


Die Aufzeichnung der Konzerte wird durch die Volksbank Stuttgart unterstützt.
DER GANZE HUGO WOLF XIII & XIV
MI // 1. JUNI 2022 // 19.30 UHR
DER GANZE HUGO WOLF – KONZERT XIII
Großer Kursaal, Bad Cannstatt
Irina Jae-Eun Park Sopran
Marie Seidler Mezzosopran
Ludwig Mittelhammer Bariton
Jonathan Ware Klavier
MI // 8. JULI 2022 // 19.30 UHR
DER GANZE HUGO WOLF – KONZERT XIV
Vortragssaal, Staatsgalerie Stuttgart
Ronan Caillet Tenor
David Steffens Bass
Malte Schäfer Klavier
In Zusammenarbeit mit der Staatsgalerie Stuttgart
PROGRAMM KONZERT XIII (1.6.2022)
HUGO WOLF (1860–1903)
Beherzigung I (Goethe) ***
Meeresstille (Lenau) ***
Der Fischer (Goethe) *** Nacht und Grab (Zschokke) ***
Der goldene Morgen (Auerbach) *** Liedpate: anonym
Morgentau (anonym) *
Das Vöglein (Hebbel) *
Die Spröde (Goethe) *
Du milchjunger Knabe (Keller) *
Suschens Vogel (Mörike) *
Knabentod (Hebbel) **
Traurige Wege (Lenau) ** Verborgenheit (Mörike) **
Gretchen vor dem Andachtsbild (Goethe) * Lied vom Winde (Mörike) * Frage und Antwort (Mörike) *
Der Genesene an die Hoffnung (Mörike) **
Liedpate: Thomas Egler
Perlenfischer (Roquette) *
Stille Sicherheit (Lenau) ***
Scheideblick (Lenau) **
Auf der Wanderschaft (2. Fassung, Chamisso) ***
So wahr die Sonne scheinet (Rückert) **
Der Tambour (Mörike) ***
Liedpatin: Christa Tonnecker
IRINA JAE-EUN PARK, SOPRAN *
MARIE SEIDLER, MEZZOSOPRAN **
LUDWIG MITTELHAMMER, BARITON ***
JONATHAN WARE, KLAVIER
CORNELIA WEIDNER, MODERATION
EINFÜHRUNG KONZERT XIII (1.6.2022)
VOM ERWACHSENWERDEN EINES KOMPONISTEN − Hugo Wolfs Jugendkompositionen von Susan Youens
Es ist faszinierend, den Spuren von Komponisten in ihrer Jugend zu folgen: Wir sind erstaunt über das, was er oder sie als Teenager erschaffen konnte, amüsiert über alberne oder unbeholfene Momente, wundern uns darüber, wie sie von einem Lied zum nächsten wachsen und sich verändern. Inwiefern unterscheidet sich ihr Geschmack hinsichtlich der Dichtung, die sie für ihre Musik wählen, von dem ihrer erwachsenen Entscheidungen? Was können wir bereits von dem zukünftigen Erwachsenen sehen und hören? Wer hat sie beeinflusst?

Der junge Hugo Wolf
Wir hören in diesem Programm Dichter, die fast ausschließlich zu Wolfs Jugendzeit gehören (Lenau, Hebbel, Chamisso, Roquette, Zschokke); wir hören ebenso den Unterschied zwischen seinen ersten Begegnungen mit jemandem wie Goethe und Mörike und seinen wunderbaren späteren Vertonungen, als er eine musikalische Sprache beherrschte, wie sie kein anderer hatte. Wolf war schonungslos in seinen gekritzelten Randbemerkungen zu seinen eigenen frühen Werken (»Schrecklich! Zu sehr wie Schumann!«) – aber er bewahrte sie auf, vielleicht um die Entfernung zu messen, die er seit jenen Tagen zurückgelegt hatte, vielleicht aus anhaltender Verbundenheit mit seinen eigenen Schöpfungen, wie unreif sie auch sein mögen. Das Wundervolle an diesem fantastischen Programm ist, dass so viele seiner Lieder von jungen Menschen und jugendlichen Erfahrungen erzählen, ebenso wie es einen »Jungen Komponisten an der Arbeit« zeigt. Am Ende, nachdem wir Wolf durch mehr als ein Jahrzehnt musikalischer Entwicklung begleitet haben, von der Kindheit bis zum Erwachsensein, steht ein reifes Meisterwerk – über einen jungen Trommler, der seine Mutter vermisst.
Beherzigung I ist die Vertonung eines humorvoll-philosophischen Gedichts, das um 1777 für Goethes Singspiel Lila geschrieben wurde. Die Titelheldin verfällt in eine Art Wahnsinn, als sie einen Brief erhält, in dem ihr Mann, Baron Sternthal, für tot er -
klärt wird. Als die üblichen Behandlungsmethoden des 18. Jahrhunderts nicht anschlagen, tritt Doktor Verazio auf den Plan, der die Familie ein Theaterstück aufführen lässt, in dem ihr Mann von der Geisterwelt der Menschenfresser »befreit« wird. Als der »Magus« Lila zum ersten Mal erscheint, singt er »Feiger Gedanken« und rät ihr, stark zu sein und »weiblicher Schüchternheit und ängstlichem Zögern« zu widerstehen. Wolf begibt sich von Anfang an auf einen chromatischen Amoklauf, um die übernatürliche, für Normal sterbliche unverständliche Weisheit eines Magiers nachzuahmen, und endet mit einem Fortississimo-Aufruf an sie, Stärke zu zeigen; dann werden die Götter kommen.

Nikolaus Lenau (1802 – 1850)
Wolf brachte sich selbst das Komponieren von Liedern bei, indem er sich an Schumann und den Lieblingsdichtern seiner Vorgänger orientierte. Einer von ihnen, vor allem in dessen Spätwerk, war Nikolaus Lenau, dessen Meeresstille eine Antwort auf Goethes berühmtes gleichnamiges Gedicht sein könnte, in dem sich der in eine Flaute geratene Seemann mit Schrecken fragt, was unter der glasigen Oberfläche liegt. Lenaus Protagonist liebt die Stille des Meeres; nur das stille Meer kann uns die himmlische Musik der Sphären einflößen, kann die Seele dazu bringen, ihre eigenen Träume in sich klingen zu hören. Und doch steigt am Ende der Schrecken im Herzen auf, und der Protagonist schmiegt sich näher an ihre geheime Entrückung. Wolf bietet uns eine Parade von Standard-Begleitfiguren: marschartige Akkorde, laufende Triolen im Bass, den Herzschlag wiederholende Akkorde, Handkreuzungen und eher ungeschickte Experimente mit bizarren harmonischen Manövern (von G-Dur-Akkorden nach Es-Dur zu wechseln – für einen Takt! – ist für kosmische Musik vielleicht das überraschendste Beispiel).
Goethes berühmte kleine Ballade Der Fischer war nicht gerade selten und von durchaus namhaften Komponisten vertont worden (Johann Friedrich Reichardt, Hector Berlioz, Carl Loewe, Franz Schubert, Carl Friedrich Zelter u. a.), bevor der 15-jährige Wolf nur die erste achtzeilige Strophe vertonte und sich dabei nicht an das tragische Schicksal des Anglers herantraute: Es handelt sich um eines der bedeutendsten Beispiele des germanischen Wassermythos, aber mit einer Verdrehung. Die Wassernixe ist nicht nur die übliche Figur des todbringenden Eros, sondern eine Tierschützerin, die sich für das Leben ihrer
EINFÜHRUNG KONZERT XIII (1.6.2022)
Gefährten einsetzt: »Verschont den Fisch«, fleht sie, bevor sie den Fischer in die Tiefen des Wassers in den Tod zieht. Tremolos in der rechten Hand, schnelle Figuren im tiefen Bass, die sowohl flüssig als auch grollend sind, verraten uns von Anfang an, dass sich in den Wassertiefen etwas regt, das der Menschheit nicht wohlgesonnen ist.
Heinrich Zschokke, der Dichter von Nacht und Grab , war ein bekannter deutschstämmiger Reformer und Beamter in der Schweiz; in diesem bedachtsam moralisierenden Gedicht tröstet Zschokkes Sprecher die Lebenden, die um die Toten trauern, und sagt uns, dass die Lebenden, die schlafen, nur mit neuen Sorgen erwachen können, während den schlafenden Toten weiterer Kummer erspart bleibt. Konventionelle gebrochene Akkorde ziehen sich durch dieses Lied in zwei Strophen, diatonisch zunächst in todgeplagtem c-Moll, aber mit einer überreich gestalteten Stelle in der Mitte; Wolf kannte die Grundregeln der musikalischen Orthographie noch nicht. Es handelt sich um ein Lied, das offensichtlich von jemandem geschrieben wurde, der noch jung und ungeformt war, aber wir können erkennen, dass Wolf bereits ein harmonischer Experimentator sein wollte, dass »des Staubes Kinder« seine Anerkennung mit ein wenig musikalischer Farbe und Dramatik verlangte, wie ungeschickt sie auch zum Einsatz kam.
Ludwig Auerbach, der Dichter von Der goldene Morgen , ermahnt sich selbst, allen Kummer und alle Sorgen abzulegen und sich stattdessen an der Schönheit eines goldenen Morgens zu erfreuen. Zu diesem durch und durch konventionellen Thema schreibt Wolf ein leicht beschwingtes Lied, das fast ausschließlich diatonisch ist, bis auf eine ansteigende Folge innerer Erregung, in der die singenden Vögel, die klingenden Glocken und der blumige Duft in den »maiengrünen Höh’n« bejubelt werden. Wir können fast sehen, wie er im Nachspiel aus dem Blickfeld entschwindet.
Für die süße Hymne an den Morgentau im gleichnamigen Lied schrieb der 17-jährige Wolf ein eher Schubert’sches Lied − nicht der Schubert des Erlkönig und anderer virtuoser Lieder, sondern der Schubert der lieblichen Frühlingslieder. Diatonisch, aber mit kleinen chromatischen Einsprengseln versehen, lässt sich dieses (leicht) variierte Strophenlied durch Wolfs dreifache Anweisung an die Interpreten zusammenfassen: »zart«.
»Wie man einen Vogel fängt« könnte der Untertitel zu Hebbels zarter, spitzbübischer Bagatelle Das Vöglein lauten, oder besser gesagt, worauf man achten muss, wenn sich die Vogelkreatur jedem Versuch, sie zu fangen, entzieht. Wolf verwandelt das Klavier − zur Freude aller − in einen zart zwitschernden, trillernden, hüpfenden, auf und nieder
fliegenden Vogel. Komponisten haben sich seit dem Mittelalter an Vogelimitationen erfreut, und der junge Wolf reiht sich hier in ihre Reihe ein.
Mit Die Spröde hören wir den ersten Teil von Goethes charmanter Variation über neo-anakreontische Hirten und Hirtinnen; die Antwort ist Die Bekehrte , in der die Hirtin, die in Die Spröde alle ihre Verehrer verschmäht, sich in Damon verliebt − eine Bekehrung zur Liebe, aber nicht gerade glücklich. Eine synkopierte Variante eines pastoralen Dudelsack-Parts für die linke Hand erklingt unter dem kristallinen Klingspiel der rechten Hand, während kleine Andeutungen von Moll-Tonarten das unausweichliche Ende solcher Unbekümmertheit im Angesicht der gewaltigen Macht von Eros andeuten.
Du milchjunger Knabe erscheint im Zyklus Von Weibern − Alte Lieder des großen Schweizer Schriftstellers Gottfried Keller in seinen Neueren Gedichten . Wir kennen diese Worte am besten aus Brahms’ Vertonung op. 86 aus dem Jahr 1878, aber Wolfs Lied aus dem Jahr 1890 verdient es, besser bekannt zu sein, als es ist. In der Klaviereinleitung können wir die schüchternen, wiederholten Blicke des jungen Knaben auf Therese fast sehen − erst nach oben, dann nach unten. Wenn die erfahrenere Frau, die er verehrt, fragt, welche Art von Frage seine Augen stellen (sie weiß es ganz genau), sind wir zu Anzeichen einer anderen Tonart, eines anderen Ortes in den Gedanken übergegangen. Am Ende, wenn sie ihm sagt, er solle sich ein Schneckenhaus ans Ohr halten, um eine Geschichte zu hören, neckt sie ihn ganz offen, und Wolf umgibt ihre frühere Musik mit anmutigen Nadelstichen, luftigen Figuren und getrillerter (sanfter) Bosheit.

