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Entwicklungspsycho logie und emotionale Aspekte

Entwicklungspsychologie und emotionale Aspekte

Auf seinem Lebensweg durchlebt ein Kind viele wichtige Entwicklungsschritte. Dabei spielen vor allem die ersten Lebensjahre eine entscheidende Rolle und prägen unser weiteres Leben. Sind körperliches und psychisches Wohlbefinden gegeben, entwickelt sich das Kind von selbst in eine positive Richtung.

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Das erste Lebensjahr

Für ein Neugeborenes stellt die Berührung die ausgeprägteste Wahrnehmungsquelle dar. Taktile Reize sind daher im Rahmen der Bildung eines Urvertrauens, einem Gefühl von tiefer Sicherheit und Geborgenheit, von großer Relevanz. Das typische Schreiverhalten in dieser Zeit lässt sich daher leicht durch Beruhigung beenden: das Kind anschauen, leise sprechen, vorsingen, Hand auf den Bauch legen, Arme und Angst oder Interesse kann das Beine halten, tragen und wie- Neugeborene schon sehr früh gen. Es konnte nämlich gezeigt zeigen, indem es lächelt, weint werden, dass Kinder, die über oder sein Köpfchen in Richtung den Tag hinweg einer Geräuschmehrmals getra- Zärtlichkeit und quelle neigt. Das gen werden bzw. in den Wachperio- liebevolle Pflege sogenannte soziale Lächeln, eine den mehr beschäf- Nachahmung und tigt werden, nicht nur weniger Spieglung im 2. bzw. 3. Lebensschreien, sondern auch leichter monat und das darauffolgende einschlafen. Lachen im 3. bzw. 4. Lebensmonat stärkt die Eltern-Kind-BinPrimäre Emotionen wie Freude, dung und unterstützt kognitive

© 2020 unsplash.com / colin-maynard und soziale Prozesse. Die Fremdenangst oder auch Achtmonatsangst wird darauf zurückgeführt, dass in dieser Zeit der Säugling vertraute von fremden Personen unterscheiden kann und die Frage, inwieweit er der fremden, neuen Person vertrauen kann, aufkommt. Zu dieser Zeit beginnt auch die unmittelbare Nachahmung von Lauten, die dann durch Wiederholung dieser zu Silbenketten wie „ma-ma“, „ba-ba“, „tata“ führt.

Psychodynamisch betrachtet stellt die orale Befriedigung die primäre Lustquelle dar. Im Interesse des Überlebens fungiert die Mundpartie, mit welcher das Neugeborene die Nahrungsaufnahme sichert, als ein sehr zentrales Instrument. Was die Strategien der Emotionsregulation betrifft, so ist ein Säugling im ersten Lebensjahr hauptsächlich auf seine Bezugspersonen angewiesen, um Trost und Bedürfnisbefriedigung zu erfahren. Betrachtet man daher den sozialen Aspekt der Entwicklung, so stellt in dieser Phase die Symbiose den zentralen Pfeiler dar.

Sind sowohl die körperlichen als auch psychischen Bedürfnisse ausreichend gedeckt, stellt dies eine sichere Ausgangsbasis und eine gute Voraussetzung für die Erkundung der Umwelt dar.

Das zweite Lebensjahr

Das zweite Lebensjahr ist dadurch gekennzeichnet, dass sich das Kind körperlich als eigenständiges Wesen zu erkennen beginnt. Mit fortschreitender Entwicklung des Wortschatzes erweitert sich auch dessen Möglichkeit, seine Emotionen auszudrücken. Nun ist es nicht mehr auf seine Mimik, Gestik und einfache Laute beschränkt, sondern kann mit einfachen Zwei-WortSätzen, wie „Mama lacht“ oder „Papa weint“ seinen Emotionen und Gedanken einen sprachlichen

