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M A G A Z I N F Ü R J U N G S O Z I A L I S T: I N N E N

INFRAROT

Juli 2021


INFRAROT

LIEBE*R LESER*IN Du hältst die neuste Ausgabe des Infrarots in deinen Händen! Seit der letzten Ausgabe ist viel Zeit vergangen und Du wunderst dich vielleicht, was das Infrarot überhaupt ist. Das Infrarot ist die Mitgliederzeitschrift der JUSO Schweiz und wird von unseren Mitgliedern gemacht. War die Redaktion die letzten Jahre nicht existent, hat sie sich anfangs dieses Jahres wieder gebildet und besteht im Moment aus 12 Mitgliedern, die auch an dieser Ausgabe gearbeitet haben. Die Redaktion ist breit aufgestellt, darunter sind ganz frische JUSO Mitglieder, aber auch einige langjährige Parteigenoss*innen. Und natürlich ist die Redaktion immer auf der Suche nach Verstärkung! Wenn Du Interesse hast, kannst Du Dich bei sandro.covo@juso.ch melden. In dieser Ausgabe geht es unter anderem um die 99%-Initiative, die ja bald zur Abstimmung kommt. Dazu gibt es Artikel über die Initiativen und ihre Ziele, das Infrarot führt Dich aber auch hinter die Kulissen und stellt die Kampagnenorganisation vor. Ein wenig über die JUSO hinaus geht es in den beiden Interviews. Da befassen wir uns mit alternativen Gesellschaftsformen, einerseits mit dem Anarchismus, andererseits der Postwachstumsökonomie, auch bekannt als Degrowth. Das Infrarot bietet Dir auch einen Überblick an bevorstehenden Events und was in den Sektionen so los ist, in dieser Ausgabe werfen wir einen Blick in den Aargau. Wir wünschen viel Vergnügen mit dieser Ausgabe und freuen uns schon darauf, an der nächsten Ausgabe zu arbeiten, die im November erscheinen soll.

EINE IDEE FÜR EINEN A RT I K E L ? LUST IM NÄCHSTEN INFRAROT EINEN BEITRAG Z U V E R FA S S E N ? MELDE DICH BEI UNS: R E D A K T I O N @ I N F R A R O T. N E W S

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JUSO SCHWEIZ

INHALT 4 5

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Wa r u m d i e 9 9 % I n i t i a t i v e Kampagnenarbeit zur 99% Initiative Sozialismus per Abstimmung?

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Das wachsende Problem des Wirtschafts wachstums

Pa r o l e n a u s d e n 3 Ecken der Schweiz

11 Solidarische Superreiche 12 13

Interview Anarchismus Agenda der Juso

15 Andere Sektionen 16 Hold the line 3


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WARUM DIE 99% INITIATIVE? «Wer hat, dem wird gegeben» oder «Wo Tauben sind, fliegen Tauben zu» und wie Tauben, so die Menschen, wie die Menschen, so ihr Geld. Oder zumindest das Geld derer, die ihr Geld für sich arbeiten lassen. Die ihr Geld so investieren, dass es immer mehr Geld anlockt, ohne dass sie dafür einen Finger krümmen müssten, geschweige denn es komplett besteuern. Doch wir, die jeden Tag im zu voll gestopften ÖV zur Arbeit fahren, Zuhause unbezahlte Care-Arbeit leisten, unsere Kinder trotzdem in teure Kitas schicken müssen und uns bei psychischer oder physischer Krankheit aus finanzieller Angst nicht zum Arzt trauen, wir müssen unser Geld versteuern. Aber ein Geldschein, der muss sich keine Sorgen um seine Krankenversicherung machen oder sich um seine Miete kümmern. In der Schweiz kann er und sein Besitzer oder seine Besitzerin sogar noch mit Milliarden-Steuergeschenken rechnen, während sie sich bei einer Unternehmenssteuer von 14% in der Sonne herumwälzen. Diese strahlt ja nun aufgrund des Klimawandels praktischerweise noch um einiges stärker auf uns. Währenddessen laufen, oder fahren vermutlich eher mit einem teuren SUV, ihre Geldscheine für sie zur Arbeit, vorbei an den restlichen 99% der Schweizer Bevölkerung, an etwa 8459550 Menschen, welche an dem Tag selber aufgestanden sind, um zu arbeiten. Weil diese Geldscheine aber nicht sichtbar sind, diese 8 Millionen aber schon und weil wir nicht für das restliche 1% der Schweizer Bevölkerung arbeiten wollen, holen wir uns zurück, was wir erarbeitet haben. Was uns gehört! Dafür haben wir 2019 die Volksinitiative «Löhne entlasten, Kapital gerecht besteuern» eingereicht.

Wir fordern, dass Kapitaleinkommen – ab einem Freibetrag von 100’000 Franken – zukünftig mit dem Faktor 1.5, statt dem bisherigen von 0.6, besteuert werden soll. Der Freibetrag sorgt dafür, dass Kleinsparer*innen nicht betroffen sind. Damit beenden wir diverse Privilegien der Superreichen und schliessen Steuerschlupflöcher. Dies betrifft dadurch aber nur die 1% der Steuerpflichtigen der Schweiz, die genug Kapital besitzen, um nicht arbeiten zu müssen. Die dadurch entstehenden Mehreinnahmen sollen zurück an die tatsächlich Arbeitenden fliessen – also beispielsweise in Prämienverbilligungen bei den Krankenkassen, Unterstützung von Kindertagesstätten oder die Entlastung von Lohnschwächeren. Nachdem wir im Vorfeld über 100000 Unterschriften gesammelt haben, empfahl der Bundesrat dem Parlament die Initiative abzulehnen, denn «er sehe keinen Handlungsbedarf». Da sich auch das Parlament gegen die Initiative ausgesprochen hat, werden wir nun am 26. September 2021 darüber abstimmen.

«Geld arbeitet nicht – du schon» und Milliardäre übrigens auch nicht, denn wie Mattea Meyer auf Twitter schon schrieb: «Um Milliardär zu werden musst du pro Tag CHF 3700. – verdienen. Ohne Pause. 728 Jahre lang. Ohne einen Rappen auszugeben.» Wir kämpfen also für Gerechtigkeit und dafür, dass das Geld, welches wir hart erarbeiten auch in unserem Portemonnaie landet und nicht auf dem Konto der Superreichen. Denn wie Samira Marti aus der SP bereits sagte: «Wir können uns diese Reichen nicht mehr leisten, welche unsere Vermögen kapern und fette Kapitalgewinne einstreichen.» Wir können und wollen sie uns nicht mehr leisten. Wir wollen faire und gleichberechtigende Löhne für alle und dafür kämpfen #wearethe99%

Text von: Kassandra Frey

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https://www.fedlex.admin.ch/eli/fga/2020/655/de