Am Weihnachtsabend des Jahres 1880 hatte der 20-jährige Wolf eine schicksalhafte Begegnung: seine erste Vertonung eines Gedichts von Eduard Mörike, dem Dichter, mit dem sein Name für immer verbunden ist. Suschens Vogel ist ein anspruchsvolles Gedicht im volkstümlichen Stil über ein untreues Mädchen und ihr Rotkehlchen − das Symbol des Dichters für ein liebendes Herz. Als das Rotkehlchen den Jungen sieht, der von dem Mädchen betrogen wurde, fliegt es zu ihm. »Nun habe ich mein Herz wieder«, sagt er dem Mädchen, das sich weinend davonschleicht (und es ist sie, die diese Geschichte erzählt). Mörike, der durch eine Affäre mit einer schönen Schweizer Vagabundin im Alter von neunzehn Jahren für sein Leben gezeichnet war, schuf Gedichte, die
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sich mit den Themen Verlassenwerden und Verrat in der Liebe auseinandersetzen. Wolf geht mit wunderbaren bildhaften Gesten ans Werk, mit der Nachahmung von Vogelstimmen, dem Flug des Rotkehlchens von dem Mädchen zu dem Jungen und den wunderbaren Dissonanzen, die die anklagenden Worte des Jungen darstellen, die ihr (und uns) zu Ohren kommen.
Friedrich Hebbel wurde als Autor realistischer Tragödien gefeiert, und sein Knabentod ist eine mundgerechte Tragödie: Ein Junge steigt in der Hitze des Sommers einen Berg hinab. Durstig trinkt er aus einem Bach, rutscht aber aus, fällt hinein und ertrinkt. Wolf beginnt mit stampfenden Blockakkorden, doch je näher die Katastrophe rückt, desto wilder wird er mit Klavierfiguren, die stampfen, hämmern, ausrutschen und fallen, und einer Gesangsstimme, die wie eine Bergziege springt und gelegentlich auch schreit.
Nikolaus Lenaus unverkennbare Melancholie zeigt sich in Traurige Wege , wo sowohl die mannigfaltige Schönheit der Natur (der grüne Wald, der Fluss, der Gesang der Vögel, das Spiegelbild des Mondes im Wasser) als auch die Freuden der Menschheit (die Liebe, glückliche Gefährten) in krassem Gegensatz zu dem unglücklichen Sänger und seiner Geliebten stehen. Wo auch immer sie hingehen, ob in den grünen Wald oder auf den Friedhof, es ist kein Glück möglich. Es ist ein Szenario, das wie geschaffen ist für den Kontrast von Moll und kontrastierenden Passagen in parallelem Dur, obwohl man die extreme Spannung der ansteigenden chromatischen Linie im Klavier bemerkt, die die diatonische Gesangsphrase im kurzlebigen Dur überlagert. Wir befinden uns auf dem Weg zurück in dunklere Gefilde.
Irgendwann zwischen seinem letzten Heine-Lied im Januar und dem ersten der MörikeLieder von 1888 Mitte Februar vollzog sich eine Veränderung: Wolf selbst konnte seine plötzliche kompositorische Reife im Alter von 28 Jahren kaum begreifen, aber es hatte sicherlich etwas mit seiner Wahlverwandtschaft zu Mörike zu tun. Allerdings war Wolf nicht erfreut, als Verborgenheit für viele Musiker zum Lied der Wahl aus seinem Mörike-Band wurde; er hielt es nicht für das beste Lied der Sammlung. Aber es gibt Gründe dafür, dass bestimmte Lieder zu beliebten Klassikern werden, und wir können über seine Mäkelei getrost hinwegsehen. Die seufzenden Figuren, die in der Einleitung widerhallen; ein von der Liebe schrecklich verbrannter Dichter, der darum bettelt, dass sie und die Welt ihn in Ruhe lassen mögen; der Anstieg zu neowagnerianischer Ekstase, als ein Strahl (sicherlich künstlerischer) Freude die Traurigkeit durchdringt − wer würde darauf verzichten wollen?

