Magazin #13 der Kulturstiftung des Bundes

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frühjahr 2009

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In den vergangenen vier Jahren haben wir uns auf unterschied liche Art und Weise mit dem unaufhaltsamen Wandel der Arbeits gesellschaft und seinen kulturellen Implikationen beschäftigt. Mit der Ausstellung Arbeit . Sinn und Sorge , die wir am 24. Juni 2009 im Deutschen Hygiene-Museum Dresden eröff nen, geht unser Programm Arbeit in Zukunft dem Ende zu. In dieser Ausgabe des Magazins verfolgen wir noch einmal die Spur dieses Themas im Horizont unserer Projekte (vgl. den Rück blick auf das Gesamtprogramm von Petra Kohse, Seiten 16–17) und geben ihr eine Richtung auf Zukünftiges.

Als wir das Programm starteten, ahnte noch niemand die Finanzund Wirtschaftskrise des Jahres 2008 voraus, die den Wandel der Arbeitsgesellschaft vermutlich beschleunigen oder ihm sogar ei ne gesellschaftlich und individuell dramatische Wende ge ben wird. Wir müssen davon ausgehen, dass sich unsere Gesell schaft in den nächsten Jahren dringlicher denn je mit Fragen der Ökonomie, mit den Kulturen des Wirtschaftens beschäftigen wird. Ökonomien der Gemeinschaft und Ökonomien der Natur werden angesichts globaler Herausforderungen und Bedrohungen einen größeren Stellenwert in unseren kulturellen Debatten be kommen und die Ökonomie des Marktes verändern. Julian Ni da-Rümelin und Tatjana Schönwälder-Kuntze zeigen die kultu relle Tiefendimension ökonomischer Praxen und Theorien auf. Daniel Tyradellis, einer der Kuratoren der Ausstellung Arbeit Sinn und Sorge , erläutert, wie die Ausstellung das Spannungs feld zwischen individuellen, persönlichen Erfahrungen mit Ar

beit und ihrer gesellschaftspolitischen ›Verwertung‹, zumal in der Zusammenfassung als statistisches ›Menschenmaterial‹ zu staatlichen Erkenntnis- und Handlungszwecken gestaltet. Dieter Thomä nähert sich dem sozialen Aspekt von Arbeit im Blick auf das Verhältnis der Generationen an, in dem unsere Vorstel lungen von Arbeit und Bildung aufgehoben und modifiziert werden. Helmut Höge denkt am Beispiel eines der Förderprojekte über ein Modell von ›Arbeit in Zukunft‹ nach, dessen kulturelle Dimension erst langsam (wieder) in den Blick kommt näm lich die der zumal im östlichen Europa viel weiter verbreiteten genossenschaftlichen Produktionsgemeinschaften, die sich un ter Bedingungen des kapitalis-tischen Marktes neu orientieren müssen.

Auch in den Beiträgen zu Projekten, die nicht dem Programm Arbeit in Zukunft unmittelbar zuzuordnen sind, geht es um Arbeits- und Lebensverhältnisse, die bisherige Gepflogen heiten und Vorstellungen überschreiten. Auf Seite 28 stellen wir Ihnen ein neues Initiativprojekt vor, den Fonds Wanderlust für internationale Theaterpartnerschaften. Mit ihm unterstüt zen wir Aktivitäten von Theatern, die über ihre tägliche Arbeit für die städtischen Bühnen vor Ort hinaus die Zusammenarbeit mit Theatern in aller Welt suchen und intensivieren wollen. Oliver Müller und Frank Pauly geben in ihrem nachdenklich stimmenden Beitrag Ecce Cyborg auf Seite 32 einen Einblick in die bedenklichen Entwicklungen, die mit der Perfektionie rung des Menschen auf dem Wege des medizinisch-technischen Fortschritts schon jetzt absehbar sind. Fast unbemerkt von der

Öffentlichkeit sind die fiktiv-phantastischen Cyborg -Figuren aus Film und Literatur in der Wirklichkeit angekommen.

Hermann Goltz stellt mit seinem Porträt des von Franz Werfel zum »Schutzengel der Armenier« erklärten Johannes Lepsius diesen einem breiteren Publikum vor. Sein Lebenswerk bestand in der Aufklärung über das Schicksal der Armenier. Dessen Bewer tung und Anerkennung verlangt immer noch die Anstrengung historischer Aufarbeitung eines dunklen Kapitels europäischer Geschichte.

Nach drei Ausgaben endet unsere Kolumne zu den Einwort phrasen von Burkhard Müller, die viele unserer Leserinnen und Leser vermissen werden. Sie wissen nun Bescheid, womit wir bei unserer täglichen Arbeit (auch) zu tun haben und vermutlich weiter zu tun haben werden: dem Jargon kultureller Absichten und Vorhaben, die sich offenbar schwer auf präzise Begriffe brin gen lassen. Wir danken Burkhard Müller für vergnügliche Lektüren und neue Einsichten.

Die Bildstrecke in dieser Ausgabe entstand in Zusammenarbeit mit dem Zeichner Andree Volkmann, den das Thema ›Arbeit‹ zu Schmetterlingsbildern inspiriert hat eine Assoziation, die so ungewöhnlich wie einleuchtend ist, wenn Sie die Erläuterungen unten auf dieser Seite lesen. Nur in einem Beitrag geht es wirklich nicht um Arbeit: in den Nichteuklidischen Bagatellen des ungarischen Schriftstellers Attila Bartis. Keine Kleinigkeit, die er Ihnen zumutet.

Hortensia Völckers / Vorstand KulturAlexander Farenholtz stiftung des Bundes

ökonomie + kultur julian nida-rümelin ökonomie und ethik in kultureller perspektive 5 tatjana schönwälder-kuntze kulturen des wirtschaftens 8

arbeit in zukunft daniel tyradellis interview arbeit. sinn und sorge 12 dieter thomä warum es nicht genügt, an sich selbst zu arbeiten 14 petra kohse sammelstelle der energien 16 helmut höge ware als kunst 18 attila bartis nichteuklidische bagatellen 25 wanderlust 28 hermann goltz praktische kritik der unmenschlichkeit 30 oliver müller und frank pauly ecce cyborg 32 burkhard müller kolumne einwortphrasen ( III) 35 meldungen + neue projekte 37 gremien 43

Im Reich der Tiere gibt es Arten, die wir sofort mit Arbeit assoziieren: von den fleißigen Bienen über die emsigen Amei sen bis hin zu den Faultieren, die sich dem Prinzip Arbeit durch ausgiebige Ruhezeiten zu verweigern scheinen. Warum dann lauter Schmetterlinge in einem Heft mit dem Themenschwerpunkt Arbeit? Auf die Idee mit den Schmetterlingen kam der Zeichner Andree Volkmann, als er sich die Graphiken anschaute, die das Material für das sog. Statistikband bilden, das sich durch die gesamte Ausstellung Arbeit. Sinn und Sorge ziehen wird (vgl. dazu das Interview mit Daniel Tyradellis, Seiten 12–13 ). Statistiken machen Individuen unkenntlich, indem sie sie nach bestimmten Kriterien zu Mengen zusammenfassen und sortieren (z.B. alle halbtags erwerbstätigen Frauen über 35 mit schulpflichtigen Kindern in ländlichen Gebieten usw.). Hinter jedem Eintrag in einer Statistik verbergen sich Individuen, und alle Mengeneinheiten, mit denen Statistiken operieren, sind Zusammenfassungen und Abstraktionen von den prägenden Erfahrungen eines individuellen Lebens. Anders als bei Bienen, die wir vorrangig als unterschei dungsarme Mitglieder eines Bienen›volkes‹ oder ›-staates‹ wahrnehmen, scheint eine große Menge an Schmetterlingen die Wahrnehmung ihrer Individualität nicht wesentlich zu beeinträchtigen. Der 1964 in Warnemünde geborene Künstler Andree Volkmann mahnt mit seinen Schmetterlings-Zeichnungen die unvergleichlichen Besonderheiten des Einzelfalls an, die in den Mengen- und Kategorienbildungen von statistischen Erfassungen verlorengehen. In Wirklichkeit sind die Einzelfälle, die in Statistiken zu anonymen Einheiten »hochgerech net« und normiert werden, so unterschiedlich (schön) wie die Schmetterlinge. Wie sich die Gattung der Schmetterlinge in viele Unterarten aufteilt, wie z.B. in Tag- und Nachtfalter, Kleidermotten, Totenkopfschwärmer, Echte Spinner, Blut sauger und Prachtwickler, so verbergen sich auch hinter den Typisierungen, die die Arbeits-Statistiken bevölkern, ganz unterschiedliche biographisch ausdifferenzierte Arbeits-Verhältnisse. Statistiken (von lateinisch statisticus = den Staat betreffend, staatsmännisch) sind Zurichtungen zu Staatszwecken

Die chaotische Unübersichtlichkeit großer Anzahlen (vgl. Zeichnung auf Seite 7) lässt sich nur durch Ordnung, Sor tierung und Normierung in den Griff bekommen (Seiten 20, 24, 36 ), die individuelle Merkmale ausblenden. Andree

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Volkmanns Zeichnungen illustrieren jedoch keine empirischen Datenmengen, sondern sie machen anschaulich, wie Statistiken Individuen in Schemata pressen, wie Gesetzmäßigkeiten hergestellt werden und wie Raster, Typen, Normen oder Grauzonen der Erfassbarkeit (vgl. Seite 36 ) entstehen: Man braucht nur alle Schmetterlinge mit der gleichen Sei tenlänge (= Spannbreite) darzustellen und schon werden sie sich ähnlich, vergleichbar durch einen bestimmten Maß stab, der an sie angelegt wird. Wenn man alle Einzelschmetterlinge »übereinanderlegt«, kommt ein Monster dabei heraus (siehe links), das in der Wirklichkeit nicht existiert (z.B. der Erwerbstätige).

Natürlich hätte die Wahl auch auf andere artenreiche Vertreter des Tierreichs fallen können (z.B. die artenreichste Insek tengattung der Käfer), um die Spannung zwischen Individualität und statistischer ›Vergesellschaftung‹ zu demonstrie ren. Aber Schmetterlinge, eine Tierart, die es auf allen Kontinenten der Welt gibt, bringen bereits Kulturgeschichte mit. Von alters her haben sie Menschen nicht nur mit ihrer zarten Schönheit und ihrer erstaunlichen Wandlungsfähigkeit von der kriechenden Raupe über die unscheinbare Puppe zum einzigartig schönen, fliegenden Falter fasziniert. Schmetter linge wurden zu einem der ersten ›globalen‹ Symbole für die Seele des Menschen und ihre Unsterblichkeit. In der christlichen Kunst sind Schmetterlinge noch heute das Symbol der (individuellen) Auferstehung, in vielen asiatischen Regionen werden Schmetterlinge als Todesboten gedeutet, aber auch als Vorboten eines Neubeginns verstanden. So gesehen kann es kaum ein schöneres Emblem für den Wandel der Arbeitsgesellschaft geben, wenn sie eine Perspektive auf Arbeit in Zukunft beansprucht.

Der Schmetterling hat vor gar nicht allzu langer Zeit noch einmal einen kulturellen Höhenflug angetreten, als er die öf fentlichen Debatten um die Chaos-Theorie beflügelte. Ihr zufolge kann auch der Hauch eines Schmetterlingsflügel schlags eine grundlegende Veränderung in komplexen »Systemen«, eine völlig unerwartete Entwicklung auslösen. Wäh rend in der Ökonomie des Marktes ein solcher Flügelschlag ein Bedrohungsszenario begründet, könnte er dem Wandel der Arbeitsgesellschaft eine neue, in jetzigen Zeiten unvorhersehbar positive Richtung geben

3 editorial
Zu den Zeichnungen in diesem Magazin
dunkelziffer

ökonomie und ethik in kultureller perspektive

Die Thematik Ökonomie und Ethik hat eine kulturelle Tiefendimension. Das leuch tet sofort ein, wenn man auf den Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Korruption und gesellschaftlich etablierten, oft kulturell akzeptierten Verhaltensweisen verweist. Der Nepotismus in vielen Ländern der Welt ist ein solcher kultureller Kontext. Die kulturell tiefverankerte Primärorientierung auf die Fami lie (und die legitime Sorge um das berufliche Weiterkommen von Angehörigen) führt zu ineffizienten Verwaltungen, personellen Fehlbesetzungen, Klientelwirt schaft und Durchstecherei. Umgekehrt ist der Erfolg einer Anti-KorruptionsStrategie eng mit dem Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen verbunden, wie die sizilianischen Erfolge Leoluca Orlandos mit La Rete oder Transparency International aufgezeigt haben. Dass in einem Land wie Deutschland, das für seine effiziente Öffentliche Verwaltung international gerühmt wird, einem Land, das über lange Zeit den Ruf einer weitgehend korruptionsfreien Ökonomie hatte, vor kurzem mit dem Siemens-Skandal Korruption und unlauterer Wettbewerb in solchem Umfang zu Tage getreten sind, muss besorgt machen.

In der gegenwärtigen Umbruchphase der globalen Ökonomie ist eine kulturelle Perspektive gefordert und damit zusammen hängend ein neues Verhältnis von Ethik und Politik, Recht und Ökonomie, Staat und Zivilgesellschaft. Die jeweiligen Sys teme haben ihre eigene innere Logik und es treten besondere Probleme auf, wenn die Logik des einen Systems auf die des ande ren übertragen wird oder ein System alle übrigen dominiert. Mi chael Walzer, der US -amerikanische, liberal und sozial gesinnte Kommunitarist, hat dies in einer großen Studie über die Sphären der Gerechtigkeit auf den Begriff gebracht: Eine pluralistische, liberale Gesellschaft bedarf einer Vielfalt von Sphären, von de nen nicht eine einzige dominieren darf. Ein Teil dessen, was wir als Korruption kritisieren und rechtlich verfolgen, ist der Aus griff ökonomischer Rationalität auf Bereiche, in denen diese kei nen angemessenen Ort hat. In welchem Verhältnis stehen öko nomische Rationalität und praktische Vernunft? 1 Das Ethos des anständigen Kaufmanns ist auch unter den Konkurrenzbedin gungen einer zunehmend globalen Ökonomie unverzichtbar. Unternehmenskommunikation nach innen erfordert die Beach tung von Prinzipien wie Wahrhaftigkeit, Gleichbehandlung und Fairness. Verlässliche Verständigung über kulturelle und natio nale Grenzen hinweg hat ihre Basis in globalen zivilgesellschaft lichen Strukturen, die damit zur Voraussetzung einer effizienten globalen Ökonomie werden. Die nationalstaatliche Erfahrung zeigt, dass ohne eine funktionierende Zivilgesellschaft, ohne den Aufbau von Sozialkapital , auch die ökonomische Effizienz leidet, wie Robert Putnam in einer Studie zu den Unterschieden zwi schen Süd- und Norditalien überzeugend herausgearbeitet hat.

Es gibt institutionelle, rechtliche und politische, aber auch mora lische Ursachen der gegenwärtigen Finanz- und zunehmend auch der Realwirtschaftskrise. Ich greife zur Illustration ein bis lang in Europa wenig diskutiertes, aber zentrales Phänomen heraus: Im Laufe der 1980er Jahre bis zu Beginn der 90er Jahre stagnierte die US -amerikanische Wirtschaft bei niedriger Pro duktivitätsentwicklung. Anfang der 90er Jahre setzte eine Wen

de ein, die eine Reihe von Ursachen hatte, wozu auch die neue Politik unter der Präsidentschaft Bill Clintons gehörte. Eine wichtige Rolle für den in der ersten Hälfte der 90er Jahre einsetzenden Wirtschaftsaufschwung spielte jedoch zweifellos die Etablierung des Kreditkarten-Systems. Dieses hatte in den USA mit ihrem anderen kulturellen Hintergrund einen ganz anderen Effekt als in Europa, speziell in Deutschland. Entgegen den Annahmen der ökonomischen Theorie, wonach Individuen, die mit unsicheren Perspektiven konfrontiert sind und keine stabile soziale Absicherung haben, eine hohe Sparquote realisieren müssten, um sich individuell abzusichern, ist die Sparneigung in den USA von jeher geringer als etwa in Deutschland. Dies ist im Rahmen ökonomischer Rationalitätsmodelle schwer zu er klären, da Deutschland, Frankreich oder die skandinavischen Staaten ein verlässliches soziales Sicherungssystem aufgebaut hatten, das die individuellen Anstrengungen zur Absicherung von Lebensrisiken in Mittel- und Nordeuropa weniger dringlich machte als in den USA , wo schon eine länger anhaltende Krank heit häufig zur sozialen Deklassierung von Angehörigen der Mittelschichten führt.

Durch die Einführung der Kreditkarten und der Möglichkeit, sich im Laufe nur eines Monats deutlich zu verschulden, also die Einkäufe nicht unmittelbar, sondern erst in naher Zukunft fi nanzieren zu müssen, rutschte die Sparquote in den USA weiter ab. Man mag hier kulturhistorische Vermutungen anstellen über die kulturelle Prägekraft der sozialen Herkunft der großen Ein wanderergruppen aus Europa in den Vereinigten Staaten, wo nach es für Unterschichten- und proletarische Milieus charakteristisch sei, das jeweils verfügbare Geld auch vollständig auszugeben. So war es noch bis vor wenigen Jahrzehnten auch in Deutschland üblich, den Lohn wöchentlich freitags in bar aus zuzahlen, um leichtfertige Geldausgaben durch kleine zeitliche Stückelung in Grenzen zu halten. Während sich in Deutschland die Sicherheitskultur, die vor allem in der breiten Schicht der kleinbürgerlichen Milieus dominierte, rasch auf die Arbeiter-,

speziell Facharbeitermilieus ausdehnte, scheint es in den USA umgekehrt gelaufen zu sein. Die Werte proletarischer und Un terschichten-Milieus aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert die materiell, pragmatisch und kurzfristig waren, die Sicherheitsdenken, Reputation und Reputierlichkeit gering schätzten, die den unmittelbaren Genuss gegenüber der Distinktion kultu reller Interessen bevorzugten scheinen in den USA über alle sozioökonomischen Lagen hinweg die Werthaltung deutlich zu prägen: Die großen, viel Benzin fressenden Autos, die FamilySize-Packungen, die Fast-Food-Kultur, die auf Wirkung bedachte Pop- und Unterhaltungskultur, der schwere öffentliche Stand von Intellektualität und high culture, die Bewunderung des com mon man, des Joe Sixpack oder Joe the Plumber, wie er im vergangenen Wahlkampf eine so zentrale Rolle spielte, korrespon dieren mit einer allgemeinen ökonomischen Praxis, mehr auszugeben, als man einnimmt. Tatsächlich liegt die Sparquote in Deutschland bei über 10 Prozent, in den USA bei minus 0, 5 Prozent, gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Das heißt, die ge samte amerikanische Ökonomie lebt spätestens seit Anfang der 1990er Jahre deutlich über ihre Verhältnisse. Dies wirft interes sante Fragen des Kulturvergleichs, aber auch der ethischen Krite rien von Eigenverantwortung auf. Eine Wirtschaftskultur, die auf Eigenverantwortung und Markt setzt, kann auf Dauer nur stabil bleiben, wenn sie die Freude am Konsum, am Genuss des Augenblicks mit der Verantwortung für die Zukunft verbindet, eine Balance zwischen kurzfristiger Genuss- und Gewinnopti mierung einerseits und nachhaltiger Vorsorge andererseits her stellt.

Eine besondere Zuspitzung hat dieses Grundproblem der US amerikanischen Wirtschaft dadurch erfahren, dass Kredite für Immobilien angeboten wurden, die mit Null oder niedrigsten Zinssätzen in den ersten Jahren beglichen werden konnten, was

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von julian nida-rümelin
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Zur Theorie dieses Verhältnisses vgl. Verf.: Economic Rationality and Practical Reason (Dordrecht 1997)

durch dann steigende Zins- und Tilgungslasten in der ferneren Zukunft ausgeglichen werden sollte. Menschen neigen ohnehin dazu, zeitlich zu diskontieren, wie dies die Entscheidungstheore tiker nennen, das heißt, Nutzen wie Schaden, die erst in der fer neren Zukunft auftreten, werden geringer gewichtet als Nutzen und Schaden, die in der Gegenwart oder der nahen Zukunft erwartbar sind. Diese durchgängige menschliche Tendenz lässt sich durch Selbstbindung, etwa in Gestalt von Lebensversiche rungen, oder die kollektive Selbstbindung, wie sie in den nordund mitteleuropäischen Sozialstaaten besonders ausgeprägt ist, kompensieren. Das heißt, Individuen befürworten Regeln, die sie sich selber auferlegen (sei es individuell im Falle privater Vor sorge oder kollektiv über politische Vorsorge) und die ihrem Ver halten Strukturen auferlegen, durch die Zukunftsverantwortung und ökonomische Nachhaltigkeit gesichert werden. Die spezifischen Kreditfinanzierungsangebote des US -amerikanischen Fi nanzmarktes bewirken gerade das Gegenteil. Sie verstärken die Tendenz zu kurzfristiger Optimierung zu Lasten langfristiger Verantwortung und haben Millionen von Menschen dazu ver führt, Kreditlasten für die Zukunft einzugehen, die sie dann nicht stemmen konnten. In der Folge nahmen sie weitere Kredite und Hypotheken auf, um die Immobilie nicht zu verlieren und die Rückzahlungen finanzieren zu können. Dadurch erhöhten sich wiederum die Belastungen für die Zukunft.

Dieses System hat die Unter- und Mittelschichten der USA in ei ne, zu einem großen Teil auch selbstverschuldete ökonomische Krise getrieben, die sich nun zunächst auf dem Markt der Immo bilienkredite, dann auf dem allgemeinen amerikanischen und nun auf dem globalen Finanzmarkt verheerend auswirkt. Ent scheidungstheoretisch analysiert, funktioniert dieses System wie das ›Anfixen‹ auf dem Drogenmarkt: Zu niedrigen oder null Kosten werden Vorteile gewährt, die Abhängigkeiten schaffen und dann den Abhängigen zwingen, diese anfängliche Vorteils gewährung unter steigenden Kosten ›zurückzuzahlen‹. Im einen Fall entsteht die Abhängigkeit durch Drogenkonsum, im ande ren durch die häusliche Vertrautheit einer Immobilie, in der man mit seiner Familie lebt und die einem nach Jahren so lieb gewor den ist, dass man sie auch bei steigenden und am Ende die eige nen Möglichkeiten überschreitenden Kosten nicht mehr aufge ben möchte.

Der enge Zusammenhang zwischen moralischer Verantwortung, kultureller Prägung und institutionellen Regeln lässt sich auch am System der Bonus-Zahlungen illustrieren. Wenn man davon ausgeht, dass jeder Bankangestellte nur in dem Umfange sich en gagiert, in dem er persönliche Vorteile erwarten kann, ist es erfor derlich, die Honorare an die Zahl und den finanziellen Umfang der getätigten Vertragsabschlüsse zu koppeln oder das Gehalt der Top-Manager an die Aktienentwicklung. Wenn dies in einer Wirtschaftskultur geschieht, in der die Zeiten des Verbleibs in einem Unternehmen kürzer werden und in dem die einzelnen Manager ihren Verbleib an den Kompetenzgewinn koppeln, den sie dann bei anderen Unternehmen sich finanziell vergüten las sen das was in der zeitgenössischen Unternehmenstheorie als Darwiportunismus bezeichnet wird führt dies zu einer Domi nanz kurzfristiger Optimierung gegenüber ökonomischer Nach haltigkeit. Dass das zugleich die soziale Balance massiv stört, zeigt folgendes Datum: Das durchschnittliche Einkommen der zwanzig bestbezahlten US -amerikanischen Finanzmanager be lief sich im Jahre 2006 auf 650 Millionen Dollar pro Kopf und er höhte sich im Jahr vor der Krise, also 2007, auf fast 1 Milliarde US -Dollar. Immerhin bewegt sich damit die Summe der Ein künfte der führenden US -amerikanischen Finanzmanager in der Größenordnung, die den gegenwärtig von Finanzpolitikern er warteten Kosten der Rettungsaktion des deutschen Bankensys tems insgesamt entspricht!

In diesem Zusammenhang ist ein internationaler Vergleich inter essant: Auch Japan hat eine im Wesentlichen kapitalistisch ori

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entierte freie Marktwirtschaft mit sozialen Transferleistungen, die im Übrigen noch deutlich unter denen der USA liegen. Japans Wirtschaft ist zudem mit der Global-Wirtschaft fast genau so eng verflochten wie die deutsche. Die japanische Ökonomie ist keine Insel. Dennoch bewegen sich die Gehälter der CEO s, der Vorstandsvorsitzenden japanischer Konzerne, auf einem auffällig niedrigen Niveau, das nur einen Bruchteil der US -ame rikanischen Gehälter ausmacht und noch deutlich unter denen Deutschlands liegt. Dies ist zweifellos ein politisches und auch ein kulturelles Phänomen: In der japanischen Gesellschaft ge hört es sich nicht, dass man sich allzu deutlich von anderen ab hebt, dass man sich selbst allzu wichtig nimmt und dies nach au ßen demonstriert. Die Praxis »Tue Gutes und rede darüber«, die auch zunehmend in der Politik Richtschnur geworden ist, gilt in der japanischen Kultur weithin als vulgär. Wenn man etwas Gutes tun will, teilt man dies anderen mit und kooperiert mit ih nen, damit der eigene Anteil bei dessen Verwirklichung zurück treten kann. Und wenn man Erfolg hatte, überlässt man es ande ren, diesen Erfolg zu bemerken, und macht sich damit nicht wichtig. Es gibt Anzeichen dafür, dass die gegenwärtige globale Finanz- und Wirtschaftskrise den einen oder anderen Profiteur der letzten Jahre zum Nachdenken gebracht hat. Wir könnten in dieser Hinsicht kulturell von Japan lernen.

Eine wirtschaftsethische Folgerung der gegenwärtigen Krise muss sein, dem Ethos der Nachhaltigkeit einen institutionellen Rahmen zu verschaffen. Ein Teil des Übels ist die sich ausbrei tende, an kurzfristigen Zielen ausgerichtete Praxis der Anreizsysteme. Statt für einen ordentlichen Job ordentlich vergütet zu werden und aus intrinsischer Motivation seine Sache gut zu ma chen, wird der einzelne Akteur zur optimierenden Monade stili siert. Sofern er sich dieses Bild zu eigen macht, trägt er zu einer Ökonomie der kurzfristigen Erfolge bei, die sich in kurzfristigen Quartalsberichten niederschlagen, welche Sprunghaftigkeit und Instabilität erzeugen zu Lasten der mittel- und langfristigen ökonomischen Substanz.

Die internationale Finanzkrise hat eine ihrer Ursachen darin, dass Unternehmen mit wenig Eigenkapital hohe Risiken eingin gen, um Renditeziele zu erreichen, die in der Realwirtschaft utopisch erscheinen. Die Vertragsbeziehungen sind in diesen Be reichen nicht auf Langfristigkeit angelegt und Transparenz ist schon wegen der komplexen Finanzinstrumente und verschach telten Vertragsbeziehungen nicht gegeben. Das ethische und seit der Rio-Konferenz globale politische Ziel der Nachhaltigkeit hatte bis dato auf den globalen Finanzmärkten keine hinrei chende institutionelle Stützung. Die individuelle Verantwort lichkeit des Einzelnen spielt eine unverzichtbare Rolle für eine nachhaltige und humane, eben menschendienliche Ökonomie. Auch in dieser Krise wird sich zeigen, dass mittelständische, fa miliengeführte Unternehmen bei all ihrer belächelten Trägheit und Traditionsverhaftetheit zum stabilisierenden Element in ei ner global vernetzten Ökonomie werden, der es an innerer und äußerer Ordnung fehlt. Es gibt die Theoretiker einer vollständi gen Entmoralisierung ökonomischen Verhaltens, das sich dann ausschließlich an externen Kriterien des Ertrags bemessen wür de. Aber Untersuchungen auch unter führenden Managern zei gen, dass diese Theorie an der Bewusstseinslage der meisten öko nomischen Akteure vorbei geht und der Praxis der Unternehmen nach innen und nach außen nicht gerecht wird. Wenn die institutionellen Rahmenbedingungen allerdings so gestaltet sind, dass diejenigen, die kein Verantwortungsgefühl haben, die rück sichtslos ihre Eigeninteressen und das ihrer Unternehmen ver folgen, daraus einen massiven eigenen Vorteil zu Lasten anderer ziehen, dann wird dieses System individueller und kollektiver Verantwortlichkeit instabil. Wirtschaftsethik bedarf nicht nur der kulturellen Einbettung in den größeren Zusammenhang un serer lebensweltlichen Interaktionspraxis, sondern auch der Institutionalisierung.

Der Markt ist als Ordnungsrahmen der geregelten Konkurrenz unverzichtbar. Zu diesem Ordnungsrahmen gehört, dass Markt teilnehmer bei ausbleibendem Erfolg aus dem Markt ausschei den, sprich: Unternehmen pleite gehen. Es ist dann Sache der Wirtschafts- und der Sozialpolitik sicherzustellen, dass dies nicht zu einer existenziellen Krise der Beschäftigten führt, dass die Entlassenen rasch wieder neue Arbeitsplätze finden und in der Zwischenzeit auf staatliche Garantien zurückgreifen können, die ihren Lebensstandard sichern. Wer den Marktaustritt von Unter nehmen blockiert, wie es das politische Krisenmanagement ge genwärtig praktiziert, sprengt den ökonomischen Ordnungsrah men und unterminiert die Marktlogik. Man nimmt damit in Kauf, dass Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden, dass der Steuerzahler für hochriskante Geschäftspraktiken zah len muss, um den Finanzmarkt insgesamt zu stabilisieren, wäh rend diejenigen, die sich mit diesen hochriskanten Geschäften eine goldene Nase verdient haben, nicht regresspflichtig gemacht werden. Diese Situation wird zu Recht von vielen in der aktu ellen Krise als Skandal empfunden.

Der Markt ist unverzichtbar als Koordinierungsinstrument indi vidueller Bedürfnisse und ökonomischer Produktion. Er sichert unter den idealen Bedingungen vollständiger Konkurrenz und Transparenz Effizienz insofern, als er nur solche Verteilungen generiert, zu denen es keine auf dem Markt realisierbare Alternative gibt: die mindestens einen besser stellt, ohne einen ande ren schlechter zu stellen (Pareto-Optimum). Der ideale Markt sichert Effizienz also im Sinne des Pareto-Kriteriums. Zugleich versagt der Markt systematisch, also als System der Interaktion, in dreierlei Hinsicht: Erstens ist er nicht in der Lage, kollek tive Güter, also Güter, die individuell nicht nachgefragt wer den können, wie Umweltgüter, gemeinsame Sicherheit, öffent liche Räume und Institutionen bereitzustellen. Zweites ist der Markt verteilungsblind, das heißt, er ist nicht in der Lage, die gerechten Varianten unter den Pareto-effizienten Zu ständen von ungerechten zu scheiden und zu realisieren. Drit tens ist der Markt zukunftsblind, das heißt, er ist nicht in der Lage, die Interessen zukünftiger menschlicher Generationen, die Bewahrung der natürlichen Ressourcen, den Erhalt eines lebenswerten Globus zu sichern, weil Menschen, die zukünftig einmal leben werden, jetzt noch keine Nachfrage generieren.

Diese drei systematischen Marktversagen implizieren Aufgaben der Politik in Gestalt ihrer Verantwortung für kollektive Güter, für soziale Gerechtigkeit und für eine nachhaltige Ent wicklung. Als produktiver Staat stellt die Politik Güter und Dienstleistungen bereit, finanziert durch Steuern und Abgaben. Als Ordnungsmacht etabliert sie die nationalen und globalen Regeln, die ein effizientes Marktgeschehen mit kollektiven Gütern, sozialer Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit verbinden. Der Staat wäre jedoch auf sich allein gestellt im natio nalen, kontinentalen ( EU ) und globalen Rahmen (internationale Institutionen, internationale Rechtsordnung) mit diesen Aufgaben überfordert. Er kann die geforderten Leistungen nur als Teil eines Netzwerkes der Kooperation 2 erbringen, das die kultu rellen und moralischen Bedingungen ökonomischer Kooperation einschließt.

2 Vgl. Verf.: Demokratie als Kooperation (Frankfurt 1999 )

Julian Nida-Rümelin, Jahrgang 1954, ist Professor für Politische Theo rie und Philosophie an der Ludwig- Maximilians-Universität München. In den Jahren 1998 bis 2000 war Julian Nida-Rümelin Kulturreferent der Landeshaupt stadt München und in den Jahren 2001 und 2002 als Kulturstaatsminister Mit glied der Bundesregierung. Julian Nida-Rümelin ist seit Januar 2009 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Philosophie. Seine letzte Buchpublikation: Demokratie und Wahrheit , C H . Beck München 2006

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gleichheit

kulturen des wirtschaftens von tatjana

unterschiedliche formen des wirtschaftens und die möglichkeiten einer globalen kultur

Zur Jahrtausendwende im Herbst 2000 hat Hel mut Schmidt in seiner Rede Selbstbehaup tung Europas im neuen Jahrhundert Europa als einen Raum identifiziert, der eine ge meinsame europäische Kultur des Rechts und des Wirtschaftens habe, die durch Aufklärung und die Revolutionen in Europa geprägt sei. Eu ropas Selbstbehauptung stehe vor einigen Her ausforderungen, wovon hier zwei genannt wer den sollen: die Klimaerwärmung und die zügige Globalisierung der Finanzmärkte. Letztere so scheint es hat nun Europa nicht nur ein geholt, sondern an einen noch nicht überschau baren Abgrund geführt, an dessen Rändern die Selbstbehauptung zur Frage der Überlebensfä higkeit ganzer Wirtschaftszweige und damit unserer Volkswirtschaften überhaupt mutieren könnte. Dabei wird derzeit fast vergessen, dass die Klimaerwärmung auch für das Wirtschaf ten die weitaus größere Herausforderung dar stellen könnte mit sogar drastischeren Folgen. Wie gehen wir mit diesen keineswegs zufälligen Herausforderungen um? Welche Lehren lassen sich daraus ziehen, dass wir derzeit den Ein druck haben, nicht selbst die Entwicklung zu steuern, sondern die Entwicklung uns zu über holen scheint? Dazu lassen sich viele Überle gungen unterschiedlicher Art anstellen, wovon die Folgenden nur eine kleine Auswahl darstel len können.

Der Befund scheint derzeit eindeutig: Von ver schiedenen Seiten wird ein klarer Zusammen hang konstatiert zwischen einer ›Kultur‹ und der Art und Weise, in der in dieser Kultur ›ge wirtschaftet‹ wird. ›Wirtschaft‹, so lehrt uns der Blick in ein beliebiges Lexikon, ist »der Inbegriff aller Opfer, Bemühungen, Institutionen und Maßnahmen, die der Überwindung der Spannung zwischen Bedarf und Deckung die nen. Subjektiv äußert sie sich als das Wirt schaften der Menschen (ihre wirtschaftl. Handlungen und Tätigkeiten) mit dem Ziel, auf der Grundlage des Vergleichs von Kosten und Nutzen, von Aufwand und Ertrag, die naturge gebene Knappheit an Gütern zu verringern.«1 und hier scheint es erhebliche kulturelle Diffe renzen in der konkreten Ausführung zu geben. Ein erstes Problem, das bei einer genaueren Be trachtung virulent werden könnte, ist beispiels weise die Frage, was genau mit der von Helmut Schmidt identifizierten ›europäischen‹ Kultur des Wirtschaftens gemeint sein kann, wenn auf der anderen Seite angesichts der weltweiten Tur bulenzen auf den Finanzmärkten Wolfgang Kaden in seinem Artikel Warum die Finanz märkte zivilisiert werden müssen vom September 2008 scharf zwischen einer kontinental-europäischen und einer angelsächsischen Kultur in Bezug auf das Gebaren an den Finanz märkten unterscheidet?

Nehmen wir an, das Abgrenzungs- oder Identitätsproblem der Europäer und aller NichtEuropäer sei gelöst, so ergibt sich als weiteres Problem eines solchen empirischen Zugriffs der Nachweis, dass es sich nicht nur um eine zufällige Korrelation zwischen Kultur und Wirt

schaftsweise handelt. Von Interesse ist das in Bezug auf die Frage, ob und inwiefern kulturelle Bedingungen das wirtschaftliche Verhalten po sitiv oder negativ zu beeinflussen vermögen ganz abgesehen von der grundsätzlichen Frage danach, was wir unter Kultur in diesem Zusam menhang überhaupt verstehen. Man stößt also unmittelbar auf allerlei theoretische Klärungs probleme, ohne auch nur die Frage danach, was Ursache und was Folge intendierter und nichtintendierter Ereignisse im wirtschaftlichen Be reich sind, angetastet zu haben. Umso auf schlussreicher können Überlegungen dieser Art für zahlreiche empirisch-soziologische Unter suchungen sein, die den Zusammenhang zwi schen unterschiedlichen Formen des Wirtschaftens und den ihnen zugrundeliegenden Kulturen, Nationen oder auch Religionen, im Sinne eines gemeinsamen Wertekodexes, zu analysie ren suchen. Das zeigen beispielsweise die Unter suchungen, die eine Korrelation zwischen Ne potismus und Korruption feststellen.

Ein methodologisch anderer Zugriff, um Kul turen des Wirtschaftens zu identifizieren, besteht darin, nach deren historischem Wandel inner halb eines (Kultur-)Raumes zu fragen, um so Genese, historische Bedingungen, aber auch grundlegende Denkmuster bewusst zu machen, in denen gewirtschaftet und Wirtschaft gedacht wird. Damit meine ich keine ideengeschicht liche Analyse unterschiedlicher ökonomischer Theorien, sondern eine archäologische Analyse im Sinne Michel Foucaults. Für Foucault ist jede Theoretisierung von Sachverhalten einem bestimmten Zweck geschuldet und damit im mer schon eine Interpretation des Gegebenen zu Gunsten bestimmter Intentionen. Aber auch wenn sich die Zwecke, die mit den unterschied lichen Theorien verfolgt werden, unterscheiden, so unterliegen sie nach Foucault doch alle einer gemeinsamen Machart, einer ihnen Geltung verschaffenden Form, durch die sie überhaupt nur als Theorien, d.h. als relevantes Wissen an erkannt werden.

So zeigt Foucault u.a. in Die Ordnung der Dinge (1966 ), dass antagonistische Wirtschafts theorien einer Epoche/eines Zeitraums nur an der Oberfläche Unterschiede aufweisen, weil sie ein und derselben Denkweise bzw. Weltauffas sung entspringen, die für ihn den Charakter ei ner Epoche ausmachen.2 Hat man so die unter schiedlichen grundlegenden Prämissen und Kategorien Foucault stellt für den europäischen Raum zwei gravierende Umwälzungen seit dem 16. Jahrhundert fest 3 , in denen das Wirtschaf ten in der Moderne gedacht wird, offen gelegt, lässt sich im Anschluss an die Untersuchungen Foucaults und anderer nach dem theorie- und erkenntnissteuernden Charakter unserer Epo che suchen, der nach Foucault nicht nur in un serer Kultur des Wirtschaftens zum Ausdruck kommt, sondern allen Produkten des Denkens und unseren allgemeinen Praktiken deren grundlegende Form zuweist. Daraus folgt un mittelbar, dass unser jeweiliges Verständnis von Ethik, Ökonomie und Ökologie bzw. Klima

schutz weder unabhängig voneinander entste hen, noch separat betrachtet werden dürfen. Auf diese Weise ließe sich die Verbindung zwi schen Kultur und Wirtschaftsweise genealo gisch rekonstruieren und so nicht nur deren ge genseitige Abhängigkeit, sondern auch deren gemeinsame Existenzform nachweisen. Für den Bereich der Ökonomie selbst bedeutet das zu dem, dass die scheinbar so großen Differenzen in den einzelnen theoretischen Modellen wie beispielsweise die zwischen dem sog. Neo-Libe ralismus und Keynesianismus oder auch die zwischen Marktwirtschaft und Planwirtschaft sich als sehr oberflächlich erweisen könnten.