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DIE KAMPAGNE

DER 99% INITIATIVE Mit 134’000 Unterschriften wurde die 99% Initiative im April des Jahres 2019 eingereicht. Ein Grund zum Aufatmen könnte man denken, doch mit diesem Gedanken liegt man weit daneben. Die Hauptarbeit beginnt nämlich erst dann richtig, wenn eine Initiative auch wirklich zur Abstimmung kommt. Im Mai dieses Jahres wurde offiziell bekannt gegeben, dass die 99% Initiative im September an die Urne kommen wird. Die Kampagnenarbeit hatte jedoch schon vor diesem Wissensstand begonnen. Uns ist allen bewusst, dass das Gegenkomitee der 99% Initiative riesig ist und somit auch deren Kampagne. Die 99% hat es eben nicht leicht gegen das 1% zu kämpfen. Dies ist jedoch noch längst kein Grund aufzugeben, sondern eine Motivation mit doppelter Wucht der Gegenkampagne entgegenzuwirken. Bei solch einem Gegenwind ist es wichtig, dass jede JUSO-Sektion mitanpackt. Bis im März 2021 wurde jede Sektion dazu aufgefordert eine oder einen 99% Verantwortliche:n zu benennen, die oder der als Ansprechperson für die Campaigner:innen der JUSO Schweiz fundiert. Diese Person gestaltete einen eigenen Kampagnenplan für die jeweilige Sektion. Diese Planung konnte anhand verschiedener Richtlinien erstellt werden, die die JUSO Schweiz ernannt hatte. Zum Beispiel war die Mindestanforderung an eine Sektion mit mehr als 20 aktiven Mitgliedern die Durchführung von 5 Bildungsworkshops zur Initiative. Damit die JUSO Schweiz den Überblick nicht verliert, stellten sie drei Campaigner:innen an, die für die einzelnen Sektionen verantwortlich sind. Unsere eigenen Mitglieder müssen wir jedoch kaum von dieser Initiative überzeugen, umso wichtiger ist die Kommunikation und die Aufklärungsarbeit auch in externen Organisationen. Die Initiative kann nur gewinnen, wenn sie auch ausserhalb der JUSO viele Unterstützer:innen gewinnt. Das Gewinnen von Unterstützer:innen ist jedoch kaum allein zu meistern für die einzelnen Sektionen, wofür die Idee mit den Regionalgruppen erschaffen wurde. Ziel war es, dass vier bis zehn Regrus(Regionalgruppen) gegründet wurden, die aus externen Mitgliedern besteht. Dass das Know-How aber garantiert bleibt in den Regrus sind die Alt-JUSO’s gefragt, die auch Teil dieser Gruppen sind. Mögliche Mitglieder der Re-

grus sind Menschen aus der SP und anderen linken Parteien, JUSO-nahe Organisationen oder einfach alle, die sich für diese Initiative einsetzen möchten. Es läuft also ganz schön viel zur gleichen Zeit: Viele unterschiedliche Kampagnenplanungen existieren und viele externe Menschen, die sich in den Regrus zusammenfinden, unterstützen die Initiative. Da verliert man schnell den Überblick. Damit dies jedoch nicht passiert und alle Menschen, die sich für die Initiative einsetzen, sich auch persönlich austauschen können, ist ein sogenannter Hub geplant. Der Hub ist ein lagermässiger, zentralstattfindender Event, der vom 28.6 bis zum 4.7. stattfand. Zusammen setzten sich die Menschen mit der heissen Phase des Abstimmungskampfes auseinander. Man widmete sich auch der Frage, was sonst noch geleistet und auf die Beine gestellt werden kann. Innovation und Kreativität waren also gefordert! Für die Schlussphase vor der Abstimmung ist ein gesamtschweizerisches Briefkästeln geplant. Flyer zu der Abstimmung werden in möglichst vielen schweizer Briefkästen landen, damit die JA-Parole sichtbar ist! Dieser Event wird Mitte August stattfinden. Weitere Informationen werden wir von der JUSO Schweiz per Mail erhalten. Wie wir also sehen, ist die Kampagnenarbeit der Richtwert, wie das Abstimmungsresultat aussehen wird. Nur zusammen und mit grosser Motivation kann eine gute Kampagnenarbeit geleistet werden. Diese Arbeit ist noch längst nicht fertig. Bis zum Sonntag, an dem wir an der Urne über die 99% Initiative abstimmen werden, werden sich Menschen dieser Arbeit widmen. Jede Mitarbeit ist Gold wert und wenn auch du jetzt überzeugt davon bist, Teil der Kampagnenarbeit zu werden, dann melde dich bei der Person, die die Verantwortung der Kampagnenleitung trägt in deiner Sektion oder trete einem Regru bei. Und manchmal ist weniger mehr: Nur schon mit einem Repost der Initiative oder dem Erzählen im Freundes- oder Familienkreis trägt man einen Teil zum Abstimmungskampf bei. In diesem Sinne auf eine Kampagnenarbeit in der jede und jeder einen Teil dazu beitragen kann. Für ein starkes Ja-Resultat an der Urne! Text von Rachele Unternährer

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D A S Z I E L D E R I N I T I AT I V E

DIE 99%-INITIATIVE SOZIALISMUS PER ABSTIMMUNG? Am 26. September stimmt die Schweiz über die nun dritte Initiative der JUSO Schweiz ab. Die 99%-Initiative tritt mit einem wicht i g e n A n l i e g e n a u f : O b m i t L e h re , Studium oder ohne Ausbildung, um zu überleben, müssen wir arbeiten. Das ist die Realität der 99%. Auf der anderen Seite steht das 1%, dem wir unsere Arbeitskraft verkaufen müssen. Selber arbeiten muss das 1% dabei nicht, denn sie lassen, so der irreführende Spruch, «ihr Geld für sich arbeiten». Aber: Es ist nicht ihr Geld, das für sie arbeitet. Der gesamtgesellschaftliche Reichtum wird von der arbeitenden Bevölkerung produziert. Das Einkommen des 1% ist der Mehrwert, den wir in unserer Arbeitszeit schaffen – es ist das Geld, das sie uns nicht ausbezahlen. Denn: Die Gesamtsumme aller Löhne ist tiefer als der Gesamtwert der Güter und Dienstleistungen in der Gesellschaft. Aus der Differenz entstehen die Kapitaleinkommen. Teil des 1% zu sein bedeutet also nicht, zu viel Geld für geleistete Arbeit zu bekommen – sondern gar nicht erst arbeiten zu müssen und auf unsere Kosten Reichtum anzuhäufen. Die 99%-Initiative will das ausbeuterische reichste Prozent zur Kasse bitten: Kapitaleinkommen sollen 1,5 Mal so stark wie Arbeitseinkommen besteuert werden. Die Initiative ist ein direkter Angriff auf die Profite der Kapitalist*innen. Mit dem so eingenommenen Geld sollen Steuererleichterungen für tiefere Arbeitseinkommen und ein Ausbau des Sozialstaates für die 99% ermöglicht werden. Die Initiative stellt den zentralen Verteilungskonflikt in der Gesellschaft ins Zentrum der Diskussion: den Konflikt zwischen Arbeit und Kapital. Dass die 99%-Initiative für die Klasse der Kapitalist*innen herbe Verluste bedeuten würde, zeigt die Reaktion der schweizerischen Wirtschaftsverbände, die sich unter dem Motto «Zukunft sichern!» zu einer Allianz zusammengeschlossen haben. Das Motto zeigt: Die Initiative bringt die Besitzenden dazu, um ihre künftigen Profitmöglichkeiten zu fürchten. Be-

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reits heute erfindet das Komitee daher Schreckensgespenster, um die 99% von einem Ja zur Initiative abzubringen: Auch die «Mittelschicht» und die KMUs, die liebsten Strohmänner der Bürgerlichen, müssten als Ergebnis unserer «willkürlichen» Initiative mit höheren Steuern rechnen – und das, nachdem diese doch bereits von der Pandemie so geschwächt sind! Doch natürlich malt die Economiesuisse damit nur den Teufel an die Wand. Die 99%-Initiative würde nur das reichste Prozent treffen und könnte (leider!) auch den Sozialismus nicht über Nacht einführen.