Ausdruck verleihen. So ist sich erkennen, sollte die Schließ- das Kind regelrecht zu einem das Kind in dieser Phase bewusst, muskelbeherrschung noch nicht Wechselspiel zwischen dem dass das Lachen ein Ausdruck so gut funktionieren, dass von Wunsch nach Selbstständigkeit einer positiven Emotion ist und Schuldzuweisungen abzusehen und Geborgenheit. Daher ist es es auch so bewertet wird. Eng ist, da sonst das erlernte Scham- wichtig, Übergangsobjekte (v. a. mit diesem neu erlernten Prozess gefühl für erzieherische Zwecke im Alter von 2 bis 3 Jahren) wie ist die Empathiefähigkeit verbun- missbraucht und das Selbstwert- Kuscheltiere zu verwenden. Da den. Das Zweijährige beginnt das gefühl des Kindes belastet wird. der Geruch für das Kind eine erste Mal die Gefühle und Intenti- besondere Bedeutung hat, ist onen anderer Personen zu erken- Das dritte Lebensjahr es nicht unüblich, dass es beim nen und zu verstehen und sich Waschen dieser, zu einem Drama in diese hineinzuversetzen. Auch Zu Beginn des dritten Lebens- für das Kind kommt. wenn es dabei noch eigene und jahres befindet sich das Kind fremde Gefühle vermischt, setzt in dem von vielen Ab ca. der Hälfte dieses Können eine hohe kogni tive Leistung voraus. Auch hin gefürchteten Trotzalter, welches in der Zu Beginn des dritten Lebensjahres beginnt die sichtlich der Sozialisation verän- Fachliteratur als des dritten antizipierte Selbstdert sich etwas. Das Kind kommt von der anfänglichen Symbiose Autonomiephase bezeichnet wird. Lebensjahres bekräftigung. Kin der zeigen Wettbe in die Dyade bzw. Triade. Es bemerkt also, dass es nicht nur Die Bandbreite von kindlichen Trotz- befindet sich werbsbewusstsein und drücken in Mama (oder eine andere enge anfällen ist groß. das Kind in der Körpersprache Bezugsperson) gibt, sondern auch andere Personen, wie den Papa So kann es von spo radischer Bockig dem von vielen Erfolg und Misserfolg aus. Dabei und mögliche Geschwister. Hinzu keit über ein nicht gefürchteten beginnt sich eine kommen körperliche Fähigkeiten wie das Laufen, welches für enden wollendes „Aber, ich will, ich Trotzalter wesentliche Kom ponente der Lei mehr Freiheit und Unabhängig- will, ich will“ bis hin stungsmotivation keit sorgt. zu Wutausbrüchen, weinen, lau- zu entwickeln. tem Schreien, auf den Boden werIm zweiten Lebensjahr entwi- fen, toben und um sich schlagen Psychodynamisch befindet sich ckelt sich die Persönlichkeit des kommen – nichts ist hier unmög- das Kind nach wie vor in der Kindes sehr rasch. Es lernt seine lich. Für Eltern ist die Trotzphase analen Phase. Im dritten LebensWillenskraft kennen und dessen in erster Linie eines: anstren- jahr funktioniert die BeherrSelbstwirksamkeit. Durch erste gend und manchmal auch pein- schung des Schließmuskels in den Gefühle der Scham und Selbst- lich. Für das Kind jedoch ist diese meisten Fällen einwandfrei und zweifel wird dieser Prozess ver- Entwicklungsphase immens das Kind ist zuerst tagsüber und ringert. Auch macht wichtig. Hier lernt danach nachtsüber sauber. Um das Kleinkind erste Erfahrungen mit Willenskraft das Kind sehr viel für sein späteres spätere Probleme zu vermeiden, ist es wichtig, dem Kind die Zeit sozialen Regeln im und Selbst- Leben. So muss zu lassen, die es dafür braucht. Hinblick auf uner wünschte Metho - wirksamkeit es lernen, seine Gefühle in den Griff Das vierte Lebensjahr ist durch eine differenzierte Sprache den seiner Emoti- zu bekommen und gekennzeichnet, die sich auch in onsregelung. So wird es getadelt, mit Stress und vor allem Frustra- der Gefühlswelt widerspiegelt. wenn es schlägt, tritt oder wütend tion umzugehen – alles wichtige So werden Emotionen nicht nur ist. Dinge, die ihm später, vor allem verständlicher, sondern auch in der sozialen Interaktion, das intensiver wahrgenommen. Auch Psychodynamisch betrachtet Leben erleichtern werden und der Wissensdurst ist in diesem befindet sich das Kleinkind in daher unerlässlich sind. Zudem Lebensjahr sehr groß, denn es der analen Phase. Die Schließ- beginnt es sich von der engen möchte die Umwelt nicht nur muskelbeherrschung beginnt, symbiotischen Beziehung zu sei- erkunden, sondern auch verstewodurch das Kind lernt, dass es ner nähesten Bezugsperson zu hen. So manches Kind stellt die etwas selbst kontrollieren kann, lösen, wird selbstständiger/auto- Erwachsenen vor große Herausd.h. sobald der Drang zur Entlee- nomer und beginnt sein „Ich“ forderungen, wenn es wissen rung von Blase und Darm gespürt zu entdecken, zu definieren und möchte, warum der Himmel blau werden kann, wird Sauberkeit Schritt für Schritt selbstständiger ist oder der Mond seine Form möglich. Hier ist es wichtig zu zu werden. Dabei kommt es für ändert. Wichtig ist, dass derar-

