heuler – das Studentenmagazin #94

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Heft 94 | kostenlos

Das Studentenmagazin der Uni Rostock

ROSTOCK BEI NACHT Verkauft? 07 Im R체ckblick: Der Streitfall novus Marketing

Verw채hlt? 27 Landtagswahlen in MV stehen an

# Verantwortlich? Neues Gesetz zur Lehrerbildung

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03

2011



Editorial

Das ist seit dem letzten Heft passiert

RÜCKR SPIEPS GELLEG

Bestanden: Mit Erscheinen der vergangenen Ausgabe nahm unsere neue heuler-online-Redaktion erfolgreich ihre Arbeit auf. Seit Mitte Mai kann nun auf heulermagazin.de eine Vielzahl von

Gesa

Änne

E

s gehen merkwürdige Dinge vor sich – nachts im Grünen Ungeheuer. Das Beobachten der heuler-Redakteure während des Layouts wäre wahrlich ein Fest für jeden Soziologen: Roller-Rennen, Melonen-Fußball und spon-

Artikeln gelesen werden. Neben Veröffentlichungen aus dem Heft und Ergänzungen zu diesen bietet heuler-online zahlreiche neue und aktuelle Themen. So schnellte die Seite innerhalb kürzester Zeit bei mehreren Internetrankings vergleichsweise weit nach oben. Die meisten Besuche verzeichnet bisher der Artikel »Elite ohne Ordnung« (siehe heuler Nr. 93), der von fehlenden Prüfungsordnungen für Human- und Zahnmediziner und der daraus resultierenden Willkür der Prüfer berichtet: Fast 3.400 Besuche

tane Tanzeinlagen zu Hanson-Songs bilden die Eckpunkte unserer

und 63 Kommentare haben wir bis zum 15. Juni gezählt. Damit

nächtlichen Aktivitäten. Als beinahe ebenso skurril entpuppten

mauserte sich der Text in kürzester Zeit zum meistkommentierten

sich die Recherche-Ergebnisse zu unserem Titelthema »Rostock bei Nacht«, die ihr im Ressort Studentenleben nachlesen könnt. Im Dunkeln tappen an der Philosophischen Fakultät nicht nur die meisten Studenten, sondern auch einige Mitarbeiter der Chefetage bezüglich der Rechtsgrundlagen des Studiums, wie Karo und Änne

Artikel in der Geschichte des heulers. Was sich seit seiner Veröffentlichung alles verändert hat und welche Klischees nun endgültig als bewiesen gelten können, lest ihr auf den Seiten 10 und 11 in dieser Ausgabe. Beschlossen: Anfang des Jahres sollte das Große Haus des Volkstheaters Rostock noch wegen mangelhafter Brandschutz-

im Uni-Ressort berichten. Dort erhellt Jule außerdem einige Miss-

vorkehrungen dichtgemacht werden. Nach den Protesten um

verständnisse um den umstrittenen Vertrag zwischen der Uni und

die Schließung finanziert die Stadt nun doch eine Sanierung

der Agentur novus Marketing. In ebensolchen Nacht- und Nebelaktionen ist angesichts einiger Neuregelungen offenbar auch das neue Lehrerbildungsgesetz entstanden, das im Politik-Ressort von Gesa beleuchtet wird. Elisabeth bringt Licht ins Dunkel der Landtagswahlen und erklärt, was die Landespolitiker so treiben und wie sie derzeit um unsere Stimmen werben. Im Kulturressort ruht der Spot auf dem nicht ganz unpolitischen Lebenswerk von Bud Spencer und Terence Hill. Darüber hinaus erklärt Alfonso den kometenhaften Abstieg der regionalen

des Hauses. Mit rund 2,7 Millionen Euro soll das Große Haus innerhalb eines Jahres so weit ausgebessert werden, dass der normale Spielbetrieb bis zur Fertigstellung des Neubaus garantiert ist. Beworben: 39 Kandidaten haben sich in diesem Jahr für den StudentINNenrat (StuRa) aufgestellt. Nun hoffen sie, in das Hochschulgremium gewählt zu werden, um in Zukunft die Meinung der gesamten Studierendenschaft zu vertreten und mitzuentscheiden, wofür der Semesterbeitrag im kommenden Jahr verwendet wird. Vom 1. bis zum 15. Juni konnte nun jeder Student seine Stimmen für den StuRa abgeben. Wie hoch die Wahlbeteiligung

Aristokratie, Yvonne dagegen erzählt von ihrem persönlichen High-

in diesem Jahr lag, war bei Drucklegung des heulers noch nicht be-

light und Leuchtfeuer ihrer großen Liebe zur LOMO-Fotografie.

kannt, im vergangenen Jahr erreichte die Wahlkommission jedoch eine Partizipation von mageren 8,33 Prozent. Die diesjährige Wahlbeteiligung an der Fachhochschule Stralsund setzt dagegen hohe Maßstäbe: Geschickte Werbung erreichte sagenhafte 28,3

Mail

redaktion@heulermagazin.de online@heulermagazin.de

Prozent der Studierenden. Davon können die Verantwortlichen an der Uni Rostock wohl nur träumen. Weitere Informationen erhaltet ihr zeitnah auf heulermagazin.de.

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INHALTSVERZEICHNIS

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STUDENTENLEBEN

Universität

Novus räumt auf Werbung an der Uni

Mallorca-Bibo

KULTUR

POLITISCHES

07 08 Kompliment Jobben bei Nacht Spätschicht für Studenten

Licht aus! Unter Beschuss Philosophische Fakultät

09

Busfahrer-Storys

Ellbogen-Medis

10

Serie Wissenschaft

12

Soziologie der Liebe

Pro/Contra

Nachts in der Uni

Live aus der Fledermaus

17 18 20

LOMO-Liebeserklärung

Landtagswahlen 2011 in MV

27

Fachschafts-Geld

28

Wohin mit dem Reichtum?

Politische Bildung

29

FZS-Pläne

31

Teures Netzwerk?

Q-Tipps

35

Royale News

36

Land vs. Krone

13 Kindheitshelden In Herrgottsfrühe

Analphabetismus Uni-Glasapparatebauer

15

im PISA-Schlusslicht MV

Lehrerbildung

22

37

Bud Spencer & Terence Hill

21

Müllsammler am Strand

Beruferaten

35

32

Novellen aus Schwerin

PSA-News

GeSCHMACKSPOLIZEI

Rezensionen

33

Bücher/TV/CDs/Theater ...

38

Lerndoping

24

Postskriptum

42

Achilles Verse

24

Comic

42

Kind und Kegel

25

Impressum

42

Rätselseite

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Familiengründung im Studium


Foto: Maximilian Berthold


Foto: Michael Schultz

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UNIVERSITÄT

Gefühlschaos

I

mmer wieder widmet sich unser StudentINNenrat in hochemotionalen und teils unsachlichen Debatten der Agentur novus Marketing. Während die einen munter über Werbung an der Uni diskutieren, befassen sich die Medizinstudenten in leidenschaftlicher Manier vorrangig mit sich

selbst – und die Zuständigen leider viel zu wenig mit der fehlenden Prüfungsordnung. Doch am Gesa, Ressortleiterin

Ende wird alles gut: Die Dozentin Yvonne Niekrenz schreibt über die Soziologie der Liebe. Web

www.heulermagazin.de/universitaet

Illustration: Änne Cordes


Sag doch was Die Uni verkauft Werbeflächen auf dem Campus. Einige Vertreter der Studierendenschaft fühlen sich übergangen und fürchten den Ausverkauf der Alma Mater. Der Pressesprecher der Uni räumt Fehler in der Kommunikation ein. Text

D

JULIANE MEIßNER

er Vertrag zur »Vermarktung von Werbeflächen an der Universität Rostock« zwischen Hochschule und der Agentur novus Marketing trat schon im Oktober 2010 in Kraft, doch nach wie vor stößt die Zusammenarbeit auf viel Kritik. Initiator der Vereinbarung ist Dr. Ulrich Vetter, Leiter der Presse- und Kommunikationsstelle der Uni Rostock. »Wir haben keine Ressourcen, selbst kommerzielle Werbung zu akquirieren und zu verwalten«, erklärt Vetter. »Die Uni war vor der Kooperation auch kein werbefreier Raum. Mit der Beauftragung von novus Marketing soll die Campus-Werbung strukturiert und professionell gehandhabt werden.« Er sehe nichts Verwerfliches daran, wenn die Uni daraus finanziellen Nutzen ziehe, ohne selbst investieren zu müssen. Nach einer Ausschreibung vom Februar 2010 erhielt novus Marketing als einer von mehreren Bewerbern den Zuschlag. Laut Geschäftsführer Stefko Kruse seien die Aufgaben der Agentur die Akquise von Werbekunden sowie die Betreuung von Plakatflächen auf dem Campus. Die Uni Rostock bekomme dafür eine Mindestvergütung und Anteile der Werbeeinnahmen: »Die Uni erhält von novus Marketing jährlich 4.500 Euro. Dazu kommen, je nach Werbeform, weitere Anteile: 20 Prozent aus der Vermietung von Plakatflächen, 30 Prozent von Promotion-Ständen und 40 Prozent bei Sonderwerbeformen«, erklärt Kruse. Die Anbringung von Sonderwerbeformen müsse mit der Uni-Leitung abgesprochen werden. Außerdem werde keine kommerzielle Werbung in Hörsälen platziert. »Je nach Auftragslage verdient die Uni auf diese Weise 10.000 bis 20.000 Euro im Jahr«, schätzt er. Pressesprecher Vetter klärt auf, dass mit den Einnahmen eigene Werbemaßnahmen der Uni finanziert würden. Doch brachte die Neuerung auch Ärger mit sich. »Im November vergangenen Jahres erhielt die Fachschaft der Sportwissenschaftler eine Rech-

nung von novus Marketing, weil sie ihre Feier mit Aushängen beworben hatte«, erinnert sich Andreas Heinrich, Mitglied des StudentINNenrates (StuRa). Auch anderen Universitätsangehörigen sei eine Rechnung zugestellt worden. Heinrich habe daraufhin einen Antrag auf Prüfung des Vertrags bei der Studierendenvertretung eingereicht. StuRaPräsident Johannes Krause blickt zurück: »Die Studierenden waren verwundert über die plötzlich zu entrichtenden Rechnungen. Das Missverständnis konnten wir aufklären: Die Feier der Sportwissenschaftler fand in Kooperation mit dem LT statt. Die Mitarbeiter der Agentur dachten deshalb, es sei kommerzielle Werbung.« Die Folge dieses Vorfalls: So mancher befürchtete nun, keine Hinweise mehr kostenfrei aushängen zu dürfen. Stefko Kruse stellt dagegen klar, dass seine Agentur nur kommerzielle Werbung verwalte. Alle Uni-

Ein erster Schritt zur Coca-Cola-Uni? Angehörigen dürften nach wie vor ihr Info-Material und Ähnliches kostenfrei verteilen. Es seien extra Info-Boards in den Fakultäten angebracht worden, um für Übersichtlichkeit zu sorgen. Er weist aber noch auf einen weiteren Umstand hin: »Es ist natürlich nicht rechtens, wenn offizielle Werbeflächen, für die unsere Kunden bezahlt haben, überklebt oder übersteckt werden. Sollte dies passieren, wird das von unseren Mitarbeitern entfernt.« Doch damit beruhigte sich die Lage nicht. Es folgten mehrere StuRa-Zusammenkünfte, während derer man über die Rechtmäßigkeit des Vertrags und dessen Einfluss auf die Studierenden diskutierte. Aus den Protokollen der Sitzungen ist zu entnehmen, dass einige Mitglieder die kommerzielle Nutzung kritisieren. Sind die Werbeflächen nicht doch ein erster Schritt zur Coca-Cola-Uni?

Herr Vetter widerspricht: »Durch die neue Regelung steuern wir den Werbeprozess, was vorher nicht möglich war. Aber wir nehmen die Bedenken der Studierenden sehr ernst. So etwas wie eine Campus-Umbenennung wird nicht passieren. Ein so gewaltiger Schritt bedürfte der Zustimmung mehrerer universitärer Gremien. Außerdem denkt niemand daran, so etwas zu tun.« Doch gerade die Einbeziehung mehrerer Instanzen vermissten die Studierendenvertreter bisher. »Wir haben uns mit dem StuRa-Beschluss vom 24. April dieses Jahres nicht nur gegen die Kommerzialisierung der Uni ausgesprochen, sondern auch gegen den Alleingang von Herrn Vetter«, kommentiert Christian Berntsen, Vorsitzender des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA). Im Februar hatte Ulrich Vetter auch wirklich Fehler eingeräumt: »Ein früherer Kontakt zu AStA und StuRa hätte uns wahrscheinlich viele Missverständnisse erspart. Ich konnte mir aber nicht vorstellen, dass das Thema solch hohe Wellen schlägt. Inzwischen hat es einige klärende Gespräche gegeben.« StuRa-Präsident Krause erklärt, dass Vetter seinem Gremium versprochen habe, die Vertreter der Studierendenschaft bei Neuverhandlungen zum Vertrag miteinzubeziehen. Dieser sei im Nachhinein dann tatsächlich noch präzisiert und Anregungen von AStA und StuRa angenommen worden. Dies sei jedoch wiederum nicht an die Studierendenvertretung kommuniziert worden. Der Pressesprecher erklärt: »Das war nur ein ­Telefonat von knapp zwei Minuten und keine lang andauernde Nachverhandlung.« Trotzdem hätte sich Krause eine bessere Einbeziehung gewünscht: »Für Herrn Vetter war die Veränderung vielleicht nicht der Rede wert. Aber schon bei Inkrafttreten des Vertrags war die Kommunikation sehr schlecht. Die Möglichkeit, uns über die Änderungen zu informieren, hat Herr Vetter leider wieder nicht genutzt.« <

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Foto: Pascal Zurek

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Ein Platz an der Sonne Die Südstadtbibliothek der Universität Rostock hat nicht genügend Kapazitäten: In der Prüfungs- und Hausarbeitenzeit sind vor allem die Arbeitsplätze rar. Ein Ausbau ist zwar angedacht, doch was passiert in der Zwischenzeit? Text

D

PAUL FLEISCHER

ie Südstadtbibliothek hat ein Problem: Sie ist das Mallorca Rostocks. Ein großer Teil der Studenten verbringt dort die Semesterferien. Und ähnlich dem Prozedere in den ausländischen Bettenburgen gibt es auch in der Albert-Einstein-Straße einen Run auf die besten Plätze. Für den Pauschaltouristen ist es die Liege am Swimmingpool, für den hiesigen Studenten der Arbeitsplatz in den Bibliotheksräumlichkeiten. Da stehen sonst schlafsüchtige, junge Menschen schon 30 Minuten vor der eigentlichen Öffnungszeit an den Pforten und bilden Warteschlangen. Um Punkt neun ergießen sich die Massen in das Gebäude, als gäbe es einen Ausverkauf. In kürzester Zeit sind nahezu alle Plätze belegt. Langschläfer müssen im Zweifel mit der Kinderabteilung Vorlieb nehmen – oder wieder nach Hause gehen. Das ist nicht nur ärgerlich, sondern raubt vor allem Zeit. Doch gerade diese ist für Studenten selten so kostbar wie in den vorlesungsfreien Wochen. Ist das »Revier« erst einmal mit Büchern, Laptop und Tasche markiert, gibt es keiner mehr so leicht her. So ist während der Mittagszeit eine Vielzahl der Plätze zwar unbenutzt – aber durch die Arbeitsmaterialien für Nachzügler blockiert. Die Berliner Humboldt-Universität hat sich etwas gegen solche notorischen Sitzplatzverteidiger einfallen lassen: Wer

den Platz verlässt, muss eine Eieruhr auf 60 Minuten stellen. Kommt derjenige erst nach Ablauf der Zeit zurück, findet er seine Habseligkeiten abgeräumt. Ist das vielleicht auch eine Lösung für Rostock? Gewiss ist: Die Südstadtbibliothek ist für den Grad der Auslastung, welcher in den Prüfungszeiten vorherrscht, schlicht nicht ausgelegt. Im Grunde benötigt die gesamte Uni-Bibliothek dringend eine Frischzellenkur in Form von Aus- oder Neubauten. Dafür prädestiniert und auch angedacht sind unter anderem die Flächen auf dem Universitätsplatz und dem Campus Ulmenstraße. Doch das wird noch dauern. Wie wäre es bis dahin mit einem digitalen Auslastungsplan? Ein ähnliches Zählsystem wie in einem Parkhaus zum Beispiel: Mit einem Blick auf die Website der Bibliothek oder auf eine App fürs Smartphone könnte man sehen, ob überhaupt noch Platz ist. Oder man führt die Quadratmetereffiziente Großraumbüro-Atmosphäre wieder ein. Damit ließe sich die Zahl der Arbeitsplätze deutlich erhöhen. Also Parkuhr, Parkhaus oder Käfig-Feeling? Wie lange die Auslastungsprobleme noch vorherrschen werden und wie die jetzigen Probleme tatsächlich zu lösen wären, erklärt uns Bibliotheksdirektor Robert Zepf in einem Interview auf heulermagazin.de. <


»Wir wissen schon, was gut für euch ist!« Bevor Studenten anfangen, sich intensiv mit ihren Studien- und Prüfungsordnungen auseinanderzusetzen, müssen schon schwerwiegende Probleme mit dem BAföG-Amt, Dozenten oder dem Prüfungsamt im Raum stehen. Die traurige Wahrheit ist, dass Studenten ihre Rechte gegenüber der Universität selten geltend machen, weil sie diese einfach nicht kennen.

K

ÄNNE CORDES UND KAROLIN BUCHHOLZ

eine andere Fakultät nutzt die Rechts­ unsicherheit der Studenten so sehr aus wie die Philosophische Fakultät: ein Dekan, der im rechtsleeren Raum Beschlüsse des Fakultätsrats herbeiführt; eine Mitarbeiterin im Prüfungsamt, die unreflektiert die Pseudo-Fakten ihres Vorgesetzten zur Wahrheit erhebt; eine potenzielle Studiendekanin, welche die nichtexistente Anwesenheitspflicht per Personalausweis kontrolliert, obwohl sie die Interessen der Studenten vertreten sollte. Die Zustände an der Philosophischen Fakultät bieten jede Menge Zündstoff. Dennoch ist die Studierendenschaft weit davon entfernt, sich zur Wehr zu setzen. Die Wahl des Studiendekans erfolgt auf Vorschlag der Studenten. Dass sie jedoch keinen geeigneten Kandidaten für den Posten finden konnten, scheint nicht von ungefähr zu kommen. Hinter vorgehaltener Hand wird gemunkelt, dass niemand scharf darauf sei, sich mit Dekan Prof. Hans-Jürgen von Wensierski auseinanderzusetzen. Dieser ließ angesichts mangelnder Bewerber kurzerhand seine Favoritin für das Amt, Dr. Stephanie Wodianka vom Institut für Romanistik, zur Prodekanin wählen und übertrug ihr die Aufgaben der Studiendekanin kommissarisch gleich mit. Dass die Ordnung der Philosophischen Fakultät außer einem Prodekan für Forschung und einer Studien­dekanin keine weiteren Prodekane zulässt, scheint von Wensierski nicht zu interessieren. Die Wahl Wodiankas könnte mit dem heiß diskutierten Thema der Anwesenheitspflicht zu tun haben: Obwohl sie gegenüber der Romanistik-Fachschaft erklärt hatte, dass sie in Sachen Anwesenheitspflicht auf der Seite der Studenten stehe, stellte Frau Wodianka in

9 ihren eigenen Lehrveranstaltungen die Anwesenheit mittels Personalausweiskontrolle fest. Das Zauberwort für geplagte Studenten heißt »Rechtsgrundlage«. Die Uni muss als Behörde, als Bildungsdienstleister verstanden werden und die rechtlichen Grundlagen ihrer Arbeit liefern können. Kann sie das nicht, ist Widerspruch ratsam. Dass Rechtssicherheit oft Wunschdenken ist, lässt sich anhand vieler Vorkommnisse ablesen: Mündliche Prüfungen (dazu zählen auch benotete Referate!) werden ohne Zweitprüfer oder Protokoll abgenommen; die Geschäftsführerin des Dekanats der Philosophischen Fakultät erklärt, dass es keine Verordnung für den Fakultätsrat und dessen Beschlüsse gebe; und der Dekan verwirrt seine Lehrkräfte mit nicht-rechtskonformen Beschlüssen zur Anwesenheitspflicht. Diese steht nach wie vor in keiner Prüfungsordnung und kann somit nicht zum Ausschluss von einer Prüfung führen. Dies bestätigen der Prüfungsausschuss der Philosophischen Fakultät sowie der Widerspruchsausschuss der Uni. Dass die Meinung der Studenten und Fachschaften an der Philosophischen Fakultät nicht zählt, zeigt auch die Reformierung der übergeordneten Bachelor-Studienordnung, die zurzeit im Alleingang von Lehrkräften und Mitarbeitern durchgedrückt wird. Ursprünglich wollte Dekan von Wensierski in der neuen Verordnung sogar die Anwesenheitspflicht in Vorlesungen festschreiben. Dass das Grundgesetz ein freies Studium garantiert, bedeutet damit im Philosophischen Fakultätsrat nichts. Die Professoren wüssten schließlich am besten, was gut für die Studierenden sei. Gestatten, Phil Fak.

