Klipp Mai/Juni 2018

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Ein Pyrrhussieg droht

Neues Leitspital im Ennstal wird für ÖVP und SPÖ ein „Sieg mit großen Verlusten“. Es entscheidet bei der Landtagswahl 2020 über Erfolg oder Niederlage. 80.000 Menschen leben in der Region Liezen. 14.000 haben sich bereits dagegen ausgesprochen.

Schickhofer-SPÖ ist nicht begeistert, trägt aber die Entscheidung mit.

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as neue Leitspital für das Ennstal, die Region Liezen soll bis 2025 in der Gemeinde Stainach-Pürgg entstehen. Maximal 350 Millionen Euro könnte es kosten. Schon in den letzten Monaten hat sich mit der Bürgerinitiative „BISS“ eine starke Gegnerschaft gebildet. Der Schützenhöfer-ÖVP als Fahnenträger für dieses Projekt und der Schickhofer-SPÖ drohen größtere Stimmenverluste bei der Landtagswahl 2020. BISS sammelte allein in den letzten Monaten 14.000 Unterschriften. Die Gewinner dieses umstrittenen Mamutprojekts werden die FPÖ (keine Zustimmung), die Grünen und die KPÖ sein. Die FPÖ könnte damit im Wahlkreis IV auch zur Mehrheitspartei werden. ÖVP-Gesundheitslandesrat Christopher Drexler bereite die Situation keine schlaflosen Nächte. Man werde mit guten Argumenten überzeugen. In der Politik gelte es, oft Entscheidungen zu treffen, die im ersten Moment nicht populär sind. Das von der Landesregierung erstellte detaillierte Expertenpapier ist die eine Seite, die vielen offenen Fragen und die Realität in der Gesundheitsversorgung sind die andere Seite. Denn bis zum Wahltermin 2020 werden die Bedenken zum Spitalneubau nicht zu entkräften sein, weil die möglicherweise guten Argumente für den Bau nicht ausreichend genug kommuniziert werden können. Die Art und Weise, wie die Pro-Argumente den Liezenern bisher vermittelt wurden – nach dem Motto „es gibt keine Alternative dazu“ –, ist wenig geschickt. Die Liezener nehmen ihre gesundheitliche Versorgung zur Zeit mit dem Leitspital in Rottenmann, den Krankenhäusern in

LR Drexler: Spatenstich wird der größte Tag in seinem politischen Leben Schladming und Bad Aussee als zufriedenstellend wahr. In den Randgebieten nehmen die Bewohner auch das Salzkammergutklinikum in Oberösterreich in Bad Ischl und Spitäler in Salzburg in Anspruch. Rund 95 Millionen Euro sind in den letzten Jahren in die drei bestehenden Standorte investiert worden. Aus Sicht der Gegner könnte man auch Rottenmann und Schladming zukunftsfähig mache, sodass ein Neubau nicht nötig wäre. Das Leitspital-Projekt der Landesregierung in Stainach-Pürgg sei in wichtigen Fragen zu wenig ausgereift, man begnüge sich mit guten Absichtserklärungen. Eine weitere Schwachstelle liegt außerhalb des Gesundheitsbereichs – die unbefriedigende Verkehrslösung im Raum Stainach-Pürgg und von Liezen in Richtung Osten bis St. Gallen. Das Verkehrsaufkommen führt bereits an Wochentagen zu Staus und Kolonnenverkehr. Die Chancen stehen nicht gut, dass es dort bis zur geplanten Eröffnung 2025 auch eine Verkehrsentflechtung und -verbesserung geben wird. Besonders stark betroffen vom Neubau wäre die Gemeinde Rottenmann. Das bisherige Leitspital mit seinen 600 Mitarbeitern ist der größte Arbeitgeber. Der Einnahmen-Entfall an Kommunalsteuern wäre für die Gemeinde ein Kahlschlag, fast ein Todesurteil so der Bürgermeister sinngemäß. Ein Vorschlag der BISS: Ein derartiges gesundheitspolitisches Großprojekt müsse viel griffiger und wirklichkeitsnäher mit den Bürgern diskutiert werden. Nur so werde es mehrheitlich positiv aufgenommen.