Foucault ging davon aus, dass sich der Charakter unserer Epoche grundlegend auf die von Kant formulierte Form der Selbst-Repräsentation redu zieren lässt. Damit ist sowohl die erkennende Repräsentationsleistung der Welt durch das Be wusstsein und seine Kategorien gemeint, als auch das konstruktive Selbstverhältnis, in dem sich der Mensch selbst repräsentiert, sich auf sich selbst denkend bezieht und für sich Zu kunftspläne schmiedet. Mit diesem (theore tisch-philosophischen) Konzept des modernen Menschen wäre nicht nur das Bild des ehrlichen Kaufmanns, sondern auch das Bild des raffgierigen Investmentbankers vereinbar. Beide, so könnte man sagen, handeln in einem nachhaltigen Selbstbezug: Beim einen fällt dabei etwas für die anderen ab, beim anderen nicht. Es gälte al so erstens für die Gemeinschaft bestimm te Weisen von nachhaltigem Handeln näm lich Bereicherungen, die bis ans Lebensende und sogar bis in die übernächste Generation rei chen oder ebensolche Zerstörungen per Ge setz auszuschließen. Die Grenze zwischen bei den Handlungsweisen ließe sich klassisch daran ablesen, ob der Selbstbezug zum Schaden ande rer erfolgt, oder eben nicht. Und man könnte zweitens fragen, ob nicht verschiedene Qualitäten von Nachhaltigkeit zu unterscheiden sind, etwa die des Selbsterhaltes und die des Wachstums. Mit Niklas Luhmann, einem gänzlich anders denkenden Theoretiker der Moderne, formuliert, hieße das, die Moder ne ebenso wie bereits die Antike als eine Epoche zu beschreiben, die vom reinen (Selbst-) Erhalt auf Zugewinn, vom Tausch des Gegebenen auf die Produktion von Mehr umgestellt hat. Vor diesem Hintergrund interpretieren Foucault wie Luhmann die Idee der Knappheit, der eine Schlüsselstellung in unseren modernen ökonomischen Theorien zukommt, als Resultat moderner Wirtschaftsweise und nicht etwa als ihr Ausgangsproblem!

Lässt man sich auf das Ergebnis dieser Analysen ein, dann stellt sich die Frage, ob wir uns ande res, ähnlich erfolgreiches und produktives Wirt schaften vorstellen können, das ebenfalls auf diesem epochalen ›Charakterzug‹ beruht, aber auf Erhalt statt auf Zugewinn abzielt. Dann könnten wir an ihm festhalten und setzten nicht andere kulturelle Errungenschaften der Moder ne, die auf ihm gründen, leichtfertig aufs Spiel

ich denke hier etwa an Konzeptionen wie die individuelle Freiheit als Selbstbestimmung und damit an die daran gekoppelte Würde des Menschen. Oder darf es denkbar sein, auch und vor allem im Zusammenspiel mit möglichen ›Charakterzügen‹ anderer, synchron existierender Kulturen noch bessere (!) Konzepte zu ent werfen, die ebenfalls dem Erhalt unseres Le bens und Lebensraumes, aber eben nicht unbe dingt unseres Lebensstils dienen könnten, aber auf anderen Voraussetzungen fußen?

Eine Chance hätten freilich solche Konzepti onen nur, wenn sie sich bereits in der Praxis entwickelten, wenn sie bereits realisiert werden, wenn sie also gesehen und entdeckt werden (dürfen), um dann intentional theoretisiert und vor allem praktisch und politisch handlungslei tend zu werden. Deshalb gilt es, die Augen offen zu halten, alte Denkmuster gegebenenfalls zu verlassen und sowohl im historischen Rückblick als auch im gegenwärtigen Weitblick ande re Kulturen des Wirtschaftens zu entdecken und neue zu erfinden. Solange wir nämlich glauben, wir könnten nur zwischen scheinbar gegebenen Alternativen wählen, weil wir nicht sehen, in wieweit und inwiefern wir dem seit wenigstens 200 Jahren währenden Denk-›Charakter‹ un serer Epoche verhaftet sind, bleiben alle ande ren Alternativen außen vor. G W F. Hegel nennt solches Verhaftetsein in scheinbar unumgäng lichen Dichotomien übrigens »verstandesmä ßiges Denken«, dem es das vernünftige, die über kommenen Verkrustungen aufhebende, Den ken entgegenzustellen gelte.

Das hieße nicht, die »gemeinsame europäische Kultur des Rechts und des Wirtschaftens« ad ac ta zu legen, sondern sie auf der Suche nach einer möglichen gemeinsamen globalen Kultur des Rechts und des Wirtschaftens weiterhin im bes ten Sinne aufzuklären!

1 dtv-Lexikon, Bd. 20, S. 114, Lemma Wirtschaft (1989 ). Auch aktuelle Lemmata weichen von dieser Definiti on nicht ab, vgl. etwa: Meyers Lexikon online, 29 12 08 oder den Eintrag bei wikipedia.de.

2 Foucaults Begriff für das, was ich hier sehr vereinfacht und daher vielleicht unerlaubter Weise Charakter nen ne, ist das altgriechische Wort für Erkenntnis ¤ÈÛÙ‹ÌË : »In einer Kultur, oder in einem bestimmten Au genblick gibt es immer nur eine episteme, die die Bedin gungen definiert, unter denen jegliches Wissen mög lich ist.« ( O dD : 213 )

3 In der Renaissance (ca. 1400 1600 ) seien Erkenntnisse durch Ähnlichkeiten bestimmt worden; während der (franz.) Klassik (ca. 1600 1780 ) durch eine vollständi ge Identität zwischen der Bezeichnung von etwas und dem Etwas selbst.

Tatjana Schönwälder-Kuntze, Jahrgang 1966, ist Wissenschaftliche Assistentin und seit 2007 Privatdozen tin für Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universi tät in München. Sie interessiert sich insbesondere für The oriebildung in der praktischen Philosophie und Ökonomie sowie für deren Einfluss auf die Wahrnehmung und Ge staltung unserer Welt. Demnächst erscheint ihre Habilita tionsschrift Freiheit als Norm ?

Die Kulturstiftung des Bundes plant eine Veranstal tungsreihe zum Thema Kulturen des Wirtschaftens, die voraussichtlich im Herbst 2009 beginnt. Wir halten Sie auf dem Laufenden!

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schönwälder-kuntze
gemeinschaft
auslese
abhängigkeit

arbeit. sinn und sorge

Mit der Ausstellung Arbeit. Sinn und Sorge beendet die Kulturstiftung des Bundes ihr Programm Arbeit in Zukunft . Das Kuratorenteam des Büros Praxis für Ausstellungen und Theorie (Hürlimann | Lepp | Tyradellis) macht individuelle Perspektiven auf Arbeit, die persönliche Sorge um den Lebensunterhalt, Bedingungen subjektiver Befriedigung und sozialer Aner kennung und schließlich auch die Funktion von Arbeit als sinnstiftende Tätig keit zum argumentativen Ausgangspunkt ihres Konzepts. Dabei werden die von ökonomischen Argumenten dominierten Debatten um die Arbeit keineswegs vernachlässigt und Szenarien des sich beschleunigenden Kapitalismus mit den entscheidenden Zäsuren im 20. und 21. Jahrhundert präsentiert. So erzeugt die Ausstellung ein Spannungsfeld individueller und globaler Sorge um die Arbeit. Der Kurator Daniel Tyradellis erläutert im Gespräch mit Christian Schlüter über das Ausstellungskonzept, wie anthropologische Fragen nach Sinn und Sorge die gesellschaftspolitische Dimension der Arbeit in Zukunft aufschließen.

s: Christian Schlüter

t: Daniel Tyradellis

s: Herr Tyradellis, im Auftrag der Kulturstiftung des Bundes bereiten Sie gerade eine größere Ausstellung für das Deutsche Hygiene-Museum Dresden vor, in der Sie nach dem Sinn der Ar beit fragen. Das Thema Arbeit ist seit einigen Jahrzehnten fester Bestandteil auf allen politischen Agenden, vor allem im Zusam menhang mit der Arbeitslosigkeit. Verstehen Sie die Ausstellung auch als einen politischen Kommentar? Als Beitrag zur Diskussion um den Wert und die Zukunft der Arbeit?

t: In jedem Fall! Die Frage ist nur, wie man sich im Medium Ausstellung einem solchen, nicht nur politisch, sondern auch theoretisch bereits sehr umfassend erörterten Begriff annähern kann. Eine Ausstellung ist kein wissenschaftliches Traktat und soll es auch nicht sein. Wir haben uns schließlich entschieden, dass wir genau das zeigen wollen, was uns in der Diskussion um die Arbeit fehlt, nämlich die persönliche und individuelle Erfahrung desjenigen, der arbeiten will, kann oder muss. Die gän gige Diskussion ist sehr dominiert von allgemeinen und abstrak ten Aussagen wie: Die Arbeitslosigkeit muss zurückgehen. Oder: Die Erwerbsarbeit hat keine Zukunft. Oder: Unser Verhältnis zur Arbeit muss flexibler werden. Uns interessiert dagegen die scheinbar einfache, in unserer Lebenswelt angesiedelte Frage: Wie fühlt es sich an zu arbeiten? Wie ist es für jemanden, einer Arbeit nachzugehen…

s: … Ihr Ansatz ist also weniger historisch und systematisch, sondern eher phänomenologisch?

t: Die Ausstellung versucht dort anzufangen, wo die Besu cher mit ihrem Vorverständnis der Arbeit stehen. Wenn sie bei spielsweise über ihre Freizeit nachdenken, wozu wir den Besu cher im ersten Ausstellungsraum anregen wollen, und sich fra gen, woher sie denn nun wissen, was Arbeit ist und was Freizeit, ob der Umgang mit Computerspielen nur der Unterhaltung dient oder nicht auch schon eine Art Eingewöhnung an spätere Ar beitsplatzverhältnisse ist, dann sind sie auf dem richtigen Weg… Wir setzen an den Erfahrungen und Beobachtungen von heute an und nicht etwa bei Begriffen wie Produktivkraft oder der unter drückten Arbeiterklasse solche Termini waren vor dreißig Jah ren in aller Munde, heute will das keiner mehr hören. Die Span nung zwischen einer sehr individuell-existenziellen Frage nach Arbeit und einer von abstrakten Begriffen wie Globalisierung etc. geführten Expertendiskussion bestimmt die Atmosphäre, in der wir die Ausstellung argumentativ entwickeln. Eine mögliche Fra ge in diesem Zusammenhang lautet: Erachten wir Tätigkeiten, für die wir nicht bezahlt werden, als weniger wichtig oder wert?

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s: Diese Frage lässt sich wohl mit einem klaren Ja beantwor ten. Wie und wo aber kommt man zu solchen Wertsetzungen? t: In gewisser Weise beschäftigt sich die Ausstellung mit der Beantwortung genau dieser Frage. In einem der Ausstellungsräu me wir nennen ihn momentan den Übungs-Raum geht es darum, wie es überhaupt zu einer individuell ausgeprägten Hal tung zur Arbeit kommt. Ist es das Spielen oder Lernen mit den Eltern? Welche Rolle spielen die Lehrer in der Schule? Was pas siert in dem Ausbildungsverhältnis zwischen Meister und Lehr ling? Der Begriff der Anerkennung ist hier zentral und in seiner Bedeutung kaum zu überschätzen. Wir können dann auch fra gen, warum wir Arbeit als Zumutung empfinden oder warum wir uns schuldig fühlen, wenn wir nicht arbeiten oder keine Ar beit haben, oder was uns generell jeden Morgen treibt aufzuste hen… Frei nach Jacques Lacan: Die große Frage des Menschen ist, warum er morgens aufsteht und nicht vielmehr nicht. s: Diese Menschheitsfrage bezieht sich aber vor allem auf die Erwerbsarbeit.

t: Gewiss, solange wir von der Freiwilligkeit einer Tätigkeit ausgehen, sprechen wir gewöhnlich nicht von Arbeit. Erst im Hinblick auf den Aspekt der Zumutung und des Geldverdienens ist von ›wirklicher‹, also der Erwerbsarbeit die Rede. Diese Unter scheidung ist mir allerdings noch etwas zu grob. Wissen wir ei gentlich, was Erwerbsarbeit ist? Meinen wir damit nur lebenslan ge oder zumindest auf größere Dauer angelegte Beschäftigungs verhältnisse? Oder ist damit eine zeitliche und räumliche Organisationsform unseres Lebens insgesamt gemeint? Etwa der organisatorische Mittelpunkt dessen, was wir Familie nennen? Selbstverständlich gehört hier auch die Frage her, ob die Erwerbs arbeit in einer tiefen Krise steckt und eigentlich im Verschwin den begriffen ist…

s: …immerhin findet die Ausstellungen in einem Museum statt. An einem solchen Ort erwartet man Dinge, die schon et was älter, wenn nicht gar tot sind.

t: [lacht] So tot wie die Erwerbsarbeit, meinen Sie? Alle Sta tistiken sprechen dagegen. Es gab in Deutschland noch nie so viele Menschen in dauerhaften Beschäftigungsverhältnissen. Wir scheinen vielmehr ein Problem mit dem Sinn zu haben, das heißt mit unserem allzu eingeschränkten Verständnis der Arbeit. Wenn wir schon von einer Krise der (Erwerbs-)Arbeit sprechen wollen, dann möchte ich das als Aufforderung oder Offenheit verstanden wissen, über neue Formen der Arbeit nachzudenken und darüber, welche Kontrollfunktion sie hat gegenüber allen

anderen Möglichkeiten, seinen Tag zu verbringen. Im Prinzip geht es in der Ausstellung darum, den Begriff der Arbeit so zu modifizieren, dass er nicht länger nur als Mühsal oder Zumu tung empfunden wird. Arbeit ist auch nicht nur zum Geldverdie nen da. Und vor allem sollte sich der Wert, dem wir der Arbeit beimessen, nicht nach der Höhe des Einkommens bestimmen. Stattdessen sollten etwa soziale Berufe, auch übernational sozial orientierte Tätigkeiten eine Aufwertung erfahren. Das ist der Aspekt, den wir in der Ausstellung Sorge nennen. s: Mehr Gemeinwohlorientierung oder bürgerschaftliches Engagement ist ja schön und gut, kostet aber auch Geld… t: Der Einwand kommt an dieser Stelle immer: Es mag ja sein, dass seine Kinder zu erziehen auch Arbeit genannt werden kann; aber wenn sie von niemandem bezahlt wird, dann bedarf es eben doch einer anderen, ›wahren‹ Arbeit, um das Geld zu beschaffen. Wir haben lange über dieses in einer so hoch arbeitsteiligen Gesellschaft wie der unseren immer falsche Totschlagargu ment des Geldes diskutiert. Zwischenzeitlich gab es mal die Idee, dass die Besucher nicht nur für den Einlass Geld bezahlen soll ten, sondern auch für das Betrachten der einzelnen Exponate oder Abteilungen. Damit wollten wir erreichen, dass man sich immer wieder aufs Neue die Frage stellt: Wie viel ist mir Kultur, Bildung oder Lernen wert? Wir haben die Idee dann wieder ver worfen, weil sie uns zu aufgesetzt schien und außerdem das Mu seum um seine Einnahmen fürchtete. Was dieses Beispiel aber zeigt: Wir sind es offenbar nicht gewohnt, nach dem Wert, auch dem Geldwert vieler für uns doch elementarer Tätigkeiten zu fra gen. Oder noch radikaler und mit Walter Benjamin gesagt: Wenn wir heute eigentlich nicht mehr zu arbeiten bräuchten, weil die Maschinen alle notwendigen Verrichtungen für uns erledigen, dann hätten wir die Chance, in ganz neuer Weise über den Sinn und den Wert von Arbeit nachzudenken. Das wäre tatsächlich ein gesellschaftlicher Neuanfang. Davor schrecken wir zurück. s: Stattdessen üben wir uns im Lamento über die Krise. Wenn sich eine Gesellschaft wider besseres Wissen selbst blockiert, in dem sie die ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht nutzt, dann stellt sich allerdings die Frage nach dem Warum. Was ha ben wir davon, die uns gebotenen Chancen nicht zu ergreifen? t: Ein Teil dieser Ausstellung wird sich der medialen Aufberei tung dieser Frage widmen. Wir haben jetzt über 900 Ausschnitte aus den Talkshows des letzten Jahres zusammengestellt, von Sandra Maischberger bis Maybrit Illner das volle Programm. Daraus soll eine große Installation mit vielen Talk-Schnipseln

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werden, in denen uns die sattsam bekannten Floskeln begegnen, die sehr überwiegend den Zweck haben, uns vom eigenen Den ken und Fragen abzuhalten. Es gibt hier eine unheilige Allianz von lähmender Verlustangst und der Abgabe von Autorität an so genannte Experten.

s: Nun können aber die Verblödung durch die allgegenwär tigen Talkshows und die durch eine neoliberale Lobby in die Gesellschaft hineinkommunizierten Werte nicht der alleinige Grund sein, warum wir es offenbar vorziehen, lieber über Mana gergehälter anstatt über gesellschaftlich sinnvolle Arbeit nach zudenken.

t: Wenn Sie die Frage nach dem Warum stellen, dann ist der Verweis auf die Medien und die herrschenden Verhältnisse ge wiss zu kurz gegriffen und auch zu allgemein. Wenn ich aller dings wieder die individuelle Perspektive einnehme und frage, was dieser Begriff für mich persönlich bedeutet, mag sich eine genauere Antwort ergeben. Im Rahmen der Erwerbsarbeit ha ben wir es mit einer Werteverteilung zu tun, die bestimmte, eher soziale Tätigkeiten marginalisiert, obwohl sie von elementarer Bedeutung für die Gesellschaft sind. Nun sind allerdings gerade die sozialen Tätigkeiten solche, die zumeist in unmittelbarer Nähe zu anderen Menschen oder sogar im Körperkontakt mit ihnen (Kinder, Alte, Behinderte, Kranke etc.) ausgeübt werden. Mit anderen Worten, die herrschenden, unsere Arbeit anleitenden Wertpräferenzen scheinen ein distanziertes gegenüber einem allzu nahen Verhältnis zu bevorzugen.

s: Haben wir Angst vor zu viel Nähe?

t: Es scheint so zu sein. Selbstverständlich ließe sich hier wei ter fragen, woher das (angstgeleitete) Bedürfnis nach Distanz her rührt und wie es (historisch) entstanden ist. Mir reicht es aber, erst einmal festzuhalten, dass wir offenbar solche gesellschaftlichen Verhältnisse bevorzugen, in denen wir ganz buchstäblich nicht belangt werden können, sei es durch Streicheln oder Schla gen. Gesellschaftliches Ansehen haben jene, die über machtvolle oder geldvermittelte Distanzierungsmöglichkeiten verfügen.

s: Wir leisten uns eine soziale und ökonomische Hierarchie der Berufe, die jene bevorzugt, die in geringer Berührung oder Abhängigkeit zu anderen Menschen stehen? Nun ist Arbeit, in der bürgerlichen Gesellschaft jedenfalls, immer ein Medium der Distanzierung gewesen. Wenn wir sie im klassischen Sinne als Naturaneignung begreifen, begründet dies nicht zuletzt die Frei heit des Menschen er macht sich vermittels der Arbeit frei vom Naturzwang. So lautete jedenfalls das bürgerliche Emanzipati onsversprechen.

t: Ja, und marxistisch betrachtet ist damit je mehr sich die Arbeit ausdifferenziert, desto weiter — dann auch die Entfrem dung verbunden. Das scheint mir allerdings ein etwas zu sche matischer Ansatz. Wenn Sie fragen, warum wir durch das Fest halten an einer bestimmten Vorstellung von Arbeit andere ge sellschaftliche Ressourcen ungenutzt verkümmern lassen, dann möchte ich mit dem Begriff der Angst wiederum die eher indivi duellen Aspekte betonen. So verfahren wir auch in der Ausstel lung: In einer der Abteilungen, dem so genannten Maschinen Raum, werden wir uns mit der Idee von Wohlstand ein selt sames Wort! und Konsum beschäftigen. Dieser stellt sich als produktive und konsumistische Verschwendung dar, als eine aufwändig inszenierte, lärmig bunte Form der Wunscherfüllung. Wenn wir uns allerdings nie sicher sein können, ob hinter dem Lustprinzip und die uns umgebende Realität nicht der Todes trieb lauert… Ja, dann können wir uns immerhin die Frage stel len, was nach dem Konsum kommt und ob wir dieses Danach nicht fürchten müssen. Konsum distanziert und marginalisiert existentielle Ängste. Das ist sein Sog: Er darf nicht ausbleiben.

s: Die Konsum- und Bewusstseinsgüterindustrie der große Verblendungszusammenhang…

t: Ich meine das ganz konkret. Wovon ich spreche, versteht jeder, der sich von Arbeitslosigkeit bedroht weiß oder bereits ar beitslos ist: Menschen, die ohne gesellschaftlich anerkannte und entsprechend entlohnte Arbeit sind, nehmen an dem konsumis tischen Trubel nicht mehr teil sie sind nicht nur ausgeschlos sen, sondern auf ganz andere, sehr viel intensivere Weise auf sich selbst und ihre Ängste geworfen.

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s: Nun wird allerdings nicht nur gearbeitet, um sich die für den Konsum notwendigen Geldmittel zu beschaffen oder sich irgendwelchen selbstentfremdeten Tätigkeiten hinzugeben. Ar beit ist schließlich auch Erfüllung und Selbstverwirklichung. t: Damit beschäftigt sich die Ausstellung im so genannten Werk-Raum. Hier geht es um die Intensität des Arbeitens, was wir nicht eingeschränkt auf künstlerische und kreative Aspekte ver standen wissen wollen. Das heißt, zur Arbeit gehört auch das Ge fühl des Gelingens. Das kann selbstverständlich auch zynisch verstanden werden, etwa wenn ich jemandes eintönige Arbeit schönrede, indem ich von der großen Selbstverwirklichung spre che. Gleichwohl haben wir es hier auch mit einer Haltungsfrage zu tun: Wie komme ich mit dem Beruf zurecht, den ich nun ein mal ausübe. Im Werk-Raum zeigen wir dazu eine große, eigens angefertigte Installation. Dort sind Menschen in ihren Tätig keiten zu sehen, etwa der Manager, die Aldi-Kassiererin, der Chirurg, der Koch, der Fernfahrer… Jede dieser Tätigkeiten wird synchron unter acht verschiedenen Perspektiven gezeigt. So be steht beispielweise die Arbeit eines Managers nicht nur in der entscheidungsfreudigen Problemlösung oder im Finden und Umsetzen innovativer Ideen oder aus dem Halten von die Mitar beiter motivierenden Reden, sondern auch in stumpfsinnigen Wiederholungen, ermüdenden Routinen und Übersprungshand lungen.

s: Arbeit ist insofern immer auch Enttäuschungsarbeit?

t: Tatsächlich ist es so, dass man erst, nachdem man im Beruf steht, begreifen lernt, welche Enttäuschungen, aber auch wel che Erfüllung mit der jeweiligen Arbeit verbunden ist. Darin liegt übrigens auch ein gewisser Widersinn, den wir in unserem Übungs-Raum veranschaulichen wollen: Die Filmemacherin Bärbel Freund hat ihren jüngeren Bruder anhand der Liste aller beim Arbeitsamt registrierten Berufe gefragt, welcher der Berufe ihn wohl begeistern könnte. Das dabei entstandene Video ist mehre re Stunden lang schließlich müssen über einige Hundert Be rufe abgefragt werden und zeigt einen zunehmend genervten Bruder. Wie soll er auch wissen, was ihn erwartet?

s: Dieses Video soll vor allem junge Menschen ansprechen? t: Ja, aber auch wohlmeinende Erwachsene, die Jugendliche freundlich-sanft dazu drängen, sich nun endlich mal für einen Beruf zu entscheiden. 70 Prozent der Besucher des Hygiene-Mu seums sind Schulklassen. Das war übrigens auch ein Grund, in der Ausstellung viel filmisches Material und wenig klassisches Exponatmobiliar zu verwenden. Das Thema Arbeit ist zu drän gend, der Dialog mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu wichtig, als dass wir hier auf museale Zeig-Gewohnheiten vertrauen durften. Und einfach nur lange Texte lesen ist auch nur bedingt geeignet, die Arbeit in ihren sinnlich-konkreten Er scheinungsformen zu vermitteln. Dennoch, an theoretischem und auch statistischem Material kommt eine solche Ausstellung nicht vorbei.

s: Statistisches Material ist aber schon eine Zumutung… t: …nicht unbedingt. Durch alle fünf Räume wird sich ein so genanntes Statistikband ziehen. Das ist ein riesiger Bildschirm, eine Art Touchscreen, der, sobald man ihn berührt, empirisches Material präsentiert, etwa die Entwicklung der Einkommens steuer oder der Arbeitslosigkeit. Wer möchte, kann sich am Ein gang fotografieren lassen; danach wird auf dem Statistikband ei ne kleine Figur mit dem fotografierten Konterfei durch die Aus stellung mitlaufen. Berührt man dann den Bildschirm, um eine Statistik zu erfragen, laufen die Figuren auf dem Band zusam men und verkörpern im Wortsinne eine Grafik der Leviathan lässt grüßen. Durch diesen Trick verbindet sich die individuelle mit der allgemeinen, die gesamte Gesellschaft betreffenden Di mension. Darüber hinaus stehen hinter vielen der Figuren Inter views mit realen Menschen, die sich ebenfalls per Berührung ab rufen lassen.

s: Das Prinzip des iPods hat damit ins Museum Einzug gehalten?

t: Warum nicht? Wir gestalten die Ausstellung allerdings nur so aufwendig wie nötig. Die spannende Frage ist doch, wie ich etwas so trockenes wie Statistik an die Besucher vermitteln kann. Durch Animation kann man vieles klarer machen.

s: Bei so viel Euphorie gestatten Sie mir noch die etwas miesepetrige Frage nach den Grenzen der Arbeit. Oder wird durch sie letztlich alles besser und schöner, wenn wir es nur richtig machen? t: Nein, zur Arbeit gehört die unwiderrufliche Zerstörung etwa unserer natürlichen Ressourcen. Darüber sollten wir uns keinen Illusionen hingeben. Wenn Sie so wollen, leben wir ohne hin nur im Modus des Aufschiebens eines uns bestimmten Endes der vollendeten Entropie. Bis dahin sind es zwar noch etliche Jahre: Doch wenn schon alles seinen entropischen Gang geht, dann möchte ich die dabei anfallende Wärme eher meinem Gegenüber spenden, als meine Zeit mit konsumistischem Tralala verschwenden. Das hielte ich in der Tat für ein qualita tives Wachstum. Man hat uns die letzten (neoliberal geprägten) Jahrzehnte einreden wollen, dass Arbeit eine Art statistisches oder moralisches Neutrum ist. Ist sie aber nicht. Und das gilt es, sich wieder bewusst zu machen… s: …und auf das Wiedererstarken der Religionen zu hoffen? t: Der Kapitalismus ist so alt wie die christliche Kirche, das heißt: so alt wie der Tod Gottes. Das Christentum offeriert uns einen toten Gott und bindet uns damit an das Prinzip der Schuld immerhin ist er ja für uns gestorben. Diesen Gedanken muss man nicht mögen. Dass Gott allerdings nur in der Welt ist, solan ge es die Nächstenliebe (notfalls auch die Fernstenliebe) gibt, halte ich für eine richtige Idee ganz unabhängig davon, ob ich nun an diesen Gott glauben kann oder nicht. Mit anderen Wor ten, Kapitalismus, verstanden als sorgfältig austariertes Regime des Mangels, und Religion, verstanden als eine Art unsere Schuld ad infinitum perpetuierende Neurose, passen prima zusammen. Und dennoch ist die Idee der Caritas nicht von der Hand zu wei sen. Eine Hauptaufgabe der Arbeit in der Zukunft ist um es einmal ganz emphatisch zu sagen die globale Herstellung von Gerechtigkeit, Arbeit als Sorge um die Welt mit all ihren Be wohnern.

s: In dieser Richtung wünschen Sie sich also eine Repolitisie rung oder Reideologisierung der Arbeit?

t: Genau das zeigt der vollständige Titel der Ausstellung an: Arbeit Sinn und Sorge . Aber ich möchte die Hoffnungen auch nicht zu hoch fliegen lassen. Im letzten Raum wird sich ei ne antike Vase befinden. Sie zeigt den heimlichen Helden dieser Ausstellung es ist Sisyphos, der sich in seine Arbeit fügt, aber aus ihr auch seine Würde gewinnt. Die Utopie besteht nicht in der Befreiung von der Arbeit, sondern in der Erfüllung in und mit der Arbeit. Es gibt viel zu tun.

Daniel Tyradellis, Jahrgang 1969, ist Philosoph. Promotion über Phä nomenologie und Mathematikgeschichte, langjähriges Mitglied des DFG -Gra duiertenkollegs Codierung von Gewalt im medialen Wandel an der HU Berlin; Humboldt-Preisträger. Forschungsschwerpunkte: Immanenz philosophie, Übertragung in den Wissenschaften. Zuletzt erschienen von ihm Die Szene der Gewalt (hg. gem. m. B. Wolf, Frankfurt 2007) und Death Drive Politik , immanente und transzendente Geschwindigkeiten ( 2008 ). Wissenschaftlicher Leiter u.a. der Ausstellungen 10 + 5 Gott Die Macht der Zeichen (Jüdisches Museum Berlin, 2004) und Schmerz (Hamburger Bahnhof/Medizinhistorisches Museum Berlin, 2007). Christian Schlüter, geboren 1965, ist Redakteur im Feuilleton der Frank furter Rundschau und dortselbst für politische Debatten, geisteswissenschaft liche Themen und Populärkultur zuständig. Er promovierte an der Berliner Humboldt-Universität im Fach Philosophie über das Thema Gleichheit — Freiheit — Gerechtigkeit . Das Gespräch mit Daniel Tyradellis führte er Anfang Januar 2009 in Berlin.

arbeit. sinn und sorge Eine Ausstellung des Deut schen Hygiene-Museums Dresden im Programm Arbeit in Zukunft der Kulturstiftung des Bundes, kuratiert von der Praxis für Ausstellungen und Theorie (Hürlimann | Lepp | Tyradellis), Szenografie: chezweitz & roseapple. 25. Juni 2009 bis März 2010 www.arbeitsausstellung.de

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warum es nicht genügt, an sich selbst zu arbeiten arbeit als

bildung im spiel der generationen von dieter thomä

Es war spätabends oder frühmorgens, jedenfalls mitten in einer Berliner Nacht und fern aller Werktage, als ich bei einer Party Zeuge einer klei nen Abschiedsszene wurde: Jemand brach auf mit der Begründung, er müsse »noch arbeiten«; auf die neugierige Rückfrage, woran er denn jetzt noch zu arbeiten hätte, sagte er: »An mir selbst.« Mir ist diese Antwort nicht mehr aus dem Sinn gegangen, und je länger sie in meinem Kopf herumschwirrte, desto mehr ging sie mir auf die Nerven. Am liebsten hätte ich den nächtlichen Schlauberger direkt gefragt, was er nach Abzug aller Ironie, die sicher auch im Spiel war eigentlich gemeint hat; ersatzweise muss ich hier nun meinen Ärger und meine Ge danken dazu nachtragen. Dabei will ich gleich vorwegschicken, dass mich diese Gedanken am Ende über den Gegenstand meines Ärgers hin ausführen werden. Der Selbst-Arbeiter ist nur eine kleine Figur in dem großen Panorama, auf dem das moderne Individuum, seine Lebens führung und sein Verhältnis zur Arbeit zur Schau gestellt sind; einen Blick auf dieses Pano rama will ich erhaschen.

Wer nur an sich selbst arbeitet, redet zwar noch von Arbeit, doch faktisch gehört er zu denjeni gen, die versuchen, das wahre Leben jenseits der Welt der Arbeit anzusiedeln. Sie schwärmen von der Muße, dem Fest, dem Spiel, der Freizeit oder dem Konsum und auch wenn diese Bereiche nicht allesamt miteinander kompatibel sind, ge hen von ihnen doch Verlockungen aus, denen man sich nur schwer entziehen kann. Legt man diese Kontrastfolien aus, dann sieht man, wie sich über die Welt der Arbeit ein Grauschleier legt. Bis vor kurzem ging diese Entwicklung noch mit der Absicht auf die reale Abschaf fung der Arbeit einher: Man gab sich der Hoff nung hin, mit einer weitgehend automatisierten Produktion im Rücken sein Leben in Muße zu verbringen und nach Höherem streben zu kön nen. Diese Hoffnung ist, wenn ich das richtig sehe, zerstoben, doch geblieben ist die ideelle Demontage der Arbeit, in deren Folge man sich fast dafür schämen müsste, wenn man ir gendwo zupackte oder Hand anlegte.

Die Gegenstrategien, die sich gegen diese Ab wertung der Arbeit richten, tun sich schwer; es sind dies Strategien, die im Übrigen auch heftig miteinander im Streit liegen. Da gibt es zunächst die Strategie der Desillusionierung, die in dem Hinweis gipfelt, dass jenes vermeintliche Para dies der Nicht-Arbeit allenfalls in eine kleine Nische gehört und das Leben insgesamt, weit

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über den Beruf hinaus, von Arbeit bestimmt und gezeichnet ist. Eigentlich arbeiten wir demnach fast immer, ob wir damit nun Geld verdienen oder nicht. Wer so denkt, steckt die Freizeitge sellschaft in die Ausnüchterungszelle, aber be sonders verführerisch wirkt diese Strategie nicht.

Anders gehen jene vor, die auf die Transformation der Arbeit setzen. Sie wollen den Bereich der Arbeit nicht einfach ausdehnen, sondern verwandeln. Wer arbeitet, soll sich demzufolge nicht damit begnügen, stereotype Handgriffe auszuführen, er soll sich vielmehr darum be mühen, anders zu arbeiten: kreativer, unter nehmerischer. Der Ausweg aus dem Reich der Not, der Notdurft, der Notwendigkeit liegt dort, wo man sich nicht mehr als Rädchen im Getrie be fühlt, sondern als Subjekt seines Tuns gefragt und gefordert ist, das sein Produkt und sich selbst optimiert. Man kann der Arbeit zuliebe den Ak zent aber auch noch etwas anders setzen. Dann enthält man sich nassforscher Forderungen, wo nach jeder Arbeiter zum Selbst-Unternehmer mutieren soll, doch man behält die Intuition bei, dass der Prozess der Arbeit selbst nicht unter Wert gehandelt werden darf. Man betreibt eine Rehabilitierung der Arbeit als Möglich keit, sich einzusetzen, zu entfalten, zu bewäh ren, zu spüren, dabei zugleich die Welt zu gestalten und das Leben zu bewältigen. So schrieb Henry David Thoreau Mitte des 19. Jahrhun derts: »Es ist bemerkenswert, dass wenig oder nichts Denkwürdiges darüber geschrieben wur de, wie man den Lebensunterhalt verdient; wie man das Bestreiten des Lebensunterhalts nicht nur ehrbar und ehrenwert, sondern insgesamt zu etwas Verlockendem, Wunderbarem machen könnte; denn wenn der Lebens-Unterhalt es nicht ist, dann ist es auch das Leben nicht.«

Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich die Idee von der realen Abschaffung zu den Illusionen der Fortschrittsideologie rechne; die ideelle De montage der Arbeit ist nur ein parasitärer Effekt dieser Idee, vor dem man sich hüten sollte. We nig hilfreich finde ich dann aber die Strategie der Desillusionierung, wonach am Ende fast das ganze Leben aus Arbeit besteht und man nur noch darüber nachdenkt, wie deren Anerken nung über verschiedene Entlohnungssysteme organisiert werden kann. Unbehaglich ist mir auch bei dem Versuch, den Arbeiter in einen Un ternehmer zu transformieren (oder ihn zum Un ternehmer zu befördern). Nicht nur geht dieser Versuch mit einer erheblichen Schönfärberei über die faktischen Handlungsspielräume der

Menschen heutzutage einher; selbst wenn man diesen Ansatz als Anweisung an alle generalisie ren könnte, bliebe doch die Frage, ob den Be troffenen damit gedient ist, wenn sie alles, was sie tun, auf dessen Verwertbarkeit in einem von Konkurrenz bestimmten sozialen Umfeld ab klopfen.

Wenn man freilich auf die Geschichte der Idee des Unternehmers zurückgeht, zu der Joseph Alois Schumpeter, Werner Sombart und indi rekt auch Friedrich Nietzsche Beiträge geleistet haben, dann merkt man, dass die Grenze flie ßend ist zwischen der Energie und Dynamik des Unternehmers einerseits, der aktiven Lebensge staltung und der Arbeit des Subjekts, wie sie von Hegel, Max Weber und anderen beschrieben wurden, andererseits. Auch Schumpeter betont die »Freude am Tun«, die »Freude am Werk«. Damit gelange ich zu dem Anliegen einer Rehabili tierung der Arbeit und dieses möchte ich mir zu eigen machen. Es wäre abwegig, in der Arbeit, sofern sie der Selbsterhaltung dient, nur einen quasi-natürlichen Prozess, ein blindes, zwang haftes Funktionieren zu sehen. Immerhin sind die Tätigkeiten, die in diesen Bereich gehören, eingebettet in komplexe technische Lernpro zesse, soziale Zusammenhänge und kulturelle Traditionen. Nichts hindert deshalb daran, die Arbeit als positiven Ausdruck der Lebensfüh rung des Individuums zu rehabilitieren.

Damit ist der Moment erreicht, an dem ich zu dem Stein des Anstoßes zurückkehren kann, der mich am Anfang stolpern ließ: jene aus ei ner Berliner Nacht heraussickernde Auskunft, da wolle jemand »an sich selbst arbeiten«. Man könnte einwenden, dass ich mich an eine kleine Abstrusität verliere, wenn ich auf dieser Wen dung, »an sich zu arbeiten«, so herumhacke. Ich will der Sache auch nicht mehr Gewicht geben als nötig, aber sie kommt nicht allein, sondern gehört zu einem ganzen Reigen rhetorischer Fi guren, die sich bei der Selbstverständigung des modernen Individuums in den Vordergrund gespielt haben. Ihr gemeinsamer Grundzug ist, dass sie zu einem Kurzschluss im Selbst führen: Es werden Ziele verfolgt, bei denen man gewis sermaßen immer schon an der richtigen Adres se ist bei sich selbst. So trifft man neben der Arbeit an sich selbst etwa auf die Rede von Selbstinszenierung, Identitätsmanagement, Ego-Mar keting und besonders verbreitet Selbstverwirklichung. »Selbstdesign« sei »der nächste Trend«, behauptet das Hamburger Trendbüro Tückisch an der speziellen Figur der Arbeit an

sich selbst ist nun, dass sich in ihr die Bewegung, in der man sich von der Arbeit abkehrt, gewis sermaßen selbst überschlägt. Man verabschiedet sich von der Arbeit, wie man sie früher gekannt hat, doch man redet sich selbst und anderen ein, dies, was man da tut, sei doch wieder nichts an deres als eben Arbeit. Wer nur »an sich selbst« arbeiten will, versucht offenbar, die Anforde rungen herkömmlicher Arbeit ad absurdum zu führen. In Abwandlung einer berühmten (Fehl-) Übersetzung aus der Luther-Bibel wäre demnach zu sagen: »Und wenn das Leben köstlich gewe sen, so ist es Arbeit an sich selbst gewesen.« Dies finde ich nun aber alles andere als köstlich.

