoch, Krankheiten könnten direkt auf die Stimmbänder schlagen. „Wir haben heute auch nicht mehr die Möglichkeit, Sängerinnen und Sänger bis zur Unkündbarkeit zu beschäftigen“, sagt Intendant Germeshausen. „Sobald ein Sänger über eine längere Zeit Stimmprobleme hat oder sich seine Stimme durch zu hohe Belastung oder Ähnliches verschleißt, kann das sehr schnell das Karriereende bedeuten.“ Früher war es üblich, Sängerinnen und Sänger mehr als zwanzig Jahre zu beschäftigen, das Theater konnte ihnen nicht mehr kündigen. Heute laufen die Verträge selten länger als drei Jahre und mit jeder neuen Intendanz wechselt meist ein Großteil des Ensembles.

man sich doch auch selbst den ganzen Spaß.“ Feltz hat das schon anders erlebt. „Früher gab es einmal das Klischee der Opernsängerinnen und Opernsänger als dicke Tanten und Onkels, die an der Rampe stehen und so laut schreien, wie sie können.“ Eine Anspielung auf die Traditionen um 1900, als die Sängerin oder der Sänger in großen Momenten an der Bühnenkante verharrte, statt Rollen auch schauspielerisch zu verkörpern. Feltz lacht. „Das ist natürlich Unsinn. Trotzdem kann ich guten Gewissens sagen, dass Sängerinnen wie Frau Simmes eine ganz neue Einstellung zu diesem Beruf mitbringen und sich eben nicht nur als Sänger sehen, sondern als Darsteller.“

OPERNENSEMBLES WERDEN IMMER JÜNGER

Das habe auch damit zu tun, dass die Konkurrenz viel größer geworden sei und Opernensembles immer jünger würden. Das trifft auch auf das Dortmunder Ensemble zu. Von 14 Sängerinnen und Sängern ist kaum jemand älter als 35, für mehrere ist es das erste feste Engagement. „Ich möchte die Oper Dortmund als Karrieresprungbrett für junge Gesangstalente sehen“, sagt Germeshausen. Er ist als Intendant für die Auswahl der Sängerinnen und Sänger verantwortlich. Ein Glück für Künst-

Mittag beim Asiaten. Irina setzt sich ans Fenster und bestellt einen Ingwertee. Im Zweifel sei es besser, einen Tag länger im Bett zu bleiben, erzählt sie.

Aber man lerne sich selbst mit der Zeit gut kennen. „Und wenn ich auf der Bühne stehe, möchte ich mich frei bewegen können. Natürlich kann man immer sagen: Das geht nicht, das kann ich nicht, das ist zu viel. Aber dann nimmt

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lerinnen wie Irina. Doch birgt der Jugendwahn in der Szene auch Probleme.

Feltz meint: „Viele Sänger geben ihr Alter nicht an oder fälschen es sogar, weil sie genau wissen, dass es spätestens ab 38 hart wird.“

» DIESER JOB HAT MICH GEFUNDEN « Auch Irina möchte lieber nicht, dass jede und jeder ihr Alter nachlesen kann. „Man weiß ja nie“, sagt sie. „Man findet es bis jetzt nicht, also halte ich es auch einfach mal so.“ Sie lächelt. „Dieser Job hat mich gefunden. Ich wollte eben nicht schon als Dreijährige Opernsängerin werden. Ich hatte lange Zeit erstmal vor, Klarinette zu studieren.“ Dann habe sie Gesangsunterricht genommen. „Und das war sofort das Richtige für mich. Deshalb habe ich mir noch nie Gedanken darum gemacht, dass es nicht funktionieren könnte.“ Mit dem Risiko muss Irina leben. Dieses Mal geht alles gut, fast jedenfalls: Die Reitgerte knallt auch bei der Premiere nicht, doch Irinas Stimme klingt wieder frei. Sie stützt ihre Hand in die Hüfte, reckt die andere in die Höhe, singt ihr hohes H. Punktlandung.

⁄⁄ SAGMALPROF

Wie friere ich Lebensmittel richtig ein?

PROTOKOLLMERLE JANSSEN FOTOMALINA RECKORDT ILLUSTRATIONANJA HARDT

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wei Dinge wollen wir erreichen, wenn wir Lebensmittel einfrieren: Sie sollen langsamer schlecht werden und zudem nicht austrocknen. Beides gelingt am besten mit einem klassischen Gefrierbeutel.

Eine Hauptursache für das Verderben von Lebensmitteln ist Sauerstoff. Frieren wir sie ein, verlangsamen wir die Oxidationsprozesse. Jede chemische Reaktion wird langsamer, wenn sie abkühlt. Noch besser wäre es, die Lebensmittel vorm Einfrieren zu vakuumieren. Vakuumverpackt halten Lebensmittel sogar ohne Einfrieren länger. Das Austrocknen lässt sich mit reinem Einfrieren nicht verhindern. Denn wenn Wasser gefriert, heißt das nicht, dass es nicht verdampfen kann. Wasser kann sublimieren, also vom festen, gefrorenen Zustand direkt in die Gasphase übergehen. Die Gasmoleküle können sich am Rand des Lebensmittels absetzen oder im gesamten Gefrierschrank verteilen, während das Essen von innen austrocknet: So entsteht Gefrierbrand.

Ein Gefrierbeutel aus Plastik hält das Wasser im Lebensmittel zurück, weil er wasserdicht ist. Den Sauerstoff hält er draußen, nicht komplett, aber einen großen Teil. Der Gefrierbeutel schützt also vor dem Vertrocknen und sorgt für eine längere Haltbarkeit.

Nehmen wir eine Papiertüte, erreichen wir nichts davon. Denn durch Papier kommen Wasser und Sauerstoff hindurch – außer es ist mit Kunststoff oder Wachs beschichtet. Das Problem ist dann aber, dass das Wachs unsere Lebensmittel kontaminiert. Bei einem Stoff beutel ist es im Prinzip das Gleiche.

Weder Papier noch Stoff sind hier also eine Alternative.

Einfache Müllbeutel reichen

auch nicht: Um Sauerstoff draußen zu halten, müssen Gefrierbeutel eine gewisse Dicke und Festigkeit haben. Zudem müssen sie so hergestellt werden, dass keine Giftstoffe darin sind, die sonst in das Lebensmittel gelangen könnten. Die meisten Gefrierbeutel bestehen aus Polyethylen oder Polypropylen – Kohlenstoff und Wasserstoff. Diese Kunststoffe können manchmal Zusätze wie Brandschutzmittel oder UV-Stabilisatoren enthalten. Gefrierbeutel sind jedoch aus besonders reinen Kunststoffen gemacht, die für den Lebensmittelkontakt zugelassen sind. Müllbeutel haben andere Ansprüche und müssen nicht lebensmittelecht sein.

