


FREIHEIT! FREIHEIT?
»Es geht eigentlich um Menschwerdung, auch wenn das sehr idealistisch klingt. Ich meine eine Art von Selbstreflexion, dass sich die Leute dahingehend Gedanken machen: Wer sind sie? Was ist ihre Funktion? Was ist überhaupt das Leben? […] Mein Motto ist vielleicht ein Denkanstoß, aber letztlich wird es dann quasi durch die Größe der Musik lächerlich weggespült, das dann am Schluss einfach ein musikalisches Monument überbleibt – wenn der Abend gelingt.«
Günther Groissböck im Interview mit BR-Klassik über sein Liederabendprogramm »Freiheit! Freiheit?« (Januar 2023)
JULIUS DRAKE, KlavierFRANZ SCHUBERT (1797 – 1828)
Prometheus D 674
Grenzen der Menschheit D 716
Ganymed D 544
Memnon D 541
Am Strome D 539
Auf der Donau D 553
Der Sieg D 805
Der Schiffer D 536
CARL LOEWE (1796–1869)
Die Uhr op. 123/3
Der heilige Franziskus op. 75/3
Der gefangene Admiral op. 115
Odins Meeresritt op. 118
PAUSE
RICHARD STRAUSS (1864–1949)
Heimliche Aufforderung op. 27/3
Zueignung op. 10/1
Allerseelen op. 10/8
Befreit op. 39/4
GUSTAV MAHLER (1860–1911)
Lieder aus »Des Knaben Wunderhorn«: Nicht wiedersehen
Revelge
Zu Straßburg auf der Schanz
Der Tamboursg’sell
Urlicht
FREIHEIT! FREIHEIT?
Lieder von Schubert, Loewe, Strauss und Mahler
Die Texte des heutigen Programms beleuchten aus unterschiedlichen Perspektiven die Bedeutung, Erfahrung oder auch die Sehnsucht nach Freiheit. Die wunderschönen Gedichte in dieser Auswahl erkunden die Freiheit für oder vom menschlichen Leben, Freiheit in der Natur, die Freiheit von den Fesseln der Zeit, den Mangel an körperlicher Freiheit und die Freiheit zu lieben.
FRANZ SCHUBERTIn kühnen freien Versen schuf Goethe eine riesige Ode an Prometheus, der den Göttern das Feuer stahl. Schubert verwandelt sie 1819 in ein atemberaubend komplexes tonales Panoptikum, das von Rezitativen durchsetzt ist und in einer Geste der äußersten Verachtung endet.
Im unaufhörlichen Fluss von Leben und Tod, der in Grenzen der Menschheit beschworen wird, kann der Mensch nur gegen den Strom schwimmen (Goethe feiert stets Prinzipien des Handelns) oder in Trägheit versinken. Schubert beginnt in unmittelbar mit einem kontinuierlichen Strom von Harmonien und fährt mit riesigen Phrasen fort, die das Geschehen beherrschen.
In Ganymed nutzte Goethe Jupiters Entführung des schönen Knaben Ganymed, um stattdessen von einem liebenden Individuum zu erzählen, das der schönen Natur die Hand reicht und in Ekstase eins mit ihr wird. Das Lied selbst ist eine Reise, die anderswo endet, als sie beginnt.
Memnon war der Sohn der Aurora (Morgenröte) und des Königs von Ägypten/Äthiopien. Von Achilles erschlagen, wird er jeden Morgen kurz von seiner Mutter wiederEINFÜHRUNG
belebt und antwortet mit untröstlichem Wehklagen. Für dieses Porträt von Schuberts Freund Johann Baptist Mayrhofer hat der Komponist ein tiefgründiges Meisterwerk geschaffen, in dem die Morgenglocken läuten und wir Schlangen hören, die sich im Herzen winden.
Mayrhofer, der unaufhörlich mit Selbsthass kämpfte, träumte von einem »sanften Land«, in dem er aufblühen konnte, was ihm im Leben nicht gelang. Die Natur idealisierend, vergleicht er sich in Am Strome mit einem mal ruhigen, mal stürmischen Fluss, der im fernen Meer keine Heimat findet.
