Jörg Schmitz zum Vierzigsten: 40 usw.

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Frank Berger Jörg Schmitz: Von Revon zu OfamMain

Von Revon zu OfamMain Jörg Schmitz wurde 1969 in Hannover geboren. Nach Abitur und Zivildienst studierte er von 1991 bis 2000 an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main. Den Abschluß als DiplomDesigner erlangte er im Jahr 2000 mit einer typographischen Arbeit bei Prof. Friedrich Friedl. Im Jahr 1995 gründete er eine eigene Agentur, die er bis heute gemeinsam mit Michael Geiss leitet und deren Erscheinungsbild er massgeblich prägt. 2009 erfolgte auf Jörg Schmitz’ Initiative die Gründung des Vereins für Schrift und Bild e.V. Station Revon Hannover ist ein fruchtbarer Boden der typographischen Avantgarde. Hier gründete Paul Erich Küppers (19.10.1889 Essen – 7.1.1922 Hannover) im Jahre 1916 die Kestner–Gesellschaft. Seiner Heimatstadt schrieb er in einem Katalogvorwort folgendes Bekenntnis zur Avantgarde ins Stammbuch: »Will sie (die Stadt Hannover) den Geist der Gegenwart begreifen und ein wahrhaft umfas-

sendes Verstehen der Kunst gewinnen, so muss sie auch die Kunst der Jungen und Jüngsten, ihre Versuche und Wagnisse prüfen und kennen lernen.« Dementsprechend nimmt es nicht Wunder, dass die Kestner-Gesellschaft seht früh Klee (1920), Kandinsky (1923), Lissitzky (1923) und Schwitters (1924) ausstellt. Nach dem Tod von Paul Küppers heiratete dessen junge Witwe den – wie auch Chagall und Malewitsch – aus Witebsk stammenden weissrussischen Graphiker El Lissitzky. Dieser hatte gerade eine Werbekampagne für die Firma Pelikan entwickelt. Im Jahr 1924 gestaltete Lissitzky die Ausgabe 8/9 der Merz-Hefte. Deren Initiator Kurt Schwitters war bis 1918 als technischer Zeichner in Hannover tätig, bevor er sich endgültig der Merzkunst und der Collage zuwandte. In der Nachkriegszeit betraten Universalkünstler wie Diter Roth (1930-1989) und Timm Ulrichs (*1940) die Bühne Hannovers. Dieser pendelte regelmäßig zwischen Island und Europa, in seinem Schaffen konsequent das Leben und die Kunst gleichsetzend. Jener erklärte sich 1961 zum ersten lebenden Kunstwerk. Beschäftigung mit Sprache und deren künstlerisch-typographische Umsetzung


prägen noch heute sein Schaffen. Beide waren konkreter Poesie und visueller Poesie eng verhaftet. Das gleiche gilt für den ebenfalls aus Hannover stammenden Christian Chruxin (1937-2006), einem der führenden Gestalter der Kasseler Schule der Buch-, Plakat- und Zeitschriftengraphik. Die Reihe »Schritte« des Berliner Fietkau-Verlages verdankte Chruxin ihre radikale Form.

dessen Gesamtwerk er im Suhrkamp-Verlag herausbrachte. Als Schüler von Bloch und Bense lebte er zunächst im Atmosphärenbereich der Ulmer Hochschule für Gestaltung. 1997 kam Burghart Schmidt an die HfG Offenbach, zuständig für den Lehrbereich Sprache und Ästhetik. Seine Beschäftigung widmet unter anderem der Bedeutung des Ornaments und des Bildes in der Medienwelt.

Station OfamMain

Station Mon

1991 kam Jörg Schmitz nach Offenbach. Hier traf er auf die gestalterische Tradition der Rhein/MainRegion: Die aus der Werkkunstschule hervorgegangene Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main, die FH Wiesbaden, die Zeichenakademie Hanau, die Frankfurter Kunstgewerbeschule und die Städelschule, die allesamt zahlreiche Gestalterpersönlichkeiten hervorbrachten. Zu nennen ist hier etwa Peter Roehr (1944-1968), der nach einer Lehre als Leuchtreklame- und Schilderhersteller in Frankfurt von 1962-1965 an der Werkkunstschule Wiesbaden studierte. Seine typographische Reihungen, Minimal Art, Foto-, Film- Wortmontagen rücken ihn formal in die Nähe des ebenfalls hier lebenden Franz Mon – wie es in einem Lexikonartikel heisst. Thomas Bayrle (*1937) prägte als Professor der Städelschule mehr als eine Generation von Studierenden. Seine Arbeiten, ausgehend von einem graphischen Grundprinzip, weisen in das Serielle und verwenden Gegenstände des Alltags. Dies bedeutet die Kommentierung der gegenwärtigen Gesellschaft. Bayrles Schaffen reicht von visueller Poesie bis zu digitalem Kunstschaffen; dessen Möglichkeiten er früh erkannte und umsetzte. Wolfgang Schmidt (1929-1995) gilt als einer der wichtigsten Künstler der Gebrauchsgraphik und künstlerischen Graphik in Deutschland. Er kam nach Studium in Stuttgart und Kassel nach Frankfurt und war in der weiteren Region tätig. Weithin bekannt ist der Plan der Frankfurter U- und S- Bahnen, eines seiner Meisterwerke.