Gretchen vor dem Andachtsbild der Mater dolorosa ist die gesamte Szene mit dem Titel »Zwinger« in Goethes Faust, Teil I , in der das schwangere Gretchen das Bild der Mater dolorosa am Fuße des Kreuzes anfleht, sie vor Schande und Tod zu retten. Wir können Goethes wunderbare Terzettstrophen, zwei sich reimende kurze Zeilen und eine längere Schlusszeile, nicht ohne weiteres erkennen, da die Musik alle Poesie in Prosa verwandelt, aber Wolf macht diesen Verlust einer schön konzipierten poetischen Form mit chromatischer Verzweiflung in einer Welle nach der anderen von quasi wagnerianischem Aufruhr wieder wett.
Johann Heinrich Ramberg (1763−1840): Gretchen vor der Mater dolorosa, 1829
Der menschliche Sprecher im Lied vom Winde fragt zunächst die Sturmwinde, wo ihre Heimat ist, um dann zu erfahren, dass sie es selbst nicht wissen, und fragt dann, wo die Heimat der Liebe ist. Aber die Liebe ist wie der Wind, ewig, oft unbeständig; ihr Anfang und ihr Ende liegen jenseits des menschlichen Wissens. Die wunderbaren sturmgepeitschten Winde des Klaviers machen das stundenlange Üben von chromatischen Tonleitern und Tremolofiguren für jeden Pianisten lohnenswert; dass die Figuration oft gedämpft ist, sagt uns, dass dieser Sturm im menschlichen Herzen tobt. Und die Ursprünge der Liebe sind einmal mehr das Thema von Frage und Antwort , wobei der Dichter im innersten Zwiegespräch mit sich selbst fragt, woher »diese schüchterne Liebe« herkommt, und mit Analogien zu den unaufhaltsamen Kräften der Natur antwortet. Das Ende ist von überragender Schönheit.
In unserer letzten Gruppe von Liedern umrahmen zwei Mörike-Meisterwerke aus dem Jahr 1888 fünf Lieder, die zehn Jahre zuvor komponiert wurden. Wolf hat die Reihenfolge seiner Anthologien sorgfältig zusammengestellt. Der Genesene an die Hoffnung leitet den gesamten Band mit einer sehr persönlichen Ode an die Hoffnung ein. Ging es dem Dichter um die Genesung von der Krankheit, so war Wolfs Thema die Dankbarkeit für die Überwindung der kompositorischen Blockade, der Band der MörikeLieder wahrlich ein glorreiches Ende der Belagerung. Das Lied beginnt tief in Abgeschlagenheit und Krankheit, aus dem Bass nach oben kriechend; als die Hoffnung das Haupt des lyrischen Ichs in ihrem Schoße wiegt, nimmt die Bewegung zu, und
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schließlich erreichen wir in Takt 15 eine erste Kadenzauflösung. Im tief bewegenden Rest des Liedes bittet der Dichter die Hoffnung um Verzeihung dafür, dass er sie vergessen hat, und bittet auch darum, ihr »mondenhelle[s] Angesicht« zu sehen und in ihre Umarmung eingehüllt zu werden.
Man kann sich nicht vorstellen, dass der ältere Wolf einem sentimental-oberflächlichen Gedicht wie Perlenfischer von Otto Roquette die Ehre gegeben hätte, aber im Mai 1876 diente es ihm zu diesem konventionellen, meist diatonischen Lied. Man schmunzelt ein wenig über seine ausgesprochen ungeschickten Versuche, die Deklamation am Ende der ersten Strophe zu variieren, bevor er für die zweite Strophe zu einer viertaktigen Phrasierung und einer sanfteren Prosodie zurückkehrt. Stille Sicherheit ist eine weitere Lenau-Vertonung eines Gedichts, das vielen im Lied op. 10, Nr. 2 von Robert Franz bekannt ist. Wolf läutet zu Beginn die »Abendglocke« in der ostinaten Mittelstimme der rechten Hand über einem feierlichen Abstieg in den Bass; kurz darauf verstummt die Glocke, sodass der Liebende in der verzauberten Stille seine Liebe gestehen kann. Seine Erregung, so ehrfürchtig und zurückhaltend sie auch sein mag, ist in den ansteigenden Gesangslinien und den schnelleren Gesangsrhythmen gegen Ende zu spüren. Scheideblick ist ein weiteres Lenau-Lied, das zur gleichen Zeit komponiert wurde (gegen Ende 1876); die äußerste Sparsamkeit dieses schmerzlichen Abschieds von der Geliebten, ohne die Möglichkeit einer Rückkehr, wird zu einem langsamen − der Liebhaber zögert, das »Wonnemeer« des Blicks seiner Geliebten zu brechen − akkordischen Lied. Das Klavier muss die Schlusskadenz mit seiner evokativen Dissonanz vervollständigen. Dies sollte zu einem stilistischen Fingerabdruck Wolfs werden.
Wolf schrieb zwei Versionen von Adelbert von Chamissos Auf der Wanderschaft mit seinem Kontrast zwischen einem traurigen, liebeskranken Wanderer und den Vögeln, die keinen solchen Kummer kennen. In der ersten Fassung hören wir einen Trauermarsch (die Anfangsphrase deutet auf unheimliche Weise den Beginn von Mahlers Wenn mein Schatz Hochzeit macht aus den Liedern eines fahrenden Gesellen an), aber die zweite Fassung nimmt weitgehend die gleichen Harmonien, einschließlich des Schubert’schen Moll-Dur-Kontrasts, und macht sie fröhlicher. Die Vögel zwitschern vergnügt vor sich hin, auch wenn der Wanderer sie anfangs durch ein Moll-Geflecht hört.
Friedrich Rückert beherrschte rund dreißig orientalische Sprachen und war ein geschickter Übersetzer, aber auch selbst ein produktiver Dichter. So wahr die Sonne scheinet ist eines seiner eigenen Ghazale, eine mittelalterliche persische Versform mit
einem Refrain (hier die unsterblichen, einfachen Worte der Liebe »du liebst mich, wie ich dich, / dich lieb’ ich, wie du mich«) und, in diesem Fall, gereimten Couplets. Robert Schumann hatte denselben Text als Duett in seinen und Clara Schumanns Gedichten aus Liebesfrühling op. 37 und als Vokalquartett in seinem Minnespiel op. 101 , Nr. 8 vertont. Wolfs zart wiegende herabfallende Figuration im Klavier, seine aufeinanderfolgenden, schwebenden Septimenintervalle im Refrain, die Wahl der As-DurTonart, die Schubert mit gegenseitiger Liebe assoziiert hatte, die Suspensionen über den Taktstrichen im beschwörenden Vorspiel: Wenn es auch nicht Wolfs reifer Stil ist, so ist es doch schön.
Unser letztes Lied ist jedoch ganz sicher Wolfs reifer Stil in all seiner lebendigen Besonderheit. Jungen und Soldaten sind oft (immer?) hungrig: Der deutsche Trommlerjunge, der in Mörikes Rollenlied Der Tambour in Frankreich im Krieg ist, phantasiert, wenn seine Mutter nur eine Hexe wäre, könnte sie zuhauf im Überfluss Dinge verwandeln. Seine Trommel wäre eine mit Sauerkraut gefüllte Schüssel, sein Säbel eine Wurst, sein Tschako ein Lager für guten roten Burgunderwein − erst als er seine Geliebte vermisst, enden die Essensfantasien und der Junge klagt. 1888, als er die Meisterschaft erlangt hat, schwelgt Wolf in all den punktgenauen musikalischen Details, die so charakteristisch für ihn sind. Mahler war nicht der Einzige, der »militärische Nocturnes« schreiben konnte: Dieses hier ist voll von Trommelwirbeln, anmutigen Musikparaden, punktierten Rhythmen und polternden Trillern. Wolfs unverkennbarer Sinn für Humor ist wunderbar offensichtlich: Der bloße Gedanke an Sauerkraut ruft entzückend-wehmütige Tänze hervor, während die zu Messern und Gabeln umfunktionierten Trommelstöcke zu pompösem Fortissimo antreiben. Das Klagelied – »Ach weh! Ach! weh! weh!« – wird mit jedem absteigenden chromatischen Schluchzen lauter. Im Nachspiel hören wir, wie seine Träume schwinden und in einem von Wolfs klassischen »verklingenden« Schlüssen absterben.
ABBILDUNGEN KONZERT XIII
S. 6: Der junge Hugo Wolf. Internationale Hugo-Wolf-Akademie.
S. 7: Nikolaus Lenau, 1847. Lithographische Kunstanstalt v. J. G. Bach, Leipzig.
S. 9: Bonaventura Weiß: Eduard Mörike, 1851. Lithographie.
S. 11: Johann Heinrich Ramberg (1763−1840): Gretchen vor der Mater dolorosa, 1829. 13,2 x 9,1 cm, Feder und Pinsel in Grau und Schwarz. Stichvorlage zu »Minerva«, Jg. 21, Freies Deutsches Hochstift/Frankfurter Goethe-Museum.
TEXTE KONZERT XIII (1.6.2022)
BEHERZIGUNG I
Feiger Gedanken
Bängliches Schwanken, Weibisches Zagen, Ängstliches Klagen
Wendet kein Elend, Macht dich nicht frei.
Allen Gewalten
Zum Trutz sich erhalten, Nimmer sich beugen, Kräftig sich zeigen, Rufet die Arme
Der Götter herbei!
Johann Wolfgang von Goethe (1749−1832)
MEERESSTILLE
Sturm mit seinen Donnerschlägen
Kann mir nicht wie du So das tiefste Herz bewegen, Tiefe Meeresruh!
Du allein nur konntest lehren
Uns den schönen Wahn
Seliger Musik der Sphären, Stiller Ozean!
Nächtlich Meer, nun ist dein Schweigen
So tief ungestört,
Dass die Seele wohl ihr eigen Träumen klingen hört;
Dass im Schutz geschloss’nen Mundes, Doch mein Herz erschrickt,
Das Geheimnis heil’gen Bundes Fester an sich drückt.
Nikolaus Lenau (1802−1850)
DER FISCHER
Das Wasser rauscht’, das Wasser schwoll,
Ein Fischer saß daran,
Sah nach dem Angel ruhevoll, Kühl bis ans Herz hinan.
Und wie er sitzt und wie er lauscht, Teilt sich die Flut empor;
Aus dem bewegten Wasser rauscht Ein feuchtes Weib hervor.
Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm: Was lockst du meine Brut Mit Menschenwitz und Menschenlist Hinauf in Todesglut?
Ach wüsstest du, wie’s Fischlein ist So wohlig auf dem Grund, Du stiegst herunter wie du bist Und würdest erst gesund.
Labt sich die liebe Sonne nicht, Der Mond sich nicht im Meer?
Kehrt wellenatmend ihr Gesicht Nicht doppelt schöner her?
Lockt dich der tiefe Himmel nicht, Das feuchtverklärte Blau?
Lockt dich dein eigen Angesicht Nicht her in ew’gen Tau?
Das Wasser rauscht’, das Wasser schwoll,
Netzt’ ihm den nackten Fuß;
Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll
Wie bei der Liebsten Gruß.
Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm; Da war’s um ihn geschehn:
Halb zog sie ihn, halb sank er hin, Und ward nicht mehr gesehn.
Johann Wolfgang von Goethe
NACHT UND GRAB
Sei mir gegrüßt, o schöne Nacht
In deiner hehren Sternenpracht!
Mit weichen Händen bietest du Des Staubes Kindern deine Ruh.
O Brüder, schlummert sanft den süßen Schlummer;
Ein neuer Tag weckt euch zu neuem Kummer.
Auch in den stummen Gräbern ihr, Ruht sanft von eurer Arbeit hier.
Vergessenheit ist euer Los, Und euer Obdach dieses Moos.
O Brüder, schlummert sanft des Todes Schlummer,
Kein neuer Tag weckt euch zu neuem Kummer.
Heinrich Zschokke (1771−1848)
DER GOLDENE MORGEN
Golden lacht und glüht der Morgen
Über maiengrünen Höh’n,
Und die Seele bricht voll Sorgen,
Und die Welt ist doch so schön!
Vöglein singen, Glocken schlagen, Blütenduft durchzieht das Land.
Wirf dein Klagen und dein Zagen
Ganz, in diesen Freudenbrand!
Ludwig Auerbach (1840−1882)
MORGENTAU
Der Frühhauch hat gefächelt
Hinweg die schwüle Nacht, Die Flur holdselig lächelt
In ihrer Lenzespracht;
Mild singt vom dunkeln Baume
Ein Vöglein in der Früh,
Es singt noch halb in Traume
Gar süße Melodie.
Die Rosenknospe hebet
Empor ihr Köpfchen bang, Denn wundersam durchbebet
Hat sie der süße Sang;
Und mehr und mehr enthüllet
Sich ihrer Blätter Füll’, Und eine Träne quillet Hervor so heimlich still.
Anonymus
DAS VÖGLEIN
Vöglein vom Zweig Gaukelt hernieder; Lustig sogleich
Schwingt es sich wieder.
TEXTE KONZERT XIII (1.6.2022)
Jetzt dir so nah, Jetzt sich versteckend; Abermals da, Scherzend und neckend.
Tastest du zu, Bist du betrogen, Spottend im Nu Ist es entflogen.
Still! Bis zur Hand Wird’s dir noch hüpfen, Bist du gewandt, Kann’s nicht entschlüpfen.
Ist’s denn so schwer
Das zu erwarten?
Schau’ um dich her: Blühender Garten!
Ei, du verzagst?
Lass’ es gewähren, Bis du’s erjagst, Kannst du’s entbehren.
Wird’s doch auch dann Wenig nur bringen, Aber es kann Süßestes singen.
Friedrich Hebbel (1813−1863)
DIE SPRÖDE
An dem reinsten Frühlingsmorgen
Ging die Schäferin und sang, Jung und schön und ohne Sorgen,
Dass es durch die Felder klang, So la la! Le ralla.
Thyrsis bot ihr für ein Mäulchen
Zwei, drei Schäfchen gleich am Ort, Schalkhaft blickte sie ein Weilchen; Doch sie sang und lachte fort, So la la! Le ralla.
Und ein Andrer bot ihr Bänder, Und der Dritte bot sein Herz; Doch sie trieb mit Herz und Bändern So wie mit den Lämmern Scherz, Nur la la! Le ralla.
Johann Wolfgang von Goethe
DU MILCHJUNGER KNABE
Du milchjunger Knabe, Wie siehst du mich an? Was haben deine Augen Für eine Frage getan!
Alle Ratsherrn in der Stadt
Und alle Weisen der Welt Bleiben stumm auf die Frage, Die deine Augen gestellt!
Ein leeres Schneckhäusel, Schau, liegt dort im Gras: Da halte dein Ohr dran, Drin brümmelt dir was!
Gottfried Keller (1819−1890)
SUSCHENS VOGEL
Ich hatt’ ein Vöglein, ach wie fein!
Kein schöners mag wohl nimmer sein:
Hätt’ auf der Brust ein Herzlein rot, Und sung und sung sich schier zu Tod.
Herzvogel mein, du Vogel schön, Nun sollst du mit zu Markte gehn! −
Und als ich in das Städtlein kam, Er saß auf meiner Achsel zahm;
Und als ich ging am Haus vorbei
Des Knaben, dem ich brach die Treu’,
Der Knab’ just aus dem Fenster sah, Mit seinem Finger schnalzt er da:
Wie horchet gleich mein Vogel auf! Zum Knaben fliegt er husch! hinauf;
Der koset ihn so lieb und hold, Ich wusst’ nicht, was ich machen sollt’,
Und stund, im Herzen so erschreckt, Mit Händen mein Gesichte deckt’,
Und schlich davon und weinet’ sehr, Ich hört’ ihn rufen hinterher:
»Du falsche Maid, behüt’ dich Gott, Ich hab’ doch wieder mein Herzlein rot!«
Eduard Mörike (1804−1875)
KNABENTOD
Vom Berg, der Knab, Der zieht hinab
In heißen Sommertagen; Im Tannenwald, Da macht er halt, Er kann sich kaum noch tragen.
Den wilden Bach, Er sieht ihn jach
Ins Tal herunter schäumen; Ihn dürstet sehr, Nun noch viel mehr: Nur hin! Wer würde säumen!
Da ist die Flut!
O, in der Glut, Was kann so köstlich blinken! Er schöpft und trinkt, Er stürzt und sinkt Und trinkt noch im Versinken!
Friedrich Hebbel
TRAURIGE WEGE
Bin mit dir im Wald gegangen; Ach! Wie war der Wald so froh!
Alles grün, die Vögel sangen, Und das scheue Wild entfloh.
Wo die Liebe frei und offen Rings von allen Zweigen schallt, Ging die Liebe ohne Hoffen Traurig durch den grünen Wald.
TEXTE KONZERT XIII (1.6.2022)
Bin mit dir am Fluss gefahren; Ach! Wie war die Nacht so mild!
Auf der Flut, der sanften, klaren, Wiegte sich des Mondes Bild.
Lustig scherzten die Gesellen; Unsre Liebe schwieg und sann, Wie mit jedem Schlag der Wellen Zeit und Glück vorüberrann.
Graue Wolken niederhingen, Durch die Kreuze strich der West, Als wir einst am Kirchhof gingen; Ach! Wie schliefen sie so fest!
An den Kreuzen, an den Steinen Fand die Liebe keinen Halt; Sahen uns die Toten weinen, Als wir dort vorbeigewallt?
Nikolaus Lenau
VERBORGENHEIT
Lass, o Welt, o lass mich sein!
Locket nicht mit Liebesgaben, Lasst dies Herz alleine haben
Seine Wonne, seine Pein!
Was ich traure, weiß ich nicht, Es ist unbekanntes Wehe; Immerdar durch Tränen sehe Ich der Sonne liebes Licht.
Oft bin ich mir kaum bewusst, Und die helle Freude zücket
Durch die Schwere, so mich drücket, Wonniglich in meiner Brust.
Lass, o Welt, o lass mich sein! Locket nicht mit Liebesgaben, Lasst dies Herz alleine haben
Seine Wonne, seine Pein!
Eduard Mörike
GRETCHEN VOR DEM ANDACHTSBILD
Ach neige, Du Schmerzenreiche, Dein Antlitz gnädig meiner Not!
Das Schwert im Herzen, Mit tausend Schmerzen Blickst auf zu deines Sohnes Tod.
Zum Vater blickst du, Und Seufzer schickst du Hinauf um sein’ und deine Not.
Wer fühlet, Wie wühlet
Der Schmerz mir im Gebein?
Was mein armes Herz hier banget, Was es zittert, was verlanget, Weißt nur du, nur du allein!
Wohin ich immer gehe, Wie weh, wie weh, wie wehe Wird mir im Busen hier!
Ich bin, ach, kaum alleine, Ich wein’, ich wein’, ich weine, Das Herz zerbricht in mir.
Die Scherben vor meinem Fenster
Betaut’ ich mit Tränen, ach!
Als ich am frühen Morgen
Dir diese Blumen brach.
Schien hell in meine Kammer
Die Sonne früh herauf, Saß ich in allem Jammer
In meinem Bett schon auf.
Hilf! Rette mich von Schmach und Tod!
Ach neige, Du Schmerzenreiche, Dein Antlitz gnädig meiner Not!
Johann Wolfgang von Goethe
LIED VOM WINDE
Sausewind, Brausewind,
Dort und hier!
Deine Heimat sage mir!
»Kindlein, wir fahren
Seit viel vielen Jahren
Durch die weit weite Welt, Und möchten’s erfragen, Die Antwort erjagen, Bei den Bergen, den Meeren, Bei des Himmels klingenden Heeren:
Die wissen es nie.
Bist du klüger als sie, Magst du es sagen. − Fort, wohlauf!
Halt uns nicht auf!
Kommen andre nach, unsre Brüder, Da frag wieder!«
Halt an! Gemach, Eine kleine Frist!
Sagt, wo der Liebe Heimat ist, Ihr Anfang, ihr Ende?
»Wer’s nennen könnte!
Schelmisches Kind, Lieb’ ist wie Wind, Rasch und lebendig, Ruhet nie, Ewig ist sie, Aber nicht immer beständig.
− Fort! Wohlauf! Auf!
Halt uns nicht auf!
Fort über Stoppel und Wälder und Wiesen!
Wenn ich dein Schätzchen seh’, Will ich es grüßen.
Kindlein, ade!«
Eduard Mörike
FRAGE UND ANTWORT
Fragst du mich, woher die bange
Liebe mir zum Herzen kam, Und warum ich ihr nicht lange
Schon den bittern Stachel nahm?
Sprich, warum mit Geisterschnelle
Wohl der Wind die Flügel rührt, Und woher die süße Quelle
Die verborgnen Wasser führt?
Banne du auf seiner Fährte
Mir den Wind in vollem Lauf!
TEXTE KONZERT XIII (1.6.2022)
Halte mit der Zaubergerte
Du die süßen Quellen auf!
Eduard Mörike
DER GENESENE AN DIE HOFFNUNG
Tödlich graute mir der Morgen:
Doch schon lag mein Haupt, wie süß!
Hoffnung, dir im Schoß verborgen, Bis der Sieg gewonnen hieß, Opfer bracht’ ich allen Göttern, Doch vergessen warest du; Seitwärts von den ew’gen Rettern Sahest du dem Feste zu.
O, vergib, du Vielgetreue!
Tritt aus deinem Dämmerlicht, Dass ich dir ins ewig neue, Mondenhelle Angesicht
Einmal schaue, recht von Herzen, Wie ein Kind und sonder Harm; Ach, nur einmal ohne Schmerzen schließe mich in deinen Arm!
Eduard Mörike
PERLENFISCHER
Du liebes Auge, willst dich tauchen, In meines Augs geheimster Tiefe, Zu späh’n, wo in blauen Gründen Verborgen eine Perle schliefe?
Du liebes Auge, tauche nieder, Und in die klare Tiefe dringe Und lächle, wenn ich dir dies Bild Als schönste Perle wiederbringe.
Otto Roquette (1824−1896)
STILLE SICHERHEIT
Horch, wie still es wird im dunklen Hain, Mädchen, wir sind sicher und allein.
Still versäuselt hier am Wiesenhang Schon der Abendglocke müder Klang.
Auf den Blumen, die sich dir verneigt, Schlief das letzte Lüftchen ein und schweigt.
Sagen darf ich dir, wir sind allein, Dass mein Herz ist ewig, ewig dein.
Nikolaus Lenau
SCHEIDEBLICK
Als ein unergründlich Wonnemeer
Strahlte mir dein tiefer Seelenblick; Scheiden musst’ ich ohne Wiederkehr, Und ich habe scheidend all’ mein Glück Still versenkt in dieses tiefe Meer.
Nikolaus Lenau
AUF DER WANDERSCHAFT
Wohl wandert’ ich aus in trauriger Stund, Es weinte die Liebe so sehr.
Der Fuß ist mir lahm, die Schulter mir wund,
Das Herz, das ist mir so schwer.
Was singt ihr, ihr Vögel, im Morgenlicht?
Ihr wisst nicht, wie Scheiden tut!
Es drücken euch Sorgen und Schuhe nicht;
Ihr Vögel, ihr habt es gut!
Adelbert von Chamisso (1781−1838)
SO WAHR DIE SONNE SCHEINET
So wahr die Sonne scheinet, So wahr die Wolke weinet, So wahr die Flamme sprüht, So wahr der Frühling blüht; So wahr hab’ ich empfunden, Wie ich dich halt’ umwunden:
Du liebst mich, wie ich dich, Dich lieb’ ich, wie du mich.
Die Sonne mag verscheinen, Die Wolke nicht mehr weinen, Die Flamme mag versprühn, Der Frühling nicht mehr blühn!
Wir wollen uns umwinden
Und immer so empfinden; Du liebst mich, wie ich dich, Dich lieb’ ich, wie du mich.
Friedrich Rückert (1788−1866)
DER TAMBOUR
Wenn meine Mutter hexen könnt, Da müsst’ sie mit dem Regiment, Nach Frankreich, überall mit hin, Und wär die Marketenderin.
Im Lager, wohl um Mitternacht, Wenn niemand auf ist als die Wacht, Und alles schnarchet, Ross und Mann, Vor meiner Trommel säß’ ich dann: Die Trommel müsst’ eine Schüssel sein, Ein warmes Sauerkraut darein, Die Schlegel Messer und Gabel, Eine lange Wurst mein Sabel, Mein Tschako wär’ ein Humpen gut, Den füll’ ich mit Burgunderblut. Und weil es mir an Lichte fehlt, Da scheint der Mond in mein Gezelt; Scheint er auch auf Franzö’sch herein, Mir fällt doch meine Liebste ein: Ach weh! Jetzt hat der Spaß ein End! Wenn nur meine Mutter hexen könnt!
Eduard Mörike
MITWIRKENDE KONZERT XIII (1.6.2022)

