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Notenbanken in den roten Zahlen
Die Ära von Tiefst- und Negativzinsen ist seit letztem Jahr vorbei. Diese Zeitenwende bedeutet nicht nur höhere Renditen für Anleger, sie bringt auch massive Verluste für die Notenbanken mit sich. Zwar können sie nicht „Pleite gehen“ und selbst mit negativem Eigenkapital agieren. Dennoch bleiben die roten Zahlen nicht ohne Folgen. Im Falle von länger anhaltenden Verlustserien könnte die Unabhängigkeit der Notenbanken in Gefahr geraten.
Zeitenwende für Banken – und Notenbanken Bankaktien gehörten in den letzten Wochen und Monaten zu den relativen Gewinnern am Aktienmarkt. Nach jahrelanger Dürre haben sich die Perspektiven für das Zinsgeschäft von Geschäftsbanken merklich aufgehellt und Anleger sehen für die insbesondere in Europa lange Zeit von Tiefstzinsen geplagten Finanzinstitute endlich wieder Licht am Ende des Tunnels. Doch auch für die Notenbanken haben höhere Leitzinsen und gestiegene Anleiherenditen Konsequenzen – diese sind weder trivial noch gänzlich unproblematisch. Tatsächlich türmen sich bei den Notenbanken die Verluste. Die australische Zentralbank (RBA) verbuchte 2022 einen Buchverlust von 37 Milliarden australischen Dollar, der das Eigenkapital mehr als aufzehrte. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) avisierte Anfang Januar einen provisorischen Rekordjahresverlust von 132 Milliarden Franken. Im vergangenen September macht die niederländische Zentralbank in einem Schreiben an die Regierung bekannt, dass sie die möglichen Zinsverluste der kommenden Jahre auf 9 Milliarden Euro schätzt. Auch die Fed in den USA kann seit Herbst 2022 nicht mehr jede Woche Milliardenbeträge an das Finanzministerium überweisen. Vielmehr wächst seitdem auf der Bilanz
Von stetigen Überschüssen... | ...zu einer wachsenden Verbindlichkeit Überweisungen der Fed an das US-Finanzministerium bzw. ab September 2022 Verbindlichkeiten (in Milliarden US-Dollar) der US-Notenbank ein Schuldenposten („deferred asset“) gegenüber dem US Treasury, der irgendwann in der Zukunft (wenn die Fed wieder Gewinne macht) einmal beglichen werden muss.
Die Mechanik der Verluste
Die Ursachen für den Wandel von zuverlässigen Gewinnmaschinen zu Verlustproduzenten unterscheiden sich je nach Notenbank mitunter im Detail. Im Grossen und Ganzen liegt der Grund jedoch in den im letzten Jahrzehnt massiv gewachsenen Notenbankbilanzen – diese werden nun zum Problem. So müssen die Notenbanken für die auf der Passivseite ihrer Bilanz verbuchten Einlagen der Geschäftsbanken, welche in den letzten Jahren ebenfalls stark angestiegen sind, inzwischen wieder Zinsen zahlen. Dieser Zinsaufwand ist mittlerweile deutlich höher als die Zinserträge, welche die Notenbanken mit den Anleihen auf der Aktivseite der Bilanz verbuchen. Die Anleihen wurden in der Vergangenheit nämlich meist zu deutlich tieferen, teils gar negativen Renditen gekauft. Da die Zinskosten in den nächsten Monaten mit weiter steigendem Leitzinsniveau noch zunehmen werden, während die Zinserträge nur vergleichsweise langsam ansteigen dürften, werden die Verluste auf diese Art vorerst noch längere Zeit weiter anwachsen. Beim Beispiel der Bank of England (BoE) gibt es neben dieser Verlustmechanik noch eine weitere Verlustquelle: Im Gegensatz zur Fed (und bald auch EZB) lässt die BoE im Rahmen des „Quantitative Tightening“ nicht nur bestehende Wertpapierpositionen auslaufen, ohne sie zu ersetzen. Sie verkauft zudem auch Anleihen, die sie früher zu deutlich höheren Preisen gekauft hatte und realisiert damit aktiv Verluste. Etwas anders gelagert ist der Fall wiederum bei SNB und RBA. Diese gehören zu den wenigen Notenbanken, welche ihre Wertpapierpositionen zu Marktpreisen bewerten („mark-to-market“). Somit erklären sich die riesigen Buchverluste durch die schwachen Aktien- und Anleihemärkte im letzten Jahr.
Spielt es eine Rolle?
Sind die Verluste der Notenbanken nun ein Problem oder ein Non-Event? Tatsache ist, dass Notenbanken auch dann geldpolitisch vollständig handlungsfähig bleiben, wenn ihr Eigenkapital durch Verluste komplett
Quellen: Bloomberg, Kaiser Partner Privatbank aufgefressen bzw. negativ geworden ist. Theoretisch kann eine Notenbank jederzeit so viel Geld drucken wie sie möchte. Illiquid werden oder „Pleite gehen“ kann sie nicht. Theoretisch besteht auch kein Zwang dazu eine überschuldete Bilanz zu sanieren. Ein gar nicht so historisches Beispiel für eine verschuldete Notenbank ist die tschechische Zentralbank, die von 2002 bis 2013 infolge von Wertberichtigungen auf die erheblichen Devisenreserven ein negatives Eigenkapital aufwies. Selbst die für ihre stabilitätsorientierte Politik gerühmte Deutsche Bundesbank war zu Beginn der 1970er Jahre technisch betrachtet überschuldet, weil die Verluste das Eigenkapital übertrafen.
Ganz ohne Konsequenzen ist eine schwachbrüstige Notenbank allerdings nicht. Zwar ist eine Rekapitalisierung überschuldeter Notenbanken nicht nötig. Indirekt sind die Steuerzahler aber betroffen, wenn die Notenbankverluste zu geringeren oder gar einem Ausfall von Gewinnausschüttungen führen. Im aktuellen Beispiel der Schweizerischen Nationalbank ist genau dies geschehen. Und so müssen Schweizer Bund und Kantone in diesem Jahr auf die bis zu 6 Milliarden Franken auf- grund der riesigen SNB-Verluste komplett verzichten. Ein noch grösseres Problem wären indes wohl länger anhaltende Verlustserien. Wenn die Öffentlichkeit aus einer dauerhaft überschuldeten Notenbank auf einen Wertverlust der Währung schliesst, könnte dies die Reputation der Notenbank gefährden. Sieht sich die Politik zur Begrenzung eines solchen Reputationsverlusts zur Rekapitalisierung der Notenbank gezwungen, so könnte dies nicht nur ihre Unabhängigkeit gefährden. Auch ihre Glaubwürdigkeit als Hüter der Geldwertstabilität würde in einem solchen Falle leiden.
Fazit: Die Verluste der Notenbanken werden sich in den kommenden Monaten weiter auftürmen. An Handlungsfähigkeit büssen sie deshalb nicht zwingend ein. Die Aussicht auf grosse Verluste könnten aber beispielsweise Fed und EZB dazu veranlassen schneller als geplant ihre Bilanzsummen zu reduzieren (und die Geldpolitik somit noch restriktiver zu gestalten). Im Szenario einer lang anhaltenden Verlustserie könnten Rekapitalisierungen zu einem Verlust an Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit führen. So schnell dürfte das Thema nicht von der Agenda verschwinden.
Die Deutsche Bundesbank war zu Beginn der 1970er Jahre technisch betrachtet überschuldet