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ir treffen Martin Sprenger zum KLIPPGespräch im Park am Hasnerplatz in Graz. Es geht lebhaft zu: gleich daneben der Spielplatz und mehrere Kioske. Der Public-Health-Experte hat durch seine von der Regierung abweichende Position zu manchen wichtigen Maßnahmen im Rahmen der Coronakrise für heiße Diskussionen gesorgt und Kritik auf sich gezogen. KLIPP will aber von ihm vor allem wissen, wie er die Entwicklung des Gesundheitssystems in der Steiermark sieht und was er vom Projekt des Leitspitals in Stainach hält. Martin Sprenger, 56, studierte Medizin an der Med-Uni Wien und der Karl-Franzens-Universität Graz. Er baute den Universitätslehrgang Public Health an der Med-Uni Graz auf, den er seit 2010 leitet. Zuvor machte er seinen Master of Public Health am Department of Community Healths in Auckland, Neuseeland. Sprenger, Vater zweier Kinder, war bis Anfang April Mitglied der Corona-Taskforce und zog sich dann aus eigenen Überlegungen zurück.
Versorgung vom Baby bis zum Greis alles. Selbst wenn ich ein guter Endokrinologe war, kann ich ja nicht einfach sagen, jetzt gehe ich in die Allgemeine Praxis. Aber das ist alles ein Symptom dafür, wie man dem Berufsstand eben seine Vielfältigkeit genommen hat und auch seine Kompetenzen. Was aber nicht heißt, dass es nicht noch immer sehr viele Hausärzte da draußen gibt, die sehr breit arbeiten, wirklich sehr viel können, sehr viel Erfahrungswissen haben. Nur unser System hat es ihnen praktisch nie ermöglicht, das Wissen weiter zu geben. Obwohl das Wissen sehr, sehr viel wert ist. Das kann in
Liezen als Neuanfang „Wenn man im Bezirk Liezen das Richtige richtigmachen wollte, dann müsste man den gesamten Bezirk als Versorgungsregion sehen – mit allen Versorgungsebenen: der stationären Versorgung, einer Niedergelassenen-Versorgung, die e mte e eri e t er euti e Versorgung. Dann kommt auch noch die Selbstversorgung, die ja vielfach unterschätzt wird. Weiters kommen noch die chronisch Kranken dazu, die mit ihrer Krankheit meist allein sind. Es bräuchte daher ein Versorgungskonzept. So könnte eben die Versorgungsregion Liezen, was
Public-Health-Experte Martin Sprenger
„Ein Krankenhaus ist ja nur eine Versorgungsebene für die Gesundheit der Bevölkerung, wenn Sie so wollen die letzte. Worauf man achten muss und was man nicht vergessen darf“, so Sprenger. „In der Steiermark gehen in den nächsten zehn Jahren 60 Prozent der Hausärzte in Pension. Es besteht die Gefahr, dass sich eine große Versorgungslücke auftut und damit eine Ebene wegzubrechen droht. Es reicht nicht, dass eine Hausarztstelle besetzt wird, sondern sie muss gut besetzt sein. Der betreffende Arzt muss wirklich gut u lifiziert ein An den ni er it ten i t die Ausbildung zum Allgemeinmediziner in den letzten Jahrzehnten leider vernachlässigt worden.“ Österreich sei das einzige Land in der Welt, wo man Allgemeinmediziner werden kann, Hausarzt, ohne auch nur einen Tag in der Allgemeinmedizinischen Praxis gearbeitet zu haben. „Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen“, so Sprenger. „Auch heute noch werden in der Steiermark Hausarztstellen mit Personen besetzt, die keinen einzigen Tag in der Allgemeinen Praxis gearbeitet haben. Es kommt vor, dass Radiologen oder auch andere Fachärzte sich um eine Stelle bewerben und sie auch bekommen. Das kann gutgehen, aber die Wahrscheinlichkeit ist verdammt gering. Das würde ja bedeuten, dass man nichts Spezielles können muss“, so Sprenger. „Du setzt dich da rein und machst von der 14 Juni/Juli 2020 12-15_Corona.indd 14