tige Fragen ernst genommen und decken, ein Grundstein für das klare, möglichst verständliche Miteinander gelegt. So ist das die Antworten gegeben werden. Zeit, in der Kinder auf dem SpielNeben dem Wissensdurst möchte platz oder im Kindergarten Kondas Kind immer aktiver in den takte zu Gleichaltrigen knüpfen. Alltag miteinbezogen werden. Neue Formen des Miteinanders, Das ist die Phase, in welcher man wie etwa Teilen, das Abwarten, das Kind ermuntern kann, nicht bis man an der Reihe ist, aber nur seine Zähne zu putzen oder auch Streitigkeiten, werden Teil sich auch selbst an- und auszuzie- eines neu erlernten Spielverhalhen, sondern es auch in andere tens, welches das Kind zu verstealltägliche Abläufe integrieren hen und akzeptieren lernt. kann. Auch wenn Kleinkinder Im vierten Lebensjahr wird nicht bei jeder Tätigkeit eine Vielen Eltern fällt es schwer, ihre wirkliche Hilfe im Haushalt dar- Kinder im Kindergarten „alleine“ stellen, so haben sie Spaß daran. zu lassen. Jedoch ist das ein wichMit derartigen Tätigkeiten wer- tiger Prozess, welcher dem Kind den dabei sowohl die Entwick- aufzeigt, dass die Eltern es als lung der Motorik und der Spra- selbstständig genug halten, sich che als auch die Konzentration zurechtzufinden und für ein paar unterstützt. Durch tägliche Rou- Stunden in das neue System eintinen fühlt sich das zuordnen. Mit dieKind zudem in die Kinder sem Schritt stärken Familie integriert und erkennt, dass brauchen die Eltern nicht nur das Selbstvertrauen es ein wichtiger Teil andere Kinder ihrer Kleinen, sondieser ist. Lernge- dern beugen auch schwindigkeit und Fähigkeiten Trennungsängsten vor. Somit sind unterschiedlich ausgeprägt kann ihr Kind lernen, sie für und finden daher nicht in einem einige Zeit loszulassen und macht festgelegten Zeitrahmen statt. die Erfahrung, dass es sehr wohl in der Lage ist, sich unterschiedDas vierte Lebensjahr lichen Situationen zu stellen und diese zu meistern. durch die Fähigkeit, die Gefühls- Bereits gegen Ende des 4. Lebenswelt anderer (Kinder) zu ent- jahres ist ein umfassender Wandel in der Weltwahrnehmung des Kindes zu bemerken. Dieser wird im 5. Lebensjahr beständig ausgebaut und das Kind ist in der Lage zu verstehen, dass seine Sicht der Welt sich von der seiner Mitmenschen unterscheidet. Auch wird ihm langsam immer bewusster, dass sich seine innere Welt, seine eigenen Gedanken, Gefühle und Absichten von denen anderer Menschen unterscheiden können. Dies führt dazu, dass sich sein zwischenmenschliches Handeln verbessert und auch die kognitiven und sozial-kognitiven Aspekte ein Wachstum erleben.

Psychodynamisch befindet sich das Kind in der phallischen Phase, in welcher das Bewusstsein für das eigene Geschlecht wächst. So kommt das Interesse für den eigenen Körper hervor und Geschlechtsorgane werden gezeigt und andersgeschlechtliche Kinder mit Interesse betrachtet. Auch lässt sich der sogenannte Ödipuskomplex in dieser Phase wiederfinden. Dieser bestimmt in dieser Zeit die Beziehung zu den Eltern. Es treten Rivalitätsgefühle gegenüber dem gleichgeschlechtlichen Elternteil auf und der andere (nicht gleichgeschlechtliche) Elternteil wird geliebt. Laut Freud wird in dieser Zeit eine

