NACHSCHLAG

Wir, die letzte Generation, wollen, dass ihr endlich aufwacht. Wir sehen keine andere Möglichkeit mehr, als radikale Aktionen durchzuziehen. Es ist fünf nach 12. Wir können wahrscheinlich eh nichts mehr machen, aber vielleicht doch. Wenn alle, sagen wir mal, langsamer fahren auf der Autobahn, wäre schon ein kleiner Beitrag geleistet. Und wir als Repräsentanten der letzten Generation haben uns seit einiger Zeit angewöhnt, öfter mal abends gemeinschaftlich im privaten Kreis zusammenzusitzen beim Bier, weil EIN Kühlschrank verbraucht bekanntlich weniger Strom als mehrere. Beizeiten machen wir vorbildlich das Licht aus und sitzen halt dann im Dunkeln da oder zumindest im Halbdunkel. Das hat übrigens eine ganz eigene und reizvolle Qualität, wenn die Stimmung – an manchen Tagen – ein bisschen in Richtung Zärtlichkeit unter den Beteiligten geht, früher hieß das mal Rudelbums, bei den jüngeren sagt man Gang Bang, bei uns läuft es aus anatomischen und mentalen Gründen meist eher auf eine Art Gruppenkuscheln raus. Ja, und, das war uns auch neu, man MUSS da gar nicht alles sehen, also im Schein einer Kerze ist das, was zu erkennen ist, völlig ausreichend für den entsprechenden Kick. Für den Turn. Aber es geht ja in unserem Anliegen nicht um das „leibliche Wohl“, sondern um das Klima.

WIR FORDERN, dass UNSCHÄDLICHE Stromerzeugungsmöglichkeiten genutzt werden. Aber welche sind das? Die Antwort lautet: Die lange zu Unrecht in Verruf geratenen, aber jetzt nach einem aktuellen Gutachten im Auftrag der FDP in Wahrheit umweltfreundlichen Atomkraftwerke. WIR FORDERN, dass diese Energieerzeugung wieder aktiv betrieben wird! Es gibt gesunden Strom und ungesunden Strom. Windkraftwerke, wenn die mal nicht laufen, dann werden sie sowieso mit Atomstrom betrieben, das ist also eine Mogelpackung. Deshalb kann man ja gleich die Atom-Reaktoren reaktivieren. Kleines Wortspiel. ReAKTOREN reAKTIVIEREN (Zwinker-Emoji). Da müssen nun eben möglicherweise die rückschrittlichen ehemaligen Umweltaktivisten umdenken, sozusagen in den sauren Apfel beißen. Wenn sie es nicht begreifen, ist denen nicht zu helfen.

wie wollen wir die öffentlichkeit wachrütteln? Mit TATEN! Die bisherigen Aktionen von uns, der letzten Generation, wurden teilweise verspottet. Eine große Boulevardzeitung hat uns sogar als KLIMA-CHAOTEN bezeichnet. Eine Unverschämtheit. Das ist fast so wie vor Jahren der Franz Josef Strauß die Sozialpolitik des Kanzlers Helmut Schmidt als SOZIALKLIMBIM bezeichnete. Wir sind keine Chaoten. Wir sind Leute, die argumentieren können. Klar, streng genommen sind wir nicht mehr die jüngsten, aber keiner kann sagen, wir wären lauter alte weiße Männer, da sind durchaus auch brünette oder blonde bei. Und Frauen. Gleichaltrige Frauen. Also mit UNS gleichaltrig.

Wir wissen, dass sich jüngere Bürgerinnen und Bürger, die bei uns mitmischen, ebenfalls LETZTE GENERATION nennen, bei denen liegt es aber im Gegensatz zu uns daran, dass sie glauben, die letzte Generation zu sein, die noch was bewegen kann, während WIR eher die letzte Generation UNSERER ZEIT sind, also die das ECHTE Leben noch mitbekommen haben. Deshalb sind UNSERE Aktionen auch wesentlich einfallsreicher und krasser als die der jungen, die wir unter vorgehaltener Hand „Harmlosigkeitswettbewerb“ nennen. Ich kleb mich doch nicht auf ’ne Straße, wie langweilig ist das denn?

Wir realisieren spezielle Aktionen, Sachen, mit denen wir uns auskennen. Deshalb haben wir uns entschieden, dass wir Rockstars mit Kartoffelbrei beschmieren. Ein Bekannter, der Statistik und Nachhaltigkeit studiert hat, konnte beweisen, dass keiner der Rockstars dadurch zu Schaden kommt. Der Kartoffelbrei ist Bio, außerdem temperiert, damit da keine Verbrennungen oder Verletzungen passieren können. Und der Rockstar kann sich den Brei nach der Aktion wieder runterwaschen. Wir machen es uns da auch nicht so leicht wie die jüngeren, die dann den Brei auf Gemälde hinschmieren, denn das Bild kann sich nicht wehren. Die Rockstars hingegen neigen ab und an zum Krakeelen, oder werden rabiat. Wenn man es ihnen erklärt, dass das für den Klimaschutz ist, haben es, das soll nicht unerwähnt bleiben, einzelne

Rockstars sogar freiwillig über sich ergehen lassen. Man kann auch versuchen, dass man den

Kartoffelbrei so aufträgt, dass der Rockstar es eventuell als angenehm empfindet.

moses wolff ist Schauspieler und Autor. Sein jüngster Roman „Gendarm des Königs“ ist kürzlich im Hirschkäfer Verlag erschienen und kann im Handel erworben werden. illustration: julia hollweck

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