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INDUSTRIESTANDORT ELBVORORTE

Die AEG hatte in Wedel zu Spitzenzeiten 3.000 Beschäftigte.

Gut, allgemein bezeichnet man mit einem Industriestandort einen Platz in der Welt, an dem tatsächlich etwas produziert wird. Die „klassischen“ Elbvororte Nienstedten, Blankenese, Iserbrook und Rissen bringt man damit nicht unbedingt in Verbindung. Orte wie Blankenese zeigen aber, dass mit Sicherheit irgendwo Geld verdient wurde. Nur eben andernorts. Und „andernorts“ kann manchmal ganz schön weit weg sein, so auch Südafrika und Lateinamerika.

Spätestens mit Ende des 18. Jahrhunderts entdeckten mehr und mehr Kaufleute – heute würde man manche eher Bankiers nennen – das Fischerdorf Blankenese für sich. Ihr Vermögen stammt auch aus Geschäften mit der Industrie, etwa aus dem Handel mit Schiffsblechen und Darlehen. Die vielen Parks im Westen zeugen noch heute vom immensen Kapitalfluss der damaligen Zeit. Aber das wäre, zugegeben, eine sehr weite Auslegung des Begriffs „Industriestandort“. Es geht nur darum zu verdeutlichen, dass die Industrie hier ihre Spuren hinterlassen hat. Jedoch durch einen Geldfluss von unten nach oben und nicht umgekehrt, wie es in direkter Nachbarschaft in Wedel passierte, durch „echte“ Industrie.Wedel, das eigentlich ein Dorf von Bauern und Bierbrauern war.

Im Jahr 1820 entstand hier der erste industrielle Betrieb mit der Zichorienfabrik. 1850 kam der Übergang vom Handwerk zur Industrie in den Werftbetrieben. Und dann, die Initialzündig: Der junge Johann Diedrich Möller, Sohn eines Leinenwebers, gründet die Optischen Werke Wedel. Und fragt man Experten wie Dr. Gerhard Kuper vom Technicon, einer Außenstelle des Stadtmuseums Wedel, sind diese Werke, die auch heute noch Weltrang genießen, die Wegbereiter für die heutige Industrie in Wedel. Was hat es mit den optischen Werken auf sich?

Möller war fasziniert von Naturwissenschaften und ein Innovator im Bereich Optik. Sein erster „Geniestreich“ war die Preparation von Kieselalgen. Das Besondere: Er hatte nur die Technik seiner Zeit zur Verfügung, um Algenskelette zu sortieren, die gerade die Dicke eines menschlichen Haares haben. Er ordnete die Algen an und fügte sie zu sogenannten „Salonpräparaten“ zusammen. Das waren Objektträger, die sich vermögende Menschen in Hamburg zulegten, um sie in Gesellschaft unter ein Mikroskop zu legen. Die Präparate kosteten das kleine Vermögen von 300 Mark. Möller wurde damit reich und erweiterte sein Werk. Dort schuf man Linsen, Mikroskope, Zielfernrohre und optische Messgeräte. Heute besteht der Markt ebenfalls aus Messgeräten und Mikroskopen für die Mikrochirurgie. Ein Lehrling Möllers machte sich später sebstständig im Bereich der optischen Messgeräte. Sein Unternehmen nannte er Trioptics. Vermutlich haben sie ein Produkt des Unternehmens ständig bei sich. Denn Entwicklungen von Trioptics finden sich heute in nahezu jedem Smartphone. Das Unternehmen Möller holte 1945 weiteres „Knowhow“ in die Elbvororte und zwar nach Rissen. Unter dem Physiker Frank Früngel entstand dort das Unternehmen Impulsphysik, das beispielsweise Wolkenhöhenmesser

Ein Lehrling Möllers machte sich später sebstständig im Bereich der optischen Messgeräte. Sein Unternehmen nannte er Trioptics.

Linsen- und Prismenpoliererei bei Möller 1918 Satelliten im Weltraum mit AEG-Telefunken Solarzellen aus Wedel

entwickelte, die in über 70 Ländern zum produzieren, abgesehen von den SprenglaEinsatz kamen, vor allem an Flughäfen. dungen, auch heute noch Torpedos am Vom Unternehmen ist heute nur noch die Standort. Angeblich sind es die besten der Hochgeschwindigkeitsfotografie übrig, die Welt, was immer das heißen mag. Heute 1991 von der Wedeler Firma High-Speed verlassen bis zu 50 Torpedos im Jahr das Photo-Systeme übernommen wurde. Ris- Werk. Stückpreis etwas mehr als eine Millisen hatte noch ein weiteres großes Techno- on Euro. Auch andere Rüstungsbetriebe logieunternehmen zu verbuchen: Scillo. Ur- wie Ruag und Rheinmetall sind heute in sprünglich war die Wedel vertreten. Trioptics wurde kürzlich Firma im Fährhaus Wittenbergen unterge- von Jenoptik aufgekauft und beliefert ebenbracht. Sie produzierte Hochspannungs- falls die Rüstung. und Hochfrequenztechnik. Mittels letzterer Diese gewisse Konzentration von Sonderwurde auch Schnaps von Fuselalkoholen technik sei, wie Gerhard Kuper meint, im befreit – angeblich ein sehr lukratives Un- wesentlichen auf die AEG zurückzuführen. terfangen, das so manchen Aquavit aufge- Aber auch auf die Tatsache, dass ab einer bessert habe. gewissen Größe eines Standortes und der