Zum Aufbewahren können wir Einmachgläser verwenden – solange wir sie nicht einfrieren. Wenn das Wasser in den Lebensmitteln friert, dehnt es sich aus. Dann platzt das Glas. Die vorgegebene Form ist auch der Nachteil von Plastikdosen. Sie erschwert das luftdichte Einpacken. Je enger ein Gefrierbeutel anliegt, desto besser hält er den Sauerstoff draußen.

Die Dosen müsste man außerdem etwa 50 Mal wiederverwenden, um die entsprechende Menge Kunststoff in Gefrierbeuteln zu sparen. Erst dann wären sie umweltgerechter.

Bei einigen Gefrierbeuteln sehe ich trotzdem einen Kritikpunkt: die farbigen Aufdrucke. Es ist bekannt, dass die Stoffe in der Farbe durch den Beutel in das Lebensmittel diffundieren. Zu einem unbedruckten Gefrierbeutel findet sich aus meiner Sicht aktuell keine bessere Alternative.

Prof. Dr. Jörg Tiller ist Inhaber des Lehrstuhls für Biomaterialien und Polymerwissenschaften an der Fakultät für Bio- und Chemieingenieurwesen der TU Dortmund.

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EINE FRAGE DER HERKUNFT Jana ist als Arbeiterkind an der Uni – der Weg dorthin war für sie alles andere als einfach.

Verglichen mit der Gesamtbevölkerung sind Arbeiterkinder an deutschen Unis immer noch stark unterrepräsentiert. Jana hat es trotzdem geschafft.

TEXTMELISSA LEONHARDT FOTOINGO HINZ

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enn Jana Schmidt durch die Gänge der TU schlendert, unterscheidet sie sich nicht von anderen Studierenden: bunt gemusterter Rucksack, schmale Brille im Gesicht und ein dezent schicker Kleidungsstil. Dennoch ist die 19-Jährige so etwas wie eine Besonderheit, und zwar eine statistische. Denn ihre Eltern haben keinen akademischen Abschluss.

Und Kinder aus nicht studierten Familien schaffen es in Deutschland noch immer seltener an die Uni. Von 100 Kindern aus Akademikerfamilien beginnen durchschnittlich 74 ein Studium. Bei Kindern von Arbeitern sind es lediglich 21. Das hat eine Untersuchung des Hochschul-Bildungs-Reports ergeben. Und auch wenn immer mehr junge Menschen studieren gehen – das Verhältnis hat sich nicht verändert.

Jana studiert seit einem Semester Germanistik und Sport auf Lehramt. Am Gymnasium oder einer Gesamtschule möchte sie später unterrichten. Junge Menschen vorbereiten – auch auf das Studium. Für Jana selbst hielt der Weg an die Uni einige Hürden bereit. Weil in ihrer Familie noch niemand studiert hat, bekommt sie dort keine Tipps oder Hilfestellungen. Auf einmal stand die Lehramtsstudentin vor großen Fragen: Was ist der Unterschied zwischen Bewerbung und Einschreibung? Wie erstelle ich einen Stundenplan? Wie organisiere ich meine Vorlesungen? Fragen,

die auch andere Erstsemester haben, auf die Jana aber ganz eigenständig eine Antwort finden musste. Dass der Einstieg besonders Arbeiterkindern schwerfällt, weiß auch Katja Urbatsch: „Akademikerkinder bringen ganz andere Voraussetzungen mit. Sie kennen die wissenschaftliche Sprache, haben oftmals einen breiteren Wortschatz und ein anderes Grundwissen.“ Katja Urbatsch ist selbst in einer nichtakademischen Familie aufgewachsen und hat nach ihrem Studium die gemeinnützige Organisation Arbeiterkind gegründet.

DIE FINANZIERUNG IST DIE GRÖßTE HÜRDE Als Arbeiterkinder bezeichnet sie „Studierende der ersten Generation“, also alle, deren Eltern keinen akademischen Abschluss haben. Die Expertin weiß: So weit wie Jana kommen viele Kinder mit Eltern ohne Studienabschluss gar nicht erst. Denn die Idee, ein Studium zu beginnen, komme nicht automatisch, sagt Urbatsch. Erst recht nicht, wenn das bedeutet, den beruflichen Pfad der Eltern zu verlassen und sich selbst zurechtfinden zu müssen. Auch Janas Familie zweifelte zuerst an ihrer Entscheidung. „Mach doch erstmal eine Ausbildung, was Sicheres.“ Laut Katja Urbatsch etwas, was auch andere Arbeiterkinder oft zu hören bekommen. Sie blieb standhaft: „Was soll ich für eine Ausbildung machen, wenn ich Lehre-

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rin werden möchte?“ Kurz darauf lagen die ersten Anträge bereit. Von BAföGUnterlagen bis zur Einschreibung – den Papierkram bewältigte Jana mit ihrer Mutter. Besonders die BaföG-Anträge waren dabei eine lästige, aber notwendige Herausforderung. Denn wie viele andere Arbeiterfamilien in Deutschland ist auch Janas Familie auf die staatliche Unterstützung angewiesen.

Zum Vergleich: Studierende aus Familien, in denen sowohl Vater als auch Mutter studiert haben, beziehen 66 Prozent ihrer Einnahmen aus dem Elternhaus.

Nur fünf Prozent des Geldes stammen vom BAföG. Familien mit niedriger Bildungsherkunft hingegen können ihre Kinder nur zu 33 Prozent unterstützen.

Der Anteil an BAföG-Einnahmen liegt hier bei 21 Prozent.

Neben dem finanziellen Aspekt kommt für Jana erschwerend hinzu, dass ihre Mutter aus Kasachstan kommt. Sie hat zwar ihre Ausbildung in Deutschland gemacht, doch schon am Gymnasium konnte die Kinderpflegerin ihrer Tochter kaum noch helfen. Geschweige denn, wenn es darum geht, wie eine deutsche Uni funktioniert. „Mit dem deutschen Bildungssystem kenne ich mich nicht aus – diesen Weg bin ich einfach nicht gegangen“, erklärt sie. Trotzdem versucht sie, Jana so gut es geht zu unterstützen – auch in finanzieller Hinsicht. Janas BAföG-Antrag wurde

über ein halbes Jahr lang geprüft. Im Januar dann die Gewissheit: Jana bekommt keine Unterstützung vom Staat.

Als Grund gab das Amt an, dass ihre Mutter zu viel verdiene. Bereits in den Monaten zuvor wusste die Studentin, dass es ohne einen Nebenjob schwierig wird. Deshalb jobbt sie: Zwei- bis dreimal pro Woche arbeitet Jana als Kellnerin für eine Eventmanagement-Firma.