Die Chancen der 99% am Abstimmungssonntag Doch bevor über die Einführung des Sozialismus an der Urne diskutiert werden kann, geht es um die Frage, ob die 99%-Initiative überhaupt Chancen hat, angenommen zu werden. Wie bei jeder linken Initiative stehen die Chancen gering. Doch das ist auch nicht unser Ziel. Der Schluss aus der Betrachtung der Abzockerei an der Arbeiter*innenklasse kann nur einer sein: Es braucht einen Systemwechsel. Wir brauchen ein System, in dem es kein 1% gibt, das bestimmen kann, wer arbeiten darf und wer wie viel Lohn bekommt. Stattdessen brauchen wir eine Gesellschaft, in der demokratisch über den Reichtum und die Produktionsmittel bestimmt wird – und zwar von denen, die ihn erarbeitet haben. Kurz gesagt: Wir brauchen den Sozialismus. Wie kommen wir dort hin? Nicht mit dem Gewinnen von Initiativen. Die Widersprüche des kapitalistischen Systems können nicht mit Gesetzesänderungen gelöst werden. Auch die 99%-Initiative kann die Produktionsverhältnisse nicht verändern, sondern würde nur die Verteilung des Mehrwerts verändern. Unser politischer Kampf führt über Abstimmungssonntage hinaus. Deshalb kritisieren wir die SP so sehr, wenn sie mal wieder nicht über den Tellerrand, oder genauer: nicht über die nächsten Wahlen, hinaussieht. Denn: Unser Kampf ist ein längerfristiger


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Unser Ziel muss es sein, die arbeitende Bevölkerung in diesem Land von unseren Ideen zu überzeugen und ihr Bewusstsein für die bestehenden Missstände zu stärken. Kurzum: Wir wollen die Kräfteverhältnisse nachhaltig, über vierjährige Legislaturperioden hinaus, zu Gunsten der 99% verschieben. Ansonsten sind unsere politischen Gewinne nur wenig wert: In einem Parlament mit bürgerlicher Mehrheit sind progressive Entscheide schnell rückgängig gemacht. Schon immer waren Initiativen für die JUSO Mittel zum Zweck und nicht das Allheilmittel. Blicken wir zurück auf die 1:12-Initiative: Wie keine andere Initiative schlug die 1:12 in der politischen Landschaft der Schweiz ein. Sie gab der Empörung über die steigende Lohnungleichheit die Möglichkeit, sich zu äussern und gab ihr ein Gesicht in der Form einer Jungpartei, die für eine Jugend stand, die die Widersprüche im System nicht länger dulden kann und will. Die Initiative hat die JUSO fest in der politischen Landschaft der Schweiz verankert und hat zu einem nie gesehenen Anstieg von Mitgliedern in einer Jungpartei geführt. Dennoch scheiterte die Initiative an der Urne

geschafft hat, ist nicht zu unterschätzen: Sie hat den Nerv der Zeit getroffen und die Diskussion über Abzockerlöhne in die Öffentlichkeit getragen. Deshalb kann die 1:12 für die JUSO als Sieg betrachtet werden: es geht uns nicht darum, in einem kaputten System mitzumischen. Stattdessen wissen wir: Wir haben etwas im Bewusstsein von tausenden Menschen verändert – viele davon Menschen, die bis heute aktive Mitglieder der JUSO sind und tagtäglich daran arbeiten, unserem Ziel einen Schritt näher zu kommen: der Überwindung des Kapitalismus. Gleich verhält es sich auch mit der 99%-Initiative: Sie kann den Grundstein legen für den weiteren politischen Kampf, indem sie die Frage nach dem Wert von Arbeit stellt. Dabei dürfen wir jedoch nicht zu sehr den Glauben in die Parlamente und Gesetze des bürgerlichen Staates stärken – sondern wir müssen auch klar und deutlich sagen, dass unser Ziel über die Initiative hinausgeht: Wir wollen die Überwindung des Kapitalismus, nicht mehr und nicht weniger. Text von Daria Vogrin

Wa r u m l a n c i e r e n w i r I n i t i a t i v e n , wenn wir sie nicht gewinnen können? Das ist jedoch keine Überraschung. Zu viel Geld wurde vor der Abstimmung in die Verwirrung und Verängstigung der arbeitenden Bevölkerung investiert. Mit ihren 35% Ja-Stimmen war die 1:12 dennoch ein Achtungserfolg. Denn was die JUSO

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DAS WACHSENDE PROBLEM DES WIRTSCHAFTSWACHSTUMS Der Klimawandel ist wohl die grösste Herausf o r d e r u n g u n d G e f a h r, d i e u n s e r e G e n e r a t i o n b e w ä l t i g e n m u s s . Ve r a n t w o r t l i c h f ü r d e m K l i mawandel ist die Industrialisierung und die damit verknüpfte Abhängigkeit von ungebrems t e m w i r t s c h a f t l i c h e m Wa c h s t u m . U n e n d l i c h e s Wa c h s t u m u n t e r d e n R a h m e n b e d i n g u n g en von endlichen Ressourcen scheint keine besonders nachhaltige Lebensweise zu sein. Wie man beim Leitspruch «System Change, not Climate Change» sehen kann, ist dieser Gedanke bereits tief in der Klimabewegung verwurzelt. Wie dieser Systemwechsel aber ablaufen soll – und wohin er überhaupt führen soll – ist eine umstrittene Frage. «Nur wer weiss, woher er kommt, weiss auch, wohin er geht.» In diesem Beitrag des Infrarots widmen wir uns genau dieser Frage, und stellen dabei ein relativ neues Wirtschafts- bzw. Gesellschaftssystem vor, die Postwachstumsökonomie. Als erste von vier zentralen Säulen wird in der Postwachstumsökonomie die Suffizienz genannt, also die Einschränkung der materiellen Selbstver¬wirklichung, sprich der Verzicht auf übermässigen und verschwenderischen Konsum. An zweiter Stelle steht die erhöhte Selbstversorgung. Das beginnt bei der Gemein-schaftsnutzung von Gütern wie dem Auto oder Rasenmäher, umfasst aber auch Themen wie die Nahrungsmittelversorgung durch Gemeinschaftsgärten oder einen Teil der materiellen Eigenversorgung durch handwerkliche Tätigkeiten. Drittens will man eine Stärkung der Regionalökonomie für wirtschaftliche Tätigkeiten, die über einen zu hohen Spezialisierungsgrad für kleinkommunale Strukturen verfügen (Güter welche hochspezialisierte Produktionsmittel benötigen wie z.B. elektronische Bauteile, Batterien oder Autos). Und viertens bedarf es eines Rückbaus bzw. Umbaus der globalisierten Wirtschaft um mindestens die Hälfte. Dabei soll die freigewordene Arbeitskraft für Selbstversorgungs-arbeiten, d.h. eine partielle Selbstversorgung, genutzt werden. Im Interview mit dem Infrarot ist der Historiker Roman Rossfeld. Er forscht unter anderem an der Abteilung für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte des historischen Instituts der Universität Bern. Zudem ist er Co-Präsident der SP 6 der Stadt Zürich und im Parteivorstand der SP Stadt Zürich. In unserem Interview mit Ihm wollen wir herausfinden, wie es so weit kommen konnte und was für Lehren für eine nachhaltige(re) Zukunft gezogen werden sollten.