Im Zuge des Studiums der visuellen Kommunikation an der HfG Offenbach besuchte Schmitz Veranstaltungen wie »Textmethoden«, »Collage« oder »Skripturale Poesie« bei Franz Mon. Erste Früchte einer entstehenden Zusammenarbeit war die gemeinsame Ausstellung mit Lesung im Dezember 1997 im Theater Mousonturm unter dem Titel »WörterWerkstatt«. Ein zweites Ergebnis war die Schaffung der Neonlichtskulptur AUJA im Jahre 1998. Das Spiel mit der Sprache faszinierte den angehenden Designer. Diese Leidenschaft vertiefte sich mit der näheren Beschäftigung mit dem Werk Konrad Bayers. Diese kulminierte in einer viertägigen Großlesung von dessen Hauptwerk »Der sechste Sinn« unter Beteiligung von Jörg Schmitz im November 2007 in Monterosso al Mare. Mon und Bayer, Persönlichkeiten von großer Sprachmacht, wurden zu den Fixpunkten seiner Beschäftigung. Da sich die Monterosso-Lesung als literarischer Akt verstand, setzte Schmitz in Buchform mit dem Titel KONRADSONNEBAYERHALT diesen Akt unter Mitwirkung der Beteiligten künstlerisch um. Er veröffentlichte darin Franz Mons »Epitaph für Konrad Bayer«. Das einmalige Treffen zwischen Bayer und Mon dokumentiert ein Brief Bayers an Mon vom November 1963, worin Bayer seine Position innerhalb der Konkreten Poesie darlegt. Dieser Brief wurde hat seinen Empfänger nie erreicht. Denn er liegt nur als Entwurf vor. Diese Inkunabel der Konkreten Poesie konnte Jörg Schmitz im November 2008 im Berliner Auktionshaus Stargardt käuflich erwerben.

Friedrich Friedl ist, trotz seines Studiums von 1968 bis 1972 in Darmstadt, geistig und formal in der Stuttgarter Ulmer Schule sozialisiert. Sein Weg bewegte sich entlang der Typographie, der konkreten Poesie, der konkreten Kunst. Von 1983 bis 2009 lehrte Friedl als Professor für Typographie an der HfG Offenbach. Hier vermittelte er die Ästhetik der Typographie unter den neu entstehenden digitalen Produktionsbedingungen. Ebenso stark betont er stets den Theoriehintergrund konkreten Gestaltens.

Schmitz ist von Mon und Bayer zutiefst, aber auf eine jeweils andere Weise fasziniert. Bayers radikal kompromissloser Lebensentwurf findet sich in seiner eigenen Sprache umgesetzt, aber auch persönlich dargestellt in der einflussreichen Literaturverfilmung »Sonne Halt!«. Bei Mon ist es die Kraft der Collage, die sich über alle bekannten Grenzen hinwegsetzt. Am prägendsten beschreibt Schmitz die Erfahrung mit der Methode der skripturalen Poesie: »Hier kann ich (mich) schreibend gestalten«. So ist zuletzt die Edition »Typoscripturen« entstanden, für die Jörg Schmitz 26 Alphabetbilder aus gedruckten und geschriebenen Lettern gestaltete.