In Auf der Donau hat Mayrhofer die uralte Metapher des kleinen Bootes, das auf dem Wasser gleitet, als Sinnbild für das individuelle menschliche Leben auf dem Fluss der Zeit wiederbelebt. Die Auslöschung ist das gemeinsame Schicksal der Menschheit und aller ihrer Werke; wir hören die »Zeit(en)« in dem für Schubert so charakteristischen Takt der Stille vor dem Schlussteil vergehen.
Mayrhofer träumte vom Selbstmord, lange bevor er sich 1836 durch einen Sturz aus dem Fenster umbrachte. Der Sieg imaginiert ein wunderschönes Leben nach dem Tod, mit uralten Träumen und einer Freiheit von dem Körper, der ihn so sehr quälte. Wir hören, wie er den Todesstoß ausführt, der dann in eine schillernde Tonfolge übergeht und in eine edle Hymne in pastoralem F-Dur mündet.
Wir verlassen Mayrhofer in einer Stimmung von trotziger Stärke. Der Seemann in Der Schiffer verschmäht das ruhige Leben und zieht den Kampf mit Wind und Wetter vor. Dieses Lied ist eine ununterbrochene kämpferische Energie, die in ihren Wiederholungen deutlich macht: Das lyrische Ich muss immer wieder denselben Trotz hervorrufen.
CARL LOEWE
In Die Uhr beschwört der moralisierende Biedermeierdichter Johann Gabriel Seidl das Leben als an die Zeit gebunden, die mal zu schnell, mal zu langsam vergeht. In diesem genialen Werk des Balladenmeisters par excellence bringen die 6/8-Rhythmen die Zeit zum Tanzen.
Für den Heiligen Franziskus ist das Lied, das die Grille für Gott singt, gefälliger als die Psalmen. Loewe zaubert ein bezauberndes Zirpen in den hohen Diskant und entschwebt mit uns am Ende in den Himmel.
Der gefangene Admiral ist seit 33 Jahren in einem dunklen Turm eingesperrt, wo er das Meer, das er liebt, weder sehen noch hören kann. Seine Rufe an das Meer, »blau und heilig«, »tief dröhnend« und schließlich »Heldengrab«, sind bewegend in ihrer Weite und Erhabenheit.
Odin, König der Götter, lässt sein Pferd von einem Schmied beschlagen und reitet in den Krieg. Loewes Odins Meeresritt führt Schritt für Schritt zum rasanten Ende.
RICHARD STRAUSS
John Henry Mackay, der Dichter der Heimlichen Aufforderung , war ein Verfechter der Rechte von Homosexuellen; die Vertonung deutet auf ein militärisches Bankett hin, bei dem der homosexuelle Protagonist einen heimlichen Liebhaber zu sich in den Garten winkt. Strauss widmete diese Vertonung seiner Ehefrau, der Sopranistin Pauline de Ahna, und wechselt Musik, die wie Champagner sprudelt, mit ruhigeren Momenten ab, die mit den für Strauss typischen harmonischen Verschiebungen gefüllt sind.
Zueignung ist das erste Lied in Strauss’ erstem LiedOpus. Es beschwört zunächst die Leiden der Liebe, dann
die Freiheit des früheren Singledaseins und schließlich das Glück der erwiderten Liebe, wobei jede Strophe mit dem gleichen inbrünstigen Dank an die Geliebte endet und der Schluss in verzückte Lobgesänge gipfelt.
Im wunderschönen Allerseelen sehnt sich der Sänger danach, dass seine tote Geliebte zu ihm zurückkehrt, »wie einst im Mai«. Strauss’ hart errungene Gabe für exquisite Melodien kommt hier voll zur Geltung.
Der Dichter Richard Dehmel war mit Strauss’ Vertonung von Befreit nicht zufrieden; sie war seiner Meinung nach »ein wenig zu weich für das Gedicht«. Ein Liebender entlässt seine Geliebte in den Tod, von dem sie beide wissen, dass er kommen wird. Für diese etwas fragwürdige »Befreiung« hat Strauss ein Lied entwickelt, das sanft beginnt, sich aber zu einem Höhepunkt steigert, der, wenn schon nicht den wählerischen Dichter, so doch uns begeistern kann.