Die Dozenten, die ihre Studenten behandeln wie unmündige Schüler, pflegen die Argumente der Studierendenschaft in Senat, Konzil und Fakultätsrat überheblich vom Tisch zu wischen. Das Gegeneinander von Lernenden und Lehrenden ­ wird in manchen Fällen zum Nahkampf, in dem es um nichts Geringeres als den Studienabschluss oder dessen finanzielle Absicherung durch das BAföG geht. Jüngst rieten Mitarbeiter der Philosophischen Fakultät den Magisterstudenten mit zwei Fächern dazu, in den hochgelobten Mono-Master zu wechseln. Was man ihnen nicht sagte: Das Umschreiben in den Mono-Master gilt als Studiengangwechsel. Infolgedessen verloren die betroffenen Magisterstudenten ihren BAföG-Anspruch und könnten die Uni nun auf Schadensersatz wegen mangelnder oder falscher Informationen verklagen. Unser Fazit: Bessere Lehrveranstaltungen bräuchten keine Anwesenheitspflicht und durch bessere Beratung und die Beachtung der Rechtsgrundlagen könnten viele Probleme ausgeräumt werden. Uns bleibt dazu nur zu sagen: Lasst euch nichts gefallen und lest eure Prüfungs- und Studienordnungen! <

Grafik: Michael Schultz

Text


Badesalz im Haifischbecken Mangelhafte Prüfungsbedingungen und Dozenten-Willkür an der Medizinischen Fakultät waren Themen der vergangenen heuler-Ausgabe. Auch online wurde berichtet – und viel Kritik geerntet. Die Diskussion um das Thema macht deutlich: Mediziner kämpfen vor allem für sich selbst. Trotzdem gibt es positive Veränderungen. Text

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U

Michael Schultz

nfaire Prüfungen – Fehler im System? Einige Medizinstudenten sahen Handlungsbedarf und informierten den Allgemeinen Studierendenausschuss sowie den heuler über die zweifelhaften Umstände an der Medizinischen Fakultät (MEF). Doch offenbar teilen viele ihrer Kommilitonen die Ansicht nicht, dass tiefgreifende Änderungen am Prüfungssystem ihrer Fakultät notwendig wären. Stattdessen schießen sie gegen die Protestierenden: Wer sich nicht dumm anstelle, schaffe auch die Prüfungen. Eigentlich sei die Sache nämlich ganz einfach, folgt man dem Kommentar zum Artikel »Elite ohne Ordnung« (siehe heuler Nr. 93) des Nutzers medi auf der heuler-Website: »Wenn man vernünftig lernt, besteht man jede Prüfung.« Erschreckend deutlich zeichnet die Diskussion um die Prüfungen an der Medizinischen Fakultät das Bild einer Ellbogengesellschaft im Studiengang Medizin. Die Studierenden der MEF erweisen sich in der Angelegenheit der Prüfungsordnung nicht als Gemeinschaft, die für ein sinnvolles und wichtiges Ziel zusammenhält. Vielmehr werden benachteiligte Kommilitonen als Lügner oder als unfähig herabgewürdigt. Solche Umstände können mitunter zu psychischen Problemen führen (siehe Kommentar). Natürlich zählt der Medizinstudiengang nicht ohne Grund zu den härteren Studienfächern. Der Lernstoff ist äußert umfangreich, die Verantwortung im späteren Job gigantisch. Es kann daher nicht Sinn und Zweck der Diskussion sein, das Medizinstudium aufweichen zu wollen. Auch Pia*, die Protagonistin des Artikels im letzten Heft, möchte nicht, dass ihr Studium leichter wird: »Es geht mir um Fairness.« Genau dieser Aspekt ist vielen Medizinern – so stellt es sich zumindest in den meisten Kommentaren auf

heulermagazin.de dar – offenbar fremd. Warum aber zahlreiche Medizinstudenten bereit sind, auf ihre Rechte bei Prüfungen zu verzichten, ist für Außenstehende nicht nachvollziehbar. Dabei wäre es für alle Beteiligten dringend nötig, rechtliche Sicherheit im Zusammenhang mit den Prüfungen zu schaffen. Nur so werden Verbesserungen nicht nur von kurzer Dauer sein. Denn die gibt es immerhin. So durften Prüfungsfragen in den letzten Wochen teilweise schriftlich beantwortet werden, was den Kritikpunkt der fehlenden Protokolle aufgreift. Auch sei der persönliche Umgang mit den Prüflingen anders, insbesondere Professor Ulfig sei nach Aussage mehrerer Medizinstudenten im Umgang mit den Studenten in seinen Testaten deutlich angenehmer und freundlicher. Das ist freilich nur ein bisschen Badesalz im Haifischbecken. Das grundsätzliche Problem der fehlenden Prüfungsordnung aber bleibt weiter bestehen. Hier wäre speziell der Fachschaftsrat gefordert, am Ball zu bleiben und Änderungen im System durchzusetzen. Doch daran zweifeln bereits die eigenen Kommilitonen: »Der Fachschaftsrat der Mediziner ist inkompetent«, schreibt Theo auf der heuler-Website. Sandra ergänzt: »Der Fachschaftsrat ist wirkungslos, die Mitglieder nutzen mehr den eigenen Vorteil als etwas zu verändern oder umzusetzen.« Bereits in der vergangenen Ausgabe wurde erörtert, dass die Problematik den Vertretern seit Jahren bekannt ist. Die direkte Konfrontation mit den Dozenten und dem Dekanat war bereits bei der Diskussion um die Anwesenheitspflicht im Studiengang Biomedizinische Technik wenig


erfolgreich. Es ist an der Zeit, das ramponierte Image aufzupolieren. Angesichts der unbesetzten Stellen im Vorsitz und der Öffentlichkeitsarbeit dürfte das schwierig werden. Auch wenn ein Großteil der Mediziner mit dem bisherigen System gut klargekommen ist, dürfen die Prüfungsumstände nicht zum Nachteil für diejenigen werden, die damit Probleme haben. Gleichzeitig muss auch für die Dozenten die Sicherheit bestehen, ihre eigenen Prüfungen als zweifelsfrei rechtmäßig nachweisen zu können. So ließe sich von beiden Seiten belegen,

dass eine Prüfung ordnungsgemäß abgelaufen ist – auch ein Student könnte dann nicht mehr behaupten, der Prüfer sei unfair gewesen. Sorgen machen müssten sich nur diejenigen, die aufgrund persönlicher Bevorzugung bislang ein einfacheres Studium hatten. Dafür, dass es derartige Fälle gegeben hat, gibt es bislang allerdings keine Anzeichen. Für die Zukunft sollten sich die Medizinstudenten zumindest auf eine gemeinsame Linie einigen – vielleicht frei nach dem Motto eines Frank Plasberg: hart, aber fair. <

BIS ZUR ERSCHÖPFUNG Immer mehr Menschen leiden am Burnout-Syndrom, darunter viele Studenten. Was verbirgt sich dahinter?

B

urn-out ist eine Reaktion auf anhaltenden Stress. Dies betrifft vor allem das berufliche

Umfeld, doch viele Lehrbücher beziehen es auch auf andere Lebensbereiche wie Familie, Freizeit

Illustration: Björn Giesecke

und Partnerschaft. Einig ist sich die Wissenschaft in den Konsequenzen, die das »Ausgebranntsein« für die betroffene Person haben

LIEBE KOMMILITONEN!

kann: Burn-out kann zu Verhaltensänderungen – von Unruhe bis hin zu vermehrtem Alkohol-

I

ch bin selbst Medizinstudentin des 8. Semesters und habe dieses »Ich-bewerte-der-Nase-nach« Gott sei

konsum –, zur persönlichen Isolierung und zu

Dank schon durch. Viele meiner Kommilitonen beschreiben den Präparierkurs als das Härteste, was

Einstellungen wie Zynismus, Negativismus oder

sie bis dahin in ihrem jungen Leben miterleben mussten. Oftmals fällt der Begriff »unmenschlich«. Viele

Gleichgültigkeit führen. Erste körperliche Symp-

zerbrechen an dem Druck und haben eindeutige Symptome eines beginnenden Burn-outs. Ich selbst habe

tome von Burn-out werden häufig missgedeutet,

in der Vorklinik unter Burn-out gelitten und war bei einem Psychologen. Das damalige Prüfungssystem

da sie auch bei vielen anderen Krankheiten

im Präparierkurs: vier Testate alle zwei Wochen. Fällst du durch eines durch, hast du die Woche darauf die

auftreten können. Hierzu gehören beispielsweise

Nachprüfung und wieder weniger Zeit für den neuen Stoff. Es war ein Teufelskreis. Ich probierte schon

Verdauungsprobleme, Kopfschmerzen und vor

gar nicht mehr, in den Anatomiesaal zu gehen, fing ich doch schon vorher an zu heulen. Unterstützung

allem Schlafstörungen und Erschöpfungsgefüh-

kannst du dann von deinen Mitstudenten keine erwarten. Wie auch, jeder hat mit sich zu tun, keiner

le. Zudem fühlen sich Betroffene häufig hoff-

blickt nach links oder rechts. Andere freuen sich, dass einer weniger am Tisch steht. In dieser Zeit fragst

nungs- und hilflos und haben Schuldgefühle,

du dich echt, was aus deiner anfänglichen Motivation, »Leuten zu helfen«, geworden ist. Du veränderst

weil sie beispielsweise im Beruf nicht mehr so

dich in dieser Zeit so stark, bist nur noch traurig, lustlos und ein vollkommen anderer Mensch. Viele

perfekt funktionieren wie zuvor. So unterschied-

meiner damaligen Kommilitonen haben nach dem zweiten Präparierkurs aufgehört. Wortlos. Klanglos.

lich die Symptome, so individuell ist auch der

Fassungslos. Ich bin aus diesem Erschöpfungszustand zum Glück wieder rausgekommen. Mit einer

Beginn und Verlauf der Krankheit.

Auszeit, meiner lieben Familie, meinem geduldigen Freund. Alleine hätte ich es

Um Burn-out vorzubeugen oder einer beginnen-

nie geschafft und ich brauchte eine gewisse Zeit, um mich aus diesem Loch

den Krankheit entgegenzuwirken, empfehlen

rauszuziehen. Was ich erst hinterher für mich an Erkenntnis gewinnen

Buser et al. in ihrem »Kurzlehrbuch für medi-

konnte, ist, dass man sich schon in der Vorklinik Ressourcen schaffen

zinische Psychologie« vor allem, den Stressherd

muss: Sport treiben, auch wenn wenig Zeit ist, sich mit anderen zum

ausfindig zu machen und zu entschärfen. Aber

Kaffeetrinken treffen oder sich mal einen Abend in der Woche auf

auch am eigenen Zeitmanagement zu arbei-

die Couch hauen und ‘nen Film schauen. Irgendwie abschalten.Um das Ganze zum Abschluss zu bringen, möchte ich allen nur sagen: Haltet durch, sucht euch Hilfe, wenn ihr merkt, ihr kommt

ten, um den Alltag zu entlasten, sei hilfreich. Besonders wichtig sei laut dem »Leitfaden zur Burn-out-Prävention« einer privaten Fachklinik

alleine nicht mehr klar, und gesteht euch Schwächen ein, die

für Psychosomatische Medizin, der Gezeiten

sind keine Schande. Wie würde meine Oma jetzt abschließend so

Haus Klinik, dass der Betroffene sich Zeit für

treffend sagen: »Nach dieser Zeit kommt eine andere« und

sich selbst nehmen könne, um zu entspannen,

»Die anderen kochen auch nur mit Wasser«.

Sport zu treiben oder seinen Interessen nachzugehen. Hierbei sei es demnach nützlich, auch

Text

ANONYM, 8. Semester Medizin

einfach mal das Handy abzuschalten, Arbeit zu delegieren oder in Gemeinschaft zu lachen.

*Name von der Redaktion geändert

Text

GESA RÖMER

Web

http://tinyurl.com/6gz7qd8

11


Foto: Michael Schultz

Serie

Wissenschaft an der Uni

Liebe in Zeiten maximaler Ungewissheit 12

Die Liebe gehört zum Erfahrungshorizont des Menschen: Jeder liebt irgendwann ­einmal irgendwen oder irgendwas. Aber die Liebe scheint kompliziert ­­geworden zu sein. So beschäftigen die großen Fragen des L(i)ebens auch die Soziologie.

Text

D

YVONNE NIEKRENZ

er Buchhandel füllt ganze Regalreihen mit Büchern wie »So verlieben Sie sich richtig« oder »Wie Partnerschaft gelingt – Spielregeln der Liebe«. Die Ratgeberliteratur kreist um das immer gleiche Thema »Liebe und Partnerschaft«. Liebe ist ein allgegenwärtiges Phänomen und begegnet uns medial in Musik, Literatur, Film, Fernsehen und auch ganz persönlich im Alltagsleben und unseren sozialen Beziehungen. Liebe liegt uns am Herzen, kann aber auch Bauchschmerzen bereiten. Nicht von ungefähr gibt es Ratgeber, Coachs und Paarberatungen, die in Liebesdingen Nachhilfe leisten. »Liebe wird nötig wie nie zuvor und unmöglich gleichermaßen«, schreiben Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim 1990 in ihrem über die Grenzen der Soziologie hinaus bekannten Buch »Das ganz normale Chaos der Liebe«. Während wir uns also einerseits mehr denn je nach der Liebe sehnen und ihr symbolischer Wert gestiegen ist, so wird es gleichzeitig immer schwieriger, in ­dauerhaften und stabilen Beziehungen zu leben. Das Chaos in Liebesdingen scheint Normalität zu sein. Woran liegt das? Die Soziologie diskutiert die veränderten Bedingungen des Liebens vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Gegenwartsdiagnosen. Die fortschreitende Modernisierung nämlich beeinflusst die Art und Weise, in der sich Liebe heute realisieren lässt. Als folgenreich bezeichnen Beck und Beck-Gernsheim unter anderem die zunehmende Auflösung des dominanten bürgerlichen Familien­ideals, die durch die Ausbruchsversuche

vor allem der Frauen seit den 1960er-Jahren vorangetrieben wird. Freiheit und Gleichheit – dies soll nun für Männer wie Frauen und auch für Liebesbeziehungen gelten. Alternative Modelle zur »Versorger-Ehe« werden denk- und lebbar. Ein Individualisierungsschub setzt ein, der zu Freiheiten und Zwängen gleichermaßen führt. Die Menschen werden zu Gestaltern ihrer eigenen Biografien: Sie dürfen und müssen entscheiden über Ausbildung, Beruf, Mobilität und ihre Lieben. Weil Frauen zunehmend am Arbeitsmarkt beteiligt sind, verändert sich nicht nur die weibliche Normalbiografie, sondern auch traditionelle Rollenbilder von Frauen wie Männern verlieren ihre Gültigkeit. Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern wandelt sich, und das romantische Ideal von »freier Liebe« – also Freiheit und Gleichheit in der Partnerschaft – scheint Realität zu werden. Mit der Gestaltungsvielfalt in Partnerschaftsmodellen entstehen aber auch Uneindeutigkeiten und Ungewissheiten; es beginnt die Suche nach lebbaren Vorbildern. Liebe wird riskanter und prekärer. Je unsicherer sie wird, umso mehr wird sie ersehnt und romantisch erhöht: Liebe zu erfahren, scheint den modernen Menschen erst zu vervollständigen. Für Dating-Plattformen und Single-Börsen ergibt sich aus diesem kulturellen Skript ein lukratives Geschäft – und für den Partne­rsuchenden ergibt sich daraus die »Qual der Wahl«. Die freie Liebe nämlich ist gar nicht so frei, sondern folgt einem spezifischen Wahlver-

Intimbeziehungen aus soziologischer Perspektive Was ist Liebe? Jeder liebt irgendwen oder irgendwas. Liebe ist eine primäre Kategorie menschlichen Lebens. Deshalb müssen soziologische Theorien dafür geeignet sein, diese konkret in der Alltagswelt erfahrbare soziale Tatsache zu beschreiben und zu erklären. Ausgewählte­soziologische Theorien werden nach »LiebesErklärungen« befragt. So werden Funktionalität und Erklärungskraft theoretischer Konstrukte am Beispiel Liebe demonstriert. Eine Vielzahl an Perspektiven auf die Liebe zeigt nicht nur deren farbenfrohes Spektrum, sondern auch die konkret fassbaren Möglichkeiten soziologischer Theorien. > Yvonne Niekrenz u. Dirk Villányi (Hrsg.)

LiebesErklärungen – Intimbeziehungen aus soziologischer Sicht VS-Verlag (2008) ISBN-13: 9783531154763


halten, das marktförmig organisiert ist. Auf dem »Partnerschaftsmarkt« werden die Qualitäten des Einzelnen zur Bewertung und zum Tausch angeboten – stets begleitet von der Hoffnung auf »die beste« aller möglichen Entscheidungen und auf ideales Aushandlungsgeschick. Romantisch klingt das nicht. Soziologische Analysen tun das auch sehr selten, weil sie sich in ihrer Erklärung vom Phänomen selbst distanzieren müssen, um es klarer sehen zu können. Am Lehrstuhl für Soziologische Theorien und Theoriegeschichte wird seit einigen Jahren an Gegenwartsdiagnosen sozialer Beziehungen ­gearbeitet. Dabei geht es nicht nur um Liebesbeziehungen, sondern auch um relativ flüchtige Vergemeinschaftungsformen, wie sie etwa bei großen Festen und Events oder bei Protestveranstaltungen und Demonstrationen zustande

­kommen. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass sich Modernisierungs­ prozesse auch in einem Wandel sozialer Beziehungen abbilden. Die paradoxe Sehnsucht nach Freiheit und zugleich nach Zugehörigkeit führt in ein Spannungsfeld, das moderne Individuen schwer aushalten können – und sie begünstigt neuen Formen von Gemeinschaften ebenso wie starke Verkaufszahlen bei Beziehungsratgebern. Wie sich Liebe in Zukunft gestalten wird, kann nur der Versuch selbst zeigen – zu diesem Schluss kommt auch Elisabeth Beck-Gernsheim. Liebe ist in Zeiten maximaler Wahlfreiheiten ein Experiment mit Chancen und Risiken. Und Liebe bleibt – trotz wissenschaftlicher Betrachtung – ein schillerndes, komplexes, rätselhaftes wie magisches Phänomen, das nicht nur theoretischer, sondern selbstverständlich auch ganz praktischer Zuwendung bedarf. <

PRO

Dass der Mann evolutionstechnisch betrachtet nicht zur Monogamie taugt,

Dr. Yvonne Niekrenz ist seit 2004 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Soziologische Theorien und Theoriegeschichte des Instituts für Soziologie und Demographie an der Universität Rostock. Sie studierte Soziologie und Germanistik und beschäftigt sich mit Themen aus Kultur-, Körper- und Jugendsoziologie.