Fast jedes Wochenende ist die Studentin auf Messen oder Veranstaltungen in Dortmund, Köln oder Düsseldorf unterwegs – häufig die ganze Nacht lang.

» FÜRS TALENTSCOUTING BRAUCHT MAN KEIN TALENT« Jana möchte mit ihrer Arbeit auch ihre Familie entlasten: „Meine Mutter ist alleinerziehend und muss für alles selbst aufkommen. Da will ich ihr nicht auf der Tasche liegen. Ich versuche, das aber nicht als etwas Schlechtes anzusehen, dass ich arbeiten gehen muss. Man lernt ja auch viel.“ Katja Urbatsch bemängelt die Studienfinanzierung in Deutschland. „Die muss komplett neu gedacht werden“, sagt sie.

Denn viele Arbeiterfamilien, insbesondere die einkommensschwächeren, sind nicht immer in der Lage, ihre Kinder an die Uni zu bringen. „Wenn diese Kinder studieren wollen, stehen sie häufig vor einem großen Berg. Allein die Semestergebühren stellen viele Familien vor eine große Herausforderung.“ Das BAföG ist für Urbatsch keine angemessene Finanzierungsmöglichkeit. „Es ist unsicher, weil man zunächst nicht weiß, ob man überhaupt Unterstützung bekommt. Außerdem dauert die Bearbeitung des Antrags sehr lange und die Semestergebühren sind nicht enthalten.“ Die Expertin fordert deshalb eine lückenlose Finanzierung, um Studierenden und ihren Familien mehr Planungssicherheit zu ermöglichen. Dass viele erst Monate nach Studienbeginn die

erste BAföG-Zahlung erhalten, ist ihrer Meinung nach ein Unding.

Mit ihrer gemeinnützigen Organisation will Katja Urbatsch Kinder aus nichtakademischen Familien zum Studium ermutigen. In 75 lokalen Gruppen finden Jugendliche und ihre Eltern Hilfe bei Fragen rund um die Uni. „Viele haben ein geringeres Selbstvertrauen. Das liegt auch daran, dass im Studium viele Qualitäten von Arbeiterkindern gar nicht abgefragt und somit als Defizit wahrgenommen werden“, erklärt Katja Urbatsch. Aus ihrer Erfahrung weiß sie, dass Arbeiterkinder oftmals bereits Praxiserfahrung mitbringen, zum Beispiel eine abgeschlossene Berufsausbildung.

Laut der Expertin würden solche Qualitäten jedoch nur selten in Seminaren oder Vorlesungen miteinbezogen. „Es wird eher darauf hingewiesen, dass ihnen theoretische Kenntnisse fehlen“, sagt Urbatsch.

Für Jana war der Einstieg ins Unileben einfacher als für andere Studierende aus nichtakademischen Familien. Durch das Talentscouting an der TU hat die junge Studentin schnell einen Ansprechpartner für ihre Fragen gefunden. „Zum ersten Mal war ich beim Talentscouting, als ich mich für Lehramt bewerben wollte und niemanden fragen konnte, wie das geht. Die Mitarbeiter haben mir dabei geholfen und anschließend gezeigt, wie ich meine Vorlesungen mit den Modulhandbüchern organisiere und was ich beachten muss.“ Die Beratungsstelle der Uni wird durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft in NRW gefördert und soll Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit an den Universitäten vorantreiben.

Laut Jana ist das Hilfsangebot aber noch sehr unbekannt: „Aus meinem Studiengang kenne ich niemanden, der am Talentscouting teilnimmt.“ Ob das am Namen liegt? Den findet Jana nämlich irreführend: „Fürs Talentscouting braucht man kein Talent. Dort kann je-

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der hingehen, der sich informieren und weiterbilden möchte.“ Ganz unabhängig vom sozialen Hintergrund. Fehlender Mut oder gar Scham seien an dieser Stelle nicht angebracht. Denn gerade bei Studiengängen wie Medizin, Jura oder Lehramt kommt ein Großteil der Studierenden häufig aus Familien, in denen die Eltern im gleichen Beruf arbeiten. Auch Jana hat diese Erfahrung gemacht: „Viele meiner Kommilitonen konnten anfangs zuhause fragen, wenn sie zum Beispiel Hilfe bei der Literaturrecherche brauchten.“ Neben dem Talentscouting hat sich Jana deshalb auch öfters an ihre Studienkollegen gewandt. „Es ist wichtig, sich Hilfe zu suchen – egal ob beim Talentscouting oder bei Kommilitonen. Man sollte mitnehmen, was man bekommt.“

FÖRDERUNG FÜR ARBEITERKINDER Mit ihrer gemeinnützigen Organisation will Katja Urbatsch Arbeiterkinder an die Uni bringen – und dort begleiten. In 75 lokalen Gruppen können sich Studierende an ehrenamtliche Helferinnen und Helfer wenden. Häufig sind das ehemalige Studierende, die selbst aus nichtakademischen Familien kommen und junge Menschen so mit ihrer Erfahrung unterstützen wollen.

Auch das NRW-Zentrum für Talentförderung hat es sich zur Aufgabe gemacht, soziale Teilhabe zu stärken und den Bildungsaufstieg zu fördern.

Mit den Universitäten im Land bietet das Programm individuelle Beratung insbesondere für junge Menschen aus nichtakademischen Familien.

Daneben stehen auch die Studierendenwerke der Unis den Studierenden zur Seite. Bei Fragen rund um Uni, BAföG und Wohnen bekommen Studienanfängerinnen und -anfänger hier Antworten.

Zum Studieren geboren?

Die Eltern von KURT-Autorin Melissa Leonhardt haben nicht studiert. Sie findet, dass Hochschulen Arbeiterkinder stärker fördern sollten.

TEXTMELISSA LEONHARDT FOTOPRISM LABS INC. & JUDITH WIESRECKER

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ch selbst bin in einer Familie aufgewachsen, in der die Eltern keinen akademischen Abschluss haben. Und ganz ehrlich: Es ist kein Wunder, dass kaum Arbeiterkinder studieren, wenn es uns so schwer gemacht wird.

Mir wurde der Nachteil erst bewusst, als ich selbst an die Uni kam – mit Leuten, deren Wortschatz größer war, die vorher schon wussten, wie man einen Stundenplan macht und die von Zuhause finanziell unterstützt werden. Im Gegensatz zu mir kannten sie den Unterschied zwischen einer Vorlesung und einem Seminar, wussten wofür Hiwis zuständig sind oder worauf es bei der Sichtung von Literatur für die erste Hausarbeit ankommt.

Geboren, um zu studieren. Und sie studieren, weil sie in eine Akademikerfamilie geboren wurden.