Vor allem vergeht man sich dabei an einer Ei genart der Arbeit, die ihren besonderen Reiz ausmacht: dass sie nämlich eine Brücke zwi schen Selbst und Welt errichtet. Wenn man ar beitet, hat man, kurz gesagt, die Welt am Wickel und ist sich zugleich seiner selbst, seiner eigenen Tätigkeit bewusst. Man kann dies noch et was anders ausdrücken, und dann ist man oh Wunder! bei Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Er führt einen ganz einfachen Gedanken ins Feld, mit dem man die schlechte Laune, die um die Arbeit kreist wie eine Krähe, vertreiben kann. Dieser Gedanke lautet in seiner kürzest möglichen, also unweigerlich sperrigen Formu lierung: »Die Arbeit […] bildet.« Hegel spielt hier mit der Doppeldeutigkeit des Bildens, das einerseits das Formen und Gestalten, also das Bilden des Dinges, andererseits die Bildung oder Entfaltung des Menschen meint. Alex andre Kojève hat hierzu in seiner Hegel-Inter pretation bemerkt: »Die Arbeit ist Bildung im doppelten Sinne des Wortes: einerseits bildet sie die Welt, bildet sie um […]; andererseits bildet sie den Menschen um, bildet, erzieht […] ihn«.

Blickt man von Hegel her auf den Selbst-Arbei ter, dann merkt man sofort, was an ihm faul ist: Er meint, mit halber Kraft, mit einer halbierten Arbeit, die sich nur auf sich selbst kapriziert, re üssieren zu können. Von Hegel her kann man sagen, mit dem Selbst-Arbeiter sei das Ende der Bildung besiegelt. Er begnügt sich damit, sich selbst zu bilden, und schneidet sich dabei von den Ressourcen ab, auf die die Bildung doch angewiesen ist. Wenn man die Verbindung zwi schen Arbeit und Bildung ernst nimmt, dann muss man sich nun auch jenem Schauplatz zu wenden, auf dem die Bildung seit jeher heimisch ist: dem Schauplatz der Erziehung. Zur Bildung gehört das Verhältnis von Erziehenden und Er zogenen, also das Verhältnis zwischen

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den Generationen. Damit kommt ein wei teres Defizit des Selbst-Arbeiters ans Licht. In dem er sich aus diesem Verhältnis heraushält, erscheint er als Symptom einer Krise, von der die moderne Gesellschaft insgesamt ergriffen ist: einer Krise im Spiel zwischen den Generationen.

Diese Krise im Generationenspiel steht in einem engen Zusammenhang mit der modernen Vor stellung, dass man als fertiges, über sich selbst verfügendes Individuum eine Soll-Distanz zur Welt einhalten und sich erst nach eingehender Prüfung auf sie einlassen will. Wer so denkt, pfeift auf die Verwicklungen und Verstrickun gen, in denen man erst wird, wer man ist; sie sind ihm lästig oder geradezu unerträglich. Ein Mensch kommt aber nicht zur Gesellschaft wie ein Gast zur Abendeinladung: aus freien Stü cken, fertig eingekleidet, ein Lächeln auf den Lippen. Ein Mensch gehört schon zur Gesell schaft, wenn er als kleines Bündel im Arm der Mutter oder des Vaters liegt. Entsprechend ist er auch in seinem Bildungsprozess auf das Zusam menspiel mit anderen angewiesen. Fast alle Helden der Emanzipation, die in der Moderne auftraten, waren besessen von Szena rien der Neugründung, vom totalen Neuanfang. Dies gilt etwa für den self-made man, von dem es in der amerikanischen Populärkultur des 19 Jahrhunderts heißt, er sei ein »Genie«, das ohne »alle fremde Hilfe« auskommt und sich auf dem »Weg zum Ruhm« selbst »unterrichtet«. Wer so denkt, lügt sich aber nur in die eigene Tasche. Es ist bemerkenswert, dass der Ökonom Joseph Alois Schumpeter, der den Unternehmer doch wie kein zweiter gefeiert hat, genau Bescheid wusste über die Unzulänglichkeit der Versuche, alles von sich aus schaffen und erreichen zu wollen. Bei ihm heißt es: »Es müßte jeder Mensch […] ein Riese an Einsicht in alle Bedingungen des sozialen Lebens und an Willen sein, um nur durch seinen Alltag zu kommen, wenn er alle die kleinen Akte, aus denen dieser besteht, jedesmal geistig erarbeiten und schöpferisch gestal ten müßte.«

Die Gesellschaft besteht nicht aus Individuen, die sich selbst im Griff haben, sich selbst bilden, souverän an sich selbst arbeiten; sie bildet im Glücksfall ein Netzwerk, das Halt gibt und die Generationen untereinander verbindet. Der Bil dungsprozess der Menschen ist nur denkbar als Spiel von Überlieferung, Anpassung und Abwei chung. Energie wird hier nur freigesetzt, wenn die Beziehungen, die zu diesem Prozess gehören, ihre hohe Intensität behalten. Ich will drei Ent wicklungen herausheben, die aus meiner Sicht

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eine Gefährdung dieser Intensität und damit auch des Generationenspiels mit sich bringen; dabei komme ich auch nochmals auf die Verbin dung zwischen Bildung und Arbeit zu sprechen.

1Die Austreibung der Arbeit aus dem privaten Leben. Bildung und Erziehung fin den heutzutage in einem eigenen, geschützten Raum statt, der durch die Privatsphäre und pädagogische Institutionen aller Art gebildet wird. Die Bildung ist auf eine solche Sphäre angewie sen, denn sonst gäbe es keinen Schutz dagegen, dass die Kinder direkt von der Arbeitswelt ver einnahmt und in ihr ›verwertet‹ werden. Doch keineswegs ist die Arbeit im geschützten Raum der Bildung die große Abwesende. Zum Heran wachsen gehört auch, dass man eigene Aufgaben übernimmt, Fähigkeiten unter Beweis stellt, An strengungen aushält und Verantwortung trägt. An diesem Punkt liegt, was die Privatsphäre der Familie betrifft, heute einiges im Argen. Dass das Stichwort vom Hotel Mama überhaupt auf kommen kann, dass die Kinder den Raum der Familie als bloße Versorgungsstation ansehen, liegt darin begründet, dass sie den Schutzraum, der ihnen jenseits der Arbeitswelt gegönnt wird, zum Freizeitpark umdeuten. Auffällig ist die Untüchtigkeit, die sich deshalb bei vielen Heranwachsenden ausbreitet; sie tun sich in vie lerlei Hinsicht schwer mit Belastungen, auch mit der alltäglichen Lebensbewältigung, wenn sie diese denn mal selbst in Angriff nehmen müssen. Dass der private Haushalt doch auch ein Haus halt, ein oikos ist, dass in ihm Kompetenzen ein geübt werden, die der Selbsterhaltung dienen, darf nicht in Vergessenheit geraten. Beschädigt wird sonst die Verbindung von Bildung und Ar beit, also auch die Bildung selbst.

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Der Abschied von der Vergangenheit in der peer group . Eigentlich haben Kinder und Jugendliche ein akutes Bewusstsein ihrer Unfertigkeit; dies ist auch Quelle ihrer Neugier und ihrer Bereitschaft, Neuland zu be treten und Neues zu schaffen. Angewiesen ist dieses Bewusstsein jedoch auf den Kontrast zu den Erwachsenen, die aus der Sicht der Jugend lichen ›fertig‹ sind (ich lasse offen, ob damit eine Form der Vollendung oder eine Form der Erle digung ›Mein Gott, ist der fertig!‹ gemeint ist). Nun wachsen viele Jugendliche heute aber in einer Welt fast ohne Erwachsene auf; ihr Heil suchen sie in der peer group. Kurioserweise versuchen auch viele Erwachsene, sich dieser peer

group anzuschließen, indem sie sich in Berufsjugendliche verwandeln. So steht gar die Ver wandlung der ganzen Gesellschaft in eine peer group an, die dem Ideal der Jugendlichkeit nach eifert. Wenn die Eltern selbst in den Bann des Jugendkults geraten, dann ergeht an die Kinder das Signal, dass sie so bleiben können wie sie sind, dass ihre Lebensreise schon ans Ziel ge langt ist. Mit der Idealisierung der Jugend redet man ihr ein, sie sei nicht zu ›toppen‹. Das Be wusstsein der Jugend von der eigenen Unfertig keit verwandelt sich in Selbstgefälligkeit. Damit geht die Ignoranz der Vergangenheit einher: Wenn alle jung sind oder sein wollen, hat das Alte ausgespielt. Dagegen ergeht der Bescheid Ale xis de Tocquevilles: »Wenn die Vergangenheit die Zukunft nicht mehr erhellt, tappt der Geist im Dunkeln.« Dem Geist fehlt dann, anders ge sagt, Bildung.

3mixed signals ohne Ende. Das Genera tionenspiel in Deutschland nach 1945 ist eine Ge schichte von mixed signals, die Geschichte eines in verschiedenen Formen wiederkehrenden double bind. Die Elterngeneration der Nachkriegs zeit war eine in Normalität erstarrte und doch zugleich gebrochene Generation; entsprechend war der Aufstand von 1968 ein Protest gegen das Sitzfleisch der Alten, gegen die Verlogenheit, die tief in das Wirtschaftswunder hineingewebt war, aber auch eine Suchanzeige für ein anderes Verhältnis zwischen den Generationen. Wie wirkte nun diese Generation, die selbst mit den mixed signals ihrer Eltern umzugehen hatte, ihrerseits auf die Nachgeborenen? Wenn man das Zeitfenster hier nun etwas weiter fasst und über die Achtundsechziger im engsten Sinne hinausgeht, dann trifft man auf eine Generati on, die unter anderem dadurch in die Geschich te eingehen wird, dass sie die Schulden der öf fentlichen Hand in Deutschland zwischen 1970 und 2008 von 63 Milliarden auf rund 1.500 Mil liarden Euro hochgetrieben und gleichzeitig ihren Beitrag zu der ökologischen Katastrophe geleistet hat, in die ihre Kinder hineingeraten werden. Aktuell wird noch eine Finanz- und Wirtschaftskrise frei Haus geliefert. Es gibt also haufenweise Gründe dafür, die Älteren als Vor bilder für die eigene Bildung abzulehnen. Und doch fällt die Ablehnung gar nicht so leicht, denn die jüngere Generation hat nun Eltern, die so verständnisvoll, nachsichtig und großzügig gegenüber ihren Kindern sind, dass es schwer fällt, sie in Bausch und Bogen zu verdammen. Diejenigen, die im neuen Jahrtausend erwach

sen werden oder geworden sind, müssen also aus ganz anderen Gründen als ihre Vorgänger und Vorvorgänger mit mixed signals umge hen, die schrill klingen wie Warnglocken.

Mit welchem Selbstbild, mit welchem Selbst verständnis könnten die Mitglieder dieser neu en Generation sowie auch alle Älteren, die deren Ehrenmitglieder werden wollen antre ten? Sie würden, wie mir scheint, gut daran tun, auf Arbeit und Bildung zu setzen. Dazu gehört die Bereitschaft, sich den Anstrengungen zu stellen, in die die Welt den Genuss eingewickelt hat; dazu gehört auch die Bereitschaft, sich zu bilden, und das heißt: Geduld mit sich selbst zu haben und in den Fluss des Lebens einzutau chen, der die eigene Zukunft aus der Vergangen heit hervorgehen lässt. Wie würde man wohl diejenigen beschreiben, die sich diese Haltung zu eigen gemacht haben? Von ihnen könnte ge sagt werden: Sie sind diejenigen, auf die sie ge wartet haben.

»Wir sind diejenigen, auf die wir gewartet ha ben.« Dieser Satz aus einer Rede Barack Oba mas vom 5. Februar 2008 bringt Schwung ins Verhältnis zwischen Vergangenheit und Zu kunft. Hier wird eine Stimmung verbreitet, in der der Knoten platzt, in der plötzlich möglich erscheint, was vorher undenkbar war. Doch in diesem Satz feiern nicht Selbstgefälligkeit und Machbarkeitswahn neue Triumphe und zwar deshalb nicht, weil er neben der Hoffnung auch Demut zum Ausdruck bringt. Diejenigen, die auf sich ›warten‹, müssen sich in Geduld fassen; ihnen liegt nicht daran, sich nach Belieben aus dem Hut zu zaubern oder selbstverliebt an sich zu arbeiten. Sie begeben sich auf eine Reise, in der sie um ein Wort Heinrich von Kleists ab zuwandeln durch die schöne Anstrengung, die auf sie zukommt, mit sich selbst bekannt ge macht werden. Früher nannte man so etwas ei ne Bildungs-Reise. Gute Fahrt!

Dieter Thomä, Jahrgang 1959, ist seit 2000 Professor für Philosophie an der Universität St. Gallen. Zahlreiche Beiträge zu philosophischen und kulturwissenschaftlichen Themen, unter anderem in der F A Z ., der ZEIT, der Neu en Zürcher Zeitung , in Literaturen und im Spie gel 1996 erhielt Dieter Thomä den Preis für Essayistik beim Internationalen Joseph-Roth-Publizistikwettbewerb Klagenfurt. Kürzlich erschien von Dieter Thomä Väter Eine moderne Heldengeschichte . Hanser Ver lag, München 2009

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Mit der Ausstellung Arbeit . Sinn und Sorge endet das Programm Ar beit in Zukunft im Sommer 2009. Seit 2006 sind mehrere umfangreiche Projekte zum Wandel der Arbeitsgesellschaft im Auftrag der Kulturstiftung des Bundes durchgeführt und inzwischen abgeschlossen worden. Der Kurzfilm wettbewerb Mach doch , was du willst , die vielen Filmreihen und -festi vals Work in Progress , das Literaturprojekt Schicht ! Arbeitsreportagen für die Endzeit und das Jugendprojekt Der 100.000 Euro Job . Außerdem konnten Fördergelder aus dem Fonds für unabhängige Projekte aus allen Sparten beantragt werden. Wir haben die Kritikerin Petra Kohse gebeten, das Programm noch einmal Revue passieren zu lassen und ihre Eindrücke aus der Jetztzeit zu schildern: Welche Vorstellungen vom Wandel der Arbeitsgesell schaft haben sich in den Projekten niedergeschlagen und wie sind sie vor dem Hintergrund der weitgehend unerwarteten Entwicklungen des letzten Jahres zu beurteilen?

das programm arbeit in zukunft — im rückblick

Berlin, im Januar 2009. Rund um das Kulturzentrum Saalbau in der Neuköllner Karl-Marx-Straße drängen sich die Billigläden. Bei Garbelli gibt es neonfarbene Polyester-Handschuhe für ei nen Euro, bei Preisfuchs Staubsauger für neunzehn. »Los komm, gucken kostet nichts«, sagt eine ältere Frau vor der T¤di-Filiale und zieht ihre Bekannte ins Innere, wo Windjacken für Hunde, Plastikgestecke und Stimmungsleuchten angeboten werden ein groteskes Sortiment für jene, die beim Einkaufen genau wis sen, wie viel Geld sie in der Tasche haben und trotzdem den Lu xus genießen sollen, sich Überflüssiges zu leisten. Wer noch An schluss an den Warenfluss hat, braucht sich vor dem Kapitalis mus nicht zu schämen.

Auch die Straßengalerie des Saalbaus selbst bietet seit einigen Wochen ein volles Schaufenster. Plastiktröten, Badetiere und die Stoff-Ausführung der Maulwurfsfigur von Zdeneˇk Miler neh men die Schwellenangst beim Eintritt in den Bereich der Kultur. »Vor Weihnachten hatten wir einen wahren Massenandrang«, berichtet Antonia Herrscher, die Pressereferentin des von Andreas Wegner kuratierten Projekts Le Grand Magasin. »Aller dings bestand die Laufkundschaft vor allem aus jüngeren Leuten. Eingesessene Neuköllner wollten, wenn sie sich trauten, den Laden zu betreten, meist über das Genossenschaftsmodell spre chen, mit dem viele noch eigene Erfahrungen gemacht haben.«

Le Grand Magasin ist eine Verkaufsausstellung von Waren aus europaweiter genossenschaftlicher Herstellung. Produkte aus Tschechien und der Slowakei, Spanien und Frankreich, Italien und Deutschland wurden in den dreieinhalb Galerieräu men nach dem Solidarprinzip aufgebaut: preisgünstige Lippen stifte neben kostbarem Holzspielzeug, kitschiger Christbaum schmuck gegenüber von Design-Kommoden. An den Wänden finden sich knappe Hinweise auf die jeweiligen Herkünfte der

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Waren, manchmal auch Fotografien der Produktionsstätten, hie und da ein paar Zahlen. Weiterführende Literatur liegt auf dem Informationstisch. Im Ganzen eher ein für die jeweiligen Anbieter sicher nützlicher Appetizer zum Thema genossen schaftliche Arbeit in Europa, stimmt das Grand Maga sin allerdings nicht wirklich optimistisch. Denn dass europä ische Produkte aus arbeitsplatzgesicherter und mitsprachebe rechtigter Herstellung inmitten der T¤di- und Preisfuchs-Welt Ausstellungswert haben, leuchtet zwar ein. Aber wird es die Sa che der Genossenschaften wirklich befördern, wenn sie damit von der wirtschaftlichen in die kulturelle Zuständigkeit rutscht?

Le Grand Magasin wurde als Antragsprojekt im Programm der Kulturstiftung des Bundes Arbeit in Zukunft gefördert. Und zwar gemeinsam mit einem Dutzend weiterer Projekte, bei denen so stellt es sich zumindest im recherchierenden Rück blick dar es nicht so sehr um tatsächliche Zukunftsvorstellun gen, sondern im Wesentlichen um Feldforschung und Wirklich keitssimulation gegangen ist und geht. Ersteres in einem Falle buchstäblich. Denn in dem Hofmaler-Projekt Ich bin gerne Bauer und möchte es auch gerne bleiben tauschen die Künstler Antje Schiffers und Thomas Sprenger von ihnen gefertigte Ölgemälde von Höfen und Nutzflächen gegen Videos, die die jeweiligen Landwirte über ihren Arbeitsalltag selbst dre hen sollen Greif zur Kamera, Bauer! Seit über acht Jahren sind die beiden in Österreich, den Niederlanden, Wales und deutschen Regionen unterwegs und stellen ihre Kunst in den Dienst einer jeweiligen Repräsentation, während sie die Macht des gesellschaftlich wirksamen Bildes den repräsentierten Indi viduen selbst überlassen.

Auch in David Levines Bauerntheater , das im Frühjahr 2007 im uckermärkischen Joachimsthal stattfand, zeigte sich,

dass die Landwirtschaft als Urform kultureller Tätigkeit eine ge eignete Fläche sein könnte, um postmoderne Entfremdung nicht nur darzustellen, sondern womöglich zu überwinden. Ein ame rikanischer Schauspieler (David Barlowe), der in New York die Rolle des Flint aus Heiner Müllers Umsiedlerin einstudiert hatte, bestellte knapp vier Wochen lang in Handarbeit ein deutsches Kartoffelfeld. Es sei um die Frage gegangen, wie tief man in eine Rolle schlüpfen und unter welchen Umständen man noch in ihr bleiben könne, erklärt Levine im Begleitbuch »Kann man als ein anderer arbeiten?« Method acting im Elch-Test. Der Darsteller selbst notierte am letzten Aufführungstag im Ta gebuch: »Offen gestanden hat mich der Vorgang des Pflanzens immer mehr interessiert als die Rolle.«

Andere Simulations-Projekte zielten auf stärker gesellschaftlichen Einfluss: Das Hotel Subbotnik der Theaterfabrik Ge ra vom letzten Herbst etwa: Eine temporäre Umwandlung des seit Jahren leer stehenden »Kaufhauses ›auf der Sorge‹« (so die Adresse) in ein spielerisches Trainingslager für Problemlösungen des echten Arbeits(losen)alltags. Inzwischen ist dieser Kultur raum wieder Wirtschaftsfläche geworden: Das 1822 erbaute Grün derhaus des Hertie-Konzerns wird von der Stadt nun doch nicht aufgegeben, sondern als Kaufhaus Gera neu geplant.

Eine buchstäbliche Zuspitzung des Grenzbereiches von Kunst und Wirklichkeit stellt das noch andauernde Projekt Die grosse Pyramide von Ingo Niermann, Jens Thiel, Frauke Finsterwalder und Heiko Holzberger dar. Niermanns Idee, in der Nähe von Dessau eine globale Grab-Pyramide entstehen zu las sen, in deren Steinen Menschen aus der ganzen Welt entweder ihre Asche bestatten oder Erinnerungsstücke einschließen kön nen, ist so kühn und allseits nützlich, dass vermutlich nicht ein mal die Beteiligten wissen, ob sie noch an einem Kunstprojekt

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arbeiten oder längst ein Unternehmen aufbauen. Schon wurde alles in wirtschaftlicher, moralischer und architektonischer Hin sicht gedreht, gewendet und vernetzt. Schon gibt es eine Home page in zehn Sprachen. Und schon haben sich mehr als 1 500 Menschen aus der ganzen Welt einen Stein reservieren lassen. Noch fließt kein Geld und wird nicht gebaut. Aber so weit, um sagen zu können, dass diese Sache eine Zukunft hat, darf man der Virtualität inzwischen vertrauen der Internettugend des Ineinanderfließens von Schein und Sein, die die Grenzen des Vorstellbaren in der Gesellschaft definitiv erweitert hat. Als Christoph Schlingensiefs Konzeptpartei Chance 2000 zur Bun destagswahl 1998 zugelassen wurde und sogar 25 000 Stimmen erhielt, war das ein allseits bestaunter Theatercoup. Wer heute auf die Webseiten von thegreatpyramid.org kommt und liest, wie leicht es ist, Vorsorge zu treffen, sich körperlich mit einem Kunst werk zu verbinden, eine weltumspannende Versöhnungsgeste zu machen, der Wirtschaft zu dienen und dabei sogar noch zu sparen der wird sich vor allem fragen, warum er nicht selbst auf diese Idee kommen konnte.

Die private Suche nach einfachen Lösungen für viele ist das Ge bot der Stunde: Die Banken sind nicht sicher, die Exporte bre chen ein, die Auto- und die Chemiebranche liegen darnieder, der Milchmarkt ist prekär, der Kunstmarkt schlapp, aus den USA kommen Reportagen über den nackten Hunger von Millionen, und die eigene Regierung leiht sich was zusammen und schickt Care-Pakete an die Wirtschaft und das Volk. Nur der Kultur staatsminister ist zuversichtlich und verspricht eine erneute Er höhung der Kulturausgaben im nächsten Jahr, weil dies (so Bernd Neumann gegenüber dem Börsenblatt des Deutschen Buchhan dels in der Ausgabe vom 22 . Januar) »keine Subventionen, son dern Investitionen in die Zukunft« seien. Vielleicht sind die Ge nossenschaften im kulturellen Sektor also doch ganz gut aufge hoben. Und vielleicht macht es Schule, dass Geschäftsideen als Simulationen kulturgefördert werden und im Second Life durch starten, bevor sie ins ›erste Leben‹ hinübergleiten. Der Zeitpunkt, die Kultur zur zentralen Sammelstelle der Ener gien auszurufen, ist jedenfalls günstig. Denn die deutsche Wirt schaft, auf deren zuverlässiges Wachstum sich das Selbstbewusst sein der Nation im letzten halben Jahrhundert ausschließlich gründete, fällt als Projektionsfläche für Selbstentwürfe in die Zu kunft derzeit aus. Mit ein wenig Eigeninitiative von Outgesourcten ist es in dieser Krise nicht getan. 20 000 kurzarbeitende DaimlerMitarbeiter in Sindelfingen können sich nicht als nebenberuf liche Dienstleister neu erfinden. Stattdessen werden sie weniger konsumieren und damit eine Abwärtsspirale der ganzen Stadt in Gang setzen. Regionale, überregionale, internationale Lösungen müssen gefunden werden, weil ein Rädchen ins andere greift. Tschüss Ich-AG , willkommen ja was?

Der Versuch, den Konsum ein klein wenig anzukurbeln, zielt je denfalls in die falsche Richtung. Soll sich eine Familie mit gerin gem Einkommen von den im Konjunkturpaket vorgesehenen 100 Euro pro Kind wirklich ein Haushaltsgerät (am besten natür lich in Deutschland gefertigt) kaufen, wenn das Geld ansonsten kaum für den Essenseinkauf beim Discounter reicht? Es geht ja nicht nur um eine Überbrückung, wie die Prognose vom sinken den Bruttoinlandsprodukt deutlich zeigt. Im Gegenteil: Besser als jetzt wird man es vermutlich lange Zeit nicht haben!

Die Antragsprojekte zum Thema Arbeit in Zukunft ma chen natürlich nur den kleineren Teil des entsprechenden Pro grammes aus. Im Laufe der letzten drei Jahre hat die Bundeskul turstiftung auch fünf eigene große Projekte initiiert und kopro duziert: Den Kurzfilmwettbewerb Mach doch , was du willst , den Jugendfonds Der 100.000 Euro Job , die Filmreihe Work in Progress , die literarische Anthologie Schicht ! Arbeitsreportagen für die Endzeit und als zeitlich letztes die Ausstellung Arbeit Sinn und Sorge im Dresdner Hygiene-Museum, die im Juni eröff net wird. Auch in der Wahrnehmung dieser Projekte (bzw. ihrer jeweiligen Spuren) lässt sich feststellen, wie sehr sich das kultu relle Lebensgefühl unter dem Einfluss der letzten Herbst/Win

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ter-Saison verändert hat. Die (in Kooperation mit der KurzFilm Agentur Hamburg entstandene) Kurzfilmrolle mach doch , was du willst etwa verströmt trotz deutlicher Gegenwarts kritik noch eine erstaunliche Zukunftsgewissheit, die sich auf die Initiativ- und Arbeitskraft des Einzelnen gründet. Die drei Hauptthesen, die sich in den elf Beiträgen finden, sind, dass sich die Existenz über Arbeit definiert, dass Arbeitsbeschaf fung und Arbeitsgestaltung selbst in die Hand genommen wer den müssen und dass das bestehende System reichlich Absurdi täten gebiert, über die man aber immer noch lachen kann. Wie in Peters Prinzip, einem Knetmännchen-Trickfilm von Kathrin Albers und Jim Lacy. Darin wird die Theorie des Soziologen Laurence Peter veranschaulicht, nach der jeder Arbeit nehmer bis zu dem Posten befördert wird, für den er nicht mehr kompetent ist, auf dem er dann aber sein gesamtes restliches Arbeitsleben lang verharrt. Im Film arbeitet ein Krokodil im Schwimmbad erst als Kassierer, dann als Bademeister und wird schließlich Chef einer Schwimmringfabrik, die am Ende in die Luft fliegt.

Von lustiger Deutlichkeit ist auch Waldmeister , ein Beitrag von Markus Mischkowski und Kai Maria Steinkühler. Weil ih nen private Wertstoffsammler die Arbeit wegnehmen, schlep pen zwei Ein-Euro-Jobber hier extra Fremdmüll in den Stadt park, für dessen Säuberung sie zuständig sind. Und Bus von Jens Schillmöller und Lale Nalpanteglo erzählt die Geschichte eines entschlossenen Dienstleistungstrupps, der ohne Auftrag Überflüssiges leistet und dann dreist in Rechnung stellt. Alles gut gelaunte Beiträge, die gerade in ihren Zuspitzungen zeigen, dass alles noch viel schlimmer sein könnte. Pessimistisch zwar hinsichtlich staatlicher Lösungen, aber mit viel Vertrauen in die Pfiffigkeit des Individuums, zumindest selber noch mit heiler Haut davonzukommen.

Auch bei den Schriftstellern stehen das Individuum und die Ge sellschaftskritik naturgemäß im Vordergrund. Und so befassen sich gleich fünf der siebzehn (im Suhrkamp Verlag erschienenen) Arbeitsreportagen für die Endzeit mit Aussteigeroder Individualisierungsbiografien: Juli Zeh schrieb über ein lesbisches Paar aus Berlin, das in Brandenburg mit Pferdepflege und Tauschhandel sein privates Glück findet. Gabriele Goettle besuchte einen ehemaligen Theaterwissenschaftler auf seinem Ziegenhof. Georg Klein hatte mit einem Ex-Punk zu tun, der als esoterisch angehauchter Schandwerker eine Art Mädchen für alles ist. Thomas Kapielski zeigt sich als permanenter Reprä sentationsverweigerer. Und Oliver Maria Schmitt porträtiert die nach ihrer Berentung im Sozialdienst tätige Birgit als fitte Alte. Es finden sich in diesem Buch auch je einzelne Beispiele, wie man sich mit veränderten Gegebenheiten arrangiert oder sie für sich nutzt oder welche Arbeitsmoral die Internettätigkeit gebiert. Und in den gesellschaftskritisch orientierten Texten fühlt Bernd Cailloux dem Zukunftsforscher des VW -Werks auf den Zahn, stellt Thomas Raab fest, dass es in der Konsumwirtschaft nicht möglich sei, nicht zu arbeiten (weil man auch als Konsument ka pitalistisch tätig sei) oder beschreibt Felix Ensslin die Kaste der politischen Referenten.

Formal ist das zuweilen sehr verspielt, und gleich vier Autoren denken im Rahmen ihrer Reportage auch hörbar (lesbar) über ihre eigene Arbeit nach. Aber diese Verschnörkelung kann auch der etwas mühsamen Rahmenerzählung des Herausgebers Jo hannes Ullmaier geschuldet sein, derzufolge er von Wesen aus dem Jahr 2440 den Auftrag erhalten habe, »Literaturdichter« zu finden »die uns reportieren«, wie die Welt Anfang des 21. Jahr hunderts eben so aussieht im »Deutschsprachraum«. Trotzdem ist der vorliegende Band bemerkenswert. Er zeigt, aus welchen Weltenfernen sich manche Schriftsteller dem Thema Arbeit in der Konkretion nähern. Und er zeigt, mit welchem Ge winn das geschieht. Erfahrungsgewinn für sie selber. Und Ge winn an gedeuteten Zeichen für den Leser. Für die Lektüre von heute symptomatisch ist, dass sich nur zwei Autoren mit einer ganzen Gruppe von Leuten und dann auch gleich mit ausge machten Verlierern des Systems beschäftigen: Kathrin Röggla in ihrem Text über Schuldnerberatungen in Los Angeles und in

Berlin und Wilhelm Genazino in einem Feuilleton über das Bet teln. Wobei ausgerechnet Genazinos Text zu den optimistischsten des Buches zählt, weil er fest davon ausgeht, dass diese Tätigkeit mit angemessener Schulung durchaus ein Erwerbszweig sein könnte.

Von robuster, fast krisensicherer Aktualität erscheinen hingegen die Filmreihe und die Festivals zum Thema Work in Pro gress : Aus einem von den Freunden der Deutschen Kinema thek in Berlin erstellten Pool von 75 Filmen zum Thema Arbeit haben sich Kinobetreiber aus der gesamten Republik ein auf ihre jeweilige Stadt zugeschnittenes Festival zusammenstellen kön nen. So interessierten in der Medienstadt Köln natürlich ›Filme über das Filmemachen‹, in Sindelfingen die globalisierte Arbeits welt, in Bad Tölz die Zukunft der Erholung und in Berlin auch der Genderaspekt der Arbeitswelt. Kommunal orientiert und vielfach anwendbar ein Veranstaltungstyp mit Potential zum Klassiker!

Ein weiteres Projekt, das ganze Gruppen in Bewegung setzte, war der (in Trägerschaft der Leipziger Agentur Visionauten durchge führte) Selbst-Förderfonds Der 100.000 Euro Job. Hier durf ten die Antragstellenden (Leute bis 26 Jahre) die Fördergelder in eigener Verantwortung verteilen und dadurch über Güte und Wichtigkeit aller eingereichten Projekte selbst entscheiden. Bun desweit gingen aus dieser 2006 gestarteten Aktion 47 kleine und mittlere Projekte hervor, die ein erster Ansatz für Arbeit waren, Arbeit erleichterten oder thematisierten: Ein Arbeitslosenstrei chelzoo auf dem Berliner Alexanderplatz. Ein Film über Öko dörfer. Eine Buttonserie ( Galerie am Körper ) zum Thema Berufe. Eine Berliner Podcast-Oper für den Weg zur Arbeit. Oder eine Mutmachmaschine in einem Erwerbslosencafé in Pirmasens, bei der kleine Freuden geboten (etwa ein Keks), aber auch bereitet werden mussten (selber einen Keks ausstechen). Für die Projektemacher war das eine »prima Sache«, wie einige von ihnen in einer filmischen Begleitdokumentation sagen. Sie haben das Selbstvertrauen gewonnen, planen und die Planung auch durchführen zu können. Sie haben etwas geschaffen, was ihnen Spaß machte, wobei die Sache selbst tendenziell wichtiger war als das Ergebnis. Eine Mutmachveranstaltung im Ganzen also ganz bestimmt. Aber nicht auch eher ein Streichelzoo für die Generation Praktikum? Denn von welcher Produktionsfir ma bekommt die Ökodorffilmerin das nächste Geld? Der But tonmacher hat seine Idee zumindest in einen 80 -Cent-Shop (pro Einzelbutton) im Internet verwandelt, während man sich die Podcast-Oper von Justin Lépany kostenlos herunterladen kann.

Wo kulturelle Leistung immer weiträumiger nur mit Aufmerk samkeit entgolten wird, aber gleichzeitig als Entwicklungslabor der Echtweltunternehmungen immer wichtiger wird, müsste bun deskulturell als Nächstes eigentlich an großflächigen Lösungen zum Überleben ohne Erwerbsarbeit gearbeitet werden. Programm titelvorschlag: Zukunft im Netzwerk. Oder: Wer Ideen hat, der soll auch essen.

Die Dresdner Ausstellung Arbeit Sinn und Sorge scheint siehe das Interview mit Daniel Tyradellis auf S. 12 durchaus schon in dieser Richtung voranzugehen, wenn sie etwa zeigt, dass bei der Arbeit noch nie allein der Gelderwerb gezählt hat oder dass exakt die gleiche Tätigkeit mal im Kontext einer Er werbsarbeit stehen, mal als Kunst oder in einer noch immer so genannten Freizeit stattfinden kann. Doch bei einer Neufassung des Arbeitsbegriffes geht es nicht nur um anthropologische und soziologische Fragen. Sondern ganz konkret auch um das zu künftige ökonomische Überleben des homo ludens. Dass Kultur nicht immer nur der Luxus ist, den sich die Gesellschaft leistet, sondern den sich immer häufiger umgekehrt die Kulturschaffenden leisten, indem sie auf Marktpreise für ihre Arbeit verzich ten, ist dabei das eine. Dass es wichtig ist, diese Trennung von Kultur und Markt! trotzdem und unbedingt beizubehalten, das andere.

Kohse , promovierte Theaterhistorikerin, Redakteurin und Feuille tonistin, lebt in Berlin.

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Petra

ware als kunst von helmut höge

Was haben Le Grand Magasin und die Große Pyramide gemein sam (vgl. Petra Kohse in ihrem Rückblick auf das Gesamtprogramm Arbeit in Zukunft , S. 16 )? Es waren, wenn man die öffentlichen Medien zum Maßstab nimmt, die spektakulärsten Projekte im antragsoffenen Fonds Arbeit in Zukunft . Bei beiden Projekten schien die Grenze zwischen einem kreativen Kulturprojekt und der Erprobung einer Idee, wie sich der Wandel der Arbeitsge sellschaft produktiv umsetzen ließe, fließend. Wenn es um Arbeits-Projekte geht, liegt das beinahe in der ›Natur‹ des Themas. Helmut Höge sucht in seinen Über legungen zum Grand Magasin den schmalen Grat zwischen Kultur und Ökonomie auf und zeigt, wie belastbar er ist.

» die menschen entdecken sich in ihren waren wieder «

herbert marcuse

Seit Marcel Duchamp ab 1923 seine Ready-Mades (industriell ge fertigte und vom Künstler lediglich signierte Gegenstände) aus stellte, weiß man, dass ein Objekt, eine Ware (in seinem Fall u.a. ein Urinal und ein Flaschentrockner) in dem Moment zu einem Kunstwerk werden kann, in dem der Künstler es dazu bestimmt. Im Anschluss an Duchamp gelang Andy Warhol in den Sechzi gerjahren eine Erweiterung des Kunstbegriffs um Produkte aus der Warenwelt, indem er Suppendosen und Waschmittelkartons por trätierte. Sie gelten inzwischen als Ikonen der Kunstgeschichte. 1984 stellte Joseph Beuys hunderte von DDR -Waren des täglichen Bedarfs aus vom LPG -Mehlsack bis zur Karo-Zigarettenpa ckung. Für die Kunsthistorikerin Barbara Straka war seine Instal lation, die er Wirtschaftswerte nannte, »ein provokativer Akt gegen die schillernde Ästhetik der westlichen Warenwelt«. An Duchamps Ready-Mades kritisierte Beuys zur gleichen Zeit, dass er sie mit diesem Kunstgriff vollständig von ihren Produktionsbedingungen abgetrennt habe.

Seitdem hat sich eine ganze Reihe von Künstlern mit dem Ver hältnis von Kunst und Ware sowie ihren spezifischen Produk tions- und Rezeptionsbedingungen auseinandergesetzt. Dem US -Künstler H J . Semjon geht es mit seinen Product Sculp tures und bezugnehmend auf Beuys um das Ewigkeitsverspre chen von Kunst und die Vergänglichkeit von Waren des täglichen Bedarfs. Seine Beschäftigung mit diesem Thema gipfelte 2000 in einem Projekt in New York, wo er alle Waren eines Lebensmit telladens mit Bienenwachs präparierte. Man konnte sie jedoch ebensowenig kaufen wie die DDR -Waren von Beuys oder bei spielsweise die Kleider von Prada, die zwei Künstler, Ingar Drag set und Michael Elmgreen, 2003 in einem ›Shop‹ an einer gott verlassenen Straße, die durch die texanische Wüste führt, aus stellten. Ihr ›Geschäft‹ wurde übrigens von Dieben heimgesucht, woraufhin die Firma Prada ihnen kostenlos neue Ware lieferte. Zuletzt stellte die Künstlerin Sylvie Fleury in einer Genfer Gale rie etwa 100 Paar teure Schuhe in zwei Glasvitrinen aus. Alle die

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se unverkäuflichen ›Waren‹ bekamen eine Aura von Kunstgegen ständen dadurch, dass sie dem üblichen Warenverkehr entzogen oder in ›Kunsträumen‹ platziert wurden. In der Regel verbanden die Künstler diese Projekte mit kapitalismus- oder konsumkritischen Aussagen.

Das Le Grand Magasin , einem von der Kulturstiftung des Bundes geförderten, zeitlich befristeten Projekt im Rahmen ih res Programms Arbeit in Zukunft, 1 unterscheidet sich auf den ersten Blick wenig von einem der vielen umliegenden Läden in der Neuköllner Karl-Marx-Str. Es sind hauptsächlich ›Billigund Ramschläden‹, in denen man alles Mögliche für 1 Euro be kommt. Auch im Grand Magasin wird ver- und gekauft. Und auch in diesem Kaufhaus, das allerdings nur temporär in der Ga lerie im Saalbau eingerichtet wurde, wird ›alles Mögliche‹ ange boten: Plastik- oder Holzspielzeug, Herren- und Kindersandalen, Gießkannen, Waschmaschinen, Wiegemesser, Tablettendosie rer, Maniküresets, Bürocontainer, Harken, gewebte Schals, Cam pingstühle und und und. Sie kosten auch mehr als 1 Euro: die Harken 39 Euro, das Wiegemesser 23 Euro, der Kindertretroller kostet 38 Euro, ein metallener Schornsteinaufsatz immerhin 320 Euro, den Tablettendosierer gibt es allerdings schon ab 1,40 Euro.