CONTRA

Zugegeben: Der Gedanke, eine Vielzahl williger Schönheiten

sei hier mal als Argument außen vor gelassen. Nach

zur Frau zu haben, erscheint auf den ersten Blick erstre-

200.000 Jahren sollte der Homo sapiens seine Libido

benswert. Man(n) müsste sich nicht auf blond, brünett

im Zaum halten können. Bei der Betrachtung der Vor-

oder rothaarig festlegen, die Entscheidung zwischen

teile von Polygamie muss Sex strikt von Liebe getrennt

kurvenreich und sportlich schlank wäre hinfällig und

werden. Laut einer Umfrage des Hamburger GEWIS-

überhaupt würde sich die Wahrscheinlichkeit, dass

Instituts gehen 51 Prozent der Männer und 42 Prozent

man(n) jederzeit bekommt, wonach einem ist, drastisch

der Frauen sowieso mindestens einmal fremd. Warum

erhöhen. Auch der Harem hätte gegenüber der monoga-

also nicht das schlechte Gewissen und den folgenden

men Ehe Vorteile: Die Aufgabenteilung in Haushalt und

Streit mit guten Trennungsaussichten vermeiden und

Kindererziehung würde mehr Freizeit und Raum zur

ein Austoben mit anderen Partnern erlauben? Der

Selbstverwirklichung für die einzelnen Damen bedeuten.

Polygamie

positive Effekt auf Selbstbewusstsein und Ausgegli-

Doch Obacht, liebe Herren, denkt nochmal genau

chenheit ist sicher nicht zu unterschätzen. Außerdem

darüber nach! Was zunächst wie der Himmel auf Erden

Knapp 40 Prozent der Männer betrügen ihre Partnerin. Dabei könnte es viel einfacher sein – ist das Konzept der Monogamie überholt?

könnte man so Anregungen für neuen Schwung im

erscheint, kann schnell zum Albtraum mutieren, sobald

heimischen Bett sammeln und die Marotten neuer

sich die holde Weiblichkeit gegen euch verbündet und

Bekanntschaften würden den eigenen Partner an

die Macht übernimmt. Oder noch schlimmer: sich im

Wertschätzung gewinnen lassen. Kein menschliches

Prozess der Machtübernahme uneinig wird und einen

Wesen würde je wieder genötigt, in unmenschlichen

sagenhaften Zickenkrieg vom Zaun bricht. Man(n) stelle

Verkleidungen hirnrissige Aufgaben für »Freunde«

sich zudem vor: den ganzen Tag umgeben zu sein von

– mit selbstgemachten Shirt-Offenbarungen wie »Ab

einer schnatternden, gackernden Frauenschar, die nach

morgen lebenslänglich!« – zu erfüllen, weil keiner

hübschen Kleidern, Schuhen und Weight Watchers-

mehr seinen letzten Tag in Freiheit begießen müsste.

­Salaten verlangt. Das kann teuer werden!

PRO&

CONTRA

Text

STEPHAN HOLTZ

Text

ÄNNE CORDES

Grafik: http://tavhid.de

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Zwischen Glas und Brenner Viele Chemiker begegnen ihm fast täglich, die meisten Studenten aus anderen Studiengängen wissen dagegen nicht einmal, dass es ihn gibt: den Glasapparatebauer Roland Weihs. ANNA HERMANN

Foto: Anna Hermann

Text

D

enkt man an Mitarbeiter der Universität Rostock, fallen einem auf Anhieb Dozenten, Bibliothekare und studentische Hilfskräfte ein, vielleicht dann noch Verwaltungsfachangestellte und Hausmeister. Es gibt allerdings auch Berufsgruppen, die seit langer Zeit zur Hochschule gehören, ohne dass die meisten Studenten Kenntnis von ihnen nehmen. Ein solcher Bereich ist der Glasapparatebau des Instituts für Chemie. Fälschlicherweise oft als Glasbläser bezeichnet, fertigen die Angestellten hier jeden Tag Einzelstücke für Forschung und Lehre an und reparieren verschiedenste Apparaturen. Dies sind auch die tagtäglichen Aufgaben von Leiter Roland Weihs, der sich über mangelnde Beschäftigung nicht beklagen kann: »Zu DDRZeiten gab es an der Universität mehrere Glasapparatebau-Abteilungen. So hatten die Biologie und die Physik beispielweise jeweils einen eigenen Bereich, die Chemie sogar zwei. Heute gibt es nur noch diese eine Abteilung am Institut für Chemie, was aber nicht heißt, dass die anderen Institute diese Dienste nicht mehr brauchen.« So kommen nicht nur Studenten und Forscher der Chemie regelmäßig zu Herrn Weihs, sondern auch Physiker, Biologen, Mediziner und Maschinenbauer, um nur die häufigsten Besucher zu nennen. Bei diesem Stress geht natürlich auch ab und zu mal etwas zu Bruch – ein teures Vergnügen! Alleine der normale Glassatz, der jedem ChemieStudenten für die einzelnen Praktika zur Verfügung gestellt wird, verfügt über Apparaturen im Wert von 1.150 Euro. Bedenkt man den Preis dieser industriell gefertigten Teile, bekommt man schon eine leise Ahnung davon, wie teuer die zahlreichen Einzelanfertigungen für die unterschiedlichen Forschungsprojekte sind. »Überlegte Bewegungen und eine ruhige Hand sind

Individuelle Glasarbeiten: Meister Roland Weihs bei der Arbeit

daher natürlich von größter Wichtigkeit bei meiner Arbeit«, so Weihs, unter dessen Leitung auch das Glaslager fällt. Trotz des großen Risikos hat er den Spaß an der Arbeit nie verloren: »Als Glas­ apparatebauer an einer Universität muss man sich ständig mit neuen Aufgaben auseinandersetzen. Oft kommen Forscher zu mir und verlangen spezielle Apparaturen, die ich in dieser Form noch nie gebaut habe und die es auch nirgendwo zu kaufen gibt. Dieser abwechslungsreiche Alltag ist es, der mich jeden Tag aufs Neue begeistert.« Weihs stellt nämlich keine einfachen Glasapparaturen wie etwa Reagenzgläser her – diese werden ausschließlich industriell gefertigt –, sondern lediglich Einzelstücke. Diese Vielseitigkeit ist auch einer der Hauptgründe dafür, dass er sich einst überhaupt für diesen eher ungewöhnlichen Beruf entschied: »Ich arbeitete damals in den Schulferien bei einer Rostocker Glasapparatebau-Firma. Dies gefiel mir so gut, dass ich schnell den Entschluss fasste, diesen Beruf zu erlernen.« Daraufhin begann er seine Ausbildung 1975 bei dem selben Betrieb. Nach zweieinhalb Jahren schloss Weihs dann seine Lehre als erster Rostocker Lehrling dieses Faches überhaupt ab. Nur für seine Meisterprüfung verließ er seine Heimatstadt und ging von 1985 bis 1988 nach Ilmenau, die Glasapparatebau-Hauptstadt der ehemaligen DDR. Als Meister machte er sich dann 1989 mit einem Kunsthandwerksladen in Rostock selbstständig, der allerdings nur zwei Jahre Bestand hatte. »Als die Wende kam, war die Situation in Deutschland allgemein ja eher schwierig. Dies führte schließlich dazu, dass mein Geschäft irgendwann nicht mehr tragbar war«, erzählt er. Nach anderweitigen Anstellungen kam Weihs schließlich 2001 an die Universität Rostock und übernahm ein Jahr später die Leitung des Glasapparatebaus, wo er seither tagtäglich die Wünsche von unzähligen Forschern und Studenten erfüllt. Von seinem Geschick am Brenner können sich Schaulustige außerdem jährlich bei der »Langen Nacht der Wissenschaften« überzeugen, bei der auch schon einmal Weihnachtskugeln zum Mitnehmen hergestellt werden. <

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STUDENTENLEBEN

Wir tappen im Dunkeln

D

ass im Dunstkreis der Rostocker Studenten nachts mehr passiert als der Konsum von Shots an der Bar oder das Tanzen bis zur Besinnungslosigkeit, beweist unser Titelthema »Rostock bei Nacht«. Unter diesem Motto schlichen sich unsere Autoren in Unigebäude und schlugen

sich wie andere arbeitende Kommilitonen die Nächte und Morgenstunden um die Ohren. Ebenso Änne, Ressortleiterin

ergeht es bekanntlich den (werdenden) Eltern unter uns, die hier ebenfalls zu Wort kommen. Web

www.heulermagazin.de/studentenleben

Foto: Maximilian Berthold


»It’s been a hard day’s night« Was schon die Beatles vertonten, können Pascal und Marco nur bestätigen. Während viele Studenten ihr Geld mit konventionellen Nebenjobs verdienen, gingen diese Jungs nachts Tätigkeiten nach, von denen man sonst nur selten hört. Auch Pauls Quasi-Erfahrung sollen nicht unerwähnt bleiben. Text

KRISTINA ABERLE UND ERIC WIEDEMANN

Schläfst du schon oder arbeitest du noch?

H

abt ihr schon einmal morgens gegen 7:15 Uhr im Seminar den Ge-

ruch von Grillwurst wahrgenommen und euch gefragt, ob ihr noch träumt? Ver-

Seelsorge im Dunkeln »Da sein, wenn der Rest der Welt schläft.« – Von 22 Uhr bis 7:30 Uhr arbeitete Pascal früher als Nachtwache in der betreuten Wohnstätte einer pädagogischen Einrichtung für Kinder und Jugendliche mit psychischen Störungen. Wach bleiben, die Kinder bei Albträumen beruhigen, bei aufkommenden Problemen zuhören, regelmäßig Kontrollgänge durchführen und morgens noch fix Brötchen schmieren, das waren seine Aufgaben. Was klingt wie der chilligste Job unter der Sonne, geht mit viel Verantwortung einher, denn im Notfall müssen wichtige Entscheidungen getroffen werden: Hat sich einer der Jugendlichen »nur« geritzt oder war er tatsächlich dabei, sich das Leben zu nehmen? Das zehre nicht nur an den Nerven, sondern könne auch sehr nachdenklich stimmen, so Pascal. Allein gelassen wurde er dabei aber nicht; konnte er eine Situation nicht alleine bewältigen, war zur Unterstützung ein Erzieher im Notdienst jederzeit erreichbar. Im Prinzip wie eine Telefonseelsorge, nur eben in echt. Empfehlen könne Pascal den Job nicht jedem, er sei nur für ein paar wenige geeignet – und für den Rest wohl eher ein programmierter Albtraum.

In Luxuskarossen durch die Nacht Für »Sarturi&Berger«, die ein- und auslaufende Schiffe sowie Frachter und vor allem AIDA im Überseehafen betreuen, fuhr Marco einst des Nachts Autos von A nach B. Wenn Leute eine Kreuzschifffahrt machen, wollen sie ihr Gefährt in Sicherheit wissen. Also werden ihre Fahrzeuge entgegengenommen, in einer bewachten Halle untergestellt und am Ende der Reise wieder übergeben – das war Marcos Job. Von 23 bis 7 Uhr sei die Zeit schnell vergangen, in eineinhalb Stunden seien zwei Autos zu schaffen, darunter auch mal ein Porsche oder ein anderes schönes Gefährt. Die Saison dauert immer von Mai bis September und man sollte, so Marco, früh anfragen, um dort einen Job zu bekommen. Die einzigen Nachteile sieht er darin, sich wach halten zu müssen, den langen Weg zum Überseehafen anzutreten, dann erst mit seiner Schicht zu beginnen – und das alles eben nachts.

mutlich war ich das, die da so duftete, weil ich direkt von meiner zehnstündigen Nachtschicht im Studentenkeller gekommen war. Den Wachzustand erreiche ich an solchen Tagen mit etlichen Tassen Kaffee und Koffeintabletten – zumindest für die Zeit einer Vorlesung. Seit einigen Jahren schlage ich mir die Nacht um die Ohren, auf Kosten meines Schlafrhythmus und mit bisher nur mäßigen studentischen Erfolgen. Doch was bleibt einem übrig, wenn man kein BAföG bekommt und die Eltern nicht mit einem Bildungssparbuch vorgesorgt haben? In der Woche können die wenigsten aufgrund ihres engen Studienplanes jobben gehen. Also wann, wenn nicht nachts arbeiten? Aber ich gebe gerne zu, dass es auch Spaß macht, den Kommilitonen beim Trinken zuzuschauen und mich zumindest innerlich über ihre mitunter kümmerlichen Artikulationsversuche im Laufe eines Abends zu amüsieren. Gerade mittwochs arbeiten

Mit einem Bierfass auf dem Rücken zu Grönemeyer

meine Mitstudenten zur budgetfreund-

Einen der unterhaltsamsten nächtlichen Jobs zog Paul, nebenbei auch noch heuler-Geschäftsführer, an Land: Mit einem Zehn-Liter-Bierfass auf dem Rücken sollte er von 16 bis 24 Uhr beim GrönemeyerKonzert im IGA-Park den mobilen Barkeeper spielen. Eine Kölner Agentur hatte ihn und einige andere Studenten dafür engagiert und eine Bezahlung von 85 Cent pro verkauftem Liter in Aussicht gestellt. Ob die Jungs selbst ihre besten Kunden gewesen wären, konnten wir leider nicht in Erfahrung bringen, da Paul den Job wegen eines Unwetters nicht antrat – so ‘ne Memme.

Kater erfolgreich entgegen. Dank der

Nachts zu arbeiten ist kein Zuckerschlecken und bringt einige Entbehrungen mit sich: Wenig Schlaf und ein verdrehter Tagesrhythmus sind nur zwei Nebenwirkungen. Insgesamt ist das Jobben bei Nacht wohl eher etwas für Individualisten. Wie uns bei der Recherche aufgefallen ist, bevorzugen weibliche Nachtaktive offenbar eher gesellige Jobs am Tresen statt allein durch die Nacht zu düsen. <

lichen Happy Hour dem morgendlichen langjährigen Massenabfertigung kann ich mir Gesichter übrigens besonders gut merken. Also benehmt euch in Zukunft gefälligst!

Text

STEFFIE KRAuß, Studentenkeller

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In der Uni brennt noch Licht ... Dass Studenten nachtaktive Geschöpfe sind, ist allseits bekannt. Was bisher jedoch niemand vermutete: Sie zappeln nicht nur unzurechnungsfähig in einschlägigen Lokalitäten herum, sie belagern auch bis in die Nacht Bibliotheken und Fakultäten. Was genau sie dort zu unchristlichen Uhrzeiten treiben, erfahrt ihr hier. Text

Fotos: Mareike Götz

KAROLIN BUCHHOLZ UND MAREIKE GÖTZ

Mittwoch, 00:30 Uhr. Tatort: Ulmenstraße Die Hochschulpolitik bringt die von euch gewählten und beauftragten Mitglieder des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) und des StudentINNenrats (StuRa) um den Schlaf. Aber nicht so, wie ihr denkt: Sie wälzen sich mitnichten schlaflos im Bett herum, sie kommen dort gar nicht erst an! Weil sich die monatlichen StuRa-Sitzungen in der Vergangenheit regelmäßig bis in die frühen Morgenstunden hinzogen und die Mandatsträger im Sommer auch ohne Party im Hellen nach Hause gingen, tagt der StuRa jetzt alle zwei Wochen und dafür nicht mehr ganz so lange.

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Björn ist Lehramtsstudent (Germanistik und Anglistik). »Ich bin Mitglied des StudentINNenrates. Die Sitzungen dauern meist bis nach Mitternacht – deswegen bin ich heute noch hier.«

Donnerstag, 22:00 Uhr. Tatort: Bebel-Tower

Sonntag, 03:00 Uhr. Tatort: Grünes Ungeheuer

Wir suchen nach dem ultimativen akademischen Kick und schleichen uns nachts durch die Uni. Unser erstes Ziel: der August-Bebel-Tower. Wie zu den Öffnungszeiten üblich rechnen wir mit unterhaltsamen Gruppenarbeiten in den Lesesälen und munterem Schuhgetrappel am Gedenkort der philosophischen »Masterminds«. Doch bis auf drei leuchtende Büros und die beiden Reinigungsdamen, die wir beim Rauchen auf dem Jungsklo erwischen, ist unser lieblicher Klotz in der August-Bebel-Straße wie ausgebrannt still. Und dennoch, mutig und stolz, wagen wir uns in die Höhle des qualmenden Löwen und schleichen durch die Flure. Auf der Suche nach Abenteuern, nach neuen Ideen, nach Action finden wir schließlich: nichts. Trotzdem fallen uns einige gar merkwürdige Dinge auf: Wusstet ihr zum Beispiel, dass sich auf jedem der stickigen Flure (außer in Etage vier) nur zwei Seminarräume befinden, während der Rest für Verwaltungsmenschen draufgeht? Wie kann es sein, dass ein solches Vielraumhaus so seminarraumarm ist? Welche Organisation steckt womöglich hinter der Uni? Die INU, die »Internationale Nutzung von Universitätsräumen«? Der nächste Clou sind die Herrentoiletten. Während jene der holden Weiblichkeit sauber, ordentlich und ohne Hinweisschilder sind, finden wir die berüchtigte Herrenwelt, naja, sagen wir mal, befleckt und beschmiert vor. Ganz zu schweigen von den Käfern und Fliegen in diversen Schüsseln.

Die heuler-Redaktion belagert zwei Mal pro Semester für vier Tage das AStA-Büro im Grünen Ungeheuer – Tag und Nacht. Das geht mit reichlich ungesunder Ernährung, Wutausbrüchen, Platzangst und Schlaf­losigkeit einher: Wenn es zeitlich eng wird, layouten, schreiben, illust­rieren und lektorieren wir nämlich teilweise 36 Stunden am Stück. Um nicht völlig durchzudrehen – oder auch infolgedessen – erfinden wir unterhaltsame Sportarten, deren Austragung ihr bei Facebook verfolgen könnt, wie zum Beispiel »Touch the Melon!«. Dennoch bleibt es stets ein merkwürdiges Gefühl, morgens auf während der Fahrt nach Hause schon den ersten Komillitonen auf dem Weg zur Uni zu begegnen.

Annika studiert Germanistik. Viermal im Jahr sitzt sie nachts im Grünen Ungeheuer, um als Lektorin den heuler-Texten die Fehler auszutreiben.


Dienstag, 23:45 Uhr. Tatort: Südstadt-Bibo Was wir als hier Erstes sehen, ist ein grelles Licht, es kommt immer näher, unsere Räder quietschen im Takt zum entfernten Bass. Mozart klingt im Ohr und wir sind da. Vor dem riesigen, monumentalen, hell ­erleuchteten Bibliotheksgebäude finden wir gerade so einen FahrradParkplatz und bestaunen die gläserne Außenwand, die idealen Einblick auf die sich dahinter befindliche Denkfabrik bietet. Privatsphäre gibt‘s nur unter Einschränkungen: Minirock-Mädels, setzt euch nicht ans Fenster! Wir betreten den Saal des Leoparden – eine frische Brise spielt mit unserem Haar – und begegnen mehreren Horden fröhlicher Studenten. <

Benjamin und Julia studieren Lehramt Gymnasium (Geschichte und Englisch). Zur Ausarbeitung ihres Praktikumsberichtes haben sie sich für 12 Stunden in der Südstadt verschanzt.

Odai ist Medizin-Student. Wie viele seiner Komillitonen lernt Odai für eine seiner nächsten Klausuren, diesmal in Biochemie.

Marco studiert Politikwissenschaften und Öffentliches Recht. Er arbeitet fleißig bis nachts um zwölf einen Vortrag aus. Außerdem nutzt er die Zeit für seine Bachelor-Arbeit.

Maria und Christina sind Studentinnen der Zahnmedizin. Beide haben sich kürzlich für ihre Examensvorbereitung angemeldet und sind zum Lernen in der Südstadt.


Würden Fledermäuse Bus fahren?