GUSTAV MAHLER
In Nicht Wiedersehen verabschiedet sich ein junger Mann von seiner Geliebten mit dem Versprechen, im Sommer wiederzukommen. Als er zurückkommt, ist es zu spät: Sie ist tot. Wir hören in dem Gedicht verschiedene Stimmen –den jungen Mann selbst, einen namenlosen Erzähler und die Person, die die tragische Nachricht überbringt – alle drei Personen werden in Mahlers herzzerreißendem Werk von einem einzigen Sänger dargestellt.
Der Komponist wuchs in Iglau (Jihlava, heute in der Tschechischen Republik) auf, wo die örtliche Garnison eine Militärkapelle unterhielt. Mahler verarbeitete diese Erinnerungen in Liedern wie Revelge , das mit allen möglichen militärischen Metaphern, Trommelwirbeln und Fanfaren gefüllt ist, die von Mahler’scher Dunkelheit in eine Geschichte des Todes verwandelt werden.
Ein tragischer Schweizer Wehrpflichtiger hört die alpine Melodie »Ranz des Vaches« in Zu Straßburg auf der Schanz und desertiert aus Heimweh, wird aber gefangen genommen und zum Tode verurteilt.
Noch mehr todessehnsüchtige Marschklänge erfüllen Der Tamboursg’sell , dessen Trommlerjunge zum Tod am Galgen verurteilt ist, den er sich lebhaft vor Augen führt.
Von der Beschwörung einer roten Rose zu Beginn (»O Röschen rot!«, das Symbol der Leidenschaft) bis zu den leidenschaftlichen Wiederholungen von Gottes Namen gegen Ende ist Urlicht eines der schönsten Lieder von Gustav Mahler.
Susan Youens (Übersetzung: IHWA)
Dieser Text entstand als Originalbeitrag für den Liederabend von Günther Groissböck und Julius Drake in der Wigmore Hall London im Dezember 2022. Wir danken der Autorin sowie der Wigmore Hall für die freundliche Genehmigung zum Wiederabdruck und zur Übersetzung. EINFÜHRUNG
PROMETHEUS
Bedecke deinen Himmel, Zeus, Mit Wolkendunst, Und übe, dem Knaben gleich, Der Disteln köpft,
An Eichen dich und Bergeshöhn; Musst mir meine Erde
Doch lassen stehn,
Und meine Hütte, die du nicht gebaut, Und meinen Herd, Um dessen Glut
Du mich beneidest.
Ich kenne nichts Ärmeres
Unter der Sonn’ als euch, Götter!
Ihr nähret kümmerlich
Von Opfersteuern
Und Gebetshauch
Eure Majestät, Und darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Toren.
Da ich ein Kind war, Nicht wusste wo aus noch ein, Kehrt’ ich mein verirrtes Auge
Zur Sonne, als wenn drüber wär’
Ein Ohr, zu hören meine Klage, Ein Herz wie mein’s,
Sich des Bedrängten zu erbarmen.
TEXTE
Wer half mir
Wider der Titanen Übermut?
Wer rettete vom Tode mich, Von Sklaverei?
Hast du nicht alles selbst vollendet, Heilig glühend Herz?
Und glühtest jung und gut, Betrogen, Rettungsdank
Dem Schlafenden da droben?
Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen?
Hast du die Tränen gestillet
Je des Geängsteten?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal, Meine Herrn und deine?
Wähntest du etwa, Ich sollte das Leben hassen, In Wüsten fliehen, Weil nicht alle Blütenträume reiften?
Hier sitz’ ich, forme Menschen Nach meinem Bilde, Ein Geschlecht, das mir gleich sei, Zu leiden, zu weinen, Zu genießen und zu freuen sich
Und dein nicht zu achten, Wie ich!
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)
GRENZEN DER MENSCHHEIT
Wenn der uralte, Heilige Vater
Mit gelassener Hand
Aus rollenden Wolken
Segnende Blitze
Über die Erde sä’t, Küss’ ich den letzten
Saum seines Kleides, Kindliche Schauer
Tief in der Brust.