Arbeiterkinder sind an deutschen Universitäten unterrepräsentiert. Wie kann das sein, wenn Bildung und Zugang zur selbigen in Deutschland doch angeblich chancengleich sind? Deutsche Universitäten sprechen eine akademische Klientel an: Um studieren zu können, müssen Familien schon für die Semestergebühren in Vorkasse treten. Bis zu 400 Euro kostet das an manchen Unis.

Geld, das besonders einkommensschwächere Familien nicht haben. Und das vom BAföG nicht abgedeckt ist.

Studieren ist zum Fulltime-Job geworden. Auf Studierende wie mich, die nebenbei arbeiten müssen, wird kaum Rücksicht genommen. Im Gegenteil:

Stattdessen werden die Stundenpläne immer voller, Exkursionen zu Pflichtbestandteilen und teures Zubehör, zum Beispiel für ein Medizinstudium, muss selbst gekauft werden. Entsprechende Fördertöpfe gibt es nur selten.

Ich finde es nicht in Ordnung, dass an der Uni die Bildungsherkunft und damit die ungleichen Voraussetzungen der Studierenden derart außer Acht gelassen werden. Natürlich möchte man so Schubladendenken vorbeugen.

Die Augen vor der Ungleichheit zu verschließen, kann aber auch keine Lösung sein. Denn so wird diese eher noch gefördert, als vermieden.

Wie wäre es also mit mehr Hilfestellung für Studierende, die mit dieser Welt nicht so vertraut sind? Es scheint, als hätten viele Unis gerade bei diesem Thema Berührungsängste. Statt eine entsprechende Förderung als „Talentscouting“ zu betiteln – ein Name, der Talent als verpflichtende Voraussetzung impliziert – wäre es bereits ein erster Schritt, das Kind einfach beim Namen zu nennen. Mit der Entscheidung, ihre Organisation „Arbeiterkind“ zu taufen, hat Katja Urbatsch meiner Meinung nach alles richtig gemacht.

Es müssen also Veränderungen her, damit mehr Arbeiterkinder den Schritt an die Uni wagen. Und die Investition würde sich sicher lohnen: Wenn sie erst einmal ein Studium begonnen haben, schneiden sie in der Regel genauso gut ab wie andere Studierende.

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IM TRAUM DER SCHNELLSTE Für ihren todkranken Sohn und Bruder gibt eine Familie ihr Zuhause in Armenien auf und zieht nach Deutschland. Die Muskeln des 12-jährigen Artjom Mkrtchyan werden irgendwann nachgeben. Ein Leben zwischen Hoffnung und Verlustangst.

TEXT&FOTOJESSICA EBERLE

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rtjoms Geschichte beginnt mit einem Stolpern. „Es sind Kinder“, denkt Mutter Rima Mkrtchyan, „die stolpern eben, wenn sie zu übermütig sind.“ Als Artjom zum ersten Mal fällt, lacht seine Mama, kneift ihren Sohn in die Wange, so wie sie es immer tut, wenn sie ihn ermahnen will.

Bald stolpert Artjom öfter. „Das legt sich schon“, denkt Rima. Er ist ja erst fünf Jahre alt, erklärt sie den Bekannten, die besorgt nachfragen. Rima lacht nun weniger und beobachtet mehr.

Dann stolpert Artjom nicht mehr: Er stürzt den Bürgersteig herab und fällt die Treppe herunter. „Da wusste ich, dass etwas nicht stimmen kann“, erinnert sich Rima und schließt die Augen.

Vor dem nächsten Satz holt sie tief Luft. „Ich hätte es früher bemerken müssen.“

WENN ALLES WIE IM NEBEL LIEGT Sieben Jahre zuvor, in einem Wartezimmer in Armenien, hält Ehemann Gor Rimas Hand. Sie warten auf den Arzt.

Lange. Artjom fragt, wann sie endlich gehen können. „Bald“, sagt Rima, „bald kannst du Fußball spielen.“ Als Rima dem Arzt schildert, dass Artjom öfter stürzt, führt er sofort Tests durch. Der damals Fünfjährige muss Blut abgeben, eine Nadel wird in seine Beinmuskeln eingeführt. Sie soll überprüfen, ob die Nervenfasern beschädigt sind.

Wenige Tage später erhält Rima einen Anruf. Der Arzt bittet sie, sofort in die Praxis zu kommen. „Ich wusste nicht, was los war. Mir wurde nur gesagt, es sei dringend.“ Die Mutter sorgt sich: „Ich konnte den Kloß in meinem Hals spüren. Alles lag wie im Nebel.“

DIE ERKRANKUNG TRITT NUR BEI JUNGEN AUF Bei Artjom wird Muskeldystrophie diagnostiziert. Seine Muskeln werden im Laufe seines Lebens schwächer. Die Eltern wissen, dass Artjom jung sterben wird. Etwa 20 Jahre beträgt die Lebenserwartung. So eine Fehlfunktion tritt ausschließlich bei Jungen auf. Muskeldystrophien sind selten. Weltweit erkranken durchschnittlich zehn Menschen von 100.000. Bei Artjom sind auch die Atemwege betroffen. „Ich war schockiert, mir hat es die Sprache verschlagen. Das konnte nicht wahr sein“, sagt Rima. Sie fahren zu einem anderen Arzt. Artjom erhält dieselbe Diagnose. „Dann erst haben wir es realisiert, dann erst konnten wir weinen.“ In der Zeit nach der Diagnose sei es gewesen, als sei nicht nur Artjom gestürzt: „Der Schock ist über mich hineingebrochen und hat mich fast zu Boden gerissen.“ Ihr Mann richtet Rima wieder auf.

Er hat einen Bruder in Deutschland. Der sagt ihm, die medizinische Versorgung sei dort besser. Fünf Jahre später flüch-

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tet die Familie in ein Dorf in Ostwestfalen, in die Nähe von Gors Verwandten.

Sie lassen in Armenien Freundinnen, Freunde und Familie zurück, kündigen ihre Berufe, nennen niemandem den wahren Grund für ihre Ausreise. Nicht einmal der vierzehnjährigen Tochter Milena. „In Deutschland hast du viel bessere Perspektiven“, sagen sie stattdessen. „Du kannst Ärztin werden, studieren, einmal viel Geld verdienen.“ „Wir wollten nicht im Mittelpunkt stehen und von allen bemitleidet werden. Wir wollten ganz normal behandelt werden“, sagt Rima. Tränen rollen über ihre Wangen. Zu groß scheint die Scham.

ARTJOM KANN NICHT MEHR FUẞBALL SPIELEN Angekommen in einem fremden Land, steht die Familie 2016 vor neuen Herausforderungen. „Wir mussten uns durch so viele Papiere und Bürokratie quälen. Alles war anders. Alles sah anders aus“, sagt Rima. Irgendwann wird das Geld knapp. Vater Gor findet eine Anstellung in Hamburg als Bauarbeiter – über 200 Kilometer von seiner Familie entfernt. Er zieht zu Verwandten in der Nähe. Seine Frau und seine Kinder sieht er nur wenige Male im Monat: „Sonst lohnt es sich finanziell gar nicht.“ Rima senkt den Blick. Als Asylbewerberin hat sie keinen Anspruch darauf, ihren Wohnort nach Belieben zu wechseln.

