Infrarot 212: Fight for your Rights!

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Zeitung der Jungsozialist_innen • Journal de la Jeunesse socialiste Giornale della Gioventù socialista • Gasetta da la Giuventetgna socialista

4+5 Kenne deine Rechte Die Rechte der Lernenden im Überblick.

7 Nationalrat Nationalrätin Martina Munz über ihr Engagement für Lernende.

+++JUSO.ch+++

JUSO Schweiz, Postfach 8208, 3001 Bern Nr. 212, Juni 2015

11 Sexismus Pascale Buser über Sexismus im Bereich der Berufsbildung.

Fight for your rights!

Von Julia Baumgartner

Wird über den Bildungsweg «Berufslehre» geredet, so sprechen alle immer vom Schweizer Erfolgsmodell. Ja, von aussen betrachtet, wirkt die Berufslehre ausgesprochen vorbildlich. Doch redet man mit den Betroffenen, so realisiert man immer wieder, dass es noch einiges an Arbeit gibt, um die Berufslehre tatsächlich zu einem Erfolgsmodell zu machen. Denn genau besehen sind Lernende für

ihre Lehrbetriebe vor allem günstige Arbeitskräfte. Arbeitgeber_innen sparen immense Beträge, weil sie Lernenden nicht den vollen Lohn zahlen müssen. In vielen Betrieben müssen Lernende berufsfremde Arbeiten verrichten. Kontrollen in den Lehrbetrieben gibt es kaum und nebst der Arbeit müssen die Lernenden auch an der Berufsschule volle Leistung bringen.

Die wenigsten Lernenden wagen den Schritt, etwas gegen die Ungerechtigkeiten zu unternehmen. Denn leider wird den Lernenden immer eingetrichtert, jede_r müsse mal untendurch. Um den Missständen in der Lehre den Kampf anzusagen, hat die JUSO im März 2015 die Kampagne «Fight for your rights» lanciert. Fortsetzung auf Seite 2

P.P. 3900 Brig

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INFRARot • JUSO • Juni 2015

Kommentar der Redaktion

Interview mit Vanja Bettler 3

Wir müssen uns organisieren

« Bei uns kannst du die Berufsmatura nicht während der Lehre machen  »

« Als junge sozialdemokratische Bewegung wollen wir diese Ausbeutung der Arbeitenden zugunsten einiger weniger Reicher stoppen und für mehr Gerechtigkeit sorgen.»

Im Jahr 2009 habe ich meine Ausbildung als Kauffrau in der Bundesverwaltung abgeschlossen. Während der Ausbildungszeit konnte ich mich sehr stark entfalten. Ich schätzte es sehr, dass ich einen guten Arbeitgeber hatte und dass dieser mich in zahlreichen Sachen unterstützte. Jedoch sieht die Realität oft etwas anders aus als gedacht. Die Auszubildenden übernehmen schon sehr früh Verantwortung und leisten in vielen Branchen gleichwertige Arbeit wie eine bereits ausgebildete Person. Den Lernenden wird beigebracht, was für den Betrieb nützlich ist, und nicht was sie innerhalb ihres Berufsfeldes vielleicht gerne lernen möchten. Häufig kommt es vor, dass die Auszubildenden das Büro putzen, Kaffee holen, den Bostitch nachfüllen müssen, etc. Sie dienen den Vorgesetzten nicht selten als kleine Helfer_innen, an denen sie auch ihren Frust ablassen können. Aber welche_r Lernende getraut sich schon, den Vorgesetzten die Meinung zu sagen? In vielen Fällen werden Lernende als billige Arbeitskräfte missbraucht. Die Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen, besteht theoretisch. Eine lernende Person kann zum Berufsbildungsamt gehen. Häufig werden da aber die tatsächlichen Bedürfnisse der Lernenden übergangen. Wie es den Lernenden vor, während und nach der Ausbildung geht, scheint niemanden wirklich zu interessieren. In dieser Ausgabe unserer Zeitschrift widmen wir uns vollumfänglich dem Thema Lernende. Wir haben für letztere auch einige Tipps zusammengestellt. Ramina Wakil

Von Julia Baumgartner

In Zeiten des Kapitalismus ist es leider Tatsache, dass die grosse Mehrheit der Menschen ihr ganzes Leben lang hart arbeitet und trotzdem immer wenig Geld hat. Einige wenige profitieren von der Arbeit anderer und häufen Unmengen an Geld an. Als junge sozialdemokratische Bewegung wollen wir diese Ausbeutung der Arbeitenden zugunsten einiger weniger Reicher stoppen und für mehr Gerechtigkeit sorgen. Eine besonders schwierige Stellung unter den Arbeitenden kommt den Lernenden zu. Denn diese wagen es noch weniger, sich zu wehren, als regulär Arbeitende. Sie bekommen einen Hungerlohn und kriegen Arbeiten zugeteilt, welche gar nicht zu ihren Aufgaben gehören. Die Lehraufsichten sind zudem nicht wirklich eine Anlaufstelle für die Anliegen der Lernenden, da sie oftmals im selben Boot sind wie die Lehrmeister_innen. So haben sich die Lernenden mit der Zeit eingeprägt, dass die Widrigkeiten in der Lehre Usus seien und dass man da jetzt halt durch müsse. Wenn wir berücksichtigen, dass über 230'000 Menschen schweizweit eine Lehre machen, müssen wir ihnen auch ein gewisses politisches Gewicht zugestehen. Die JUSO ist der Meinung, dass es an der Zeit ist, die Lernendenfrage anzugehen und ist deshalb die nächsten Monate mit ihrer Petition an den Berufsschulen und auf der Strasse unterwegs. Damit aber wirklich etwas geschehen kann, muss die Bewegung gross sein,

Lernende müssen sich organisieren und gemeinsam für ihre Rechte einstehen. Das duale Bildungssystem muss allen Schüler_innen einen geeigneten Weg in den Beruf und ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Wir fordern deshalb unter anderem ein demokratisches Mitspracherecht im Lehrbetrieb und einen Mindestlohn für Lernende und Praktikant_innen. Weiter sollen die Lernenden mit dem Recht auf eine Anstellung oder Weiterbildung am Ende der Grundbildung abgesichert werden. Damit genügend Zeit besteht, für die Berufsschule zu lernen, sollen die Lernenden mindestens zwei bezahlte Stunden Lernzeit zur Verfügung haben. Die Lehre soll wieder ein attraktiver Bildungsweg sein und dafür braucht es dringend die Umsetzung unserer Forderungen!