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Der «Wachstumszwang» beschreibt die ökonomische Notwendigkeit zur Umsatz- und Gewinnsteigerung. Bereits Karl Marx schreibt in Das Kapital von einer Kraft, die Unternehmungen zu Wachstum zwingt. Obwohl das Thema offensichtlich nicht neu ist, scheint es im Licht von Klima- und Wirtschaftskrise aktueller denn je. Welche treibenden Faktoren kann man in der Wirtschaftsgeschichte erkennen? Zunächst möchte ich kurz festhalten, dass ich den Begriff «Wachstumszwang» für problematisch halte und dieser Begriff auch in der Literatur umstritten ist. Wer in der Wirtschaft einen Wachstumszwang postuliert, erklärt die Ökonomie zu einem geschlossenen System, dem gegenüber die Politik nicht handlungsfähig ist. Ich würde deshalb lieber von einem Wachstumsdrang sprechen. Wachstumstreiber gibt es viele. Das vielleicht einfachste Beispiel ist die kurzfristige Gewinnmaximierung börsenkotierter Aktiengesellschaften bzw. das «Shareholder-Value» Denken. Sehr wichtig scheinen mir aber auch die «mentalen Infrastrukturen» zu sein, die Harald Welzer beschrieben hat. Wir alle kennen die Maxime «schneller, weiter, höher» – das «Leben im Komparativ» – und die hohe gesellschaftliche Wertschätzung von Leistung und Wettbewerb. Beschleunigung, Rationalisierung und Selbstoptimierung reichen inzwischen weit über die Arbeitswelt hinaus und greifen tief in das persönliche Freizeitverhalten und den Umgang mit dem eigenen Körper hinein. Die weit verbreitete Haltung «genug ist nicht genug» führt zu immer weiterem Wachstum; und genau hier beginnt die politische Arbeit: Bei der Identifizierung von Wachstumstreibern und der Frage, ob weiteres Wachstum in reichen Ländern wie der Schweiz wirklich noch notwendig ist. Ludwig Erhard, damaliger Politiker der CDU und Bundeswirtschaftsminister, schreibt in seinem 1957 veröffentlichten Buch «Wohlstand für Alle» vom Wachstum und Wettbewerb als erfolgversprechendstes Mittel zur Sicherung des Wohlstands. Hat sich seine These nicht als korrekt herausgestellt? Oder ist unser Wohlstand die Folge von externalisierten Kosten zu Lasten der Umwelt und mentalen Gesundheit? Für den Wiederaufbau eines vom Krieg zerstörten Europa waren Wachstum und das langfristige politische Ziel «Wohlstand für alle» sicher zentral. Dass dieser Slogan in den 1960er Jahren auch von der SP verwendet wurde, macht deutlich, dass Wachstum damals von allen politischen Lagern eingefordert wurde. Den Menschen mehr Wohlstand, Einkommen oder soziale Sicherheit zu versprechen, ist für Politikerinnen und Politiker sehr attraktiv. Ulrich Brand hat quantitatives Wachstum noch kürzlich als «verteilungspolitische Versöhnungsformel» bezeichnet. Die Wirtschaftswissenschaften haben sich hingegen lange vor allem mit Gleichgewichtsfragen oder der Konjunkturforschung beschäftigt, sich aber nur wenig um Ressourcenfragen oder die wachsende Umweltverschmutzung gekümmert. Solange genügend Ressourcen vorhanden waren und die Umweltschäden noch wenig sichtbar waren, konnten die


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mit dem Wachstum verbundenen Kosten gut verdeckt werden. Mit der Ölpreiskrise und dem Bericht des Club of Rome zu den «Grenzen des Wachstums» hat sich das in den 1970er Jahren dann aber verändert. Inzwischen sind die Folgeschäden des «fossilen Zeitalters» zu einer existentiellen Bedrohung geworden. Der Diskurs zu ökonomischer Nachhaltigkeit findet in der Bevölkerung immer mehr Resonanz. Oftmals wird dabei von einem qualitativen (grünen) Wachstum gesprochen. Dieses soll durch eine Entkoppelung von Wirtschaftsleistung und Ressourcenverbrauch bzw. Umweltverschmutzung zustande kommen. Die Postwachstumsökonomie will aber komplett weg vom Wachstum, ein Novum in der Wirtschaftsgeschichte. Was ist die angebrachte Kritik am qualitativen Wachstum? Der Begriff des qualitativen Wachstums entstand in den 1970er und 80er Jahren nach dem Bericht des Club of Rome von 1972 und fokussiert auf drei Dinge: Erstens sollte weiteres Wachstum nur noch unter Vermeidung weiterer Umweltschäden erfolgen, zweitens sollte die Produktion immaterieller Güter verstärkt werden, und drittens sollte quantitatives Wachstum nicht mehr ein Ziel an sich sein. Das alles scheint mir sinnvoll zu sein; bis heute funktioniert die sogenannte «Entkoppelung» von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch aber nur ansatzweise. Die Konsummuster in unserer Überfluss- und Wegwerfgesellschaft sind alles andere als nachhaltig; und egal ob «qualitatives», «nachhaltiges» oder «grünes» Wachstum: Es geht bei allen diesen Überlegungen immer um weiteres Wachstum; zugleich fehlt aber eine ehrliche Antwort darauf, dass unser heutiges (westliches) Produktions- und Konsumtionsniveau nicht universalisierbar ist. Das Positionspapier Unsere Wirtschaft (2018) der SP wirkt bizarr. Es fordert einerseits mehr nachhaltiges Wachstum, denn der Verzicht auf Wachstum «birgt unter den bestehenden Bedingungen ein kaum zu verantwortendes soziales Risiko.» Andererseits will man ein System fördern, in dem die Abhängigkeit vom Wirtschaftswachstum reduziert wird. Ist das nicht die sprichwörtliche Schere im Kopf? Meines Erachtens besteht hier ein klarer Zielkonflikt zwischen der Umwelt- und Klimapolitik sowie der Wachstumsund Sozialpolitik. Seit den 1950er Jahren erfolgte der Ausbau des Sozialstaates auf der Basis eines starken und anhaltenden Wirtschaftswachstums. Für die Finanzierung der Sozialversicherungen verfolgte die SP (wie andere Parteien auch) über Jahrzehnte eine klare Wachstums- und Vollbeschäftigungspolitik. Etwas wachstumskritischer war angesichts der immer sichtbarer werdenden Umweltschäden nur das – ausgesprochen interessante – Parteiprogramm von 1982. Nach der Stagnation der 1990er Jahre und der Durchsetzung einer zunehmend neoliberalen Wirtschaftspolitik setzte auch die SP wieder verstärkt auf Wachstum. Die Angst vor einem schärferen Verteilungskampf bei einem gleichbleibenden oder kleiner werdenden Kuchen ist bis heute spürbar. Zugleich setzt die SP weiterhin auf «Cleantech» bzw. die technologische Entwicklung als Erlösungsversprechen, anstatt – zumindest intern – einmal

grundsätzlich über die Grenzen des Wachstums und die damit verbundenen Fragen der Verteilungsgerechtigkeit zu diskutieren. Niko Paech, Wirtschaftsprofessor an der Universität Siegen, geht davon aus, dass soziale Gerechtigkeit im globalen Massstab, unter der Einschränkung ökologischer Grenzen, der Kern einer jeden Nachhaltigkeitsdebatte ist. Unter solchen Voraussetzungen sollte eine Diskussion zu diesem Thema weit oben auf der politischen Traktandenliste stehen, insbesondere bei der JUSO und der SP. Konntest Du eine Veränderung spüren, wie dieser Diskurs in den letzten Jahren geführt wurde? Die Frage der Verteilungsgerechtigkeit stellt sich auf mindestens drei Ebenen: erstens innerhalb einzelner Gesellschaften zwischen Arm und Reich (beispielsweise mit Blick auf die soziale Sicherheit); zweitens zwischen den Geschlechtern (in Form einer feministischen Wachstumskritik) sowie drittens zwischen Nord und Süd (mit Blick auf die von Ulrich Brand beschriebene «imperiale Lebensweise»). In Krisenzeiten ist aber nicht zu erwarten, dass eine Diskussion über die Grenzen des Wachstums oder mehr Nachhaltigkeit auf der politischen Agenda weit oben steht. Wachstum gilt auch innerhalb der SP weiterhin als Allheilmittel, was mir angesichts der sich beschleunigenden Klimakrise und der immer deutlicher werdenden planetaren Grenzen aber schlicht verantwortungslos zu sein scheint. Hast Du noch Literaturempfehlungen für Leute, die sich weiter zur modernen Wirtschaftsgeschichte und insbesondere dem Postwachstum als Alternative zur wachstumsorientierten Wirtschaft informieren wollen? IIm Gegensatz zur etablierten Politik hat sich in der Wissenschaft auf dem Feld der Wachstumskritik in den letzten Jahren sehr viel bewegt. Als Einführung in das Thema Postwachstum würde ich das Buch von Matthias Schmelzer und Andrea Vetter: «Degrowth / Postwachstum zur Einführung» von 2019 empfehlen. Ein Klassiker ist inzwischen das Buch von Tim Jackson: «Wohlstand ohne Wachstum. Grundlagen für eine zukunftsfähige Wirtschaft» von 2017. Mit Blick auf die Nord-Süd-Debatte ist sicher auch das Buch von Stephan Lessenich: «Neben uns die Sintflut. Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis» von 2018 zu empfehlen. Das Infrarot dankt Roman herzlich für die Zeit, die er sich genommen hat, um unsere Fragen zu beantworten. Text und Gespräch: Silvan Steinegger