Den Waren selbst sieht man nicht an, wie sie produziert wurden. Sie alle stammen aus Produktivgenossenschaften, von denen es im europäischen Ausland wesentlich mehr als in Deutschland gibt. Dementsprechend stammen die meisten Produkte nicht ›von hier‹, sondern ganz überwiegend aus den Nachbarländern, hauptsächlich aus Mittel- und Osteuropa, aber auch aus Italien, Spanien oder Frankreich. Idealtypischerweise ist in Produktivge nossenschaften jeder Beschäftigte Teilhaber und jeder Teilhaber Beschäftigter. Meist entstanden diese Kollektivunternehmen dadurch, dass Arbeiter, Handwerker oder Kleinunternehmer sich zusammentaten, weil ihre Betriebsmittel und ihr Kapital nicht ausreichten, um sich einzeln am Markt behaupten zu können.

Aber auch als Genossenschaften sind sie noch durchweg Zwerg unternehmen im Vergleich zu den Marktführern in ihrer Bran che. Dies gilt selbst noch für den Elektrogerätehersteller Fagor der weltgrößten Genossenschaft Mondragon, die 102 000 Mitarbeiter hat wenn man sie z.B. mit General Electric oder Sie mens/Bosch vergleicht. Wie andere Waren auch finden die Ge nossenschaftsprodukte den Weg zu den Kunden über Werbung und Vertrieb, Groß- und Einzelhandel. In Osteuropa mussten die Genossenschaften sich all dies mühsam und sozusagen über Nacht aufbauen über den laufenden Produktionsbetrieb hinaus, wobei sie die Produkte auch noch in qualitativer und ästhe tischer Hinsicht — bis hin zur Verpackung an Standards des Westens anpassen mussten, um mit ihnen konkurrieren zu kön nen: In den Auslagen von Läden und Kaufhäusern zählen Preis, Design und Verarbeitungsqualität der Waren, ihre genossen schaftliche Herkunft findet sich höchstens als kleiner Hinweis auf der Verpackung. Das Projekt Le Grand Magasin hat sie aus dieser Quasi-Anonymität geholt und präsentiert sie nun, mindestens im Rahmen der Galerie, außer Konkurrenz, denn es gibt auch keine Artikel in der Ausstellung, die sozusagen doppelt angeboten werden also einmal von dieser und einmal von je ner Genossenschaft. Ein simpler Schuhanzieher oder ein Pfef ferstreuer repräsentiert dergestalt auch zugleich die Idee eines (tschechischen) Schuhanziehers bzw. eines (slowakischen) Pfef ferstreuers. Verbunden mit den allgemeinen und konkreten Hin weisen auf ihre genossenschaftliche Produktion machen diese Dinge nun den Eindruck, dass sie von den Herstellern gewisser maßen kollektiv signiert wurden, was sie, zumal in einem Aus stellungs-Kontext, einmal mehr zu Kunstobjekten macht. Weil sie sich aber in den vergangenen Monaten auch gut verkauften, in der Galerie und über das Internet, könnte man vielleicht mit Andy Warhol auch sagen: »Good Business is the Finest Art!« Die beiden Berliner ›Trendforscher‹ Holm Friebe und Thomas Ramge haben in ihrem 2008 erschienenen Buch Marke Ei genbau Der Aufstand der Massen gegen die Mas

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senproduktion viele Indizien dafür gefunden, dass indivi duell hergestellte Produkte über E-Commerce -Plattformen einen ›globalen Marktplatz‹ haben, und dass diese private label sogar der fordistischen Massenware ein Ende bereiten könnten: Sie er freuen sich immer größerer Beliebtheit, die Umsätze ihrer Her steller steigen, nicht zuletzt, weil sie ihre Waren ›persönlich‹ im Internet anbieten. Je ›authentischer‹ sie und ihre Produkte dabei wirken, desto erfolgreicher. Was sich wie ein typisch kapitalisti scher Verkaufs-Widersinn anhört, könnte jedoch bald ebenso auch für die Genossenschaften und ihre Waren gelten diese Form der ›Arbeit in Zukunft‹ stößt beim Konsumenten auf grö ßere Resonanz (wozu nicht zuletzt die zunehmende öffentliche Kritik an Hire and Fire -Methoden und Ausbeutungsbetrieben in der Dritten Welt beiträgt).

Um die Waren nicht mit Texten und Bildern zu den einzelnen Genossenschaften zuzudecken, hat der Ausstellungskurator An dreas Wegner beide äußerst knapp eingesetzt obwohl gerade deren Beschaffung einen Großteil des Budgets verschlang: Die Reisen nach Italien, Spanien, Frankreich, Tschechien…, um dort die Hersteller zu interviewen und zu fotografieren, und sie zu gleich sozusagen persönlich zu überreden, sich an der Verkaufs ausstellung zu beteiligen. Auch dieses Verfahren, dass man den Waren eine Geschichte verpasst, nicht zuletzt, um sie damit buchstäblich aufzuwerten, hat inzwischen Tradition. Das begann mit Titeln wie Hoflieferant und Werkstatt-Reputationen sowie Reformhäusern, die einen bestimmten Qualitätsstandard garan tierten, und hört mit den Produzenteninformationen bei Ökound Fair-Trade-Artikeln noch lange nicht auf.

Der Kulturwissenschaftler Nico Stehr spricht von einer »Moralisierung der Märkte«, die mehr und mehr zum »Bestandteil der Produktions- und Konsumtionsprozesse« wird ohne dabei ei nen »Bruch mit dem Kapitalismus zu signalisieren«. Er denkt da bei an Bioläden, Eine-Welt-Läden, Regionalmärkte und aufge klärte Verbraucher, die sich über die Herstellungsbedingungen der Waren, die sie kaufen, informieren, und sich dann sogar »um weltbewusst« verhalten um z.B. CO2-reduzierende Maßnah men in ihrem persönlichen Umfeld zu ergreifen, nicht zuletzt durch Kaufboykott bzw. Konsumverzicht. Aus der Landkommunenbewegung heraus entstand dazu bereits 1981 ein moralisch bzw. ethisch motivierter Selbstversuch von Peter Mosler im hessischen Vogelsberg: Die vielen Dinge machen arm . Während zur gleichen Zeit einige größere LandGenossenschaften wie die AA -Kommune Friedrichshof und die Longo-Mai-Kooperative alles Eigentum kollektivierten und (dadurch) gleichzeitig reduzierten. 1995 verbanden sich diese und ähnliche Konsumkritiken noch mit eher an der Warenpro duktion als an der Konsumption orientierten Ding-Geschichten z.B. in der Werkbund-Wanderausstellung Welche Dinge braucht der Mensch ? Sie fand unter der Schirmherr schaft von Ernst Ulrich von Weizsäcker statt damals noch Präsident des Wuppertaler Instituts für Klima, Umwelt, Energie. »Die Preise sagen ›Kauf mich‹, aber sie sagen nicht die ökologische Wahrheit«, schrieb er im Vorwort des Katalogs. Daneben wurde darin die »Kritik der Warenästhetik« (von W F.Haug 1970 ) wie der aufgegriffen, also dass die Gebrauchswerte nicht (mehr) hal ten, was ihre immer aufwändigere Warenwerbung verspricht, so wie auch die von Herbert Marcuse ausgehende Frage nach den wahren und falschen Bedürfnissen diskutiert. Der Medientheo retiker Norbert Bolz wandte dagegen 2008 ein: »Wir haben gar keine Bedürfnisse mehr. Wann haben Sie das letzte Mal Kleider gekauft, weil Ihnen kalt war?«

Die Waren im Le Grand Magasin vermitteln den potenti ellen Käufern über die Hinweise auf ihre genossenschaftliche Herkunft, dass sie von Arbeitern hergestellt werden, die am Un ternehmen beteiligt sind und über die Verwendung des Profits mitbestimmen. Schon die Entstehungsgeschichten von Produk tionsgenossenschaften sind anders als die vieler ›normaler‹ Be triebe, die meist aus einer Ingenieurs-Idee oder -Erfindung her vorgingen: z.B. die der tschechischen Genossenschaft DUP, in

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der heute etwa 250 Mitarbeiter Maniküresets und Schminkkoffer herstellen: Sie wurde im Mai 1945 von einer Gruppe Frauen ge gründet, deren Männer im KZ oder im Gefängnis gewesen waren. Anfänglich bemalten sie Holzsouvenirs. Da es sie dann schon mal als Arbeitskollektiv gab, beschlossen die Kommunisten nach der Machtübernahme, daraus einen Industriestandort zu machen, der eine Perspektive im Rahmen ihrer Planwirtschaft und der Arbeitsteilung zwischen den sozialistischen Staaten hat te dazu investierten sie erhebliche Mittel. Oder die italienische Genossenschaft Copart: Sie wurde 1926 von einer Gruppe von Schiffsbauern gegründet, nach Krieg und Wiederaufbau gab es bald nur noch Bedarf an Metallschiffen, woraufhin sie sich um disponierten nun stellen sie Küchen her. Erwähnt sei noch die Glasfabrik CIVE im Geburtsort von Leonardo da Vinci: Sie be schäftigt 40 Mitarbeiter und wurde 1950 von einer Gruppe Glas bläsern ins Leben gerufen, um deren Produkte gemeinsam ver markten zu können. Heute ist die Fabrik weitgehend maschini siert und stellt edle toskanische Gläser vornehmlich für den US Markt her.

Grob gesagt unterscheiden sich die osteuropäischen Produktiv genossenschaften von den westeuropäischen dadurch, dass ers tere noch immer eine sehr große sog. Fertigungstiefe haben. So wird z.B. das Holzspielzeug der südböhmischen Genossenschaft JAS aus ganzen Buchenstämmen hergestellt, wobei die Genossen die Bäume nicht nur selbst fällen, sondern den Einschlag an schließend sogar wieder aufforsten. Während die französische Genossenschaft Moulin Roty ihre Spielzeug-Objekte nur noch entwirft hergestellt werden sie im Billiglohnland Rumänien. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass die osteuropäischen Genossenschaften sich bewusst ›antikommunistisch‹ verstehen, de facto jedoch noch sehr proletarisch-produktionistisch orien tiert sind, während andererseits die italienischen sich sehr kom munistisch geben, ihre Produktion jedoch längst streng kapita listisch organisiert und auf den Markt ausgerichtet haben. Dieser Unterschied spiegelt sich auch in ihrer Produktwerbung wider, die in Osteuropa noch eher eine Produktions- als eine Produkt werbung ist. Auf den Werbe- DVD s der westeuropäischen Genos senschaften kommen unter Volldampf laufende Maschinen und erst recht die Arbeiter so gut wie nicht mehr vor.

Die tschechischen und slowakischen Genossenschaften bzw. ih re Waren verbreiten durch ihre Überzahl in der Neuköllner Aus stellung insgesamt den Charme einer hinübergeretteten kom munistischen Produktkultur. Man könnte hierbei auch von einer speziellen »Aura« der Dinge sprechen. Walter Benjamin defi nierte sie als »einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie auch sein mag«. Das wäre hier so zu verstehen, dass die ausgestellten Objekte auf die Vorform des Warentauschs zurückverweisen: den Geschenk- oder Gabentausch. Dieser ist gekennzeichnet durch die Verpflichtung der Reziprokation der empfangenen Gabe, der Warentausch dagegen durch das Postulat der Äquiva lenz der getauschten Objekte. Hier herrscht Gegenseitigkeit dort Gleichwertigkeit. Ersteres bezieht sich auf Personen, letzteres auf Dinge. Im Gabentausch wird Gesellschaft direkt und konkret hergestellt, im Warentausch dagegen bloß abstrakt über den Wert (der Dinge). Das betrifft auch die Ware Arbeits kraft. Zwar eignet der Gabentausch den sogenannten primitiven Gesellschaften, aber auch und gerade bei den heutigen Genos senschaften spricht man noch von »Gemeinwirtschaftlichkeit« und »Hilfe auf Gegenseitigkeit« auch Mutualismus genannt (als Gegenbegriff zum darwinistischen Utilitarismus), der von den Anarchisten Kropotkin und Proudhon geprägt wurde und sich noch bei allen Genossenschaftstheoretikern wiederfindet.

Weil aber diese selbstorganisierte menschenfreundliche Produk tionsweise sich in einem kapitalistischen Umfeld behaupten muss, haben die Marxisten prognostiziert, dass sie darin, auf sich allein gestellt, nicht lange Bestand haben wird. Rosa Luxemburg nannte die Produktivgenossenschaften ein »Zwitterding«. Von links bis rechts hat man diesen »Kindern der Not« kein langes Leben prophezeit, nicht zuletzt weil die Kosten pro Arbeitsplatz

aufgrund der Maschinisierung und Automatisierung ständig steigen. Desungeachtet meinte der Genossenschaftsforscher Jost W. Kramer von der Universität Wismar bereits 2005, »dass derzeit in vielen europäischen Ländern Produktivgenossenschaften als Lösungsansatz für aktuelle Wirtschafts- und Sozialprobleme diskutiert werden, so nicht zuletzt auch in Deutschland.« Die Auswirkungen der Finanzkrise machen diese Diskussionen nun noch dringender. Die Beteiligten tun gut daran, sich in Bezug auf den Absatz ihrer geplanten Produkte rechtzeitig mit Konsumge nossenschaften zu verbünden, wie dies z.B. in Italien und der Schweiz der Fall ist. Das Projekt Le Grand Magasin brach te Andreas Wegner auf die Idee, daraus in der Folge eine Kon sumgenossenschaft zu gründen, um die Kooperation mit den Produktivgenossenschaften auszubauen und nachhaltig werden zu lassen.

Die Aura, vor allem der aus den ehemals sozialistischen EU -Län dern stammenden Genossenschaftsprodukte hat etwas Nostal gisches oder Melancholisches (im Sinne von »Apathie in der Ge genwart und Heimweh nach der Vergangenheit«).2 Der Kurator hat diesem ›Eindruck‹ jedoch entschieden gegengearbeitet bzw. ihn durch die minimalistische Präsentation dieser Artikel in den White Cubes der Galerie zurückgedrängt. Er hat damit allen Versuchungen widerstanden, mit der man heute die Ware an den Mann bringt und so im Gegenteil tendenziell aus Waren Kunstwerke geschaffen, deren Aura einem Fading-Away unter worfen wurde, bis dahin, dass die Utopie eines reinen Gebrauchs werts (wieder) in greifbare Nähe rückt.

1 Neben der Kulturstiftung des Bundes wird das Projekt auch noch von den Brüsseler Genossenschaftsverbänden Cooperatives Europe und Cecop sowie vom EU Kultur Programm 2007 2013 und vom Kulturamt Neukölln gefördert. Mitorganisatoren sind das Trafó — House of Contemporary Arts / Trafó Gallery, Budapest, Ungarn; das Institute of Contemporary Art — ICA , Dunaújváros, Ungarn; die Jan Evangelista Purkyne University, Faculty of Art and Design, Tschechien, und die Emil Filla Gallery in Usti nad Labem. Diese wurden wiederum vom Nationalen Kulturfonds Ungarn bzw. von der Tschechischen Kulturstiftung gefördert. Die mehrfache Projektunter stützung könnte man auch als flankierende Kulturmaßnahme für einen EU Beschluss aus dem Jahr 2006 begreifen, mit dem die Gründung von »be schäftigungsorientierten Genossenschaften« gefördert wurde, um »lokale Ökonomien« zu stärken. Das Land Berlin bot sich an, hierbei eine »Vorrei terrolle« zu spielen, schreibt Jost W. Kramer in einer Studie mit dem Titel Geförderte Produktivgenossenschaften als Weg aus der Arbeitslosigkeit? Das Beispiel Berlin . Kramer hebt darin vor allem auf die Widersprüche in den Fördermaßnahmen ab, die zwar die Gründung von Produktivgenossenschaften forcieren sollen, deren Pro cedere jedoch gleichzeitig jeden abschreckt. War es bei den Ich-AG s noch das allzu hohe persönliche Risiko, so sind es nun bei den Wir-eGs die Hür den der behördlichen Überkomplexität resultierend aus deren widerstrei tenden Interessen und Ideologien. Kramer befürchtet denn auch, »dass die Maßnahme die beabsichtigten Ziele nicht erreicht«. Dennoch gründeten sich hier bereits eine Reihe neuer Genossenschaften, darunter erstmalig auch einige Kulturgenossenschaften von Künstlern bzw. ComputerSpezialisten.

2 Und das mitunter gegen den Willen der an ihrer Herstellung Beteiligten, die u.a. in Tschechien die Genossenschaften dergestalt schon tendenziell in ihrem Kern, ihr grundlegendes Prinzip »Jedes Mitglied eine Stimme« per Genossenschaftsgesetz neoliberal aufweichten. So vereinigt z.B. die Geschäftsführung der mährischen Genossenschaft VYVOY, die 1931 von 19 kleinen Textilherstellern gegründet wurde und in der heute von 250 Mitar beitern im Akkord Anzüge u.a. für BOSS produziert werden, allein 70 % der Stimmen auf sich. Während der Prager Verbandsvorsitzende sie als sei ne Vorzeige-Genossenschaft wärmstens empfahl, meinten italienische Verbandsvorsitzende empört, das sei doch keine Genossenschaft mehr. Ihr Hauptgeschäftsführer, JUD r. Rostislav Dvorak sagte es so: »Kollektive Entscheidungsprozesse sind hervorragend beim gemeinsamen Grillen am Feuer, aber nicht in einem modernen Produktionsbetrieb.«

Helmut Höge , Jahrgang 1947, war zunächst Dolmetscher bei der US Air Force und bei einem indischen Großtierhändler, studierte dann Sozialwissen schaften in Berlin, Bremen und Paris und arbeitete anschließend als landwirt schaftlicher Betriebshelfer in West- und Ostdeutschland. Derzeit ist er vor allem journalistisch tätig und hat wieder einen außergewöhnlichen Job: Aushilfshaus meister bei der Tageszeitung in Berlin. Zuletzt erschien von ihm im Kad mos-Verlag das Buch WPP — Wölfe Partisanen Prostituierte Berlin 2007

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zurichtung
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Die Wende von 1989 kam nicht aus heiterem Himmel. Sie hatte in den Ländern Mittel- und Osteuropas eine jahrzehn telange Vorgeschichte, deren Schlüsselereignisse in den Ge dächtnissen des Widerstands in diesen Ländern verankert sind. Schon in den fünfziger Jahren kämpften Arbeiter und Dissidenten in Polen, der DDR und Ungarn gegen die sow jetische Vorherrschaft über den Ostblock. In Ungarn brach 1956 ein Volksaufstand aus, der von sowjetischen Truppen blutig niedergeschlagen wurde. Die Macht übernahm der moskautreue János Kádár, der wenig später die Repressionen aufhob und durch seine Politik der bedächtigen Libera lisierung, den so genannten ›Gulaschkommunismus‹, in die Geschichte einging. In einem geschickten Schachzug war es Kádár gelungen, sich die Ziele der Reformer, von denen viele auf schlimmste Weise ums Leben kamen, im Nachhin ein auf die Fahnen zu schreiben. Für eine ganze Generation von Regimekritikern sollten der Aufstand und seine Folgen eine traumatische Erfahrung bleiben. Der Vater des ungarischen Schriftstellers Attila Bartis ge hört zu dieser Generation. Nicht nur sein Leben, auch das seines 1968 geborenen Sohnes wird von jenem schicksal haften Datum ’56 geprägt. Zunächst zur Todesstrafe verur

teilt, weil er bei Ausbruch der Revolution in Ungarn als An gehöriger der ungarischen Minderheit in Siebenbürgen ein patriotisches Gedicht verfasst und es öffentlich deklamiert hat, überlebt Ferenc Bartis ein siebenjähriges Martyrium in einem rumänischen Gefängnis. Unter der Diktatur Ceaus¸escus blieben die Ungarn in Rumänien Repressalien und Verfolgungen ausgesetzt. Ungarischsprachige Schulen, Ver lagshäuser und Kultureinrichtungen wurden geschlossen, und die Ungarn wurden gedrängt, ihren Kindern rumänische Namen zu geben. Die Ausreise nach Budapest schließ lich, im Jahr 1984, war eine weitere einschneidende Erfah rung für die Familie Bartis. Vor dem Hintergrund dieser spannungsreichen Erinnerungen skizziert Attila Bartis das Verhältnis zu seinem Vater. Seine Erzählung ist ein weiterer Beitrag zu unserer Reihe Väter und Söhne . Schriftsteller aus Mittel- und Osteu ropa sichern darin jene Spuren, die die Transformationspro zesse in ihren Familiengeschichten hinterlassen haben, und untersuchen, wie diese Erfahrungen den Wechsel der Ge nerationen geprägt haben. Den Anfang machten der tsche chische Autor Jáchym Topol und Mircea Ca˘rta˘rescu aus Rumänien.

nichteuklidische bagatellen

von attila bartis

1Vom Bahnsteig aus war nur ein letzter Abglanz des Nachmittags zu sehen, über die zu Eis erstarrten Bergrücken hinweg glitt er auf das Tal des Maros zu. Der Schaffner wartete ab, bis die alte Frau ihre beiden Körbe und den Sack heruntergeholt hatte, dann gab er dem Lokomotivführer das Zeichen zur Weiterfahrt. Nie mand stieg ein.

Vor der Betonbaracke der Soldaten vom Arbeitsdienst brannte Feuer in einer Tonne. Der Wächter im Militärmantel stocherte mit dem Bajonett in den Flammen, hob ein halb verkohltes Holzscheit heraus, zündete sich damit eine Zigarette an, warf es zurück. Es ist kalt, wir nehmen eine Abkürzung, sagte mein Vater, und hinter dem Vier-Uhr-zwanzig-Zug machten wir uns den Bahndamm entlang auf den Weg, vor den Baracken, das war zwar nicht erlaubt, aber der Wächter sah, dass mein Vater mit einem Kind unterwegs war und nur abkürzen wollte.

An der Schranke war es schon stockfinster. Hoch oben, irgend wo um die Mitte der rot-weißen Stange, baumelte an einem Ha ken eine Lampe, damit man sehen konnte, ob die Nebenstraße zwischen den beiden Dörfern frei war. Viel nützte sie nicht, im Winter fährt hier um diese Zeit nichts mehr, allenfalls das eine oder andere staatliche Auto vom Verwaltungsbezirk verirrt sich hierher. Einheimische fahren nach Einbruch der Dunkelheit nicht gern durch das Becken. Sie sagen, die Pferde mögen das nicht. Aber auch wer einen Dacia hat, erfindet eine Ausrede und bleibt zu Hause.

Hinter den Pappeln an der Hauptstraße begann der Pfad zu den Kartoffelfeldern. Ihm reichte der Schnee bis zu den Knien, mir

bis zur Hüfte. In einem Kunstledermantel, mit einer Aktentasche aus Kunstleder in der Hand, in Halbschuhen, stapfte Er vor mir den Schnee nieder, damit dieser auch mir nur bis zu den Knien reichte. Irgendwo rechts winselte ein Hund. Seine Stimme wanderte über die Berge, kam zurück, und schon winselten sie zu zweit. Der gehört dem Pálok. Der ist angekettet, sagte mein Vater, aber auch so war es ziemlich ungut.

Nach ungefähr zehn Minuten blieb ich stehen. Was ist los, fragte Er, worauf ich nicht antworten konnte, denn passiert war eigent lich nichts. Ich hatte auch gar nicht stehen bleiben wollen, ich ging nur nicht weiter. Es wäre gut gewesen, den Schnee zu sehen. Oder irgendetwas. Mach die Augen auf, sagte Er, dann fügte Er noch hinzu, dass man in solchen Fällen niemals stehen bleiben darf, weil man sonst einschläft. Und dann ist es aus. Siehst du, auch ich habe nur Halbschuhe an. Bleib nie stehen, mein Sohn, das ist das Wichtigste.

Dann blieben wir doch stehen: Am hinteren Tor war das Schloss zugefroren. Eine Weile mühte er sich mit dem Schlüssel ab, viel leicht hatte er aber auch gar keinen Schlüssel dabei. Schließlich hob er mich über den Zaun, reichte mir die Tasche, dann klet terte er auch selbst hinüber. Ein leerer Stall, vereiste Büsche, ein Birnbaum. Wir sind da, sagte er und blieb er vor dem Fenster ste hen, als würden wir von hier nicht mehr weitergehen.

Meine Großmutter saß am Tisch, sie putzte das Glas der Petro leumlampe. Ihr Kopf schwankte etwas, durch die geschlossene Tür schaute sie ins Nichts. Mein Großvater mühte sich auf dem Sofa mit dem Sokol-Radio ab, mit den von Gummis zusammen gehaltenen Batterien. Zwei flache Batterien musste man mit ein

ander verbinden, damit man 9 Volt hatte, aber die Berge und die Störsender auf ihren Gipfeln überschatteten alles. Von den Nach richten und von der Tanzmusik blieb nur ein wogendes Rau schen, aber irgendwie lohnte es sich doch.

Großmutter goss kaltes Wasser in die Schüssel, ich sollte meine Füße darin baden, aber das brannte. Mein Vater nahm die Zei tungen mit seinen Gedichten aus der Aktentasche. Während wir aßen, erzählte er, dass nächstes Jahr eine Stromleitung kommen werde. Es wird eine Kochplatte geben, einen Heizkörper, viel leicht sogar warmes Wasser, er hat es schon abgesprochen, dieses Jahr hat es nicht geklappt, die Zeiten waren eben so, aber nächs tes Jahr ist es auf jeden Fall soweit.

Dann kramte er noch in der Tasche und holte, als wäre es nur ein Vorschuss, zwei Flachbatterien hervor. Die mit 9 Volt gibt es auch in Marosvásárhely nicht, aber jetzt schaue ich in Brassó nach, sagte er, dann steckte er das Butterbrot ein, machte die Tasche zu und ging los, um den Sieben-Uhr-fünfzig-Zug nach Brassó noch zu erreichen.

Großmutter bat ihn, vorne auf der Straße zu gehen, wie es sich gehört, er wisse doch, hinten herum zu kommen und zu gehen bedeutet Schlechtes. Mein Vater sagte, gut, und ging auch in Richtung Tor los. Zuerst ließ er es laut ins Schloss fallen, damit wir es hörten, doch dann hörten wir auch, wie er im tiefen Schnee umkehrte und nach hinten losstapfte, über die Kartoffelfelder.

Das war vor etwa dreiunddreißig Jahren. Seit fünfzehn Jahren wohne meist nur ich in dem Haus, oder nicht einmal ich.

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Einmal machte ich vom hinteren Zaun aus ein Foto: Jenseits der verschneiten Kartoffelfelder, über dem Dél-hegy schimmerte gelb der Himmel in einer schmalen Krone, im Nachglanz schwebten durchschei nende Stacheln in der Luft. Dort über dem Bergrücken ging der Himmel von einem schmalen grünen Streifen plötzlich ins Blaue über, ins Dun kelblaue, nach Osten hin war alles schon ganz violett. Von dort nahte der Abend.1 Ich wartete ab, dann ging ich hinein. Auch am nächs ten Tag machte ich eine Aufnahme.

Auf dem siebzigsten Bild ist Frühling. Auf dem einundsiebzigs ten wieder Schnee. Aber erst zwei Jahre später, etwa beim vier hundertsten, wurde mir klar, dass es wahrscheinlich gar nicht die Wolken über dem Dél-hegy sind, die ich fotografiere.

Auf dem vierhundertzehnten wird gerade gemäht, denn es lohnt nicht, sich mit Kartoffeln abzugeben. Auf dem nächsten sieht man vor lauter Nebel nichts, und auf dem vom letzten Jahr ist dort ein Sägewerk.

Als ich gerade bei der Hälfte von Tausend war, blieb neben mir jemand stehen.

»In diesem Talkessel ist es kochend heiß.« Ich nickte, manchmal schon. »Wie heißt der da drüben?«

»Dél-hegy.«

»Ach was, es gibt keinen Dél-hegy, auch keinen Sinistra… Und welcher ist der Libán-teto˝?«

»Dort hinter der Esche.«

»Und die Gaukler? Die, die erfroren sind. Sind die auch echt?« »Kann sein. Ich weiß es nicht. Jedenfalls bin ich einmal von dort gekommen, und ohne meinen Vater wäre ich vor dem zugefrorenen Schloss stehen geblieben.«

was zu verstehen, das nicht zu verstehen ist, zum Beispiel wie man dieses Gulasch essen kann, wie man dieses Haar an den Tel lerrand legen kann, ohne sich zu übergeben, und sie wurden erst richtig verrückt, als das System mit einer leichten, eleganten Be wegung ohne sie abgelöst wurde, das System, das sie um den Preis ihres Lebens hatten ablösen wollen, und in der großen Euphorie über die Freiheit machte jemand sie darauf aufmerksam: aber meine Herren, auch Sie essen dieses Gulasch, und das war wirk samer als jede Hinrichtung, jedes Lehrbuch und die Pick-Salami, denn das war es, wovon sie derart wahnsinnig wurden, dass sie begannen, Gleichungen aufzustellen, und immer kam heraus, dass auf der einen Seite zwölf Gelynchte von der Staatssicherheit waren, und auf der anderen Seite sechsundsechzig Gewehrsal ven, zwölftausend Eingekerkerte und dreihunderteinundfünfzig Hingerichtete, und das ist mehr, und bei ihnen muss man sich genauso entschuldigen, wie nach Auschwitz bei den Juden, und als dieses Genauso endlich ausgesprochen wurde, verlas der jun ge, dynamische Moderator von dem Stichwortzettel nicht ein mal, was der Redakteur für ihn vorbereitet hatte: 1. auch Leute von der Staatssicherheit sind Menschen, 2. Kádár war kein Jude, 3. der Typ in der Mitte mit dem Schnauzbart aber schon, er hat so gar ein Tattoo mit seiner Code-Nummer, 4. heute Abend FetischParty bei Bubus, lies das aber ja nicht vor, du Vollidiot, also bei diesem Genauso holte der junge Mann im öffentlichen Dienst nicht einmal die Liste des Redakteurs hervor, sondern schüttelte bloß den Kopf und sagte, na aber meine Herren, und schon konnte man sie vorführen wie schwachsinnige Trottel, eigentlich war die Revolution damit zu Ende.«

2

»Bestimmt, auf sie kannst du auch stolz sein, Feri. Du hast wun derbare Enkel.«

Sechsundvierzig, fünfundvierzig, vierundvierzig.

»Und weißt du, worauf ich noch stolz bin? Dass mein Sohn so ei nen Freund hat.«

Dreiundvierzig. Zweiundvierzig. Einundvierzig. »Dankeschön, Feri.«

»Ach was, István. Ich danke dir. Aber du wirst sehen, ein-zwei Ta ge, und ich komme hier heraus. Und dann fahren wir sofort nach Szárhegy, nicht wahr, mein Sohn?«

Neununddreißig. Achtunddreißig. Siebenunddreißig. »Wenn sie bloß dieses verdammte Gift nicht in einen hinein trop fen ließen.«

Das ist kein Gift. Das sind schon Schmerzmittel, denke ich. »Klar fahrt ihr sofort«, sagt der Andere.

Natürlich fahre ich sofort, denke ich.

»Ich gehe jetzt, ruh dich aus, lieber Feri. Und glaub mir, eine sol che Statue wird es einmal geben.«

3

Die letzten Tage des Jahres verbringe ich im Geburtshaus meines Vaters. Draußen hat es jede Nacht minus achtundzwanzig Grad, manchmal dreißig. Tagsüber ist es ein paar Grad wärmer. Mit drei Elektro- und einem Holzofen gelingt es mir irgendwie, die Küche und das kleine Zimmer bewohnbar zu heizen. Glänzende Eispanzer an den Wänden der beiden großen Zimmer.

kurzmonolog

»…und von da an, als die Ordnungskräfte auf dem Marktplatz die Menge aufgelöst hatten, ging keiner mehr aus dem Haus, nicht einmal auf den Hof, was, sagen wir, ver ständlich war, denn die Leute von der Staatssicherheit hatten die wirksamste Methode gewählt, eine Menge aufzulösen, den ge zielten Kopfschuss, und ihre Ausbildungsoffiziere waren ziem lich gut, also schossen sie selten daneben, die einzige, die sie in der ersten Runde von den Dachfenstern des Rathauses aus nicht treffen konnten, war die Genossin Maschinenschlosserin Sára Voinich, denn sie stand bereits auf der Leiter, die jemand an das Gebäude gelehnt hatte, und schlug gerade mit dem umfassenden Sachverstand einer Maschinenschlosserin den roten Stern ab, in der zweiten Runde jedoch, als ein Exempel statuiert werden musste, damit jedem die Lust am Abschlagen von Sternen end gültig verging, da banden die Genossen Genossin Sára Voinich an eine der Birken auf dem Marktplatz, und jedes Mitglied der beleidigten Abteilung feuerte pro Kopf ein ganzes Magazin in sie hinein, also insgesamt siebenhundert Patronen, und so blieb von der achtundzwanzigjährigen Sára Voinich nur etwas Schmutz auf der zerfetzten Rinde der hundertjährigen Birke, und ihre Haare, die sich zusammen mit den Patronen in das Holz gebohrt hatten, dabei hatte sie ausdrücklich darum gebe ten, möglichst nicht in den Kopf, denn sie habe sich gerade ge kämmt, aber dann verschwanden auch die Haare, denn eines Nachts wollte dort jemand eine Kerze anzünden, aber dann fiel ihm ein, dass er mit der Kerzenflamme ein noch besseres Ziel abgeben würde als Sára Voinich, daher knotete er lieber ein rot weißgrünes Band an den Baum, und da wurde aus Gründen der Stadtplanung die Birke gefällt, auch alle anderen ansonsten un schuldigen Birken auf dem Marktplatz, damit von den bedau ernswerten Vorfällen nicht einmal die leiseste Spur blieb, und der Rohstoff Holz wurde der Papierindustrie übergeben, so wur den schließlich aus den Haaren von Sára Voinich jene Lehrbü cher hergestellt, die gleich mehreren Generationen halfen, die Schrecken der Konterrevolution zu vergessen, und als sich dann die Schrecken der Konterrevolution zu bedauernswerten Ereig nissen abgemildert hatten, wurde aus den gleichen Geschichts büchern hygienisches Einwickelpapier hergestellt, in das mit zu nehmender Begeisterung Pick-Salami gepackt wurde, und Gu laschfleisch, wer aber selbst mit Hilfe der Pick-Salami nicht ver gessen konnte, dass Genosse Kádár nach dem Prinzip »Sicher ist sicher« dreihundert Mal so viele Menschen hängen ließ wie Hay nau nach 1848, der hatte sich das wirklich selbst zuzuschreiben, dem war wirklich nicht zu helfen, aber es wurden zweifellos immer weniger, die es störte, dass die Haare von Sára Voinich in dem Papier waren, in das der Metzger das Gulaschfleisch für den Sonntag wickelte, und da begannen diese wenigen hübsch ver rückt zu werden, etwa so wie jene, die versuchen, sich die Unend lichkeit vorzustellen oder die Relativitätstheorie zu verstehen, oder die glauben, dass sich Parallelen wirklich treffen, und es gibt keinen direkteren Weg, verrückt zu werden, als zu versuchen, et

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Am vorletzten Tag kam noch der Dritte ins Krankenhaus, da nach der Andere. Nicht gemeinsam, lieber lösten sie einander ab. Ich hätte mich gefreut, wenn sie gemeinsam gekommen wären, aber sie sagten, so sei es weniger anstrengend, ich müsse das glau ben. Ich glaubte es, beide hatten sie schon ihren Vater beerdigt. Der Andere brachte seinen neuen Gedichtband mit, schrieb eine Widmung, in Freundschaft, in der Hoffnung auf Genesung. So wurde Élo˝beszéd (Lebende Sprache) das letzte Buch, in dem jemand vor seinem Tod blätterte.

Ich saß auf der anderen Seite des Bettes und bemühte mich, nicht zuzuhören. Als wäre ich gar nicht da. Denn jetzt würde Er dem Anderen das sagen, was Er eigentlich mir sagt, aber niemals sagen würde. Ich zählte die Tropfen der Infusion. Fünfundvierzig, sechsundvierzig, siebenundvierzig.

»Weißt du, István, in Marosvásárhely gibt es eine Statue. Die bei den Bolyai. Farkas und János, Vater und Sohn.« »Ja, die habe ich gesehen«, sagt der Andere. Achtundvierzig, neunundvierzig.

»Der Junge, der den ganzen euklidischen Kram widerlegt hat. Er bewies, dass sich Parallelen im Unendlichen treffen.« »Ja, ich weiß«, sagt der Andere. Neunundvierzig. Fünfzig. Einundfünfzig.

»Nur hielt irgendein österreichischer Offizier den Brief zurück, er aber glaubte, sein Vater hätte Gauß den Appendix nicht ge schickt.«

»Doch, bestimmt hat er ihn geschickt. Warum hätte er ihn nicht schicken sollen?«

»Natürlich hat er ihn geschickt. Und Gauß, dieses kleinliche Rind vieh, antwortete, er könne ihn nicht loben, denn damit würde er sich selbst loben. Er sei sich nämlich schon seit Langem im Kla ren darüber, dass sich Parallelen im Unendlichen kreuzen. Nur sei das ein empfindliches Thema, man hätte ihn für verrückt ge halten, er habe sich geschämt, das niederzuschreiben.«

»Er hätte sich besser für diesen Brief schämen sollen.«

Vierundfünfzig, fünfundfünfzig, sechsundfünfzig.

»Aber jetzt ist diese Statue trotzdem dort. Vater und Sohn. Nur ist der Sohn etwas größer«, lacht mein Vater.

Sechsundfünfzig. Sechsundfünfzig. Sechsundfünfzig.

»Natürlich, weil er steht, und der Vater sitzt«, sagt der Andere. Ja, sitzen musste er, sieben Jahre lang, denke ich.

»Ganz im Ernst, István. Hast du gewusst, dass auf dem Mond ein Krater nach János benannt ist?«

Sechsundfünfzig. Fünfundfünfzig. Vierundfünfzig.

»Das ist das Mindeste«, sagt der Andere. »Ohne ihn wäre es schwie rig gewesen, überhaupt auf den Mond zu kommen.«

Und ohne seinen Vater hätte er nie begriffen, dass sich die Paral lelen im Unendlichen treffen.

Dreiundfünfzig. Zweiundfünfzig. Einundfünfzig.

»Weißt du, István, ich bin sehr stolz auf meinen Sohn.«

»Das kannst du auch, lieber Feri. Und auf dich selbst.«

»Lassen wir das jetzt. Und auf meine Enkel.« Neunundvierzig, achtundvierzig, siebenundvierzig.

Ich hacke Holz, es ist anstrengend, ich setze mich. Rechne nach, wenn im Sommer vierundachtzig meine Großmutter Selbstmord beging, als sie erfuhr, dass ihr Sohn nach Ungarn auswandert, dann bewohnte mein Großvater das Haus von seinem siebenund siebzigsten Lebensjahr an alleine. Mit derselben alten Axt hackte er Holz, schleppte es in demselben gerissenen Korb. Heizte mit demselben Ofen, ich meine, ohne die Elektroöfen, die gab es da mals noch nicht.

Bis zu seinem vierundachtzigsten Lebensjahr taute er Winter für Winter das glänzende Eis von den Wänden, jeden Tag aß er, holte Wasser vom Brunnen, wusch sich, kehrte, spülte ab. Das Allein sein hielt er ganz gut aus. Nur an Weihnachten neunzehnhun derteinundneunzig wurde er wahnsinnig davon, das alte System war schon abgelöst, aber mein Vater durfte wegen eines seiner Bücher noch immer nicht ins Land, und so konnte Ferenc Bartis senior seinen Sohn das siebte Jahr nicht sehen.

Er nahm ein weißes Hemd, band sich eine schwarze Krawatte um, zog die Schuhe aus, denn es ziemt sich nicht, sich mit Schu hen in den Sarg zu legen, und bei genau diesen minus achtund zwanzig Grad machte er sich nachts barfuß auf den Weg zum anderen Ferenc Bartis nach Budapest. Er kam bis ans Ende der Straße. An der Steinbrücke blieb er stehen.