Eine Klage vor Gericht scheiterte.

Mutter Rima mit ihrem Sohn Artjom

Artjom und seine Schwester haben trotz der Krankheit viel Spaß zusammen.

Die Mutter beginnt, sich einsam zu fühlen. Vater Gor ruft jeden Tag an.

Die Nähe zu seiner Familie kann das nicht ersetzen. Er sagt, er vermisse sie. In der Zwischenzeit verschlechtert sich Artjoms Zustand. Er sitzt nun im Rollstuhl. Seine Arme werden schlaffer, sein Kopf hängt manchmal seitlich herunter. Artjom kann nicht mehr Fußball spielen. Er ist nicht gern in der Schule. Sie langweile ihn.

vor. Artjom beobachtet nur. Manchmal lächelt er vor sich hin und flüstert seinem besten Freund Samuel etwas zu. „Mit Samuel macht die Schule wenigstens etwas Spaß“, sagt Artjom. Die beiden haben ihre Aufgaben längst erledigt. Nun widmen sie sich ihrer Wochenendplanung. Meistens spielen sie zusammen an der Spielekonsole oder mit Brettspielen.

ARTJOM BLEIBT IN DER PAUSE IM GEBÄUDE Der Sechstklässler besucht die Inklusionsklasse einer Sekundarschule. Hier hat er Deutsch gelernt. Die meisten der Kinder hier leiden an sozialen Entwicklungsstörungen. Der Unterricht geht kaum voran. In einer Stunde muss seine Klassenlehrerin nach einer halben Stunde unterbrechen. Ein Schüler rennt durch den Klassenraum, ein Mädchen steht auf, lacht und läuft hinterher. „Wenn ein Kind austickt, machen alle mit“, sagt die Lehrerin. Das komme oft

„Der Artjom ist eigentlich ein cleverer Junge. Aber je länger er in dieser Klasse ist, desto vorlauter wird er“, sagt ein anderer Lehrer. Am liebsten mag Artjom die Pausen. Er hat eine Sondergenehmigung und darf im Gebäude bleiben. Weil er seine Arme kaum bewegen kann, dauert es zu lange, die Jacke anzuziehen. Samuel leistet ihm Gesellschaft: „Jeder Mensch ist anders“, sagt er. „Ich habe Artjom so akzeptiert, wie er ist. Manchmal ist es schade, dass er nicht beim Sport mitmachen kann.“ Damit Artjom durch seine Krankheit im Unterricht nicht außen vor bleibt, lassen sich seine Lehrerinnen und Lehrer etwas

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einfallen. Im Hauswirtschaftsunterricht darf er mit Samuel auf dem Tisch im Klassenraum backen. Die anderen Kinder sind in der schuleigenen Küche im Raum nebenan. An die Arbeitsfläche käme Artjom aus dem Rollstuhl heraus nicht heran.

Immer wieder kommen Mitschülerinnen und -schüler, die mit ihm herumalbern wollen. Sie nennen ihn „Kleiner Schumi“, weil er mit seinem Elektrorollstuhl durch die Gänge saust und schneller ist als alle anderen. Dann wirft er den Kopf zurück und lacht, bis ihn seine Lehrerin ermahnt.

IMMER WEITER RICHTUNG TOR Selten reden Mutter und Sohn über die Krankheit. Artjom scheint sie zu verdrängen. Manchmal träumt er. Als er eines Nachts aufschreckt, sieht Rima nur schemenhaft, wie der Junge sich am ganzen Körper schüttelt: „Mir ist das Herz in die Hose gerutscht.“ Sofort

Medikamente sollen Artjom helfen.

Zwei Ehrenamtliche kümmern sich um Artjom. Eine von ihnen ist Christel Fricke.

ist sie bei ihrem Sohn. Der schläft mittlerweile in einem speziellen Pflegebett im Schlafzimmer der Eltern, weil es ihm nun auch schwerfällt zu atmen.

noch laufen. Oft haben sie zusammen auf dem Pausenhof gekickt: „Artjom war schnell und seine Taktik war herausragend gut“, erinnert sie sich. Seit 2006 arbeitet sie ehrenamtlich für den Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst. Seit zwei Jahren ist Helena an der Seite von Artjoms Mutter, wenn sie Sorgen hat. Dann greift sie nach Rimas Händen und spricht ihr gut zu.

Manchmal weinen sie zusammen.

ZUSAMMENHALT TROTZ ENTFERNUNG Nachts in seinen Träumen kann Artjom wieder laufen. Dann rennt er als Schnellster in seiner Mannschaft voran Richtung Tor. In jener Nacht hat er diesen Traum erneut. Er schaut an sich herunter, tastet nach seinen Beinen und sieht seine Mutter lange an, bis er sie fragt: „Mama, wieso kann ich nicht laufen?“ In Momenten wie diesen verliert Rima ihr Lächeln. Sie blickt stur geradeaus, versucht nicht zu blinzeln: „Wenn Artjom mich so sieht, fragt er nicht mehr. Er wechselt das Thema, um mir nicht weh zu tun.“ Lange fühlt sich Rima allein und überfordert – bis sie eines Tages Helena Feer kennenlernt.

Helena Feer ist 48 Jahre alt und kennt Artjom aus ihrer Arbeit als Erzieherin im Offenen Ganztag. Damals konnte er

Trotzdem überwiegt Rimas Freude. Sie fängt wieder an, sich Zeit für sich zu nehmen. Wenn Helena kommt, backt sie oft Kuchen. Manchmal bringt Helena ihr Bücher mit. Dann liest Rima, während Artjom in der Schule ist. „Lesen bringt mich weg von den Sorgen, vor der Angst, Artjom irgendwann an die Krankheit zu verlieren.“ Rima bringt es kaum über das Herz, das auszusprechen, was sie seit Jahren belastet. Der Tod ist ein Tabuthema in der Familie.

Zu groß ist die Hoffnung auf ein Wunder der Medizin. Wenn Rima um zehn nach sechs aufsteht, um Artjom zu we-

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cken, muss sie ihn an einem Kran hochheben und in den Rollstuhl befördern.

Das dauert. Den Jungen kann sie allein kaum heben. Wenn Artjom zur Toilette muss, hilft Schwester Milena mit, denn der Kran passt nicht durch die enge Badezimmertür. Will Artjom duschen, muss er zunächst allein in die Dusche robben. Dann hilft ihm Mutter Rima, sich zu waschen. So erzählt sie es.

