KLIPP Oktober 2017

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Eine historische Lüge aufge

Foto: Martin Baasch/ steirischer herbst

KULTUR

Foto: Wolf Silveri

Komponist Georg Friedrich Haas

steirischer-herbst-Laudator sprach beim 50. Jubiläum Klartext

W

o stehen wir?“ (Where are we now?) und „Was hat zu dieser Gegenwart geführt?“ - lautet das Motto des steirischen herbst zu seinem 50. Jubiläum. Bei der Geburtstagsfeier in der Aula der Alten Universität in Graz waren alle darauf eingestimmt zu erfahren, wie weitblickend die Verantwortlichen mit herbst-Gründer Hanns Koren damals dachten. Bis Laudator Georg Friedrich Haas völlig unerwartet die sympathische Bilderbuch-/Schulbuch-Variante des steirischen herbst als historische Lüge entlarvte. Im Folgenden Auszüge aus seiner Rede. Haas führt an, dass die Vorgeschichte des steirischen herbst seiner Meinung nach auf das Jahr 1963 zurückzuführen ist: „In diesem Jahr erhielt Joseph Papesch den Peter-Rosegger-Literaturpreis des Landes Steiermark. Papesch war fast während der gesamten Nazizeit der höchste ,Kultur‘-Funktionär in der Steiermark gewesen … Ich zähle zu den vermutlich ganz wenigen Personen in diesem Raum, die einige sei-

ner Werke gelesen haben. Für diese sprachlich wie inhaltlich inferioren Gebilde einen Landesliteraturpreis zu bekommen – das wäre auch dann ein Skandal gewesen, wenn ihr Autor kein führender Nazi gewesen wäre. Dieser Preis wurde ihm – zumindest nach Ansicht meiner Familie – nur verliehen, um damit einen Anreiz an die Naziwählerschaft in der Steiermark zu setzen, sich noch stärker in die ÖVP zu integrieren. Um den durch das Ermöglichen neuer Kunst (z.B. im Forum Stadtpark) verschreckten rechten Rand dieses Landes zufrieden zu stellen. Im Wikipedia-Artikel über Joseph Papesch steht: 1963 wurde ihm trotz seiner NS-Vergangenheit der Peter-Rosegger-Literaturpreis verliehen… - diese Aussage ist unwahr. Wahr ist, dass ihm dieser Preis WEGEN seiner NS-Vergangenheit verliehen wurde.“ „Laut Wikipedia war eines der Jury-Mitglieder, die diese Entscheidung fällten, Hanns Koren. Ich gehe davon aus, dass ihm sehr bald bewusst wurde, was da geschehen

Uraufführung „to come (extended)“ der Chroeografin Mette Ingvartsen bei der Eröffnung

ist. Dass die steirische Kulturpolitik Gefahr lief, jeden Rest moralischer Integrität zu verlieren. Und dass es notwendig war, ein Gegengewicht zu schaffen gegen den in diesem Land sicht- und fühlbaren braunen Sumpf. 4 Jahre später, 1967, wurde der steirische herbst geboren. Das, was vorher als entartete Kunst diffamiert worden war, wurde nun in den Mittelpunkt eines die Identität des Landes mitdefinierenden Festivals gestellt.“

auch nach 1945 im Weltbild der Nazis verblieben sind. Er verstand den 8. Mai 1945 als Tag der Niederlage – er nannte es den ,Zusammenbruch‘. Er empfand die Politiker der 2. Republik als Kollaborateure mit den sogenannten ,Siegermächten‘ … Er fühlte sich bis an sein Lebensende an den Eid gebunden, den er 1942 als Soldat der Wehrmacht für ,den Führer‘ - geleistet hatte. (Den Namen Adolf Hitler sprach er nie aus.)“

Der Laudator ist Komponist und lehrt heute an der Columbia University in New York. Sein Vater und Großvater waren beide Architekten, die Familie weit bekannt und Nazi-treu bis in den Tod. Haas: „Mein Vater war einer von jenen Hunderttausenden, vielleicht sogar Millionen von Österreichern und Österreicherinnen, die

„Wäre mein Vater jedes Mal, wenn er im Familienkreis das Verbrechen der Wiederbetätigung ausübte, zu einem Jahr Gefängnisstrafe verurteilt worden, hätte sich das insgesamt auf ein paar Mal 10.000 Jahre summiert. Ich bin davon überzeugt: In diesem Raum sitzen mindestens 70 Personen, deren Eltern oder Großeltern da auf

Der Führer lebte als U Der Grazer Max Taucher und sein Fiktionsschauspiel über Adolf Hitler

„Z

eitgeschichte und Politisches sind neben der Leidenschaft für die Natur und Jagd ein Hobby von mir“, erklärt der Grazer Max Taucher. Er ist mit dem Titel Professor ausgezeichnet. Vom Brotberuf her zählt er zu den erfahrenen Projektentwicklern (PBGS) für Gemeinden und Unternehmen – vom Konzern Magna bis zur Narzissentherme in Bad Aussee. In seinem Umfeld und großen Bekanntenkreis ist er aber auch als Mundart-Poet und Schriftsteller bekannt

geworden. Seine jüngste Arbeit „Die Anklage des Führers“ ist eine dokumentarische Fiktion, von der Idee her sicher einzigartig. Ein gewisser Franz Linz lebt als Bibliothekar der Stadtbibliothek in Krems zurückgezogen und alleinstehend in einer Zweizimmer-Mietwohnung. Man schreibt das Jahr 1957. Franz Linz hat ordentliche Papiere und ist nach seiner Geburtsurkunde 60 Jahre alt und in Linz

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