Der Jungsozialist Vanja Bettler (18) absolviert eine Lehre als Schreiner EFZ (Eidgenössisches Fähigkeitszeugnis) und hat bald das erste von vier Lehrjahren hinter sich. Im Interview erzählt er, mit welchen Problemen er zu kämpfen hat und warum er in Betracht zieht, die Lehrstelle zu wechseln.

Feedback erhalte, dann frage ich mich schon irgendwann, was ich den ganzen Tag mache. Produziere ich nur Scheisse? Ich muss ja nicht ständig hören, dass ich gute Arbeit leiste. Aber es wäre hilfreich, wenn ich wüsste, ob ich auf dem richtigen Weg bin. Vom Lehrmeister habe ich leider nie ein Feedback in dieser Richtung erhalten. Ich werde ständig kontrolliert, doch das geschieht immer nur, um mich zu kritisieren. Interview: Christine Brunner

Vanja, warum hast du dich für eine Berufslehre als Schreiner entschieden? Ich habe mir einen Beruf ausgesucht, der ungefähr in eine Richtung geht, in welcher ich mir später auch ein Studium vorstellen könnte. Davor möchte ich die Berufsmatura mit der naturwissenschaftlichen Richtung machen. Ich wollte damit den sicheren Weg gehen. Bei einer gymnasialen Matura kann es sein, dass man am Schluss mit leeren Händen dasteht. Sind die Erwartungen, die du an die Ausbildung hattest, erfüllt worden? Die Arbeit gefällt mir, ein ganzes Leben möchte ich jedoch nicht als Schreiner arbeiten. Ich hatte vor dem Antritt der Lehre vor allem andere Erwartungen, was das Verhältnis zwischen den Lernenden und dem Lehrmeister betrifft. Ich dachte, es sei klar, wie man als Lehrmeister_in mit Lernenden umgeht. Das ist offensichtlich ein Irrtum. Woran denkst du hier konkret? Wenn ich von meinem Lehrmeister ein halbes Jahr lang kein einziges positives

Wie hast du auf dieses Problem reagiert? Ich habe den Lehrmeister darauf angesprochen, worauf er ein ziemlich langes Gesicht gezogen hat. Er hatte überhaupt nicht damit gerechnet. Ich war wohl der erste, der ihm eine solche Rückmeldung gegeben hat. Ich finde es wichtig, dass man solche Probleme anspricht, vielfach sind sich Vorgesetzte ihrer Verhaltensweisen gar nicht bewusst. Gibt es noch andere Schwierigkeiten, die sich im Zusammenhang mit deiner Ausbildung ergeben haben? Bevor ich den Vertrag unterschrieben habe, etwa ein dreiviertel Jahr vor Lehrbeginn, hatte ich angefragt, ob es möglich wäre, berufsbegleitend die Berufsmatura zu machen. Es wurde mir gesagt, dass das nicht gehe. Dennoch trat ich die Lehrstelle an, in der Hoffnung im zweiten Lehrjahr mit der Berufsmatura beginnen zu können. Bei Ausbildungen, die vier Jahre dauern, kann man auch noch im zweiten Jahr mit der Berufsmatura anfangen. Auch in diesem Fall wurde mir gesagt, dass eine Berufsmatura während der Lehre nicht in Frage käme.

« Wenn ich von meinem Lehrmeister ein halbes Jahr lang kein einziges positives Feedback erhalte, dann frage ich mich schon irgendwann, was ich den ganzen Tag mache. Produziere ich nur Scheisse?»

Wie rechtfertigt dein Lehrmeister dieses Verbot? Er ist der Meinung, die Lernenden seien zu wenig anwesend und würden dadurch die Berufsarbeiten zu wenig gut kennenlernen. Das ist oftmals das Totschlagargument für Lernende, die ihre Rechte nicht kennen. Interessanterweise hatte der Lehrling, dem die Berufsmaturität von meinem Lehrmeister noch zum letzten Mal erlaubt wurde, mit einer sehr guten Note abgeschlossen. Sein Argument ist mir deshalb noch unverständlicher. Wie gehst du nun vor? Mein Berufsschullehrer des Fachs Allgemeinbildung hat mir empfohlen, die Prüfung zu machen und wenn ich sie bestanden habe, mit der Bestätigung zum Lehrmeister zu gehen. Besteht dieser dann immer noch darauf, dass ich die Berufsmatura nicht machen darf, bleibt mir nichts anderes übrig als zu kündigen und eine neue Lehrstelle zu suchen. Weisst du, wie das rechtlich ist? Dürfen Betriebe Lernenden verbieten, die Berufsmaturität zu machen? Lehrbetriebe dürfen Lernenden die Berufsmatura nicht verwehren. Es sind Weiterbildungen, die darf man nicht verbieten! Im Lehrvertrag ist ein solches Verbot nicht gültig.


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Kenne deine Rechte 5

Kenne deine Rechte!

Connais tes droits !

Lernende sind im Betrieb mit vielen Problemen konfrontiert. Das muss nicht sein, denn Lernende haben Rechte! Auf dieser Seite fassen wir kurz deine Rechte bezüglich der dringendsten Probleme zusammen.

Arbeitssicherheit: Wenn du an deinem Arbeitsplatz gesundheitsschädigende oder gefährliche Mängel feststellst, informiere den/die Ausbildungsberater_in. Werden die Risiken nicht beseitigt, sollte das Arbeitsinspektorat oder die Gewerkschaft informiert werden. « Mein Chef will vorgeschriebene Arbeitsschutzmassnahmen nicht umsetzen. Sie seien zu teuer.»

Arbeitszeit: Für Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr darf die Arbeitszeit nicht mehr als neun Stunden dauern und mit den Pausen zwölf Stunden pro Tag nicht überschreiten. Auch der Besuch der Berufsfachschule gilt als Arbeitszeit. Acht Lehrstunden in der Berufsfachschule entsprechen einem vollen Arbeitstag. An diesem Tag darf der Lehrbetrieb Lernende nicht für Arbeit aufbieten. Ausbildungsberater_innen: Berufsinspektor_innen werden als betriebliche Ausbildungsberater_innen bezeichnet. Sie sorgen im Auftrag des Kantons für die Überwachung und Einhaltung des Lehrvertrags. Bevor der Lehrbetrieb eine Ausbildungsbewilligung erhält, wird er vom/von Ausbildungsberater_in überprüft. Du hast ein Recht darauf, auch selber eine solche Kontrolle zu verlangen, wenn du nicht genügend ausgebildet wirst oder es im Betrieb Probleme gibt. Der/die Ausbildungsberater_in ist verpflichtet, bei Konfliktsituationen zu vermitteln. Kommt es zu einem Lehrabbruch oder einem Berufswechsel, müssen er/sie dich beraten und dir bei der Suche nach einem neuen Ausbildungsplatz helfen.