I BELIEVE I CAN FLY

D

38 Kilometer in 96 Minuten. Einerseits Traumwerte für jede Herrentags­ tour, andererseits die durchschnittliche Geschwindigkeit des Nacht­ busses, der euch nach der Party wahlweise nach Hause oder auch zur Frühschicht bringt. Was beschäftigt eigentlich die Busfahrer, die im ­Umland Rostocks zu immer späterer Stunde fast leere Busse bewegen?

er anspruchsvollste Teil einer durchfeierten Nacht ist zweifellos der Heimweg. Solange sie

sich noch aufrecht fortbewegen können, haben die Rostocker party animals die Wahl, zu Fuß zu gehen oder sich zwischen Nachtbus, Taxi und Fahrrad zu entscheiden. Dass der Gebrauch des Drahtesels im alkoholisierten Zustand jedoch schwerwiegende Folgen haben kann, scheint den wenigsten bewusst zu sein. Der pflichtbewusste Student weiß

Text

ANDREAS LUßKY UND SANDRA SCHRAMM

natürlich, dass das Auto stehen zu bleiben hat, sobald die ersten hochprozentigen Drinks die Kehle

A

heruntergeflossen sind. Wer sich dann allerdings auf sein Fahrrad setzt, um schnell und vermeintlich sicher nach Hause zu kommen, der ist nicht auf dem Heim-, sondern auf dem Holzweg! Tatsächlich ist Fahrradfahren in betrunkenem Zustand nicht nur gefährlich für die Schneidezähne, sondern auch für den Führerschein. Wer nämlich unterwegs in einen Unfall verwickelt wird und mehr als 0,3 Promille Alkohol im Blut hat, steht am Ende unter Umständen mit einem dicken Schädel, müden Augen und einer riesen Rechnung alleine da, weil Versicherungen in diesem Fall die Zahlung verweigern können. Dabei ist es nicht wichtig, ob ihr den Unfall selbst verschuldet habt oder nicht. Außerdem drohen auch Illustration: Hannes Falke

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ls Besonderheit der nächtlichen Busfahrten fallen einem als Erstes volltrunkene »Heranwachsende« ein, die nach mehr oder weniger Bambule in der »Fledermaus« früher oder später einschlafen – meistens gestützt von ihren Begleitern. Soviel zu Eindrücken, die man als Fahrgast sammelt. Doch was geht in den stillen Beobachtern hinter dem Steuer vor, die für Unannehmlichkeiten jeder Art verantwortlich gemacht werden? Dass der Fahrer oft der Letzte ist, der etwa Verspätungen zu verantworten hat, scheint nämlich vielen RSAG-Kunden unverständlich. Wenn zu einer Verspätung noch Missverständnisse hinzukommen, ist der Ärger vorprogrammiert: Beispielsweise wünschen sich die Busfahrer, dass ihnen die draußen Wartenden genau anzeigen, dass sie mitfahren wollen. Mit dem Rücken zur Straße und dem Handy am Ohr wirken Leute an den Haltestellen nämlich reichlich desinteressiert an der Mitfahrgelegenheit. Wer nicht wartend aussieht und den Fahrer nicht anschaut, kann deshalb nicht auf den Stopp des Busses hoffen. Das steht sogar im »Busfahrerhandbuch«. Der Mitfahrwunsch sollte demnach insbesondere an abgelegeneren Standpunkten signalisiert werden – sofern dieser überhaupt gefunden wurde. Daran scheitern offenbar nicht wenige nächtliche Heimfahrten. Wer weiß schon, wo die Nachtbushaltestelle am Steintor ist? Auch in anderen Punkten sehen manche Fahrgäste Verbesserungsbedarf des nächtlichen Transportservices. Einige wünschen sich zum Beispiel Erklärungen zu den vorbeiziehenden Rostocker Sehenswürdigkeiten – denn welche andere Buslinie führt an jeder einzelnen vorbei? Auch ein integrierter »Dönerbauchladenverkauf” scheint dem ein oder anderen ein dringendes Bedürfnis zu sein. In Hamburg sind nachts übrigens tatsächlich Busse mit Musik, Bar und Diskobeleuchtung für das Partyvolk unterwegs. In Rostock wird immerhin von einem Falco-Imitator samt Kofferradio und Mikrofon berichtet, der mangelnde Qualität durch Lautstärke wettzumachen versucht. <

ohne Zusammenstoß Geldstrafen und Punkte in Flensburg, wenn ihr auf dem Nachhauseweg ins Röhrchen pusten müsst. Ob dabei gleich der Führerschein entzogen wird, kann mithilfe einer medizinisch-psychologischen Untersuchung entschieden werden, die ebenfalls viel Geld kostet. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob jemand, der besoffen am Straßenverkehr teilnimmt, überhaupt einen Führerschein besitzen und ein Kraftfahrzeug führen sollte. Allerspätestens ab 1,6 Promille ist ein Fahrverbot sicher. Text

CHRISTINA BEIER


Sisyphos‘ Kampf gegen die Möwen Johanna Lauber, Politikstudentin der Uni Rostock, überbrückte im vergangenen Jahr die Zeit zwischen Bachelor- und Masterstudium mit einem ungewöhnlichen Studentenjob. Unkonventionell waren sowohl Einsatzort als auch Uhrzeit. Auf der Suche nach ihren Spuren als Strand-Aufräumerin begaben wir uns an den wohl weitläufigsten Arbeitsplatz Rostocks. Text

MAXIMILIAN BERTHOLD UND ÄNNE CORDES

it dem schrillen Weckerklingeln erwache ich aus meinen Träumen. Es ist 4 Uhr. Und das an einem Samstag. Die einzigen Gedanken, die irgendwie helfen, betreffen meinen Koautor und unseren Auftrag: Er erleidet das Gleiche und dies ist die einzige Möglichkeit, die Strand-Aufräumer von Warnemünde zu treffen. Wenig später kommt uns am S-Bahnhof partywütiges Volk von einer durchzechten Nacht entgegen, ihre ­ Alkoholfahnen begleiten uns auf der Fahrt. Vor gut einem Jahr stand Johanna Lauber an sieben Tagen in der Woche um dieselbe Zeit auf – während der die meisten anderen Menschen noch selig im Bett liegen oder sich erst auf dem Weg dorthin befinden –, ­um von Sonnenaufgang an vier Stunden lang Müll einzusammeln. Auch ihr Weg war derselbe wie unserer jetzt: zum Strand von Warnemünde. Gegen Ende der Fahrt wird es deutlich ruhiger in der Bahn, begleitet werden wir inzwischen nur noch von Angehörigen des arbeitenden Teils der Bevölkerung, die entweder von der Spätschicht kommen oder ebenfalls zur Arbeit antreten müssen. Während wir am Alten Strom entlang schlurfen, geht die Sonne über dem Hafen auf. Mit Kamera und Schreibblock in der Hand erreichen wir den Strand. Am Horizont sind die ersten Schiffe im Morgendunst zu erkennen, es ist etwas bewölkt und die ersten Möwen flattern kreischend in der leichten Brise. »Die Sonnenaufgänge und die Tatsache, dass man den Strand ganz für sich allein hat, waren wirklich große Pluspunkte«, erinnert sich Johanna an das vergangene Jahr zurück, »aber ganz so idyllisch, wie ich mir das vorgestellt hatte, war es nicht: Der Schlafmangel hat die vier Stunden ganz schön in die Länge gezogen.« Über eine Anzeige an der Pinnwand des Studentenwerks war Johanna auf den Job aufmerksam geworden. Der morgendliche Strandbesuch bei Sonnenaufgang und die Arbeit an der frischen Luft schienen ihr nach einem nervtötenden Posaußerdem ten bei Galeria Kaufhof verlockend, »­ war der Job für Rostocker Verhältnisse mit knapp über 7 Euro die Stunde gut bezahlt.« die Annahme der Politikstudentin, dass sie nach der Arbeit am Strand noch den ganzen Tag zur Verfügung habe, hat sich allerdings nicht bestätigt. »Erst hab ich es mit Mittagsschlaf probiert und bin dann dazu übergegangen, so früh wie möglich ins Bett zu gehen. Trotzdem war ich den Rest des Tages völlig im Eimer. Wegen des frühen Arbeitsbeginns war es auch schwer, abends mit Freunden etwas zu unternehmen«, räumt sie ein.

Dafür habe sie sich in den vier Monaten eine Menge Hörbücher zu Gemüte geführt und jede Menge Zeit gehabt, sich Gedanken zu machen. Von Meditation und innerem Frieden war Johanna trotzdem noch einige Schritte entfernt: »Ich habe mit der Zeit einen richtigen Hass auf Raucher bekommen, weil ich deren Kippen aus dem Sand pulen musste. Und auf Möwen. Selbst wenn die Leute ihren Müll vorbildlich in die Mülleimer schmeißen, zerren die Viecher das alles wieder raus.« Nach den guten Seiten des Jobs gefragt, erzählt sie von ihrer beeindruckenden SonnenbrillenKollektion, die sie zwischen Juni und September zusammensammeln konnte. Auch Schmuck, Geldmünzen und Parfum gehören zu den Fundstücken, teurere Gegenstände wie Kameras oder vollständige Brieftaschen wurden dagegen im Fundbüro abgegeben. Außerdem machen nicht nur Möwen den Müllsammlern Konkurrenz, sondern auch »Hobby-Archäologen«, die mit ihren Metalldetektoren am Strand professionell auf die Suche nach Schmuck, Geld und anderen Wertgegenständen gehen. »Letztes Jahr habe ich die Tage gezählt, bis ich endlich wieder studieren konnte, jetzt denke ich gerade etwas wehmütig an den Job zurück. Das war schon schön«, erzählt Johanna. »Trotzdem würde ich das keinem als Job neben dem ­Studium empfehlen, auch wenn die Arbeitszeiten es nahelegen.« Das scheint sich rumgesprochen zu haben, denn in der diesjährigen Truppe ist kein Student vertreten. Auch für uns ist die Uhrzeit nicht das Wahre und wir fahren zurück nach Hause, um endlich die vier verlorenen Stunden Schlaf nachzuholen. <

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Fotos: Maximilian Berthold

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Vom Luxus des Lesens und Schreibens Mecklenburg-Vorpommern verteidigt bekanntermaßen hartnäckig die »rote Laterne« der PISA-Studie. Dass in unserem Land etwa 80.000 Analphabeten leben sollen, ist dennoch schockierend und belegt die Dringlichkeit, allen Kindern – vor allem in sogenannten bildungsfernen Haushalten – den Zugang zu Bildung und Förderung zu ermöglichen. Text

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STEFFIE KRAUß

ach Angabe des Bundesverbandes Alphabetisierung und Grundbildung e. V. ist die Zahl von circa 80.000 Analphabeten in Mecklenburg-Vorpommern korrekt. Rund 9.500 Rostocker können demnach weder ausreichend schreiben, lesen noch rechnen und gelten somit als funktionale Analphabeten. Eine hohe Zahl, wenn man bedenkt, dass die Schulpflicht – je nach Bundesland etwas abweichend – mindestens neun Schuljahre vorschreibt. Peter Hubertus, Gründungsmitglied und Geschäftsführer des Bundesverbandes Alphabetisierung und Grundbildung, unterscheidet in seinem Buch »Alphabetisierung und Analphabetismus« drei verschiedene Grade: Wer gar nicht lesen und schreiben kann, zählt zu den primären beziehungsweise natürlichen Analphabeten. In Deutschland kommt diese Form – im Gegensatz zu Ländern wie Indien, in denen ein Schulbesuch nicht allen möglich ist – kaum vor. Als sekundäre Analphabeten werden diejenigen bezeichnet, die nach Schulabgang (oftmals ohne Hauptschulabschluss) die erlernten Schreib- und Lesefähigkeiten aufgrund mangelnder Verwendung schlichtweg vergessen. Funktionale Analphabeten

Illustration: Caroline Heinzel

hingegen werden Personen benannt, die nur auf äußerst niedrigem Niveau lesen und schreiben können. Letzteres ist die häufigste Ausprägung. Die Einordnung in diese drei Kategorien erfolgt auf Grundlage des erwarteten Bildungsstandes im jeweiligen Land: Beispielsweise gelten Menschen mit einem geringen sprachlichen Kenntnisstand in Entwicklungsländern möglicherweise als alphabetisiert, während sie in Deutschland, wo höhere Anforderungen an diese Fertigkeiten gestellt werden, als Analphabeten eingestuft werden können. Wie es dazu kommen kann, dass aktuell etwa ein Fünftel der Schulabgänger Schwierigkeiten mit den Sprachfertigkeiten hat und somit Gefahr läuft, zu funktionalen oder sekundären Analphabeten zu werden, erzählt Katrin Philipp, Dozentin für Deutschdidaktik an der Uni Rostock, die sich mit dem Erwerb der elementaren Bildung in der Grundschule beschäftigt. So sollten die grundlegenden Fertigkeiten im Lesen und Schreiben, vor allem das gesamte Buchstabeninventar, eigentlich bis zum Ende der ersten Klasse erlernt werden. Aus eigener Erfahrung weiß Frau Philipp allerdings, dass es zwar einige frühe Tests gibt, um die Rechtschreibfähigkeit von Schülern zu ermitteln, dass die Lehrer diese jedoch nicht ohne die Zustimmung eines Psychologen und der Eltern durchführen dürfen. So hätten die Eltern einer ihrer Schülerinnen die Erlaubnis zu einem Test verweigert, der die Verhaltensauffälligkeit in Hinsicht auf eine Lese- und Schreibschwäche ihrer Tochter beurteilen sollte. Damit beeinflusse neben der Schule vor allem das Elternhaus diese Entwicklung. Wie und ob die Kinder Schriftkultur erleben, habe großen Einfluss auf die Weiterentwicklung der in der Schule erlernten Kenntnisse. Dass die Förderung zu Hause jedoch oft mangelhaft aussieht, zeigt ein weiteres Beispiel aus der Praxis: So habe in Katrin ­Philipps Unterricht ein Junge der sechsten Klasse bei einer Buchvorstellung gestehen müssen, dass es bei ihm zu Hause gar keine Bücher gebe. An dieser Stelle sei vor allem das Engagement der Lehrer gefragt, erläutert die Dozentin. Sie sei dann mit dem Jungen in die Stadtbibliothek gegangen, um ihm auf anderem Weg den Zugriff auf Bücher zu ermöglichen. Allerdings könne man von den Lehrkräften nicht erwarten, dass sie sich auf


allen Ebenen um die Belange der Schüler kümmern. Oftmals sei dies in Großstädten aufgrund vieler »Baustellen« und hoher Schüleranzahl je Klasse nicht möglich, so Frau Philipp. Einen ebenso fatalen Einfluss wie der Mangel an Büchern könne eine überdurchschnittliche und vor allem unbeaufsichtigte Nutzung von Fernseher und Internet haben. Mit beiden kämen die Schüler inzwischen von klein auf intensiv in Berührung. Die fehlende Standardsprache in Internet-Chats oder die bloße Verlautlichung im Fernsehen könnten so zur Unterentwicklung beitragen. Weitere Ursachen sieht Katrin Philipp in bildungsfernen Elternhäusern oder auch im Desinteresse oder sogar dem Unvermögen der Eltern, sprachliche oder grammatikalische Fehler im frühen Kindesalter zu korrigieren. Seien Schriftund Lesekompetenzen erst einmal vernachlässigt worden, werde es im Laufe der Schulzeit schwieriger, diese zu verbessern. Lediglich bei der von Psychologen attestierten Lese- und Rechtschreibschwäche (LRS) gebe es gute Fördermöglichkeiten. Jedoch steht diese nicht in direktem Zusammenhang mit dem Analphabetismus. Vielen Schulabgängern wird aufgrund ihrer schlechten Lese- und Schreibfertigkeiten der Ein-

21 MILLIONEN SCHREIBEN FEHLERHAFT Das Rostocker Fraunhofer-Institut war bei der Mitentwicklung des Lernspiels »Alphabit« für Erwachsene beteiligt. Als Mittelalter-Abenteuer mit Rätseln und Minispielen bietet es eine inter­ aktive Lernhilfe zur Verbesserung der Lese-, Schreib- und Rechenfertigkeiten an. Im Februar 2003 riefen die Vereinten ­Nationen die Weltalphabetisierungsdekade aus. Deren Ziel ist die weltweite Minimierung der Zahl der Analphabeten um die Hälfte in einem Zeitraum von zehn Jahren. Einige Germanistik-Studenten an der Uni Rostock erhalten aufgrund ihrer Lese- und Rechtschreibschwäche Vorteile bei Klausuren, zum Beispiel eine längere Bearbeitungszeit.

7,5 Mio. Erwerbstätige gelten als funktionale Analphabeten – deutlich mehr als bislang angenommen.

nerstag n o D n e d e J t 10 % Rabat en* für Student

2,3 Mio. Erwerbstätige können nur einzelne Wörter verstehen oder schreiben.

40 % der Erwerbstätigen können nur fehlerhaft schreiben.

Sie verstehen keine ganzen Sätze.

stieg ins Berufsleben versperrt, was im Laufe der Jahre oftmals zum regelrechten Verlernen führt. In Rostock gibt es für Jugendliche ab 16 Jahren und Erwachsene die Möglichkeit, das Schreiben und Lesen durch spezielle Kurse mit ausgebildeten Pädagogen in der Volkshochschule neu zu erlernen. Frau Philipp zeigt sich davon überzeugt, dass Erwachsene genauso schnell oder sogar einfacher als Kinder die nötigen Grundkenntnisse wiedererlangen könnten, wenn ihre Motivation stimme. Wer erst einmal den Schritt gewagt habe, aus der Isolation herauszutreten, die mit der Geheimhaltung der dürftigen Fertigkeiten einhergehe, sei dem großen Ziel, richtig schreiben und lesen zu können, schon ein Stück näher. Der Partner oder eine mögli-

Das sind 21 Millionen Menschen.

che Berufsausbildung könnten den Lernerfolg ­außerdem enorm vorantreiben. Zudem sei es für Erwachsene einfacher, die erforderliche Motorik zum Schreiben zu bewältigen, die Kinder erst noch mühselig erlernen müssen. Doch laut ­Katrin Philipp seien gut ausgebildete Pädagogen ebenso wichtig. Vor allem die Eigeninitiative des aufmerksamen Lehrers, der seinen Blick bei Lese- oder Schreibproblemen gerade auf den nicht-schulischen Bereich erweitert, sei auch in Zukunft gefragt. < Web

* bei Vorlage eines gültigen Studentenausweises. Tabakwaren und Zeitschriften sowie alle Aktionsartikel sind von dem Rabatt ausgenommen. Pro Einkauf kann nur ein Rabatt gewährt werden, darum sind diese 10 % nicht mit eventuellen anderen Rabatten kombinierbar.

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Lerndoping – wider den Schweinehund

ACHIL L

Wie lässt es sich in Ruhe arbeiten, wenn nanosekündlich Tausende von Reizen das menschliche Gehirn bombardieren? Sei es durch die Untiefen des Internets, Mitbewohner, Stadtlärm, einlullende Fernsehsendungen oder die ständige Verfügbarkeit durch Mobiltelefone. Was hilft also gegen die nervenaufreibenden Trommelschläge des Großstadtdschungels? Text

24

ES VER SE

Hokuspokus: neuer Lokus Liebe Klosetts im Bebel-Tower, Denk ich an euch, erfasst mich ein Schauer. Euch zu besuchen, ist gar nicht lustig, Seid schließlich alt, vermieft und schmutzig.

MAXIMILIAN BERTHOLD

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lle Semester wieder kommt die Prüfungszeit. Allerdings stehen nicht nur Examen und mündliche Tests an, sondern zwischendurch auch immer wieder Hausarbeiten, Vorträge, wichtige Kursarbeiten. An sich alles kein Problem, wäre da nicht die verflixte Sache mit der Konzentration. Nachfolgend vier von womöglich unendlich vielen Ansätzen zum Thema Lernen und Fokussierung.