Doch zurück zu Wedel. Die Stadt vor den Expertise dort, Rüstungsunternehmen InteToren Hamburgs scheint etwas an sich zu resse zeigen. Er und seine Kollegen Heinz haben, denn neben Möller wirkte hier ein Gläser und Rudolf de Wall vom Technicon gewisser Eduard Schü- betonen aber, dass diese ler. Wenigen wird er Industriesparte, so „erheute noch ein Begriff sein. Vielleicht kennen In den Unternehmen folgreich“ sie auch war, nur einen kleinen Teil im Sie die Firma, die Schül- vor Ort arbeiten etwa Vergleich zur übrigen Inler gründete: Telefunken. Ja, die Grundlagen für jedes Bandgerät, je12.000 Angestellte. Es gibt viel Maschinendustrie in Wedel ausmach(t)e. Viel größer seien die den Kasettenrekorder, bau, Feinmechanik, zivilen Anwendungen Walkman und auch Vi- Optik und auch und einige davon umdeorekorder gehen auf das kleine Wedel zurück. Zulieferer. kreisen uns bis heute, buchstäblich. Im Jahr

Und Telefunken wurde 1965 wurde in Wedel schließlich auch der erstmals ein Satellit mit Grund für die nächste große Industrieent- Solarzellen ausgerüstet. Jetzt von der sogewicklung in Wedel. 1957 übernahm die nannten AEG-Telefunken. Bis heute kreisen AEG Räumlichkeiten der Telefunken. Am 100 Satelliten um die Erde, die in Wedel ihStandort wurden Marine- und „Sondertech- re Solar-Stromversorgung erhielten. Auch nik“ produziert. Letzteres ist eine Um- das HUBBLE-Teleskop wurde in der Rolandschreibung für Rüstungsgüter. In diesem stadt Wedel verkabelt. Fall Torpedos. Nach dem Ende der AEG in Die ersten Solarzellen zur Erdanwenden 90ern gingen diverse Teile aus der Rüs- dung, die erste vollautomatische Fertitung in anderen Betrieben wie der ESW – gungsstrecke für Solarmodule und die Forheute Vincorion, ein Unternehmen der Jen- schung an einem künstlichen Herz sind nur optik – und Atlas Elektonik auf. Letztere einige Leistungen der AEG, die in den 90ern aus Wedel verschwand und in anderen Betrieben aufging, wie Atlas Elektronik.

Das heutige Industriegebiet ist noch immer sehr vielfältig aufgestellt, wie Wirtschaftsförderer Manuel Baehr berichtet. Er ist für die Kommunikation zwischen Unternehmen und dem bürokratischen Apparat der Stadt Wedel ver antwortlich. Sein Handeln soll eine „Verwaltung der kurzen Wege“ ermöglichen, etwa in der Planung von Bauprojekten. Ordnen wir den heutigen Industriestandort Wedel ein wenig ein. Hier wohnen rund 34.500 Einwohner. In den Unternehmen vor Ort arbeiten etwa 12.000 Menschen aus Wedel und der Umgebung. DerBilanzhaushalt der Kommune beläuft sich auf etwa 80 bis 90 Millionen, 20 bis 30 Millionen Euro davon stammen aus der Gewerbesteuer.

Damit ist Wedel eine der wirtschaftsstärksten Kommunen des Bundeslandes. Es gibt viel Maschinenbau, Feinmechanik, Optik und auch Zulieferer wie die WDI AG. Außerdem findet man hier Steuerelektronikhersteller und die Pharmaunternehmen Astra Zeneca sowie medac. Die medac produziert Krebs-Medikamente. Astra Zeneca – momentan sehr im Gespräch – wird den Standort zum Jahresende aufgeben.