« Ich muss immer das WC putzen und die Kaffeemaschine reinigen.» Berufsfremde Arbeit: Der Lehrbetrieb darf Lernende nur dann für berufsfremde Arbeiten einsetzen, wenn diese einen Zusammenhang mit der Ausbildung haben. Auf keinen Fall sollen sie die vorgeschriebene Ausbildung behindern. Als berufsfremde Arbeiten gelten zum Beispiel Putzen, Kaffee holen, das Erledigen von persönlichen Einkäufen für Vorgesetzte. Die Regel ist, dass du dafür nicht häufiger eingesetzt werden darfst als andere Mitarbeitende. Auch Hilfsarbeiten wie Kopieren oder Archivieren dürfen nicht zu oft verlangt werden. Wenn du dir ausgenützt vorkommst, solltest du mit der/dem Berufsbildner_in reden. Ändert sich nichts, kannst du dich an das Berufsbildungsamt oder an die Gewerkschaft wenden. Überstunden: Überstunden nennt man geleistete Arbeitszeit, welche die vertraglich vereinbarte überschreitet. Der Lehrbetrieb kann von Lernenden Überstunden verlangen. Zusammen mit den Überstunden darf die Höchstarbeitszeit pro Tag aber nicht mehr als neun Stunden betragen, mit Pausen dürfen zwölf Stunden nicht überschritten werden. Für Überstunden steht dir generell ein Lohnzuschlag von mindestens 25 Prozent zu. Überstunden können aber « Ich muss oft Über­ stunden leisten, ohne dass diese entschädigt werden.»

auch mit Freizeit kompensiert werden. Diese Kompensation ist die bessere Lösung als der Überstundenzuschlag auf dem geringen Lohn für Lernende. Vereinigungsfreiheit: Die Vereinigungsfreiheit ist in der Bundesverfassung festgelegt. Auch Lernende können sich einem Verein, einer Partei, einer Gewerkschaft usw. anschliessen. Der Lehrbetrieb darf eine solche Mitgliedschaft nicht verbieten und auch nicht davon abraten. Quelle: Broschüre Ich kenne meine Rechte! - Lehrlings- und Jugendrecht von A bis Z der SGB-Jugendkommission

« Der Lehrbetrieb will mir verbieten, politisch aktiv zu sein.»

Le contrat d’apprentissage est en réalité un contrat de travail traditionnel. Ainsi, tout ce que vous pouvez lire sur le droit du travail et les droits des travailleurs s’applique également à la relation entre l’apprenti/e et son/sa chef/fe. Dans le cas où vos droits sont violés, ou que vous souhaitez avoir des précisions sur leur étendue et sur ce que votre chef/fe a le droit de vous imposer, sachez que chaque canton possède une autorité chargée de la surveillance de l’apprentissage. Celle-ci peut vous aider lorsque votre chef/fe ne respecte pas la loi, en cas de problèmes relationnels ou personnels, ou encore pour répondre à vos questions sur votre formation et votre avenir.

De Jeremy Bacharach

Vos droits : Mon/ma chef/fe me laisse travailler tout/e seul/e et ne me donne aucune instruction. En a-t-il le droit ? Non. Votre chef/fe a l’obligation de vous dispenser une formation appropriée (art. 345 et 345a du Code des obligations). Mon/ma chef/fe me demande de faires de heures supplémentaires. En a-t-il le droit ? Oui, mais seulement de manière exceptionnelle, et en vous prévenant quelques jours à l’avance (art. 321c du Code des obligations). Si vous avez moins de 20 ans, votre chef/fe ne peut pas vous obliger à travailler plus de 9 heures par jour (art. 31 de la Loi sur le travail). Mon/ma chef/fe peut-il/elle me demander de travailler le dimanche ? Non (art. 19 al. 5 de la Loi sur le travail) : vous ne pouvez travailler le dimanche que si vous donnez votre accord. Bien sûr, il vaut souvent mieux donner son accord pour maintenir des bonnes relations avec son/sa chef/fe.

Wo kann ich mich über meine Rechte informieren und notfalls Hilfe holen? • Bei den Gewerkschaften: www.gewerkschaftsjugend.ch • Bei deinem kantonalen Berufsbildungsamt bzw. den Ausbildungsberater_innen: www.adressen.sdbb.ch

Si vous être d’accord de travailler le dimanche, notez que votre salaire doit être augmenté de 50 % et que les heures travaillées le dimanche doivent être compensées par du temps libre (art. 20 de la Loi sur le travail).

Mon/ma chef/fe peut-il/elle changer mon temps de travail et mes horaires de travail ? Oui et non … Votre chef/fe ne peut en principe pas modifier le temps total de travail hebdomadaire. En revanche, à moins que ceux-ci soient explicitement réglés par le contrat d’apprentissage, votre chef/fe peut modifier les horaires de travail. Il/elle peut par exemple vous demander d’arriver plus tôt, ou de partir plus tard, pour autant que vous ne travailliez pas plus que ce qui est prévu par le contrat. Il/elle peut cependant vous demander, exceptionnellement, de faire des heures supplémentaires (voir plus haut). A combien de semaines de vacances ai-je droit ? Les apprentis âgés de plus de 20 ans ont droit à quatre semaines de vacances par année, et ceux de moins de 20 ans ont droit à cinq semaines (art. 329a al. 1 du Code des obligations). Il est interdit de remplacer les vacances par de l’argent (art. 329d al. 2). Enfin, votre chef/fe doit vous donner au moins deux semaines de vacances consécutives par année (art. 329c al. 1).

Quelques autorités compétentes : Berne Erziehungsdirektion, Zentralstelle für Berufs-, Studien- und Lauf bahnberatung 031 633 81 00 Genève Office pour l’orientation, la formation professionnelle et continue. 022 388 44 00 Vaud Direction générale de l’orientation postobligatoire 021 316 63 04 Zürich Amt für Jugend und Berufs­ beratung 043 259 96 00


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Interview Martina Munz 7

« Wenn du Fehler machst, rentierst du nicht für mich»

« Die Lernenden müssen den Mut haben, ihre Meinung zu sagen»

Sandra (22) machte eine Lehre als Polygrafin. Im Interview erzählt sie uns, wie die Lehrzeit für sie war, mit welchen Problemen sie zu kämpfen hatte und wo sie sich heute Unterstützung holen würde.