Der Philosoph Burghart Schmidt (*1942) war nach Studium in Tübingen Mitarbeiter von Ernst Bloch,


Alexander Adrian



Brigitte Ambros



Robert Baumruk



Konrad Bayer



Michael Beckers



Frank Berger



Galia Brener



Alexander Coelius



Kai Eggers



Paolo Esposito



Roman Fischer



Josef Foit



Friedrich Friedl



Reinhard Geir



Michael Geiss



Bernd Helber



Antonia Henschel



Christa Henschel



Karl Henschel



Arnold Hofbauer



Andrea Hohmeyer



Stefan Jenewein



Christian Katt



Tom Kauth



Mike Kuhlmann



Laurent Lacour



Josef Linschinger



Stephan K채mpf



Christiane Mauthe



Alexander Metzler



Franz Mon



Rui Phillip Oesterlen, Rolf Ohler



Helmuth Pany



Renate Pittroff



Steven Sasseville



Andreas Schmidt



Patrick Scholl, Karin Feichtenschlager



Thilo Schwer



Michaela Spohn



Gabriele Stรถger



Christoph Teiler



Dorothée Vögeli



Anja Voeste



Margarete VyoralTschapka



Betty Wahl



Reinhard Wolters



Tim Zehelein



Frank Berger Das Album amicorum, ein Juwel der Biographie

Das Album amicorum (Livre d’ami; Freundschaftsbuch) ist ein sehr persönlich gehaltenes Buch oder eine Blattsammlung, welche Worte, Zeichnungen und Bilder von Freunden enthält. Es ist ein Denkmal der Freundschaft, das in der Tradition des Humanismus steht. Die Wiege der Stammbücher stand in Wittenberg um 1545. An dieser protestantischen Universität trafen die großen kulturellen Strömungen der Zeit zusammen. Im Umfeld des Humanismus, der Theologie und des Buchdrucks, verbunden mit aussagekräftiger Emblematik, erblühte diese Sonderform privat-literarischen Schaffens. Menschen mit akademischer Bildung baten im 16. bis 19. Jahrhundert zumeist ihre Professoren, Freunde und Familie um einen Eintrag in ein gebundenes oder gedrucktes, unbeschriebenes Buch. Die älteren Alba bestehen aus gebundenen Pergament- oder Papierblättern, meist im Sedezoder Oktavformat und vor allem im Querformat. Die Einbände reichen von einfachem Pappeinband bis zum goldgeprägten Pergamentband. Ein jüngeres Album amicorum kann auch die Form einer losen

kleinen Kassette haben oder eine Mappe mit eingelegten Blättern sein. Ein Traditionszweig des Album amicorum bezieht sich auf die Reisetätigkeit in der frühen Neuzeit. Da die Reisenden zumeist Leute von gelehrter Bildung waren, versahen sie sich vor der Abreise mit einem leeren Büchlein. An allen Orten ihrer Reise besuchten sie die gelehrten Männer, Sammler und Kunstfreunde. Sie ließen deren Namen mit einigen eigenhändigen Sätzen in das Album eintragen. Die Alba amicorum hatten ihre größte Verbreitung in der Goethezeit. So wundert es nicht, dass der berühmteste Sohn Frankfurt, vielgereist wie er war, in vielen Büchern auftauchte und sie auch selbst führte. Sogar im Faust findet das Album amicorum Erwähnung: »Gönnern reiche das Buch und reich’es Freund und Gespielen, Reich es dem Eilenden hin, der sich vorüber bewegt.«


Der Kulturkreis der Alba amicorum beschränkte sich auf die gelehrten und bürgerlichen Zirkel des mitteleuropäischen Kulturkreises im Umfeld der deutschen Sprache. Benachbart kamen sie auch in Skandinavien, Polen, Ungarn und den Niederlanden vor. Der Inhalt eines Album amicorum kann einheitlich, aber auch vielfältig sein. Oft ist es nur eine Unterschrift, ein Name, ein Satz, eine flüchtige Zeile. Doch gibt es abhängig vom geistigen Umfeld des Buchführers unterschiedliche Ansprüche an das Album. Nicht selten sind die Freunde ratlos! Stehen sie doch vor dem Anspruch, etwas Besonderes zu produzieren. Meist wurden Wünsche und Sprüche niedergeschrieben; als Beiträge begegnen uns auch Bilder, Scherenschnitte oder Zeichnungen. Je nach Phantasie und Können des Schreibers sind die Bucheintragungen mit Stichen, Stickereien, Haarlocken, gepressten Blumen und ähnlichem geschmückt. Oft genug und auch hier fanden Schrift und Bild zu einer Symbiose. Zu allen Zeiten ist das Album amicorum eine vorzügliche Quelle zum kulturellen Umkreis der veranlassenden Person. Das gilt für das Album amicorum des berühmten Antwerpener Kartographen Abraham Ortelius (1527-1598) nicht weniger als für Goethe auf seinen Reisen in Italien oder für Jörg Schmitz in Frankfurt. Das Album amicorum lebt weiter. Gegenwärtig hat es verschiedene Ausformungen. Schulmädchen höherer Kreise pflegen noch die Tradition eines Poesiealbums. Reisende tragen ein Büchlein mit sich, in dem Sie Gedanken und Adressen der Besuchten niederschreiben lassen, vermischt mit eigenen Einträgen. Eine hochgelehrte Form des Album amicorum ist die Festschrift, in Deutschland eine eigene wissenschaftliche Buchgattung als Sammelband mit Textbeiträgen zu Ehren eines großen akademischen Lehrers. Im literarisch-künstlerischen Umfeld existiert das Album amicorum heute in Loseblattform. Ein Kreis von Schülern ermittelt den vollständigen Umkreis der Freunde, Verwandte und Kollegen des geehrten, wie zum Beispiel bei dem norddeutschen Kulturwissenschaftler Peter Berghaus im Jahre 1994 geschehen. Die Freunde erhielten postalisch ein Doppelblatt mit der Aufforderung zur Gestaltung. Naturgemäß ist die Art der Beiträge breit gefächert. Sie reicht vom einfachen handschriftlichen Glückwunsch bis zum eigenständigen künstlerischen Originalwerk. Dem vorliegenden Werk lag die Idee zugrunde, Individuelles mit Seriellem zu verknüpfen. Dies vollzog sich dergestalt: Ein federführender Autor richtete an die Freunde und Freundinnen des Geburtstagskindes die Bitte, eine

