WO SOLL DAS ENDEN?
DER GLAUBE Die Schrecken sind unermesslich – mit oder ohne Gott
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ie Frage nach Gott ist uns allen aufgegeben – von unserer Endlichkeit, von unserer Furcht, von unserer Geschichte, von unserer Kultur, von unserer Intelligenz, von unserer Ignoranz. Man kann weder so tun, als ob sie einen nichts anginge, noch vorgeben, man hätte
sondern Fanatismus, egal ob religiös oder politisch. Intoleranz. Hass. Religion kann gefährlich werden. Siehe die Bartholomäusnacht, die Kreuzzüge, die Religionskriege, den Dschihad, die Anschläge vom 11. September 2001 ... Religionslosigkeit kann auch gefährlich werden. Siehe Adolf Hitler, Stalin, Mao Ze-
dong oder Pol Pot ... Wer wollte die Toten beider Lager aufrechnen, und was würde das letztlich bedeuten? Die Schrecken sind unermesslich, ob mit oder ohne Gott. Das sagt nichts über den Glauben aus, desto mehr leider über die Menschen (und wie tagtäglich unsere Menschenrechte missachtet werden). Aber es gibt auch anbetungswürdige Helden, Künstler, so André Comte-Sponville, geniale Denker, hinreißende Menschen – unter Gläubigen mindestens so viele wie unter Ungläubigen. In Bausch und Bogen zu verwerfen, was sie glaubten, hieße sie verraten.
Manche Gläubige mögen jetzt entgegenhalten, sie seien keineswegs unwissend, Gott habe ihnen ein für allemal die Wahrheit offenbart. Wozu noch Beweise, Argumente, Gründe? Ihnen reicht die Offenbarung. Und sie stürzen sich Hals über Kopf in die heiligen Schriften, um sie auswendig zu lernen und immer wieder neu zu kommentieren ...
Was Agnostiker und Atheisten also unterscheidet, ist nicht das Fehlen oder Vorhandensein eines vorgeblichen Wissens. Wenn Sie jemanden treffen, der behauptet: „Ich weiß,
Darauf könne er als Philosoph nichts anderes erwidern, als dass jede Offenbarung nur für den gilt, der an sie glaubt, und in einem Zirkelschluss selbst den Glauben be-
Foto: Museum Ortner, Wien
auseinandergesetzt, so Gottfried Helnwein in einem ORF-Interview. „Ich habe keine Verdrängungsmechanismen. Mir ist das alles sehr real und nah“, kommentiert Gottfried Helnwein, 75 Gottfried Helnwein seine Ausstellung in der Wiener Albertina. Sichtbar in der Stadt: Mit dem erschütternden Bild des blutigen Gesichts eines jungen Mädchens am Ringturm. Die Kunst sei die einzige Möglichkeit für ihn, sich dieser Thematik zu nähern. Seine Arbeit entlaste ihn nicht. Er habe keine andere Wahl.
„MAN KANN BLUT NICHT MIT BLUT AUSWASCHEN“ „Der Schrecken, mit dem ich mich täglich auseinandersetze, ist der Schrecken
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Oktober/November 2023
der Welt.“ Er habe sich schon sehr früh mit dem Thema Schmerz und Gewalt
dass Gott nicht existiert“, ist das kein Atheist, sondern ein Idiot. Und genauso verhält es sich nach Ansicht André Comte-Sponvilles, wenn einer sagt: „Ich weiß, dass Gott existiert.“ Das ist ein Idiot, der seinen Glauben für Wissen hält.
Er male seine Bilder immer für jemanden, den er noch nicht kenne. Es sei eine einsame Tätigkeit im Atelier und er male nicht für sich. Vor einer Ausstellung in San Francisco
Foto: Helnwein
Sie kommt jetzt wieder: Man keine Meinung dazu, schreibt der französische Philosoph André Comdenke nur an die Kinder te-Sponville in seinem Buch „Woran und ihren Glauben an das glaubt ein Atheist – Spiritualität Christkind. Zu keiner anderen ohne Gott“ (Diogenes Verlag). Was die Religion den Gläubigen bereitZeit des Jahres wird in der hält, muss dem Atheisten nicht Christenwelt der Begriff verwehrt sein. Es gibt Wege zu „Glaube“ (an einen Gott) und einer Spiritualität ohne Gott, ohne Dogmen und ohne Kirche. mit ihm Liebe, Hoffnung und Menschenrechte so oft beFanatismus in Religionen müht wie in den kommenden gefährlich Wochen – um Weihnachten. Nicht Glaube führt zu Massakern,
hatte Helnwein Zweifel, ob die Besucher überhaupt noch auf Ölmalerei reagieren – durch Elektronik, special effects und anderes. „Und ich war überrascht, Leute waren erschüttert, haben geweint.“ Da habe er gemerkt, dass die Sehnsucht der Menschen da ist, nach einer Aussage in einer Kunst. Er glaube aber nicht, dass er damit was ändern könne. Aber der Kunst könnte es gelingen, für die Menschen