IRINA JAE-EUN PARK Sopran
Die Sopranistin Irina Jae-Eun Park schloss 2010 ihr Bachelorstudium im Fach Gesang bei Prof. Myoungja Yoon an der EWHA Frauen-Universität in Seoul/Südkorea ab. Anschließend setzte sie ihre Gesangsausbildung bei KS Prof. Peter Maus an der Universität der Künste Berlin fort und beendete 2014 erfolgreich ihr Masterstudium im Fach Lied/Oratorium/Konzert sowie 2016 im Fach Oper, ebenfalls bei KS Prof. Peter Maus. Anschließend folgte das Aufbaustudium Konzertexamen/Meisterklasse mit Schwerpunkt Opernstudio bei Prof. Angela Nick an der Hochschule für Musik Freiburg.
Irina Jae-Eun Park erhielt den Bärenreiter-Urtext-Preis beim 64. Internationalen Musikwettbewerb der ARD in München, errang 2016 den 3. Preis beim 8. Internationalen Lions Gesangswettbewerb der Festspiele Immling und wurde Finalistin beim 8. Europäischen Gesangswettbewerb DEBUT in Bad Mergentheim. Sie war u. a. zu hören als Susanna in Mozarts Le Nozze di Figaro (2010, Seoul), als Contessa in Sartis Fra i due litiganti il terzo gode (2015, Berlin) und in der Titelpartie in Reimanns Melusine (2016, Berlin). Von 2016 bis 2018 war sie Mitglied des Opernstudios am Theater Freiburg und trat als Safiye/Rabia von Basra in Ludger Vollmers Crusades und als Noemie in der Oper Cendrillon von Jules Massenet auf.
Seit der Spielzeit 2018/19 ist Irina Jae-Eun Park Ensemblemitglied am Theater Freiburg, wo sie in dieser Spielzeit u. a. als Alice in Verdis Falstaff zu sehen ist.

MARIE SEIDLER Mezzosopran
Marie Seidler absolvierte ihr Studium an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main und an der Royal Academy of Music in London. Die Mezzosopranistin ist Preisträgerin des Internationalen Wettbewerbs für Liedkunst der Hugo-Wolf-Akademie Stuttgart und Trägerin des Trude-Eipperle-Rieger Preises. Des Weiteren ist sie Stipendiatin des Richard-Wagner-Verbandes und des Britten-Pears Young Artist Programms. 2018 wurde sie von der Opernwelt als Nachwuchskünstlerin des Jahres nominiert.
Als festes Ensemblemitglied am Stadttheater Gießen sang sie die Mozart-Partien Dorabella (Così fan tutte) und Cherubino (Le nozze di Figaro) . Zudem war sie als Olga in Tschaikowskis Eugen Onegin , als Gänsemagd in Humperdincks Königskinder sowie als Fatime in Webers Oberon zu hören. Gastengagements führten Marie Seidler u. a. an das Staatstheater Mainz, das Theater Aachen, die Oper Frankfurt sowie nach Kaiserslautern (als Sesto in Mozarts La Clemenza di Tito ). Bei den Innsbrucker Festwochen und den Göttinger Händelfestspielen war sie mit der Titelrolle in Händels Ottone zu hören.
Als Lied- und Konzertsängerin ist Marie Seidler international gefragt. 2021 war sie in Beethovens Egmont und mit Liedern aus Mahlers Des Knaben Wunderhorn in der Laeiszhalle mit den Hamburger Sinfonikern unter Leitung von Sylvain Cambreling zu hören. Außerdem sang sie die Altpartie in Mendelssohns Elias in Moskau sowie J. S. Bachs Matthäuspassion beim Bachfestival in Lausanne. 2019 interpretierte sie bei der Schubertiade in Vilabertran zusammen mit Wolfram Rieger Hugo Wolfs Spanisches Liederbuch . Weitere Engagements führten sie zur Schubertiade nach Hohenems, zu der Schubertwoche im Berliner Boulezsaal, nach Barcelona, London, Nancy und zum SchleswigHolstein Musik Festival.
Im März 2021 erschien ihre Debüt-CD Tief von fern zusammen mit dem Pianisten Götz Payer sowie im Januar 2022 eine Aufnahme von Schönbergs Das Buch der hängenden Gärten zusammen mit Toni Ming Geiger.
MITWIRKENDE KONZERT XIII (1.6.2022)

LUDWIG MITTELHAMMER Bariton
Ludwig Mittelhammer, geboren in München, studierte Gesang an der Hochschule für Musik und Theater München und war Mitglied der Bayerischen Theaterakademie August Everding. Meisterkurse bei Dietrich FischerDieskau, Brigitte Fassbaender, Ann Murray und Edith Wiens ergänzten seine Ausbildung. 2014 gewann er den 1. Preis beim Internationalen Wettbewerb für Liedkunst der Hugo-Wolf-Akademie Stuttgart. Beim FelixMendelssohn-Bartholdy-Wettbewerb der Universität der Künste Berlin erhielt er einen Sonderpreis für die beste Interpretation eines Goethe-Lieds von Wolfgang Rihm. 2015 erhielt er den Bayerischen Kunstförderpreis in der Sparte »Darstellende Kunst«.
An der Oper Frankfurt, dem Gärtnerplatztheater München und dem Staatstheater Nürnberg war Ludwig Mittelhammer u. a. mit Partien wie Marullo (Rigoletto) , Schaunard (La Bohème) , Figaro (Il barbiere di Siviglia) , Danilo (Die lustige Witwe) und Papageno (Die Zauberflöte) zu hören.
Zu den Höhepunkten der vergangenen Spielzeiten zählten der Harlekin in Ariadne auf Naxos , Mahlers Lieder eines fahrenden Gesellen mit dem Cleveland Orchestra unter Franz Welser-Möst sowie bei der styriarte Graz, Falke in Die Fledermaus am New National Theatre in Tokyo, Konzerte mit dem Swedish Radio Symphony Orchestra unter Daniel Harding in Stockholm, dem Orquesta Nacional de España unter David Afkham in Madrid, Messen von Anton Bruckner mit dem RIAS Kammerchor und Lieder von Gustav Mahler mit dem Jewish Chamber Orchestra.
Er arbeitete mit Dirigenten wie Daniel Harding, Jaap van Zweden, Ulf Schirmer, Michael Hofstetter, Alexander Liebreich und Erwin Ortner zusammen und konzertierte mit international renommierten Orchestern.
Liederabende führten ihn in die Wigmore Hall in London, die Kölner und Essener Philharmonie, ins Wiener Konzerthaus, in den Boulez-Saal Berlin, zum Bayerischen Rundfunk in München, ins Auditorium von Barcelona, zum Kissinger Sommer und zur Schubertiade in Hohenems.
Sein erstes Solo-Album mit Liedern von Schubert, Wolf und Medtner erschien im Juni 2019 bei Berlin Classics.

JONATHAN WARE Klavier
Der aus Texas stammende Pianist Jonathan Ware erhielt seine Ausbildung an der Eastman School of Music in Rochester, der Juilliard School in New York und der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin. Er ist Preisträger renommierter Wettbewerbe, u. a. gewann er 2014 zusammen mit Ludwig Mittelhammer den Internationalen Wettbewerb für Liedkunst der Hugo-WolfAkademie Stuttgart.
Gastspiele führten ihn in die Alice Tully Hall und die Weill Recital Hall der Carnegie Hall in New York, in die Londoner Wigmore Hall, zum Ravinia Festival und zu den Berliner Festspielen.
Außerdem wirkte er über mehrere Jahre als Liedbegleiter bei der Festival Akademie des Heidelberger Frühlings mit. Sein Deutschland-Debüt gab er 2012 beim Rheingau Musik Festival mit Benjamin Appl. Christiane Oelze, Golda Schultz, Robin Tritschler, Elsa Dreisig, Ludwig Mittelhammer und das Vogler Quartett zählen zu seinen künstlerischen Partnern.
Jonathan Ware unterrichtet an der Hochschule für Musik Hanns Eisler sowie an der Barenboim-Said Akademie in Berlin.
PROGRAMM KONZERT XIV (8.7.2022)
HUGO WOLF (1860–1903)
Gudmunds erster Gesang »Ich wandelte sinnend« (Ibsen) *
Gudmunds zweiter Gesang »Ich fuhr wohl über Wasser« (Ibsen) *
Nicht Gelegenheit macht Diebe (Goethe) **
Dies zu deuten, bin erbötig (Goethe) ** Wie sollt’ ich heiter bleiben (Goethe) **
Biterolf (Scheffel) **
Grenzen der Menschheit (Goethe) **
Liedpate: Franz-Josef Selig
Wanderers Nachtlied (Goethe) *
Sehnsucht op.3,2 (Goethe) *
Cophtisches Lied l »Lasset Gelehrte« (Goethe) **
Liedpate: Prof. Dr. Matthias Türpe
Cophtisches Lied ll »Geh!« (Goethe) ** Was in der Schenke waren heute (Goethe) **
Liedpate: Prof. Dr. Matthias Türpe
Lieder nach Michelangelo Buonarroti **
Liedpate: Franz-Josef Selig
l. Wohl denk ich oft ll. Alles endet, was entstehet lll.Fühlt meine Seele
Das ist ein Brausen und Heulen (Heine) *
Mit schwarzen Segeln (Heine) *
Mein Liebchen, wir saßen beisammen (Heine) *
Wo wird einst (Heine) *
Liedpatin: Elisabeth Ehlers
Spätherbstnebel (Heine) *
Liedpatin: Christa Tonnecker
Ganymed (Goethe) *
Liedpatin: Hannelore Oberbeck
In der Fremde VI (Eichendorff) *
Der Schreckenberger (Eichendorff) **
Der Glücksritter (Eichendorff) **
RONAN CAILLET, TENOR *
DAVID STEFFENS, BASS **
MALTE SCHÄFER, KLAVIER
N.N., MODERATION
EINFÜHRUNG KONZERT XIV (8.7.2022)
THEATRALISCHE GESTALTEN, GROSSE LIEBENDE UND GÖTTERGESTALTEN
Ein Streifzug durch Hugo Wolfs Früh- und Spätwerk von Susan Youens
Wolfs Bühnenmusik zu Ibsens Das Fest auf Solhaug (Gildet paa Solhaug, 1856) wurde für eine Wiener Inszenierung in Auftrag gegeben, und schon bald war Wolf mit der Aufgabe unzufrieden. »Das Ibsen-Stück gefällt mir von Tag zu Tag weniger ... es ist ehrlich verpfuscht, mit verdammt wenig Poesie«, schimpfte er. Aber er schuf teilweise sehr ansprechende Musik für das Drama, darunter zwei Lieder für eine der Hauptfiguren: einen zu Unrecht verbannten Geächteten namens Gudmund Alfson. Die mörderische Margit, die mit dem alten Bengt verheiratet ist, ist in Gudmund verliebt, während er in ihre sanfte Schwester Signe verliebt ist, die vom König einem brutalen Kerl namens Knut versprochen wurde. (Spielverderber-Alarm: diese verworrene erotische Arithmetik wird am Ende aufgelöst, wobei die Liebenden triumphieren und die Schurken ihren gerechten Lohn erhalten). Im ersten Akt singt Gudmund ein liebliches Lied, Ich wandelte sinnend allein , über die Liebe, die Wurzeln schlägt und im Laufe der Zeit erblüht. Wolf begleitet im volkstümlichen zusammengesetzten Metrum die sanft trällernde Gesangslinie mit leicht farbigen Harmonien − nicht die tiefsten Bereiche der von Wagner beeinflussten Chromatik, aber perfekt für einen lyrischen Helden. Gudmunds zweites Lied Ich fuhr wohl über Wasser im zweiten Akt erzählt mit ansteckendem Schwung von einer Liebe, die weder durch Entfernung noch durch den Zorn einer Elfenfrau ungeschehen gemacht werden kann.