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99%

PAROLEN AUS DEN 3 ECKEN DER SCHWEIZ I L D E N A R O N O N L AV O R A , N O I S Ì ! La società in cui viviamo è costruita su diversi sistemi di dominazione, in interazione tra loro, che strutturano la nostra posizione all’interno della società. Fra questi sistemi di dominazione, la struttura capitalista è particolarmente deleteria nelle sue conseguenze sociali e ambientali, essa si riproduce grazie allo sfruttamento del 99% e attraverso l’accumulazione di capitale. La Svizzera presenta una struttura fiscale che difende ciecamente l’accumulazione di capitale, in quanto i maggiori beneficiari della generosità dello Stato sono i redditi da capitale, quelli che non si possono ottenere a meno di appartenere già a una classe privilegiata. L’iniziativa propone di aggiustare questo squilibrio, per poter alleggerire il carico fiscale sulla classe lavoratrice! La maggioranza borghese sta facendo di tutto per screditare la nostra iniziativa e ne ha paura. Per quanto loro abbiano capitale e influenza, noi abbiamo nel cuore la speranza che una società migliore è possibile. Dobbiamo farci sentire e farci vedere in questa campagna dove, non solo difendiamo una distribuzione più giusta delle ricchezze, ma anche un progetto di società che è possibile e desiderabile. Text von Federica Caggìa

F Ü H RT D I E I N I T I AT I V E D E N SOZIALISMUS EIN? Ob mit Lehre, Studium oder ohne Ausbildung: Um zu überleben, müssen wir arbeiten. Das ist die Realität der 99%. Auf der anderen Seite steht das 1%, dem wir unsere Arbeitskraft verkaufen müssen. Selber arbeiten muss das 1% dabei nicht. Das Einkommen des 1% ist der Mehrwert, den wir in unserer Arbeitszeit schaffen. Es ist das Geld, das sie uns nicht ausbezahlen. Teil des 1% zu sein bedeutet also nicht, zu viel Geld für geleistete Arbeit zu bekommen – sondern gar nicht erst arbeiten zu müssen und auf unsere Kosten Reichtum anzuhäufen. Der notwendige Schluss für die 99%: Es braucht einen Systemwechsel. Wir brauchen ein System, in dem es kein 1% gibt, das bestimmen kann, wer arbeiten darf und wer wie viel Lohn bekommt. Stattdessen brauchen wir eine Gesellschaft, in der demokratisch

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über den Reichtum bestimmt wird – und zwar von denen, die dafür gearbeitet haben. Kurz gesagt: den Sozialismus. Wird die 99%-Initiative den Sozialismus über Nacht einführen, wie es die Gegner*innen behaupten? Nein. Aber sie legt sie den Grundstein für den weiteren politischen Kampf, indem sie die Frage nach dem Wert von Arbeit ins Zentrum der politischen Diskussion stellt. Text von Daria Vogrin

POURQUOI JE M’ENGAGE EN FAV E U R D E L’ I N I T I AT I V E 9 9 % ? Notre système capitaliste libéral est responsable des inégalités qui gangrènent la société. Il est grand temps qu’une répartition des richesses plus équitable intervienne. L’initiative 99% est un premier pas en direction d’un changement complet de paradigme. Elle permet d’imposer plus fortement les revenus du capital des ultra-riches, représentant le 1% de la population suisse, et de les redistribuer aux 99%, par le biais d’une réduction de leurs impôts, ou, en finançant des politiques sociales. La JS Suisse propose, par exemple, que les recettes fiscales découlant de l’imposition soient affectées à une baisse des primes d’assurance obligatoire des soins ou à des réductions d’impôts en faveur des faibles et moyens revenus, ou encore, au financement de places de crèches. Je m’engage en faveur de l’initiative 99%, car je pense sincèrement qu’une société plus équitable est possible. Pour ce faire, il est nécessaire de réduire les inégalités sociales, de manière ciblée, solidaire et démocratique. Cette initiative a pour vocation de ne cibler que les personnes possédant un revenu sur le capital conséquent, ce qui n’inclut pas les petit·e·s épargnant·e·s. Elle représente donc un outil idéal à la mise en œuvre d’une société plus solidaire et égalitaire. Text von Elodie Wehrli


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Meinungsverschiedenheit

SOLIDARISCHE SUPERREICHE: TAX THE RICH, SAY THE RICH «Millionär*innen und grosse Firmen haben historisch am meisten vom Reichtum dieses Landes profitiert. Sie sollten einen grösseren finanziellen Beitrag leisten.» Diese zwei Sätze, die im Argumentarium für die 99%Initiative nicht gross auffallen würden, stammen eigentlich von der Webseite der Patriotic Millionaires. Dabei handelt es sich um eine Gruppierung von über 200 US-Bürger*innen mit Vermögen in Millionenhöhe, denen die zunehmende Konzentration von Geld und Macht in ihrem Land Sorge bereitet. Ihre Forderung an die Politik? Höhere Steuern für sich und andere Superreiche, gekoppelt mit einer Erhöhung des Mindestlohns. Dafür gingen die Patriotic Millionaires im Mai mit Banner und Megafon vor den Häusern von Jeff Bezos demonstrieren.

Und in der Schweiz?

Natürlich sind die Patriotic Millionaires nicht unfehlbar. Sie handeln aus Angst vor dem Zusammenbruch des herrschenden ausbeuterischen Systems und ordnen all ihre Forderungen dem Ziel des wirtschaftlichen Fortschritts unter. Zudem ziehen sie mit der ersten Hälfte ihres Namens eine klare Grenze für ihr Wohlwollen. Dennoch stellt sich die Frage, weshalb es in der humanistischen Schweiz keine vergleichbare Gruppierung aus solidarischen Superreichen gibt. Schliesslich ist die Vermögensverteilung während der letzten Jahre auch hierzulande ungleicher geworden, wie eine Analyse der Steuerdaten zeigt. Ob sich schweizerische Millionär*innen durch einen Abstimmungskampf um eine Erhöhung der Steuern auf Kapitaleinkommen hinter dem Ofen hervorlocken lassen? Der Beitrag zu einer gerechteren Schweiz, den sie mit ihrer Unterstützung der 99%-Initiative leisten könnten, würde ihnen auf jeden Fall gut zu Gesicht stehen. Text von Pedro Schön