Programme zur Selbstdisziplinierung Besonders wenn die Unendlichkeit des WWW ruft, ist es für Studenten hilfreich, Programme zu haben, die sie daran hindern, »mal eben schnell« Facebook, E-Mail und Nachrichten zu konsumieren. Die Namen von zwei von ihnen, »Concentrate« und »RescueTime«, sprechen für sich. Sie blockieren bestimmte Internetseiten oder schreiben Statistiken, um die unschöne Wahrheit des Surf-Verhaltens aufzuzeigen. Da dabei jedoch auch persönliche Daten preisgegeben werden, sollte sich jeder gründlich überlegen, ob er sie nutzen will.

Meditation

AufputschMITTEL

Sicher eine der ungewöhnlicheren Methoden, aber schon nach wenigen Grundlagen-Seminaren ist fast jeder in der Lage, mit ein wenig Übung die Umwelt auszublenden und sich von selbst auf seine Aufgabe zu konzentrieren. Ist aber nichts für kurzfristige Lerner.

Mittel wie Gingkoextrakte, Energy-Drinks, Kaffee und diverse Schokoriegel versprechen Energie für das Gehirn und eine leistungssteigernde Wirkung. Doch allzu oft geht der Effekt nicht über jene eines Placebos hinaus. Es ist also Vorsicht vor allzu teuren »Wundermitteln« geboten.

Sprichwörtlich »Arsch auf Grundeis« Die wahrscheinlich beste Motivation für effizientes und konzentriertes Lernen ist immer noch der Zeitmangel. Allerdings sollte trotzdem nicht immer alles auf den letzten Drücker erledigt werden. Effektives Zeitmanagement sowie ein Ziel vor Augen helfen, sich ausreichend zu motivieren. Immer daran denken: »Non universitati, sed vitae discimus.«

Ihr seid wohl schon vierzig Jahre alt, Das macht auch euer Flair so kalt. Jedem Studenten ist es bekannt: Diese Toiletten sind nicht amüsant. Rohre lugen aus der Wand, Brühe läuft entlang am Rand. Rar ist stets das Klopapier, An Hygiene mangelt‘s hier. Türen wie Wände sind gelb und keimig, Das Abflusswasser ist längst schleimig. Niemand will euch renovieren, Wir wollen dies nicht akzeptieren. So kann es doch nicht weitergehen, Irgendwas muss bald geschehen. Neue Töpfe müssen her, Ist das Konto noch so leer. Liebe Uni, auf ein Wörtchen, Schenk uns doch ein neues Örtchen! Traditio hatten wir genug, Innovatio ist jetzt mal am Zug! – Antonia Wolschon

Die Achilles Verse müssen nicht die Meinung der Redaktion widerspiegeln. Schildert uns euer Problem und wir veröffentlichen es – auch anonym. Mail

redaktion@heulermagazin.de


Illustration: Caroline Heinzel

MILCHZAHNGRINSEN!

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ieser Artikel erreicht die Büroräume des heulers eineinhalb Wochen nach Redaktions­

schluss. Der Grund für diese und viele andere unerwartete Wendungen ist mein Sohn. Er wurde vor gut 15 Monaten geboren. Am Termin des Umzugs in eine größere Wohnung entschied sich der Kleine, die Geburt von sich aus einzuleiten und durchkreuzte damit die Pläne für diesen und viele weitere Tage. Obwohl das Eltern-Dasein einige negative Auswirkungen hat – wie die Auseinandersetzung mit mehr Anträgen und Formularen denn je sowie veränderten Schlafgewohnheiten – bringt es umso mehr schöne Dinge mit sich. Zum Beispiel das Milchzahngrinsen, das mich erwartet, wenn ich meinen Sprössling aus der Krippe abhole und er sich freut, mich zu sehen. Nach einem ätzenden Tag in der Uni ist das Balsam für die Seele. Außerdem nehme ich jeden seiner Fortschritte mit Begeisterung wahr: greifen, lachen, sitzen –

Mit Kind und Kegel in die Uni?

mein persönlicher Favorit, da er nun mehr von der Welt sehen kann als nur die Wohnzimmer­d ecke –, krabbeln oder mit einem Löffel essen. Momentan steht er in seiner Entwicklung an der Schwelle zum

Der Trend zur Familiengründung im Studium ist eher rückläufig. Die Uni Rostock bemüht sich trotzdem um bessere Bedingungen für Studierende mit Kind.

Freistehen und dem Durchsetzen seines eigenen Willens. Es ist mir aber allemal lieber, ihn bockig schreiend auf dem Boden liegen zu sehen als lustlos und jammernd, wenn er krank ist. Mittlerweile besucht der Knirps tagsüber die Krippe und

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das Studium ist wieder zu schaffen, da wir uns in

ÄNNE CORDES UND EVA VON HOLT

Seminaren und beim Babysitting nicht mehr ab-

Wenn man sich in Vorlesungen umsieht und -hört, kommt es einem beinahe so vor, als gäbe es dort mehr (werdende) Eltern als an einem Sonntag im Rostocker Zoo. Einer Erhebung des Deutschen Studentenwerks aus dem Jahr 2009 zufolge ist der bundesweite Anteil der Studierenden mit Kind zwischen 2006 und 2009 jedoch von 7 auf 5 Prozent gesunken. Zwar bekommen in Ostdeutschland mehr Studierende ihr erstes Kind vor dem Abschluss, das Durchschnittsalter der studentischen ­Eltern liegt dennoch bei 30,7 Jahren. Knapp mehr als die Hälfte von ihnen, nämlich 51 Prozent, ist verheiratet. Die Auswirkungen des Eltern-Daseins sind ebenfalls in Zahlen messbar: 40 Pro-

zent der Studierenden mit Kind unterbrechen ihr Studium, dagegen nur 9 Prozent der kinderlosen Studierenden. Die Uni Rostock bemüht sich seit Jahren um das Image der familienfreundlichen Hochschule und hat dafür einige Projekte angestoßen. So stellte Rektor Schareck seinen Gewinn für die Auszeichnung als »Rektor des Jahres 2010« der Einrichtung der beiden Kinder-, Eltern-, Spiel- und Studierzimmer (KESS) zur Verfügung, in denen Studierende mit ihren Kindern arbeiten und spielen können. Zudem garantiert der Kooperationsvertrag der Uni mit der »Gesellschaft für Gesundheit und Pädagogik« eine bestimmte Anzahl von Kita-Plätzen für die Kinder von Studierenden. <

wechseln müssen. Alles, was im Haushalt anfällt, ist bei uns in die Abendstunden gerückt, wenn unser Sohn im Bett ist. Zwischen schmutzigen Tellern und sauberen Socken finden wir dann die Zeit, um uns um Hausarbeiten oder Skripte zu kümmern. Mika hat mein Leben vollkommen verändert, ­s odass ich diesen Artikel gerade erst zum Layout des neuen heulers fertig bekomme. Und das auch nur, weil er und meine Freundin Mittagsschlaf halten und ich die nötige Zeit und Ruhe habe.

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HANNES FALKE, 8. Semester Lehramt Gymnasium

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26

POLITISCHES

Eligo ergo sum

Ü

berall die Qual der Wahl. Eben erst die Stimme für den StudentINNenrat abgegeben, steht die Entscheidung für den Landtag vor der Tür, während wir uns im Fachschaftsrat noch immer die Köpfe darüber zerbrechen, wofür wir unser Geld ausgeben wollen, und Lehrer und Schüler sich

fragen, was sie mit diesem ominösen Lehrerbildungsgesetz anfangen sollen. Für mich steht jedenfalls Elisabeth, Ressortleiterin

fest, dass ich ganz tief drinstecke im Tierreich des Zoon politikon. Ich wähle, also bin ich? Web

www.heulermagazin.de/politisches

Grafik: Michael Schultz


Bunte Wahlparty Neue Politiker braucht das Land. Am 4. September wird in Mecklenburg-Vorpommern gewählt. Es ist die vorletzte landespolitische Entscheidung im Superwahljahr 2011, das bereits so manche Überraschungen für die Regierungsparteien bescherte. Ändert sich nun auch bei uns alles oder bleibt‘s, wie es ist? Der heuler begab sich in politische Spekulationsgefilde. Text

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ELISABETH WOLDT

ie Sonne scheint, im Barnstorfer Weg tummeln sich die Menschen, die Kröpeliner-Tor-Vorstadt (KTV) macht zu ihrem traditionellen Stadtteilfest mal wieder blau. Zwischen Kinderschminken, Fressbuden, Verkaufsständen und Kleinkunstangeboten dürfen natürlich auch die Parteien nicht fehlen. Denn am 4. September ist Wahltag in Mecklenburg-Vorpommern. Die Sitze im Schweriner Landtag werden neu verteilt. In vielen Kreisen stehen außerdem Kommunalwahlen sowie die Abstimmungen für die neuen Namen der Landkreise nach der Kreisgebietsreform an. Kein Wunder also, dass sich die Direktkandidaten vom Wahlkreis 6 – der die Ortsteile KTV, Hansaviertel, Gartenstadt, Südstadt, Komponistenviertel und Biestow umfasst – entsprechend präsentieren möchten. Da kann man beispielsweise, umgeben von Storch-Heinar-Accessoires, SPD-Mitglied Mathias Brodkorb entdecken, der 2011 wahrscheinlich zum dritten Mal in den Landtag einziehen wird. Für die CDU tritt erstmalig der Polizeibeamte Michael Silkeit an. Die FDP schickt den Rechtsanwalt Jan Hendrik Hammer ins Rennen und auch Lars Kulesch, bereits Mitarbeiter der Linksfraktion im Landtag, ist beim Stimmenfang für das Rostocker Mandat mit dabei. Ebenfalls zum ersten Mal auf der Liste vertreten ist Grünenkandidat Johannes Saalfeld, der noch so manchem Student als derjenige in Erinnerung geblieben ist, der 2006 als erster Prorektor für Studentische Angelegenheiten ins Rektorat der Rostocker Universität eingezogen war. Und auch das eine oder andere Mitglied der Piratenpartei ist natürlich im Getümmel um den Margaretenplatz anzutreffen. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses stand jedoch noch nicht fest, ob diese ebenfalls mit ihrer Liste zur Landtagswahl antreten darf. Es sind vor allem die zahllosen Kinder mit Partei-Fähnchen und Luftballons und keine aufbrausenden Debatten, die die politische Stimmung am 21. Mai in der KTV dominieren. Nicht umsonst bezeichnete der ­Tagespiegel den rücksichtsvollen Schlagabtausch der Parteien in MV als »Kuschelwahlkampf«. Eigentlich scheint man sich insgesamt relativ einig zu sein und zufrieden auf die vergangene Legislaturperiode zurückzublicken. Die heiße Wahlkampfphase hat jedenfalls noch nicht begonnen und wahrscheinlich wird diese durch den Sommertermin ohnehin eher kurz ausfallen. Selbst der durchaus polarisierende Vorstoß der CDU im Wahl-

programm, bis 2012 das Tragen von Kopftüchern in Bildungseinrichtungen per Landesgesetz verbiegingen 2009 beim Land ein. ten zu wollen, schlug keiFür alle Wähler, die Landespolitik öfter als ne außerordentlich hohen nur alle fünf Jahre beeinflussen wollen: Wellen der Zustimmung https://www.petition.landtag-mv.de oder Entrüstung. Einige wichtige Themen zeichnen sich natürlich dennoch ab, wie auch Martin Koschkar, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für vergleichende Regierungslehre des Rostocker Instituts für Politik- und Verwaltungswissenschaften, näher ausführt. So werde die »Bildungspolitik als Landeskompetenz« sicherlich eine Rolle spielen sowie der Ausbau erneuerbarer Energien und die Idee eines »Energie-Ministeriums«. Wiederholt sei zudem die hielten 2006 Einzug ins Schaffung neuer ArbeitsSchweriner Schloss. plätze in der Bevölkerung Mehr sind es auf Landesebene nur in Sachsen. als zentrales landespolitisches Thema identifiziert worden. Auch bundespolitische Tendenzen spiegeln sich natürlich in den Prognosen wider. Laut Infratest-dimap-Umfrage vom 13. April liegt die SPD wieder klar mit 34 Prozent vorne, gefolgt vom Regierungspartner CDU, der in der Prognose 27 Prozent erreichte. Die Koalition könnte also fortgesetzt werden, wofür sich auch mehr als die Hälfte der Befragten ausspricht. Die Linke läge zurzeit bei 20 Prozent Stimmenanteil. Das berühmte Otto von Bismarck zugeschriebene Zitat, demzufolge in Mecklenburg alles 50 Jahre später geschehe, wird sich zumindest in Bezug auf die

1.230 Petitionen

6 NPD-Mitglieder

27


Grünen wohl nicht bewahrheiten. Bei Umfragewerten von rund 10 Prozent sieht es im Moment so aus, als könne die Partei sicher ins Schweriner Schloss einziehen und damit auch den letzten noch fehlenden Landtag der Bundesrepublik erobern. »Wichtig ist: Nicht nur der Bundestrend spricht für die Grünen«, analysiert Martin ­Koschkar die Werte. Schon die Wahlen 2009 hätten gezeigt, »dass die Grünen auch vor der neuen Atomdebatte das Potenzial hatten, erstmals die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen«. Fast schon gewohnt entgegengesetzt ist dagegen der Trend bei der FDP. Mit nur 3 Prozent Zustimmungsanteil bei der Sonntagsfrage muss sie spätestens, seitdem die enormen internen Streitigkeiten bei den Nominierungen für die Landesliste offenbar wurden, um den Einzug

1,574 Mrd. Euro enthielt der Haushalt 2010 für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur. Davon 478,5 Millionen Euro für Hochschulen.

ins Parlament bangen. Auch bei der NPD ist der Stand ungewiss. Zwar gaben ihr »nur« 3 Prozent der an der Umfrage Beteiligten ihre Stimme, doch erfahrungsgemäß entscheiden sich an der Urne mehr Personen für das Kreuz bei der Partei am rechten Rand als im Vorhinein zugegeben. In Sachsen-Anhalt habe sich in diesem Jahr gezeigt, dass eine gestiegene Wahlbeteili-

Finanzordnung bis zum Erbrechen 28

Trotz vieler Investitionsmöglichkeiten häufen einige Fachschaftsräte kleine Reichtümer an, während der StudentINNenrat sparen und Beiträge erhöhen musste. Text

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JOHANNES KRAUSE

inanzordnung (FiO) »bis zum Erbrechen«: Der amtierende Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) hat es sich zum Ziel gesetzt, einem Missbrauch von Fachschaftsmitteln mit aller Macht entgegenzuwirken. Dabei stützt er sich auf die vom StudentINNenrat (StuRa) im Februar 2009 beschlossene FiO, die ausgehend vom Bericht des Landesrechnungshofes weiter präzisiert wurde. Das Verschenken von Lebensmitteln und Getränken sowie die Bezahlung von Studenten als Tutoren sind seitdem verboten. Traditionelle Grillfeste mit kostenlosen Würstchen und Bier oder freie Knabbereien bei ­Kinoabenden fallen damit weg, da Verpflegung mindestens zum Einkaufspreis weitergegeben werden muss. Und so bleibt das Geld bei den Fachschaftsräten (FSR) oft liegen, während es an anderer Stelle fehlt. Per-Arno Plötz, vertraut mit den Geldern der Physikfachschaft, hält die Beschränkungen für übertrieben: »Die Finanzentscheidungen sind demokratisch durch die FSR legitimiert. Ich habe den Eindruck, dass unsere Kommilitonen die Grillfeste wollen. Warum soll ihrem Willen nicht entsprochen werden?«, fragt er sich. Doch nicht nur Partys, auch anderen Fachschaftsaktivitäten wird der FiORiegel vorgeschoben. So durfte etwa ein Tutorium, das vom Poldi, dem Rat

gung dazu beitragen könne, der NPD den Einzug in den Landtag zu verwehren. »Das wird auch in MV entscheidend sein«, so die Meinung von Politologe Koschkar. Und wer macht in der KTV das Rennen, dem Stadtteil Rostocks, in dem die meisten Studenten wohnen? Seit 1994 war es immer die SPD, die in diesem Wahlkreis das Direktmandat holte. Doch insgesamt ist das Thema Landtagswahl an der Universität wenig präsent – abgesehen von der umstrittenen Fachtagung der SPD im April (siehe heuler Nr. 93). Mit Ausnahme von kleineren und größeren Projekten am Institut für Politikwissenschaften scheinen die großen Veranstaltungen zur politischen Bildung auszubleiben. Mögen die Spekulationen weitergehen! <

der Politikwissenschaftler, zur Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten angeboten wurde, nicht finanziert werden. Poldi-Mitglied Robert Wolter sieht generell nur wenig Spielraum bei der Nutzung der Mittel: »Wir schaffen es nicht, die Gelder auszugeben, da sich die meisten unserer Veranstaltungen refinanzieren.« Er wünscht sich mehr Kulanz, damit die zahlenden Studenten auch etwas für ihr Geld bekommen könnten. Dass sich einige FSR gedrängt fühlen, Schwarzkonten zu unterhalten, wundere ihn nicht. Und auch Sarah Grote, AStA-Referentin für Finanzen, gibt zu, dass die FiO »sehr starr« sei. Wofür also darf das Geld überhaupt ausgegeben werden? Für Sachmittel zum Beispiel. Um dabei möglichst viel kreative Energie zu nutzen, hat der Fachschaftsrat der Physik einen Ideenwettbewerb unter seinen Studenten ausgerufen. 500 Euro stehen für Vorschläge zur Verfügung. Neben einer kleinen Bibliothek wurden bereits die Sanierung des Fachschaftsraums und ein eigener Physikserver für Altklausuren und Protokolle in Erwägung gezogen. Übrigens: Jene FSR, die eher mit zu kleinen Budgets zu kämpfen haben, nehmen sich vielleicht ein Beispiel an den Medizinern. Diese betreiben erfolgreiches Sponsoring und lassen sich die Stadt-Rallye der Erstis und den Medizinerfasching von einer Kliniken-Kette sowie einem privaten Finanzberater bezahlen – als Gegenleistung für Werbung. »Auf das Fachschaftsgeld selbst müssen wir kaum zurückgreifen«, stellt Thomas Mittag, Finanzer der Mediziner, fest. Mittlerweile beläuft sich dieses auf gute 5.000 Euro und entspricht damit dem Subventionsvolumen der Kulturwoche, für dessen Erhalt der StuRa unter anderem besagte Beitrags­ erhöhung beschlossen hat. So oder so, Strafen brauchen reiche Fachschaften nicht zu befürchten. Ob die ungenutzten Mittel zukünftig auf die gesamte Studierendenschaft umgeschichtet werden können, muss unter Berücksichtigung rechtlicher Möglichkeiten im StuRa diskutiert werden. <


Foto: manochab/photocase.com

Politische Bildung UND TÄGLICH GRÜSST DIE »HOCHSCHULÖFFENTLICHKEIT« Transparenz ist das A und O demokratischer Arbeit. Das macht sich im Falle des Deutschen Bundestags nicht nur durch Norman Fosters beeindruckende Kuppelkonstruktion bemerkbar – Protokolle, Gesetzesentwürfe, Tagesordnungen und vieles mehr werden zeitnah online veröffentlicht, per Parlamentsfernsehen hat jeder die Chance, ­Diskussionen live mitzuverfolgen, und auf Antrag erhält der interessierte Bürger sogar persönlichen Zutritt zu den Orten, an denen Entscheidungen nationaler Tragweite getroffen werden. All dies erfordert Kapazitäten, die hochschulpolitische­­Gremien natürlich nicht unbedingt zur Verfügung haben. Doch statt wenigstens die zu nutzen, die sie haben, versteckt sich in Rostock so mancher Vertreter hinter dem ominösen Status der »Hochschulöffentlichkeit«. Dieser legt dann selbst den studentischen (!) Medien allzu häufig Steine in den Weg, beispielsweise um den bereits vielfach gewünschten Entscheidungs-Liveticker von Sitzungen des StudentINNenrats zu blockieren. Was das in einem öffentlichen Raum soll, wenn es um die selbst gezahlten Gebühren, um die eigene studentische Zukunft und um die selbst gewählten Vertreter geht, bleibt vielen Studierenden dabei häufig unklar. Ungenaues Wissen und fehlende Anerkennung der dortigen Arbeit verwundern unter diesen Umständen jedoch kaum. Man stelle sich so etwas einmal beim bundesdeutschen Parlament vor … Text