Beitrag im Blattform von bestimmter Größe und Format zu erstellen. Der Inhalt stand im Belieben der Hersteller, was die Aufgabe nicht erleichterte. Digitale Formate waren ebenso zulässig wie handgestaltete Schrift- und Bildbeiträge. Nur wenige gute Freunde vermittelten ihre Unmöglichkeit der Teilnahme – sich zu Unrecht in ihrem künstlerischen Potential bescheiden unterschätzend. Die Überreichung des Album amicorum an den Geehrten erfolgte am 5. Dezember 2009 in Form der originalen Beiträge. Diese verbleiben im persönlichen Besitz von Jörg Schmitz. In den Tagen nach der finalen Zusammenstellung erfolgte die Erfassung der Arbeiten zum Zwecke der Druckklegung. Ein Exemplar dieser privaten Ausgabe in kleiner Auflage, die sich an der Zahl der Beitragenden orientiert, bekam auf Wunsch jeder Freund und jede Freundin übermittelt. Exegi monumentum aere perennius. (Horaz, Liber tertius, Ode 30)

Literatur: Van Veen, Otto/Van den Gheyn, Joseph, Album amicorum de Otto Venius. Reproduction intégrale en fac-similé. Bruxelles 1911. Roersch, Alphonse, Les albums amicorum du XVIe et du XVIIe siècles. In: Revue belge de philologie et d‘histoire 7, 1928, S. 530 sq. Wybe de Kruiter, C., Jacobus Heyblocq‘s Album amicorum in the Koninklijke Bibliotheek at the Hague. In: Quaerendo 6, 1976, S. 111-153 (avec une bibliographie développée). Schepper, M. de, Alba amicorum in de Koninklijke Bibliotheek te Brussel. In: Handel. Kon. Zuidned. Mij 33, 1979, S. 101-107. Schleicher, Herbert M., Album amicorum. Freundschaftsbuch des Werner Reinhold Bernhard von Muentz für die Zeit von 1762-1769, Köln 2000. Schwarz, Christiane, Studien zur Albumpraxis der frühen Neuzeit: Gestaltung und Nutzung des Album amicorum eines Hofbeamten und Dichters, eines Politikers und eines Goldschmiedes (Etwa 1550-1650), Frankfurt 2002. Kurras, Lotte/Taegert, Werner, Axel Oxenstiernas Album amicorum und seine eigenen Stammbucheinträge. Reproduktion mit Transkription und Kommentar, Stockholm 2004.


Jörg Schmitz Danke

So vielfältige Formen in diesem Album amicorum überraschen und freuen mich sehr, sehr! Sie machen vielfältige Verbindungen zwischen uns sichtbar: Es sind ja unterschiedlichste Beziehungen und Erlebnisse, die wir miteinander teilen – und die gewachsen sind in ganz verschiedenen Phasen unseres Lebens. Jetzt verbindet uns dieses wunderbare Panorama in Buchform ein weiteres Mal miteinander.



Impressum

Redaktion: Frank Berger Designkonzept: Antonia Henschel, Sign Kommunikation Satz/Reinzeichnung: Yury Ustsinau, thema communications Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt ISBN 978-3-8391-4458-9 Š 2010




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