Johan Christian Dahl (1788−1857): Hellefossen in der Nähe von Hokksund, 1938
Für seinen Band mit 51 Goethe-Liedern wählte Wolf sowohl Gedichte aus, die von seinen großen Vorgängern vertont worden waren, als auch Gedichte, die andere Komponisten übergangen hatten. Schubert, Schumann und viele andere hatten bereits Goethes West-östlicher Divan von 1819 entdeckt, der aus Goethes erstaunter Entdeckung von Hafis’ Versen (Khwaja Shams-ud Din Muhammed Hafez-e Shirazi) im Jahr 1814 hervorging: »Hafis ist mein Geschwister«, rief er aus. Aber es war Wolf, der sich zu den philosophischen Gedichten, den erotischen Liebesliedern und den Trinkliedern (das Rauschmittel Wein als Symbol für religiöse Erfahrung) hingezogen fühlte und siebzehn der »west-orientalischen« Gedichte vertonte. Im Buch Suleika war Goethe Hatem und Marianne von Willemer, eine Dichterin, in die er verliebt war, war Suleika. In Nicht Gelegenheit macht Diebe sagt Hatem zu seiner Geliebten, dass die »Gelegenheit« − die ihn zu ihr geführt hatte − ein Dieb ist, dass sie ihm alles gestohlen hat, was von seiner Liebe übrig geblieben ist, und es ihr gegeben hat; und doch, in ihren Augen sieht er Erbarmen für seine missliche Lage und erwiderte Liebe. (Er antwortet auf Suleikas »Hoch beglückt in deiner Liebe« kurz davor und mit denselben Wendungen).
Biterolf ist das erste von fünf Gedichten in einem Zyklus von Joseph Viktor von Scheffel, der das Mittelalter in der Mitte des 19. Jahrhunderts romantisierte. Sein Biterolf ist ein Ritter des Dritten Kreuzzuges, der in der Schlacht um Akkon (im heutigen Nordisrael) gegen den muslimischen Herrscher Saladin kämpft; Scheffel siedelt das Gedicht im Jahr 1190 an, in der Mitte einer dreijährigen Belagerung. Von dem heimwehkranken, aber treuen Thüringer war bereits Mut gefordert worden, und es sollte noch mehr dazukommen. Für Wolf war »Biterolf« ein Name mit doppelter Bedeutung: Von Scheffels 12. Jahrhundert bis zu Richard Wagners Tannhäuser aus dem fiktiven 13. Jahrhundert, wo einer der Ritter der Wartburg Biterolf heißt − und, wie bei Wolf, Bass singt. Wolf hat die dritte Strophe des Gedichts weggelassen, die damit endet, dass Kreuzritter und Sarazenen sich gegenseitig bis zur blutrünstigen Sättigung zerhacken (»Heut, werther Sarazen, / Hau’n wir uns satt!«). Kein Wunder, dass Wolf es weggelassen hat: Es würde einen völligen StimmungsFranz Seraph Hanfstaengl (1804−1877): Richard Wagner, 1871

EINFÜHRUNG KONZERT XIV (8.7.2022)
wechsel von der erschöpften Feierlichkeit, der heimwehkranken Melancholie und dem edlen Mut erfordern, die in den beiden von ihm gewählten Versen zum Ausdruck kommen. Dieses ernste, schöne Lied zeigt unmissverständlich, dass Wolf innerhalb seines eigenen Stils einen besonderen Aspekt des Neo-Wagnerismus beherrschte, bei dem ein Strom dissonanter, dunkler, schwebungsreicher, chromatischer Akkorde in sorgfältig gewählten Momenten einer diatonischen Klarheit weicht. Schon in der feierlichen Einleitung erklingen pochende neapolitanische Dreiklänge zwischen zwei Wiederholungen der Dominante von F-Dur, aber diese Tonika wird erst ganz am Ende enthüllt. Die exquisite Zartheit der Halbkadenz auf A bei den Worten »waldgrünes Thüringland, denk’ ich an dich« ist umso herzzerreißender, als ihr dunklere Akkorde vorausgehen. Die zweite Hälfte beginnt wie die erste − doch dann entdecken wir, dass die zarte Halbkadenz von vorher die Vorahnung eines Krieges war, der sich plötzlich und lautstark in d-Moll ankündigt und in eine noch größere chromatische Komplexität hineinführt. Der ruhige, betende Schluss zeugt vom Glauben dieses Kreuzfahrers an das wahre Kreuz.
Wolf hat seine Anthologien stets mit besonders bedeutsamen Liedern umrahmt, und die drei neugriechischen Oden, die zuvor von Schubert vertont wurden, beschließen seinen Band mit Goethe-Liedern. Vor allem Grenzen der Menschheit ist ein Lied von angemessener Erhabenheit, um die gesamte Reihe der Goethe-Lieder abzuschließen. Das 1781 geschriebene Gedicht erzählt von der Ehrfurcht vor den Göttern und warnt die gewöhnlichen Sterblichen vor der Unbesonnenheit, sich mit ihnen zu messen. Es war Liszt, vor dessen Musik Wolf großen Respekt hatte, der in seinen Dante- und FaustSymphonien die überhöhten Dreiklänge zum musikalischen Symbol der Öffnung in die kosmische Unermesslichkeit machte, und Wolf leiht sich die Bedeutung, indem er sein Lied in einer Welle nach der anderen von überhöhten Dreiklängen verzehrt. Von Schumann lernte Wolf die Kunst der langen Klaviernachspiele, in denen der Komponist das Ende des Gedichts umschreibt. In unerbittlich klingenden Halbtonakkorden, jeder mit einer großen Spannweite, steigen wir langsam, allmählich zu D-Dur hinab, das früher mit dem Verb »versinken« assoziiert wurde; der größte Teil der Passage ist in einem tiefen Bass-D verankert, aus dem es kein Entkommen gibt. Doch Wolfs Persona widersteht der unvermeidlichen Auslöschung, und der Widerstand wird in dissonanten, forte akzentuierten Akkorden in der Mitte des Taktes hörbar gemacht. Wolf wusste aus dem Faust und vielen anderen Werken Goethes, dass dieser Dichter im menschlichen Streben trotz aller Widrigkeiten Größe fand, und der Komponist lässt dieses Wissen in ein Gedicht einfließen, das das Gegenteil zu behaupten scheint: dass wir nur als Glieder einer biologischen Kette zählen. »Nein«, beharrt Wolf und schreibt Musik, um es zu beweisen.
Das Manuskript von Goethes Wanderers Nachtlied (»Der du von dem Himmel bist«) befand sich unter seinen Briefen an seine geliebte Charlotte von Stein und ist signiert »Am Hang des Ettersbergs, am 12. Februar 76«. Das unsterbliche Gedicht − wer hat nicht ähnliche Gefühle ausgedrückt, wenn auch nicht so schön wie Goethe? − ist in zwei Hälften geteilt, wobei die erste von Angst, Kummer und Streben beherrscht wird und die zweite von einem Plädoyer für den »Süßen Frieden«. Wolf setzt die erste Hälfte in Gis-Dur und gestaltet sie auf symbolische Weise: Zuerst steigt die Klaviereinleitung vom Bass in den Diskant, als ob sie in sich gehen würde, um uns zu sagen, dass es sich um eine innere Meditation handelt. Als der Wanderer fragt: »Was soll all der Schmerz und die Lust?«, bleibt Wolf im Diskant, ändert aber die Tonart nach B-Dur: von »b« zu »#«, von der Dunkelheit zum Licht. Für die Bitte um Frieden − und wer könnte einer so eindringlichen Bitte wie der, die wir auf dieser letzten Seite hören, widerstehen? − unterlegt Wolf das Lied mit tiefen Basstönen. Die quasi phrygische Kadenz am Ende ist ein letzter Hauch, um das Herz zum Schmelzen zu bringen.
Sehnsucht gehört zu einer Gruppe von vier Goethe-Liedern, die der Teenager Wolf 1875 komponierte und als Teil seines Opus 3 benannte. Welch eine Kühnheit! − Ein berühmter Text, der schon von Schubert und Beethoven vertont wurde, ein leichtfüßiges Gedicht über die Macht der Sehnsucht, die einen in die Welt hinaus treibt, in die Lüfte mit den Vögeln, mit den Wolken. Anders als bei den Romantikern, für die die »Sehnsucht« keinen bekannten Grund hatte, gilt diese Sehnsucht der Liebe und dem Geliebten. Die fünfte und letzte Strophe, in der die Liebenden endlich zueinander finden, lässt Wolf weg. Es hat etwas süßlich Komisches und Bezeichnendes, den 15-Jährigen inmitten seiner diatonischen E-Dur-Akkordbrechungen unbeholfene chromatische Akkorde einpflanzen zu hören − eine typische »plätscherndes Bächlein«Figuration. Die Experimente wurden bald darauf a) geschickter und b) gewagter.
Wolf mag den Hintergrund der beiden Cophtischen Lieder gekannt haben oder auch nicht (die Kopten waren und sind Ägyptens einheimische christliche ethnisch-religiöse Gemeinschaft). Es begann mit einem unvollendeten Libretto von Goethe rund um die berüchtigte »Halsbandaffäre« (ein Skandal, in den Marie Antoinette, Ludwig XIV., Kardinal de Rohan und andere verwickelt waren). Daraus entstand ein fünfaktiges Singspiel-Libretto mit dem Titel Der Groß-Cophta ; sowohl das unvollendete als auch das vollendete Drama hatten eine Hauptrolle für einen »Conte di Rostro« oder »Graf Rostro«, ein durchsichtiges Pseudonym für den Grafen Alessandro di Cagliostro, der behauptete, einer der grössten Zauberer seiner oder jeder anderen Zeit zu sein: »Der schamloseste aller Scharlatane» (»…der Conte di Rostro impudente den unverschäm -
EINFÜHRUNG KONZERT XIV (8.7.2022)
testen aller Charlatane«) nannte ihn Goethe. Sowohl der historische Cagliostro (in Wirklichkeit ein Giuseppe Balsamo aus bescheidenen Verhältnissen) als auch Goethes
Figur entlehnten ihre Riten aus weit entfernten und unvereinbaren Quellen, und beide verachteten echte Gelehrsamkeit: Man beachte die Unterscheidung zwischen »Gelehrte«, die als Pedanten abgetan werden, und »den Weisesten« (er und seinesgleichen, wie er meint).
Im Cophtischen Lied I (»Lasset Gelehrte sich zanken und streiten«) erzählt der berüchtigte Scharlatan seinen Jüngern, dass er sich mit Merlin unterhalten und mit den Toten in ägyptischen Krypten gesprochen habe: Diese ehrfurchtgebietenden Geister aus der Vergangenheit hätten ihm alle dasselbe gesagt, nämlich dass er die Narren sich selbst überlassen solle. In Wolfs Vertonung erklingt durchweg das daktylische Rhythmusmuster − hüpfend, frivol in seinen schnelleren Erscheinungsformen −, außer im Klavier am Ende jeden Refrains. Es ist Wolf, der in diesen Passagen mit ihren anmutig notierten, dissonanten Akkorden das »letzte Wort« beansprucht; die Pause vor jeder dieser Passagen gibt vor, dass der Komponist für das darauf folgende spöttische Lachen Atem holt. Wenn Wolf E-Dur/Moll entlehnte Harmonien in die As-Dur-Ketten und -Wirbel des Liedes mischt, deutet er die echte Komplexität des Wissens und der Kunstfertigkeit an, ob magisch oder musikalisch, die der Graf nicht kennt, aber auf deren Boden er sich bewegt. Selten sind Dichotomien drastischer als im Cophtischen Lied II (»Geh! Gehorche meinen Winken«), in dem der selbsternannte Zauberer uns sagt, dass wir nur zwei Möglichkeiten haben: Gewinner oder Verlierer zu sein. Das wunderbar bombastische Nachspiel von Wolfs Lied weist uns auf die Kategorie hin, zu der Cagliostro zu gehören behauptet (hört Trump zu?!).
Walter Heinrich Robert-Tornow (1852−1895) züchtete Bienen, veröffentlichte 1883 ein Buch über Goethes Einfluss auf Heine, war der Hausbibliothekar des preußischen Kaisers Friedrich III. und beschäftigte sich die letzten sechs Jahre seines Lebens mit der Übersetzung von Michelangelos Gedichten. Wolf erhielt das jüngste Werk im Jahr seines Erscheinens (1896) als Weihnachtsgeschenk und las auch eine MichelangeloBiografie des Kunsthistorikers Hermann Grimm (Sohn von Wilhelm, Neffe von Jacob). Ursprünglich plante der Komponist mindestens sechs Michelangelo-Lieder als musikalisches Porträt des Künstlers − »Natürlich muss der Bildhauer Bass singen«, sagte er zu seinem Freund Edmund Hellmer −, komponierte aber nur vier davon in der letzten Märzhälfte 1897 und verwarf das vierte, da er es nicht zu seinen besten Werken zählte.
Wohl denk ich oft stellt gegenwärtigen Ruhm und vergangene Missachtung gegenüber, indem es mit melancholischem Nachdenken beginnt und in triumphalem Jubel endet − aber letzterer wird ironisch dargestellt: Er ist nur in seinen eigenen selbstverspottenden Augen ein Held. Die Abfolge von auf- und absteigenden Halbtönen, die wir zu Beginn im Klavier hören (traditionelle Seufzerfiguren, die vervielfacht werden), wird auch das zweite Lied durchdringen, das zunächst den Titel »Vanitas vanitatum« trug, später dann Alles endet, was entstehet − sicherlich unbestritten eines der großartigsten Lieder von Hugo Wolf. Die tragische Ironie seiner Beschreibung gegenüber seinem Freund Oskar Grohe ist unerträglich: »Wenn Du vor Ergriffenheit dabei nicht Deinen Verstand verlierst, so hast du nie einen besessen. Es ist wahrlich, um dabei verrückt zu werden […]. Ich fürchte mich förmlich vor dieser Composition, weil mir dabei um meinen Verstand bange wird.« Der vom Tod verfolgte dichtende Maler war erst 18 Jahre alt, als er dieses unvollendete Gedicht schrieb. Hier sprechen die Toten zu den Lebenden in kühlen, leidenschaftslosen Tönen und konfrontieren uns mit dem, was wir lieber nicht sehen würden, dem wir aber nicht entkommen können (Wolf hat die letzten vier Zeilen weggelassen). Jede Note des Liedes ist von der düsteren, unharmonisierten viertaktigen Klaviereinleitung abgeleitet. Wolf dreht und wendet sein nüchternes musikalisches Material, um seine Musik für einen abschreckenden Moment in eine Zukunft jenseits der Tonalität zu führen. Der größte Teil des Liedes ist eine Art tonaler Zwischenbereich zwischen E-Dur und cis-Moll, aber die Worte »Und nun sind wir leblos hier, sind nur Erde, wie ihr sehet« entstammen einem geheimnisvollen Totenreich, obwohl sie aus genau denselben sparsamen Elementen wie der Rest dieser Musik abgeleitet sind. Die Leere am Ende ist so düster, dass sie mit Worten nicht zu beschreiben ist.

