Reflexe 01/21

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#kolumne

Jede Distanz ist nicht nah TEXT Heinz Haug

FOTO Stefan Wey

Nähe mit Distanz. Das geht irgendwie nicht. Das ist die Quadratur des Kreises. «Every distance is not near», singt Bob Dylan. Wobei Frage: Kann man der Nähe etwas Relatives andichten? Also zum Beispiel in etwa: Sie sind mir jetzt aber mal relativ nah gekommen. Geht das? Weiss nicht! Wie auch immer: Das Thema ist kein einfaches. Vor allem hier nicht – im Spital, wo Nähe geboten, Distanz nicht möglich ist. Behandlung braucht Nähe. Auch in Zeiten von Corona. Der Schlauch steckt in der Speiseröhre – für eine Gastroskopie kann ich nicht zu Hause im Bett liegenbleiben. Die Ergotherapeutin zieht an meinem operierten Finger – sanft zwar, aber immerhin sie zieht – effektiv und live. Ergotherapie am Bildschirm geht nicht. Ich muss erscheinen vor Ort im Partnerhaus. Ich überwinde Distanzen, um denen nah zu sein, die mich gesund machen. Auch vermummt mit Mund-Nasen-Schutz spüre ich mein Vis-à-Vis als Person, die mir Gutes tut. Und das tut gut. Seelische Nähe überwindet unermessliche Distanzen; ganze Ozeane. Körperliche Nähe kann das nicht. Dafür kann man sie messen. In Zentimetern zum Beispiel. Wie also umgehen mit physischer Nähe, wenn Corona einen Mindestabstand von einem Meter fünfzig diktiert? Die Frage stellt sich hier rhetorisch. Denn: Ich weiss es nicht. Wie sollt’ ich auch. Ich mach’ als KSB-Patient (grösstenteils), was man mir sagt. Ohne Widerrede und Murren. Weil, wer Fachleuten Vertrauen schenkt, der soll dies beweisen, indem er nicht ständig alles hinterfragt, sondern tut, wie ihm geheissen.

Die Medizin fordert viel. Von allen Beteiligten. Nicht zuletzt von ihren Patientinnen und Patienten. Von mir also auch. Ja, das stimmt. Man sticht mich, schiebt mich in Röhren, klopft mich ab, endo- und gastroskopiert mich und damit ich nicht alles mitbekomme, werde ich sediert oder anästhesiert. (Ich weiss jetzt, was Prince und Michael Jackson an Propofol fanden, das Zeug fährt ein.) Das alles funktioniert nur richtig, gut und nachhaltig mit positiver Wirkung auf die Gesundheit, wenn ich Vertrauen habe. Vertrauen in die Institution, Vertrauen in die Menschen. Und wenn ich zulasse, was unerlässlich ist: Nähe. Nähe schafft Vertrauen – auch behandschuht mit Maske vor Mund und Nase. Mir gibt man Termine. Ich komme und ich gehe. Ich halte mich an das, was von mir verlangt wird. Ich trage Maske, desinfiziere Hände und fasse nichts an. Man sagt mir, was zu tun ist, und was ich zu lassen habe – und ich halte mich still, weil ich Vertrauen habe. Und auch in Zeiten von Corona Nähe spüre und erfahre. Chapeau an alle KSB-Menschen. Das macht euch so schnell niemand nach. Das dürft ihr als Kompliment gern entgegennehmen. Denn ich bin Dauer-Patient. Und als solcher ein Profi. Einer mit Erfahrung, der weiss, wovon er spricht und worüber er schreibt. Jede Distanz ist nicht nah – wie wahr, wie wahr. Empfehlung: Auf YouTube anhören, wie’s tönt, wenn Bob Dylan and The Band in die Saiten und die Tasten greifen und ansetzen zu «I Shall Be Released», das Lied mit der wunderbaren Zeile «Every distance is not near». Es bleibt die Moral von der Geschicht’: «You Can’t Go Wrong With a Bob Dylan Song».

Hier gehts zum Song von The Band «I Shall Be Released».

ZUR PERSON: Heinz Haug, Jahrgang 1951, ist Texter und kennt das KSB als langjähriger Mitarbeiter und Patient in- und auswendig.

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reflexe 1-2021


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