ELISABETH WOLDT

Termine Lesung: Hauke Thoroe – »Herrschaftskritik: Analysen. Aktionen. Alternativen.« Ein Buch über Herrschaftssysteme, deren Mechanismen und die daraus resultierenden Handlungsspielräume. Und das alles auf 170 Seiten, inklusive persönlicher Erfahrungen und umfangreiche weiterführende Literaturangaben. Das Rostocker Friedensbündnis veranstaltet im Rahmen der Politischen Donnerstage des Vereins Soziale Bildung eine Lesung mit dem Autor Hauke Thoroe. Termin

23. Juni 2011, 20:00 Uhr, Peter-Weiss-Haus

Web

www.soziale-bildung.de

Veranstaltungsreihe: Frauenfußball Am 26. Juni beginnt die sechste Fußballweltmeisterschaft der Frauen. Grund genug für die Heinrich-Böll-Stiftung, sich zusammen mit zahlreichen anderen Vereinen des Landes und der Stadt Rostock mit der Geschichte des Sports und seinen gesellschaftpolitischen Dimensionen in einer ­Veranstaltungsreihe auseinanderzusetzen. Den Auftakt dazu bildet natürlich das gemeinsame Schauen des Eröffnungsspiels. Doch auch viele Vorträge und Diskussionsrunden sind geplant. Auftakt

26. Juni, 16:00 Uhr, Freigarten Peter-Weiss-Haus

Web

www.boell-mv.de

Tagung: »Perspektiven des Fortschritts« Die Zeit des bedingungslosen Wachstumsglaubens scheint endgültig vorbei zu sein. Doch wo genau liegen sie, die Wege zum Fortschritt jenseits rein materieller Definitionen und ohne dabei Gerechtigkeit, Glück, Ökologie, Lebensqualität, Bildung und Integration zu vernachlässigen? In Kooperation mit dem Verein der Hochschulinitiative Demokratischer Sozialismus veranstaltet die Friedrich-Ebert-Stiftung eine Tagung, auf der solche Fragen ausführlich diskutiert werden sollen. Termin

1. bis 3. Juli, Schwerin

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www.fes-mv.de

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Der fzs – Die Vertretung auf Bundesebene

LINKE AUSRICHTUNG PROBLEMATISCH

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er fzs wirbt um den Beitritt unserer Studierendenschaft und stellt dafür bundesweiten politischen Einfluss in Aussicht. Der vorgegebene Einfluss

dieses Zusammenschlusses ließ sich aber weder bei der unausgegorenen Präsentation vor dem StudentINNenrat feststellen, noch erschließt er sich bei der Recherche im Netz. Parteipolitikern, die sich auf Bundes- oder Landesebene für hochschulpoliti-

Als Dachverband zahlreicher deutscher Studierendenvertretungen kämpft der »freie zusammenschluss von studentInnenschaften« auf Bundesebene für bessere Hochschulbedingungen. Zurzeit diskutiert auch der Rostocker StudentINNen­rat über einen Beitritt.

sche Belange einsetzen, ist dieser Verband zudem häufig unbekannt. Viel dichter am Ort der wichtigen Entscheidungen befinden sich die hochschulpolitischen Verbände, die den bekannten Parteien nahe stehen, so der RCDS, die LHG, die Juso-Hochschulgruppe oder Campusgrün. Diese Interessenvertreter bieten ihren Service zum Nulltarif an und lassen sich ihre Arbeit nicht jährlich 12.000 Euro kosten, die im Falle einer Mitgliedschaft von allen Studenten der Uni Rostock getragen würden – nicht zuletzt mit dem Hintergrund einer erst kürzlich vorgenommenen Erhöhung des Beitrags für die Studierendenschaft um 40 Prozent eine untragbare Summe. Problematisch gestaltet sich zudem die inhaltliche Ausrichtung des fzs. Trotz des vermeintlich

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ANDRÉ OLBRICH

twa 80 Studierendenparlamente und Allgemeine Studierendenausschüsse sind gegenwärtig im »freien zusammenschluss von studentInnenschaften« (fzs) organisiert. Damit repräsentiert der derzeit einzige überparteiliche deutschlandweite Studierendenverband rund eine Million Menschen. Die vorrangigen Ziele des fzs sind unter anderem die Vernetzung der Studierendenvertreter und die Beteiligung der Studierendenschaften an hochschulpolitischen Entscheidungen auch auf Bundesebene. Damit stößt der Dachverband in ein Feld, das wenig Beachtung findet, denn Bildungspolitik ist zum größten Teil Ländersache. Dennoch werden wichtige Entscheidungen wie zum BAföG oder dem neuen »Deutschlandstipendium« (siehe heuler Nr. 93) in Berlin getroffen. Aus dem Einwirken auf diese Entscheidungen leitet der fzs im Wesentlichen seine Existenzberechtigung ab. Darüber hinaus organisiert er Workshops, startet Kampagnen, leistet Pressearbeit und unterstützt seine Mitglieder vor Ort. Für seine Arbeit verlangt der fzs von den angeschlossenen Studierendenvertretungen eine finanzielle Unterstützung. So zahlt jedes Mitglied jährlich einen Beitrag von 80 Cent für jeden an seiner Hochschule eingeschriebenen Studierenden. Der StudentINNenrat der Universität Rostock erhält derzeit 7 Euro pro Semester von seinen Studierenden, sodass die Summe einen nicht unwesentlichen Teil seines Haushalts ausmachen würde. Dementsprechend herrscht Skepsis darüber, ob ein Beitritt zum Dachverband für die Rostocker Studierendenschaft sinnvoll ist. In Anbetracht der schlechten Haushaltslage muss eine Mitgliedschaft sorgsam überdacht werden. Eine bundesweite Vernetzung erscheint durchaus erstrebenswert, allerdings muss dies mit den Kosten der Mitgliedschaft abgewogen werden, um im fzs nicht nur eine weitere finanzielle Belastung, sondern auch eine echte Chance sehen zu können. <

überparteilichen Anspruchs werden beispielsweise mit der Forderung nach einem zulassungsfreien Zugang zu Masterstudienplätzen und der Ablehnung der Exzellenzinitiative mehrheitlich linke Positionen vertreten, die nicht dem Willen aller Studenten der Uni Rostock gerecht werden können. Demzufolge ist die Ablehnung des Beitritts die einzig logische Konsequenz.

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MARTIN LAU, Vorsitzender des Rings Christlich-Demokratischer Studenten

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Netzwerke sind unbezahlbar

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ollte sich die Rostocker Studierendenschaft die Mitgliedschaft im fzs leisten? Oder anders gefragt, wie lange können es sich die Studierenden in Rostock

noch leisten, kein Mitglied zu sein? Der Wert eines Netzwerks ist schwer messbar. In Mecklenburg-Vorpommern ist die Landeskonferenz der Studierendenschaften die legitime Vertretung der 38.000 Studierenden im Land. Ihre Bedeutung hängt davon ab, wie sehr sich die einzelnen Studierendenvertretungen einig sind und ihre Lobbyarbeit ernst nehmen. Der Zusammenhalt ist gerade dann hoch, wenn Gefahr droht. Doch Hochschulrektoren und Professoren haben ihre Bundesvertretung, die Mitarbeiter ihre Gewerkschaft, und auch die Studierenden sollten eine gewichtige Vertretung haben, wenn das nächste Mal Einsparungen anstehen und der Ruf nach Gebühren wieder lauter wird. Zu den Kosten des fzs: Solange es keine Fernleihgebühren in Rostock gibt, wirken der Beitrag von 40 Cent pro Semester als »Solidaritätszuschlag« für jene, die unter Gebühren leiden und selbst über keine verfasste Studierendenschaft verfügen, also Studierendenschaften in Bayern und Baden-Württemberg.

Text

FALKO TESCH, Sprecher der Juso-Hochschulgruppe Rostock


Neue Lehrer braucht das Land 2006 gab die frisch gewählte schwarz-rote Koalition Mecklenburg-Vorpommerns die Erarbeitung eines Lehrerbildungsgesetzes als eines ihrer Ziele für die anstehende Legislaturperiode bekannt. Pünktlich zum Ende eben dieser wird der Entwurf im Eilverfahren durchgepeitscht und beschlossen. Aber was ändert sich damit für (zukünftige) Lehramtsstudierende? Text

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GESA RÖMER

as Lehrerbildungsgesetz (LBG) regelt die wichtigsten Schritte auf dem Weg in den vermeintlichen Traumberuf »Lehrer« – von der Bewerbung über den Verlauf des Studiums bis hin zum Referendariat. Mit der Fassung, die Ende Juni verabschiedet werden soll, ergeben sich somit entscheidende Veränderungen für alle, die zukünftig in Mecklenburg-Vorpommern ein Lehramtsstudium aufnehmen wollen, aber auch für jene, die bereits studieren. Die wichtigste Änderung für Studierende sei die Einführung von einheitlichen Studienordnungen, so Benjamin Pleban, Vorsitzender der Studentischen Lehramtskommission. Das Zentrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung wird demnach für jedes Fach eine einheitliche Studienordnung pro Lehramtsstudiengang erarbeiten, die dann vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur abgesegnet werden muss. Dadurch solle die lästige Frage »Welchen Leistungsnachweis brauche ich wirklich und welchen muss ich nur für mein Institut machen?« endgültig geklärt werden, erläutert Pleban weiter. Zudem hält der Bologna-Prozess durch das neue Gesetz nun auch in den Lehramtsstudiengänge Einzug. Die Modularisierung, die in den meisten Naturwissenschaften schon Praxis ist, soll damit allgemein gültig sein. Hinzu kommt, dass mindestens 50 Prozent der Module benotet werden und in die Endnote einfließen. So erhält der Student am Ende zwar einen Abschluss mit dem Siegel »Staatsexamen«, hat aber im Grunde eine Mischform aus Bachelor/Master und Examen studiert. Mit dem LBG verankert die Regierung darüber hinaus die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in das Lehramtsstudium, welche festlegt, dass Schüler mit besonderem Förderbedarf unterschiedlichster Art, die in Deutschland häufig »Sonderschulen« besuchen, von nun an die Möglichkeit haben müssen, auch an »normalen« Schulen zu lernen. Das Prinzip Inklusion erfordert damit für jeden Lehrer eine sonderpädago-

Illustration: Hannes Falke

gische Grundausbildung, die nun neben den bekannten Bestandteilen der Fach- und Bildungswissenschaften verpflichtend studiert werden soll. »Die Umsetzung dieser Neuerung ist zwar nicht revolutionär, aber doch dringend notwendig«, so Pleban. Für Christian Berntsen, Vorsitzender des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA), sei diese Neuerung sogar die wichtigste im gesamten LBG. Umso unzufriedener wirkt er mit der Tatsache, dass Studierende des gymnasialen Lehramts von dieser Regelung nicht betroffen sind. »Die Regierungskoalition geht scheinbar davon aus, dass es an Gymnasien keinen sonderpädagogischen Förderbedarf gibt. Sollte gehandicapten Kindern dadurch der Zugang zu Gymnasien erschwert werden, wäre dies ein klarer Verstoß gegen die UN-Behindertenkonvention und ein Festhalten an der Zwei-Klassen-Gesellschaft«, erläutert er. Während des Wissenschaftstages der CDU brachte Berntsen deshalb aus Protest den Ablauf durcheinander, indem er vor Anette Schavan auf seine Redezeit bestand – mit Erfolg. Die Anmerkungen der Studierenden zum Lehrerbildungsgesetz wurden gehört und der AStA-Vorsitzende hinterher für sein Engagement gelobt. Doch das Gesetz greift auch schon in die Zeit vor dem eigentlichen Studium. So konnte man sich bisher für zulassungsfreie Fächer einfach eintragen, für zulassungsbeschränkte war das normale Online-Bewerbungsverfahren der Universität zu nutzen. Nun sollen sich alle Interessierten einer verpflichtenden Studienberatung unterziehen. Im Falle eines zulassungsbeschränkten Faches sollen zusätzlich Auswahlgespräche sowie Studierfähigkeitstests eingeführt werden. Ähnliches gibt es beispielweise an der Universität Jena, wo bis zum dritten Semester ein sogenanntes Eingangspraktikum absolviert werden muss. Zwar spricht die Uni nur die Empfehlung aus, das 320 Stunden umfassende Praktikum am besten vor Beginn des Studiums zu absolvieren, dieses jedoch in den ersten zwei Semestern nachzuholen, ist aber wohl nur theoretisch möglich. Auch die Studienmöglichkeiten verändern sich mit Einführung des neuen LBGs stark, da die bisher existierenden Studiengänge für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen, an Haupt- und Realschulen, an Gymnasien sowie die Sonderpädagogik nun an das seit mehreren Jahren praktizierte Schulsystem angeglichen werden. So müssen sich zukünftige Studierende fortan zwischen den Fachrichtungen Sonderpädagogik und den Lehrämtern für Grundschulen, Regionalschulen, Gymnasien und – wieder neu – Berufliche Schulen entscheiden. Die Lehrämter für Gymnasien und Regionalschulen erleben zusätzlich eine Erhöhung der Regelstudienzeit auf zehn Semester, während Sonder- und Grundschulpädagogen ihr Studium weiterhin in neun Semestern schaffen müssen. All jene, die eine Fächerkombination studieren, für die ein dringender Bedarf seitens des Landes festgestellt wird, genießen bald ein besonderes Privileg: Ihnen muss die Universität die Möglichkeit garantieren,


ihren Abschluss innerhalb der Regelstudienzeit zu schaffen. Gleichzeitig führt das LBG theoretisch eine maximale Teilnehmerzahl für Seminare und Übungen der Bildungswissenschaften ein, sodass künftig zwar eine bessere Lernatmosphäre durch kleinere Seminargruppen bestehen soll, wie aber die zusätzlich notwendigen Seminare finanziert werden, sei laut Berntsen wie auch bei dem aufwendigeren Bewerbungsverfahren bisher unklar. Auch auf das Referendariat, den zweiten Teil der Lehramtsausbildung, übt das Lehrerbildungsgesetz Einfluss. Damit wird nun als einziger Regeleinstellungstermin der 1. Februar festgelegt, wodurch lange Wartezeiten nach dem Studien­ende entstehen. Die praktische Ausbildung dauert dann 18 Monate. Das entspricht einer Verkürzung um sechs Monate, wie es jedoch ohnehin

seit gut zwei Jahren ohne Rechtsgrundlage erfolgt. Eine Alternative bietet die sogenannte Doppelqualifikation (siehe heuler Nr. 89). Diese ermöglicht eine Einstellung auch zum 1. August. In den ersten sechs Monaten erwirbt der Referendar durch Seminare und Hospitationen die Erlaubnis, in einem weiteren Schultyp als dem von ihm eigentlich studierten unterrichten zu dürfen. Diese Regelung ist allerdings nur bei einem besonderen Bedarf seitens des Landes möglich. Insgesamt lässt sich sagen, dass einige der Neuerungen durch das LBG längst überfällig waren. Doch der vermeintliche Zeitdruck, dem die rot-schwarze Koalition so kurz vor den Wahlen ausgesetzt war, sorgt wohl erneut dafür, dass viele gute Ideen in einem Gesetz landen, bevor sie vollständig durchdacht wurden. <

FEHLERHAFTE UMSETZUNG

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ie Einführung eines neuen Lehrerbildungsgesetzes ist lange überfällig. Allerdings ist der derzeitige Entwurf des Landtages ein halbherziger Versuch, den

Lehrer(innen)beruf zu modernisieren. Besonders fehlerhaft ist die Umsetzung der neu gestalteten Lehramtstypen, da weder beim Lehramt für Gymnasien und Berufs­

schulen die sonderpädagogischen Anteile vorhanden sind, noch eine Erhöhung der Bildungswissenschaftsanteile aller Lehrämter abzusehen ist. Ein Schulsystem, das gleichberechtigt mit Kindern und Jugendlichen mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen umgeht, wird dadurch nicht zustande kommen! Das Gymnasiallehramt wird jedoch ohnehin auf zehn Semester Regelstudienzeit erweitert, also wäre eine Berücksichtigung der sonderpädagogischen Anteile kein großes Problem gewesen. Positiv ist auf jeden Fall die Modularisierung, auch wenn sich durch den Einfluss der Modulnoten auf die »Staatsexamensnote« der psychische Druck auf Studierende erhöhen wird. Darauf müssen die Lehramtsstudierenden bei der Erstellung der Studienordnungen also besonders achten – dabei ist Teamwork gefragt, um zukünftige Studierende zu schützen. Als besonders kritisch zu betrachten ist die Doppelqualifikation beziehungsweise die Lehrbefugnis für Fachwissenschaftler. Lehramtsstudierende erwerben in ihrem fünfjährigen Studium wichtige didaktische und pädagogische Kompetenzen und Fertigkeiten, die nicht durch ein paar Seminare ausgeglichen werden können! Chirurgen werden auch nicht ohne praktische Erfahrung auf ihre Patienten losgelassen.

Text

BENJAMIN PLEBAN, Vorsitzender der Studentischen Lehramtskommission

PSA-News Sinn und Unsinn von »Rechtsgrundlage« und »Widerspruch« Liebe Mitstudentin, lieber Mitstudent,

in den letzten Semestern – und auch im laufenden – wurde hin und wieder die zunehmende Verrechtlichung der Universität beklagt. Auf einmal müsse alles rechtlich korrekt laufen, Studien- und Prüfungsordnungen seien einzuhalten und die Dozentin/der Dozent könne nicht mehr frei entscheiden. Um eines vorwegzunehmen: Ich bin jederzeit für gute Lösungen, Konsens und Pragmatik zu haben. Und an der einen oder anderen Stelle kann man auch mal fünfe gerade sein lassen. Aber eben leider – oder zum Glück – nicht überall. Und immer dann, wenn eine oder einer von euch zu mir kommt und von einem Problem im Studium berichtet, frage ich nach der Rechtsgrundlage für ihre oder seine Situation. Häufig ist damit das Problem schon gelöst. Was nicht in einer Prüfungs- oder Studienordnung vorgesehen ist, kann nicht gefordert werden. Das gilt für eine Anwesenheitspflicht, Vorleistungen, Zulassungsbedingungen (zum Beispiel »Bewerbungsmappen«) ebenso wie für mündliche Prüfungen mit einem Prüfer ohne Beisitzer. Das wundert viele Studierende und der Fachmann ärgert sich, ist aber relativ leicht erklärt. Die Universität könnte man als große Behörde ­sehen (was sie tatsächlich auch ist). Natürlich soll hier hauptsächlich geforscht, gelernt und gelebt werden in der großen Einheit aller, aber es gibt eben auch den üblichen Verwaltungskram: Prüfungen, Zeugnisse, Noten, Einschreibungen und lauter andere Entschlüsse. Und jede dieser Entscheidungen braucht eine Rechtsgrundlage, sonst wäre das Handeln willkürlich. Für Prüfungen sind das die Prüfungs- und Studienordnungen. Auch vieles andere ist dort geregelt. Wenn‘s also mal wieder wunderlich wird, einfach folgende Frage stellen: »Rechtsgrundlage?« Sollte es dann noch immer nicht zu einer pragmatischen Lösung im Konsens kommen, hilft halt das, was bei jeder Verwaltung funktioniert: »Widerspruch!« Den Rest erledigen – wenn die Rechtsgrundlage fehlt – die Prüfungsausschüsse und der Widerspruchsausschuss. Bis heute übrigens jedes Mal, also traut euch! Euer Heiko

Heiko Marski ist Prorektor für Studentische Angelegenheiten (PSA) und kümmert sich im Rektorat um die Belange der Studierenden.