Wohin wenden sich Lernende am besten, wenn sie Probleme am Arbeitsplatz haben? Was sollte unbedingt in der Berufsschule erlernt werden? Die Nationalrätin und Berufsschullehrerin Martina Munz erklärt, wie sie sich im Nationalrat für die Lernenden stark macht. Interview Martina Munz

Sandra, was für eine Ausbildung hast du genau gemacht? Ich machte eine Lehre als Polygrafin mit Fachrichtung Mediengestaltung in einer kleinen Druckvorstufe. Wie war diese Zeit für dich? Meistens gut, aber Gestaltung ist eine harte und einsame Arbeit. Ausserdem waren immer alle Aufträge auf einmal da oder gar keine, beides hatte seine Vor- und Nachteile. Entweder lief viel und man wusste am Ende des Tages, dass man etwas geleistet hatte, oder es lief überhaupt nichts, was dann zur Folge hatte, dass ich beinahe täglich Inventar machen oder den Boden fegen musste. Wie war die Stimmung während der Arbeit? Unter den Arbeitenden eigentlich sehr gut. Meine Mitarbeiterin, mein Ausbildner und ich verstanden uns sehr gut. Das hatte vermutlich auch damit zu tun, dass wir voneinander wussten, wenn jemand viel zu tun hatte, und wir uns jeweils gegenseitig unterstützten. Mit dem Sachbearbeiter und vor allem mit dem Chef war das Verhältnis jedoch sehr angespannt. Woran lag das? Der Chef war völlig darauf versessen, dass wir unser ganzes Leben dem Betrieb unterordnen. Mein Ausbildner be-

gann jeweils um sechs Uhr morgens und arbeitete bis achtzehn Uhr. So hatte er dann sehr schnell über zweihundert Überstunden. Das nur, weil der Chef keine Ahnung von der Arbeitsplanung hatte und den Kund_innen versprach, alles immer schnell und noch schneller zu erledigen. Mich hatte er auch im Visier, da ich als Lernende sowieso nichts zu sagen hatte. Zudem war er sich auch nicht darüber im Klaren, was wir genau machten und welchen Aufwand wir effektiv leisteten. So habe ich schon seit dem ersten Lehrjahr immer gehört «Du musst schneller arbeiten und keine Fehler machen. Du rentierst sonst nicht für mich.» Als ob ein Lehrling im ersten Lehrjahr rentieren müsste! Wie bist du mit dieser Situation umgegangen? Am Anfang dachte ich, das ist jetzt halt so. Im zweiten oder dritten Lehrjahr hatte ich dann genug. Zuerst suchte ich das Gespräch, was aber nicht viel nützte. Ausserdem hatte mir mein Chef immer wieder gedroht, ein schlechtes Arbeitszeugnis auszustellen oder gar den Lehrvertrag zu kündigen. Einmal ging ich dann auf das Berufsbildungsamt, aber da wollte man noch einmal drei Monate warten - es könnte sich in der Zwischenzeit ja etwas verändern. Dabei war es schon seit drei Jahren nicht gut. Ist das Berufsbildungsamt dann eingeschritten? Nein, ich habe es nicht mehr weitergezogen. Ich hatte nur noch ein Jahr vor mir und wollte mich nicht zusätzlich mit diesem Amt herumschlagen. Ich war schon ziemlich enttäuscht. Ich hätte erwartet, dass das Amt zumindest sofort ein Gespräch einleiten oder innerhalb eines Monates eine Person vorbeischicken würde, die nachschaut, wie die Situation ist. Es war ja nicht so, dass mir langweilig war und ich ohne Grund beim Amt vorbeiging …

«  Der Chef war völlig darauf versessen, dass wir unser ganzes Leben dem Betrieb unterordnen.  »

Was würdest du einer lernenden Person raten, die sich in der gleichen Situation befindet? Schwierig. Mit den Erfahrungen, die ich gemacht habe, würde ich nach gescheiterten Gesprächen mit den Vorgesetzen eher bei den Gewerkschaften statt beim Berufsbildungsamt Hilfe holen, vor allem wenn berufsfremde Arbeiten etc. ins Spiel kommen. Dann würde man zumindest auch fundiert Auskunft darüber erhalten, was Lehrmeister_innen überhaupt verlangen dürfen und was nicht. Was denkst du, wie weit verbreitet sind die Probleme, die du mir geschildert hast? Ich denke, diese kommen häufiger vor als man denkt. Die allgemeine Meinung ist, dass jede lernende Person sich glücklich schätzen kann, dass sie überhaupt eine Ausbildungsstelle gefunden hat. Die Bereitschaft, sich zu wehren, ist deswegen sehr gering. Denn Chef_innen sind schliesslich Wohltäter_innen, Lernende bloss eine Belastung für den Betrieb. Dabei profitieren die meisten Betriebe finanziell, wenn sie Lernende ausbilden! Ein weiteres Problem besteht vielleicht darin, dass viele Lehrstellen in Kleinbetrieben vergeben werden. Das ist natürlich nicht per se problematisch, aber oft greifen Kontrollmechanismen hier überhaupt nicht. Grossbetriebe betrachten Lernende häufiger auch als Qualitätsmerkmal der Firma und bieten deshalb bessere Strukturen an.

Martina Munz, was für eine Rolle hat für dich die Lehre in der Schweiz? Die Lehre ist der Königsweg. Das Berufsbildungssystem ist heute sehr durchlässig. Den Berufslernenden steht die ganze Welt offen. Wer mit einer Lehre beginnt, kann auch mit einem Doktorat an der ETH abschliessen. Jede_r kann ihren bzw. seinen eigenen Weg gehen, das ist eine riesige Chance. Weshalb hast du dich persönlich gegen eine Lehre entschieden? Als ich vor der Berufswahl stand, war die Durchlässigkeit noch nicht gegeben, es gab noch keine Berufsmaturität. Ich wollte Landwirtin werden, damals für eine junge Frau fast ein Ding der Unmöglichkeit. Deshalb habe ich mich für das Studium der Agronomie entschieden, damit stand auch mir die Welt offen. Im Nationalrat setzt du dich aktiv dafür ein, dass bestehende Probleme in der Lehre gelöst werden. In einigen Berufslehren setzt die Lehrabschlussprüfung die Jugendlichen unter enormen Druck, bei den Elektroinstallateur_innen sind in Zürich im letzten Jahr 27 % durch die LAP gefallen. Wie kann die Erfolgsquote beim Lehrabschluss gesteigert werden? Ich finde es einen Skandal, dass so viele Lernende durch die Abschlussprüfung