„In unseren Spitälern sterben no

Der Grazer Univ.-Prof. Thomas Pieber nimmt sich kein Univ.-Prof. Thomas Pieber ist Vorstand für Innere Medizin am Klinikum in Graz und Chef der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie. Auslöser für das Interview war ein Gespräch über die Erfolge der CBmed*-Forschungsgesellschaft in Graz, die er ebenfalls leitet. Herr Professor, was sind aus Ihrer Sicht die Ursachen dafür? Pieber: Ich weiß, dass ich mir damit, keine neuen Freunde schaffe. Aber bei uns in der Medizin laufen die Dinge sehr autoritär ab. Ich empfinde sie nicht als modern oder patientenorientiert. Warum das? Pieber: Wir haben es bis heute nicht geschafft, die hohen Erwartungen – mögen sie auch zu hoch sein – zu erfüllen. Wir sind weit davon entfernt, das zu bieten, was zum Beispiel in der Gastronomie in einem Restaurant passiert. Sie können kein Restaurant führen, das an den Bedürfnissen der Kunden zum Teil vorbei geht. Denn sonst werden die Kunden weg bleiben. Da müssen Dinge abgearbeitet werden. Wir Ärzte können aber an den Kunden vorbei arbeiten. Denn die Leute müssen zu uns kommen, weil sie kaum Alternativen haben. Das heißt, der Innovationsdruck ist extrem gering. Das ist so das Bild, das ich habe. An jedem Tag auf der Uni habe ich beim Studium gemerkt, das passt nicht zusammen. Als ich damals ins Krankenhaus gekommen bin und die Patienten gesehen habe, mit ihrem Leid und ihren Problemen und wie mit ihnen gesprochen wird, habe ich mir noch immer gedacht: Das passt nicht zusammen. Das hat mich sehr geprägt. Daher habe ich mir vorgenommen: Wenn ich einmal was mache, möchte ich es so machen, dass es irgendwann etwas bewirkt. Das war meine Berufsmotivation und ist es bis heute geblieben. Was passt nicht zusammen? Pieber: Dass das, was die Patienten brauchen, wir in der Medizin zum Teil überhaupt nicht liefern.

Wir sind wahnsinnig fehleranfällig und verleugnen das. Es gibt leider keine Fehlerkultur. Der Anspruch des viel zitierten Mannes auf der Straße ist der, dass wir uns mit unseren hoch dotierten Jobs damit auseinander setzen, wie unsere Dienstleistung auszusehen hat. Vergessen Sie den Begriff der ärztlichen Kunst. Das ist mehr ein Glaube. Ja, es stimmt schon, es gibt künstlerische Aspekte. Aber die Qualitätssicherung nicht zum wichtigsten Anliegen zu machen, das empfinde ich als bedenklich. KLIPP-Gesprächspartner Pieber kommt auf eine Studie aus den USA zu sprechen, in der die Zahl der Patienten, die in Spitälern verstorben sind, mit Todesopfern von Flugzeug-Unglücken verglichen werden. Pieber: Umgelegt auf Österreich bedeutet das, dass über unseren Spitälern etliche Flugzeuge abstürzen. Es passiert täglich so viel bei uns im Spital. Jedes Mal ein bisserl was. Und niemand nimmt das wirklich wahr. Weil es nicht die eine große Fehlentscheidung ist, sondern viele kleine Dinge, die dazu führen, leben wir damit ganz gut. Die Leute draußen glauben, wir kümmern uns eh um die Qualität und in Wirklichkeit klafft da eine große Wunde. Wie ist die zu schließen? Pieber: Es ist halt sehr anstrengend Qualität zu liefern. Das ist Knochenarbeit. Und wenn ich es einfacher kriege, sind viele dazu verführt, es billiger zu geben. Das zweite Problem: Im Gegensatz zu einem

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