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KULTUR

Königliches Gerangel

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s liegen alle Karten auf dem Tisch: Bud Spencer illustriert im LOMO-Style. Donata kämpft gegen Terence Hill. Der Trend der Lomografie erreicht die Liebe unserer Redakteurin Yvonne und der mecklenburgische Adel hat uns dazu animiert, unsere

Rezensionen zu ordnen und pikant aufzuhübschen. Also erfreut euch an viel Neuem und Karo, Ressortleiterin

ein wenig traditioneller Aristokratie. Web

www.heulermagazin.de/kultur

Fotos: Yvonne Hein


Q-Tipps!

Meine Liebe: meine LOMO Eine Liebeserklärung an eine analoge Kamera Text

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YVONNE HEIN

l ick-r itschr itschr itsch-kl ick-r itschr itschr itsch-kl ick-r itsch­ritschritsch… Dieses unverwechselbare Geräusch erklingt, wenn ich mit meiner Kamera Fotos mache. Denn sie ist nicht nur irgendeine »normale« Kamera. Mit ihr schießt man nicht Tausende Digitalbilder, die dann auf der Speicherkarte oder auf dem Computer verschimmeln. Nein, meine geliebte analoge Kamera ist eine LOMO. LOMO? Was ist das? Dieses ­G erät ist eine Kleinbildkamera im Retro-Stil, die von einer sowjetischen Firma namens »Leningradskoye Optiko Mechanicheskoye Obyedinenie« für ­Spionagezwecke entwickelt wurde. Sie ist rein mechanisch, braucht also keine Batterien. Lediglich ein einfacher, handelsüblicher Film ist zu kaufen, der dann auf die altherkömmliche Art entwickelt werden muss. Immer wieder platze ich fast vor Neugierde, wenn ich einen Film von der Entwicklung abhole. Welche Fotos sind etwas geworden? Was und wie viel kann man erkennen? Und jedes Mal freue ich mich aufs Neue wie ein Honig­kuchenpferd, sobald ich die fertigen Fotos in der Hand halte. Die Überraschung ist stets groß. Einige Bilder sind über- oder unterbelichtet, andere sind nur bunt, verzerrt oder haben einen dekorativen Farbrand. Doch die meisten geben das gewünschte Objekt wieder, natürlich im lomografischen Stil. In jedem Foto ist etwas Einzigartiges enthalten, jede Farbe überzeugt mit Einmaligkeit, jedes Motiv erhält eine völlig neue Bedeutung … Da man den Film nach jedem Schuss manuell weiterdreht, können Experimentierfreudige wunderbare Effekte erzielen. Zum Beispiel: einfach mal nicht weiterbewegen und somit zwei Fotos übereinander ablichten. Man kann auch drei oder vier Bilder kombinieren, ein Bild nur halb weiterdrehen, zwei nebeneinander projizieren oder die Kamera umdrehen und dadurch ein gerades und ein auf den Kopf gestelltes Bild in einem Foto zusammenfügen. Da sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Zusätzlich ist jede Kamera mit einem Blitz und Farbfiltern ausgestattet, wodurch äußerst ungewöhnliche Aufnahmen mit brillantem Farbenspiel möglich sind. Zugegeben, sie ist wirklich nur eine Schnappschusskamera, aber normale Urlaubsfotos sind doch irgendwann langweilig und eintönig. Und genau deshalb liebe ich meine LOMO-Kamera, eine »Diana Mini« – nicht jedes Foto wird etwas, aber alle anderen sind, jedes für sich, großartige ­Kunstwerke! <

Bewerbt euch! Calling all artists – Bildwettbewerb »Rostocks Kultur(t)räume« Gemeinsam mit dem Kulturreferat des Allgemeinen Studierendenausschusses rufen wir alle studentischen Künstler auf, sich am Bildwettbewerb »Rostocks Kultur(t)räume« zu beteiligen und zu erkunden, was die Stadt und ihre Bewohner kulturell zu bieten haben, wo Kunst entsteht und wie vielfältig Kultur in Rostock ist, ob alles irgendwie Masse ist oder doch noch Nischen und Verborgenes existieren. Eine kreative Aus­einandersetzung mit dem Thema steht im Vordergrund. Wir verstehen den Begriff als weit fassbar: Was ist, was war, was kommt und was fehlt? Lasst euch von Rostocks Kulturlandschaft inspirieren und erweitert sie selbst. Am Wettbewerb können sich Rostocker Studentinnen und Studenten in den Genres Fotografie, Malerei, Zeichnung, Grafik, Typo und Collage beteiligen (maximales Format: 50 x 75 cm).

Termin

Einsendeschluss: 15. September 2011

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demnächst auf heulermagazin.de

E-Mail

kultur.asta@uni-rostock.de

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See more Jazz-Festival Jazz wohin das Auge reicht und die Ohren lauschen können. In der Rostocker Stadtgemeinschaft werden am letzten Juni-Wochenende schillernde Kontrabasse, volltönige Trompeten, Klaviere und Saxophone erklingen. Wir lieben doch alle die Kompositionen des John Coltrane, den »Cool Jazz« des Miles Davis und die wundervolle Stimme der Billie Holiday und leben schließlich noch heute nach dem Fazit des Songs von Louis Armstrong »What a Wonderful World«. Also lasst uns unsere Trommelfelle berühren von den entspannenden Tönen des »Manhattan Experiment« oder des »Ramón Valle Trio«. Zwar sind die Karten etwas kostspielig, aber manchmal sollte man eben auch in die Kultur investieren.

Termin

24. bis 26. Juni 2011, Zoo, Kunsthalle, Kulturhistorisches Museum

Web

www.seemorejazz.de


8 Millionen Prinzenkröten Donata zu Mecklenburg von Solodkoff, Alleinerbin und Chefin des großherzoglichen Hauses Mecklenburg-Schwerin, erhebt letzte Restitutionsansprüche gegen das Land. Mit dem umstrittenen Kunstdeal geht eine Ära zu Ende. Text

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ALFONSO MAESTRO

Illustration: Michael Schultz / Fotos: Annie Leibovitz (© Disney Pictures); Ostsee-Zeitung

ie ist ein paar »Serienmittwoche« Es bleibe alles in MV! Diese begeiswert, die Geschichte dieses Fürsterte Untertänigkeit, die man sonst tengeschlechts. Jahrhunderte herrschte nur aus Spanien oder England kennt, es ununterbrochen über unsere schönen galt es zu untersuchen: Wird sie gar Länder: Von 1131 bis 1918 dauerte das von einer breiten Masse getragen? Wenn Macht-Abo der Abodriten an. In diesem ja, so kann man dem Volk diese Freude für den Adel besonders gemütlichen Jahr nicht nehmen. Vor allem weil es nur flüchteten die Wilhelms und Friedrichs ein paar Millionen kostet. Aber die ins Exil oder begingen einfach SelbstRecherche ergab allen Erwartungen mord. Nach der Abschaffung der Mozum Trotz, dass Donata mit exakt narchie, zwei Weltkriegen und anderem null likes auf Facebook so beliebt ist Holpern war die Party dann aber vorbei. wie eine Schönheits-OP am Knie. Zur Dennoch kostete der machtpolitische AbAnschauung: Ein anderer exzentrischer sturz die Familie nicht allzu viel von Reicher mit vielen Gerichtsterminen, ihrem Dandy-Appeal, immerhin truDennis Rodman, hat 56.454. Das sind gen die Schlösser, in denen sie resi56.454 likes mehr. Die Regierung hat dierten, Namen wie Glücksburg und das sofort gerochen und macht den Sorgenfri. Heute steht Donata an der Wald nicht mehr locker. Spitze des Hauses Mecklenburg-Schwerin, die TochFür Donata ist das Täuschungsmanöver aus Schwerin Herzogin Donata: My mind on my ter von Christian-Ludwig Ernst August Maximilian money and my money on my mind. alles andere als hakuna matata. Sie fordert seit wenigen Johann Albrecht Adolf Friedrich Herzog zu MeckTagen zusätzlich 100.000 Euro Entschädigung für den lenburg. Als dieser in den Mittneunzigern gestorben war, übernahm sie Vertragsbruch. Norbert Nieszery, Fraktionsvorsitzender der Landes-SPD, alle Geschäfte und erwarb verlorengegangene Territorien zurück. Aktuell appelliert an ihre Menschlichkeit und fordert die Übertragung der Kunstwird über den ehemaligen, weil einst enteigneten Kunstschatz der Famigegenstände an das Land. Dies würde ihr, so Nieszery, »große Verdienslie verhandelt. Die Gemäldesammlung, die antiken Möbelstücke, Uhren te um das Land MV« einbringen. Sehr blumig. Wann war das noch mal, und andere Paraphernalien werden auf 7,9 Millionen Euro geschätzt und dass Mecklenburg-Vorpommern zum letzten Mal etwas verschenkt hat? Im sind derzeit in staatlichen Museen ausgestellt. Die Landesregierung zeigte Charlotte/Wald-Jahr jedenfalls nicht. Der Streit könnte ewig so weitergehen, sich kompromissbereit (und supermutig) und bot 4 Millionen in bar sowie­­ doch der Nießbrauch endet 2014 – spätestens da muss der Deal sitzen. 4 Millionen in Wald. Dass es dabei nicht um die Ölbildnisse gepuderter, toter Mecklenburger Die Reaktionen des kleinen Mannes: gemischt. Zum einen melden sich in geht, ist klar. Donatas Forderung ist dekadent, aber rechtmäßig. Sacrebleu! Diskussionsforen Hippies mit »Crocs« zu Wort, mit juristisch soliden ArWas wenn ein Nachkomme von Louis XIV jetzt auftaucht und Frankreich gumenten wie dem des Waldjahres 2011. Wie kann man nur unter solch zurückfordert? Hätte der Verfasser dieses Textes wie sein Vater Jura stueinem bösen Stern Wälder privatisieren? Nun, es gibt harte Fakten, die diert, würde er solche Fragen nicht stellen. Andere Frage: Können enteigdafür sprechen. Etwa das Charlotte-Jahr 2011, das 250. Krönungsjubiläum nete Millionäre wenigstens rappen? Früher haben Adlige noch gedichtet, der Herzogin Sophie Charlotte zu Mecklenburg zur britischen Königin. Da welche nützlichen Funktionen verantworten sie heute? Mit Hochzeiten und kommt der zu verschenkende Wald wie gerufen. Was für ein Drahtseilakt Sexskandalen werden wir in dieser Region auch nicht gerade überschüttet für Henry Tesch, Kultusminister und Schirmherr des Charlotte-Jahres in – eine Haltung, die in ihrer Diskretion den Habitus der Adligen aus »taff« Personalunion. Soll er sich mit der Geschichte gut stellen oder mit den Hipgeradezu negiert. Fazit: Durch ihr vornehmes Gehabe enttäuschen sie nur pies? In einem anderen Forum heißt es, die Herzogin gehöre zu uns, so wie die hiesige Fanbase, die sich nichts sehnlicher wünscht als einen Prinzen der Wald zu uns gehört. Man dürfe das der Herzogin doch nicht entsagen. von Güstrow, mit dem sie in anderen Bundesländern angeben kann. <


Bud Sp

ence r & Terence Hill ne Vier Fä u a L e t u uste für g

Dieses Jahr brachte Bud Spencer alias Carlo ­Sprüche, dümmliche Bösewichte sowie Pedersoli seine Autobiografie die komische Mimik, die überall verstanden wird. Wie »Mein Leben, meine Filme« heraus; es oft bei populären Genres verschiedener Kunstforauf dem Cover prangt das väterlich-bärtige Gemen der Fall ist, wurden auch die Spencer-Hill-Filme sicht des inzwischen über 80-jährigen Allroundvon der Kritik und Wissenschaft oftmals entweder Seit über 30 Jahren schreiben Italieners. Die außerordentlich guten Verkaufsbelächelt oder kritisiert. Dass ihre Streifen – meist zahlen – gnadenlos geführte Bestseller-Statistiken zwei außergewöhnliche Italowestern (auch »Spaghetti-Western« genannt) lassen gar nicht erst Zweifel aufkommen – maItaliener Filmgeschichte. Ein und Agentenkomödien – Parodien schon damals chen eines deutlich: Der Schauspieler, der nach kleiner Überblick über das verkommener Filmstrukturen sind, wurde erst in eigenen Angaben nie einer war, erfreut sich nach den letzten Jahren zunehmend in den Blickpunkt wie vor ungebrochener Beliebtheit, und das insSchaffen von Bud Spencer gerückt. Obwohl eine gewisse Klamaukigkeit der besondere in unseren Breiten. Bekannt geworden und Terence Hill. Werke natürlich nicht zu leugnen ist, schlagen sie ist er vor allem durch die Filme mit seinem blonim Hintergrund durchaus auch ernstere Töne an. den Gefährten Mario Girotti alias Terence Hill. Themen wie Sklaverei, Rassismus, Tierquälerei und Erinnert man sich da nicht gleich an gemeinsaText CHRISTOPH TREsKOW Korruption kommen ebenso zur Sprache wie überme Stunden mit dem Papa oder Freunden vor handnehmende Bürokratie und Geldgier. dem Fernseher, von Lachkrämpfen geschüttelt? Mit einer fast schon unverschämten Portion Glück und wenig Respekt vor Seit den 70er-Jahren veränderten sie gemeinsam die europäische Filmkulden oft völlig skrupellosen Autoritäten setzt sich das ungleiche Duo immer tur und begeistern bis heute Millionen Zuschauer weltweit. Hinter dem für die Schwachen und Unterdrückten ein – nur eben auf ihre Art, versteht Spencer-Hill-Film der 70er und 80er steht ein eingängiges und sehr effeksich. Sie sind Helden und Antihelden zugleich. Und das alles mit einem austives Konzept. Kurz gefasst: Zwei Taugenichtse rutschen durch widrige gesprochenen Frohsinn und einer lebensbejahenden Haltung, die beinahe Umstände in eine scheinbar ausweglose Situation, aus der sie sich und jeden Zuschauer ansteckt. Nicht zuletzt hat auch die deutsche Synchroandere mit Muskelkraft und Gutmütigkeit befreien. nisation wesentlich zum Witz der Filme beigetragen, während die besonBud Spencer ist dabei stets der mürrische und herzensgute Brummbär, der dere Chemie zwischen den beiden Darstellern einfach für sich spricht. So seinen verspielten Mitstreiter Terence Hill nur zeitweise an seiner Seite akmanche auffallend »moderne« Redewendung wird noch heuzeptiert. Zu welcher Zeit und an welchem Ort sich das alles abspielt, ist te, 30 Jahre später, von uns benutzt. dabei zweitrangig. Ob nun stereotype Western-Rabauken oder Unter Fans der beiden sind Sprüche wie etwa »Von eine Gruppe Mafiosi, alle kriegen sie von den beiden ihr Fett meiner Blutprobe könnten die Bullen ein Betriebsweg, fast ganz ohne Schießerei. Neben fest machen« oder »Die lieben Padres wollen Kohle den beiden charismatischen Darstellern ­ eule ­Eminenz« absoluter Kult. Schließhaben von K sind es die stets wiederkehlich sollen die Filme nach Buds eigener renden Elemente und RunAussage ja auch eher der spaßigen ning Gags, die den Filmen ihr Unterhaltung als dem tiefgründigen charakteristisches Flair verleiNachdenken dienen. Auf dass wir hen: Comic-hafte und bizarr noch in den nächsten 30 Jahren – bei choreografierte Prügel­orgien, Bier und Würstchen – herzhaft über die berühmt-deftigen Fressdie beiden lachen! < szenen, flotte und absurde

Illustration: Alfonso Maestro

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Rezension zu »Mr. Nice Guy« auf Seite 41

BÜCHER, CDs, THEATER, FILME, FERNSEHEN ...

Geschmackspolizei

38 Foto: commsanarchy.wordpress.com

Michel Houellebecq, dessen detailliertvulgäre Sprache Sex und Gewalt prononciert, ist als Frauenhasser und Rassist verschrien und erhält gerade deswegen besondere Aufmerksamkeit – auch vom Rockstar mit den Hunde­ augen. Gewissermaßen ist sein Werk die gereifte Fortsetzung von »Elementarteilchen«, denn die Vision vom geklonten Menschen wird hier Wirklichkeit. Der erfolgreiche und scharfzüngige Komiker Daniel 1 schreibt einen »Bericht« über sein Leben. Resigniert nach einer gescheiterten Ehe und der ausweglosen Liebe zu einer Jüngeren findet er seine Bestimmung in einer Klon­forschung betreibenden Sekte. Mit dem Tod seines geliebten Hundes Fox ist der Protagonist erstmals zu wahren Emotionen fähig. Auf unterschiedlichen Erzählebenen reflektieren die Klon-Nachfolger bis zu Daniel 25 über den Lebensbericht ihres Prototyps. Der Neo-Mensch, bar jedweder Gefühle, lebt in einer trostlosen Zukunft mit fotosynthetischer

Michel Houellebecqs »Die Möglichkeit einer Insel« entwirft einen Zukunftsmenschen zwischen Sensibilität und Abgestumpftheit. Iggy Pops Rückschall »Préliminaires« ist eine liebevolle Lesart des Romans: über Tod, Sex und das Ende der Menschheit.

Un chien perpendiculaire


»Hip-Hop mit Herz« – ohne Titten, wackelnde Ärsche und GangstaAttitüde, aber glücklicherweise auch ohne Beat und Punchline dabei zu vergessen. Die beiden ursprünglichen Güstrower Musiker Florian Zent alias »Bad Jokes« und Tom Wilken, genannt »Elephant«, verließen nun schon vor einer Weile die klassischen Genre-Grenzen und wandeln seither auf poppigen Spuren jenseits von reinem Sprechgesang, aber inklusive echter Gitarren und Melodien, die ins Ohr gehen. Das alles wird gepaart mit schönstem Rostocker Lebensgefühl, intelligenten Texten, Charme und einer gewissen extravaganten Coolness, die den beiden Jungs auch im Groove ihrer Alltagskonversation nicht verloren geht. Musik, die auch jene Leute lockt, die sonst nicht in Hip-Hop-Sphären schweben. Abgeklärt, irgendwie Ostsee, ein bisschen Clueso. Aus der Rostocker Musiklandschaft sind Sun of a Gun jedenfalls derzeit nicht wegzudenken. »Freunde der Sonne« heißt die neue CD, die am 24. Juni im Zwischenbau releast werden wird und die dem letztjährigen lokal durchaus erfolg-

Sun of a Gun Freunde der Sonne

www.sun-of-a-gun.de

Snacks heißt die Katze, die nicht nur Haustier und Liebling der Sängerin Bethany Cosention von Best Coast ist, sondern auch das Albumcover ziert.