„Wenn uns die Hausärzte wegbrechen, dann verlieren wir die wichtigste Ebene.“
Weit wichtiger als Leitspital wäre gute Grundversorgung keine Bücher hinein geschrieben werden. Das können Sie in zehn Jahren Uni nicht lernen, was einer an Erfahrungswissen in 30 Jahren ansammelt. Das ist ja in allen Berufen so – ob beim Tischler oder Glaser oder sonstwo.“ Martin Sprengers Warnung: „Wenn uns die Hausärzte wegbrechen, dann verlieren wir die erste Ebene, die wichtigste – nämlich die Grund- oder Primärversorgung. Wir wissen, dass man mit einer starken Primärversorgung – das sieht man ja auch international – viele Vorteile im System hat.“
Kommunikation und Digitalisierung betrifft, neu aufgestellt und zu einer Vorzeigeregion werden. Dafür müsste man allerdings mit allen Akteuren gemeinsam ein Versorgungskonzept machen – aber nicht vom Schreibtisch aus. Aber das will so niemand, weil es zu umständlich ist. Mit dem Betonieren sind wir immer sehr schnell, aber wir investieren sehr wenig in die ti ti n und die u lifizierun n Personal. Für eine moderne Versorgungslandschaft sollte man sich erst nach dem Konzept gut überlegen, wie der stationäre Bereich ausgestaltet sein soll.“
Ein Schlüsselmoment für Sprenger. Das war der 30. März, jener Tag, an dem die e ierun n einm l rr r zen rien ezei net t die ken i t in Supermärkten einführte – obwohl die Lage zu diesem Zeitpunkt schon sehr gut im Griff war. Was ist da passiert? „Das war absolut unnötig. Rudolf Anschober hat sich auch davon distanziert. Es war keine Maßnahme, es war ein Moment miserabler Risikokommunikation. Es war eine Eskalation der Sprache. Es sind bedrohliche Sätze und Wörter verwendet worden. Es wurde Angst gemacht. Dabei wäre der Zeitpunkt perfekt für eine beginnende Deeskalation geeignet gewesen.“
Foto: Medius
CORONA-BILANZ Viel G´spür für die Menschen…
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as beweist das Team des Grazer „Medius“. Gerade in Zeiten von Corona sollten chronische Erkrankungen nicht unterversorgt bleiben. Auf den ersten Blick lässt sich nicht vermuten, dass hinter den Mauern des Grazer Medius – es ist eine Art Hausarztpraxis – eine umfassende Gesundheitsversorgung steckt. Jedoch wird schon bei der Anmeldung schnell klar: die Atmosphäre ist um vieles angenehmer und schöner als in Spitalsambulanzen. Außerdem vermittelt die ärztliche Betreuung Kompetenz, Engagement – mit viel Gespür für die Menschen. Der Umgang ist aufrichtig und freundlich. Und besonders gut versorgt werden hier Menschen mit chronischen Erkrankungen - gerade in Corona-Zeiten. Da viele Leistungen im Gesundheitsbereich in den letzten Monaten heruntergefahren wurden, sind die Mediziner des Medius auf die Patienten zugegangen. Ines Muchitsch, Elisabeth Strobl-Gobiet und Stefan Korsatko haben bereits ab der ersten Woche des Lockdowns viele Leute kontaktiert, um schwere Folgeschäden zu vermeiden. „Unser Team hat teils telefonische Beratungen durchgeführt. Dies wurde gut angenommen und die Patienten zeigten sich erfreut über die Vielzahl an Möglichkeiten“, sagt Ines Muchitsch. „Wir sind eigentlich wie ein Hausarzt und bieten neben klassischen Leistungen Vieles an. Etwa Sturzprävention, Rauchfrei in 6 Wochen, Ernährungsberatung, aber auch eine Schulung zu Diabetes. Daneben garantieren Sozial- und Gesundheitsdienste eine ganzheitliche Versorgung“, erläutert Elisabeth Strobl-Gobiet. Im Programm befinden sich au erde A ut ehand lungen, Vorsorgeuntersuchungen oder Impfberatungen. Indes zeigt sich Stefan Korsatko besonders erfreut über Erfolge bei Diabetesund Wunderkrankungen. HD
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