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Bergsicht
Die geopolitische Heatmap
Nach einem Jahr Krieg in der Ukraine scheint ein schnelles Ende des Konflikts in weiter Ferne. Ein klarer Sieg ist weder für die Ukraine noch für Russland wahrscheinlich. Doch auch keines der anderen denkbaren Szenarios hat eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 50%. Im Verlauf des Jahres droht die Auseinandersetzung mitten in Europa zu einem Proxy-Krieg zwischen den USA und China zu werden.
Ein Jahr Krieg und kein Ende in Sicht
Der Ukraine-Russland-Krieg jährte sich Ende Februar das erste Mal. Er gilt inzwischen unbestritten als der verheerendste militärische Konflikt seit dem zweiten Weltkrieg und dürfte Europa und die Welt dauerhaft prägen und verändern. Auf dem Schlachtfeld spielt sich seit Monaten ein blutiger Abnutzungskampf ab. Beobachter erwarten, dass Russland seine aktuelle Offensive im Donbass in den nächsten Wochen ausweitet. Die Ukraine dürfte den Fokus vorerst weiter auf Verteidigung setzen und eine Gegenoffensive für den Frühling planen. Die zwei gegensätzlichen Extremszenarien – ein Sieg Russlands beziehungsweise der Ukraine – sind aus heutiger Sicht sehr unwahrscheinlich. Russlands militärische Fähigkeiten sind zu stark geschwächt um die ganze Ukraine einzunehmen. Die Ukraine wiederum benötigte viel mehr (und viel schneller) Waffen des Westens als dieser zu stellen bereit ist. Doch auch keines der anderen denkbaren Szenarios hat eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 50%. Am wahrscheinlichsten ist im Verlauf des Jahres eine fortgesetzte Abnutzung auf beiden Seiten ohne entscheidenden Durchbruch.
Tieferes Wachstum, höhere Inflation | Auch Europa muss einen Preis zahlen Konsensschätzungen für die Eurozone (vor dem Krieg und heute)
Russland und China gegen den Westen?
Langfristig dürften Durchhaltewillen und Unterstützung von aussen entscheidende Erfolgs- bzw- Misserfolgsfaktoren werden. Mit Blick auf die Grösse der Bevölkerung (140 gegen 40 Millionen) und dem Potential zur Rekrutierung von Soldaten ist Russland im Vorteil. Zudem spielt sich der Konflikt allein auf ukrainischem Territorium ab, was dessen industrielle Basis sowie die zivile und militärische Infrastruktur stetig degradiert. Andererseits ist die ukrainische Bevölkerung hochmotiviert, während eine weitere Massenmobilmachung in Russland zunehmend zu Unzufriedenheit in der Bevölkerung führen könnte. Die Ukraine kann die Qualität ihrer militärischen Materials mit Hilfe des Westens verbessern, während Russland der Zugang zu westlicher Technologie (offiziell) verschlossen ist. Zudem befindet sich die russische Wirtschaft aufgrund immer strikterer Sanktionen in einer Abwärtsspirale ohne absehbaren Boden. Nachdem die westliche Welt bereits mehr als 155 Milliarden US-Dollar an militärischer und ziviler Unterstützung zugesagt hat, setzt US-Präsident
Biden mit seinem Besuch in Kiew Ende Februar ein Ausrufezeichen. Für dieses und nächstes Jahr kann die Ukraine weiter mit solider Unterstützung aus dem Westen rechnen. Je näher die US-Präsidentenwahl Ende 2024 rückt, desto mehr steigt jedoch das Risiko, dass die westlichen Länder die Geduld verlieren und auf eine Lösung des Konflikts drängen. Jüngste Nachrichten, nach denen China militärische Unterstützung für Russland ins Feld führen könnte, erhöhen das geopolitische Risiko zusätzlich – auch auf globaler Ebene. Ein noch länger andauernder Konflikt in der Ukraine könnte sich zu einem Proxy-Krieg zwischen den USA und China ausweiten. Dies würde die ohnehin stattfindende Entkopplung zwischen China und dem Westen weiter akzentuieren und beschleunigen.
Der wirtschaftliche Schaden
Nach mehr als 12 Monaten Krieg mitten in Europa lässt sich dessen wirtschaftlicher Schaden (für Europa) inzwischen beziffern – auch wenn es sich nur um grobe und vorläufige Schätzungen handelt.
Insbesondere über den Kanal massiv höherer Energiepreise aufgrund drastisch reduzierter Erdgasimporte aus Russland sieht sich die Eurozone mit einem drastisch erhöhten Preisniveau konfrontiert. Gegenüber dem Nicht-Kriegs-Szenario dürfte die Inflation Ende 2024 um mindestens 8 Prozentpunkte höher liegen. Der negative Effekt auf das Wachstum dürfte sich im gleichen Zeitraum auf rund 3% bemessen. Aus konjunktureller Sicht dürften die grössten Negativeffekte hinter uns liegen oder in den kommenden Quartalen verdaut werden. Dennoch verfügt Russland noch immer über Hebel und Wege gegen die westlichen Sanktionen zurückzuschlagen. So könnte eine Reduktion der russischen Ölproduktion Aufwärtsdruck auf den Weltölpreis und die Inflation im Euroraum bedeuten.
Nach mehr als 12 Monaten Krieg mitten in Europa lässt sich dessen wirtschaftlicher Schaden inzwischen beziffern
Die Margen blieben entsprechend unter Druck – seit einem Hoch von 13% im Sommer 2021 sind sie nun das sechste Mal in Folge (auf 11.3%) gefallen