EINFÜHRUNG KONZERT XIV (8.7.2022)
Das letzte Lied, Fühlt meine Seele , ist die Vertonung eines tiefgründigen Liebesgedichts. Der Dichter fragt, ob es das ersehnte Licht Gottes ist, das er fühlt, oder ein Klang, ein Traum, der Auge und Herz mit versengendem Schmerz erfüllt und ihn zu Tränen rührt. Schließlich kommt er zu dem Schluss, dass das, was er fühlt, aus den Augen der Geliebten kommt: Was er fühlt, ist eine Liebe, die in ihrer Intensität heilig ist. Wolf erweitert die absteigenden chromatischen Linien, die wir in den beiden anderen Liedern finden, um erotische Qualen auf ähnliche Weise auszudrücken wie bei den beiden Peregrina -Liedern in seinem Mörike-Band. Im Moment der Erkenntnis, die Wolf im Klavier verortet, nachdem die Fragen des Liebhabers verstummt sind, hören wir einen einzigen unharmonischen Halbton tief im Bass: ein unvergesslicher Moment in einem unvergesslichen Lied.
Wolfs erste Heine-Lieder stammen aus der Weihnachtszeit 1876. Danach wartete er eineinhalb Jahre, bevor er zu Heines Buch der Lieder zurückkehrte (und dieses Mal auf Schumanns Dichterliebe -Texte verzichtete). Das ist ein Brausen und Heulen stammt aus seinem geplanten Heine-Liederstrauß, Bd. 1 . Für das erstgenannte Lied braut Wolf einen pianistischen Sturm im Klavier zusammen, wobei Ebbe und Flut in strengen Oktaven für die Hände im Verlauf der ersten Strophe einer weicheren, volleren Stimmung für die romantische Vision der »Frau am Fenster« in der zweiten Strophe weicht.
Noch sehr viel wildere Ängste auf dem Seeweg werden in Mit schwarzen Segeln dargestellt, einem von vielen Gedichten, in denen Heines Figur die treulose Geliebte schilt. Man kann fast sehen, wie sich die Segel in beide Richtungen bauschen, wenn die erste Vokalphrase über einem absteigenden Bass nach oben schwingt. Wenn er ihr sagt »wie traurig ich bin«, erwärmt sich die Musik kurz in Parallel-Dur, aber sobald wir uns auf die unverblümte Anklage »Dein Herz ist treulos wie der Wind« zubewegen, ist die Vortragsbezeichnung feroce wirklich angebracht. Und doch versinkt das Postludium in hoffnungsloser Stille, alle Energie ist abrupt verbraucht.
Die Klaviergestaltung in Mein Liebchen, wir saßen beisammen erinnert an die Begleitung zu Schumanns Aufträgen op. 77, Nr. 5 , und ist auch ein Zeugnis von Wolfs Liebe zu Chopins Musik. In Heines Gedicht treiben die Liebenden in Sicht- und Hörweite der Inselgeisterwelt der Phantasie dahin, können deren Ufer aber nicht erreichen. Sie treiben in den weiten Meeren, die so oft Zeitlichkeit, Erotik, das Urwüchsige und Unbekannte symbolisieren. Die »Geisterinsel«, die »dämmrig im Mondenglanz« liegt, treibt einen kurzen, magischen Wechsel an anderer Stelle an, aber der größte Teil des Liedes gleitet auf einer glitzernden Welle nach der anderen in der Haupttonart dahin.
Wolf war noch weit davon entfernt, die ausgefeilte Deklamation seiner späteren Lieder zu entwickeln, und die Gesangslinie verläuft völlig harmonisch mit der Begleitung.
In Wo wird einst fragt Heines Wanderer, wo seine letzte Ruhestätte sein wird − im Süden unter Palmen, unter einer Linde am Rhein, in einer Wüste, an einem fernen Ozeanstrand? Er beantwortet die Frage mit einer letzten Strophe, die heute auf Heines Grabstein auf dem Friedhof von Montmartre eingraviert ist: »Immerhin wird mich umgeben / Gottes Himmel dort wie hier, / und als Totenlampen schweben / Nachts die Sterne über mir.« Dieses feierliche Lied, das ohne eine Klaviereinleitung beginnt (die Fragen kommen wie aus dem Nichts), ist von fermatenhaften Pausen durchzogen; nach einer solchen Pause in der Mitte des Stücks haben wir eine trügerische Auflösung in einen Akkord, der einen Tritonus entfernt ist − in der Tat weit entfernt. Eine weitere trügerische Bewegung bringt uns in die warme, reiche Tonart der letzten »Immerhin«-Strophe, bevor wir erst ganz am Ende zur Tonika zurückkehren. In Spätherbstnebel ziehen musikalische Nebelschwaden inmitten von laublosen Bäumen einer herbstlichen Landschaft des Geistes auf; nur der »traurige, einsame« Baum der Geliebten ist voll und grün. Wurde Wolf bei der Entstehung dieses Liedes vielleicht vom Aufkommen des Ostwindes in Schuberts unsterblicher Suleika I beeinflusst?
Ganymed entstand aus Goethes Pantheismus und seiner Vertiefung in die Oden des großen griechischen Dichters Pindar in den frühen 1770er Jahren; für seine drei großen neugriechischen Oden schuf er monumentale freie Verse. In der antiken Mythologie wird der schöne phrygische Jüngling Ganymed von einem Adler in die Höhe getragen, um Zeus’ Mundschenk auf dem Olymp zu werden, doch Goethe verändert den Mythos: Für ihn ist das sinnliche Naturerlebnis das Tor zur Verzückung. Die Akklamation des Frühlings zu Beginn feiert nicht nur eine Jahreszeit, sondern