DIE LIEBE WÄCHST MIT IHREN AUFGABEN An den Wochenenden, an denen Gor zuhause ist, nimmt er seiner Frau diese Arbeit ab. Dann steht sie in der Küche und kocht und backt für ihre Familie.

Manchmal blättern sie zusammen in alten Fotoalben. Die Bilder zeigen die Familie an Silvester, Artjom verkleidet als Superheld an Karneval, Gor und Rima, die sich an Weihnachten in den Armen liegen. „Unsere Liebe zueinander“, sagt Rima, „ist stärker geworden. Egal wie weit wir voneinander entfernt sind.

Oder gerade deshalb.“

H

eike Bähr schlägt die Speisekarte auf. Es ist Mittagszeit und sie hat den ganzen Tag noch nichts gegessen. Das Restaurant liegt am Duisburger Innenhafen. Alles hier wirkt stilvoll: die verschiedenfarbigen Gläser in Kristalloptik auf dem Tisch, das Video-Kaminfeuer in der Mitte des Raumes, die weiße Bluse der Kellnerin.

Heike streicht sich eine Strähne ihrer braunen Haare aus dem Gesicht. Sie ist schlank und trägt ihre Haare zu einem lockeren Knoten gebunden. Ihr Oberteil passt farblich zu ihrem dunkelgrauen Schal. Sie räuspert sich und blickt die Kellnerin an. „Haben Sie vielleicht eine Allergiker-Karte für mich?“ „Ne, also so was haben wir jetzt leider nicht“, entgegnet die Kellnerin. Aber: „Sie können sich gern was aussuchen und ich frag mal in der Küche nach, ob das geht.“

Heike Bähr leidet an einer Glutensensitivität und ist allergisch gegen Milcheiweiß. Sobald sie etwas Falsches zu sich nimmt, wird ihr übel. Sie bekommt Bauchweh, Blähungen, Magenkrämpfe. Isst sie Produkte mit Milcheiweiß, können ihr Gesicht und ihre Luftröhre anschwellen. Die 43-Jährige droht dann zu ersticken.

Heike arbeitet in Vollzeit im Diakoniewerk Duisburg. Spontan in der Mittagspause etwas essen gehen kann sie nicht. Eigentlich ist es seit 2014 für Restaurants gesetzlich vorgeschrieben, die 14 Hauptallergene in den Gerichten zu kennzeichnen. Die Angaben müssen laut Lebensmittelinformations-Durch-

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FOOD FILTER

A,D,G,H

Essengehen kann sie krank machen: Heike Bähr leidet an Lebensmittelunverträglichkeiten. Fehlt eine Information auf der Speisekarte, wird es für sie gefährlich. Nun will sie Allergikerinnen und Allergikern mit einer App helfen.

TEXTCELINE WEGERT FOTOJUDITH WIESRECKER

führungsverordnung schriftlich für die Behörden und auf Nachfrage auch für die Restaurantgäste zugänglich sein. Zu den Hauptallergenen gehören unter anderem glutenhaltiges Getreide, Fische, Milch, Eier und Schalenfrüchte.

In Duisburg und Umgebung würden sich nur wenige Restaurants an die Kennzeichnungspflicht halten, klagt die Pädagogin. Ihrer Meinung nach sind Allergiker-Karten oft veraltet, unvollständig oder gar nicht erst vorhanden. Ihren Alltag erschwert das erheblich. „Es ist immer das gleiche Spiel: Ich habe Hunger – aber wo esse ich heute? Was esse ich heute?“, sagt Heike. Die Situation sei zum Verzweifeln. Heike gibt sich jedoch nicht zufrieden. Sie arbeitet mittlerweile an einer App, die Menschen wie ihr Orientierung in der Gastronomie verschaffen soll.

Im Duisburger Restaurant steht Heike noch ohne technische Hilfe da. Die Kellnerin blickt sie erwartungsvoll an, während Heike zum dritten Mal die Karte durchblättert. Sie wählt das Tagesgericht: Gans. Brust und Keule, mit Maronen, Rotkraut, Kartoffelklößen und Bratapfel. Auf ihrem Teller landet davon nur die Hälfte. Statt der Klöße bekommt Heike Kartoffeln. Dazu serviert die Kellnerin Gans, Rotkraut und Soße.

Das Essen wirkt verloren auf dem großen weißen Teller. Heike stochert in den Kartoffeln herum. „Ich habe Angst, dass die jetzt in Butter geschwenkt sind.“ Zögerlich schiebt sie sich ein Stück Kartoffel in den Mund.

Wenn sie sich auf die Informationen in Gaststätten nicht verlassen kann, wird es für die Allergikerin gefährlich.

Vor zwei Jahren erlitt sie nach einem Restaurantbesuch einen allergischen Schock. „Da kam dann immer noch ein Gruß aus der Küche und noch einer und irgendwann brachte man etwas, wo offensichtlich Milch drin war. Laut Kellner war aber alles unproblematisch.“ Kaum zu Hause, schwoll ihr Gesicht an, auf dem rechten Auge konnte Heike nichts mehr sehen. Den restlichen Abend verbrachte sie im Krankenhaus, vollgepumpt mit Kortison. Es dauerte Tage, bis ihr Gesicht wieder abgeschwollen war.

Im vergangenen Jahr brachte ihr knurrender Magen Heike auf eine Idee, die einen Restaurantbesuch ganz ohne Risiko bedeuten könnte. Sie hatte Mittagspause, eine Stunde Zeit und einen leeren Bauch. Salat oder Pommes wollte sie nicht schon wieder essen. Restaurants kamen nicht infrage, da ihr die wichtigen Informationen für Allergiker fehlten. Während die damals 42-Jährige im Auto saß, lief im Radio ein Beitrag über eine App fürs Shopping. Der Name der App lautete „Coded Dress“.

Die unzähligen Filtermöglichkeiten bei der Kleiderauswahl brachten Heike zum Nachdenken. „Beim Shoppen kannst du so viel filtern. Dir wird am Ende genau das angezeigt, was du haben willst.“ Sie habe sich gefragt, warum es kein „Coded Food“ gibt?

Heike Bähr sprach Restaurantbesitzerinnen und -besitzer in Duisburg an. Sie engagierte bald darauf einen Anwalt für datenschutzrechtliche Angelegenheiten sowie verschiedene Grafikerinnen und Grafiker. Ihr Ziel ist es, eine App zu entwickeln, die anzeigt, in welchem Lokal man trotz Allergien bedenkenlos essen gehen kann – eine Art Food Filter also. „Ich brauche für die App die jeweiligen Speisekarten mit den Gerichten und eine sichere Auskunft darüber, welche Zutaten drin sind“, sagt sie. Die Informationen der kooperierenden Restaurants pflegt sie in das System von „Coded Food“ ein. Will eine Person mit einer Lebensmittelallergie nun „mal eben etwas essen“, muss sie ihre Allergie in der App angeben. Wählen kann man aus den 14 Hauptallergenen. Dann wird angezeigt, welches passende Restaurant in der Nähe liegt und welche Gerichte dort in Frage kommen.