Denn mit Göttern
Soll sich nicht messen
Irgend ein Mensch.
Hebt er sich aufwärts
Und berührt
Mit dem Scheitel die Sterne, Nirgends haften dann
Die unsichern Sohlen, Und mit ihm spielen Wolken und Winde.
Steht er mit festen,
Markigen Knochen
Auf der wohlgegründeten
Dauernden Erde;
Reicht er nicht auf,
Nur mit der Eiche
Oder der Rebe
Sich zu vergleichen.
Was unterscheidet
Götter von Menschen?
Dass viele Wellen
Vor jenen wandeln,
Ein ewiger Strom:
TEXTE
Uns hebt die Welle, Verschlingt die Welle, Und wir versinken.
Ein kleiner Ring
Begränzt unser Leben, Und viele Geschlechter Reihen sich dauernd An ihres Daseins Unendliche Kette.
Johann Wolfgang von Goethe
GANYMED D 544
Wie im Morgenglanze
Du rings mich anglühst, Frühling, Geliebter!
Mit tausendfacher Liebeswonne Sich an mein Herze drängt Deiner ewigen Wärme
Heilig Gefühl, Unendliche Schöne!
Dass ich dich fassen möcht’ In diesen Arm!
Ach, an deinem Busen Lieg’ ich und schmachte, Und deine Blumen, dein Gras Drängen sich an mein Herz. Du kühlst den brennenden Durst meines Busens, Lieblicher Morgenwind!
Ruft drein die Nachtigall Liebend mach mir aus dem Nebeltal. Ich komm’, ich komme!
Ach wohin, wohin?
Hinauf! strebt’s hinauf!
Es schweben die Wolken
Abwärts, die Wolken
Neigen sich der sehnenden Liebe.
Mir! Mir!
In euerm Schosse
Aufwärts!
Umfangend umfangen!
Aufwärts an deinen Busen, Alliebender Vater!
Johann Wolfgang von Goethe
MEMNON
Den Tag hindurch nur einmal mag ich sprechen, Gewohnt zu schweigen immer und zu trauern: Wenn durch die nachtgebor’nen Nebelmauern Aurorens Purpurstrahlen liebend brechen.
Für Menschenohren sind es Harmonien.
Weil ich die Klage selbst melodisch künde
Und durch der Dichtung Glut des Rauhe ründe, Vermuten sie in mir ein selig Blühen.
In mir, nach dem des Todes Arme langen, In dessen tiefstem Herzen Schlangen wühlen;
Genährt von meinen schmerzlichen
Gefühlen Fast wütend durch ein ungestillt Verlangen:
Mit dir, des Morgens Göttin, mich zu einen, Und weit von diesem nichtigen Getriebe, Aus Sphären edler Freiheit, aus Sphären reiner Liebe, Ein stiller, bleicher Stern herab zu scheinen.
Johann Mayrhofer (1787 – 1836)
TEXTE
AM STROME
Ist mir’s doch, als sei mein Leben An den schönen Strom gebunden; Hab’ ich Frohes nicht an seinem Ufer, Und Betrübtes hier empfunden?
Ja, du gleichest meiner Seele; Manchmal grün und glatt gestaltet, Und zu Zeiten herrschen Stürme Schäumend, unruhvoll, gefaltet.
Fließest zu dem fernen Meere, Darfst allda nicht heimisch werden; Mich drängt’s auch in mildre Lande, Finde nicht das Glück auf Erden.
Johann Mayrhofer
AUF DER DONAU
Auf der Wellen Spiegel schwimmt der Kahn, Alte Burgen ragen himmelan, Tannenwälder rauschen geistergleich, Und das Herz im Busen wird uns weich.
Denn der Menschen Werke sinken all’, Wo ist Turm, wo Pforte, wo der Wall, Wo sie selbst, die Starken, erzgeschirmt, Die in Krieg und Jagden hingestürmt?
Trauriges Gestrüppe wuchert fort, Während frommer Sage Kraft verdorrt: Und im kleinen Kahne wird uns bang, Wellen drohn wie Zeiten Untergang.
Johann Mayrhofer
DER SIEG
O unbewölktes Leben!
So rein und tief und klar!