Stefano Torelli (1712−1784): Der Raub des Ganymed, um 1760/1770
EINFÜHRUNG KONZERT XIV (8.7.2022)
eine strahlende Kraft, eine entrückte Glückseligkeit: Am Ende sind das »Ich« und das »Alles« nicht mehr getrennt. Wolfs Musik ist ganz anders als Schuberts frühere (und anders groß- artige) Vertonung: In der durchsichtigen Musik zu Beginn steigen wir durch eine Kette von Terzen immer höher − ein Wolf’scher musikalischer Fingerabdruck. Der Morgenwind, der in Wellen aus dem tiefen Bass emporweht, der sehnsüchtige Ruf der Nachtigall, eines der schönsten »verklingenden« Nachspiele Wolfs: dies ist Musik, die der Sehnsucht nach und dem Erreichen der künstlerischen Verzückung entspricht.
Eichendorffs Wolken, wälderwärts gegangen (Wolfs In der Fremde VI ) von 1883 ist ein wunderbares Lied, das es verdient, viel bekannter zu werden. Ein wandernder Minnesänger reist durch den Wald, erfüllt von Geschichten und Liedern und dem »magischen Kummer«, der − so vermutet man − durch die Zurückweisung seiner Liebe entstanden ist. Für wandernde Wolken und wandernde Gedanken schafft Wolf eine vorzügliche »wandernde« Begleitung, mit einem kontinuierlichen Strom von Achtelnoten in jeder Hand, die einmal zusammen, einmal auseinander mäandern, wobei die ununterbrochene Chromatik uns zeigt, wie reich und vielfältig diese Bewegungen des Geistes sind. Die ernste, schöne Gesangsstimme ist eher diatonisch, und der Kontrast ist faszinierend: Das, was wir in Worte fassen, ist klarer, aber der Verstand und die poetische Vorstellungskraft können sich auf unterschiedlichen Bahnen bewegen.
Wie bei Goethe vertonte Wolf viele Eichendorff-Gedichte, die von seinen großen Vorgängern nicht ausgewählt worden waren, darunter Eichendorffs Rollenlieder: Gedichte, die von verschiedenen Charakteren »gesprochen« werden − einem verzweifelten Liebhaber, Soldaten, einem wandernden Minnesänger, einem reisenden Gelehrten −, mit komischem Effekt. Wolf hatte ein einzigartiges Gespür für Komik in der Musik. Der Schreckenberger ist die lebendige Darstellung eines Haudegens, der die Glücksgöttin umwirbt; sollte sie ihn vorübergehend verlassen, weiß er, dass sie sich mit »alten Klatschbasen« in ihren tristen Häusern langweilen und sich ihm wieder anschließen wird: auf zu Ruhm und Ehre! In Wolfs malerischer Klaviermusik hören wir sowohl den Schwung des Abenteurerumhangs und die heulenden Winde, das »Schnattern« der alten Damen und Herren als auch die gerollten Akkorde, die uns sagen, dass dieser Abenteurer sein eigener Minnesänger ist und seine eigenen Geschichten vom Ruhm erzählt. Die massiven (so laut man sie spielen kann) Es-Dur-Akkorde, die im Nachspiel in die G-Dur-Romontade einbrechen, sind mehr als komisch. Ein anderer Glücksritter wendet die umgekehrte Psychologie bei Madame Fortune an, wenn sie in Der Glücksritter spröde tut. Er wendet sich von ihr ab und stößt mit anderen Frauen
an, um sie eifersüchtig zu machen; sie schleicht sich an ihn heran und fragt, ob es noch mehr für sie gibt (angeblich Bier, aber wir können unsere Fantasie spielen lassen). Wolfs Schmeichelei im Diskant würde eine Katze zum Lachen bringen, ebenso wie der spöttisch-pompöse chromatische Abstieg im Bass am Ende, als alle ihnen huldigen, wenn sie Arm in Arm davongehen. Das gesamt Szenario können wir nahezu sehen .
ABBILDUNGEN KONZERT XIV
S. 28: Johan Christian Dahl: Hellefossen ved Hokksund, 1838. Öl auf Leinwand, 155 x 98 cm, Oslo; Norwegisches Nationalmuseum.
S. 29: Franz Seraph Hanfstaengl: Richard Wagner, 1871.
S. 33: Francesco Jacovacci: Michelangelo und Vittoria Colonna, 1880. Öl auf Leinwand, 151,5 x 273 cm, Capodimonte, Nationalmuseum.
S. 35: Stefano Torelli: Der Raub des Ganymed, um 1760/70. Öl auf Leinwand, 220 × 120 cm, St. Petersburg, Oranienbaum Palace.
TEXTE KONZERT XIV (8.7.2022)
GUDMUNDS ERSTER GESANG
Ich wandelte sinnend allein auf der Halde
Da zwitscherten ringsum die Vöglein im Walde.
So hell erscholl ihr lustiges Lied.
Hör’ an, hör’ an, wie die Liebe im Herzen erblüht!
Sie wächst wie die Eiche wohl Jahre lang, Sie nährt sich von Sorgen, von Traum und Gesang, Sie keimet geschwind in der flüchtigsten Stund’
Fasset sie Wurzel im Herzensgrund!
Emma Klingenfeld (1846–1935) nach Henrik Ibsen (1828–1906)
GUDMUNDS ZWEITER GESANG
Ich fuhr wohl über Wasser
Und in die Ferne weit, Als ich zurück zur Heimat kam, Freit’ ich die schönste Maid.
Es war die Elfenfraue, Die tät’s mit Zürnen seh’n, Und nimmer soll sein feines Lieb
Mit ihm zur Kirche geh’n.
Hör’ an, du Elfenfraue, Lass fahren die Beschwer!
Zwei Herzen, die sich lieben, Die trennst du nimmermehr!
Emma Klingenfeld nach Henrik Ibsen
NICHT GELEGENHEIT MACHT DIEBE
Nicht Gelegenheit macht Diebe, Sie ist selbst der größte Dieb; Denn sie stahl den Rest der Liebe, Die mir noch im Herzen blieb.
Dir hat sie ihn übergeben, Meines Lebens Vollgewinn, Dass ich nun, verarmt, mein Leben
Nur von dir gewärtig bin.
Doch ich fühle schon Erbarmen
Im Karfunkel deines Blicks, Und erfreu in deinen Armen
Mich erneuerten Geschicks.
Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832)
DIES ZU DEUTEN BIN ERBÖTIG
Dies zu deuten bin erbötig!
Hab ich dir nicht oft erzählt, Wie der Doge von Venedig
Mit dem Meere sich vermählt?
So von deinen Fingergliedern
Fiel der Ring dem Euphrat zu.
Ach, zu tausend Blumelsliedern, Süßer Traum, begeisterst du!
Mich, der von des Indostanen
Streifte bis Damaskus hin, Um mit neuen Karawanen
Bis ans rote Meer zu ziehn,
Mich vermählst du deinem Flusse, Der Terrasse diesem Hain:
Hier soll bis zum letzten Kusse Dir mein Geist gewidmet sein.
Johann Wolfgang von Goethe
WIE SOLLT’ ICH HEITER BLEIBEN
Wie sollt’ ich heiter bleiben, Entfernt von Tag und Licht?
Nun aber will ich schreiben, Und trinken mag ich nicht.
Wenn sie mich an sich lockte, War Rede nicht im Brauch, Und wie die Zunge stockte, So stockt die Feder auch.
Nur zu! Geliebter Schenke, Den Becher fülle still!
Ich sage nur: Gedenke!
Schon weiß man, was ich will.
Johann Wolfgang von Goethe
BITEROLF
Kampfmüd’ und sonnverbrannt, Fern an der Heiden Strand, Waldgrünes Thüringland, Denk’ ich an dich.
Mildklarer Sternenschein, Du sollst mir Bote sein, Geh, grüß’ die Heimat mein, Weit überm Meer!
Feinden von allerwärts, Trotzt meiner Waffen Erz;
Wider der Sehnsucht Schmerz
Schirmt mich kein Schild.
Doch wie das Herz auch klagt, Ausharr’ ich unverzagt:
Wer Gottes Fahrt gewagt, Trägt still sein Kreuz.
Joseph Victor von Scheffel (1826–1886)
GRENZEN DER MENSCHHEIT
Wenn der uralte, Heilige Vater
Mit gelassener Hand
Aus rollenden Wolken
Segnende Blitze
Über die Erde sät, Küss’ ich den letzten Saum seines Kleides, Kindliche Schauer
Treu in der Brust.
Denn mit Göttern
Soll sich nicht messen Irgendein Mensch.
Hebt er sich aufwärts, Und berührt
Mit dem Scheitel die Sterne, Nirgends haften dann
Die unsichern Sohlen, Und mit ihm spielen Wolken und Winde.
Steht er mit festen, Markigen Knochen
Auf der wohlgegründeten, Dauernden Erde;
TEXTE KONZERT XIV (8.7.2022)
Reicht er nicht auf, Nur mit der Eiche
Oder der Rebe
Sich zu vergleichen.
Was unterscheidet
Götter von Menschen?
Dass viele Wellen Vor jenen wandeln, Ein ewiger Strom:
Uns hebt die Welle, Verschlingt die Welle, Und wir versinken.
Ein kleiner Ring Begrenzt unser Leben, Und viele Geschlechter Reihen sich dauernd An ihres Daseins Unendliche Kette.
Johann Wolfgang von Goethe
WANDERERS NACHTLIED
Der du von dem Himmel bist, Alles Leid und Schmerzen stillest, Den, der doppelt elend ist, Doppelt mit Erquickung füllest, Ach ich bin des Treibens müde!
Was soll all der Schmerz und Lust?
Süßer Friede, Komm, ach komm in meine Brust!
Johann Wolfgang von Goethe
SEHNSUCHT
Was zieht mir das Herz so?
Was zieht mich hinaus? Und windet und schraubt mich Aus Zimmer und Haus?
Wie dort sich die Wolken Um Felsen verziehn!
Da möcht’ ich hinüber, Da möcht’ ich wohl hin!
Nun wiegt sich der Raben Geselliger Flug; Ich mische mich drunter Und folge dem Zug. Und Berg und Gemäuer Umfittigen wir; Sie weilet da drunten; Ich spähe nach ihr.
Da kommt sie und wandelt; Ich eile sobald, Ein singender Vogel Zum buschigen Wald. Sie weilet und horchet Und lächelt mit sich: »Er singet so lieblich Und singt es an mich.«
Die scheidende Sonne Verguldet die Höhn; Die sinnende Schöne Sie lässt es geschehn. Sie wandelt am Bache Die Wiesen entlang, Und finster und finstrer Umschlingt sich der Gang;
Auf einmal erschein’ ich, Ein blinkender Stern.
»Was glänzet da droben, So nah und so fern?«
Und hast du mit Staunen
Das Leuchten erblickt, Ich lieg dir zu Füßen, Da bin ich beglückt!
Johann Wolfgang von Goethe
COPHTISCHES LIED I
Lasset Gelehrte sich zanken und streiten, Streng und bedächtig die Lehrer auch sein!
Alle die Weisesten aller der Zeiten
Lächeln und winken und stimmen mit ein:
Töricht, auf Bessrung der Toren zu harren!
Kinder der Klugheit, o habet die Narren
Eben zum Narren auch, wie sich’s gehört!
Merlin der Alte, im leuchtenden Grabe, Wo ich als Jüngling gesprochen ihn habe,
Hat mich mit ähnlicher Antwort belehrt:
Töricht, auf Bessrung der Toren zu harren!
Kinder der Klugheit, o habet die Narren
Eben zum Narren auch, wie sich’s gehört!
Und auf den Höhen der indischen Lüfte
Und in den Tiefen ägyptischer Grüfte
Hab ich das heilige Wort nur gehört: Töricht, auf Bessrung der Toren zu harren!
Kinder der Klugheit, o habet die Narren
Eben zum Narren auch, wie sich’s gehört!
Johann Wolfgang von Goethe
COPHTISCHES LIED II
Geh! Gehorche meinen Winken, Nutze deine jungen Tage, Lerne zeitig klüger sein!
Auf des Glückes großer Waage Steht die Zunge selten ein.
Du musst steigen oder sinken, Du musst herrschen und gewinnen Oder dienen und verlieren, Leiden oder triumphieren, Amboss oder Hammer sein.
Johann Wolfgang von Goethe
WAS IN DER SCHENKE WAREN HEUTE
Was in der Schenke waren heute Am frühsten Morgen für Tumulte!
Der Wirt und Mädchen! Fackeln, Leute! Was gab’s für Händel, für Insulte!
Die Flöte klang, die Trommel scholl! Das war ein wüstes Wesen;
TEXTE KONZERT XIV (8.7.2022)
Doch bin ich, Lust und Liebevoll, Auch selbst dabei gewesen.
Dass ich von Sitte nichts gelernt, Darüber tadelt mich ein jeder; Doch bleib ich weislich weit entfernt
Vom Streit der Schulen und Katheder.
Johann Wolfgang von Goethe
Texte: Walter Heinrich Robert-Tornow (1852−1895) nach Michelangelo
Buonarroti (1475−1564)
WOHL DENK ICH OFT
Wohl denk ich oft an mein vergangnes Leben,
Wie es vor meiner Liebe für dich war; Kein Mensch hat damals Acht auf mich gegeben,
Ein jeder Tag verloren für mich war; Ich dachte wohl, ganz dem Gesang zu leben,
Auch mich zu flüchten aus der Menschen Schar.
Genannt in Lob und Tadel bin ich heute, Und, dass ich da bin, wissen alle Leute!
Schwanden wie bei Tag die Schatten, Wie ein Dunst im Windeshauch.
Menschen waren wir ja auch, Froh und traurig, so wie ihr, Und nun sind wir leblos hier, Sind nur Erde, wie ihr sehet.
Alles endet, was entstehet.
Alles, alles rings vergehet.
FÜHLT MEINE SEELE
Fühlt meine Seele das ersehnte Licht
Von Gott, der sie erschuf? Ist es der Strahl
Von andrer Schönheit aus dem Jammertal,
Der in mein Herz Erinnrung weckend bricht?
Ist es ein Klang, ein Traumgesicht, Das Aug und Herz mir füllt mit einem Mal
In unbegreiflich glüh’nder Qual, Die mich zu Tränen bringt? Ich weiß es nicht.
Was ich ersehne, fühle, was mich lenkt, Ist nicht in mir: sag mir, wie ich’s erwerbe?
Mir zeigt es wohl nur eines andren Huld;
ALLES ENDET, WAS ENTSTEHET
Alles endet, was entstehet.
Alles, alles rings vergehet, Denn die Zeit flieht, und die Sonne Sieht, dass alles rings vergehet, Denken, Reden, Schmerz, und Wonne; Und die wir zu Enkeln hatten
Darein bin ich, seit ich dich sah, versenkt.
Mich treibt ein Ja und Nein, ein Süß und Herbe −
Daran sind, Herrin, deine Augen schuld.
Texte: Heinrich Heine (1797−1856)
DAS IST EIN BRAUSEN UND HEULEN
Das ist ein Brausen und Heulen, Herbstnacht und Regen und Wind; Wo mag wohl jetzo weilen
Mein armes, banges Kind?
Ich seh’ sie am Fenster lehnen
Im einsamen Kämmerlein; Das Auge gefüllt mit Tränen, Starrt sie in die Nacht hinein.
MIT SCHWARZEN SEGELN
Mit schwarzen Segeln segelt mein Schiff
Wohl über das wilde Meer; Du weißt, wie sehr ich traurig bin, Und kränkst mich noch so schwer.
Dein Herz ist treulos wie der Wind
Und flattert hin und her; Mit schwarzen Segeln segelt mein Schiff
Wohl über das wilde Meer.
MEIN LIEBCHEN, WIR SASSEN BEISAMMEN
Mein Liebchen, wir saßen beisammen, Traulich im leichten Kahn.
Die Nacht war still und wir schwammen
Auf weiter Wasserbahn.
Die Geisterinsel, die schöne, Lag dämm’rig im Mondenglanz;
Dort klangen liebe Töne, Dort wogte der Nebeltanz.
Dort klang es lieb und lieber, Und wogt’ es hin und her; Wir aber schwammen vorüber, Trostlos auf weitem Meer.
WO WIRD EINST
Wo wird einst des Wandermüden Letzte Ruhestätte sein? Unter Palmen in dem Süden? Unter Linden an dem Rhein?
Werd’ ich wo in einer Wüste Eingescharrt von fremder Hand? Oder ruh’ ich an der Küste Eines Meeres in dem Sand?
Immerhin! Mich wird umgeben Gotteshimmel, dort wie hier, Und als Totenlampen schweben Nachts die Sterne über mir.
SPÄTHERBSTNEBEL
Spätherbstnebel, kalte Träume, Überfloren Berg und Tal, Sturm entblättert schon die Bäume, Und sie schaun gespenstig kahl.
Nur ein einz’ger, traurig schweigsam Einz’ger Baum steht unentlaubt, Feucht von Wehmutstränen gleichsam, Schüttelt er sein grünes Haupt.
Ach, mein Herz gleicht dieser Wildnis, Und der Baum, den ich dort schau’ Sommergrün, das ist dein Bildnis, Vielgeliebte schöne Frau.
TEXTE KONZERT XIV (8.7.2022)
GANYMED
Wie im Morgenglanze
Du rings mich anglühst, Frühling, Geliebter!
Mit tausendfacher Liebeswonne
Sich an mein Herz drängt
Deiner ewigen Wärme
Heilig Gefühl, Unendliche Schöne!
Dass ich diesen fassen möcht’
In diesen Arm!
Ach, an deinem Busen Lieg’ ich, schmachte, Und deine Blumen, dein Gras Drängen sich an mein Herz.
Du kühlst den brennenden
Durst meines Busens, Lieblicher Morgenwind!
Ruft drein die Nachtigall
Liebend nach mir aus dem Nebeltal. Ich komm’, ich komme!
Wohin? Ach, wohin?
Hinauf! Hinauf strebt’s. Es schweben die Wolken
Abwärts, die Wolken
Neigen sich der sehnenden Liebe. Mir! Mir!
In euerm Schoße
Aufwärts!
Umfangend umfangen!
Aufwärts an deinen Busen, Alliebender Vater!
Johann Wolfgang von Goethe
IN DER FREMDE VI Wolken, wälderwärts gegangen, Wolken, fliegend übers Haus, Könnte ich an euch mich hangen, Mit euch fliegen weit hinaus!
Tag’lang durch die Wälder schweif ich, Voll Gedanken sitz ich still, In die Saiten flüchtig greif ich, Wieder dann auf einmal still.
Schöne, rührende Geschichten Fallen ein mir, wo ich steh, Lustig muss ich schreiben, dichten, Ist mir selber gleich so weh.
Manches Lied, das ich geschrieben Wohl vor manchem langen Jahr, Da die Welt vom treuen Lieben Schön mir überglänzet war;
Find ich’s wieder jetzt voll Bangen: Werd ich wunderbar gerührt, Denn so lange ist vergangen, Was mich zu dem Lied verführt.
Diese Wolken ziehen weiter, Alle Vögel sind erweckt, Und die Gegend glänzet heiter, Weit und fröhlich aufgedeckt.
Regen flüchtig abwärts gehen, Scheint die Sonne zwischendrein, Und dein Haus, dein Garten stehen Überm Wald im stillen Schein.
Doch du harrst nicht mehr mit Schmerzen, Wo so lang dein Liebster sei –
Und mich tötet noch im Herzen
Dieser Schmerzen Zauberei.
Joseph von Eichendorff (1788−1857)
DER SCHRECKENBERGER
Aufs Wohlsein meiner Dame, Eine Windfahn’ ist ihr Panier, Fortuna ist ihr Name, Das Lager ihr Quartier!
Und wendet sie sich weiter, Ich kümmre mich nicht drum, Da draußen ohne Reiter, Da geht die Welt so dumm.
Statt Pulverblitz und Knattern
Aus jedem wüsten Haus
Gevattern sehn und schnattern
Alle Lust zum Land hinaus.
Fortuna weint vor Ärger, Es rinnet Perl’ auf Perl’; »Wo ist der Schreckenberger?
Das war ein andrer Kerl!«
Sie tut den Arm mir reichen, Fama bläst das Geleit, So zu dem Tempel steigen
Wir der Unsterblichkeit.
Joseph von Eichendorff
DER GLÜCKSRITTER
Wenn Fortuna spröde tut, Lass’ ich sie in Ruh’, Singe recht und trinke gut, Und Fortuna kriegt auch Mut, Setzt sich mit dazu.
Doch ich geb’ mir keine Müh’:
»He, noch eine her!«
Kehr’ den Rücken gegen sie, Lass’ hoch leben die und die, Das verdrießt sie sehr.
Und bald rückt sie sacht zu mir: »Hast du deren mehr?«
»Wie Sie seh’n, drei Kannen schier, Und das lauter Klebebier!
’S wird mir gar nicht schwer.«
Drauf sie zu mir lächelt fein:
»Bist ein ganzer Kerl!«
Ruft den Kellner, schreit nach Wein, Trinkt mir zu und schenkt mir ein, Echte Blum’ und Perl’.
Sie bezahlet Wein und Bier, Und ich, wieder gut, Führe sie am Arm mit mir
Aus dem Haus wie’n Kavalier, Alles zieht den Hut.
Joseph von Eichendorff
MITWIRKENDE KONZERT XIV (8.7.2022)

RONAN CAILLET Tenor
Ronan Caillet, geboren 1994 in Frankreich, begann seine stimmliche Ausbildung im Alter von acht Jahren in der Maîtrise de garçons in Colmar. Am Konsveratorium von Colmar lernte er Horn und absolvierte 2008 seine Abschlussprüfung in Musiktheorie. Danach nahm er sein Vollstudium im Fach Gesang an der Hochschule für Musik Freiburg in der Klasse von Prof. Torsten Meyer auf, das er an der Hochschule für Musik und Theater »Felix Mendelssohn Bartholdy« in Leipzig bei Prof. Berthold Schmid und bei Jean-François Rouchon am Conservatoire Royal in Bruxelles ergänzte. Außerdem studierte er u. a. mit Edith Wiens und Brigitte Fassbaender. Er ist Preisträger des Bundeswettbewerbs Gesang (Junior-Kategorie) und des Gesangswettbewerbs CantateBach. 2018 erreichte er mit dem Pianisten Malte Schäfer die Finalrunde beim Deutschen Musikwettbewerb und beim Internationalen Schubert-Wettbewerb Dortmund. 2019 trat Ronan Caillet beim SWR mit der Deutschen Radio Philharmomie im Rahmen des Emmerich Smola Förderpreises auf. Beim Concours Nadia & Lili Boulanger in Paris gewann er zusammen mit Malte Schäfer den Prix de Mélodie Française, 2020 stand das Duo im Finale des Internationalen Wettbewerbs für Liedkunst Stuttgart. Ronan Caillets rege Konzerttätigkeit spiegelt sich in zahlreichen bedeutenden Oratorienpartien wider, die er u. a. unter Helmuth Rilling, Hans-Christoph Rademann und mit dem Freiburger Barockorchester sang. 2017 konzertierte er im Rahmen der Internationalen Meistersinger Akademie mit den Nürnberger Symphonikern. In der aktuellen und der kommenden Saison steht der Tenor am Theater Basel u. a. als Graf Almaviva in Il barbiere di Siviglia und als Narraboth in Salome auf der Bühne.