fallen und die Verantwortlichen bis jetzt nur mit der Achsel gezuckt haben. Das ist unfair. Es darf nicht sein, dass ein Lehrbetrieb über vier Jahre einen Lehrling beschäftigt, mit seiner Arbeit zufrieden ist, und am Ende der Lehre lässt man ihn durch die LAP sausen. Mein Vorstoss hat vieles ausgelöst. Einige Funktionär_innen haben sich geärgert, andere packen nun endlich die Chance. Der einfachste Ansatz ist, den Kandidat_ innen an der Prüfung genügend Zeit zur Verfügung zu stellen, eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Schon das bringt sehr viel. Die Prüfung könnte auch modularisiert werden, das heisst Teilprüfungen zur Halbzeit. Das bringt Entlastung für die Schlussprüfung. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Jedes dritte Lehrverhältnis in der Schweiz wird aufgelöst. Nach dem Lehrabbruch ist es schwierig, direkt eine Anschlusslösung zu finden. Wie kann das in Zukunft optimiert werden? Eben habe ich einen Vorstoss im Parlament eingereicht mit dem Titel: «Kein Lehrabbruch ohne Anschlusslösung». Die Lernenden müssen bei einem Lehrabbruch viel enger und professioneller begleitet werden. Doch in den meisten Kantonen fehlt dazu das Geld. Kümmern sich die Eltern nicht um eine Anschlusslösung, haben die Jugendlichen fast keine Chance. Das muss sich ändern. Neben der Arbeit im Betrieb werden die Lernenden in der Berufsschule auf ihren zukünftigen Alltag vorbereitet. Der Allgemeinbildende Unterricht ist dafür zentral. Was sollten alle Lernenden im allgemeinbildenden Unterricht unbedingt behandeln? Die drei Stunden Allgemeinbildung pro Woche sind voll bepackt mit geistiger Fitness fürs Leben. Briefe schreiben, Vorträge halten, Wirtschaftskunde, gesellschaftli-

che Zusammenhänge verstehen, politisches Einmaleins und vieles mehr. Es ist kaum möglich, in den wenigen Stunden diese Fülle an Stoff zu vermitteln. Leider fehlt für Fremdsprachen bei den meisten technischen Berufen schlicht die Zeit. Weil sie noch in der Ausbildung sind, stehen die Lernenden in der Betriebshierarchie oft ganz zuunterst und müssen z. B. für alle anderen Gipfeli in der Pause besorgen, Kaffee holen, Kopierarbeiten erledigen oder sich regelmässig von Vorgesetzten abkanzeln lassen. Was für Möglichkeiten hat jemand in der Lehre, sich bei ungerechter Behandlung gegen seinen Lehrmeister oder seine Lehrmeisterin zu wehren? Die Lernenden müssen den Mut haben, hinzustehen und klar, aber anständig ihre Meinung zu sagen. Meist macht dies Eindruck. Wird die Situation nicht besser, empfehle ich, über eine gewisse Zeit schriftliche Notizen zu erstellen. Meist ist die Lehrmeisterin oder der Lehrmeister von der sorgfältigen Vorbereitung beeindruckt und gibt Unterstützung. Bei Problemen am Arbeitsplatz ist das Berufsbildungsamt die erste Anlaufstelle. Im Ernstfall empfinden dort viele Lernende, dass ihnen nicht wirklich weitergeholfen wird. Wie kann diese Situation verbessert werden? Das Berufsbildungsamt ist keine echte Anlaufstelle für Probleme, dort gibt es fast nur noch die Lehrvertragsauflösung. Lernende müssen sich einer Person anvertrauen, solange der Mist noch nicht geführt ist. Das können Eltern, ältere Geschwister, Lehrpersonen oder Mitarbeitende im Betrieb sein. Mit meinem Vorstoss verlange ich professionelle Unterstützung der Lernenden, und zwar in allen Kantonen. Professionelle Unterstützung ist die beste Prävention gegen Lehrabbrüche.


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Interview Nadja Sommerauer 9

Précieux espoirs et précieuse lutte au COFOP

« Dans la première entreprise qui m’a engagée je me suis très vite sentie comme une main d’œuvre bon marché » Nadja (21) a fait un apprentissage d’opticienne. Dans cette interview, elle nous raconte son apprentissage et parle des problèmes qu’elle a rencontrés, ainsi que la manière dont elle les gérerait actuellement. Pourrais-tu rapidement me présenter ton apprentissage? J’ai commencé mon apprentissage dans une petite firme dans le domaine de l’optique, et par la suite, j’ai changé d’apprentissage

De Romain Pilloud

Le préapprentissage Les préapprenti-e-s sont ce que la société pourrait appeler « des échecs », un terme sensiblement péjoratif, à tort. Il faut dire que la vie qu’ils/elles ont menée jusqu’alors ne leur a pas fait de cadeau. Ils/Elles ne sont plus à l’école et n’ont trouvé aucune formation professionnelle. Coincé-e-s, déboussolé-e-s, l’entrée dans le monde professionnel leur est interdite car ils/elles ne correspondent pas au profil parfait façonné par la société. Echecs scolaires, difficultés sociales, familiales ou culturelles sont souvent à l’origine de la situation presque dramatique dans laquelle certain-e-s se trouvent. Une partie de ces jeunes sont accueilli-e-s par le COFOP, centre d’orientation et de formation professionnelles. Dans ce lieu rempli de vie, ce sont quelque 120 préapprenti-es qui viennent des quatre coins du canton et qui se côtoient dans ce lieu d’enseignement théorique et pratique. Pendant un an, j’aide à l’encadrement de ces jeunes. Chacune de leur histoire, très différentes les unes des autres, a su me toucher, m’ébranler au plus profond de moi. On y découvre que certains sourires cachent un profond mal-être et des blessures. Mais on y découvre aussi et surtout que c’est un lieu doté d’une âme, capable de propulser ces jeunes en leur donnant les outils pour s’en sortir. Brusques changements de société Il y a tout juste 30 ans, les mesures de transition n’existaient pas, et quelque 6 % de jeunes se retrouvaient alors sans