Uralte Träume schweben
Auf Blumen wunderbar.
Der Geist zerbrach die Schranken, Des Körpers träges Blei; Er waltet groß und frei.
Es laben die Gedanken
An Edens Früchten sich; Der alte Fluch entwich.
Was ich auch je gelitten, Die Palme ist erstritten, Gestillet mein Verlangen.
Die Musen selber sangen
Die Schlang’ in Todesschlaf, Und meine Hand, sie traf.
Johann Mayrhofer
DER SCHIFFER D 536
Im Winde, im Sturme befahr’ ich den Fluss, Die Kleider durchweichet der Regen im Guss; Ich peitsche die Wellen mit mächtigem Schlag, Erhoffend mir heiteren Tag.
Die Wellen, sie jagen das ächzende Schiff, Es drohet der Strudel, es drohet der Riff, Gesteine entkollern den felsigen Höh’n, Und Tannen erseufzen wie Geistergestöh’n.
TEXTE
So musste es kommen, ich hab’ es gewollt, Ich hasse ein Leben behaglich entrollt; Und schlängen die Wellen den ächzenden Kahn, Ich priese doch immer die eigene Bahn.
Drum tose des Wassers ohnmächtige Zorn, Dem Herzen entquillet ein seliger Born, Die Nerven erfrischend, o himmlische Lust, Dem Sturme zu trotzen mit männlicher Brust!
Johann Mayrhofer CARL LOEWEDIE UHR
Ich trage, wo ich gehe, stets eine Uhr bei mir; Wieviel es geschlagen habe, genau seh ich an ihr. Es ist ein großer Meister, der künstlich ihr Werk gefügt,
Wenngleich ihr Gang nicht immer dem törichten Wunsche genügt.
Ich wollte, sie wäre rascher gegangen an manchem Tag; Ich wollte, sie hätte manchmal verzögert den raschen Schlag.
In meinen Leiden und Freuden, in Sturm und in der Ruh, Was immer geschah im Leben, sie pochte den Takt dazu.
Sie schlug am Sarge des Vaters, sie schlug an des Freundes Bahr, Sie schlug am Morgen der Liebe, sie schlug am Traualtar. Sie schlug an der Wiege des Kindes, sie schlägt, will’s Gott, noch oft, Wenn bessere Tage kommen, wie meine Seele es hofft.
Und ward sie auch einmal träger, und drohte zu stocken ihr Lauf,
So zog der Meister immer großmütig sie wieder auf.
Doch stände sie einmal stille, dann wär’s um sie geschehn,
Kein andrer, als der sie fügte, bringt die Zerstörte zum Gehn.
Dann müsst ich zum Meister wandern, der wohnt am Ende wohl weit,
Wohl draußen, jenseits der Erde, wohl dort in der Ewigkeit!
Dann gäb ich sie ihm zurücke mit dankbar kindlichem Flehn:
Sieh, Herr, ich hab nichts verdorben, sie blieb von selber stehn.
Johann Gabriel Seidl (1804 – 1875)
DER HEILIGE FRANZISKUS
Franziskus einst, der Heil’ge, saß Vor seiner Zell’ und Psalmen las.
Der Abend durch die Wipfel glüht, Als durch der Dämmrung Stille
Mit hellem Flügelschlag ihr Lied Ertönen lässt die Grille.
Gott preist das Grillchen für den Tau, Der es erquickt auf grüner Au
Der Heil’ge schlägt den Psalter zu; Denn schöner, wollt’s ihm scheinen, Ruf’ ihm das fromme Grillchen zu:
»Wie groß ist Gott im Kleinen!«
Ignaz Heinrich Freiherr von Wessenberg (1774 – 1860)


CASPAR DAVID FRIEDRICH (1774–1840)
Böhmische Landschaft, um 1808
TEXTE
DER GEFANGENE ADMIRAL OP. 115
’s sind heute dreiunddreißig Jahr,
Dass ich kein Segel sah,
Es steht der Turm unwandelbar, Die Kett’ ist ewig da.
Sie haben gemauert mich, den Delphin, In lichtlos Felsgestein
Und unerreichbar über ihn
Ein kleines Fensterlein.
