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Zwei Sichten aufs Wasser

hug | Ganz am Anfang in der Bibel wird zweimal hintereinander erzählt, wie Gott die Welt geschaffen hat (Gen 1 beziehungsweise 1 Mo 1). Der ältere Bericht in Kapitel 2 ist unter Nomaden in der Wüste vor etwa 3000 Jahren entstanden. In ihm wird das Wasser als die grundlegende Ermöglichung des Lebens beschrieben. Zuerst wuchs noch nichts: «Denn Gott der Herr hatte es auf die Erde noch nicht regnen lassen» (Vers 5); die Fruchtbarkeit wird erst so möglich: «Feuchtigkeit stieg aus der Erde auf und tränkte die ganze Fläche des Erdbodens» (Vers 6). Eine Oase entsteht.

Der jüngere Text, der Sieben ­TageSchöpfungsplan (Kapitel 1), wurde im babylonischen Exil etwa 500 vor Christus verfasst, als das Volk Israel im Zweistromland (Euphrat und Tigris), wo man Überschwemmungen kannte, in der Fremde lebte. Dort wird das Wasser als die grösste Bedrohung erlebt, die Gott sukzessive wegschaffen muss (eben wie nach Überschwemmungen), damit Leben gedeihen kann. Am zweiten Tag scheidet Gott das Wasser vom Himmelsozean vom Wasser auf der Erde durch ein Gewölbe (Verse 6–8). Am dritten Tag sprach Gott: «Es sammle sich das Wasser unterhalb des Himmels an einem Ort und das Trockene werde sichtbar. (…) Gott nannte das Trockene Land und die Ansammlung des Wassers nannte er Meer.» (Verse 9–10) Erst nach dem Ablfiessen des Wassers an einen Ort kann das junge Grün in all seinen Formen auf dem trockenen Land spriessen. Hinter dieser Schilderung kann man leicht die wiederkehrende Erfahrung mit Überschwemmungen, die anschliessend fruchtbaren Boden hinterliessen, erkennen.

Der körperliche Durst weckt eine Sehnsucht (Joh 4)

Mit der Samariterin am Brunnen

hug | Das brütend heisse Wüstenklima treibt dem, der sich in ihm aufhalten muss, Schweiss aus den Poren und macht übermächtig Durst. So sitzt der Wanderprediger Jesus müde und enorm durstig am uralten Jakobsbrunnen, einer damaligen «Tankstelle», kann aber nicht trinken, weil er kein Schöpfgefäss hat. Um die sechste Stunde, das heisst um die Mittagszeit, kommt eine Frau aus Samarien zum

Brunnen, um für sich Wasser zu holen. Kommt es zu einer Begegnung?

Ein grosser Spannungsbogen tut sich mit dieser Situation auf: Juden und Samariter sind verfeindet, weil die Leute, die in Samarien wohnen, Gott nicht im Tempel von Jerusalem verehren, sondern auf ihren Höhen; sie gelten darum als «ungläubig». Frauen und Männer leben in getrennten Welten; eine fremde Frau spricht einen Mann

Der körperliche Durst weckt eine Sehnsucht (Joh 4) nicht an. Und diese Frau, die um 12 Uhr mittags – nicht frühmorgens oder abends mit den anderen Frauen, wenn es weniger heiss ist – ihre tägliche Wasserhol­ Pflicht erledigt, ist eine Ausgeschlossene, eine Nicht­ Dazugehörige, eine Verachtete.

Aber Jesus, der Fremde, der Jude, der Mann, spricht sie, die Frau, die Samariterin, die Aussenseiterin, an; sein Durst ist zu drängend und überwindet die gesellschaftlichen Barrieren. Sie, die Minderwertige, kann ihm, dem Gottesmann aus Israel, etwas geben. Das Wunder der Begegnung ereignet sich!

Und dann kommt es, wie bei jedem echten Gespräch, zu einem Hin und Her. Die Frau wundert sich über seine Anrede, der Mann kündigt an, dass er ihr auch etwas geben könnte, wenn sie sich dafür öffnet. Seine ihr angebotene Gabe: Er kann eine Quelle lebendigen Wassers in ihr zum Fliessen bringen. Wunderschön, wie hier der Johannesevangelist in diesem Dialog Ungleicher zwei Ebenen miteinander ins Spiel bringt: die körperliche, der Durst, eines unserer stärksten physischen Bedürfnisse, und die Sehnsucht des Menschen, innerlich so etwas wie eine Quelle von Lebenskraft und Inspiration zu erleben. Der fundamentale Drang des Durstig ­Seins ermöglicht das Wahrnehmen eines anderen «Durstes»: desjenigen nämlich, ein lebendiger Mensch zu werden, kraftvoll aus der eigenen Mitte angetrieben, mit einem unbegrenzten Zufluss an neuer Energie.

Jesus weckt diesen Durst bei der Frau. Sie wird so für ihn zum Brunnen, weil sie ihm Wasser geben kann; er wird so für sie zum Brunnen, weil sie dank ihm wieder an sich und ihre innere Quelle glaubt – eine Auferstehung mitten im alltäglichen Leben!

Der Maler Sieger Köder hat die biblische Szene so dargestellt, dass die samaritische Frau in den tiefen Sodbrunnen – eigentlich in ihr Inneres – schaut und auf der Wasseroberfläche nicht nur ihr Gesucht gespiegelt sieht, sondern auch das eines Gegenübers, der die Wahrheit über sie weiss und ihr neuen Mut zum Leben macht.

Riten und Brauchtum zwischen Glauben und Magie

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