formation. Grâce aux structures mises aujourd’hui en place, ce nombre est tombé à 0.9 %. Un chiffre réjouissant si l’on omet que les mesures de transition touchent désormais plus de 21 % des jeunes en fin de scolarité. C’est aussi la preuve d’un malaise de société ; la productivité est plus importante que jamais, les exigences des patrons le sont devenues tout autant : entrer dans le monde professionnel à 15 – 16 ans devient de plus en plus difficile. Un exemple pédagogique pour les quatre coins de la Suisse « Engagez-vous », comme disait Stéphane Hessel. C’est ce qu’il faudrait pour que l’on développe une telle structure dans tous les autres cantons (certains l’ont déjà fait). Véritable révolution pédagogique, le COFOP, qui débarque à Lausanne en 1987, apparaît dans une époque où la vision de l’éducation change. La pédagogie « du coup de pied au cul » laisse brutalement place à une vision plus progressiste d’encouragement et d’accompagnement. Il est désormais temps de donner aux jeunes les outils nécessaires à une vie plus épanouie : choisir une formation qu’ils aiment et la réussir haut la main leur permettra probablement de rentrer dans une vie active plus épanouie et porteuse d’espoir pour le restant de leur existence. Fini également ces jeunes pour qui l’on traçait une voie professionnelle: les intérêts des jeunes sont au cœur des préoccupations du COFOP, conscient de la complexification du parcours professionnel. Derrière l’institution, la lutte La réalité, c’est que le canton de Vaud est

un canton privilégié, mais rien ne garantit que cela pourra durer éternellement. La stabilité politique du canton et la politique menée en faveur de la formation maintiennent le système, mais celui-ci risque bien d’être ébranlé à l’avenir. Ces prochaines années, il faudra probablement lutter pour maintenir et développer des lieux tels que celui-ci, dont la valeur dépasse de loin le petit intérêt que je lui porte sur une page. Quelques politicien-ne-s que je côtoie ont par exemple utilisé les termes de « mesures infantilisantes, rendant les jeunes irresponsables et cassant le principe de responsabilité individuelle ». Ces dernier-ère-s pensent que l’Etat n’a pas à s’impliquer autant pour « materner » ces jeunes. Mais si un jour, ces structures venaient à disparaître, ce sont des centaines de jeunes que l’on retrouverait sans aucune solution d’avenir, avec toutes les conséquences que l’on connaît sur leur développement, leur savoir-être, leur confiance en eux/elles. Voulons-nous d’une société où les jeunes passent leurs journées dans la rue, à rêver d’un avenir inaccessible ? Moi pas. Les changements de société prennent du temps. Le COFOP contribue clairement à ce mouvement et je suis fier d’avoir vécu une année aux côtés de gens soucieux de l’avenir des jeunes.

Comment s’est passé ton apprentissage? Dans la première entreprise qui m’a engagée, je me suis très vite sentie comme une main d’œuvre bon marché. Nous étions trois apprenti-e-s et nous avions deux maître-sse-s d’apprentissage. Je me suis surtout occupée de la gestion du shop online, et du rangement de la cave et du cellier. De temps en temps, j’avais aussi le droit de faire quelque chose en rapport avec mon apprentissage, mais ça se limitait à la vente. Sans connaissance dans le domaine et sans aide me permettant d’apprendre les compétences requises, j’étais constamment dans la crainte de me faire gronder à cause d’un manque de savoir-faire. Le travail en atelier a réellement manqué dans cet apprentissage. Es ce que l’ambiance de travail était bonne? Ma maîtresse d’apprentissage s’est donnée de la peine pour que nous apprenions des choses et pour tenir les humeurs lunatiques du chef à distance. Avec elle, nous étions bien, mais dans un si petit commerce, on est malheureusement très exposé face au chef. Entre apprenti-e-s, l’humeur n’était pas non plus à la joie,

car nous étions toutes et tous très tendu-e-s face à cette situation. Nous devions toujours faire des rapports sur chacune de nos activités, parfois même à la minute près. Alors qu’après près de deux ans d’apprentissage, j’ai décidé de ne plus participer à tout ça, la situation est devenue très déplaisante. Pourquoi donc? Je suis allée à la rencontre des autorités responsables de l’apprentissage et j’ai parlé de ma situation de travail. Comme j’ai entendu que déjà deux apprenti-e-s se s’y étaient rendu-e-s avant moi, je m’attendais à de la compréhension. L’inspecteur de travail était très à l’écoute et m’a bien informé sur les procédures à suivre. À la fin, je lui ai garanti vouloir moi-même contacter mon chef au lieu que l’inspecteur prenne directement contact avec mon patron. Alors que le jour suivant, je me suis rendue dans mon entreprise, mon chef était déjà au courant de tout. La discussion entre mon chef et l’inspecteur a mené à la décision suivante : je pourrai continuer à travailler dans ce commerce, jusqu’à ce que je trouve un nouvel apprentissage. Puisque le temps de trouver un nouvel apprentissage est limité à trois mois, je me suis tout d’abord sentie rassurée, mais mon chef a alors réellement commencé à sortir de ses gonds. Il a inventé de nombreuses nouvelles règles qui avaient pour seul but de m’embarrasser. « Mon Chef a inventé de nombreuses nouvelles règles qui avaient pour seul but de me m’embarrasser, lorsqu’il a appris que je voulais quitter son entreprise. »

Comment as-tu agi face à cette situation? J’ai écrit de nombreuses lettres de motivation et j’ai encore tenu un mois. Avec l’aide de mon père, j’ai demandé la dissolution de mon contrat de travail à l’inspecteur. Mon salaire complet d’apprentie m’était assuré jusqu’à la fin du mois et ensuite mon contrat serait définitivement dissolu. Le lendemain, je suis allée au près du chef avec mon père afin de lui donner le papier attestant la fin de mon apprentissage et emballer mes affaires. Quelques jours plus tard, j’ai trouvé une nouvelle place d’apprentissage. J’aurais pu commencer tout de suite, mais j’étais tellement essoufflée par ce qu’il venait de se passer que j’ai demandé à commencer un mois plus tard. J’avais alors un an et demi pour apprendre tout ce que j’étais censée apprendre en 4 ans. Mais j’avais maintenant la motivation et tous les soucis vécus auparavant ne me distrayaient plus de mon travail. Mes notes scolaires se sont également améliorées. Est-ce que aujourd’hui tu agirais différemment? Je ne me laisserais plus faire dans une situation pareille. Mais il ne faut pas oublier que, au début d’un apprentissage, on a en général 16 ans et que l’on entend partout que c’est normal que les conditions des apprenti-e-s ne soient pas très bonnes et qu’il faut juste tenir ces quelques années. Dans mon deuxième apprentissage, j’ai pu constater que ce n’était pas le cas. Lorsque je parle aujourd’hui avec d’autres apprenti-e-s à l’école professionnelle par exemple, je remarque que ce genre de situation arrive, malheureusement, encore trop souvent.