Z I E W H C S E I D N N WE E R Ä W T IL E T R E V N SO E G Ö M R E V S A D E WI

DAS REICHSTE 1% DIE NÄCHSTEN 9% DIE RESTLICHEN 90%

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INFRAROT

I N T E RV I E W

ANARCHISMUS Vo n P r o u d h o n ü b e r B a k u n i n b i s z u E m m a Goldman. Die Geschichte des Anarchismus reicht je nach Quelle bis ins antike Griechenland zurück und ist seit Jahrhunderten unzertrennlich mit linker I d e o l o g i e u n d Po l i t i k v e r b u n d e n . Wir haben mit “Motus”, einem 28-jährigen Anarchisten gesprochen, der in der “Anstadt” beim Berner Gaswerkareal l e b t . Fr a g e n ü b e r E i g e n t u m , H e r r s c h a f t und aktuelle politische Probleme haben uns durch unser Gespräch geführt und wir haben darüber sinniert, wie man diese am besten überwinden könnte. Anarchismus ist ja ein grosser und alter Begriff, der auch immer wieder sehr unterschiedlich - positiv, aber vor allem auch negativ - verwendet wurde. Was bedeutet Anarchismus für dich? Im Wort Anarchie steckt ja die “NichtHerrschaft”, welche fälschlicherweise oft mit Chaos gleichgesetzt wird. Für mich bedeutet Anarchismus das genaue Gegenteil: Nämlich umso mehr Rücksicht aufeinander zu nehmen, obwohl es keine Hierarchie gibt. Anarchismus legt eben gerade sehr viel Wert darauf, persönliche Grenzen zu respektieren, ohne dass es ein geschriebenes Gesetz gibt, das dir vorschreibt, wie du dich verhalten musst. Es ist auch etwas Utopisches. Wenn du dich als Anarchist*in bezeichnest, glaubst du irgendwie auch an eine stetige Entwicklung der Menschheit. Berufst du dich in deiner Ideologie auf bekannte Anarchist*innen? Ich habe manchmal etwas Mühe mit diesen alten weissen Typen, die im 19. Jahrhundert grosse Reden hielten und würde mich jetzt auch nicht auf einzelne Leute beziehen. Ich finde es vielmehr spannend, mir einzelne Sachen rauszunehmen. Zum Beispiel finde ich es interessant, dass im 19 Jahrhundert der Begriff des Eigentums infrage gestellt wurde. Fragen danach, wem materielle Dinge gehören und ob sie eigentumsrechtlich so sehr geschützt werden sollen, finde ich spannend. Schaffen wir durch Eigentum nicht eine Hierarchie und eine Ungleichheit? Sollten wir uns nicht an

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Bedürfnissen orientieren? Ich halte es für sehr wichtig, dass wir uns als Anarchist*innen auch ständig weiterentwickeln, denn durch einen zu grossen Fokus auf die Zeit der Industrialisierung und die damalige Gesellschaft fehlt der Blick in die Zukunft. Gibt es moderne Anarchist*innen, an denen du dich orientierst? Ich glaube, in einem zeitgemässen Anarchismus ist die persönliche Inszenierung nicht so wichtig oder sogar paradox zur Ideologie. Ich identifiziere mich vielmehr mit Gedanken oder Gruppierungen. Da gibt es schon Menschen, an denen ich mich orientiere, wie zum Beispiel die “Zapatistas” in Chiapas, Mexiko. Was ist deine persönliche Haltung gegenüber dem Kommunismus beziehungsweise dem Marxismus? Ich habe schon gewisse Differenzen damit. Man geht ja in diesen politischen Ideologien über den Staat und hat das Ziel, den Staat zu übernehmen und danach aus dieser machthabenden Position heraus alles zu verändern. Für mich ist das kein gangbarer Weg, da ich jeglicher Form von Macht kritisch gegenüberstehe. Auf diesem Weg grenzt du automatisch wieder Menschen aus und marginalisierst diese. Regieren bedeutet unterdrücken, denn Minderheiten müssen kontrolliert werden. Aus einer humanistischen Perspektive wäre es doch erstrebenswert, diese genau eben nicht zu unterdrücken. Ich sehe nicht ganz, wie du Menschen nicht unterdrückst, die für sich selber zum Beispiel einfach gerne im Kapitalismus leben möchten. Wie wäre die Herangehensweise, um ein anarchistisches Zusammenleben zu ermöglichen? Ich verstehe sehr gut, wenn Kritiker*innen fragen, wie Anarchie funktionieren soll. Ist es doch sehr schwierig, sich eine anarchistische Welt vorzustellen, nur schon weil sie sehr fern scheint und der historisch gelebte Anarchismus oft nur sehr kurz beziehungsweise sehr regional beschränkt bestand. Für mich ist Anarchismus in kleineren Gruppen lebbar und auch weiterentwickelbar. Ich glaube daran, dass so etwas in kleineren, basis-demokratisch organisierten Gruppen starten kann. Natürlich interessiert es mich auch, wie das Ganze dann überregional ausgedehnt werden könnte und wie sich in einem nächsten Schritt verschiedene Gruppierungen untereinander begegnen, ohne die Grundsätze des Nicht-Herrschens und Nicht-Unterdrückens aufzugeben. Ich glaube, gerade der Fakt, dass Anarchismus bereits im kleinen lebbar ist, ist für


JUSO SCHWEIZ

Menschen sehr anziehend. Wir sollten uns als Gesellschaft öfter hinterfragen und mehr experimentieren. Du hast jetzt viel von der Ideologie in kleinen Gruppen gesprochen. Wie bringst du aber aus deiner Sicht die ganze Gesellschaft, das Reale in dein Denken hinein? Warum bist du beispielsweise nicht in der Parteipolitik aktiv? Ich sehe in der Parteipolitik und der Politik zu viele Aspekte, die ein ethisch-moralisches Zusammenleben bereits verunmöglichen. Ich glaube ganz grundsätzlich nicht an Staaten und Grenzen und an ein staatliches Gewaltmonopol. Dies wird in der parlamentarischen Politik gewissermassen bejaht. Ausserdem müsste ich sehr viele Kompromisse machen und mich somit auch irgendwie verbiegen. Darauf habe ich persönlich auch einfach keine Lust. Ich möchte die Menschen, die Parteipolitik betreiben, aber auch nicht per se verteufeln. Ich habe das Gefühl, dass der Staat und der Kapitalismus uns die Realität vorgeben, die wir sehen und in unserer modernen Welt mit Problemen wie dem Klimawandel bräuchte es mehr Visionen und Fantasien anstelle der Grenzen, die uns durch das System gegeben werden. Die moderne Welt ist ja sehr vernetzt und die weltweite Kooperation von Menschen hat viel Wohlstand geschaffen. Wie würdest du denn ohne Staat die weltweiten Probleme und Prozesse angehen, die ja ausserordentlich komplex sind? Braucht es dazu nicht eine gewisse Art Hierarchie, weil man gar nicht genug Raum hat, alle einzubeziehen? Anarchismus heisst ja nicht, dass man sich nicht organisiert und nicht versucht, Strukturen zu schaffen, wo Austausch und Kontakt möglich sind. Ich glaube auch viele der Probleme, die wir haben, wie eben auch Umweltprobleme, sind durch die Globalisierung erst so gross geworden. Ich denke nicht, dass wir die Globalisierung rückgängig machen müssen. Wir sind jetzt wo wir sind, aber gerade der Kapitalismus hat sehr stark die Stossrichtung vorgegeben, worin alles immer grösser werden muss. Der globale Kapitalismus hat kaum Antworten auf diese Probleme. Jeder Staat kocht momentan sein kleines Süppchen und macht nur mit, wenn er Bock hat. Etwas wie globale Solidarität oder bedingungslose Humanität untereinander sehe ich nicht. Ich erträume mir eine Welt, in der es keine Staaten gibt, sondern ganz viele kleine regionale Gruppen, die miteinander im Austausch stehen. Ansätze, wie man sie bereits in den Vereinten Nationen als Verbund von vielen kleineren Gruppen findet, fände ich spannend, wenn sie tatsächlich Entscheidungskraft oder Relevanz hätten. Wie ist es, in der Schweiz Anarchist*in zu sein? Der Anarchismus leidet bereits seit rund 150 Jahren unter krasser Repression und Denunzierung. Anarchist*innen werden als böse und gewalttätig dargestellt. Unter diesen Bedingungen und dem gängigen gesellschaftlichen Bild des Anarchismus ist es schwer, etwas beständiges aufzubauen. Autonome Haus- und Wohnprojekte oder unkommerzielle Ideen leiden sehr darunter, dass sie in der all-