Nicht dass ich fern von Licht und Tag, Macht mir das Herz so schwer,
Als dass ich dich nicht zu schau’n vermag, Du heiliges blaues Meer!
Ich höre nicht, wie die Brandung rollt Und keiner Möve Geschrill,
Und wenn die Kette nicht rasseln wollt’, Wär’ alles grabesstill.
Sie bauten fern vom Meer den Turm, Wo keine Woge prallt,
Kein Bootsmann pfeift und pfeift kein Sturm, Kein Schuss den Sturm durchschallt.
Nicht dass man in schweigende Nacht mich warf, Macht mir das Herz so schwer,
Als dass ich dich nicht hören darf, Du tiefaufdonnerndes Meer!
Mein greises Gebein ist schwer und leer, Mein Leib wird nimmer heil, Die Faust schwingt keine Lunte mehr Und nimmer das Enterbeil! –
Die große Flagge auf den Mast, Die Breitseit’ lasset seh’n, Und Jungens, wen auf’s Korn ihr fasst, Der Teufel hole den! –
Nicht dass ich verwelkt in Haft und Bann, Macht mir das Herz so schwer,
Als dass ich auf dir nicht fechten kann, Du kampferschüttertes Meer!
Drauf und dran geentert keck, Und feuert noch einmal!
Ha!, Schiff an Schiff und Deck an Deck, Und ich der Admiral!
O fiel’ ich doch im Kugelgezisch! Hier lieg’ ich siech und wund, Hinschmachtend wie im Sand ein Fisch Und sterbend wie ein Hund. Nicht dass ich sterbe Zoll um Zoll, Macht mir das Herz so schwer, Als dass ich auf dir nicht sterben soll, Du oft bezwungenes Meer.
Die Flügel hängt das Schiff im Leid, Ein schwarzes verwittwetes Weib, Die Flagge deckt als Sterbekleid Den toten Heldenleib.
Er sinkt ins Meer vom Schiffesrand, Das bebt voll heiliger Scheu. –Mich aber scharren sie in den Sand Und schießen nicht einmal dabei! Nicht dass mein Leben hier verrann, Macht mir das Herz so schwer, Als dass ich in dir nicht schlafen kann, Du Heldengrab, o Meer!
Moritz, Graf von Strachwitz (1822 – 1847)
ODINS MEERESRITT
Meister Oluf, der Schmied auf Helgoland, Verlässt den Amboss um Mitternacht. Es heulet der Wind am Meeresstrand, Da pocht es an seiner Türe mit Macht:
»Heraus, heraus, beschlag’ mir mein Ross, Ich muss noch weit, und der Tag ist nah!«
Meister Oluf öffnet der Türe Schloss, Und ein stattlicher Reiter steht vor ihm da.
Schwarz ist sein Panzer, sein Helm und Schild; An der Hüfte hängt ihm ein breites Schwert.
Sein Rappe schüttelt die Mähne gar wild Und stampft mit Ungeduld die Erd’!
»Woher so spät? Wohin so schnell?«
»In Norderney kehrt’ ich gestern ein.
Mein Pferd ist rasch, die Nacht is hell, Vor der Sonne muss ich in Norwegen sein!«
»Hättet Ihr Flügel, so glaubt’ ich’s gern!«
»Mein Rappe, der läuft wohl mit dem Wind. Doch bleichet schon da und dort ein Stern, Drum her mit dem Eisen und mach’ geschwind!«
Meister Oluf nimmt das Eisen zur Hand, Es ist zu klein, da dehnt es sich aus. Und wie es wächst um des Hufes Rand, Da ergreifen den Meister Bang’ und Graus.
Der Reiter sitzt auf, es klirrt sein Schwert:
»Nun, Meister Oluf, gute Nacht! Wohl hast du beschlagen Odin’s Pferd’; Ich eile hinüber zur blutigen Schlacht.«
Der Rappe schiesst fort über Land und Meer, Um Odin’s Haupt erglänzet ein Licht. Zwölf Adler fliegen hinter ihm her; Sie fliegen schnell, und erreichen ihn nicht.
Aloys Wilhelm Schreiber (1761 – 1841)