10 INFRARot • JUSO • Juni 2015

Smash Sexism! 11

Mehr Ausbildungsplätze braucht das Land Die SP-Nationalrätin Bea Heim aus Solothurn zur Frankenstärke, Bachelor-Titel und Mindestlohn für Lernende.

naus auch noch den Hauptteil an unbezahlter Familienarbeit. Sinnvoller wäre es, wenn die Lebenspartnerschaft auch zu einer partnerschaftlichen Arbeitsteilung finden würde. Darauf müssen wir wohl noch lange warten. Dass Lernende ausgenutzt und ihnen berufsfremde Arbeiten und Zusatzzeiten abverlangt werden, kommt leider vor. Ich finde es darum sehr gut, dass die JUSO eine Kampagne zur Besserstellung der Lernenden machen will. Damit soll sichtbar werden, wie weit und in welchen Branchen Lernende unterbezahlt werden.

«Der Bund soll rechtzeitig die nötigen Massnahmen treffen, damit alle, die einen Beruf lernen möchten, dies weiterhin tun können.»

Interview: Simeon Marty

Bea Heim, wo gibt es im dualen Bildungssystem noch Verbesserungsspielraum? Es braucht einerseits mehr Ausbildungsplätze in Berufssparten, wo trotz grosser Nachfrage Mangel besteht, wie z. B. im Bereich der Pflege. Andererseits ist längst eine Aufwertung der beruflichen Abschlüsse fällig, die Einführung der Titel «Professional Bachelor» und «Professional Master». Die Aufhebung des Euro-Mindestkurses setzt die Schweizer Industriebetriebe unter grossen Druck – davon sind auch zahlreiche Lernende betroffen. Im Nationalrat hast du deshalb einen Vorstoss zum Thema Frankenstärke und Lehre eingereicht. Welches Ziel verfolgst du damit? Ich möchte, dass der Bund nicht nur beobachtet, wie sich die Frankenstärke auf unsere Exportwirtschaft auswirkt, sondern auch auf die Chancen der Jungen, eine Lehre zu machen. Er soll rechtzeitig die nötigen Massnahmen im Interesse der Jugendlichen treffen. Damit alle, die einen Beruf lernen möchten, dies auch weiterhin tun können. Man kann nicht immer nur den Fachkräftemangel beklagen. Man muss auch handeln. Wir haben in einer ganzen Reihe von Berufen Lücken, im Pflegeberuf, bei den Techniker_innen, Ingenieur_innen, Informatiker_innen usw. Diese Lücken sind hausgemacht. Stichwort Pflegepersonalmangel: 4500 Jugendliche haben letztes Jahr eine Lehr-

stelle als Fachangestellte Gesundheit gesucht, aber ohne Erfolg. Warum? Weil es billiger ist, bereits Ausgebildete von aussen ins Land zu holen, statt selber auszubilden. Mehr Ausbildungsplätze braucht das Land, das ist meine Forderung. Die heutige Laisser-faire-Politik bei Bund und Kantonen wird sich, was schon feststellbar ist, noch rächen. Die Exportwirtschaft ist in einer schwierigen Situation. Sie droht mit Verlagerungen ins Ausland. Das hiesse auch Verlust an Lehrstellen. Die Schweiz braucht, und auch das ist eine meiner Forderungen, dringend eine Industriepolitik, die Arbeitsplätze und damit auch Lehrstellen sichert. In Zukunft muss die Zuteilung von Kontingenten für ausländisches Personal an eine Ausbildungspflicht im Inland gebunden werden. Die Wissenschaftlerin Cynthia Cockburn sagt, unser Wirtschaftssystem beruhe weltweit darauf, dass Frauen ohne Bezahlung Arbeit in der Pflege von Angehörigen, in der Erziehung von Kindern und im Haushalt leisten. Kann man das auf die Schweiz beziehen und sagen, dass die Schweiz von den Lernenden als unterbezahlten Arbeitskräften profitiert? Tatsächlich arbeiten die Frauen in der Schweiz im Beruf und leisten darüber hi-

Um die Jugendarmut zu bekämpfen, fordert die JUSO einen Mindestlohn für alle Lernenden. Unterstützt du diese Forderung? Ich frage mich, nachdem die Mindestlohninitiative leider abgelehnt wurde, ob die Forderung nach einem Mindestlohn für Lernende der richtige Weg ist. Jedenfalls muss sie dann gestellt werden, wenn es zu viele offene Lehrstellen gibt und zu wenige Lehrlinge. Wir diskutieren in Bern zurzeit, Kinder und Jugendliche in Ausbildung bis zum Alter von 25 Jahren von der Bezahlung der Krankenkassenprämien zu befreien. Wenn das gelingt, wäre es ein wesentlicher Beitrag zur Bekämpfung der Familien- und Jugendarmut und käme der JUSO-Forderung nach einem Mindestlohn entgegen. Was meint die JUSO dazu, unterstützt sie die Forderung?

« Und schon schaue ich einem Arbeitskollegen zu, wie er meine Arbeit macht» Sexismus durchzieht unseren Alltag. Auch viele Lernende sind tagtäglich davon betroffen. Pascale Buser berichtet über verschiedene Formen von Sexismus und von den Erfahrungen, die sie diesbezüglich in ihrer Ausbildung zur Lebensmitteltechnologin gemacht hat.