» Essen verbindet … Es kann dich aber auch rausschmeißen. « Heike Bähr, Initiatorin von Coded Food

A = glutenhaltiges Getreide, D = Fisch, G = Milch und Milchprodukte, H = Schalenfrüchte

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Heike Bähr möchte Restaurantbesuche für Allergiker unbedenklich machen.

Mittlerweile arbeitet „Coded Food“ mit 16 Restaurants in Duisburg und Umgebung zusammen. Sieben weitere Kooperationen mit Restaurants im Ruhrgebiet sind in Aussicht, eins davon in Dortmund.

Bisher sei sie immer persönlich vor Ort gewesen und habe bei den jeweiligen Restaurantbesitzerinnen und -besitzern für ihre App geworben, sagt Heike Bähr. Absagen erhielt sie noch keine.

Der Service sei kostenfrei. Das soll sich ändern, sobald die App an Bekanntheit gewinnt. Heike hofft, dass die Betreiberinnen und Betreiber sich in Zukunft selbst bei ihr melden, um von der App zu profitieren. „Irgendwann möchte ich mich mit der App selbstständig machen. Man soll ja groß denken“, sagt sie und lacht. Interessentinnen und Interessenten gebe es sicherlich genug.

Der Tisch im Duisburger Restaurant steht am Fenster. Von hier aus kann man direkt auf das Wasser im Hafen schauen. Heike nimmt ein Stück Gans mit ihrer Gabel auf. Die Gespräche der Gäste und die leise Musik im Hintergrund vermengen sich zu einem Murmeln. „Es schmeckt gut.“ Sie lächelt. „Trotzdem, ich habe mich auf Klöße gefreut.“ Weil Gluten drin ist, verträgt sie diese aber nicht.

ESPRESSO GEHT, KEKS NICHT Essen, ob zu Hause mit der Familie oder im Restaurant mit Freundinnen und Freunden, bedeutet für Heike Geselligkeit. „Essen verbindet“, sagt sie. „Es kann dich aber auch rausschmeißen.“ Sie habe immer eine unangenehme Sonderrolle.

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Morgens beim Brötchenholen gehe es los. Für ihren Mann und ihre zwei Kinder kann Heike problemlos einkaufen.

Für sich selbst muss sie glutenfreies Brot beim Bäcker vorbestellen. Und während ihr Mann vor Jahren noch versucht hat, das Abendessen an ihre Allergien anzupassen, kocht Heike heute für sich selbst.

Wenn Heike in Restaurants essen geht, ist es für sie oft aufwändig – das will sie mit ihrer App ändern. Es sei ihr unangenehm, das Gericht immer nach Baukastenprinzip zusammenstellen zu müssen.

Die Gans hat Heike inzwischen aufgegessen. Zum Abschluss bestellt sie sich einen Espresso. Die Kellnerin bringt ihn mit der Rechnung. „Dankeschön.“ Heike lächelt. Sie nimmt den Schluck und steht auf. Den Keks auf der Untertasse lässt sie liegen.

⁄ ⁄ KURTUNTERWEGS

Lachen, lauschen, tauschen Das Feriengefühl verlängern, obwohl die Pflicht ruft: KURT lenkt euch zum Semesterstart ab. Beim Tauschrausch könnt ihr alte Klamotten loswerden und neue kaufen, zum Lachen geht‘s zu Nightwash nach Bochum und für gute Musik nach Amsterdam.

TEXTJANIS CZYMOCH FOTOKARSTEN JAHNKE & FABIAN STUERTZ

TAUSCHRAUSCH STATT KAUFRAUSCH Was? Alle, die einstige Lieblingsstücke aus dem Kleiderschrank gern weitergeben möchten und selbst auf der Suche nach etwas Neuem sind, können ihre Klamotten am Dortmunder Hafen einfach untereinander tauschen. Beim Tauschrausch in den Tyde Studios kann jede und jeder so viele Kleidungsstücke mitbringen und mitnehmen, wie sie oder er möchte. Dazu gibt’s Snacks und kalte Getränke.

Wo? Tyde Studios, Mathiesstraße 16 Wann? jeden letzten Sonntag im Monat, 14.30 bis 17 Uhr Wie viel? Eintritt frei Web? tydestudios.com

EIN BABY AUS AMSTERDAM

COMEDY, DIE SICH GEWASCHEN HAT

Was? Das niederländisch-neuseeländische Trio My Baby um Frontfrau Cato van Dijck kommt ins FZW nach Dortmund. Mit ihrer Musik verbindet die Gruppe Elemente aus Blues, Country und modernen Beats. Auf das Debütalbum „Loves Voodoo!“ folgten europaweite Auftritte, unter anderem beim englischen Glastonbury Festival, mit knapp 200.000 Besucherinnen und Besuchern eines der größten Open-Air-Musikevents weltweit.

Was? Fünf Jung-Comedians wollen das Publikum bei der KultVeranstaltung Nightwash in Bochum überzeugen. Zwar nicht stilecht im Waschsalon, dafür im Kulturzentrum Bahnhof-Langendreer. Eine „Bombenstimmung“ verspricht dabei der Künstler Amjad. Der im Münsterland geborene Deutsch-Palästinenser setzt auf Witze über die Unterschiede zwischen arabischer und deutscher Kultur. Außerdem zu Gast: Vicki Blau, Martin Sierp, Tim Whelan und C. Heiland.

Wo? FZW, Ritterstr. 20 Wann? 10. April, Beginn: 20 Uhr Wie viel? 19 Euro zzgl. Gebühren Web? fzw.de

Wo? Kulturzentrum Bahnhof-Langendreer, Wallbaumweg 108 Wann? 9. Mai, Beginn: 20 Uhr Wie viel? 25,20 Euro inkl. Gebühren Web? nightwash.de

HIER GIBT‘S CASH ZUM ABHÄNGEN Was? „Hello, I’m Johnny Cash.“ Häufig genügen diese Worte, um die Fans des King of Country in Ekstase zu versetzen. Sänger Christoph Nitz bringt die Hits des 2003 verstorbenen Idols auf die Bühne. Katja Kutz, die Cashs Ehefrauen Vivian Liberto und June Carter spielt, begleitet Nitz durch die Revue im HansaTheater mit 20 Songs, darunter „Walk the line“ und „Ring of fire“. Die Titel dürften auch Nicht-Country-Fans ein Begriff sein: Im Club oder der Bar hat sie jede und jeder mal gehört.