Best Coast Crazy for You

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reichen Debüt »Nordlicht« folgt. Die erste Single-Auskopplung »Kleiner Mann« verspricht dabei mit Recht nur Gutes und das großartige Video dazu schlägt online bereits die ersten Wellen. Nach der neuen CD heißt es dann erst einmal »Konzerte, Konzerte, Konzerte«, um dabei die Erfahrungen mitzunehmen, die das Leben bietet, und auch mal musikalische Experimente einzugehen. Anvisiert ist das Ziel, bis 2013 ein ganzes Album fertigzustellen. Die Fans, denen die acht Titel und 25 Minuten von »Freunde der Sonne« nicht reichen, müssen sich also wohl noch einen Moment gedulden. Oder aber sie ergreifen bis dahin einfach die Chance, Sun of a Gun so oft wie möglich und immer wieder neu live auf der Bühne zu entdecken. ELISABETH WOLDT

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www.bestycoasty.blogspot.com

Straight von der West Coast kommen die 23-Jährige und ihr Mitstreiter, ehemaliger Babysitter sowie Multi­ instrumentalist Bobb Bruno. »Crazy for You« ist der Name ihres Debüt-Albums. Beim ersten Hören lässt diese recht poppig produzierte Platte Elemente von Garage, Pop-Punk, Surf Rock und 60’sGirlpop erahnen. Über Liebe, Trennung und vielerlei Trivialitäten singt Beth. So gibt der Titel des ersten Liedes »Boyfriend« den richtigen Hinweis: »I wish he was my boyfriend […] but instead he is just a friend« – das klingt stark nach Girlgroup-Geträller. Liebeskummer und Nicht-mit-dem-Schwarm-zusammensein-Können fassen das Album schlicht zusammen. Kritisieren ließe sich auch, dass sie die Ideale des Do-it-yourself-Stils verraten und sich bei Lo-Fi und Punk bedienen, um daraus einen äußerst gefälligen Abkömmling zu schaffen. Diese wunderbare Platte versucht aber eben an keiner Stelle mehr zu sein als ein Pop-Album, das den kalifornischen Lebensstil in sich trägt und dabei auch auf der gleichen Wellenlänge funkt wie die Beach Boys und Ramones. Die Lieder sind allesamt einprägsam, das Tempo erfrischend und das Album leistet sich an keiner Stelle einen Durchhänger. Lo-Fi wird somit wieder salonfähig gemacht und es geht gerade nicht um textliche Tiefe, sondern um simple, handgemachte Sounds und Themen, die uns wohl alle früher oder später beschäftigen. Interessant ist außerdem, dass der in »Boyfriend« Besungene der Wavves-Frontmann Nathan Williams ist. Auf jeden Fall zeigt diese Band, wie einfach es doch sein kann, wenn es schwer ist. Ein luftig-leichter Sommersoundtrack. ERIC WIEDEMANN

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www.rihanna.com

Unser kleines Pop-Püppchen hat eine neue Single aus ihrem Album »Loud« veröffentlicht und macht damit gerade unendlich viele Schlagzeilen. Gibt es bei Rihanna eigentlich noch eine Schmerzgrenze? Offensichtlich existiert diese definitiv NICHT im Clip zu »S&M«: Eine verschnürte Rihanna rekelt sich wahlweise auf einem Arzttischchen oder peitscht vier angekettete MännerModels aus. Als dann zum Schluss auch noch ein pädophiler Videoregisseur die Anweisung bekam, sich ein dreckiges Set auszudenken, war das Projekt komplett. Rihanna, mal gar nicht anders. Doch, eine Veränderung hat es in diesem Video schon gegeben: Jetzt trägt Rihanna nämlich rotweinrote, wellige Haare. Der neue chic für jedermann: Kauf dir eine McDonald’s-Perücke, lass dir die Beine fesseln und sing die ganze Zeit davon, wie nett und lieb du trotzdem bist und dass alle intoleranten Menschen einfach nicht den Zugang zu deiner Message haben. Dazu sag ich nur mit schwenkendem Zeigefinger: Na, na, na, na, na, come on! KAROLIN BUCHHOLZ

Rihanna S&M (Single)

Ernährung und ohne Geschlechtsantrieb. Die Empfangsvorbereitung des Klon-Nachfolgers ist die einzige Mission. So begibt sich der letzte Klon der Daniel-Serie letztlich auf die Reise, denn er hofft auf die Möglichkeit einer Insel. Lediglich sein (ebenfalls geklonter) Hund dient dem Neo-Menschen als Gefährte. Über die Metapher des Hundes finden letztlich Houellebecq und Pop zueinander. So bezeichnet der Sänger, seinerseits Experte für Hunde-Topoi, den Tod des chien als traurigsten Moment des Romans und verarbeitet diese Passage im Originaltext zum Song »A Machine For Loving«. Von Diplom-Conga­ spielern begleitet liefert Iggy Pop eine ruhige LP im Stil von »Avenue B« ab. Das Konzeptalbum »Préliminaires« (zu Deutsch »Vorspiel«) ist offiziell von Houellebecqs Roman inspiriert; faktisch lässt sich der Hundemann aber nicht einmal von seinem eigenen

Foto: theparisreview.com


»Putin wettert gegen Killertomaten« – so lautete eine Schlagzeile auf der Spiegel Online-Webseite. Panik. Angst. Unsicherheit. All diese Gefühle haben unsere letzten vier Wochen einschlägig geprägt und uns nach und nach davon abgehalten, Gurken, Tomaten, Salat und Sojasprossen zu kaufen. Der EHEC-Virus greift um sich und noch immer ist sich niemand genau sicher, was man jetzt am besten tut. Soll man der Hysterie Glauben schenken oder einfach weiter rohes Grünzeug futtern? In dieser für uns als Verbraucher schwierigen Lage schmiss uns ProSieben wieder einmal eine Lösung vor die Füße, und zwar mit einem Beitrag am 5. Juni zum vielfältigen Einsatz der Tomate als Nahrungsmittel. Kurz nach einem umwerfenden Bericht zur Entfernung von Körperhaaren und einer komplett aus Holz gemachten, 28.000 Euro teuren Badewanne präsentierte uns der sogenannte Chefkoch Shane McMahon ausführlich,

Fernsehkritik Galileo und die Wundertomate

40 Foto: Volkstheater Rostock

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www.volkstheater-rostock.de/repertoire

Der Nachwuchs steht bereit! Drei von vier Theaterjugendclubs des Volkstheaters Rostock präsentierten am Ende einer Spielzeit ihre eigene Inszenierung. Mit dem Ausweichen vom geplanten Ateliertheater in das Theater im Stadthafen aufgrund der Schließung des Großen Hauses konnten 21 Jugendliche mitunter zum ersten Mal Bühnenluft schnuppern. Die 14- bis 23-Jährigen hatten unter Anleitung der Schauspielerin Caroline Erdmann und des Jungregisseurs Christof Lange gemeinsam ein modernes Stück über Liebe und Hass entwickelt. Die Abgründe und Hoffnungen in der Liebe liegen oft nah beieinander, so das Fazit des Wettstreits à la Gott und Teufel. Die Verliebtheit als ein außerordentlicher Fall von geistiger Blindheit? Jeder Darsteller erzählt im Zusammenspiel mit den anderen teils schüchtern zurückhaltend, teils derb sexistisch, aber auch nachdenklich seine individuelle Geschichte. Fast immer passen die kreierten Rollen zu den Darstellern – da schwingen eigene Ideen und vor allem Spaß mit. Typische Charaktere wie die Schüchternen, der Womanizer, die Sexbombe oder der Außenseiter treffen im Dialog oder monologisch abwechslungsreich und schnell aufeinander. Viel Deutungsspielraum lässt auch der Handlungsrahmen, eine Psychiatrie mit allen Beteiligten: Sind das letztlich alles nur Wahnvorstellungen? Das Stück überzeugt mit den authentischen Darstellern, die eben nicht nur eine Rolle, sondern auch ein wenig sich selbst spielen. Mal lustig, mal provozierend, es kommt keine Langeweile auf. Standing Ovations am Ende der Premiere waren die Resonanz des Publikums. Bitte mehr davon – vielleicht in einem Wiedersehen in der nächsten Spielzeit?! STEFFIE KRAUSS

Theaterjugendclub »Freigeister« Herzsalat

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www.iggypop.org

Iggy Pop »Préliminaires«

UND STEFFIE KRAUSS

­ orsett einengen und macht, wonach K ihm ist, covert Songs, schreibt neue, schreibt alte, zitiert das Buch – mit einem vielfältigen und originellen Resultat. Mit »Les Feuilles Mortes«, einem Souvenir aus der Zeit des Poetischen Realismus, beginnt und endet die Musik. Von Yves Montand und Co. wollte Pop, pragmatisch wie die Romanfigur, gar nichts wissen. Französisch zu singen war reine business decision – die englischen Rechte waren ihm zu teuer. Seine beste Eigenkomposition ist »I Wanna Go to the Beach«. Das Stück ist endzeitlich wie Lou Reeds »Perfect Day«, wird aber aufgrund der drittklassigen französischen Kampagne wohl leider nie zum Hit. Hervorzuheben ist die Lyrik in »Party Time«, die, sehr bukowskiesk, wie für das Portrait eines Abgestumpften gemacht ist: »Here‘s a brute, he needs a hole to bury his soul in«. Houellebecq kommt das Poppige von Iggy entgegen. Er ist zwar unter Intellektuellen angesagt wie das Che-Shirt in der Sekundarstufe I, aber von der Kritik wird er wegen seiner resignierten Haltung verrissen. Warum kommen andere Pessimisten wie Radiohead und der »Fightclub« damit durch und er, auch bloß ein einfacher Zweibeiner (besser: Dreibeiner), muss den Sinn des Lebens aufschlüsseln? Es liegt wohl am Format: Das Wort verpflichtet. ALFONSO MAESTRO


wie wertvoll und köstlich überhaupt die Tomate sei. Ob gebacken, geschält, püriert oder roh, in Scheiben, als Mark, als Pulver oder einfach in ihrer runden fleischigen Form – die Tomate habe schon einiges zu bieten. Der nette Moderator von »Galileo« sprach nur noch von der »Wundertomate« und Shane brach sich in seinem englischen Akzent beim Loben dieser Liebesfrucht beinahe seine Zunge. Die brauchte er aber noch, um zum Schluss von seiner »Wundertomaten«-Sauce zu kosten oder der leckeren Couscous-Fleischtomate den letzten Schliff an Würze zu verleihen. Im Fernsehformat sieht die Killertomate wirklich liebenswert aus!

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http://tinyurl.com/6kdt4ou

Doch irgendwie kommt es mir immer noch etwas schleierhaft vor, dass ein Sender wie ProSieben kurz nach einem Nachrichtenbeitrag zur Gefahr durch die »Killertomate« so einen Spot senden kann. Schließlich verlassen wir uns tagtäglich auf die Recherchen anmoderiert von Sonja Kraus oder Annemarie Warnkross. Demonstriert uns ProSieben damit etwa die Reichweiten unserer Handlungs- und Meinungsfreiheit und überlässt den Verbrauchern selbst die Entscheidung über ihren Konsum? Oder spiegelt die Sendung doch schlicht die Fahrlässigkeit des Senders wider, bei dem Reportagen einfach keine Relevanz besitzen, bei dem sie sinnlos gedreht und zusammenhangslos ausgestrahlt werden? Nichtsdestotrotz, was sagt uns die Moral von der Geschicht‘: Über Killertomaten wundert man sich! KAROLIN BUCHHOLZ

Illustration: Hannes Falke

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Wer fällt einem ein – oder besser: Wer sollte einem einfallen, wenn man an italienische Klassiker der Literatur denkt? Jawohl, der Humanist Giovanni Boccaccio (1313–1375) mit seinem wegweisenden Hauptwerk »Il Decamerone«. Wer einmal Griechisch hatte oder dem Matheunterricht nicht völlig ferngeblieben ist, kann auch dem kryptischen Titel einen Sinn abgewinnen. Dieser spielt nämlich auf die Struktur des Buches an: Nach dem Ausbruch der Pest im 14. Jahrhundert in Italien flüchten zehn junge, kultivierte Menschen, davon sieben Frauen und drei Männer, für zehn Tage auf ein malerisches Landgut. Anstatt sich zu langweilen – ­wie viele Menschen heutzutage, wenn sie auf Fernseher oder iPod verzichten müssten –, beschließen sie, dass jeder jeden Tag eine Geschichte zu einem bestimmten Themengebiet erzählt. Das ergibt nach Adam Ries also 100 Novellen. Ist so ein alter Schinken nicht furchtbar langweilig für Leser wie uns? Nein, nein! Zum einen sind da die deftige Realität und der derbe Humor. Auch entpuppen sich die Diener Gottes oftmals als formidable Womanizer, die vor keiner Sünde zurückschrecken und damit alle wollüstigen Taten eines Don Juan in den Schatten stellen. Gerade hier lässt sich eine kritische Verbindung zur heutigen Zeit herstellen – einer Zeit, in der das Zölibat, aber Web

TRESKOW

www.tinyurl.com/5u874eq

auch die Würde der geistlichen Amtsinhaber selbst heftig diskutiert werden. Übrigens ist der Typus Frau, dem wir im ­Dekameron begegnen, alles andere als unterwürfig: Da verlässt eine selbstbewusste Frau ihren viel älteren Mann zum Abschied mit den Worten, er habe ihr im Bett nichts mehr zu bieten. In einem anderen Fall kommen zwei Paare einstimmig zu dem Schluss, dass es doch am besten sei, wenn man eine Vierer-Beziehung eingehe, in der jeder schläft, mit wem er will, anstatt strapaziöse Seitensprünge zu unternehmen. Warum kompliziert, wenn’s auch einfach geht! Überhaupt sucht man romantische Liebe oder christlich geprägte Tabus in diesem Buch vergebens. Sex, Geld und Rache bestimmen den Verlauf der Geschichten. Aus moralischer Sicht und als soziales Wesen steht der Mensch im Dekameron denkbar schlecht da. Hinter den fantasievollen Intrigen der Figuren verbirgt sich eine skrupellose, verdorbene Mentalität. Fazit: Das Dekameron ist ein unterhaltsames und kritisches Buch, dessen kurze Geschichten gut zu lesen sind. Etwas überspitzt erlebt man die spätmittelalterliche Gesellschaft, die der unseren gar nicht so unähnlich ist. Eine überraschend aktuelle Lektüre! CHRISTOPH

Giovanni Boccaccio Il Decamerone

Web

www.mrnice-themovie.co.uk

Darauf hat man lange gewartet: die Verfilmung der 1996 erschienenen Autobiografie von Howard Marks. Eine obligatorisch britische Produktion mit einem ebenso stilvollen Soundtrack-Arrangement von Philip Glass himself – gute Voraussetzungen. Inhaltlich dreht sich der Film um die Grundsatzfrage: Was ist falsch? Das Gesetz oder das Dope-Rauchen? Ein Treppenwitz der Geschichte: Hätte der einfache, aber verdammt smarte Waliser Howard Marks nicht die Elite-Uni Oxford besucht, wäre er vielleicht nie einer der größten Dope-Dealer der wilden Zeiten geworden. Laut der amerikanischen Drug Enforcement Administration soll »DH« Marks in den 70ern und 80ern immerhin für ein Zehntel des weltweiten Haschisch- und Marihuana-Handels verantwortlich gewesen sein. Was er wohl stattdessen geworden wäre? Schriftsteller? Nobelpreisträger? Eingeengt durch die sich langsam manifestierende Spießigkeit in seinem beginnenden Lehrer-Dasein, beschließt Howard, wieder ein wenig zu swingen. Die schlechte Bezahlung tut ihr Übriges und als dann auch noch das Schicksal an die Tür klopft – in Form eines mit 100 Pfund Dope bespickten Mercedes – ist die Antwort auf die ungestellte Frage klar: Wer kann da schon nein sagen? In Zeiten, in denen es noch Warteschlangen vor Telefonhäuschen gibt, schafft er es, einen internationalen Warenhandel aufzubauen. Eine logistische Meisterleistung! Was dieser Mann mit einem Handy alles hätte erreichen können oder mit dem Internet … Manche Geister haben so viel Energie, dass sie damit die ganze Welt umspannen. Und sperrt man sie ein, sterben sie ab. Verkörpert wird Mr. Nice durch Rhys Ifans, einem walisischen Schauspieler, der sogar demselben Kaff entstammt wie »DH« Marks. Perfekter könnte die Besetzung also nicht sein. Nach einem vor optischen Highlights strotzenden Beginn verliert der Film jedoch in der Mitte leider den Sinn für das Detail. Gewiss ist die Buchvorlage nicht kongruent in einen Film zu übertragen, dennoch vermisst man Dynamik, das wilde Leben. Stattdessen nimmt sich der Streifen an Stellen Zeit, an denen man eigentlich Gas geben könnte. In der Vorankündigung heißt es: »43 Decknamen, 89 Telefonanschlüsse, 25 Firmen, Kontakte zur Mafia« – eine rasante Action-Komödie hätte es also werden können. Doch das Ziel schien ein anderes zu sein: eine eher ruhige Geschichte mit dem persönlichen Drama des Howard Marks als festem Bestandteil. So bleibt Raum zum Nachdenken. Man begreift, dass neben all dem Rock ‘n‘ Roll eine gewisse Tragik im Leben einer solchen »Ikone« mitschwingt. Am Ende lassen sich die Macher allerdings zu einem kitschigen Happy End hinreißen, welches nur vom umso grandioseren Abspann gerettet wird. Nett. PAUL FLEISCHER

Kinofilm Mr. Nice


POSTSKRIPTUM 42

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s ist der 8. Juni 2011. Verdunklung in ganz Deutschland. Doch nicht etwa zur Vorbeugung

Gurkenwetter Comic

HANNES FALKE

eines Vernichtungsangriffs. Nein, sie ist bereits Folge eines heimtückischen Anschlags. Schon seit mehreren Stunden sitzen rund vier Millionen Deutsche fassungslos vor ihren schwarzen Bildschirmen. Dem Schock folgt die Gewissheit: kino.to gibt es nicht mehr. 250 Polizisten und Steuerfahnder schlugen gleichzeitig in 42 Büros und Wohnungen, in 20 Städten, in vier Ländern zu – später wird sich herausstellen, dass ein Mann aus den eigenen Reihen Hochverrat begangen und die Gemeinschaft von hinten erdolcht hatte. Einigen Usern laufen Tränen übers Gesicht. Tränen, die keiner der abertausend nebenbei oder zum Einschlafen gesehenen Filme je auslösen konnte. Verhallt der liebliche Laut des erschöpften Lachens nach massenhaftem Konsum drittklassiger amerikanischer Sitcoms. Doch die Deutschen reagieren prompt. Schnell ist das Nötigste – ein Notebook und ein paar Kopfhörer pro Person – auf dem Bollerwagen verstaut. In Foren wird fieberhaft diskutiert, ob der Flüchtlingstreck ins Exil zu movie2k.to oder doch zu einer der anderen etwa 15 in Frage kommenden Adressen führen soll. Als die Karawane langsam am Horizont verschwindet, bleiben einige Unverbesserliche zurück. In Rostock begeben sie sich zu den eingerichteten Notunterkünften, die unter anderem im Capitol, im Hansa und im Li.Wu. zur Verfügung stehen. Und während die Flüchtlinge auf ihrem ruckeligen Weg von Anbieter zu Anbieter einem unscharfen Ziel entgegenziehen, haben die Verbliebenen ein klares Bild vor Augen. In einem Raum

IMPRESSUM

voller Gleichgesinnter erleben sie die Wiederauferstehung eines Gefühls, das seit der Ära des bewegten Bildes im internen Netz verloren schien. Was für ein schöner Traum.

Text

STEPHAN HOLTZ

Geschäftsführer: Paul Fleischer gf@heulermagazin.de Parkstraße 6, 18057 Rostock Telefon: 0381 498 5604 Telefax: 0381 498 5603 www.heulermagazin.de No. 94 | Juni 2011

Ressortleiter: Gesa Römer (Universität) Änne Cordes (Studentenleben) Elisabeth Woldt (Politisches) Karolin Buchholz (Kultur)

Herausgeber: Studierendenschaft der Universität Rostock

Grafik und Layout: Michael Schultz mschultz@filterfreak.net

Redaktionsleitung: Änne Cordes (V.i.S.d.P.) Gesa Römer redaktion@heulermagazin.de

Lektorat: Annika Riepe Mitarbeit: Gesa Römer, Christoph Treskow, Sandra Schramm

Redaktionelle Mitarbeit: Kristina Aberle, Christina Beier, Maximilian Berthold, Marieke Bohne, Karolin Buchholz, Hannes Falke, Paul Fleischer, Björn Giesecke, Mareike Götz, Yvonne Hein, Caroline Heinzel, Anna Hermann, Stephan Holtz, Johannes Krause, Stefanie Krauß, Andreas Lußky, Alfonso Maestro, Juliane Meißner, André Olbrich, Annika Riepe, Sandra Schramm, Michael Schultz, Christoph Treskow, Eva von Holt, Eric Wiedemann, Elisabeth Woldt, Pascal Zurek

Druck: ODR GmbH Koppelweg 2, 18107 Rostock Auflage/Erscheinungsweise: 4.000/vierteljährlich Titelbild Heft 94: Maximilian Berthold Redaktionsschluss für das Heft 94 war der 30. Mai 2011. Der nächste heuler erscheint voraussichtlich im November 2011. Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 01/2011.


RÄTSEL! Rätsel

MARIEKE BOHNE UND ANNIKA RIEPE

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