Die Belastung durch die Geräte ist zu groß, die Sicherung brennt durch. Ich brauche einen Draht, vom großen Zimmer her breche ich die Eingangstür auf, das Schloss ist zugefroren. Es duftet nach Zimt. Das verstehe ich nicht. Dann fällt mir ein, als ich im letzten Winter die Knochen meiner Mutter aus Budapest in einem Kindersarg heimbrachte, um sie neben meinem Vater zu beerdigen, war sie hier aufgebahrt, und im Haus gab es keine an ständigen Kerzen, so brannte die ganze Nacht über eine schreck liche, nach Zimt duftende Kerze, die jemand in der allerbesten Absicht, ohne etwas zu ahnen, als Geschenk mitgebracht hatte.

Den Draht an der Sicherung wechsle ich aus, schalte einen der Heizkörper ab, damit die Belastung geringer ist. Es wird dunkel, drüben jaulen die Hunde vom Pálok genau wie vor dreißig Jah ren. Ein mit gleißenden Nägeln beschlagener, schwarzer Him mel. Die Kinder ziehen sich an, legen Decken auf die Schlitten, wir gehen zum Kirchberg. Von der Ecke des Friedhofs, vorbei an der neuen Leichenhalle hinunter an den Bach, bis zur alten Schu le meines Vaters, das ist die beste Bahn. Am Zaun der Pfarrei neh men wir mit Gejohle die Kurve. Wir sind glücklich.

1 Der kursiv gesetzte Abschnitt stammt aus dem Text Gyergyó éghajla ta (Himmelsstrich Gyergyó) von Ádám Bodor.

Aus dem Ungarischen von Agnes Relle

Attila Bartis wurde 1968 in Marosvásárhely, im rumänischen Siebenbür gen, geboren. Der vielfach preisgekrönte Schriftsteller gehört zu den wichtigs ten Stimmen der ungarischen Gegenwartsliteratur. Auf Deutsch erschienen im Suhrkamp Verlag seine Romane Der Spaziergang ( 1999 ) und Die Ruhe ( 2005 ) sowie der wunderbare Erzählband Die Apokryphen des Lazarus Zwölf Feuilletons ( 2007). 2007 /08 war Bartis Stipendiat des DAAD -Künst lerprogramms in Berlin. Er lebt in Budapest.

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phänomen

wanderlust

Im Gefolge der Begeisterung für das Gedankengut Jean-Jacques Rousseaus wurde das Wandern im 19. Jahrhundert zum kultu rellen Bekenntnis des aufgeklärten Bürgertums. Während die Kutsche fahrenden Adligen möglichst wenig mit ihr in Berüh rung kommen wollten, schwärmten die Bürger in die Natur aus und berichteten von beindruckenden Erlebnissen im Grünen, in der ›unverbildeten‹ Natur. Oder sie brachen zu Fuß zu langen Wanderreisen in die Fremde auf wovon die vielen Reisetage bücher aus jener Zeit zeugen. Abstand von den Zurichtungen der Zivilisation und Entdeckung von Neuem, Freiheit und Abenteu er waren die hauptsächlichen Motive für die romantische Wan derlust bis sie im 20. Jahrhundert dann in den Dienst der Kör perertüchtigung gestellt und ideologisch vereinnahmt wurde.

Des Bürgers Lust war für Theaterleute lange Zeit unumgängliche und wenig komfortable Lebensform. Bis ins 19. Jahrhundert hin ein gehörte das ›Wandern‹ von einem Ort zum andern zur Büh nenexistenz wie heute das Große Haus zum Stadttheater. Die Kulturstiftung des Bundes möchte mit Wanderlust , ihrem neuen Fonds für internationale Theaterprojekte, keineswegs das Prinzip Wanderbühne starkmachen, aber doch das Fernweh schü ren. Sie richtete 2008 den Fonds Wanderlust ein, um inter nationale Kooperationen deutscher Stadttheater über einen län geren Zeitraum zu fördern. Zwar ist der Theaterbetrieb insgesamt internationaler geworden, wie zahlreiche Festivals mit erfolg reichen Produktionen aus aller Welt belegen. Vor allem für freie Produktionen scheint die Utopie einer zusammenwachsenden Welt oder zumindest eines vereinten Europa vielerorts bereits Wirklichkeit geworden ob aus Neugier, dem Bedürfnis, die Grenzen der eigenen engen (Theater-) Welt zu sprengen oder aus finanzieller Notwendigkeit. Der Wanderlust der deutschen Stadt theater und ihrer Beschäftigten sind allerdings, so die nüchterne Sicht des Deutschen Bühnenvereins, wesentlich engere Grenzen gesetzt als der freien Szene.

Das deutsche Stadttheatersystem ist von seiner institutionellen ›Natur‹ her an den Ort, die Stadt gebunden und liegt so gesehen überhaupt nicht im Trend der Internationalisierung. Ob in Zit tau, Freiburg oder Berlin man macht Theater für eine be stimmte Stadt oder Region. Das ist jedenfalls Auftrag und be rechtigte Erwartung, zu der sich manchmal noch der Anspruch auf überregionale oder gar internationale Ausstrahlung gesellt. Die Verantwortlichen im Theater beschäftigen sich mit den Ge gebenheiten vor Ort: Was passt zur Stadt? Welche Themen und Stoffe sind dort von Interesse? Kann man die Zuschauer auf eine künstlerische Entdeckungsreise mitnehmen? Das Stadttheater muss an das Publikum denken, das so heterogen ist oder sein soll wie die Bevölkerung vor Ort. Es bedient unterschiedlichste Ge schmäcker und Formate: die prominent besetzte Oper, die Ope rettenproduktion, der Schiller-Klassiker, das neue Stück (am bes ten eine Uraufführung), die experimentelle Produktion im Werkraum, das Weihnachtsmärchen, das engagierte Kindestück, das Stadtraumprojekt und die Late-Night-Reihe im Foyer. Darüber hinaus versucht es, Abo-kompatibel zu sein und doch gleichzei tig gegen die Abo-Gemütlichkeit zu rebellieren. Es ist keine Neu igkeit, dass das System dabei immer häufiger an seine personellen und finanziellen Grenzen stößt. Die öffentlichen Gelder werden

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ein neues programm der kulturstiftung des bundes fördert internationale theaterpartnerschaften

knapper, die Tarife steigen, am Ende bleibt immer weniger Geld für die Kunst. Und die ›Wanderlust‹, das Entdecken fremder und ferner Theaterwelten bleibt häufig auf der Strecke des betrieblichen Alltags.

Eine Konsequenz könnte sein, einfach weniger zu machen. Doch die Theater wollen nicht weniger machen, sie wollen mehr. Sie wollen sich neuen Formaten öffnen, klassische Rollenverteilungen auflösen, neue Dramaturgien entwickeln, neue Stoffe und Themen suchen und sich an alternative Formen der Umsetzung und Vermittlung wagen. Auch die Zuschauer interessieren sich mehr und mehr für neue Formen der Begegnung im Theater. Als Reaktion auf diese beiderseitige Lust auf Veränderung hat die Kulturstiftung des Bundes 2006 den Fonds Heimspiel ins Le ben gerufen und viele Theater in ihren Bestrebungen unterstützt, Produktionen, die sich mit der urbanen Wirklichkeit der eigenen Stadt auseinandersetzen, in den Spielplan zu integrieren.

Wanderlust setzt nun komplementär auf das Fernweh der Theatermacher und öffnet ihnen eine Tür zur internationa len Theaterwelt. Das Vorhaben gleicht der Quadratur des Kreises: Wie kann man gleichzeitig vor Ort und in der Welt sein? Wie kann das Lokale vom Globalen profitieren? Wie können inter nationale Zusammenhänge und Kontakte das Lokale bereichern, ohne es zu behindern? Ein Stadttheater kann mit seinen Produk tionen nicht auf Festivals vertreten sein, ohne den laufenden Betrieb zu gefährden. Eine Dramaturgie kann sich schwer um langfristige internationale Kontakte kümmern, wenn parallel dazu zwei bis drei Produktionen im eigenen Haus vorzubereiten sind und die nächste Premiere ansteht. Bestehen internationale Kontakte und der Wille zur Zusammenarbeit, ist bereits der Aus tausch von Gastspielen von gemeinsamen Produktionen gar nicht zu reden kompliziert und teuer. Je genauer man den Theateralltag anschaut, desto verzwickter scheint die Lage, was sich schon anhand weniger Beispiele eindrücklich zeigen lässt: Eine Koproduktion, in der deutsche und ausländische Schau spieler beteiligt sind, kann aufgrund der unterschiedlichen Spiel systeme in der Regel selten gespielt werden. Eine deutsch-nieder ländische Koproduktion beispielsweise steht vor dem Problem, dass sie in den Niederlanden innerhalb weniger Wochen im gan zen Land gastieren und gleichzeitig in Deutschland über ein Jahr oder länger jeweils zweimal pro Monat im Repertoire laufen soll. Genauso schwer wie ein niederländisches Theater einen Schau spieler über ein Jahr immer wieder für einzelne Vorstellungen binden kann, kann ein deutsches Theater eine Produktion zwei Wochen am Stück zeigen. Unterschiedliche Engagement-Syste me und Zuschauererwartungen stehen dem entgegen. Die kunst vollen und aufwendigen Bühnenbauten oder Lichteinrichtun gen deutscher Stadttheaterproduktionen sind in der Regel nicht für den Gastspielbetrieb ausgelegt und erfordern bei Aufbau und Einrichtung Zeit und meist eine große Zahl Techniker. Die intensive künstlerische Betreuung der Produktion und die Tarif verträge der Mitarbeiter können darüber hinaus dazu beitragen, dass beim Gastspielaustausch eines deutschen und eines auslän dischen Theaters (bei einem Stück vergleichbarer Größe) viel mehr deutsche Mitarbeiter als ausländische mitreisen. Die Einla dung deutscher Gastspiele, die wegen ihrer hohen künstlerischen Qualität international gefragt sind, kann selbst für gut gestellte

ausländische Bühnen unter ökonomischen Gesichtspunkten oft nicht machbar sein.

Nur selten gehen Theater bisher längerfristige Verabredungen mit ausländischen Theatern ein, obwohl das inhaltliche Interes se und der Wunsch nach einem intensiveren Austausch auf Ar beitsebene vielerorts spürbar sind und ihre Erfüllung den Beteiligten aufschlussreiche Erfahrungen verspräche. Wie kann man sich jenseits von kurzen Begegnungen bei Festivals auf neue Spielweisen, neue Inhalte und neue Akteure einlassen und die Eindrücke in die eigene Arbeit einfließen lassen?

Gemeinsam mit der Intendanten-Gruppe des Bühnenvereins hat die Kulturstiftung des Bundes mit dem Fonds Wander lust ein Modell entwickelt, dass Stadttheatern zusätzlich zu ih rer Arbeit an den Häusern den internationalen Austausch finan ziell und organisatorisch ermöglichen soll: Der Fonds Wan derlust fördert auf Antrag eine längerfristige Kooperation eines deutschen Stadttheaters mit einem ausländischen Theater. Über die Dauer von zwei bis drei Spielzeiten gestalten sich die Partnerschaften in unterschiedlichen Phasen.

Im Januar 2009 wählte eine Jury unter 27 Antragstellern 14 Thea ter aus, die mit Unterstützung der Kulturstiftung des Bundes auf je eigene Weise intensive internationale Partnerschaften aufbau en oder weiterführen sollen. Für manche Häuser steht ein Ar beitstreffen beider Ensembles am Anfang einer Partnerschaft. Andere schicken erst einmal assoziierte Autoren auf Entde ckungsreise in die Fremde. Oder eine gemeinsame Recherche der beteiligten Künstler bringt die Zusammenarbeit ins Rollen. Auch über Projekte mit Jugendlichen aus beiden Städten kann die Partnerschaft angeschoben werden. Die genaue Kenntnis des anderen Theaters und seiner Arbeitsweise reichen aber nicht aus. Nach einer Phase des Kennenlernens und Austausches, nach Workshops und Gastspielbesuchen steht im Rahmen des Fonds Wanderlust immer das Wagnis einer gemeinsamen künstle rischen Produktion. Die Pläne der Theater reichen dabei von In szenierungen eines aus eigener Recherche oder einem Autoren projekt entwickelten Stoffes oder eines für beide Theater viru lenten Klassikers bis hin zur Adaption eines Filmes. Auch Stadt raum-Projekte, Installationen, die Arbeit mit Jugendlichen oder interdisziplinäre Produktionen sind geplant. Die Redaktion

Seit Ende des 19. Jahrhunderts ist das Wort Wanderlust als Ger manismus in die englische Sprache eingewandert: wanderlust [ ] wird mit »Fernweh« rückübersetzt.

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vierzehn partnerschaften im fonds wanderlust

staatsschauspiel stuttgart + romea teatre barcelona (katalonien/spanien)

»Menschen, Autos und das Öl. Die Autobauer von Bar celona und Stuttgart« Barcelona und Stuttgart sind Zen tren der Automobilindustrie. Die Krise der Branche wird auch die Städte und ihre Bewohner verändern. Die Le bensgeschichten der Arbeiter und Angestellten der Au tofabriken sowie Fakten rund um die Autoproduktion sind Grundlage der Theatertexte, die ab Herbst 2010 in Stuttgart und Barcelona auf die Bühne kommen. theater freiburg + garajistanbul (türkei)

»Cabinett. Ein deutsch-türkisches Theaterprojekt« An gela Merkel, Dieter Bohlen und Marlene Dietrich sind in Deutschland allseits bekannt. Aber wie verhält es sich mit Nazim Hikmet, Duygu Asena oder Cahide Sonku? Je zehn deutsche und türkische Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Ikonen aus Politik, Unterhaltung oder Medien stehen im Mittelpunkt des interdisziplinären Theaterprojektes.

oldenburgisches staatstheater + kopergietery gent (belgien)

»The Pursuit of Happines« Die belgische Kopergietery hat mit wunderbar poetischen, interdisziplinären Thea terstücken für Kinder und Erwachsene auf sich aufmerksam gemacht. Gemeinsam mit dem Jungen Staatsthea ter Oldenburg entwickelt sie unter anderem ein Projekt über Kinder, die auf eigene Faust versuchen, illegal nach Europa zu kommen.

theater heidelberg + teatron beit lessin, tel aviv (israel)

»Familienbande« Beziehungen und Geschichte der bei den Staaten Deutschland und Israel mit dem Begriff Normalität zusammenzubringen, ist schlicht nicht mög lich. Genau deshalb steht das ›normale Leben‹ in der kleinsten gesellschaftlichen Einheit, der Familie, im Fo kus dieses Theaterprojektes.

theater an der parkaue berlin + west yorkshire playhouse leeds (großbritannien)

»Borderlines. Grenzerkundungen zwischen Berlin und Leeds« Eine Gruppe deutscher und englischer Jugend licher begibt sich auf Grenzgänge — entlang der ehema ligen Mauer in Berlin und an den Grenzen zwischen den Stadtteilen in Leeds. Wie bestimmen die historischen, sozialen und mentalen Grenzen unsere Identität?

theater osnabrück + drama theater russe (bulgarien)

»Die Stimmen von Russe« Elias Canetti wurde 1905 in der bulgarischen Stadt Russe geboren. Seine Reiseskizzen Die Stimmen von Marrakesch sind Vorbild für die Theaterkooperation, die aktuelle Dramatik aus Bul garien und Deutschland präsentieren möchte. thalia theater halle + théâtre de la tête noire, saran (frankreich) »Grenzgänge(r) / Outrepasseurs« Obwohl Deutschland und Frankreich geographisch betrachtet direkt anein ander grenzen, könnte der Abstand zwischen beiden Ländern hinsichtlich ihrer Theaterästhetik kaum größer sein. Jährliche deutsch-französische Autorenpartner schaften und gemeinsame Theaterinszenierungen sol len diese Distanz verringern. landestheater tübingen + karelisches nationaltheater petrozavodsk (russland) »Druschba« An der Grenze zu Finnland im einsamen Ka relien gelegen spielt das Karelische Nationaltheater Pe trozavodsk auf Finnisch und Russisch. Eine dreispra chige Romeo und Julia-Produktion, die im Mittelpunkt der Partnerschaft mit dem Landestheater Tübingen steht, thematisiert Aggressionen gegenüber dem Frem den und die Utopie von der Überwindung kultureller Grenzen.

theater aachen + divadlo komedie prag (tschechien) »Austerlitz. Ein Erinnerungsparcours in deutscher und tschechischer Sprache« In den Wirren der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts begibt sich Jacques Austerlitz, die Hauptfigur in W.G. Sebalds gleichnamigem Roman, auf die Suche nach seiner Identität. Le bensgeschichte und Gedankenwelt von Austerlitz wer den als begehbare audiovisuelle Installation in Form eines menschlichen Gehirns inszeniert. uckermärkische bühnen schwedt + oper im schloss szczecin (polen) »Frau Luna — Eine Berliner Operette erobert die Grenz region« Seit 1992 herrscht zwischen den Uckermärkischen Bühnen Schwedt und der Oper im Schloss Szczecin / Stettin unter dem Titel Theater Grenzenlos ein reger Austausch an Gastspielen, Projekten und Zuschauern. Gemeinsam realisieren die Partnertheater nun erstmals eine große Operetten-Produktion.

maxim gorki theater berlin + narodowy stary teatr kraków (polen)

»529 km mit Zukunft« Berlin und Krakau sind 529 km voneinander entfernt. Die Geschichte der Verletzungen und Zerstörungen, der gegenseitigen Vorurteile und Differenzen impliziert eine viel größere Entfernung. Die gemeinsame theatralische Beschäftigung mit dem Film klassiker Sein oder Nichtsein und künstlerische Inter vention auf der Zugstrecke zwischen Krakau und Berlin sollen eine neue Kartografie dieser 529 Kilometer ent stehen lassen.

nationaltheater mannheim / schnawwl + ranga shankara theater bangalore (indien)

»Do I know U?« Schillers Kabale und Liebe erzählt von Missverständnissen, Vorurteilen und unterschiedlichen Wertevorstellungen in einer erstarrten Gesellschaft. Dass das Stück eine Brücke zwischen den so unterschied lichen Lebenswelten in Mannheim und Bangalore schlagen kann, wollen beide Theater in einer deutsch-indischen Koproduktion als Höhepunkt einer mehrjährigen Zusammenarbeit zeigen.

theater oberhausen + nationaltheater radu stanca sibiu (rumänien)

»Oberhausen/Sibiu« Über die Recherche zu einem The aterprojekt zum Thema Migration kamen das Theater Oberhausen und die deutsche Abteilung des National theater Radu Stanca in Herrmannstadt (Sibiu) erstmals in Kontakt. Im Rahmen der Partnerschaft begibt sich unter anderem der Regisseur und Performer Bernhard Mikeska mit Schuberts Winterreise im Gepäck auf Spu rensuche nach Sibiu, um später seine Eindrücke als Theaterperformance in Oberhausen zu präsentieren. schauspiel leipzig /spinnwerk + freedom theatre dschenin (palästinensische gebiete)

»Homeland Biladi« Was der Begriff Heimat für die Ju gendlichen im Flüchtlingslager Dschenin im palästinen sischen Westjordanland bedeutet, ist schwer in Worte zu fassen. Gemeinsam mit Jugendlichen des Spinn werks, dem Theaterwerk für Kinder- und Jugendprojekte des Schauspiels Leipzig, will das Freedom Theatre Dschenin mit den Mitteln des Theaters einen fiktionalen Ort für Jugendliche schaffen, einen Möglichkeitsraum für eigene Ideen und Hoffnungen.

Nächster und letztmaliger Antragsschluss bei der Kul turstiftung des Bundes für den Fonds Wanderlust ist der 15. Oktober 2009. Weitere Informationen unter www. kulturstiftung-bund.de/Wanderlust

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praktische kritik der unmenschlichkeit

von hermann goltz

Die Kulturstiftung des Bundes fördert ein Filmprojekt und eine audiovisuelle Installation über Leben und Werk von Johannes Lepsius im Lepsius-Haus, Potsdam (Preview 28. Juni 2009 im Filmmuseum Potsdam). Dr. Johannes Lepsi us (1858 1926 ), von Franz Werfel zum Schutzengel der Armenier ernannt, war lan ge und immer wieder eine persona non grata in Deutschland und hat es in der Er innerungskultur der Deutschen kaum weiter gebracht als zur persona abscondita. Wo sein Name in öffentlichen Diskussionen jedoch auftaucht, geht es um nichts weniger als die empfindliche Frage nach historischer Schuld: An der Figur des Johannes Lepsius entzünden sich politisch-historische Auseinandersetzungen um die Anerkennung des Völkermords an den Armeniern. Hermann Goltz, Theologe und wissenschaftlicher Berater des Projekts, gibt Auskunft über das wechselvolle Leben eines Menschen aus bestem bildungsbürgerlichen Hause, der mit seinem ethisch-religiös motivierten Engagement für das bedrohte arme nische Volk ein persönliches Fanal gegen den zeitgenössischen Nationalismus und Imperialismus setzte.

Adolf Hitler am 22 . August 1939 : »Wer spricht denn heute noch von der Vernichtung der Armenier?«

Mit diesem Satz beruhigte der ›Führer‹ in seiner Geheimrede auf dem Obersalzberg, wenige Tage vor dem Überfall auf Polen und dem damit ausgelösten Weltkrieg, seine Oberbefehlshaber, die eventuell noch über seinen in derselben Rede klar geäußerten Völ kermordplan gegen das polnische Volk beunruhigt waren.

An diesem gut dokumentierten Satz Hitlers wird deutlich, dass eines der größten Menschheitsverbrechen, der Genozid an den Armeniern in der osmanischen Türkei 1915 /16, in Deutschland nicht nur im 1. Weltkrieg, sondern auch in den folgenden Jahr zehnten nach Kräften verdrängt und totgeschwiegen worden war. Das dokumentarische Armenier-Epos Franz Werfels Die vier zig Tage des Musa Dagh , in welchem Johannes Lepsius eine Schlüsselrolle spielt (erschienen 1933 !), stand auf dem Nazi-Index der verbotenen Bücher. Und auch der historische Johannes Lep sius, der deutsche Anwalt und Helfer der Armenier, wurde mit dem Verschweigen des Völkermords aus dem Gedächtnis der Deutschen verdrängt.

Erst 90 Jahre nach dem Völkermord, im Jahre 2005, äußerten sich alle Fraktionen des Deutschen Bundestages in seltener Einstim migkeit und im klaren Bewusstsein der Mitverantwortlichkeit des mit der osmanischen Türkei verbündeten Deutschen Reichs zu dem blutigen Schicksal des armenischen Volkes (Drucksache des Bundestages 15 /5689 ). Gleich auf der ersten Seite heißt es dort auch zu Johannes Lepsius: »Der Deutsche Bundestag ehrt mit diesem Gedenken die Bemühungen all der Deutschen und Türken, die sich unter schwierigen Umständen und gegen den Widerstand ihrer jeweiligen Regierung in Wort und Tat für die Rettung von armenischen Frauen, Männern und Kindern eingesetzt haben. Besonders das Werk von Dr. Johannes Lepsius, der energisch und wirksam für das Überleben des ar menischen Volkes gekämpft hat, soll dem Vergessen entrissen und im Sinne der Verbesserung der Beziehungen zwischen dem armenischen, dem deutschen und dem türkischen Volk gepflegt und erhalten werden.«

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wer war johannes lepsius? Das Licht der Welt erblickte Johannes Lepsius im Jahre 1858 in Berlin als Sohn einer preu ßischen Elite-Familie. Sein Vater war Carl Richard Lepsius, der durch Alexander von Humboldt geförderte Begründer der Ägyp tologie in Deutschland, der bereits 1863 in Berlin einen Verein zur Unterstützung der Armenier im Osmanischen Reich gegrün det hatte. Die Mutter Elisabeth stammt von dem Berliner Auf klärer, dem Lessing- und Mendelssohn-Freund Friedrich Nicolai ab. Auf Wunsch der Mutter, die eine enge Mitstreiterin des The ologen und Sozialreformers Johann Hinrich Wichern war, be gann der junge Johannes Lepsius zunächst das Studium der The ologie in Erlangen. Dann entzog er sich aber dem mütterlichen Willen und ging 1878 nach München zum Studium der Philoso phie und Mathematik, wurde bereits als Student 1880 zum Dr. phil. mit einer preisgekrönten Arbeit auf dem Gebiet der Kant schen Philosophie promoviert und wandte sich 1881 aus eigenem Antrieb, obwohl er sich inzwischen auch dem Theater, der Schriftstellerei und der Musik verschrieben hatte, doch wieder der Theologie zu. 1884 wurde der vor vielen Talenten sprühende junge Mann am Berliner Domkandidatenstift für die deutsche evangelische Gemeinde in Jerusalem ordiniert.

In seinem Oszillieren zwischen Theologie und Philosophie hat te Lepsius schließlich die Theologie vorgezogen, da diese für ihn so wörtlich die »praktische Kritik der Wirklichkeit« dar stellte, wie er seinem enttäuschten Doktorvater von Prantl nach München schrieb. Dieses der Marxschen Philosophiekritik nicht ganz unähnliche Theologieverständnis hat Johannes Lepsius dann zeit seines Lebens, nicht selten zum Entsetzen seiner kirch lichen und politischen Obrigkeit, praktiziert. Wissenschaftliche Theologie und Philosophie, Theater, Musik und Schriftstellerei hat er trotz seiner »praktischen Kritik der Wirklichkeit« nicht hinter sich gelassen. Auch auf seinen vielen Reisen studierte er sein griechisches Neues Testament und seinen Kant, die er rechts und links in den Jackentaschen zu tragen pflegte. Aber auch Nietzsche inspirierte ihn bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts als ›sokratischer Kritiker‹ des Christentums. Engste Freundschaft

verband ihn mit seinem Bruder Reinhold, Porträtmaler und Philosoph, der von Max Liebermann, Walter von Rathenau u.a. hochgeschätzt wurde. Ebenso eng war Lepsius mit Reinholds Frau, der aus jüdischem Künstler-Milieu stammenden Malerin Sabine Lepsius verbunden, die mit ihrem Salon Stefan George die Tür in die Reichshauptstadt Berlin öffnete.

Im damals osmanischen Jerusalem wirkte der junge Lepsius als Lehrer und Pfarrer und begegnete dort seiner künftigen Frau Margarethe aus der weitverzweigten Württemberger Zeller-Fami lie. Sie heirateten noch in Jerusalem und gingen Ende 1886 ins Mansfeldische, ins Pfarramt im kleinen Friesdorf. 1889 gründete er zusammen mit seiner Frau für die arbeitslose Bevölkerung des kleinen Vorharz-Dorfes nach orientalischem Vorbild die Tep pichmanufaktur Friesdorf . Schon dies trug ihm als einem der ersten Sozialpfarrer in Deutschland die Kritik seiner Berliner kirchlichen Oberen und die Liebe seiner Gemeinde ein.

Als er über englische Kanäle von den riesigen Massakern an der armenischen Bevölkerung des Osmanischen Reichs unter dem »blutigen Sultan« Abdul Hamid II . erfuhr, welchem 1894 1896 über 200 000 Menschen zum Opfer fielen, fühlten er und seine Frau sich verpflichtet, diesem von der völligen Vernichtung bedrohten Volk Hilfe zu bringen, auch wenn das Berliner Aus wärtige Amt sein Engagement zu bremsen versuchte. Nach einer Erkundungsreise im Frühjahr 1896 in die Türkei, wo er von der Geheimpolizei des Sultans ständig observiert wurde, und der Pu blikation seiner ersten aufrüttelnden Armenier-Dokumentation Armenien und Europa (Berlin 1896, französisch LausanneParis 1896, englisch London 1897, russisch Moskau 1898 ) sowie der Organisation großer Protestversammlungen in ganz Deutsch land gegen die Verbrechen an den Armeniern bat Lepsius seine Kirchenleitung, beurlaubt zu werden, um die Arbeit für das sich rasch ausweitende Armenische Hilfswerk bewältigen zu können. Aufgrund politischer Bedenken des Auswärtigen Amtes und der Berliner Kirchenleitung erhielt er diese Beurlaubung nicht und legte daraufhin sein Pfarramt unter Verzicht auf alle sozialen Ab

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sicherungen für sich und seine kinderreiche Familie nieder. Seit dem Spätjahr 1896 leitete er in freier Tätigkeit das Berliner ZentralKomitee des Armenischen Hilfswerks, wobei es dem brillanten Redner in unermüdlicher Vortragstätigkeit gelang, sich einer er staunlich breiten Unterstützung in kritischen kirchlichen, akade mischen, bürgerlichen und adligen Kreisen in Deutschland wie auch in der Schweiz zu versichern.

In dieser ersten Phase des Kampfes für das armenische Volk er warb sich Lepsius auch den Ruf, einer der großartigsten Rhetoren in Deutschland zu sein, was auch die Preußische Politische Polizei bewegte, seine öffentlichen Auftritte zu überwachen. Wir verdanken der fleißigen preußischen Geheimpolizei wertvolle geheime Mitschriften der aufrüttelnden Reden Lepsius’, die in einem ganzen Aktenbündel unter der amtlichen Überschrift Armenier-Agitationen im Preußischen Geheimen Staats archiv erhalten sind.

Mit Hilfe einer bedeutenden internationalen Mitarbeitergruppe (Deutsche, Schweizer, Dänen, Armenier etc.) und vieler kleiner und großer Sponsoren aus Deutschland und den benachbarten Ländern unterhielt Lepsius bereits damals große Hilfsstationen für die verfolgten Armenier, aber auch für Aramäer, so in der Türkei wie auch in Nordpersien und in Bulgarien. Die armenische Bevölkerung lebte im Osmanischen Reich weiterhin in Lebens gefahr und war periodischen Massakern unterworfen. Besonders heftig waren die Armenier-Massaker 1909 im Vilajet (Gouverne ment) Adana als Reaktion auf die konstitutionelle Jungtürkische Revolution, die von den osmanischen Armeniern und Griechen mitgetragen worden war.

Diese blutigen Ereignisse erinnerten damals die Welt an die nicht eingelösten Versprechungen »Armenischer Reformen« durch die europäischen Großmächte auf dem Berliner Kongress, die nun endlich verwirklicht werden sollten. So erhielt Lepsius, eigent lich das enfant terrible der Wilhelmstraße, nun seitens der deut schen Regierung 1912 1914 die Möglichkeit, als international be kannter Armenierfreund bei den diplomatischen Bemühungen der europäischen Großmächte für die »Armenischen Reformen« im Osmanischen Reich mitzuwirken und in diesem Zusammen hang 1914 die Deutsch-Armenische Gesellschaft mit der Unterstützung vieler deutscher Intellektueller, darunter z.B. auch Thomas Mann, zu gründen.

Die Situation änderte sich grundlegend, als mit dem Beginn des 1. Weltkriegs das Deutsche, das Osmanische und das Habs burger Reich militärische Bündnispartner wurden und die jung türkischen, nationalistischen Diktatoren am Bosporus sich des Problems der etwa zwei Millionen armenischen Untertanen im osmanischen Vielvölkerstaat zu entledigen, um ihre ›Vision‹ von einem ethnisch homogenen »Groß-Turan« zu verwirklichen. Jo hannes Lepsius, gerade noch persona grata, wurde schnell wieder zur persona non grata der deutschen Reichsregierung, da er nun konsequent für die Rettung der Armenier kämpfte, die in der Türkei, dem Bundesgenossen des Deutschen Reiches, über die Todesstraßen der Deportation in die mesopotamische Wüste ge trieben wurden, wobei zwischen 1 und 1,5 Millionen Menschen umkamen bzw. ermordet wurden.

Lepsius erzwang sich im Auswärtigen Amt eine Reise in die Tür kei. Dort wurde er nicht ins Innere des Landes gelassen, sammel te aber in Konstantinopel mit Hilfe vieler Augenzeugen und Di plomaten große Mengen belastenden Materials. Vor allem unterstützte ihn der US -amerikanische Botschafter Henry Morgenthau sr., Sohn einer in die USA emigrierten jüdischen Familie aus Mannheim, der in seinen Erinnerungen Lepsius für den einzigen anständigen Deutschen hält, der ihm in dieser Zeit am Bos-

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porus begegnet ist. Am 10. August 1915 trifft Lepsius einen der Hauptverantwortlichen für den laufenden Völkermord, den os manischen Kriegsminister Enver Pascha. In dem Streitgespräch, das an der Hohen Pforte, dem osmanischen Regierungszentrum, stattfand, versuchte er mit Argumenten der Vernunft und der Wirtschaftlichkeit die auf vollen Touren laufende Maschine des Völkermords zu bremsen, wurde aber höhnisch abgewiesen. Franz Werfel hat diese historische Begegnung zu einem Schlüs selkapitel seines Armenier-Epos gemacht. Durch dieses Kapitel, das im Jahre 1932 geschrieben einen deutlichen Anti-HitlerGeist atmet, ist Johannes Lepsius zu einer Gestalt der Weltlitera tur geworden.

Nach seiner Rückkehr entfaltete er wieder eine breite publizisti sche Arbeit im Kampf gegen die deutsche Militärzensur zum Thema der Armenier-Deportationen. Nach einem kühnen Vor trag Lepsius’ Anfang Oktober 1915 vor der versammelten Presse aus ganz Deutschland im Berliner Reichstag stellte die deutsche Regierung tags darauf die ganze Armenien-Thematik unter Zen sur. Reichskanzler von Bethmann Hollweg notierte im Dezem ber 1915 : »Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Kriegs an unserer Seite zu halten, gleichgültig, ob darüber Armenier zugrunde gehen oder nicht.«

Dagegen publizierte Lepsius, nach einer Odyssee des Druckma nuskripts, 1916 in Potsdam seinen »Bericht über die Lage des Ar menischen Volkes in der Türkei«, die international erste Doku mentation des laufenden Völkermords. Im August 1916 wurde dieser Bericht von der deutschen Militärzensur verboten. Die für Reichstagsabgeordnete bestimmten Exemplare, im Juli 1916 in Potsdam per Post abgesandt, wurden von den Behörden zurück gehalten und erreichten ihre Adressaten in Berlin im April 1919 (!). Lepsius’ internationale konspirative Arbeit gegen das deutsche und türkische Schweigen machte ihn nun wieder zum alten enfant terrible in den Augen weiter Kreise der deutschen Regie rung. Einer der wenigen, die im Deutschen Reichstag den Bericht des unabhängigen Theologen Lepsius zur Sprache brachten, war der unabhängige Sozialdemokrat Karl Liebknecht, der in einer Kleinen Anfrage im Januar 1916, noch vor der Publikation des Lepsius-Berichts, die deutsche Reichsregierung mit den durch Lepsius beigebrachten Fakten konfrontierte. Als er im Ple narsaal seine Quelle, Lepsius, mit Namen nannte, gingen seine weiteren Worte im Lärmen vieler Abgeordneter unter. Offenbar wurde aber Lepsius durch andere politische Gruppie rungen um den deutsch-jüdisch-anglophilen ›Geheimdiplomaten‹ und späteren Salem-Pädagogen Kurt Hahn davor geschützt, durch Entzug seiner Reisepässe bewegungsunfähig zu werden. Seine Freunde verschafften ihm einen bescheidenen Posten in den Niederlanden als Beobachter der neutralen und feindlichen Presse für die Militärische Stelle des Berliner Auswärtigen Amtes. Diese recht harmlose Arbeit für das Auswärtige Amt musste, wie üblich, nach außen geheim gehalten werden, weswegen bis heute Legenden über den angeblichen deutschen ›Spion‹ Lepsius kol portiert werden. Mit den deutschen Intellektuellen, die für einen friedlichen Ausgleich eintraten, war Lepsius als Mitglied der Berliner »Vereinigung Gleichgesinnter« im direkten Kontakt, ei ne Art politischem Gegenstück zur gleichnamigen apolitischen Ästheten-Vereinigung Stefan Georges. Zu den Mitgliedern der Berliner »Vereinigung« gehörten neben Lepsius unter anderen die Pazifisten Albert Einstein, Friedrich Wilhelm Foerster und Friedrich Siegmund-Schultze wie auch der jüdische Kunstwis senschaftler Werner Weisbach.

Zu den Gründen des Hollandaufenthalts von Lepsius zählte auch, dass er dort seine durch Diabetes sehr stark angeschlagene Gesundheit viel besser pflegen konnte. Vor allem aber nutze Lep sius seinen Posten in Holland gegen das ausdrückliche Verbot

des deutschen Botschafters im Haag dazu, seine internationale proarmenische Arbeit fortzusetzen. Der anonyme holländische Bericht Marteling der Armeniers in Turkije von 1918 ist nichts anderes als die holländische Version des Potsdamer Lep sius-Berichts. Diese Mimikry gegenüber der deutschen Botschaft im Haag wirkt bis heute: In die Bibliotheken dieser Welt ist im mer noch nicht durchgedrungen, dass Lepsius der Verfasser ist.

Nach seiner Rückkehr aus Holland nach Deutschland Ende 1918 übernahm Lepsius nach Absprache mit dem Staatssekretär des Äußeren, Wilhelm Solf, die Edition der Sammlung diplomatischer Aktenstücke Deutschland und Armenien 1914 1918 (Potsdam 1919 ). Lepsius musste um die Akten kämpfen, die er nur in unvollständiger Zahl vom AA , gelegentlich auch bereits ›bearbeitet‹, erhielt. Aber gewichtige Stimmen wie die Londoner Times und die skandinavische Presse werteten dennoch diese Akten-Edition als einen klaren Beleg für die Mitschuld Deutsch lands, so dass die bereits vorbereitete englische und französische Version in der Asservatenkammer des Auswärtigen Amts abge legt und nicht publiziert wurde.

Lepsius schrieb schon 1920 in seiner Zeitschrift Der Orient , dass gerade die »Mitschuld« der Deutschen am Schicksal des armenischen Volkes dazu verpflichte, den überlebenden Arme niern, trotz der wirtschaftlichen Misere im Nachkriegsdeutsch land, zu helfen. Sein Armenier-Hilfswerk und seine DeutschArmenische Gesellschaft beteiligten sich entsprechend an den internationalen Hilfsaktionen für die in alle Welt versprengten armenischen Flüchtlinge und für die junge Republik Armenien.

Mitten in der Gründungsphase einer Deutsch-Armenischen Akademie in Potsdam starb der schwerkranke Lepsius am 3. Feb ruar 1926 im Südtiroler Kurort Meran. Dort, auf dem Friedhof der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde, findet sich sein Grab, auf welchem das armenische Volk als Zeichen seiner Dankbar keit einen Chatschkar (Kreuzstein) errichtet hat.

Angesichts der Weiterführung seiner Arbeit durch Fridtjof Nan sen, den ersten Flüchtlings-Hochkommissar des Genfer Völker bundes, kann man Lepsius als einen nichtstaatlichen Vor läufer der zwischenstaatlichen Menschenrechts- und Flücht lingsarbeit von Völkerbund und UNO bezeichnen. Seine huma nitäre Arbeit steht in Parallele zum Werk Albert Schweitzers, der in Afrika, nahezu gleichzeitig zum Kampf von Lepsius um das Überleben des armenischen Volkes in der Türkei, sein ethisches Prinzip der »Ehrfurcht vor dem Leben« praktizierte und formu lierte. Als politisch konspirativ und widerständig arbeitender Theologe kann Lepsius auch mutatis mutandis als ein Vor läufer des Theologen und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer gesehen werden. Der polnisch-jüdisch-amerikanische Jurist Raphael Lemkin, geistiger Vater der UN -Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes (1948 ), bezog sich wesentlich auf die Erfahrungen der Völkermorde am armenischen und am jüdischen Volk. Mit seinem Kampf gegen den ersten großen Völkermord im 20. Jahrhundert wurde Lepsi us zu einem Avantgardisten im heutigen Kampf gegen den Ge nozid, ein Kampf, der längst nicht zu Ende ist.