Das ist eine breite Branchenpalette. Wie kommt es dazu? Zum einen liegt das an der Attraktivität für Angestellte, wie Manuel Baehr berichtet. „Wedel ist ein schöner Wohnort mit einem ganz eigenen Landschaftsbild. Wir sind über den ÖPNV gut nach Hamburg angebunden. Für Mitarbeiter ist alles da: KITA, alle allgemeinbildenden Schulen und Einkaufsmöglichkeiten.“

Und für die Unternehmen? „Sie müssen, um als Standort attraktiv zu sein, für ansässige Unternehmen, die erweitern wollen, aber auch für andere Unternehmen, freie Gewerbeflächen anbieten. Aber auch die Kommune braucht die freien Gewerbeflä-

Hier entsteht der neue BusinessPark Elbufer. Nach Wunsch der Stadt möglichst mit nachhaltig produzierenden Betrieben. Manuel Baehr vermittel zwischen Stadt und Unternehmen als Wirtschaftsförderer

chen. Dann kann sie selbst darüber ent- durch die Vernetzung verschiedener Betriescheiden, Planungsrecht schaffen und ent- be. Welche Art von Unternehmen sollen zuscheiden, welche Unternehmen sich ansie- künftig in Wedel vertreten sein? deln. Das haben wir in den vergangenen 15 „Wir wünschen uns natürlich gesunde Unbis 20 Jahren eigentlich immer gut ge- ternehmen. Am besten auch aus nachhaltischafft. Dadurch haben wir auch Ansiedlun- gen und zukunftsträchtigen Branchen.“, gen aus Hamburg bekommen“, führt Wirt- sagt Baehr. Viele Firmen sind heute Ideenschaftsförderer Baehr aus. Nun wird an der schmieden, so etwa Tech-Start-ups und Zukunft am Industriestandort gefeilt. Die Softwareentwickler. Doch diese Sparte Überschrift lautet hier BusinessPark Ebufer. scheint nicht das Hauptaugenmerk der

Das Areal in der Nähe des Tinsdaler Wegs Stadt zu sein, wie Wirtschaftsförderer Baehr beträgt 185.000 Qua- weiter ausführt: „Wir dratmeter. Das Gelände wünschen uns pro ist erschlossen und die duzierende UnternehVermarktung schreitet Wir wünschen uns men. Wedel ist nicht voran. Das Projekt lief natürlich gesunde unbedingt ein Dienstleisschleppend an. Nicht zuletzt, weil Anwohner um ihre Grundstücke fürchUnternehmen. Am besten auch aus tungsstandort mit vielen Büroflächen. Wir wollen alle anderen aber auch teten und klagten. Wäh- nachhaltigen und nicht ausschließen. Auf rend sich die Menschen aus der Umgebung fragten, wann es endlich loszukunftsträchtigen Branchen. dieser Basis beginnen wir dann auch die Verkaufsverhandlungen“, so Baehr. geht, wurden viele Ver- Welche Unternehmen handlungen geführt. sich nun genau ansieDoch nun herrscht Planungsrecht und es deln, wollten Manuel Baehr und Niels geht los. „Wir haben viele Anfragen von Un- Schmidt (Bürgermeister Wedel – Interview ternehmen. Verschiedene Gremien der Seite 11) noch nicht verraten. Fest steht Stadt haben einen Kriterienkatalog erstellt, aber, Wedels Industrielandschaft wächst. sodass wir die Vergabe gut steuern können. Was macht den Erfolg aus? Ist es vielWir stellen hier schon große Grundstücke leicht auch auf Gesetzeslagen und Fördebereit. Unternehmen die anfragen, sollten rungen zurückzuführen? Manuel Baehr mindestens 5.000 Quadratmeter brauchen“, kommentiert es so: „Es gibt schon mehr als so Manuel Baehr. marginale Unterschiede in der Industrie

Der Standort Wedel hat sich bislang und ihrer Förderung zwischen den Bundesdurch Vielfalt ausgezeichnet, aber auch ländern. Aber man wird von Unternehmen schon als Teil der Region (Hamburg) wahrgenommen. Und es gibt verwaltungsübergreifend Projekte, die mehr als sinnvoll sind.“

Neben der Fläche ist die Infrastruktur am Standort entscheidend, vor allem die digitale, wie der Wirtschaftsexperte Baehr weiß. „Der BusinessPark ist mit Breitband erschlossen. Da sind wir nicht Vorreiter. Die Unternehmen fragen es nach und die Standorte müssen es heute einfach bieten.“

Zuletzt fehlt nur noch die Frage, ist Wedel ein Elbvorort? Manuel Baehr meint: „Wedel begreift sich schon als Elbvorort. Gut, die traditionellen Wedeler verstehen sich als Schleswig-Holsteiner. Die Unternehmen, die sich heute hier ansiedeln, schätzen aber die Nähe zu Hamburg.“

Autor: michael.wendland@kloenschnack.de Infos: www.wedel.de

ZUR SACHE: Industrie in der Nussschale

Wedel hat innerhalb kürzester Zeit die Verwandlung vom Ackerbau zum Industriestandort vollzogen. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ließen sich hier Unternehmen wie AEG nieder und nutzten die bereits vorhandene Innovationskaft einiger Unternehmen wie den Optischen Werken und Telefunken. Einige Zeugnisse dieser Zeit bewahrt heute das Technicon Wedel auf und ziegt sie schon bald als Museum allen Interessierten. Ehrenamtliche Hilfe ist willkommen.

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