Angst entwickelt, die das Kind fühlt sich wertgeschätzt. unauffällige Zeit, da hier vor allem schlussendlich überwindet und die Themen der bisherigen Phasen sich mit dem gleichgeschlechtli- Anders als in der Pubertät wird nachwirken. Charakteristisch sind chen Elternteil identifiziert und das Kind nicht von Hormonen hauptsächlich soziale Themen, diesem sogar nacheifert. Ein wei- übermannt, sondern wird des- die vor allem mit dem Schuleinteres Merkmal der phallischen wegen aus der Bahn geworfen, tritt und dem damit verbundenen Phase ist die Entwicklung des weil gerade in dieser Zeit so viel Loslösen von der Familie und Gewissens, der Moralinstanz in seinem Kopf dem Aufbau soziaoder, wie es in der psychoanaly- passiert, womit es Endlich lesen, ler Beziehungen zu tischen Fachliteratur heißt, dem Über-Ich. nicht umzugehen weiß. Wie bei der schreiben und tun haben. Wichtig anzumerken ist, bekannten Pubertät, rechnen dass der FreundesDas sechste und siebte ist auch der Verlauf kreis hauptsächlich Lebensjahr der Wackelzahnpubertät unter- gleichgeschlechtlich betont ist, mit schiedlich und kann von Kind zu der Prämisse: „Mädchen sind doof“ Im sechsten und siebten Lebens- Kind variieren. Ist das Kind gerade bzw. „Jungs sind doof“. jahr wächst der Wortschatz und mittendrin, ist es wichtig, es ernst Kinder haben wenig Mühe, neue zu nehmen, auch wenn der Grund Jeder hat sein eigenes Tempo Wörter zu lernen. Zudem wächst für den Ausbruch noch so unwichdie Neugier auf abstrakte, nicht tig erscheint. Hat das Kind das Im Großen und Ganzen kann fassbare Wörter, wie z. B. das Jen- Gefühl, dass ihm zugehört und mit gesagt werden, dass mit dem Wisseits. Das Kind kann in diesem Geduld und Ruhe entgegengetre- sen über ungefähre EntwicklungsLebensjahr nicht nur seine Erleb- ten wird, kann es schneller seine zeitpunkte und Abfolgen, regresnisse wiedergeben, sondern auch Gefühle eruieren und regulieren. sives Verhalten und Ängste etc. gehörte Geschichten problemlos Dieser Prozess bietet dem Kind die besser eingeordnet werden könnacherzählen. Auch das Zahlen- Möglichkeit, seine Affekte zu kon- nen. Jedoch ist immer zu beachten, verständnis ist ausgereifter und trollieren und anhand eines guten dass Entwicklung unterschiedlich Brettspiele mit Würfeln finden Vorbildes zu lernen. erfolgt und jedes Kind sein eigenes Einzug in das Spielinteresse des Tempo hat. Kindes. Zudem ist festzustellen, Aufgrund ihrer Mentalisierungsdass sich auch die Feinmotorik fähigkeit können Kinder in diesen verbessert und mögliche Schreib- Lebensjahren nicht nur Ursacheversuche eine ruhigere Federfüh- Wirkung-Mechanismen erkennen, rung als die vorherigen aufweisen. sondern ziehen auch analoges Denken als bewährtes Mittel zur Auf der sozialen Ebene werden per- Lösung ihrer Probleme heran. sönliche Kontakte vermehrt ein- Auch sind sie in der Lage, dedukgegangen. Das Kind erfährt nicht tives und induktives Schlussfolnur die Interessen der anderen gern und auch andere kognitive Kinder, sondern lernt auch, dass Leistungen anzuwenden. Der ab und an Kompromisse geschlos- Schuleintritt stellt für die Kinder sen werden müssen. Zudem wird ein kritisches Lebensereignis dar es mit den eigenen Stärken und und ist somit als eine HerausfordeSchwächen konfrontiert und ent- rung für das Kind zu sehen. Neben wickelt einen Gerechtigkeitssinn. den kognitiven Aspekten wird nun Unterstützt kann dieser Entwick- vom Kind verlangt, seinen Bewelungsschritt werden, indem man gungsdrang zu unterdrücken, das Kind ermutigt, einmal nachzu- ruhig zu sein und zuzuhören. geben oder zu ver- Auch hier gilt: jedes zeihen. Hierbei ist es wichtig zu erklären, warum man Wackelzahnpubertät Kind hat sein eige nes Tempo! Univ.-Ass. Mag. Maria Gren dies tut. Auch sollte Betrachtet man diese Individualpsychologin man nicht darauf vergessen, das Lebensjahre psychodynamisch, (Psychotherapeutin in Ausbildung Kind nach den Gefühlen zu fra- so befindet man sich laut der Ent- unter Supervision) gen und warum es diese oder jene wicklungstheorie Freuds in der Entscheidung getroffen hat. Damit nimmt man das Kind ernst und es Latenzphase. Diese ist vergleichsweise zu den anderen eine eher Autor

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