Prof. Dr. Dr. h. c. Hermann Goltz , Theologe, Osteuropawissenschaft ler und Orientalist an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Grün der und Leiter des Johannes-Lepsius-Archivs. Langjährige Mitarbeit bei der Conference of European Churches und dem World Council of Churches in Genf, engagiert in der Friedensarbeit zwischen Völkern und Religionen auf dem Balkan und im Transkaukasus. Goltz veröffentlichte u.a. Deutschland Armenien und die Türkei . Dokumente und Zeit schriften des Johannes-Lepsius-Archivs, München: K G . Saur, 1998 2004 und Alles von Zarin und Teufel Europäische Russlandbilder aus vier Jahrhunderten . Mit einem Vorwort von Fritz Pleitgen, Köln: DuMont 2006

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ecce cyborg

Cyborg ist der Name für Zwitterwesen aus Mensch und Maschine. Aus der Welt der Horrorfilme rücken sie, fast unbemerkt von der Öffentlichkeit, immer wei ter in die gesellschaftliche Wirklichkeit vor. Die Entwicklung der Neurowissen schaften und der medizinisch-technische Fortschritt machen es möglich. Das von der Kulturstiftung des Bundes geförderte Projekt Optimierung des menschlichen Gehirns des Theaters Freiburg beschäftigt sich mit den aktuellen Möglichkeiten, die Leistungsfähigkeit des Menschen zu steigern, die weit über medikamentöse Eingriffe hinausgehen. In Kooperation mit dem Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Freiburg entwickeln Grundlagenwissenschaftler und klinische Experten, Ethiker, Philosophen, Dra maturgen, Regisseure, Tänzer und Performer gemeinsam mit 50 Schülerinnen und Schülern aus acht Freiburger Gymnasien anhand von ethisch-anthropolo gischen Fragen einen künstlerischen Zugang zur Problematik von Selbsttechnisierungen. Der Philosoph Oliver Müller und der Literatur- und Filmwissen schaftler Frank Pauly gehen der Frage nach, inwiefern der Cyborg ein Emblem unserer näheren Zukunft ist, das eine intensive Auseinandersetzung mit un serem Menschenbild erfordert.

von oliver müller und frank pauly

Die offensichtliche Karriere, die Cyborgs in den letzten Jahren auf der Leinwand gemacht haben, lässt ihre Konkurrenz, wie Vampire, Wiedergänger oder Superhelden, alt aussehen. Ein Grund für diese Karriere ist der Fortschritt in den Medizin- und Neurotechnologien; durch jene Technologien erscheinen auch Cyborgisierungen im Horizont konkreter menschlicher Selbst gestaltung.

Cyborg-Filme hatten und haben nie nur die Funktion, Schau er zu erregen oder spannende Popcorn-Geschichten zu erzählen. Sie erzählen vielmehr immer unsere eigene Geschichte als Ge schichten möglicher Zukünfte in einer technisierten Welt. Der Cyborg fungiert als anthropologische Chiffre, deren Entziffe rung uns Einblicke in mögliche und unmögliche, wünschens werte und problematische Technisierungen unseres Selbst ver schafft. Die Konfrontation mit dem Cyborg als der uns gleicher maßen Fremde und Vertraute führt uns die Tiefenstrukturen unserer Bedürfnisse vor Augen. Auf der einen Seite sind es der ewige Kampf um Anerkennung sowie die Angst vor Verletzlichkeit und Instabilität, die das Bedürfnis nach hochtechnologischem Selbstschutz wecken. Hinter dem Cyborg verbirgt sich dann das verschreckte Kind, das sich seiner Bambi-Verlassenheit bewusst wird und sich aus diffusen, paranoiden Bedrohungsfantasien heraus zur Kampfmaschine aufrüstet, als die es das Duell mit der ganzen bösen Welt aufnehmen kann, um seine Gottverlas senheit zu rächen. Auf der anderen Seite wird das Selbstcyborgisierungsbedürfnis von klassischen Allmachtsfantasien gespeist. Wie Miltons Satan, der, weil er nicht der Fürst des Himmels sein kann, lieber der Erste in der Hölle ist, träumt der allmachtsfanta sierende Cyborg von der Unterwerfung und Kontrolle der Welt durch seine Technik um den Preis, dass er Vielfalt und An derssein ausschließen muss. Es ist die (erhoffte) rationale Steuer barkeit der Technik, mit der das unkontrollierbare Reich der Ge fühle beherrscht werden soll.

Neben diesen tiefenpsychologisch-archetypischen Bedürfnisla gen, die sich in den großen Mythen um den immer neuen fina

len Kampf zwischen Gut und Böse und in den masochistischen Bildern von der Durchherrschtheit der Welt durch kalte technoide Perfektion kristallisieren, verweisen die Cyborg-Figurationen auch auf konkretere, direkt an unsere Lebenswelt rückgebunde ne Hoffnungen, die wir in die Technik setzen. Insbesondere der Wunsch nach Leistungssteigerung, nach technischer Verbesse rung unseres Gedächtnisses, unserer Kondition, unseres Seelen haushalts ist ein zurzeit in der Ethik viel diskutiertes Phänomen. Unter dem Stichwort des Enhancement, also des Einsatzes medi zinischer Mittel an Gesunden somit nicht zur Therapie von Patienten, sondern zur kundenorientierten Bedürfnisbefriedi gung werden die individuellen und gesellschaftlichen Vorteile wie die moralischen und rechtlichen Grenzen solcher Selbstver besserungsmaßnahmen diskutiert. Pharmakologische ›Verbes serungen‹ von Gedächtnis- und Konzentrationsleistungen wer den derzeit schon genutzt, an implantierbaren Memory-Chips wird geforscht, und verschiedene Techniken der Stimulation von Gehirnpartien finden klinische Anwendung. In der Grundla genforschung werden an Affen bereits Neuroprothesen getestet, und man ist in der Lage, Ratten durch neuroelektrische Impulse ›fernzusteuern‹. Auch wenn die Medizin- und Neurotechnolo gien noch in den Kinderschuhen ihrer Möglichkeiten stecken, werden in den nächsten Jahrzehnten selbsttechnologische Ent wicklungen stattfinden, die die Transformation des Menschen zum Cyborg Realität werden lassen können.

Was aber ist ein Cyborg? Gibt es eine Grenzlinie zwischen Mensch und Cyborg? Sind wir nicht schon Cyborgs, wenn wir irgendwie Technik an unserem Körper haben? Auch wenn er der Sache nach schon älter ist, erfunden haben den Begriff Cyborg Manfred E. Clynes und Nathan S. Kline, zwei Astrophysiker, die 1960 in der durchaus renommierten Zeitschrift Astronautics die mögliche Anpassung des Menschen an den Weltraum, der bald mit imperialem Besitzerinstinkt erkundet werden sollte, disku tieren. Den technisch aufgerüsteten Menschen nannten sie mit tels eines Schachtelworts aus cybernetic und organism Cyborg

Der Wortteil kybernetisch steht hierbei für elektronische Hoch technologie im weitesten Sinne. Charakteristisch für ihre Vision dieses für den Weltraum fit gemachten Wesens sind ein künstli cher Verdauungsapparat und eine ständige psychopharmakolo gische Kontrolle des Seelengleichgewichts, denn es war mit lan gen Reisen durch schweigende Räume zu rechnen. Dass die lite rarische und filmische Science Fiction diesen Begriff nur zu ger ne aufgriff, ist kaum verwunderlich, die Borg aus Star Trek ent lehnen sogar ihren Namen vom Cyborg.

In ethischer Hinsicht ist der Cyborg vor allem deshalb interes sant, weil sich in den Versuchen, den Begriff Cyborg genauer zu definieren, eine anthropologische Selbstverständigung über Grade und Grenzen von Selbsttechnisierung ergibt. Die gängigste und generellste Definition von Cyborg ist Mensch-Maschine-Hy brid. Diese Definition umfasst aber alles von den Borg bis zum Rentner mit Herzschrittmacher. Um die Reichweite des Cyborg Begriffs einzuschränken, wurden verschiedene differenzierende Kriterien eingeführt: (1) Die Technik darf nicht bloß irgendwie am Menschen sein, sondern muss im Menschen, muss invasiv sein; (2 ) die Technik muss so mit dem menschlichen Organis mus verbunden sein, dass sie nicht mehr entfernt werden kann, sie muss irreversibel sein; ( 3 ) die Technik muss eine Steuerungs funktion übernehmen, kann also keine gewöhnliche Prothese sein, sie hat daher vielleicht sogar eine überlebenstechnische Funktion; (4) die Technik muss in irgendeiner Weise mit dem Nervensystem interagieren; (5) die entsprechende Technologie darf keine therapeutische Funktion haben, sondern muss der ge zielten Steigerung des Organismus dienen, sei es in kognitiver, mentaler oder physischer Hinsicht.

Auch wenn diese Kriterien wesentliche Differenzierungen bie ten, herrscht über eine endgültige Definition keine Einigkeit. Zwei typische Positionen stehen sich hier gegenüber: Auf der ei nen Seite diejenigen, die mit einer breiten Definition operieren und schon einen Menschen mit zwei Beinprothesen für einen Cyborg halten, auf der anderen Seite solche, die Cyborg eher eng

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definieren und nur neurotechnologisch ausgerüstete Wesen, die in irgendeiner Weise deutlich ›verbessert‹ wurden, gelten lassen wollen. Der Philosoph Dieter Sturma geht sogar so weit: Erst wenn ein solches aufgerüstetes Wesen für irgendeine militärische oder humanitäre Mission auch noch freiwillig auf seine Autono mie verzichtet, um eine heroische, von einem normalen Men schen nicht bewältigbare Aufgabe vollbringen zu können, könne man wirklich von einem Cyborg reden. Nur vor dem Hintergrund solch strenger Definitionen kann man auch behaupten, dass ein Cyborg ein vom Menschen deutlich unterschiedenes Wesen ist. Denn erst wenn typisch menschliche Eigenschaften Emoti onen, personale Eigenschaften und ein praktisches Selbstver hältnis zu haben, vielleicht sogar die menschliche Gestalt usw. nicht mehr vorliegen, kann man sagen, der Cyborg sei etwas qua litativ anderes als ein Mensch. Bei den weiter gefassten Definiti onen dagegen gilt, dass der Cyborg immer auch ein Mensch ist.

Unterscheidet man deutlich zwischen Mensch und Cyborg sagt man also etwa, das Mensch-Maschine-Mischwesen habe zwar einen menschlichen Ausgangsorganismus, sei aber weit über die typisch humanen Fähigkeiten hin optimiert und entbehre des Mitgefühls und eines Verantwortungsbewusstseins , dann stellt sich die doppelte Frage: Dürfen Cyborgs überhaupt herge stellt werden? Und wenn sie mal existieren welche Rechte und Pflichten haben sie? Hinsichtlich der ersten Frage wird man si cher zögern, sich solche Wesen zu wünschen, man würde viel mehr sogar rechtliche Schritte gegen solche Art Cyborgisierung in Erwägung ziehen. Die zweite Frage ist komplexer: Wenn Cy borgs in irgendeiner Form personale Eigenschaften haben, dann müssten sie wohl die gleichen Rechte wie Menschen haben. Aber man täte sich trotzdem schwer, bei weitgehender Abwesenheit von personalen Eigenschaften dieser Lebensform bloß den Sta tus einer Maschine zuzusprechen.

Auch wenn man nicht gerade über solche Extreme redet, ist die Beschäftigung mit dem Cyborg ethisch und anthropologisch von Bedeutung. Schon die Überlegungen zu den o.g. differen zierenden Kriterien verdeutlichen, dass diese Fragen viel mit un serer Lebenswirklichkeit zu tun haben. Das Nachdenken über Cyborgisierungsprozesse konfrontiert uns mit den Fragen, wie viel Technologie gut für uns ist, wie viel Technologie wir zur sou veränen Lebensführung in uns haben wollen, wo wir Grenzen der Selbsttechnologisierung sehen. Der Cyborg als anthropolo gische Reflexionsfigur hat somit eine ethische Orientierungs funktion. In den Cyborg-Imaginationen entdecken wir mög liche Weisen unseres Selbstseins, die nicht einfach begrifflichtechnisch auszudrücken sind. Der Cyborg gibt uns dabei nicht nur über den möglichen Grad von Technisierungsprozessen Auskunft, sondern auch über unsere Bedürfnisse, unsere Hoffnungen, die wir in die Technik setzen, aber auch unsere Ängste, die Technisierungsprozesse begleiten (und die vielleicht unnötig sind). Lässt man sich nicht von der Schreckgespensthaftigkeit manches Cyborg auf der Kino-Leinwand bannen, sondern über setzt das Geschehen in anthropologische Grundfragen, dann kann die Auseinandersetzung mit dem Cyborg dazu dienen, das Verhältnis von Natur und Technik am eigenen Leib auszutarieren. Was die Natur des Menschen ist, können wir nicht genau sagen. Doch feststehen dürfte, dass der Mensch das sich selbst deutende Wesen ist. Als ein solches erkundet er sich über das Andere seiner selbst, als solches versteht er das ihm Eigene über das ihm Frem de. Überspitzt kann man sagen: Der Mensch begreift sich nur über das, was er (noch) nicht ist. Traditionell waren es immer Gott, die Engel oder das Tier, gegenüber denen der Mensch seine cha rakteristischen Eigenschaften erkennen, sein Selbstbewusstsein gewinnen oder seine Selbsterniedrigung erfahren konnte. In Zu kunft werden es die Maschine als das ganz Andere und der Cy borg als das fremde Eigene werden, angesichts derer sich der Mensch selbst definiert. Der Mensch wird aus seiner eigenen Zu kunft heraus sein Wesen zu bestimmen suchen.

Ein besonders prominentes und dankbares Medium solch futu rologischer Selbstdeutung des Menschen bieten nun eben Cy borg-Filme. Erstens erleichtern genretypische Spezifika der Po pulärkultur (u.a. eine Dominanz des delectare über das prodesse ) den unmittelbaren Zugang zu einem unbequemen Thema. Mögliche Hemmschwellen werden umgangen, da der durch Unterhaltungsfaktoren in Aussicht gestellte Lustgewinn durch diese fikti

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ven Seinsentwürfe größer erscheint als die Furcht, sich mit dem immer auch beängstigenden Projekt Cyborg zu konfrontieren. Zweitens präsentieren solche Filme in phantasie-induzierter Bild lichkeit und Dramaturgie naturgemäß extrem-konkrete Formen eines zunächst abstrakten Themas. Die mit dem Konzept des Cyborgisierens verbundenen Problemhorizonte werden so beson ders deutlich, verschiedene Cyborg-Paradigmen augenschein lich figuriert. Die je-spezifischen Formen, wie Menschlich-Or ganisches sich mit Technischem auf der Kinoleinwand verbindet und welche Folgen das hat, stellen damit gleichsam eine Mi schung aus Zerrspiegel und Vergrößerungsglas dar, die es gestat tet, in unmittelbar sinnlich zugänglichen Experimentalanord nungen durchzuexerzieren, was die Zukunft bringen könnte. In diesem rezeptionsästhetischen Rahmen setzen Cyborg-Filme viele der o.g. Aspekte ins Bild, so dass sich eine Typologia Cyborgiana skizzieren lässt, die vor allem drei Cyborg-Imagines kontu riert, die sich im kollektiven Bewusstsein eingenistet haben.

1Der Cyborg wird als Modell menschlicher Perfektibilität inszeniert. Dies geschieht nicht nur auf körperlicher, sondern auch auf moralischer Ebene. Denn der materiell amplifizierte Mensch steht hier im Dienste einer höheren normativen Ord nung, die zu wahren ihm obliegt: Wo der 6 Million Dollar Man (1974 78 ), The Bionic Woman (1976 77), Robocop (1987) und Iron Man (2008 ) auf Erden das Böse bekämpfen, schlägt sich Luke Skywalker in der Star Wars -Trilogie (1977 83 ) durch die Weiten des Universums, und selbst die Star Trek : Voyager -Ikone Seven of Nine , eine ehemalige Borg-Droh ne, wird aufgrund ihrer Cyborg-Aspekte zum wertvollen Mit glied ihrer nach Wissen strebenden und stets den höchsten mo ralischen Standard aufrechterhaltenden Crew.

Der perfektionierende Eingriff in den menschlichen Organis mus produziert dabei allerdings nicht nur Helden, sondern aktu alisiert auch ein satirisches Potential, sobald sich die ›höheren‹ Normen, in deren Namen cyborgisiert wird, als Medium ideolo gischer Repressalien entpuppen. So im 2004er Remake von The Stepford Wives , wo der perfektionierte Mensch kein mit Su perkräften begabter Weltenretter ist, sondern die perfekte ameri kanische Hausfrau: weiß, christlich, wohlerzogen, erotisch-will fährig und uneingeschränkt ihren Mann bewundernd. Die der Cyborgisierung zugrundeliegende Kategorie der Perfektibilität wird damit als äußerst zweischneidiges Schwert entlarvt, der Cy borg verwandelt sich vom Idealbild menschlicher Sehnsüchte zum Gegenstand sozialer Kritik und individueller Ängste.

2Denn auch als Bedrohung setzt der Film den Cyborg ins Bild. Einerseits weil er aufgrund seiner ins Maßlose gesteigerten körperlichen Kräfte und Unverwundbarkeit leicht zur unbesieg baren Waffe in den Verästelungen machtpolitischer Konstellati onen werden kann. Ein Titel wie Universal Soldier (1992 ) sowie die düstere Aura eines Darth Vader in den Star Wars Filmen sprechen für sich. Doch ist es oft eine subtilere Angst als die vor äußerlicher Bedrohung, die den Cyborg zum Albtraum werden lässt: Es ist die Angst vor der Beeinträchtigung, gar dem Verlust der eigenen Innerlichkeit, die das Bedrohungspotential des Cyborgisierens markiert. Der als Waffe instrumentalisierte Cyborg verliert ja jene Autonomie, die dem Menschen wesens mäßig sein soll. Sogar der als Held angelegte Robocop erfährt solche Grenzen, als er nicht mehr im Stande ist, das erkannte Übel konsequent zu bekämpfen, da er von seinem Schöpfer ent sprechend programmiert wurde. Der Cyborg erscheint hier als Produkt einer De-Individualisierung, bei der der Kampf indivi duellen Bewusstseins und persönlicher Freiheit gegen fremdge steuerte Perfektionierung ausgefochten und allzu oft verloren wird. Im Borg -Kollektiv des Star Trek -Kosmos wird dieser Gedanke ausgereizt: Als Kollektiv sind die Borg schier unverwund bar, unsterblich und allwissend als Individuen allerdings ver mögen ihre Mitglieder sich nicht einmal mehr wahrzunehmen, geschweige denn zu existieren. Zwar werden in den Borg -Episo den programmatisch auch die Vorteile einer solchen Existenz (zuweilen verführerisch überzeugend) thematisiert, doch domi niert auch dank angemessen beängstigender Physiologie der Borg der Selbstbewahrungswille des individuellen Zuschau ers. Denn es ist ein verzweifelter Kampf der Seele um ihren eige nen Bestand, der hier ausgefochten wird.

3So wird der Cyborg schließlich zum Opfer. Ihm eignet nämlich eine wesensmäßige Passivität: Bis auf wenige Ausnah

men ( Iron Man ) ist er nicht Subjekt, sondern Objekt der Cy borgisierung. Wenn dabei nicht nur sein körperlicher Bestand, sondern auch seine psychische Disposition dem jeweiligen Per fektionierungs-Ideologem angepasst wird, ist es schnell vorbei mit seinem Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung. Der Cy borg ist dann Objekt einer durchgreifenden Vergewaltigung, de rer er sich weder in physischer ( Robocop , Wolverine in den X Men [2000 06 ]) noch in psychischer Dimension erwehren kann, wie Chise in Saikano (2006 ): Die Diskrepanz zwi schen technischer Perfektionierung und der Unmöglichkeit eines privaten Seelenhaushalts ist hier schon optisch auf die Spitze getrieben: Der Cyborg ist nämlich kein viril-muskulöses SuperStehaufmännchen, sondern eine schüchterne japanische Schü lerin, die aus unreflektiertem Patriotismus heraus sich zur Waffe umfunktionieren lässt. Die Situation könnte kaum grotesker sein: Wenn Chise gerade einmal nicht als militärische Superwaf fe agiert, ist sie als privat-unschuldiges Mädchen damit beschäf tigt, Sinn in die Wirren ihrer eigenen pubertären Psyche zu brin gen, da sie sich zum ersten Mal verliebt hat und diese Beziehung wen wundert das? durch ihr Cyborgsein ein wenig kompliziert wird. Chise kämpft also gegen materielle Militärmächte ebenso wie gegen die emotionalen Verwirrungen, die sich aus ih rer und für ihre private Situation ergeben. Aufgrund ihrer Instru mentalisierung wird schließlich auch jegliche emotionale Inti mität unmöglich, Chise wird zum Opfer des Systems und stirbt als detonierende Bombe in einem letzten Akt der Selbstbestim mung.

Solche de-individualisierten Cyborgs mutieren immer mehr zu Monstrositäten, die nicht nur ein bezeichnendes Licht auf ihr eigenes Unwesen, sondern auch auf ihre Schöpfer werfen: Nicht von ungefähr finden sich intertextuelle Anspielungen auf Mary W. Shelleys Frankenstein in vielen Cyborg-Filmen. Nicht allein die Cyborgs sind freudsche Prothesengötter; ihre prometheischen Erbauer spielen nicht weniger Gott, indem sie den per fekten Maschinen-Menschen verantwortungslos und ›nach ih rem eigenen Bilde‹ erbasteln, sobald sie sich im Banne einer verhängnisvollen Fortschrittshörigkeit jenen Möglichkeiten der Technik anheimgeben, unter deren Druck auch sie selbst la tent stehen: Denn eine anthropologische Erklärung für die zu nehmende Selbstcyborgisierung könnte man mit Günther An ders geben, der schon 1956 in der Antiquiertheit des Men schen das Charakteristische der Selbstcyborgisierung folgendermaßen auf den Punkt gebracht hat: Ausgehend von dem Be fund, dass wir unser Nicht-Verdinglichtsein zunehmend als ein Manko empfinden, dass wir uns unserer Natürlichkeit angesichts der Standards technischer Perfektion schämen, passen wir uns, unseren Leib und unser Bewusstsein, immer mehr der Effizienz und dem Kalkül der Technik an, ja, wir führen unsere Cyborgi sierung letztlich den Geräten zuliebe durch. Wir passen unsere Bedürfnisse den Angeboten oder Erfordernissen der Maschinen welt und ihren Gerätschaften an. Wir haben so die düstere Konsequenz dieser These nur noch über das Technische einen Zugang zu uns selbst. Der Mensch existiert sub specie machinae

Oliver Müller , Dr. phil., ist Philosoph und leitet die Nachwuchsforscher gruppe zu dem Thema Die Natur des Menschen als Orientie rungsnorm in der Bioethik am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin in Freiburg. Müller hat zahlreiche Artikel zu philosophischen The men veröffentlicht und schreibt regelmäßig für die Süddeutsche Zeitung und die Berliner Zeitung. In Vorbereitung ist der Sammelband Das technisier te Gehirn Neurotechnologien als Herausforderung für Ethik und Anthropologie , den Müller mit Jens Clausen und Giovanni Maio demnächst im Mentis Verlag veröffentlicht.

Frank Pauly , Jahrgang 1969, promoviert z.Zt. über P B . Shelley und die Tradition neuplatonischer Poetologien. Im Rahmen des Projekts zur Optimie rung des menschlichen Gehirns ist Pauly für die wissenschaftliche Ex pertise zu den Cyborg-Phantasien zuständig.

optimierung des menschlichen gehirns interdisziplinärer kongress am 18. und 19. April 2009, Theater Freiburg. Die Ergebnisse des Kongresses fließen in Hans-Werner Kroesingers Inszenierung ME , Cyborg mit Jugendlichen und Schauspielern im Großen Haus des Theater Freiburg ein (Oktober 2009).

Weitere Informationen unter www.gehirn.bplaced.net & www.theater.freiburg.de

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durchschnitt

einwor tphrasen (III)

Dass ein einzelnes Wort eine Phrase sein kann, belegen Burkhard Müllers scho nungslose Aufklärungsstücke über signifikante Einträge in den Konvoluten un serer Antragsprosa. Hier kommen noch einmal drei die letzten dieser Kolum ne. Was nicht bedeutet, dass sich unser Arsenal erschöpft hätte… Gegen die Vernetzung(III) gesamtgesellschaftlich(II) unkonventioneller(III) Formate (II) mit spartenübergreifenden(II) Paradigmenwechseln(I) ist jede noch so nachhaltig (III) innovative (I) Intervention(I) machtlos.

unkonventionell Woher kommt sie nur, diese Geringschät zung der Konvention? Und zwar nicht dieser oder jener einzel nen Konvention, sondern der Tatsache, dass es so etwas über haupt geben soll. In der Konvention steckt das lateinische convenire, das ›zusammenkommen, sich einigen‹ bedeutet; und da mit die Möglichkeit der Verhandlung, der vernünftigen Abrede. Konventionen machen es allen einfacher; sie bewirken, dass die sozialen Atome weder im festen Verbund erstarren, noch sich gas förmig einzeln verflüchtigen, sondern wie das Wasser in leichtes tem Zusammenhang zu gleiten vermögen. Gäbe es keine Konventionen, wir könnten keinen einzigen Tag ohne Anstoß verleben. Wir sollten uns da nicht zu sehr auf die Justiz verlassen. Die schützt nur den engen Kernbereich unserer Rechte, und sie verschafft sie uns niemals, ohne dass wir eine Menge Scherereien dabei haben. Das Gesetz schützt uns vor der Körperverletzung, aber nicht vor der Rempelei. Eine überaus vernünftige Konvention besteht zum Beispiel darin, dass man, wenn der Zug in den Bahnhof einfährt, zuerst die Passagiere drinnen aussteigen lässt, bevor man selber einsteigt. Das ist nir gends schriftlich festgehalten, aber jeder begreift sofort den Sinn dieser Regelung. Trotzdem kann man jedesmal auf dem Bahn steig beobachten, dass etwa fünf Prozent der Zusteigenden sich gewaltsam ihren Weg durch den Gegenverkehr bahnen, obwohl sie ihr Ziel dadurch per saldo auch nicht schneller, sondern eher langsamer erreichen, aber dabei jede Menge Verdruss erzeugen und erleiden. Es sind rücksichtslose Dummköpfe. Sie beküm mern sich nicht um ihre Nächsten, und sie sehen das Nahelie gende, die Kollision, nicht voraus. Das sind jedenfalls die Un konventionellen.

So viel zur ethisch-pragmatischen Seite der Konvention. Wie aber steht es nun im Ästhetischen? Sollte nicht der Grundsatz gelten, dass im Bereich des Guten und Sozialen zwar das Verlässliche, im Bereich des Schönen aber das Außerordentliche den Vorrang hat? Das Außerordentliche aber bezieht sich auf die Ordnung, und nirgends mehr als in der Kunst, wo es die Ordnung des Symbo lischen ist, die Bedeutung zuweist. Ein Kunstwerk, das wirklich ganz und gar unkonventionell wäre, könnte als solches nicht ein mal mehr erkannt werden. Die Vorzüge einer Bratwurst erschlie ßen sich ohne regulierende Debatte auch einem fleischfressenden Tier; für die Vorzüge der Tafelmalerei gilt das nicht. Jeder, der der Kunst nahesteht, sollte ein Gefühl der tiefen Dankbarkeit für Konventionen hegen. Sie ist die Schwerkraft, die alle Werke und alle Bezüge in ihrer genauen Umlaufbahn erhält, ohne sie schösse alles, was startet, in die schwarze Nacht des Weltraums hinaus und wäre verloren. Noch das unkonventionellste Kunstwerk ist zu mindestens 80 % Konvention, wobei der größte Anteil auf die Absprache entfällt, es solle überhaupt so etwas wie Kunst geben. Dass unkonventionell so ohne weiteres, ohne jeden Zusatz, durch welchen der Wert der Neuerung erläutert würde, zum Hochwert begriff hat werden können, beunruhigt. Heißt das, es fehlt den Neuerern am Instinkt der Selbsterhaltung, und sie wären bereit, sich ins Nichts der absoluten Bedeutungslosigkeit zu stürzen? Oder waltet hier, wenn nicht direkt den Künstlern, so doch auf lange Sicht der Kunst als Ganzem noch gefährlicher, eine neue, mindere, undialektische Konvention, die dem Götzen der abso luten individuellen Bequemlichkeit huldigt? Wenn die Tischsitte zum Tyrannen wird, handelt der befreiend, der einmal, ein einziges Mal, die Füße auf die gedeckte Tafel legt. Wenn es jeder ständig tut, vergeht allen miteinander der Appetit.

nachhaltigkeit Das Konzept der Nachhaltigkeit verdankt sich der Forstwirtschaft. Um 1800 war der deutsche Wald durch stän

dige Übernutzung, durch Holzeinschlag, Reisigsammeln, Plen terei, Waldweide, Entnahme von Laub als Streu, Futter, Dünger so heruntergekommen, dass er mehr einer Savanne glich, oder, mit dem deutschen Wort, eine ›Heide‹ war. Wer Caspar David Friedrichs einsame Eichen bewundert, sollte wissen, dass die nicht etwa neben dem Wald standen: Sie waren der Wald. Schluss damit! erscholl es kurz nach 1800. Künftig sollte aus dem Wald jeweils nur noch so viel herausgenommen werden, wie drinnen nachwuchs. Es war die Geburtsstunde der Fichten-Monokul tur; denn diese erwies sich als die nachhaltigste. Doch wirtschaftet die Natur, besieht man es genauer, ihrerseits keineswegs nachhaltig, wenigstens nicht, soweit es das irdische Le ben betrifft. Vielmehr gelten die Gesetze der Thermodynamik, die auf Diffusion und Verlust hinarbeiten. Nur dass wir, das heißt der Planet Erde, unausgesetzt die durchaus endliche Ressource Sonne anzapfen, bewirkt, dass immer wieder was Neues nach wächst wie viel jeweils, das hängt dann doch sehr von den Launen unseres Zentralgestirns ab, von dessen Flecken- und Magne tismuszyklen und anderem, dem man nur allmählich auf die Schliche kommt. Gut möglich, dass schon in tausend Jahren, wenn sich das Antlitz der Sonne wieder mal verfinstert hat, die Gletscher in die Norddeutsche Tiefebene vorstoßen; und da ge deiht kein Halm mehr.

Wenn jedoch die Sonne über unseren Köpfen und der Erdboden unter uns sich als so schwankende Größen offenbaren, wie kann man den Begriff der Nachhaltigkeit auf das noch viel ungewissere Gebiet der Kultur übertragen wollen? Denn was dem Wald Hu mus und Sonnenschein, das ist der Kultur das Geld, genauer: die Bereitschaft es für etwas auszugeben, das sich höchstens in über tragenem Sinn als eine Investition verstehen lässt, von vielen Leuten aber, möglicherweise der arithmetischen Mehrheit, gene rell nur als verlorener Zuschuss gewertet wird. Dass auch in zehn Jahren auf unseren Äckern noch was wächst, dürfen wir getrost voraussetzen; dass es immer noch subventionierter Raps sein wird, lässt sich bezweifeln. Welche sachliche Grundlage vollends kann da die Hoffnung oder Zusage haben, es würde alle drei Sparten eines bestimmten Theaters auch in zehn Jahren noch geben?

Die politischen Körperschaften machen jedes Jahr ihren Haus halt, und alle vier Jahre wird ihr Personal neu gewählt weiter können, ja sollen budgetäre Strategien nicht greifen. (Der private Mäzen mit dem langen, dem lebenslangen Atem kommt kaum noch vor.) Wer aber kulturellen Institutionen Versprechungen von Nachhaltigkeit macht, als könnte man Streicher und Holz bläser wie Bäume pflanzen, und sie wüchsen dann einfach vor sich hin; wer tut, als käme man hier am Prozess einer sich ständig erneuernden Willensbildung vorbei, dem sollte man, wie allen Erzählern vom rauschenden Märchenwald, misstrauen. In der historischen Welt pfeift ein schärferer, ein unsteter Wind.

vernetzung Das Netz gab es schon immer. Wo es als Meta pher erschien, da bezeichnete es ein (oftmals fragwürdiges) Mit tel und nicht einen Zweck. Eine schöne Frau stellte ihre Netze, oder die Kripo zog endlich das Netz um den Fälscherring zu. Das meint die Vernetzung überhaupt nicht mehr; sie sieht nicht darauf, was hängenbleibt, sondern betrachtet verliebt die Kno ten selber, als wären sie ein Gut an sich.

Die Stärke der neuen Metapher gründet darin, dass sich hier zwei dominierende Sparten ineinander spiegeln und wechselseitig stärken: die Neurologie und die Informatik. Die Verbindung der Mil lionen Computer gleicht dem, was Nervenfasern treiben, das be glaubigt diese führende zeitgenössische Technik als organisch;

von burkhard müller

und das opake Nervensystem lässt sich mit größerer Klarheit lesen, wenn man es dem vorherrschenden Maschinentyp ver gleicht. Beide sind stolz darauf, dass ihre Netze nicht mehr ge knüpft werden, sondern wachsen wie das Küken im Ei, ohne zentralen regelnden Willen, welcher diesen Grad von Komplexität ja überhaupt nicht mehr durch Direktiven bemeistern könnte. Wer macht das Küken im Ei? Es selbst natürlich! Und doch weiß es nichts davon.

Es steckt eine merkwürdige Naturfrömmigkeit in diesem Glau ben an die Vernetzung, die sich bewusstlos von allein erschafft und der schon darum Verehrung gebührt. Jeder Kunstschaffen de und Kunstfunktionär darf sich da als Neuron empfinden, hochsensibel und doch voll einer tieferen entgrenzenden Un schuld, mit seinem Gefaser aus Axonen und Dendriten selige Durchgangsstation eines größeren Strömens. Was er sonst noch tut, als dass es durch ihn hindurchrauscht, ist ungewiss. Zwar bleibt ihm natürlich sein Partikularinteresse als bürgerliches In dividuum, aber Genuss und Rechtfertigung empfängt er doch erst aus der Verbindung mit vielen seinesgleichen. Der Vernetzte, der soeben für ein Projekt eine hohe Summe eingeworben hat, wäre aufrichtig bekümmert, wollte man ihn damit konfrontie ren, dass dies jetzt jedenfalls sein Geld wäre. Das schon, und ab geben würde er es nur äußerst ungern; aber er geriete in Verlegen heit; und wäre bestimmt dankbar, wenn ihm jemand soufflieren wollte, dass dieses Geld nur das unentbehrliche Erregungspoten tial bedeutet, ohne welches keine Zelle nach allen Seiten feuern kann, wie das Nervennetz es zu seinem Funktionieren erfordert. Vor allem sollte man nicht allzu genau nachfragen, was hier ei gentlich vernetzt wird. Die Tatsache, dass, will als solche gewür digt sein. Vernetzung, mit noch aktiverem Akzent: Networking, das verleiht dem altbekannten Kosmos aus Klatsch und Tratsch, aus Kungelei und Stehempfängen, um die sonst der leise Ruch von Korruption und Zeitverschwendung wehte, die legitimieren de Anmutung windschnittiger Effizienz. Wer sich vernetzt, der stiehlt nicht etwa sich und anderen die Zeit, sondern durchbricht die sterile Grenze zwischen Offiziell und Privat und bringt den ganzen Menschen ein, jene im Kreativbereich unersetzliche Bezugsgröße, welche sich im voraussetzungslosen Geplauder über egal was, und sei es die Frage der besten Frühlingsdiät, un mittelbarer erschließt, als wenn man nach Art eines Bankange stellten sogleich zur harten Sache kommen wollte.

Jedoch könnte es sein, dass hier der Kulturbetrieb einmal nicht, was er sonst gern für sich in Anspruch nimmt, seiner Zeit voraus ist und die Avantgarde stellt, sondern im Gegenteil ein Stück weit hinterherhinkt. Dass die absolute Vernetzung vielleicht auch von Übel wäre, diese Einsicht dämmert allmählich im Zug der allge meinen Wirtschaftskrise. Entflechtung ist das Wort der Stunde, in der sich erweist, dass ein Faden den anderen umso unaufhalt samer mit sich reißt, je enger sie alle miteinander verwoben sind, und die Welt, wie wir sie kennen, sich in eine einzige unaufhalt same Laufmasche zu verwandeln droht.

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bundes
Burkhard Müller , Jahrgang 1959, arbeitet als Dozent für Latein an der TU Chemnitz und als Journalist für das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung. Zuletzt erschien von ihm Die Tränen des Xerxes Von den Lebendigen und den Toten , Klampen Verlag, Springe 2006 grauzone

meldungen + neue projekte

zipp: tschechische utopien der moderne: die stadt zlín Vom 19.– 23. Mai 2009 findet in Prag und in der osttschechischen Stadt Zlín das internationale Symposium Utopie der Moderne : Zlín statt. Es ist eine der zahlreichen Veranstaltungen im Rahmen des von der Kulturstiftung des Bundes initiierten Projektes Zipp deutsch-tschechische Kulturprojekte , das seit 2008 zahlreiche Kooperationsprojekte zwischen den Kulturak teuren beider Länder entwickelt hat. Die Stadt Zlín zählt zu den bedeutendsten Baumonumenten der tschechischen Moderne. Von dem Schuhfabrikanten Tomáˇs Bat’a zu Beginn der 1920er erbaut, stand Zlín im Dienst einer klar definierten Idee: Es war eine City of Functiona lism und basierte auf einer differenzierten Wirt schafts- und Dienstleistungsstruktur. Binnen kurzer Zeit sollte sich die Stadt zu einem der weltweit wichtigsten Zentren der Schuhproduk tion entwickeln. Die Konferenz Utopie der Moderne: Zlín will sich nicht auf die for male Betrachtung von Architektur und Stadt planung beschränken: Sie widmet sich zudem der Sozialutopie Tomáˇs Bat’as. Durch den Bau einer komplett durchstrukturierten Lebenswelt hatte er nicht weniger im Sinn als die Erschaf fung eines Neuen Industriemenschen. Zlín ist ein faszinierendes und vielfältiges Großprojekt vol ler Widersprüchlichkeiten und Schattenseiten. Näheres unter: www.projekt-zipp.de

tanzplan deutschland mit nachhaltigen auswirkungen Auf Initiative des Tanz plan Deutschland der Kulturstiftung des Bundes haben sich die wichtigsten fünf deut schen Tanzarchive zu einem Verbund zu sammengeschlossen und arbeiten an Maßnah men zur kulturpolitischen Stärkung dieser Ein richtungen, an der Digitalisierung der Archivbe stände sowie an einem gemeinsamen Tanzportal. Die neun Partnerstädte im Tanzplan vor Ort können Nachhaltigkeit versprechende Erfolge verzeichnen: Die Städte Hamburg und Frankfurt haben mit ihren Vermitt lungs-, Ausbildungs- und Residenzprogrammen an Attraktivität für internationale Künstler gewonnen und auch die lokalen Tanzszenen ge stärkt; Essen ist mit seinen interdisziplinären Projekten zu einem Zentrum des Austauschs zwischen dem Tanz und anderen Künsten ge worden; in Düsseldorf und München sorgt die erfolgreiche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen für stetig wachsende Zahlen so wohl beim Publikum als auch bei den Tanz-inSchulen-Projekten; die am NorddeutschenTanz treffen beteiligten Städte und Länder planen ei ne Fortsetzung ihres gemeinsamen Festivalpro gramms auch nach dem Ende des Tanzplans 2010 ; das Forschungslabor für Tanz der neuen Tanzhochschule in Berlin festigt seinen Ruf bei internationalen Studierenden; Dresden kann mit seinem ambitionierten Projekt zwi schen Semperoper, Hellerau und Palucca wieder an seine Tradition als Tanzstadt anknüpfen, und von dem Residenz-Programm der fabrik Potsdam haben bereits mehr als 300 Künstler aus über 20 Ländern profitiert.