AGENDA DER JUSO 10.08. 12.10. 09.11.

uncut Filme Bern 20:30 – 23:00 Der Filmabend für die LGBTIQ-Community. UNCUT zeigt Spielfilme, Dokumentarfilme und Film-Klassiker. Weitere Informationen auf milchjugend.ch

03.09

Politznacht 19:00 - 21:00

04.09

SGB-Migrationskonferenz Teilhabe statt Prekarität: Grundrechte und Sicherheit für alle 9.00 - 16.00 Uhr, Hotel Bern Weitere Informationen auf sgb.ch

07.09

Bildungsabend Seki Juso Baselland 19:00 - 22:30

18.09

Delegiertenversammlung JUSO Schweiz 10:00 - 17:00 Weitere Informationen auf juso.ch

21.09

Bildungstag 11:00 - 16:00

26.09

Abstimmungssonntag Abstimmung über die 99%-Initiative

29.10

Flint*treffen 18:00 - 20:00

14.11

Delegiertenversammlung JUSO Schweiz 10:00 - 17:00 Weitere Informationen auf juso.ch Text byVera Zurbriggen

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INFRAROT

gemeinen Wahrnehmung als Fremdkörper nicht in unsere Gesellschaft passen. Stehen Anarchist*innen miteinander im Austausch oder ist es eher lose? Es gibt auch im Anarchismus verschiedene Richtungen. Manche finden es blöd, sich in Strukturen zu organisieren - andere finden es absolut notwendig. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es etwas zu unverbindlich zu und her geht. Menschen verbinden sich für verschiedene Aktionen und trennen sich wieder. Insgesamt gibt es vor allem auf lokaler Ebene schon einige Strukturen. Es gibt verschiedene Gruppen, die jeweils andere Visionen zu realisieren versuchen, wie beispielsweise mit weniger Besitz zu leben und solidarischer zu sein oder einen anderen Umgang mit Gütern und Geld zu pflegen, Konzepte wie gemeinsame Ökonomien, gemeinsamer, selbstverwalteter Wohnraum oder solidarische Landwirtschaft. Es sind Beziehungsnetze. Gruppierungen, die sich kennen und miteinander im Austausch stehen, woraus auch immer wieder neue entstehen. Ich finde das etwas sehr Schönes, da sich festgefahrene Strukturen somit gar nicht entwickeln können und es im Prinzip auch eine effiziente Organisation ist. Wenn es persönlich nicht mehr passt, gehst du wieder deinen eigenen Weg. Es ist allerdings auch eine Herausforderung, Dinge immer wieder neu aufzubauen. Dadurch wird extrem viel Energie absorbiert, die besser in progressivere Dinge gesteckt werden würde. Wie war dein persönlicher politischer Weg? Ich war als Teenager extrem an Parteipolitik interessiert und habe viel dazu gelesen und geschaut. Später kam ich durch Besetzungen und Demos in Berührung mit anarchistischen Themen. Eigentum und die Fragen, wieso ich eigentlich Miete zahlen muss oder weshalb so viele Menschen so hart arbeiten und trotzdem kein würdiges Leben führen können, haben mich aufgewühlt. Wieso kann ein Mensch einem anderen Menschen sagen, dass er*sie nicht mehr in einem Haus leben darf? Erlebte Polizeigewalt, miterlebtes Racial Profiling und eine menschenunwürdige Flüchtlingspolitik sind weitere Gründe für meinen Weg. Wieso verteidigt die EU diesen Kontinent so militant; wovor haben wir eigentlich Angst? Ich hatte ein Verlangen, selbstbestimmt, autonom und unabhängig zu sein. Auch spielte die Frage von Privilegien und ob ich bereit bin, diese für andere aufzugeben oder einzusetzen, eine Rolle. Ich hatte Mühe, mich in einem System einzuordnen, in welchem Menschen unter struktureller Gewalt leiden und welches so viele Ungerechtigkeiten enthält. Wir sind sehr viele Menschen auf diesem Planeten und sollten eine Lösung suchen, die für möglichst viele funktioniert. Dabei möchte ich meine Augen nicht verschliessen und in eine Bubbleabtauchen, sondern aktiv solche Visionen suchen und leben. Diese Möglichkeit habe ich im Anarchismus gefunden. Anarchismus findet am Rande des gesellschaftlichen und gesetzlichen Rahmens statt und geht teilweise auch darüber hinaus. Es werden Momente und Räume kreiert, in denen Neues entsteht.

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Viele Bewegungen wie die 68er oder 80er haben den gesellschaftlichen Horizont extrem erweitert. Der Anarchismus ist letztlich sehr progressiv und glaubt an eine geistige und soziale Entwicklung der Menschheit und an das Gute im Menschen. Das hat mir daran immer gefallen. Was ist aus deiner Sicht das aktuell wichtigste (politische) Thema? Ich sehe einige wichtige Themen. Sicherlich das Klima, auch wenn es da wohl schon fast zu spät ist. Ich denke, es braucht einen grossen gesellschaftlichen Mut zu einer kompletten Neuorientierung, die wohl auch viele Opfer fordern wird. Aber das ist ja eigentlich Luxus im Vergleich zu den Opfern, die der ungebremste Klimawandel fordert. Hier brauchen wir Mut, um auch Situationen zuzulassen, in denen nicht alles genau gleich bleibt wie gewohnt. Dann finde ich, gerade im Zusammenhang mit COVID, Digitalisierung ein sehr wichtiges Thema. Dass Menschen immer mehr zu gläsernen Bürger*innen werden, sehe ich kritisch. Es macht mir Sorgen, dass Menschen mit Dingen wie dem Impfausweis, Gesichtserkennung oder dem Antiterrorgesetz immer abhängiger von gut gesinnten Machthabenden über ein System werden. Wir scheinen sehr gewillt, Digitalisierung ohne Weiteres hinzunehmen und davon Gebrauch zu machen, auch wenn viele Aspekte ungewiss oder freiheitsbeschneidend sind. Ausserdem finde ich Themen wie Antisexismus, Antirassismus, Antifaschismus und Flüchtlingspolitik immer wichtig! Das Gespräch führten Diego Loretan und Fabian Eckstein


J U JSUOSSOCSHCWHEWI ZE I Z

SEKTIONEN UPDATE Wa s l ä u f t e i g e n t l i c h i n d e n S e k t i o n e n ? I n d i e s e r R e i h e w o l l e n wir verschiedene Sektionen und ihre Projekte vorstellen. Den Anfang macht die Sektion Aargau.

