POLITIK
Die türkis-grünen Brückenbauer
HC Strache sei Dank HC Strache gilt der Dank. Er hat – wenn auch ungewollt – unser Land von einem Polit-Smog befreit, der schwer über Österreich hing. Nicht, weil er seine Parteimitgliedschaft ruhend gestellt hat, sondern weil er durch seine Gier zur Macht (Stichwort Ibiza) und seinen persönlichen Lebensstil (Stichwort Spesen) die alte Weisheit bestätigt: Wasser predigen, Wein trinken – in diesem Fall sogar „saufen“. Und damit ist vorerst die Ära der Spaltung Österreichs in zwei unversöhnliche Lager beendet. Die FPÖ hat knapp zehn Prozent ihres Stimmenanteils verloren, sagt die Statistik. In Wirklichkeit ist das aber die Hälfte ihrer Anhänger, nämlich – verglichen mit der Wahl 2017 – eine halbe Million Wähler (547.255). Sebastian Kurz hat als großer Triumphator zu seinen 1,6 Millionen Wählern noch einmal rund 186.000 für sich einnehmen können. Das Plus verdankt er dem Absturz der
FPÖ. Und der prozentuelle Zuwachs von sechs Prozent entspricht jenem, der seine Partei schon bei der EUWahl im Mai jubeln ließ. Wenn man so will, beruht das Plus auf einer Stimmenverschiebung innerhalb der früheren Kurz-Strache Koalition. Ein solcher Coup ist Wolfgang Schüssel von der ÖVP im Jahr 2002 gelungen. Damals hat sich die Haider-FPÖ gespalten und Schüssel wurde damit zum bejubelten Wahlsieger mit 42 Prozent Stimmenanteil. Vier Jahre später folgte dann der dramatische Absturz. Der unterschätzte Alfred Gusenbauer (SPÖ) stieß Schüssel vom ersten Platz, wurde Kanzler und Schüssel musste abtreten.
Triumphator Kurz: Mehr Stimmen, aber künftig weniger politische Macht Sebastian Kurz wird das Schüssel-Schicksal im Hinterkopf haben und es wird viel Geschick brauchen, kein Schüssel-Schicksal zu erleben.
Erfolgreicher Insolvenzverwalter Das Phänomen Werner Kogler
A
ls die steirischen Grünen den Oststeirer Werner Kogler bei der Landtagswahl im Jahre 2010 zu ihrem Spitzenkandidaten machten, ging das daneben. Er war eine Art Kompromisslösung und wollte nicht wirklich in die Steiermark zurück. Die Grünen verloren mit Spitzenkandidat Kogler sogar leicht und dieser blieb dann im Nationalrat in Wien.
Auch im Herbst 2017, als Werner Kogler die marode, aus dem Parlament geflogene Partei übernahm, war er der klassische 6
Kompromisskandidat. Er war die ewige Nummer 2 und der hemdsärmelige 57-Jährige verzichtete lange auf ein Gehalt, lebte von seinen Ersparnissen, fuhr pausenlos durch Österreich und versuchte damit, die „politische Insolvenzmasse“ zusammen zu halten. Die EU-Wahlen im Mai dieses Jahres waren dann seine erste Bewährungsprobe. Die unerwarteten Nationalratswahlen kamen für die Partei zum günstigsten Zeitpunkt. Mit der Klimadebatte wurde der Wahlkampf zu einem Heimspiel für die Grünen, mit der stillen Spitzenkandidatin Greta Thunberg.
Er ist am Höhepunkt der Wählergunst und wird in Zukunft keine 38 Prozent Stimmenanteil mehr erreichen. Dazu ist die politische Landschaft in Österreich zu vielfältig geworden. Vorbei ist damit auch die Zeit der so genannten „message control“ in einer künftigen Regierung. Wo Minister gleichsam ihren Auftritt in der Öffentlichkeit vorher mit dem Kanzlerteam genau abstimmen mussten, was sie wo sagen durften. Und damit zur wahrscheinlich kommenden Koalition: Diese wird die Farben türkisgrün tragen. Für die Mehrheit der Sebastian-Kurz-Wähler ist Werner Kogler als Grünen-Chef ein „Kotzbrocken“ und auch seine grünen Kollegen werden als Träumer und nicht regierungsfähig bezeichnet. Und es wird diesen bürgerlichen Kreisen nicht schmecken, sich plötzlich mit einem grünen Vizekanzler abfinden zu müssen. Denn dafür haben sie Sebastian Kurz nicht ihre Stimme anvertraut. Zu dieser Gruppierung muss man auch jene knapp
Das zeigen auch die Wahltagsbefragungen. Nicht überraschend: Während fast ein Drittel aller ÖVP-Wähler angab, die Person Sebastian Kurz sei für ihre Wahl ausschlaggebend gewesen, kommt die Person bei den Motiven der Grün-Wähler fast gar nicht vor. Traditionell war das Umwelt- und Klimaschutzthema das mit Abstand stärkste Wahlmotiv. Werner Kogler zeichnet auch aus, dass er selbst im Moment des größten Erfolgs besonnen reagiert und am Boden bleibt. Nicht eine mögliche Regierungsbeteiligung sei das wichtigste, sondern die Rückkehr der Grünen ins Parlament.
200.000 ehemaligen FPÖ-Wähler zählen, die sich diesmal für Sebastian Kurz entschieden haben. Auch sie haben nie und nimmer daran gedacht, dass Österreich künftig von einer türkisgrünen Koalition regiert werden wird. Mit Werner Kogler als Vizekanzler, der sich so ganz und gar nicht als glatter, urbaner und kantenloser Spitzenkandidat präsentiert hat. Das Unbehagen im bürgerlichen Lager könnte gemildert werden, sollte Sebastian Kurz gewisserma en als „Trostp aster“ auch die Neos in der Regierung haben wollen und damit die viel zitierte „Dirndl-Koalition“ in Österreich ihre Premiere haben. Während Sebastian Kurz aus seinem absoluten Hang zur Macht und Dominanz in einer Regierung kein Hehl macht, stehen bei Werner Kogler Lösungen für seine Themen Klimaschutz, Transparenz und soziale Fairness, zukunftsweisende Migrantenpolitik im Fokus. Ein Ministerposten war nie sein vorrangiges politisches Lebensziel. Daher wird sich Sebastian Kurz im Umgang mit ihm als Vizekanzler weit schwerer tun als mit HC Strache. Die Grünen werden in einer Koalition – obwohl sie nur 14 Prozent der Stimmen erreicht haben – keinesfalls den willigen Juniorpartner abgeben, von dem so manche in der ÖVP träumen.
Darauf wurde der Wahlkampf fokussiert und die Taktik war erfolgreich. Wie realistisch eine schwarzgrüne Koalition ist, auch davon träumt Kogler nicht, sondern sagt einmal: „Abwarten. Natürlich wollen wir regieren, aber nicht um jeden Preis.“ Es müsse sich die ÖVP mit Sebastian Kurz bewegen. Das „immer-schön-am-Boden-Bleiben“ von Werner Kogler ist auch in Richtung Sebastian Kurz gemünzt. Diesen wählten seine Anhänger für eine Fortsetzung der bisherigen Regierungslinie. Wie sich da eine Zusammenarbeit mit den Grünen am Ende ausgehen könnte, weiß noch keiner.
September/Oktober 2019
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