Im Programmbereich Tanzplan Ausbildungspro jekte ist es gelungen, mit den staatlichen Ausbil

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dungsinstituten an der Qualifizierung und in ternationalen Profilierung der Tanzausbildung in Deutschland zu arbeiten. Erstes sichtbares Zeichen dieser Zusammenarbeit war im Früh jahr 2008 die 1 Biennale Tanzausbil dung / Tanzplan Deutschland im HAU / Berlin, der dank der finanziellen Zusicherung durch das Bundesministerium für Bil dung und Forschung, der Kulturhauptstadt Es sen Ruhr.2010 und Tanzplan Deutschland die 2 Biennale Tanzausbildung im Früh jahr 2010 in Essen folgen kann. Am neuen For schungsprojekt über zeitgenössische Tanztechniken das als Methodenbuch Ende 2010 veröffentlicht werden wird beteili gen sich alle wichtigen nationalen und interna tionalen Tanzausbildungsstätten. Darüber hin aus ist ein mit 100 000 Euro dotiertes Quali fizierungsprogramm der Pädagogen ausbildung für Tanz an Schulen gestartet.

Die internationale Resonanz auf das deutsche Projekt zeigt, dass das Strukturförderprojekt ein wichtiger Impulsgeber ist. In Österreich, im belgischen Flandern, Holland, Finn land, Großbritannien, Irland, Spa nien, Dänemark, Tschechien, in der Schweiz, Australien und Neuseeland wurden bereits vergleichbare Projekte nach dem Tanzplan Deutschland -Vorbild entwi ckelt. www.danceplans.blogspirit.com

Im nächsten Magazin berichten wir ausführlicher über den Tanzplan Deutschland

tanzkongress 2009 Drei Jahre nach dem er folgreichen Tanzkongress Deutschland , den 1 700 Teilnehmer im Haus der Kulturen der Welt in Berlin besucht haben, findet vom 5. bis 8. November 2009 die Folgeveranstaltung auf Kampnagel in Hamburg statt. Das Programm wurde mithilfe vier offener Think Tanks in Ber lin, Hamburg, München und Düsseldorf vorbereitet, bei denen 100 Tanzschaffende Ideen und aktuelle Themen aus ihrer Arbeitspraxis zur Diskussion stellten. Diese Themen greift der Tanzkongress 2009 auf, wobei Fragen nach den politischen und gesellschaftlichen Potenzialen des Tanzes im Zentrum stehen: Wie ist Tanz im Bildungskanon und in der Forschung stärker zu verankern? Wie sind Produktionsbedingungen, Förderstrukturen und Vermark tungsstrategien zu verbessern? Wie werden die unterschiedlichen künstlerischen Ansätze und Methoden im Tanz reflektiert? Wie sehen die Tanzarchive der Zukunft aus? Neben Vorträgen internationaler Wissenschaftler, die den Tanz aus soziologischer, philosophischer und kultur historischer Perspektive beleuchten, wird es in Hamburg vor allem partizipative Formate wie Workshops, Salons, Laboratorien sowie Perfor mances geben. Mit Blick auf den 2010 auslau fenden Tanzplan Deutschland widmet sich der Kongress der Weiterentwicklung von Perspektiven der daraus entstandenen Projekte. Wie schon sein Vorläufer richtet sich auch der Tanzkongress 2009 an Tänzer, Choreografen, Produzenten, Tanzpädagogen, -wissenschaftler, Kritiker und Politiker sowie an tanzinteressier tes Publikum aus dem In- und Ausland. Eine Veranstaltung der Kulturstiftung des Bundes in Kooperation mit Kampnagel, K 3 — Zentrum für

Choreographie/Tanzplan Hamburg und dem Zentrum für Performance Studies der Universi tät Hamburg. Unterstützt von der Behörde für Kultur, Sport und Medien Hamburg. www.tanz kongress.de

gedenkjahr deutschland 2009 In die sem Jahr geben große historische Ereignisse An lass zum Gedenken und Feiern: Der Fall der Mauer jährt sich 2009 zum zwanzigsten Mal und die Bundesrepublik Deutschland wird sech zig Jahre um nur zwei Marksteine der jünge ren Geschichte zu nennen. Die Kulturstiftung des Bundes beteiligt sich am Gedenkjahr 2009 durch die Förderung einer Reihe von Veranstal tungen, in denen die Beiträge von Künstlern und Kulturschaffenden als Chronisten, Kom mentatoren und Kritiker der deutsch-deutschen Zeitgeschichte und des europäischen Einigungs prozesses im Vordergrund stehen. Den Auftakt machte die Filmreihe Winter adé Filmische Vorboten der Wende , die im Februar 2009 auf der Berlinale Pre miere hatte und seitdem bundesweit in Kinos gezeigt wird: In fünfzehn abendfüllenden Pro grammen werden deutsche und osteuropäische Filme gezeigt, in denen sich der bevorstehende Wandel bereits abzeichnet. Die Auswahl an Spiel-, Dokumentar-, Animations-, Kurz- und Experimentalfilmen bezieht große Namen der Filmgeschichte ebenso ein wie Arbeiten weni ger bekannter Filmemacherinnen und Filme macher. Die Filme stehen Kommunalen Kinos und anderen Spielstätten bis vorerst Ende 2010 zum Ausleihen zur Verfügung. Weitere Infor mationen: Deutsche Kinemathek Museum für Film und Fernsehen www.deutsche-kinema thek.de

Die Zeitenwende von 1989, ihre politischen, kul turellen und gesellschaftlichen Voraussetzungen und Folgen, stehen auch im Zentrum des Ge schichtsforum 1989 | 2009 Europa zwischen Teilung und Aufbruch , das vom 28.– 31. Mai 2009 in Berlin stattfindet. Dass die Auseinandersetzung um konkurrieren de Menschenbilder und ideologische Konzepte zur Zeit der deutschen Teilung auch auf dem Feld der Bildenden Kunst ausgetragen wurde, zeigt die Ausstellung Deutsche Kunst im Kalten Krieg . Die Ausstellung präsentiert ca. 300 kunstgeschichtlich herausragende Werke der Malerei, Skulptur, Grafik, Fotografie und Installationskunst sowie Bücher und Videos von mehr als 120 Künstlern. Die Werke entstanden zwischen 1945 und 1989 in der Bundesre publik und der DDR . Die Schau wird nach ihrer ersten Station in Los Angeles ab 23. Mai 2009 im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg und ab 3. Oktober 2009 im Deut schen Historischen Museum Berlin zu sehen sein. Mit dem Projekt Der dritte Weg Eine theatrale Demonstration arbeitet auch das Theaterhaus Jena die Ereig nisse von ’89 künstlerisch auf. Die Regisseurin Nina Gühlstorff befragt Zeitzeugen danach, wie ihr dritter Weg zwischen Sozialismus und Kapitalismus, für einen reformierten Staat, aus gesehen hätte, und entwickelt ein Stück daraus. Premiere ist am 10. Oktober 2009 im Theater haus Jena. Ein eigenwilliges historisches Pano

rama abseits offizieller DDR -Geschichtsbilder entwirft der Dokumentarfilmer Thomas Hei se. Für seine Installation mit dem Titel Mate rial montiert er Bild- und Tonmaterial, das er im Laufe der letzten dreißig Jahre im Zuge sei ner künstlerischen Arbeit gesammelt hat. Die Installation wird im Herbst in der Berliner Aka demie der Künste am Pariser Platz zu sehen sein. www.kulturstiftung-bund.de/deutschland09

goldener bär für den world cinema fund Der vom World Cinema Fund (WCF ) ge förderte Film La teta asustada (»The Milk of Sorrow«) hat im Februar 2009 überraschend den Goldenen Bären und damit die höchste Aus zeichnung der Internationalen Filmfestspiele Ber lin gewonnen. Dieser Spielfilm von Claudia Llosa war der erste peruanische Beitrag, der über haupt in den Wettbewerb der Berlinale Einzug halten konnte. Die Vollendung des Films war durch Produktionsmittel des World Cinema Funds ermöglicht worden. Der von der Kultur stiftung des Bundes im Oktober 2004 initiierte World Cinema Fund wartet nun zum vierten Mal mit einem Berlinale-Hauptpreis für einen von ihm geförderten Film auf. Seit Gründung des World Cinema Fund wurden 928 Projekte aus 69 Ländern der Schwerpunktregionen Afri ka, Lateinamerika, Mittlerer Osten, Zentrala sien, Südostasien oder dem Kaukasus einge reicht. 56 Projekte erhielten bislang eine Produk tions- bzw. Verleihförderung. Zahlreiche durch den WCF geförderte Filme wurden zu bedeu tenden internationalen Filmfestivals eingeladen ein Beweis der Reputation, die der World Ci nema Fund weltweit genießt. www.berlinale.de

auferstanden aus archiven: 40jahrevideokunst.de teil 2 Am Freitag, 17. Juli 2009 eröffnet das Zentrum für Kunst und Me dientechnologie ( ZKM ) in Karlsruhe die Aus stellung zum zweiten Teil des Restaurierungs projektes 40jahrevideokunst.de der Kultur stiftung des Bundes. Den Schwerpunkt dieses Projektes bilden Videoarbeiten der 70er Jahre etwa von Joseph Beuys, Wolfgang Stoerchle, Ulrike Rosenbach oder der Gruppe »Telewis sen«. Zahlreiche Arbeiten galten lange als ver schollen oder konnten nur durch aufwändige Restaurierungen dem Verfall entrissen werden. Neben der Aufarbeitung und Digitalisierung bedrohter Videobänder präsentiert der 2. Teil von 40jahrevideokunst.de auch seltene Originale der technischen Hardware, etwa den Design-Klassiker Wegavision 3000 . Die Aus stellung wird nach der Station in Karlsruhe auch im Ludwig Forum für Internationale Kunst Aachen, im Kunsthaus Dresden und im EdithRuß-Haus für Medienkunst Oldenburg zu seh en sein. Näheres unter: www.zkm.de

deutschlandfunk und deutschlandradio kultur begleiten bis ende 2011 das netzwerk neue musik Im Februar 2009 star tete die Medienpartnerschaft mit dem Deutsch landradio, das im Deutschlandfunk und in Deutschlandradio Kultur in Konzertmitschnit ten, Diskussionen, Features und Reportagen aus und über die 15 im Netzwerk Neue Mu sik geförderten Zentren und Regionen berich

ten. Von Dresden bis Moers, von Kiel bis Passau soll durch die Initiative der Kulturstif tung des Bundes die Neue Musik bundesweit stärker im Kulturleben verankert werden. Das Netzwerk Neue Musik kooperiert außer dem mit zwei Partnern aus dem Printbereich, der Neuen Musikzeitung/nmz-Media und der Neu en Zeitschrift für Musik /Schott Verlag www.netzwerkneuemusik.de

jedem kind ein instrument ein vorreiter für bundesweite initiativen Das 2007 von der Kulturstiftung des Bundes für die Kul turhauptstadt Essen Ruhr.2010 entwickelte Pro gramm Jedem Kind ein Instrument fin det bundesweit Nachahmer. Unabhängig von der politischen Couleur laufen in vielen Kom munen und in fast allen Bundesländern Vorbe reitungen für die Einführung spezieller musik pädagogischer Angebote in den Grundschulen. Die Initiativen gehen sowohl von den zuständigen Ministerien und Kulturämtern aus, wie auch von privaten Unterstützern und von engagierten Bürgern. In Hessen gingen im August letzten Jahres 70 Grundschulen an den Start.

Im Rahmen des Pilotprojekts wird modellhaft und landesweit ein Konzept erprobt, an dem Grundschulen mit je einer 1. Klasse, dann wei tergeführt in Klasse 2 , teilnehmen können. Die beteiligten Schulen arbeiten mit den örtlichen Musikschulen zusammen, um möglichst vielen Kindern die Chance zu geben, ein Instrument zu erlernen. Jedem Kind ein Instrument heißt es auch in Hamburg, wo zunächst sieben und ab dem kommenden Schuljahr 61 Grund schulen an dem Programm beteiligt sind. Hier kooperieren Senatsbehörde, die Staatliche Ju gendmusikschule Hamburg und die Hochschu le für Musik und Theater. Der Freistaat Sachsen plant für 2009 die modellhafte Einführung von Jedem Kind ein Instrument . Neben der Landeshauptstadt Dresden sollen dadurch be sonders im ländlichen Raum die musikalische Grundbildung und das Erlernen eines Wunsch instruments gefördert werden der Start er folgt im September. Im Nachbarland Thüringen ist durch die Initiative der Landesregierung für 2009 ebenfalls ein gleichnamiges, auf drei bis vier Jahre angelegtes Projekt angestoßen worden. Die Konzeption sieht auch hier enge Kooperati onen zwischen den teilnehmenden Grundschu len und den kommunalen Musikschulen vor. Vorreiter hier ist eine private JEKI -Initiative in Weimar, die seit Herbst 2008 zunächst an drei Grundschulen JEKI -Unterricht durch ausgebil dete Musikpädagogen ermöglicht. Mehr als 40 Städte und Landkreise in nahezu allen Bundesländern entwickeln zurzeit vergleichbare Konzepte. www.kulturstiftung-bund.de/jedemkind

gitarren auf platz eins 6 300 Zweitklässler spielen seit Herbst 2008 die Musikinstrumente, die sie sich nach dem ersten Jahr im Programm Jedem Kind ein Instrument ausgesucht haben. 15 Instrumente lernten sie während des ersten Schuljahres kennen. Ganz oben auf den Wunschlisten der Kinder standen Gitarren (2.132) und Violinen (1.147), gefolgt von Querflöten (529 ), Blockflöten ( 372 ) und Violoncelli (260 ). 239 Zweitklässler erlernen zurzeit das Klarinet

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tenspiel und 237 Schüler Akkordeon. Auch Mu sikinstrumente aus anderen Kulturkreisen sto ßen auf reges Interesse. So begeistern sich 76 Kin der für die Baglama, eine türkische Langhals laute. Bis zum Ende des vierten Schuljahres er halten die Grundschüler die Musikinstrumente als kostenlose Leihgabe. Derzeit wählen 19 600 Erstklässler an 370 Grundschulen aus, welches Instrument sie im zweiten Jahr erlernen wollen. Ab August können weitere rund 31 300 Erstkläss ler mit Jedem Kind ein Instrument auf musikalische Entdeckungsreise gehen. Für die Anschaffung der Musikinstrumente benötigen die Musikschulen noch tatkräftige Unterstüt zung von engagierten Bürgern und Unterneh men. Mehr Informationen zu den Fördermög lichkeiten unter www.jedemkind.de

der anfang vom ende eines provisoriums — neubau für kulturstiftung des bundes Fast genau zum siebten Jahrestag der Gründung der Kulturstiftung des Bundes am 21. März 2002 zeichnete sich mit der Auslobung eines internationalen Architektenwettbewerbs im März 2009 eine neue Etappe in ihrer jungen Ge schichte ab. Die Kulturstiftung des Bundes hat ihren Sitz in Halle an der Saale auf dem Gelän de der Franckeschen Stiftungen, einem herausra genden Kulturerbe-Ensemble, das auf der Vor schlagsliste für das UNESCO -Weltkulturerbe ge führt wird. Doch verfügte sie bisher über kein eigenes Gebäude. Die Büros der Stiftung vertei len sich auf drei verschiedene Standorte. Auf dem Gelände der Franckeschen Stiftungen wird ein Neubau für den Sitz der Kulturstiftung des Bundes errichtet, der die satzungsmäßigen Ziele der Stiftung die Initiierung und Förderung nationaler und internationaler, innovativer Kul turprojekte mit zeitgemäßer Baukultur und einer energieeffizienten, nachhaltigen Techno logie verbindet und sich gleichzeitig in die be stehende frühneuzeitliche Häuserzeile einfügt. Für den Neubau stehen 2 ,5 Mio. Euro zur Verfü gung. Fachpreisrichter für den Wettbewerb sind die Architekten Prof. Donatella Fioretti (Berlin) , Prof. Peter Kulka (Köln/Dresden), Alfred Nieuwenhuizen (Berlin) , Silvia Schellenberg-Thaut (Leipzig), Volker Giezek (Dresden) und Maik Westhaus (Berlin). Das Preisgericht fällt seine Entscheidung im September 2009

neue projekte

Im November 2008 erhielten auf Empfehlung der Jury 27 Pro jekte aller Sparten eine Förderzusage im Rah men der antragsgebundenen Projektförderung.

beiten auf Papier. Isa Genzkens Arbeiten erwei sen sich als äußerst durchlässig für aktuelle gesellschaftliche, politische und ökonomische Rahmenbedingungen und beeindrucken durch mediale Vielfalt und hohe thematische Strin genz. Die Retrospektive gibt anhand von etwa 100 Werken und Werkgruppen einen bisher ein zigartigen Überblick über die künstlerische Entwicklung Isa Genzkens von den Anfängen Ende der 1960er Jahre bis hin zu aktuellen Ar beiten. Ergänzt werden die Exponate der Aus stellung um dokumentarisches Material zur Ausstellungstätigkeit von Isa Genzken und ihrer Arbeit an Projekten im öffentlichen Raum. Die renommierte Whitechapel Gallery in London wählte die Werkschau von Isa Genzken für ihre Wiedereröffnung im Jahr 2009 aus. Danach wird die von Kasper König in Zusammenarbeit mit der Künstlerin kuratierte Ausstellung im Kölner Museum Ludwig zu sehen sein.

bild und raum

ausgerechnet deutschland! jüdischrussische einwanderung in die bundesrepublik Die jüdischen Gemeinden in Deutschland sind seit der europäischen Eini gung vor allem durch den Zuzug russisch-jüdischer Migranten rasant gewachsen. Die Zahl der Mitglieder jüdischer Gemeinden hat sich seit 1990 in etwa verfünffacht. Die meisten von ih nen sprechen heute Russisch. Durch das 2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz ist diese größte jüdische Migrationsbewegung allerdings an ein vorläufiges Ende gelangt. Die Ausstellung informiert über den Lebensalltag jüdischer Ein wanderer aus Russland, ihre kulturellen, sozi alen und religiösen Hintergründe, ihre Erfah rungen in Übergangslagern und Integrationsge meinden und ihre gemischten Erwartungen an Deutschland als Einwanderungsland. Im Zen trum der Ausstellung stehen die persönlichen Erfahrungen und lebensweltlichen Perspekti ven der russisch-jüdischen Einwanderer. The matisiert werden aber auch verwaltungsrecht liche Aspekte und die bürokratischen Hürden für Einwanderer sowie die Reaktionen in der deutschen nichtjüdischen und jüdischen Öf fentlichkeit auf die Einwanderer aus Russland. Die Ausstellung versteht sich als ein Beitrag zur Diskussion um das Einwanderungsland Deutschland im Rahmen eines unabgeschlos senen innereuropäischen Prozesses.

Künstlerische Leitung: Dmitrij Belkin / Kurator: Fritz Back haus / Jüdisches Museum Frankfurt am Main: 1 3.– 30 6 2010 / Jüdisches Museum der Stadt Frankfurt am Main www.juedischesmuseum.de

isa genzken retrospektive Isa Genzken zählt zu den bedeutendsten Künstler/innen der Gegenwart: Auf der documenta und bei den Skulptur Projekten Münster sorgten ihre Werke für Aufsehen. 2007 war Isa Genzken mit der Ge staltung des Deutschen Pavillons auf der Bien nale von Venedig beauftragt. Das umfangreiche Werk der Bildhauerin umfasst Skulpturen und Installationen, Projekte im öffentlichen Raum, aber auch Fotos, Collagen und Filme sowie Ar

Künstlerische Leitung: Kasper König / Künstlerin: Isa Genz ken / Whitechapel Gallery London: 4 4.–21 6 2009 / Muse um Ludwig Köln: 15 8.–15 11 2009 / Museum Ludwig www.museenkoeln.de/museum-ludwig

verlangen nach form brasilianische kunst. vom neoconcretismus bis brasília 1959 –1964 In den späten 1950er Jahren befand sich Brasilien in einem beispiellosen kulturellen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aufbruch. Brasília, die neue Hauptstadt, wurde am Reißbrett entworfen und innerhalb weniger Jahre errichtet. Der Bossa Nova revolutionierte die Musikszene und die bildende Kunst artiku lierte im Neoconcretismo eine neue künstleri sche Grundhaltung: Geometrische Strenge ver bunden mit einer Lust am Spiel bestimmte die neuen Formen in Architektur und Kunst. Die Ausstellung in der Akademie der Künste widmet sich nicht nur den Ikonen der brasilianischen Architektur jener Epoche, Lúcio Costa und Os car Niemeyer Architekten, die maßgeblich die Gestalt der Stadt Brasília bestimmten , sondern zeigt die wechselseitigen Verflechtungen der Architektur mit den Kunst- und Kultur szenen. Erkennbar wird die damalige kulturelle Pionierrolle Brasiliens, das nicht die ›westliche‹ Moderne imitierte, sondern eine eigenständige brasilianische Moderne schuf, für deren Durch bruch der ökonomisch unterstützte Aufbruchs geist ein günstiges Klima schuf. Das Brasilien der 1950er Jahre wird so als Beispiel für die Chan cen globaler Verflechtungen von gesellschaft licher, künstlerischer und wirtschaftlicher Ent wicklung vorgestellt, das als Matrix gegenwär tiger Entwicklungen in Indien oder China fun gieren kann. Durch Interventionen zeitgenös sischer Künstler/innen aus Brasilien, durch neuere Interpretationen des Bossa Nova sowie Filmvorführungen und Darbietungen konkreter Poesie wird im Rahmen eines die Ausstel lung ergänzenden Festivals ein Bogen vom Neoconcretismo zur Gegenwartskunst geschlagen. Künstlerische Leitung: Luis Camillo Osorio ( BR / Kurator: Ro bert Kudielka / Künstler/innen: Hercules Barsotti, Reynal do Jardim, Roberto Burle-Marx, Ruben Ludolf, Aluisio Carvao, Oscar Niemeyer, Willys de Castro, Helio Oiticica, Lygia Clark, Lygia Pape, Lucio Costa, Ione Saldahna, Milton Dacosta, Dionisio Del Santo, Marcel Gautheroth, Ivan Serpa, Ferreira Gullar, Carlos Bevilacqua, Eduardo

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afropolis stadt, medien, kunst Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt heute in Städten. Während jedoch in Europa die Städte schrumpfen, sehen sich die Länder der südlichen Hemisphäre mit einer rasanten Urbanisierung konfrontiert. Schon heute liegt der Großteil al ler Megacities in Afrika, Asien und Lateiname rika. Über die kulturelle Entwicklung in Afrika herrscht hierzulande immer noch große Un kenntnis, zumal dieser Kontinent von der medialen Öffentlichkeit stark vernachlässigt wird. Entsprechend wenig wissen wir über die spezi ellen Topographien und Kulturen in den afrikanischen Städten, die sich jenseits von historischen, euroamerikanischen Vorbildern der Stadtentwicklung herausgebildet haben. Die Ausstellung Afropolis Stadt , Medien , Kunst untersucht am Beispiel von sechs afri kanischen Städten signifikante Strukturen und Entwicklungsmuster: Anhand von Text-, Bildund Tonmaterial wird die jeweilige Stadtge schichte aufbereitet und neue Arbeiten von afrikanischen Künstler/innen unterschiedlicher Genres setzen sich mit aktuellen Herausforde rungen an Urbanität auseinander in Fotogra fien und Grafiken ebenso wie in Skulpturen, Videoarbeiten und interaktiven Netzkunstpro jekten. Die Kombination aus wissenschaftlicher Analyse und künstlerischer Recherche sowie die Zusammenarbeit mit Kurator/innen und Künstler/innen versprechen einen umfassenden Einblick in die hochdynamischen und infor mellen Prozesse in afrikanischen Städten.

Künstlerische Leitung: Clara Himmelheber / Kuratorinnen: Kerstin Pinther, Akinbode Akinbiyi ( NG ) / Künstler/innen: Olu Amoda NG ) Black Box / Andrew Esiebo ( NG Bodo ( CD ) Pume Bylex ( CD , Viyé Diba SN , Modou Dieng ( SN ) , Christo Doherty ( ZA , Eklego Design ( ET , Isamail Farouk ZA ) , Frances co Jodice ( I , Aglaia Konrad B , Salifou Lindou / Christian Hanussek CAM ) , Wangechi Mutu EAK , Issab Samb ( SN , Karo la Schlegelmilch, Guy Tillim ( ZA ) , Barthélémy Toguo CAM ) , Minette Vári ( ZA ) , Jules Wokam ( CAM ) u.a. /Ausstellung und Be gleitveranstaltungen: Rautenstrauch-Joest Museum Köln: Herbst 2010 / Workshop / Preview: Nairobi Arts Trust und Goethe-Institut Nairobi: 1 2 .– 31 3 2010 / Iwalewa-Haus Bayreuth: 5 4.– 31 8 2011 / Rautenstrauch-Joest-Museum: Herbst 2010 www.museenkoeln.de/rautenstrauch-joest-museum

space_revised ausstellung und veranstaltungsprogramm Ob zwei- oder drei dimensional oder virtuell, Kunst ›verortet‹ sich immer im Raum, schafft und definiert Raum. Space_revised eröffnet diesem alten The ma der Kunst, dem sich in jüngster Zeit viele Künstler/innen widmen, neue Plattformen und Perspektiven. Vier auch räumlich voneinander getrennte Institutionen geben einen Zwischen stand zu aktuellen Arbeiten mit dem Raum. Die Gesellschaft für Aktuelle Kunst Bremen beschäftigt sich mit Strategien der Raumaneig nung, während das Künstlerhaus Bremen um gekehrt den Raumverlust und seine Folgen für unser Orientierungsvermögen in den Mittel punkt rückt. Die Halle für Kunst Lüneburg in

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terpretiert Raum in Anlehnung an Aby War burg als künstlerischen Denk- und Deutungs raum, den es auf den Alltag auszuweiten gilt. Ausgehend von der Feststellung, dass Architek turen nicht als ›Behältnisse‹ für menschliche Bedürfnisse fungieren, sondern Gemeinschaften formen und Bedürfnisse erzeugen, öffnet der Kunstverein Harburg einen ›Verhandlungs raum‹, in dem es um das Verhältnis von Archi tektur und Gemeinschaft geht. Begleitet werden die Ausstellungen von Symposien, Filmvorführungen, Präsentationen, Vorträgen und Ak tionen. Eine Katalogpublikation verknüpft die Präsentationen der verschiedenen Häuser.

Kurator/innen: Eva Birkenstock, Stefanie Böttcher, Hannes Loichinger, Britta Peters, Tim Voss und Janneke de Vries / Künstler/innen: Ian Anüll ( CH , Guillaume Bijl BE ) , Karla Black UK ) , Cezary Bodzianowki ( PL ) , Gwenneth Boelens ( NL , Geta Bratescu RO ) , Wolfgang Breuer, Franck Bragigand ( NL , Elín Hansdóttir ( ISL , Joachim Koester DK , Guillaume Leblon ( F , Rosalind Nashashibi UK ) , Peles Empire, Falk Pisano ( NL ) , Kai Schiemenz u.a. / GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst, Bremen; Künstlerhaus Bremen; Kunstverein Harburger Bahnhof, Hamburg; Halle für Kunst, Lüneburg: 17 5.–26 7 2009 / GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst Bremen www.gak-bremen.de

landschaft 2.0 ausstellung Landschaft und die Vorstellung von ihrer Natur verän derten sich im Verlauf der Geschichte. An ge stalteten Landschaften lässt sich ablesen, welche Vorstellungen die Aneignung und Bearbeitung von Natur innerhalb einer bestimmten Gesell schaft und Zeit geleitet haben. War Landschaft in der Romantik ein Sinnbild der seelischen Verfasstheit der Menschen, so stellt sich heute die Frage, was Landschaft in einer Zeit bedeutet, in der sie als soziale und kulturelle Konstrukti on erlebt und als vorrangig ökonomische oder ökologische Ressource behandelt wird: Ist Landschaft als intakte und unberührte Natur über haupt noch denkbar? Welche Vorstellungen von real-natürlicher Landschaft existieren und wie sieht Landschaft in digitalen Fantasiewelten aus? In einer zeitgenössischen Annäherung an das Thema Landschaft setzt sich die Ausstel lung auf der Folie historischer Vorstellungen mit aktuellen Konzepten von Landschaft und ihren Auswirkungen besonders auf ökonomische, ökologische und gesellschaftspolitische Entscheidungen auseinander. Dazu entwickeln internationale Künstler/innen neue Werke und ortsbezogene Außenarbeiten. Manche werfen einen Blick zurück auf historische Entwicklun gen und ihre Auswirkungen auf heutige Land schaftsstrukturen und -nutzungen, andere ent wickeln utopische Ideen und Konzepte einer zukünftigen nachhaltigen Landschaftsplanung oder schaffen digitale Erlebnisräume und Mo dellwelten. Ein umfangreiches medienpädago gisches Begleit- und Vermittlungsprogramm, Vorträge, Filmvorführungen und Workshops sind geplant.

Künstlerische Leitung: Sabine Himmelsbach und Bettina von Dziembowski / Kuratorinnen: Bettina von Dziembow ski, Sabine Himmelsbach, Katrin Werner / Beteiligte Künst ler/innen: Vahram Aghasyan AM ) , Daniel Garcia Andújar ( ES ) , Wapke Feenstra NL , Amy Franceschini ( US , Tue Greenfort ( DK , Beate Gütschow, Graham Harwood ( GB ) , Marine Hugonnier ( FR ) Yael Kanarek US ) Janice Kerbel ( GB ) John

Klima ( US ) , Monika Studer & Christoph van den Berg ( CH u.a. / Edith-Ruß-Haus für Medienkunst Oldenburg und Kunstverein Springhornhof Neuenkirchen: 28 8.– 15 11 2009 / Edith-Ruß-Haus für Medienkunst www.edith-russ-haus.de

2009 zen-konkret klangkunst aus ja pan und deutschland Das Wasserschloss Quilow im Kreis Ostvorpommern wird im Som mer 2009 zum Ausstellungsraum für Klang künstler aus Japan und Deutschland, die eine akustische Verschmelzung von asiatischem Buddhismus und europäischer Aufklärung erpro ben wollen. Die unter denkmalpflegerischen Ge sichtspunkten ruinöse Renaissanceanlage steht seit 15 Jahren leer und bietet den Künstler/innen gleichwohl ideale Voraussetzungen für Arbei ten im und mit dem Raum, auf deren Eigen heiten sie in ihren Arbeiten reagieren. Alle sechs Künstlerinnen und Künstler stehen in der Tra dition der Musique Concrète, die konkrete Geräusche und Klänge aus dem Alltag zum Ausgangsmaterial nimmt, um durch Montagen und elek tronische Bearbeitung neue Hörerlebnisse zu schaffen. Alle Künstler/innen haben sich auch mit der zen-buddhistischen Philosophie, die das Erleben von Leere und Stille zum ästhetischen Programm erhebt, beschäftigt und lassen diese in ihre Arbeiten einfließen. Die Verbindung von Raum, Licht und Klang, ihre synkretisti sche Interpretation aus fernöstlichen und europäischen Traditionen und deren Installation in einem in einsamer Gegend gelegenen, verlas senen Wasserschloss garantieren dem Besucher ein außergewöhnliches Kunsterlebnis. Künstlerische Leitung: Jörg Hasheider / Künstler/innen: Hitochi Kojo J ) , Anne Krickeberg, Rie Nakashima ( , Johannes S. Sistermanns, Miki Yui ( , Rolf Julius / Wasserschloss Quilow: 6 6.–22 7 2009 / Stiftung Kulturerbe im ländlichen Raum www.kulturland-mv.de

terra nullius zeitgenössische kunst aus australien Die britische Krone erklärte Australien einst zur Terra Nullius, zum Nie mandsland, um den von indigenen Völkern be wohnten Kontinent für sich beanspruchen zu können. Erst 1992 hob das höchste Gericht des Landes Australien jene Erklärung auf und ge währte den Nachfahren der Ureinwohner Land rechte. Doch trotz aller rechtlichen Verbesse rungen hat die indigene Bevölkerung bis heute mit Intoleranz gegenüber ihren Rechtsansprü chen zu kämpfen. Auch die rigide Einwande rungspolitik Australiens, das sich nach außen als harmonische und offene Gesellschaft mit reicher kultureller Vielfalt präsentiert, ist Indiz für ein widersprüchliches Selbstverständnis des Landes. Die Ausstellung Terra Nullius präsentiert aktuelle australische Kunst, die die sen Umstand reflektiert, kritisiert und kom mentiert. In Fotografien, Videos, Mixed-Media Installationen, konzeptuellen Kunstwerken, Per formances und Texten befassen sich die Künst ler/innen mit den Auseinandersetzungen um die Rechte der indigenen Bevölkerung, ihrer so zialen Ausgrenzung und der Missachtung ihrer Kultur.

Künstlerische Leitung: Frank Motz / Ko-Kuratorin: Deborah Kelly AU ) / Künstler/innen: Vernon Ah Kee, Tony Albert, Richard Bell, boat-people.org, Jon Campbell, Destiny Dea-

con & Virginia Fraser, Julie Dowling, Tina Fiveash, George Gittoes, Claire Healy & Sean Cordeiro, Gordon Hookey, Dianne Jones, Mike Parr, pvi collective, Tony Schwensen, Merran Sierakowski, Soda_Jerk, Squatspace, Natascha Stellmach, Judy Watson alle AU / ACC Galerie Weimar: 26 1.–22 3 2009 / Halle 14 in der Baumwollspinnerei Leipzig: 1 5.–26 7 2009 / ACC Galerie Weimar www.acc-weimar.de

luise. die inselwelt der königin. ausstellung zeitgenössischer kunst und museumsdidaktisches projekt Königin Lui se von Preußen (1776 1810 ) ist bis heute eine der populärsten Frauen der preußischen Geschich te. Anfangs wegen ihrer Schönheit, Einfachheit und Herzlichkeit verehrt, wurde sie im Zuge der Französischen Revolution zur bürgerlichen Hoffnungsträgerin für politische Reformen und später sogar zu einer Leitfigur der napoleonischen Befreiungskriege. Die Pfaueninsel war einer der Lieblingsorte Luises. Die im Südwes ten Berlins gelegene Gartenlandschaft an der Havel ist sowohl architektonisch als auch kul tur- und gartengeschichtlich einzigartig: Sie war Ausflugs- und Aufenthaltsort der preußischen Könige und besticht durch ihre Anlage als Landschaftspark mit einer Vielzahl an Bauten, besonders aus dem 18. und 19. Jahrhundert, darunter eine künstliche Schlossruine. Ihren Na men verdankt die Insel einer Menagerie für exotische Tiere, die in den 1820er Jahren nach Vorbild des Pariser Jardin des Plantes entstand. Anlässlich des 200. Todestages der preußischen Königin im Jahr 2010 wird die Pfaueninsel in ei nen Ausstellungsparcours verwandelt. Parallel zur 6. berlin biennale ist dort aktuelle, internati onale Gegenwartskunst zu sehen, die sich mit der Geschichte des Ortes und dem Mythos Lui se auseinandersetzt. Die Besucher können ent lang der ortsbezogenen zeitgenössischen Arbei ten die Insel und ihre vielfältigen kulturhistorischen Bezüge zwischen ›Weltflucht‹ und ›Weltsehnsucht‹ erkunden. Dabei sollen beson ders Familien und Kinder mit museumsdidak tischen Stationen und Veranstaltungen angespro chen werden. Drei kompakte Veranstaltungs tage unter dem Motto Picknick auf der Pfaueninsel knüpfen an die vor zweihun dert Jahren üblichen königlichen Ausflüge auf die Insel an und bieten zusätzlich zur Ausstel lung Theater, Musik, Spiele und Lesungen zu kulturgeschichtlichen Themen.

Künstlerische Leitung: Michael Lukas / Beteiligte Künstler/in nen: Janet Cardiff ( CA , George Bures Miller ( CA , Christian Engelmann, Joan Fontcuberta ES , Robert Stieve, Martin Weimar, Sylvie Bussières ES ) u.a. / Pfaueninsel Berlin: 1 5.–31 10 2010 / Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Ber lin-Brandenburg www.spsg.de

dopplereffekt vom wesen der bilder in kunst und wissenschaft Bilder sind sowohl in der Kunst als auch in den Wissen schaften ein Kommunikationsmedium, wobei Wesen und Wirkung des Bildes sich abhängig von seinen ästhetischen oder epistemischen Kon texten und Funktionen verändern. Die Kunst halle zu Kiel greift nun den Diskurs um die Rolle des Bildes in Kunst und Wissenschaft auf und zeigt in einer Ausstellung, wie Bilder Dinge sichtbar werden lassen, die anders nicht der An schauung zugänglich wären, als Idee oder Do

Coimbra, Tatiana Blass, Carla Guagliardi alle BR ) , Franz Weissmann AT ) / Akademie der Künste Berlin, Hanseaten weg: 18 6.– 5 9 2010 / Museu de Arte Contemporanea de Niteroi, Rio de Janeiro: 6 11 2010 9 1 2011 / Akademie der Künste www.adk.de
+ neue projekte

kument, als komplexer ästhetischer Ausdruck oder als Visualisierung einer wissenschaftlichen Theorie. Der Ausstellungstitel Doppleref fekt bezieht sich auf das physikalische Phäno men des wechselseitigen Abhängigkeitsverhält nisses zwischen dem wahrgenommenen Objekt (Bild) und dem wahrnehmenden Subjekt (Be trachter). Die Ausstellung spannt einen Bogen über sechs Jahrhunderte Bildgeschichte von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Präsentiert werden international renommierte Künstler/in nen, in deren Arbeiten sich Vorstellungswelten und Denkräume von Kunst und Wissenschaft verbinden, darunter zum Teil eigens für die Aus stellung geschaffene Werke von Christine Bor land, Mark Dion, Tue Greenfort und Olaf Nico lai. Der Dopplereffekt des Bildes, der sich kul turhistorisch in den Spannungsverhältnissen zwischen Logik und Inspiration, zwischen For schung und Imagination bemerkbar macht, soll ebenfalls in einer Vortragsreihe mit namhaften Bild-, Kultur- und Naturwissenschaftlern und in einem umfangreichen Katalog erörtert werden. Künstlerische Leitung: Petra Gördüren, Dirk Luckow / Künst ler/innen: Christine Borland GB ) , Mark Dion ( USA , Tue Greenfort ( DK , Damian Hirst GB , Marta de Menezes PT ) , Olaf Nicolai, Thomas Ruff u.a. / Kunsthalle zu Kiel, Chris tian Albrecht Universität: 30 1.–2 5 2010 / Kunsthalle zu Kiel www.kunsthalle-kiel.de

die revolution des alltäglichen die ordnung der dinge zeitgenössische lateinamerikanische kunst Das Muse um Morsbroich plant eine thematische Grup penausstellung neuerer, in Deutschland bisher wenig bekannter Positionen lateinamerika nischer Kunst. Den ausstellenden Künstler/in nen geht es in ihren Arbeiten zumeist um All tagsgegenstände, die sie in ihrem Material und ihrer Form verändern oder die sie aus ihrem an gestammten Kontext herauslösen, um ihnen einen neuen Bedeutungsrahmen zuzuweisen. Das Spiel mit vertrauten Wahrnehmungen und ihrer absichtsvollen Irritation soll traditionell eingeschliffene, alltäglich gewordene Wahrnehmungsweisen stören, sie in diesem Sinn revolutionieren. Die Sprengkraft solcher Absichten vermischt sich in vielen Arbeiten mit schwarzem Humor oder beißender Ironie gegenüber der ideologisch verfestigten Formensprache der europäischen Moderne.