Wo? Hansa Theater Hörde, Harkortstraße 57a Wann? 5. April und 25. Mai, Beginn: 20 Uhr Wie viel? ab 18,50 Euro für Studierende Web? hansa-theater-hoerde.de

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⁄⁄ KURTSTRIP

Wo die wilden Pfeile fliegen Bogenschießen. Unser Autor hatte dabei eigentlich nur Robin Hood im Kopf – und wenig Begeisterung. Für KURT hat Paul in der Pfeil- und Bogenwelt im Rombergpark den Sport trotzdem mal ausprobiert.

TEXTPAUL LITTICH FOTOINGO HINZ

ren Hölzern bestehen. Auf einem massiven Holztisch liegen verschiedene Pfeile, Truthahnfedern schmücken ihre Enden mit exotischen Farben. Mich beschleicht das Gefühl: Bogenschießen ist ein Sport, der alles andere als langweilig ist.

E

in großer Fan von Robin Hood war ich nie. Auch Legolas aus „Der Herr der Ringe“ fand ich immer albern. Da konnte den beiden auch ihr Bogen nicht helfen. Aber vielleicht muss man die Waffe nur mal selbst in der Hand halten, um den Heldenmythos zu spüren. Also bin ich zum Rombergpark gefahren.

Der Rombergpark ist für seinen botanischen Garten, die Pflanzenschauhäuser und die langen Spazierwege bekannt.

Mittendrin wirkt die Anlage der Pfeilund Bogenwelt wie aus einer anderen Zeit: Fast fühle ich mich ins Mittelalter zurückversetzt. In der Werkstatt prasselt ein Feuer im Ofen. Dort werden die Bögen repariert, die aus Eiben- und ande-

Auf dem Freigelände sehe ich zwar überall großflächige Zielscheiben, die Besucherinnen und Besucher sollen hier aber nicht für einen Kampf mit Orks oder einen Rachefeldzug an der wohlhabenden Bevölkerung üben. Es geht darum, sich in der Natur zu bewegen und ohne technische Hilfsmittel seine Zielfähigkeiten zu trainieren. Das macht das intuitive Bogenschießen aus.

Die Übungsfläche grenzt an ein kleines Wäldchen, das für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. So ist das Gelände abgesichert. Der Rindenmulch auf dem Boden des Platzes sowie dessen Einbettung in den Park sorgen zusätzlich für das Gefühl von freier Natur, das selbst bei schlechtem Wetter ein paar tapfere Stammkundinnen und -kunden locken kann. Beim Schießen gibt es zudem weder eine Zielvorrichtung noch ein Fadenkreuz oder eine Vollautomatik. Nur mithilfe des richtigen Zusammenspiels von Auge und Hand sowie einer sicheren Körperspannung trifft der Pfeil ins anvisierte Ziel.

der Bogensehne zu ziehen und wieder loszulassen. Selbst nach einer ausführlichen Einweisung ist es eine Herausforderung, die Ziele zu treffen. Die hängen immerhin 20 Meter entfernt an einer Wand aus verdichteter Holzwolle. Auch die 3D-Nachbildungen von Wildschweinen oder Dachsen am Boden sind ein anspruchsvolles Ziel.

Um ordentlich zu schießen und zu treffen, braucht es die richtige Bogengröße und die passenden Pfeile. Armschutz anlegen. Fußstellung senkrecht zum später geschossenen Pfeil. Den Pfeil genau in die Mitte des Bogens einspannen. Einen Finger darüber, zwei darunter, nur das erste Fingerglied. Ellenbogen raus, spannen, bis der Zeigefinger den Mundwinkel berührt. Loslassen und die Spannung halten.

Ich merke schnell, dass zum Bogenschießen mehr gehört, als nur kräftig an

Trotzdem geht der erste Pfeil daneben.

Es gibt so viel zu beachten, dass Anfängerinnen und Anfänger in einem Schnupperkurs kaum alles lernen können. Zum Glück betreut mich das professionelle Team. So mache ich doch Fortschritte, meine Pfeile nähern sich der Mitte an. Mich hat der Ehrgeiz gepackt, den perfekten Schuss ins Bullseye zu setzen. Auch wenn am Ende noch ein Zentimeter fehlt, fühle ich mich ein bisschen wie ein echter Held: Ich hatte viel Spaß und finde Robin Hood nur noch halb so albern.

Wo? Am Rombergpark, Dortmund Wie? Mit der U-Bahn-Linie 49 oder der Buslinie 440 bis zur Haltestelle Rombergpark. Direkt hinter dem Haupteingang am Torhaus rechts abbiegen, nach etwa 20 Metern führt ein Weg

zur Bogenwiese. Auf der dritten Ebene des Parkplatzes ist ein weiterer Zugang.

Wann? Schnupperkurse gibt es immer sonntags von 14 bis 16 Uhr Wie viel? Kursgebühr inklusive Leihausrüstung 15 Euro

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Impressum

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HERAUSGEBER

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Institut für Journalistik, TU Dortmund

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Prof. Dr. Wiebke Möhring (V.i.S.d.P.)

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PRODUKTION

Timo Halbe (Recherchen & Archiv), Julius Kleiber (Erste Hilfe), Stephan Kleiber (Administration & Technik)

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TEXTE DIESER AUSGABE

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Janis Czymoch, Sven Dröge, Jessica Eberle, Ida Hermes, Merle Janssen, Karla Kallenbach, Inga Kausch, Stephan Kleiber, Melissa Leonhardt, Paul Littich, Melina Miller, Nathan Niedermeier, Celine Wegert FOTOS DIESER AUSGABE

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Daniela Arndt, Ingo Hinz, Malina Reckordt, Judith Wiesrecker

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LAYOUT & GRAFIK

Stephan Kleiber, Svenja Kloos, Anneke Niehues, Sophia Sailer, Martin Schmitz, Laura Spilker, Wenke Wensing FOTOREDAKTION

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TEXTCHEFS

Janis Beenen, Timo Halbe

Erik Acker, Julian Bethke, Lilian Fiala, Mona Fromm, Patrick Große, Cedrik Pelka, Hannah Steinharter, Henrik Wittenborn

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Viktoria Degner

TEXTREDAKTION

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CHEFIN VOM DIENST

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REDAKTIONSLEITUNG

Julia Knübel, Sigrun Rottmann

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REDAKTION

Uni-Center, Vogelpothsweg 74, Campus Nord, 44227 Dortmund

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Daniela Arndt, Jessica Eberle, Ida Hermes, Ingo Hinz, Malina Reckordt, Sarah Sendner, Judith Wiesrecker

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ILLUSTRATIONEN DIESER AUSGABE

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Anja Hardt

DRUCK

Lensing Druck GmbH & Co. KG Feldbachacker 16 44149 Dortmund

ID-Nr. 1978752

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Big Brother hat die Gruppe verlassen.