DAVID STEFFENS Bass
David Steffens wuchs im bayerischen Bad Reichenhall auf und war schon während seiner Gymnasialzeit Jungstudent an der Universität Mozarteum in Salzburg. Er erhielt seine Ausbildung bei Prof. Horiana Branisteanu im Konzertfach Gesang am Mozarteum, in der Opernklasse des Mozarteums bei Josef Wallnig und Eike Gramss sowie in der Liedklasse von Wolfgang Holzmair. Das Cusanuswerk (Bonn) förderte ihn während des Studiums. Als bester Absolvent seines Jahrgangs wurde er 2011 mit der Lilli-LehmannMedaille der Internationalen Stiftung Mozarteum in Salzburg ausgezeichnet und im selben Jahr mit der Gottlob-Frick-Medaille geehrt. Er besuchte Meisterkurse bei Dietrich Fischer-Dieskau, Ruggero Raimondi, Christa Ludwig, Thomas Hampson, Helmut Deutsch, Rudolf Piernay, Francisco Araiza und Thomas Moser. Als Bartolo in Le nozze di Figaro debütierte er am Salzburger Landestheater, war anschließend im Internationalen Opernstudio am Opernhaus Zürich engagiert sowie bei den Salzburger Festspielen im Rahmen des Young Singers Project u. a. als Sarastro in Mozarts Die Zauberflöte zu erleben. 2012 bis 2014 war David Steffens Mitglied des Ensembles am Stadttheater Klagenfurt. Seit der Spielzeit 2015/16 gehört er dem Ensemble der Stuttgarter Staatsoper an, wo er u. a. in der Titelrolle von Mozarts Le nozze di Figaro , als Sarastro und als Fürst Gremin in Eugen Onegin zu hören war. Gastengagements führten David Steffens darüber hinaus zur Salzburger Mozartwoche, an die Deutsche Oper am Rhein, an das Teatro Real in Madrid, an die Wiener Volksoper, die Opéra National de Lyon, das Teatro Verdi in Triest, das Nationaltheater in Prag, das Theater St. Gallen, die Opéra de Lausanne, zu den Festspielen Baden-Baden und zu den Schweriner Schlossfestspielen. 2016 debütierte David Steffens mit großem Erfolg als König Heinrich ( Lohengrin ) am Theater St. Gallen. Am Pariser Théâtre des Champs-Elysées war der Bass in einer konzertanten Aufführung des Don Giovanni als Komtur und Masetto zu hören. Er gastierte als Ochs auf Lerchenau in Strauss’ Der Rosenkavalier am Theater Chemnitz und gab sein Debüt als Kaspar in Webers Der Freischütz an der Opéra National du Rhin in Straßburg. Als Komtur in Mozarts Don Giovanni gab er schließlich sein Hausdebüt an der Dresdner Semperoper. Im Sommer 2021 verkörpert er bei den Salzburger Festspielen den Masetto in Mozarts Don Giovanni unter Leitung von Teodor Currentzis. Die aktuelle Spielzeit an seinem Stuttgarter Stammhaus beginnt mit dem Ochs auf Lerchenau in Strauss’ Der Rosenkavalier sowie dem Fasolt in Wagners Das Rheingold , welche mit Pimen in Mussorgskis Boris Godunow sowie mit König Marke ( Tristan und Isolde ) am Theater Chemnitz zudem zwei wichtige Rollendebüts bereithält.
MITWIRKENDE KONZERT XIV (8.7.2022)

MALTE SCHÄFER Klavier
Malte Schäfer absolvierte sein Studium im Fach Klavier, Kammermusik und Liedgestaltung an der Musikhochschule Lübeck, der Guildhall School London, der Hochschule für Musik und Theater Hannover und dem Conservatoire national Supérieur de Musique et de Danse de Paris. Zurzeit wird er von Jan Philip Schulze und Anne Le Bozec betreut.
Konzerte führten ihn in die Liederhalle Stuttgart, die Tonhalle Düsseldorf, den Salle Cortot Paris, das KKL Luzern und zu Festivals wie den Sommerlichen Musiktagen Hitzacker und dem Bonner Schumannfest. Dies dokumentieren auch Livemitschnitte und Studioaufnahmen von France Musique, NDR Kultur und HR 2. Er war Finalist bei diversen europäischen Kunstlied-Wettbewerben. Mit seinem langjährigen Liedduo-Partner, dem Tenor Ronan Caillet, gewann er den Prix de Mélodie française beim Concours International Lili & Nadia Boulanger in Paris. Einen Anerkennungspreis erhielt er außerdem beim Wettbewerb für Liedkunst der Hugo-Wolf-Akademie Stuttgart, einen Sonderpreis beim Deutschen Musikwettbewerb, den Preis für die beste Liedbegleitung beim Internationalen Robert-Schumann-Wettbewerb in Zwickau, den 3. Pianistenpreis beim Internationalen Helmut Deutsch Wettbewerb in Wien sowie beim Maritim Musikpreis aller norddeutschen Hochschulen, den von der Oscar und Vera Ritter-Stiftung gestifteten Preis für herausragende Klavierbegleitung. Er ist Stipendiat der Live Music Now e. V.-Verbände Hamburg und Hannover sowie des Richard-Wagner-Verbandes Heidelberg und besuchte Meisterkurse u. a. bei Wolfram Rieger, Hartmut Höll, Eberhard Feltz, Anthony Spiri, Ralf Gothoni, Christoph Prégardien, dem Fauré Quartett und dem Belcea Quartett.

LIEDPATE WERDEN! – IHR PERSÖNLICHES LIEBLINGSLIED VON HUGO WOLF
Haben Sie ein Lieblingslied von Hugo Wolf? Als Liedpate können Sie die Aufführung dieses Liedes im Rahmen unserer Reihe »Der ganze Hugo Wolf« unmittelbar unterstützen. Außerdem tragen Sie mit diesem ganz persönlichen Beitrag zum Gelingen unseres ambitionierten Unterfangens bei, in den nächsten Jahren nahezu das komplette Liedschaffen von Hugo Wolf in Stuttgart zur Aufführung zu bringen.
Für einen Beitrag von nur 25 Euro können Sie sich aus den knapp 300 Liedern, die Hugo Wolf in seinem relativ kurzen Leben komponiert hat, ihr Lieblingslied aussuchen. Wenn gewünscht, wird der Name des Liedpaten im Programmheft des Konzerts veröffentlicht, selbstverständlich kann die Patin/der Pate aber auch ungenannt bleiben. Liedpatenschaften können natürlich auch verschenkt werden. Wer hat schon jemals ein Lied von Hugo Wolf geschenkt bekommen?
Alle Paten erhalten als Dank ein von den Künstlern, die das Lied im Rahmen unserer Reihe aufführen, signiertes Notenblatt und ein Programmheft zum Konzert. Und wer für »sein« Lied mehr geben möchte, kann dies natürlich auch gerne tun. Bei Patenschaften ab 50 Euro erhalten Sie zwei Freikarten für das Konzert, bei dem Ihr Lied erklingt, oder für ein Galeriekonzert Ihrer Wahl.
Da ständig neue Liedpaten hinzukommen, finden Sie auf unserer Webseite www.ihwa. de eine fortlaufend aktualisierte Liste der verfügbaren Lieder. Dort gibt es auch alle weiteren Informationen zu den Liedpatenschaften sowie das Formular, mit dem Sie Liedpate werden können.
Herausgeber Internationale Hugo -Wolf - Akademie für Gesang, Dichtung, Liedkunst e.V. Stuttgart, Jägerstraße 40, 70174 Stuttgart, Deutschland, Telefon +49(0)711.22 11 77, Fax +49(0)711. 22 79 989, info@ihwa.de, www.ihwa.de
Vorstand Prof. Dr. Hansjörg Bäzner (Vorsitzender), Hans Georg Koch (Stv. Vor sitzender), Albrecht Merz (Schatzmeister), Walter Kübler (Schrift führer), N.N. (Ver treterin der Landeshauptstadt Stuttgart), MDgt Dr. Claudia Rose (Ver treterin des Landes Baden - Württemberg), Cornelius Hauptmann, Richard Kriegbaum, Patrick Strub
Künstlerischer Beirat Prof. Marcelo Amaral, Oswald Beaujean, Prof. Dr. h.c. Thomas Hampson, Prof. Christiane Iven, Dr. Regula Rapp
Kuratorium Prof. Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Christiane Nüsslein-Volhard, Direktorin d. Max-Planck-Instituts für Entwicklungsbiologie (Tübingen) – Vorsitzende; Dr. h.c. Erwin Teufel, Ministerpräsident a. D. (Spaichingen) – Stv. Vorsitzender; Prof. Siegfried Bauer, Landeskirchenmusikdirektor i. R. (Ludwigsburg), Prof. HansJürgen Drescher, Präsident d. Bayerischen Theaterakademie August Everding (München), Wilfried Ensinger, Ensinger GmbH (Nufringen), Prof. Dr. h.c. Brigitte Fassbaender (München), Dr. Alfred Geisel, Erster stv. Präsident des Landtags von Baden-Württemberg a. D. (Stuttgart), Prof. Dr. Christian Gerhaher (München), Dr. Wolfgang Gushurst, SWR (Baden-Baden), Dr. Karl Gutbrod (Stuttgart), Peter Jakobeit (Stuttgart), Hartmut Jenner, Vorsitzender der Geschäftsführung der Kärcher GmbH (Winnenden), Michael Klett, Verleger (Stuttgart), Prof. Philip Kurz, Geschäftsführer Wüstenrot Stiftung (Ludwigsburg), Prof. Uta Kutter (Stuttgart), Gerti Mayer-Vorfelder (Böblingen), Georg Mehl (Stuttgart), Sergio Morabito (Stuttgart/Wien), Dr. Herbert Müller (Hessigheim), Dr. Günther Nath, Geschäftsführender Gesellschafter der Lumatec Gesellschaft für medizinisch-technische Geräte mbH (München), Dr. Winfried Nowak (Baden-Baden), Franz Xaver Ohnesorg (Essen),
Albrecht Puhlmann (Berlin), Prof. Dr. Ulrich Raulff, Präsident des Instituts für Auslandsbeziehungen (Stuttgart), Gernot Rehrl (München), Michaela Russ, Geschäftsführerin Südwestdeutsche Konzertdirektion Erwin Russ GmbH (Stuttgart), Dr. Roland Schelling, Rechtsanwalt (Stuttgart), Dr. Uwe Schroeder-Wildberg, Vorstandsvorsitzender der MLP AG (Wiesloch), Mario Schulz (Stuttgart), Dr. Wolfgang Schuster, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Stuttgart a.D. (Stuttgart), Peter Ströbel, Rechtsanwalt (Stuttgart), Klaus von Trotha, Minister a. D. (Stuttgart), Dr. Erwin Vaih, Wirtschaftsprüfer (Stuttgart), Susanne Weber-Mosdorf (Hochdorf), Jossi Wieler (Berlin), Dr. Rainer Wilhelm (Stuttgart), Dr. Gerhard Wirth (Stuttgart), Thomas Wördehoff (Hohentengen), Dr. Herbert Wörner (München), Prof. Dr. Walther Zügel (Stuttgart)
Intendanz Dr. Cornelia Weidner
Redaktion & Satz Monika Treutwein, Dr. Cornelia Weidner
Textnachweis Die Texte von Susan Youens sind Originalbeiträge für dieses Heft (Deutsche Übersetzung: IHWA)
Bildnachweise www.commons.wikimedia.org; akg-images; https://artsandculture.google.com; www.museum-digital.de (Frankfurt a.M., 1980; Volksbücher der Literatur: Paul Heyse von Helene Raff, Bielefeld und Leipzig 1911.
Sebastian Mölleken (Irina Jae-Eun Park), Thomas Stimmel (Marie Seidler), Daniel Fuchs (Ludwig Mittelhammer), Kaupo Kikkas (Jonathan Ware), Matthias Baus (David Steffens), privat (Ronan Caillet, Malte Schäfer)
Änderungen des Programms und der Mitwirkenden vorbehalten.
Internationale Hugo -Wolf - Akademie für Gesang, Dichtung, Liedkunst e.V. Stuttgart
Jägerstraße 40
70174 Stuttgart, Deutschland
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Telefax +49 ( 0 ) 711 - 22 79 989
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