Künstlerische Leitung:

tiert Bild- und Tonmaterial, das er im Laufe der letzten dreißig Jahre im Zuge seiner künstleri schen Arbeit gesammelt hat, zu einer Installation, die ein eigenwilliges historisches Panorama abseits offizieller Geschichtsbilder entwirft. Man sieht Fragmente aus dem wirklichen Leben, Menschen auf der Straße, bei Parteiveran staltungen, im Gefängnis, im Parlament; All tagsbeobachtungen, die im Widerspruch stan den zum offiziellen Selbstbild der DDR . Diese Aufnahmen entstanden in dem Wissen, dass sie aufbewahrt werden müssten für eine andere Zeit, in der sie öffentlich gezeigt werden dürften. Die ältesten Töne und Bilder stammen aus einer Reportageübung an der Filmhochschule Pots dam Babelsberg aus dem Jahr 1979. Die jüngsten Szenen zeigen beispielsweise Bilder vom Abriss des Palastes der Republik in Berlin. Zu sätzlich erscheint ein Arbeitsbuch mit DVD, in dem man zum ersten Mal Einblick in die Arbeit des Filmemachers bekommt, der vor allem mit seinen Dokumentarfilmen Vaterland und Im Glück (Neger ) ein begeistertes Publi kum in ganz Deutschland fand.

Künstler: Thomas Heise / Installation: Akademie der Küns te, Pariser Platz, Berlin: Sommer 2009 / Buchpräsentation und Lesung: Duisburger Filmwoche: 13 11.–15 11 2009 / ZKM Karlsruhe: Herbst 2009 / Zeughauskino und Arsenal Ber lin: Herbst 2009 / ma.ja.de filmproduktions GmbH www. majade.de

wort und wissen

herum verschiedene Ausstellungsvarianten, die durch die Zusammenarbeit mit einschlägigen Partnern am jeweiligen Präsentationsort immer wieder andere Akzente setzen. Eine zweibän dige Publikation vertieft die in den Ausstellun gen visuell vermittelten Ein- und Ansichten über die Wiederaufnahme des literarischen Lebens in Deutschland. Zahlreiche Vermittlungsange bote wie eigens für Schulen entwickelte Unter richtsmaterialien sollen neben einem umfang reichen Veranstaltungsprogramm den Interes sentenkreis über das übliche Ausstellungspubli kum hinaus erweitern.

Kurator: Helmut Böttiger / Ausstellungsgestaltung: Lutz Dittrich, Peter Karlhuber / Berlin: April—Juni 2009 / Frank furt/Main: August—Oktober 2009 / München: Oktober 2009 —Dezember 2009 / Hamburg: Januar 2009 —Februar 2010 / Leipzig: März—April 2010 / Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung www.deutscheakademie.de

musik und klang

ten des fernöstlichen Theaters: Das Opernen semble wird ergänzt um das japanische Interna tional Butoh Dance Ensemble unter Leitung von Tadashi Endo und auch die Bühnengestal tung orientiert sich an japanischen Vorbildern. Ziel dieses fernöstlichen Brückenschlags ist es, neue und zeitgemäße Ausdrucksmöglichkeiten der Händel-Oper zu entwickeln. Admeto wird in Göttingen und Edinburgh aufgeführt; geplant ist zudem ein Public Viewing der Opern premiere auf einer Leinwand außerhalb des Göttinger Theaters, um über ein traditionell versier tes Händel-Auditorium hinaus, das alljährlich zu den Händel-Festspielen pilgert, ein größeres Publikum für ein Experiment mit der Oper zu gewinnen.

Regie: Doris Dörrie / Musikalische Leitung: Nicholas McGegan ( GB / Bühne und Kostüm: Bernd Lepel / Choreographie: Tadashi Endo ( J ) / Licht: Linus Fellbom( S / Solist/innen: Ad meto: Tim Mead ( GB , Alceste: Marie Arnet S , Antigona: Kirsten Blaise ( USA ) , Orindo: Andrew Radley ( GB ) , Trasimede: David Bates GB , Ercole: William Berger ( ZA ) , Meraspe: Wolf Matthias Friedrich / FestspielOrchester Göttingen / Deutsches Theater Göttingen: 26 5.– 3 6 2009 / Festival The atre Edinburgh: 27.– 31 8 2009 / Internationale Händel-Fest spiele Göttingen www.haendel-festspiele.de

film und neue medien material ein beitrag zur archäologie der realen existenz Mit Material prä sentiert der 1955 in Ost-Berlin geborene Thomas Heise seine individuelle Wahrnehmung deut scher Geschichte, die durch seine Lebenserfah rungen in der DDR geprägt wurde. Heise mon

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doppelleben zur geschichte des literarischen lebens in deutschland nach 1945 Die Ausstellung entwirft ein facettenreiches Bild des literarischen Lebens in West- und Ostdeutschland im ersten Jahrzehnt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Gründungs phase der literarischen Öffentlichkeit nach 1945 stand im Zeichen der Utopie einer demokra tischen Öffentlichkeit, die die Spannung von Privat und Öffentlich noch nicht in die betriebs förmigen Strukturen von Institutionen über führt hatte. Anhand von historischen Textdo kumenten, Fotografien, Bild- und Tonaufnah men und szenischen Rekonstruktionen sollen Voraussetzungen, Bedingungen und Zusam menhänge erkennbar werden, denen das wieder erstarkende literarische Leben im Nachkriegs deutschland seine Ausprägung verdankt. Die Schau zielt aber weniger auf einen systemati schen Überblick über die Literatur der Nach kriegszeit unter den Bedingungen der deutschen Teilung als vielmehr auf ein regional differen ziertes Bild: Die literarischen Szenen in Berlin, Frankfurt, Hamburg, München und Leipzig bildeten unter den spezifischen Gegebenheiten vor Ort unverwechselbare Eigenheiten aus. Um den historischen Besonderheiten in den dama ligen literarischen Zentren Rechnung zu tragen, wird sich die Ausstellung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und des Lite raturhauses Berlin verändern, je nachdem, an welchem jener Orte sie präsentiert wird. So ent stehen um einen Kernbestand von Exponaten

musik des orient und okzident jazz und improvisierte musik der welt in potsdam Jazz, jüdische Klezmer-Musik, Fla menco und Balkan-Folklore haben viele stilis tische Gemeinsamkeiten. Doch wie verbindet man deutsche und marokkanische Musik, wie klingt das Zusammenspiel von türkischen und griechischen Musikern? Die Konzertreihe prä sentiert arabische, jüdische und westliche Mu sikstile und schlägt einen Bogen zu ihren musikalischen Brückenköpfen: der Musik der ibe rischen Halbinsel und des Balkan. Musiker unterschiedlicher musikalischer Herkunft und Stile sollen in gemeinsamen Konzerten bisher wenig geübte Dialoge zwischen den Musikkul turen erproben. Geplant ist unter anderem ein gemeinsamer Auftritt sardischer Musiker mit der mazedonischen Brassband Kocani Orkestar. Musiker aus Palästina, der Türkei und Grie chenland sind zu hören und ein traditionelles marokkanisches Ensemble aus Rabat, das zu Ze remonien des scherifischen Königshauses auf spielt, ist ebenfalls eingeladen. Künstlerische Leitung: Ulli Blobel / Musiker/innen: Kocani Orkestar ( MK ) Ramon Lopez ( FR ) Okay Temiz ( TR Floros Floridis & Nicky Skopelitis GR Vladimir Karparov BG Conny Bauer, Uwe Kropinski & Michael Heupel, Majid Bekkas ( MA ) , Ali Keyta BF , Paolo Fresu & Antonello Salis IT , Orchestra Popolare ( IT ) , Klezmer Madness, Benjamin Wei dekamp Bläserband / Nikolaikirche Potsdam: 4 4 2009, 10 10 2009 / Nikolaisaal Potsdam: 11 4 2009, 8 10 2009 / Mutter Fourage Jazzscheune Berlin: 9 10 2009 / Förderver ein Jazzwerkstatt Berlin-Brandenburg e.V. www.jazzwerkstatt-berlin-brandenburg.de

admeto händel-oper im spiegel japanischer theaterkultur Die internationale Musikwelt gedenkt im Jahr 2009 des 250. Todes tages von Georg Friedrich Händel. Unter Regie von Doris Dörrie inszenieren die HändelFestspiele Göttingen in Koproduktion mit dem Edinburgh International Festival Händels Oper Admeto . Ungewöhnlich ist dabei die Verknüp fung der barocken Komposition mit Elemen-

aus dem quartettbuch 2009 konzertreihe & filmprogramm des rosamunde quartetts münchen Das Rosamunde Streichquartett verknüpft in dieser vierteiligen Konzertreihe bisher selten oder noch niemals in Deutschland aufgeführte Werke zeitgenös sischer Komponisten und klassische Kammer musik mit einem Filmprogramm. Programma tischer Bezugspunkt ist im Jahr 2009 das Schaf fen Joseph Haydns, dem aktuelle Werke von Komponisten wie Boris Yoffe aus Russland, Ti gran Mansurian aus Armenien sowie Arvo Pärt aus Estland zugeordnet werden. Zu den Kon zerten werden thematisch passende Filme ge zeigt wie Die Farbe des Granatapfels des Armeniers Sergej Paradjanow zu Werken des armenischen Komponisten Mansurian oder der Film Das 1 Evangelium Matthäus von Pier Paolo Pasolini zu Joseph Haydns Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze . Wichtiger Bestandteil des Projektes sind die öffentlichen Proben und Gespräche mit den Musikern. Sie richten sich besonders an Schüler und Studierende, sollen Hemmschwellen gegenüber Kammermusik ab bauen und Interesse für spartenübergreifende künstlerische Aufführungen wecken.

Musiker/innen: Andreas Reiner AT ) , Diane Pascal AT ) , Helmut Nicolai, Anja Lechner / Komponisten: Avo Pärt ( EST ) , Boris Yoffe ( IL ) , Tigran Mansurian ( ARM , David Halladijan ( ARM/CH u.a. / Bayerische Akademie der Bildenden Künste Mün chen: 21 .– 23 1 , 4.– 5 4 , 20.– 22 5 , 14.– 16 10 2009 / Rosa munde Quartett München www.klangverwaltung.de

aura musiktheater von josé-maria sánchez-verdú nach einer novelle von carlos fuentes Aura ist die erste gemein same Musiktheaterproduktion von Musik der Jahrhunderte Stuttgart, Operadhoy Madrid und Biennale di Venezia Musica. Alle drei Institutio nen haben sich bereits in der Vergangenheit ver stärkt mit zeitgenössischer Musik beschäftigt und es sich nun zur Aufgabe gemacht, das Re

Stefanie Kreuzer / Künstler/innen: Alexandre da Cunha ( BR , Diango Hernández ( C , Gabriel Kuri MEX ) , Jorge Macchi ( RA ) , Wilfredo Prieto C , Martin Soto Climent ( MEX , Valeska Soares ( BR / Museum Morsbroich, Leverkusen: 23 8.–1 11 2009 / Museumsverein Museum Mors broich www.museum-morsbroich.de

pertoire des experimentellen Musiktheaters zu erweitern. Grundlage des Stückes ist die Novel le Aura von Carlos Fuentes (*1928 ), einem der wichtigsten mexikanischen Schriftsteller der Ge genwart. In dieser erotisch aufgeladenen Drei ecksgeschichte trifft der Historiker Felipe, der den Nachlass eines verstorbenen Generals auf arbeiten soll, auf dessen Witwe und ihre junge Nichte Aura. Im Verlauf der Handlung sind die Figuren immer weniger voneinander unter scheidbar und ihre Identitäten verschmelzen. Die Grenzen zwischen Imagination und Reali tät werden unscharf. Die musikalische Umset zung der beklemmenden und psychologisch komplexen Handlung übernimmt der spanische Komponist José-Maria Sánchez-Verdú mit expe rimentierfreudigem Elan: Er entwickelt eigens für das Stück ein neues Musikinstrument, das sogenannte Auraphon, eine elektronisch-instru mentale Installation, die auf die Aktionen der Personen auf der Bühne reagiert und so selbst Protagonist der Handlung wird. Regie führt die norwegische Regisseurin Susanne Øglænd.

Künstlerische Leitung: Christine Fischer / Komponist und Di rigent: José-Maria Sánchez-Verdú E ) / Regie: Susanne Øglænd ( NO / Ausstattung: Mascha Mazur / Künstler/innen: Neue Vocalsolisten, Sarah Maria Sun, Truike van de Poel NL , Andreas Fischer, Kammerensemble Neue Musik Berlin / Teatro Zarzuela Madrid: 30./31 5 2009 / Theater haus Stuttgart: 17./18 7 2009 / Arsenale Venedig: 2 ./3 10 2009 / Musik der Jahrhunderte Stuttgart e.V. www.mdjstuttgart.de

audio poverty eine konferenz zur la ge der postökonomischen musik Das Musikleben ändert sich derzeit von Grund auf: Das Internet hat der Verbreitung und dem Ko pieren von Musik ungeahnte Möglichkeiten er öffnet und damit auch neue Formen des Marketing und der Musikkritik herausgefordert. Die grundlegenden Veränderungen betreffen den Stellenwert der Musik in der Öffentlichkeit in allen Bereichen von den Produktionsbedingungen über die Wertschöpfung bis zum Hörer- und Konsumentenverhalten. Obwohl Mu sik noch nie so allgegenwärtig war und so viel gehört wurde, steckt diese Sparte in einer ekla tanten Krise, die sich nicht nur in sinkenden Verkaufszahlen von Tonträgern und entspre chenden ökonomischen Einbußen manifestiert. Kritische Beobachter der Szene konstatieren auch den Niedergang einer stilistisch vielfältigen Musikkultur und einen Qualitätsverlust im Musikjournalismus. Die Konferenz Audio Poverty beschäftigt sich an drei Tagen mit aktuellen Fragen zur Musikökonomie, zur Re zeption und Produktion: Wie verändern die neuen Produktionszusammenhänge die Mu sik? Welche neuen Vertriebswege können ge nutzt werden? Wie lässt sich das Verhältnis des Künstlers zu seinem Publikum verbessern? Wie erhält Musik unter den veränderten Bedin gungen ihre gesellschaftliche Relevanz? Vorträge, Podiumsdiskussionen und Künstlerge spräche widmen sich den aktuellen Problemen von Popkultur und Kunstmusik; Konzerte und DJ -Sets stellen ein breites musikalisches Spek trum vor, das von Bricolage-Hip-Hop über Fernsehoper und Musica Povera bis hin zur freien Improvisation reicht.

kulturstiftung des bundes magazin 1341

Beteiligte: Achim Bergmann, Ekkehard Ehlers, ManonLiu Winter ( AUS , Diedrich Diederichsen, Alan Hilario ( RP , Thomas Meadowcroft ( AUS , Helga de la Motte-Haber, Marc Chung, Dieter Gorny, Awesometapesfromafrica ( US ) , Jose phine Foster ( US ) Jonathan Fischer, Goodiepal ( DK ) Hair Police USA ) , Quarta 330 ( JAP ) , David Keenan SCO ) , Björn Gott stein, Alvin Curran USA ) , Enno Poppe, Ensemble Mosaik, Eva Reiter AUS ) , Barbara Romen AUS ) u.a. / Haus der Kulturen der Welt, Berlin: 6 2 .– 8 2 2009 / Wandering Star e.V. www. wandering-star.org bühne und bewegung unterricht in der kunst granitlosen seins musiktheater-projekt Ein Haus ist schnell gebaut. Bereits bei der Grundsteinle gung sind die Mietverträge unterschrieben, die Eigentumswohnungen verkauft. Erst einmal eingezogen, betrachten die Bewohner ihre Be hausung schnell als Mittelpunkt aller zukünf tigen Unternehmungen. Bauen Wohnen Denken bilden eine Einheit: das Haus als eine in Stein ›gemeißelte‹ Lebensburg. Was aber, wenn das Ziel eines Bauvorhabens nicht die Realisierung einer dauerhaften Architektur ist? Diesem Gedankenspiel folgt der Komponist und Regisseur Ruedi Häusermann zusammen mit der bildenden Künstlerin Rebecca Horn.

Im Zentrum ihrer Inszenierung steht die Entstehung und Veränderung fragiler Architek turen. Ein mobiler architektonischer Apparat, bestehend aus dünnen Stangen, Seilen und Fä den, wird von den musikalischen Klängen eines Streichquartetts umschlossen und ständig zu neuen architektonischen Skizzen zusammen gefügt. Jede Manifestation mündet in ein lang sames Sich-Neu-Formatieren. Auch wenn am Ende ein Richtfest gefeiert wird, steht im Mittel punkt des Bühnenstücks die Erkenntnis, dass alles künstlerische Arbeiten prozesshaft ist, eine Abfolge von Erfinden, Verwerfen, Variieren und Korrigieren.

Bühne und Raum: Rebecca Horn / Regie und Komposition: Ruedi Häusermann CH / Hebbel am Ufer, Berlin: 1 9.–15 9 2010 / Kulturkontakte e.V. www.kulturkontakte-ev.de

orient-express eine theaterreise durch acht europäische länder Im Mai 2009 beginnt der Orient-Express in Anka ra seine Fahrt durch Europa. An Bord des umge bauten Güterwaggons befindet sich eine Bühne, die während der Reise acht Theaterensembles aus acht Ländern mit je einer Inszenierung in ihrer Landessprache bespielen. Nach der Premi ere in der eigenen Stadt reist das jeweilige En semble im Zug zur nächsten Station, wo es die eigene Inszenierung abermals zeigt und dem folgenden Team begegnet. Auch inhaltlich un ternimmt das Theaterprojekt eine europäische Reise mit Fragen nach europäischer Identität, nach Erwartungen an und Erfahrungen mit dem eu ropäischen Einigungsprozess, aber auch mit Themen wie Flucht und Vertreibung, Mobilität und Sesshaftigkeit. Nach Stationen in der Tür kei, in Rumänien, Serbien, Kroatien, Slowenien, Italien und der Schweiz erreicht der Zug nach

vier Monaten sein Ziel: den Stuttgarter Haupt bahnhof. Hier treffen im Rahmen eines Festi vals alle beteiligten Künstler/innen nochmals aufeinander und bringen ihre Inszenierungen erneut auf die rollende Bühne.

Künstlerische Leitung: Christian Holtzhauer / Regie: Christian Tschirner, Mircea Cornisteanu ( RO , François Gremaud ( CH ) , Predrag Sˇtrbac RS ) / Autor/innen: Soeren Voima, Rasit Çelikezer ( TR ) , Branko Dimitrijevic RS ) , Eduardo Erba I ) , François Gremaud ( CH ) , Goran Stefanovski ( SLO , Tena Stivicic HR ) , Matéi Visniec ( RO ) / Internationaler Theater-Zug mit Stationen in Istanbul, Novi Sad, Zagreb, Stuttgart u.a.: 1 5.– 8 7 2009 ; Festival in Stuttgart: 9.–19 7 2009 / Schauspiel Stuttgart www.staatstheater.stuttgart.de

connections internationale theatermentoren-initiative Diese internationale Theaterinitiative möchte den Austausch und Wissenstransfer zwischen Künstler/innen un terschiedlicher Generationen und Theatergen res intensivieren und transparenter gestalten. Connections ist eine Weiterentwicklung der Vorgängerinitiative What’s next? aus dem Jahr 2007, die sie nun inhaltlich wie struktu rell auf eine breitere Basis stellt. Ihr Ziel ist es, Kontinuitäten und Weiterentwicklungen in der Theaterlandschaft zu erforschen und dieses Wissen einer jüngeren Theatergeneration weiterzugeben. Zu diesem Zweck werden erfahrene Theatermacher zu Mentoren je eines jungen Kollegen, den sie für die Produktion einer neu en Inszenierung auswählen, die dann internati onal zur Aufführung kommt. Die gemeinsame Produktion ermöglicht einen Austausch beider Künstler in praktischen Situationen über ihre Perspektiven, Erfahrungen und Methoden in der gemeinsamen konkreten Arbeit. Künstlerische Leitung: Tilmann Broszat / Künstler/innen: Anna Viebrock, Meg Stuart BE ) , Tim Etchells ( GB ) , Dirk Pawels ( BE , Kirsten Delholm ( DK , Natasa Rajkovic ( HR ) / Theaterfestival Spielart München: 26 –29 11 2009 / Campo Ghent ( BE : 2009 /2010 / Theaterhaus Gessnerallee CH ) : 2009 /2010 / Brut Wien A : 2009 /2010 / Forum Freies Thea ter Düsseldorf: 2009 /2010 / PACT Zollverein Essen: 2009 / 2010 / Huis a/d Werf Utrecht NL : 2009 /2010 / Theaterfestival Spielart München www.spielart.org

canaries in the coal mine: blickpunkt belgien festival für zeitgenössischen tanz Seitdem vor fast 30 Jahren bahnbrechende Tanzproduktionen in Belgien die flämische Tanz welle auslösten, avancierte das Land zu einem der wichtigsten Tanzländer Europas. Jedoch konnte aus Sicht der Szene die Tanzförde rung in Belgien nicht mit dieser rasanten Ent wicklung Schritt halten und bis heute nicht angemessen auf die aktuellen Bedürfnisse der Tanzszene reagieren. Aus Unzufriedenheit darüber formierte sich eine Initiative Kulturschaf fender, die mit ihrem Masterplan Canaries in the Coal Mine eine kultur- und förder politische Wende herbeiführen will. Gleich Ka narienvögeln, die früher als eine Art Frühwarn system Minenarbeitern hohe Gaskonzentrati onen signalisierten, soll die Agenda ein Signal geben, um frühzeitig auf akute Vernachlässi gungen des Genres durch die Kulturpolitik hin zuweisen. Einen zusätzlichen Anstoß für diesen Masterplan gaben die Entwicklungen in den europäischen Nachbarländern allen vor

an Deutschland, wo mit dem Tanzplan der Kulturstiftung des Bundes umfangreiche Maß nahmen zur nachhaltigen Tanzförderung auf den Weg gebracht wurden. Das Projekt Cana ries in the Coal Mine möchte am Bei spiel Belgiens die Frage nach geeigneten kultur politischen Bedingungen für die spartenspezi fische Förderung künstlerischer Qualität aufwer fen. Neben der Präsentation zeitgenössischer Tanzproduktionen und einiger bis heute vor bildlicher Klassiker des zeitgenössischen Tanzes sollen in begleitenden Gesprächs- und Dis kussionsrunden der Blick auf die Produktions bedingungen geschärft und darauf speziell zu geschnittene Maßnahmen zur Förderung des Tanzes entwickelt werden. Canaries in the Coal Mine findet statt im Rahmen von Tanztheater International, Festival für zeitge nössischen Tanz.

Künstlerische Leitung: Christiane Winter / Künstler/innen / Ensembles: Jan Lauwers & Needcompany B , Les SlovaKs Dance Collective ( B ) , u.a. / Orangerie Herrenhausen, Hoch schule für Musik und Theater und andere Orte in Hanno ver: 3 9.– 12 9 2009 / Tanz und Theater e.V. www.tanztheater-international.de

das weihnachtsoratorium von johann sebastian bach szenische aufführung Das Weihnachtsoratorium von Johann Sebasti an Bach ist eine der bekanntesten und meistgespielten geistlichen Kompositionen und der Besuch einer Aufführung zur Weihnachtszeit fast schon ritueller Bestandteil der bürgerlichen Kultur. Die freie Opernkompanie Novoflot entwickelt eine szenische Aufführung des Weih nachtsoratoriums speziell für die Räumlichkeiten des Berliner Radialsystems, in der die zeit liche und räumliche Werkstruktur auf den Kopf gestellt wird: Die sechs Kantaten des Oratoriums kommen parallel in mehreren Hallen und Etagen in einem Rundgang durch das ge samte Haus und in verschiedenen Fassungen für Schauspieler, Sängersolisten, Chor, Ensemble und großes Orchester zur Aufführung. Mit dieser ungewöhnlichen Passage durch das Weih nachtsoratorium soll dieses grandiose Werk der Musikgeschichte in all seinen Bausteinen und Möglichkeiten neu erkundet werden. Die Auf führungen finden werktypisch zur Vorweih nachtszeit statt und bilden einen Gegenpol zu konventionellen Einstudierungen.

Regie: Sven Holm / Musikalische Leitung: Vicente Larrañaga RCH/D / Dramaturgie: Malte Ubenauf / Text: Juan Goytisolo ( ES ) / Experimentalensemble: Bauer 4 / Bühne: GRAFT USA/China/D ) / Radialsystem-V, Berlin: 10 12 2009 5 1 2010 / Novoflot www.novoflot.de

your nanny hates you! ein festival zum thema familie Im Zentrum des Themenfes tivals Your Nanny Hates You ! stehen Familien, in denen Berufstätige ihre Familienangehörigen außergewöhnlich lange sich selbst oder der Obhut anderer überlassen müssen: Wie sehr leiden die persönlichen Beziehungen unter dem Verlust innerfamiliärer Fürsorge? In wieweit können Dritte die persönliche Betreu ung von Angehörigen gewährleisten und welche Folgen drohen, wo nicht einmal das möglich ist? Vier Programmteile untersuchen die Konse quenzen, die den Betroffenen persönlich wie

+ neue projekte

wirtschaftlich aus ihrer Situation entstehen: She Works Hard For The Money! beleuchtet am Beispiel Mexikos Arbeitsmigration hinsichtlich einer globalen Fürsorgekette, in der Eltern aus ärmeren Ländern ihre Kinder zurücklassen, um in reicheren Nachbarstaaten zumeist illegal ein zuwandern und dort nicht selten fremde Kinder zu versorgen. Den Problemen der so verlassenen Migrantenkinder widmet sich unter dem Motto Arbeitswaisen der zweite Teil des Festivals, wäh rend Zwischen Ware und Verwahrlosung Famili enverhältnisse fokussiert, in denen Eltern ihre Kinder isolieren, missbrauchen, töten. Das Fes tival versammelt unterschiedliche Positionen zum Thema aus Theater, Performance sowie Film und verknüpft die künstlerischen Darstel lungen mit einem Jugendprojekt und dem Kon ferenzprogramm Intimate Labors, das sich mit dem Phänomen der Ökonomisierung des Privaten befasst.

Künstlerische Leitung: Stefanie Wenner / Regie: Susanne Sachsse, Joël Pommerat ( F , Hofmann und Lindholm, Jani na Möbius u.a. / Hebbel am Ufer 1 3, Berlin: 11.–21 6 2009 / Hebbel am Ufer www.hebbel-am-ufer.de

scenography now! festival im bau hausjahr 2009 Im Jahr 2009 wird der 90. Jah restag der Gründung des Bauhauses in Weimar gefeiert. Das historische Bauhaus gilt als bedeu tendste Ausbildungsstätte im Bereich der Archi tektur, des Designs, der freien und der ange wandten Kunst in Deutschland. Zum Bauhaus gehörte auch eine Bühnenwerkstatt, in der his torisch und international wegweisende künstlerische Raum-, Körper- und Lichtexperimente entwickelt wurden. Oskar Schlemmer, László Moholy-Nagy und andere verwirklichten avant gardistische Konzepte und Modelle, deren Spu ren sich bis heute nachverfolgen lassen. Bei der Inszenierung von Räumen für Theater, Film und Ausstellung wird heute die klassisch ge wordene Verbindung von Architektur und Büh nenbild um Elemente der Medienkunst erwei tert, die sich als technologische und ästhetische Weiterentwicklung der Bauhaus-Ideen verstehen lassen. In den letzten Jahren haben auch die Anforderungen an die Gestaltung von tem porär genutzten Räumen beständig zugenom men, für die neue szenografische Konzepte von großem Interesse sind. Scenography Now! möchte ausgehend von der im Bauhaus behei mateten Avantgarde des 20. Jahrhunderts einen Bogen zu aktuellen Ideen und Herausforde rungen schlagen und im Rahmen des Festivals Crash!Boom!Bau! aktuelle szenografische Projekte vorstellen. Ein Hörraum zu Tagebü chern von Oskar Schlemmer steht ebenso auf dem Programm wie die szenografische Rekonstruktion des dadaistisch-bauhäuslerischen Konzerts Stop Making Sense der Talking Heads. Das Zentrum des Festivals entsteht am Ort des 1921 von Walter Gropius entworfenen und 1987 zerstörten Zuschauersaals des Jenaer Theaters und liefert zusätzlichen Stoff für die Diskussion um dessen Neuerrichtung. Gastspiele in Berlin sowie Projektpräsentationen in Lon don und Budapest stellen die Ergebnisse auch außerhalb Deutschlands vor.

Künstlerische Leitung: Markus Heinzelmann / Kurator: Jan Brüggemeier, Janek Müller / Dramaturgie: Martin Wigger,

kulturstiftung des bundes magazin 1342

Christin Bahnert / Künstler/innen: Louis Philippe Demers ( CA , Heiko Kalmbach, Emma Waltraud Howes CA ) , Ulrike Haage, Staffan Schmidt ( SE ) , Edina Cecília Hováth ( HU , Adám Ledvai ( HU , Mika Hannula ( FI , Tanja Siems ( GB ) Theo Lorenz, Martin Blacícek ( CZ Vivarium Stu dio/Compagnie ( FR ) , Showstudio/Compagnie GB ) , andcompany&Co, Mass&Fieber CH , u.a. / Festival: Theaterhaus Je na: 1.–17 5 2009 / Gastspiel: Dock 11, Halle Pankow, Berlin: 4 –11 9 2009 / Projektpräsentationen: Architectural Associa tion Gallery, London: 1 –8 10 2009 ; C3 Center for Com munication & Culture Budapest: 15 –22 10 2009 / Theater haus Jena www.theaterhaus-jena.de

sexy sustainable sustainably sexy die kunst nachhaltig zu leben und trotzdem gut auszusehen Klimawandel, Nahrungsmittel- und Energiekrise ein großer Teil der Bevölkerung und der Politik ist sich dieser aktuellen Herausforderungen bewusst. Doch mangelt es zumeist an praktischen Kon sequenzen in der eigenen Lebensführung. Wie könnte ›nachhaltiges Handeln‹ funktionieren? Verbindet sich damit automatisch der Verzicht auf den Konsum attraktiver, stylischer Pro dukte? Im Rahmen des Internationalen Som merfestivals auf Kampnagel, das im August 2009 unter dem Motto Nachhaltigkeit Eine Stylefrage? stattfindet, sind unter dem Titel Sexy Sustainable Sustainably Sexy Tanz- und Theateraufführungen, Installationen und Aktionen im öffentlichen Raum geplant, die sich diesen und weiteren Fra gen stellen. Eingeladen ist unter anderem Reverend Billy and the Church of Stop Shopping, der gegen Kapitalismus und für konsumkri tisches und ökologisches Verhalten ›predigt‹. Ein weiterer Programmpunkt ist die Nachhaltig keitsmesse Sustainably Sexy Fair , für die im Dezember 2008 ein Wettbewerb ausgeschrie ben wurde. Gesucht werden Ideen für Nachhal tigkeit, die auch hinsichtlich ihrer äußerlichen Attraktivität, ihres Style, überzeugen. Zehn der eingereichten Projekte sollen realisiert und wei tere zehn als Konzepte ausgestellt werden. Künstlerische Leitung: Matthias von Hartz / Künstler: Rodri go Garcia AR ) , Reverend Billy ( USA u.a. / Internationales Som merfestival, Kampnagel Hamburg: 13.– 30 8 2009 / Kamp nagel Internationale Kulturfabrik www.kampnagel.de

beyond belonging theaterfestival Das Festival Beyond Belonging hat sich seit 2007 auf Inszenierungen zum Thema Migrati on spezialisiert. Das Festival konzentriert sein Programm im dritten Jahr auf Migrationserfah rungen speziell in Istanbul und Berlin. In diesen Städten machen die Migranten in ihrem Alltag spezifische Erfahrungen von Differenz zu dem, was als Normalität gilt. Die kreativen Szenen in diesen Städten leben häufig in einem Umfeld, in dem sie unmittelbaren Kontakt mit Themen und Schicksalen haben, die vom Zu sammentreffen verschiedener Kulturen und Erfahrungen geprägt sind. Oder sie kennen sie aus eigener Erfahrung. Die aus Istanbul stammende Tänzerin und Choreografin Maral Ceranoglu lässt in ihrem Stück Das hässliche Ent lein drei Frauen eine Kurdin, eine lesbische Frau und eine Muslima zu Wort kommen, die sich gegenseitig von den Vorurteilen erzäh len, denen sie in unterschiedlicher Weise in der

türkischen Gesellschaft begegnen. Ein weiteres Beispiel aus dem umfangreichen Programm ist ein von Neco Celik, dem deutschen Regisseur türkischer Herkunft aus Berlin-Kreuzberg, in szeniertes Stück über das Doppelleben von türkischen Männern, die Familien in Berlin und Istanbul unterhalten. Die Textvorlage von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel basiert auf empirischen Recherchen. Das Festival Beyond Belonging findet 2009 erstmalig als Kooperation des Theater Hebbel am Ufer ( HAU ) und der 2008 neu gegründeten Spielstätte Ball haus Naunynstraße statt.

Künstlerische Leitung: Shermin Langhoff, Matthias Lilienthal / Künstler/innen: Nurkan Erpulat, Feridun Zaimoglu, Maral Ceranoglu ( TR ) , Dries Verhoeven NL , Odan Projesi ( TR ) , Neco Celik, Tuncay Kulaoglu ( TR , Alper Maral ( TR , Ayse Polat TR , Idil Üner, Murat Daltaban ( TR u.a. / Hebbel am Ufer und Ballhaus Naunynstraße, Berlin: 1 –15 11 2009 www.hebbel-am-ufer.de

wenn sie dieses magazin regelmäßig beziehen möchten, können Sie Ihre Bestellung auf unserer Website unter www.kul turstiftung-bund.de aufgeben. Falls Sie keinen Internetzugang haben oder ältere Ausgaben be stellen möchten, erreichen Sie uns auch telefo nisch unter +49 (0) 345 2997 124 oder per E-Mail info@kulturstiftung-bund.de. Wir nehmen Sie gern in unseren Verteiler auf!

die website Die Kulturstiftung des Bundes unterhält eine umfangreiche zweisprachige Website, auf der Sie sich über die Aufgaben und Pro gramme der Stiftung, die Förderanträge und ge förderten Projekte und vieles mehr informieren können. Besuchen Sie uns unter: www.kulturstiftung-bund.de

kultur fördern! unsere handliche broschüre gibt Ihnen einen schnellen Überblick über Profil und Selbstverständnis der Kultur stiftung. Sie können die Broschüre bei uns per E-Mail unter info@kulturstiftung-bund.de oder telefonisch unter +49 (0) 345 2997 124 anfordern.

gremien

Vorsitzender des Stiftungsrates für das Auswärtige Amt für das Bundesministerium der Finanzen für den Deutschen Bundestag

als Vertreter der Länder

als Vertreter der Kommunen

als Vorsitzender des Stiftungsrates der Kulturstiftung der Länder als Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur

stiftungsrat Der Stiftungsrat trifft die Leitentschei dungen für die inhaltliche Ausrichtung, insbesondere die Schwerpunkte der Förderung und die Struktur der Kultur stiftung. Der aus 14 Mitgliedern bestehende Stiftungsrat spiegelt die bei der Errichtung der Stiftung maßgebenden Ebenen der politischen Willensbildung wider. Die Amts zeit der Mitglieder des Stiftungsrates beträgt fünf Jahre.

Bernd Neumann

Staatsminister bei der Bundeskanzlerin und Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien Dr. Peter Ammon Staatssekretär

Werner Gatzer Staatssekretär

Prof. Dr. Norbert Lammert Bundestagspräsident

Wolfgang Thierse Bundestagsvizepräsident Hans-Joachim Otto Vorsitzender des Kulturausschusses Dr. Valentin Gramlich Staatssekretär, Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt Prof. Dr. Joachim Hofmann-Göttig Staatssekretär, Ministerium für Wissenschaft, Weiterbildung, Forschung und Kultur Rheinland-Pfalz Klaus Hebborn Beigeordneter für Bildung, Kultur und Sport, Deutscher Städtetag Uwe Lübking Beigeordneter, Deutscher Städte- und Gemeindebund Stanislaw Tillich Ministerpräsident des Landes Sachsen Senta Berger Schauspielerin, Präsidentin der Deutschen Filmakademie Durs Grünbein Autor

Prof. Dr. Dr. h.c. Wolf Lepenies Soziologe

stiftungsbeirat Der Stiftungsbeirat gibt Empfeh lungen zu den inhaltlichen Schwerpunkten der Stiftungs tätigkeit. In ihm sind Persönlichkeiten aus Kunst, Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik vertreten.

Dr. Christian Bode

Generalsekretär des DAAD Prof. Dr. Clemens Börsig Vorsitzender des Kulturkreises der Deutschen Wirtschaft im BDI e.V. Jens Cording Präsident der Gesellschaft für Neue Musik e.V. Dr . Michael Eissenhauer Präsident des Deutschen Museumsbundes e.V. Prof. Dr. Max Fuchs Vorsitzender des Deutschen Kulturrats e.V. Martin Maria Krüger Präsident des Deutschen Musikrats Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann Präsident des Goethe-Instituts Isabel Pfeiffer-Poensgen Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder Prof. Dr. Oliver Scheytt Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft und Kulturdezernent der Stadt Essen Johano Strasser Präsident des P E N. Deutschland Frank Werneke Stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft ver.di e.V. Prof. Klaus Zehelein Präsident des Deutschen Bühnenvereins e.V.

jurys und kuratorien Rund 50 Experten aus Wis senschaft, Forschung und Kunst beraten die Kulturstif tung des Bundes in verschiedenen fach- und themenspezi fischen Jurys und Kuratorien. Weitere Informationen zu diesen Gremien finden Sie auf unserer website unter www. kulturstiftung-bund.de bei den entsprechenden Projekten.

Hortensia Völckers

Künstlerische Direktorin Alexander Farenholtz Verwaltungsdirektor

vorstand team

Referentin des Vorstands

Lavinia Francke Justitiariat

Dr. Ferdinand von Saint André Kommunikation Friederike Tappe-Hornbostel [Leitung] / Tinatin Eppmann / Diana Keppler / Christoph Sauerbrey / Arite Studier Allgemeine Projektförderung Torsten Maß [Leitung] / Bärbel Hejkal / Katrin Keym Wissenschaftliche Mitarbeit Dorit von Derschau / Eva Maria Gauß / Anita Kerzmann / Antonia Lahmé / Annett Meineke / Dr. Lutz Nitsche / Uta Schnell

Verwaltung

Steffen Schille / Margit Ducke / Maik Jacob / Steffen Rothe / Kristin Salomon / Kristin Schulz Zuwendungen und Controlling

Anja Petzold / Ines Deák / Anne Dittrich / Susanne Dressler / Marcel Gärtner / Andreas Heimann / Doris Heise /

Berit Koch / Fabian Märtin / Marko Stielicke Sekretariat

Beatrix Kluge / Beate Ollesch [Büro Berlin] / Christine Werner

Herausgeber Kulturstiftung des Bundes / Franckeplatz 1 /06110 Halle an der Saale / Tel 0345 2997 0 / Fax 0345 2997 333 /info@kulturstiftung-bund.de / www.kulturstiftung-bund.de

Vorstand Hortensia Völckers / Alexander Farenholtz [verantwortlich für den Inhalt] Redaktion Friederike Tappe-Hornbostel Redaktionelle Mitarbeit Tinatin Eppmann / Diana Keppler Illustrationen Andree Volkmann Gestaltung cyan Berlin Herstellung hausstætter herstellung Auflage deutsch 24.000 / englisch 4.000 Redaktionsschluss 10 2 2009

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbe dingt die Meinung der Redaktion wieder. © Kulturstiftung des Bundes alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung insgesamt oder in Teilen ist nur zulässig nach vorheriger schriftlicher Zustimmung der Kulturstiftung des Bundes.

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