Der Kanton Aargau ist mit über 670’000 Einwohner*innen ein bevölkerungsmässig grosser Kanton. Doch leider ist seine Bevölkerung sehr konservativ und deshalb muss die JUSO im Kanton Aargau stark kämpfen, um minimalste Forderungen durchbringen zu können. So hat der “Sparkanton” in den letzten Jahren massiv im Gesundheits- und im Bildungswesen abgebaut. Der Fachstelle für Gleichstellung wurde das Budget gestrichen, und die fünfköpfige Regierung ist ein reines Männergremium. Doch auch mit der SP ist es nicht nur leicht. Die JUSO muss, wie eigentlich überall, der Stachel im Arsch der SP sein. So ist es zum Beispiel geschehen, als im letzten Herbst die SP mit Dieter Egli einen Mann nominierte, um die vier bisherigen Männer in der Regierung zu ergänzen. Die JUSO hat daraufhin entschieden mit drei Genossinnen anzutreten, welche mit je über 15000 Stimmen die Plätze sieben bis neun bei den Gesamterneuerungswahlen des Regierungsrates einnahmen. Der Kanton Aargau ist historisch geschehen stark von seinen verschiedenen Regionen geprägt und geografisch stark verzweigt. Um diesen Regionen gerecht zu werden, veranstaltet die JUSO Aargau ihre Mitgliederversammlungen, wenn nicht gerade eine Pandemie wütet, an verschiedenen Orten im Kanton. Doch leider ist es schwer, im Kanton Aargau verschiedene Lokalgruppen aufrecht zu erhalten. Die letzte kantonale Initiative war die Millionärssteuerinitiative. Diese verlangte, dass grosse Vermögen hätten stärker besteuert werden sollen. Mit den so

gewonnenen jährlichen 160 Millionen Franken, hätten Abbaumassnahmen rückgängig gemacht werden sollen. Doch leider wurde die Initiative 2018 mit 74.6 Prozent Nein abgelehnt. Seither wurde an einer Initiative für einen CO2-neutralen Aargau und für das Stimmrechtsalter 16 gearbeitet. Doch beide Projekte wurden verworfen, letzteres wird jedoch mit einem überparteilichen Komitee weitergeführt. Das aktuelle Initiativprojekt der JUSO Aargau ist «Just Transition», welches sich dafür einsetzt, dass soziale Gerechtigkeit in die Bewältigung der Klimakrise miteinbezogen werden muss. Der Vorstand besteht aus sieben oder acht Mitgliedern und wird aktuell von Zoe Sutter als Präsidentin und Cybel Dickson sowie David Sommer als Vizepräsident*innen präsidiert. Das Hauptquartier ist das Volkshaus in Aarau, welches sich die JUSO mit der SP und Gewerkschaften teilt. Besondere Anlässe sind das jährlich stattfindende Flunkyballturnier sowie der ebenfalls jährlich stattfindende Grillabend. Die JUSO Aargau war und ist prägend im feministischen Streik sowie dem Klimastreik und natürlich auch in der SP. Auch hat die JUSO Aargau einige wichtige Personen für die JUSO Schweiz, aber auch für die SP Schweiz, hervorgebracht. So begann zum Beispiel der ehemalige JUSO Schweiz-Präsident und jetziger SP Co-Präsident Cédric Wermuth seine politische Karriere in der JUSO Aargau. Text von Elias Erne

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INFRAROT

I N T E R N AT I O N A L

H O L D T H E L I N E : THE LABOR STRUGGLE OF FILIPINO WORKERS The onslaught of the Covid-19 pandemic has revealed much of the frailty of our society. For the Philippines, the severity of this public health crisis has pushed the Filipinos to an edge where quality of life has become the currency paid and lost, to survive. For the workers of Holcim Philippines, Inc., a member of the Swiss Global Company, LafargeHolcim, the effects of Covid-19 pandemic are aggravated with the continued deprivation of their Labor Rights. On March 4, 2019, 141 workers of Holcim Philippines, Inc. under the contractor, Fort Steel Cargo Integrators Inc. were dismissed without notice. Michael Ibańez, Coordinator of Sentro Davao labor group, recalls that prior to the mass termination, a labor inspection on the Holcim Philippines, Inc. Davao City plant revealed several flagrant violations of the Labor Code of the Philippines, including the company’s failure to comply with the payment of minimum wage, and its scheme to compel its laborers to work for 12 hours daily, for 7 days a week without any payment of the mandated overtime, night-shift differential, and holiday compensations. Following the labor inspection, a Regularization Order was issued by the Department of Labor and Employment (DOLE) in January 2019, which directive was overtly disregarded by the subsequent mass termination. The ardent fight for regularization has, in systemic irony led to the mass termination of the workers of Holcim Philippines Inc. The members of Davao Holcim Employees and Workers Union (DAHEWU) together with Sentro Davao, took to the picket line in front of Holcim Philippines Inc. plant gates, their protest against the mass termination but were violently interfered. In seven (7) incidents since 2019, the members of Sentro Davao and DAHEWU were harassed in their peaceful demonstrations through which their streamers, banners, and campaign paraphernalia were repeatedly thrashed, and destroyed. On May 1, 2019, in the break of Labor Day, twenty (20) men riding motorcycles in tandem, who were carrying bolos attacked the members of Sentro Davao and DAHEWU at the picket line, forcing them to retreat in fear for their safety. On February 10, 2021, taking advantage of the local restriction imposed to contain the Covid-19 pandemic, the picket line was once again attacked, this time, demolishing its structure and all of Sentro Davao and DA-

HEWU’s union flags, streamers, banners, and campaign paraphernalia. Since 2019, the members of Sentro Davao, and DAHEWU have also been receiving death threats and accusations linking Sentro Davao and DAHEWU to the CPPNPA (Communist Party of the Philippines). Ibańez adds that several posts red-tagging their members have been circulated around social media. To date, they continue to receive these threats discriminating, and harassing them and their families. Sentro Davao also sought legal action to resolve the labor dispute and filed a case before the National Conciliation and Mediation Board, which case was later referred to the National Labor Relations Commission. Sentro Davao alleges the existence of an illegal labor-only contract and asserts the accountability of Holcim Philippines, Inc. as the direct employer of the dismissed Holcim workers. In response, Holcim Philippines, Inc. denies liability and claims that the dismissed Holcim workers were merely outsourced and were not their regular employees. The dismissed Holcim workers performed work directly related to the main business of Holcim Philippines Inc., e.g. the manufacture of cement. In December 2019, Sentro Davao, and Building and Wood Workers’ International (BWWI) also filed with the Organization for Economic Cooperation and Development (OECD) a complaint for the violation of OECD Guidelines against LafargeHolcim. As a multinational enterprise, Sentro Davao and BWWI assert that LafargeHolcim is accountable for the non-compliance of OECD guidelines. The OECD guidelines impose mandatory standard of employment and industrial relations on multinational enterprises. If we are to progress as a society, the enforcement of Labor Rights should be kept essential in the struggle towards general welfare. In a public health crisis, the survival of our communities lies in the sustenance and advancement of our workforce as the foundation of our economy. To deny workers of their Labor Rights especially during these times, is unjust and inhumane. The line has been held for far too long. It is time that we decide in favor of Labor and hold multinational capitalists accountable. Text by Leah Aying

Edition: Infrarot · Theaterplatz 4, 3011 Berne, www.juso.ch – Kontakt: infrarot@juso.ch, 031 329 69 99 Redaktion : Sandro Covo, Kassandra Frey, Rachele Unternährer, Diego Loretan, Elias Erne, Vera Zubriggen, Pedro Schön, Silvan Steinegger, Fabian Eckstein, Daria Vogrin, Silvan Häseli Cover Art: Mia Jenni · Fotos: Clay Banks, Oladimeji Odunsi, Ricardo Gomez Angel, Sam Moqadam, Rowan Heuvel · Illustration: Claudio Rinaldi Design und Layout : Silvan Häseli · Druck : Druckerei AG Suhr, 5034 Suhr · Das Infrarot erscheint zweimal im Jahr.


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