Interview: Christine Brunner

Frauen verdienen für die gleiche Arbeit trotz Gleichstellungsgesetz immer noch 20 % weniger als Männer. Kommen solche Lohndiskriminierungen auch im Bereich der Berufsbildung vor? Was frappant ist, sind die Unterschiede von Branche zu Branche. Nach wie vor ist es so, dass Branchen mit einem hohen Frauenanteil ein tieferes Lohnniveau haben. Zum Beispiel verdient eine Coiffeuse im dritten Lehrjahr laut Empfehlung des Branchenverbandes 600 Franken, für einen Gipser liegen hingegen bis zu 1700 Franken im selben Lehrjahr drin. Klar ist der Lohn nicht alles, dennoch müssen wir uns bewusst sein, was diese schlechte Entlöhnung in gewissen Berufen für ein Bild aussendet. Inwiefern warst auch du in der Lehre von Sexismus betroffen? Mein Beruf Lebensmitteltechnolog_in ist sehr männerdominiert. Wir arbeiten tagtäglich mit Maschinen und brauchen unseren Körper nicht nur bei deren Auf- und Abbau, sondern z.B. auch beim Befüllen von Mischern oder sonstigen anstrengenden Arbeiten. Da ist auch der sogenannte «nett gemeinte Sexismus» an der Tagesordnung. Es kommen dann Fragen wie «Kann ich dir helfen? Kann ich dir das abnehmen?». Dabei wird die Antwort nicht mal abgewartet und schon schaue ich einem Arbeitskollegen zu, wie er meine Arbeit macht. Vielen Männern ist es nicht bewusst, dass ihre absolut nicht böse gemeinten Fragen und Hilfeleistungen nicht angebracht sind. Wäre ich für meinen Beruf nicht geeignet, würde ich ja wohl kaum in diesem arbeiten. Und einen Mund zum Fragen habe ich auch, also bitte, ich melde mich schon, wenn ich etwas brauche! Und dass sich die Männer selbst auch mal helfen lassen könnten, steht natürlich ausser Frage - das ist sehr schade. Festgefahrene Rollenbilder prägen demnach immer noch sehr stark den Berufsalltag. Wie kommt es,

dass sich Rollenbilder so hartnäckig halten können? Schon früh werden gewisse Verhaltensweisen einem der Geschlechter zugeordnet und als natürlich erachtet. Mädchen erhalten zum Geburtstag Puppen, Knaben Autos. Das führt dazu, dass wir sehr früh bestimmte Rollenbilder verinnerlichen und uns dementsprechend verhalten. Ein weit verbreitetes Vorurteil besagt zum Beispiel, dass Frauen unbegabt in Sachen Technik sind, sich dafür aber besser um Menschen kümmern können. Die Hürden, einen technischen Beruf zu wählen, sind so für eine Frau natürlich viel höher. Der Frauenanteil ist in technischen Berufen folglich tief. Das Vorurteil scheint sich zu bestätigen und geistert weiterhin in den Köpfen der Menschen herum. Es haben natürlich nicht nur Frauen mit Rollenbildern zu kämpfen. Männer sind beispielsweise im Pflegebereich oder in der Kinderbetreuung nach wie vor stark untervertreten. Ist der Kinderbetreuer dann einmal ein Mann, wird er schnell schief angeschaut. Das Bewusstsein für Rollenzuschreibungen und deren Folgen muss deshalb geschärft werden. Unreflektiertes Handeln ist meines

Erachtens eine der Hauptursachen für diskriminierende Verhaltensweisen. Was würdest du Lernenden empfehlen, wenn sie in irgendeiner Form aufgrund des Geschlechts diskriminiert werden? Habt nie das Gefühl, ihr müsst das über euch ergehen lassen oder glauben, jemand hätte das Recht dazu, da ihr «nur» Lernende seid! Es ist klar, und das geht in meinen Augen sehr oft vergessen, dass abgewogen werden muss, was einem im Moment der Diskriminierung wichtiger ist: Will ich mich wehren? Oder bevorzuge ich den Frieden mit meinen Arbeitskolleg_innen? Solche Abwägungen werden oft unterschätzt in diesen Diskussionen. Aufmucken – unbedingt! Aber oft fehlt die Energie, den Zustand danach aushalten zu können. Zudem ist die Hoffnung auf Besserung oft sehr gering. Was akut sicher hilft, ist der Austausch mit anderen Lernenden oder Ausgelernten im Betrieb. Das gibt Halt, und man fühlt sich weniger alleine in diesen Momenten. Wird es tatsächlich unerträglich, führt kein Weg an den Vorgesetzten und dem Berufsbildungsamt vorbei. Um dabei gut unterstützt zu werden, empfehle ich unbedingt den Kontakt mit der branchenspezifischen Gewerkschaft.


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Die Lehre in Zahlen • Mit 6,1 Prozent ist die Arbeitslosenquote bei Jugendlichen (12 - 24 Jahre) fast doppelt so hoch wie im Schweizer Durchschnitt (3,7 Prozent) • 9 Goldmedaillen gewannen die Schweizer Lernenden an den letzten Berufsweltmeisterschaften, damit belegte die Schweiz international den 2. Platz • 9 Stunden darf die Arbeitszeit von Lernenden pro Tag maximal betragen, inklusive Überstunden • 14 Prozent der Lernenden schliessen eine Berufsmatura ab • 28 Mal müssen sich Jugendliche ohne Schweizer Pass im Durchschnitt bewerben, um eine Lehrstelle zu finden • 61 Prozent der Lernenden verdienen zwischen 500 und 999 Franken pro Monat • 79 Prozent der Lernenden hat noch nie eine Kontrolle des Lehrlingsamts am Arbeitsplatz erlebt, etwa, um unzulässige Überstunden oder Sonntagsarbeit aufzudecken • Es gibt 230 verschiedene Berufslehren von A wie Agrarpraktiker bis Z wie Zoologische Präparatorin • Rund 8500 Lehrstellen bleiben pro Jahr unbesetzt • Mit 14'367 Neueintritten ist die Ausbildung zur Kauffrau/-mann mit Abstand die beliebteste Lehre, gefolgt von der Ausbildung zur Detailhandelsfachfrau/mann (5453) und Fachfrau/-mann Gesundheit (3802) • Rund 77'000 oder zwei Drittel der Schweizer Jugendlichen entscheiden sich pro Jahr, eine Lehre anzufangen Die obigen Zahlen beziehen sich auf die Jahre 2013 und 2014. Quellen: «Berufsbildung in der Schweiz: Zahlen und Fakten 2014», Bundesamt für Statistik, «Was taugt die Lehre»: Beobachter vom 10. Jan. 2014, «Lehrlingsrapport», Unia Jugend 2014

Impressum Herausgeber: Infrarot – Infrarouge –Infrarosso – Infracotschen · Spitalgasse 34, PF 8208, 3001 Bern, www.juso.ch,

www.jss.ch · Kontakt: infrarot@juso.ch, 031 329 69 99 · Redaktion: Anna Bleichenbacher, Christine Brunner, Ramina Wakil, Simeon Marty, Jeremy Bacharach · Lektorat: Paul Sprecher · Design & Layout: art.I.schock GmbH, Zürich, www.artischock.net · Druck: S & Z Print, 3902 Brig-Glis · Infrarot erscheint 3 Mal pro Jahr.


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