Paris mon Amour Vol. V | 20 Books of Hours from Paris 1500 - 1550 | Cat. 82

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LXXXII Gewidmet dem Andenken von Janet Backhouse und Myra D. Orth, die auf diesem verschatteten Gebiet erste Wegmarken gesetzt haben


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V  StundenbÜcher aus Paris  –  Darunter das Stundenbuch der Katharina von Aragon, zwei Stundenbücher des Anne de Montmorency und das Stundenbuch von Henri II und Diane de Poitiers in Form einer Bourbonlilie aus dem Besitz von Eugène de Beauharnais und Viscount Combermere: Vom Martainville-Meister, Jean Pichore, Jean Coene, Gotha-Meister, Meister der Philippa von Geldern, Etienne Poncher-Meister, Etienne Colaud, Meister des d’Urfé-Psalters, dem Meister des François II de Rohan, Noël Bellemare, Martial Vaillant, Meister des Gouffier-Psalters, Charles Jourdain

KataLog LXXXii Heribert Tenschert 2018


Antiquariat Bibermühle AG Heribert Tenschert Bibermühle 1–2 · 8262 Ramsen · Schweiz Telefon: +41 (52) 742 05 75 · Telefax: +41 (52) 742 05 79 E-Mail: tenschert@antiquariat-bibermuehle.ch www.antiquariat-bibermuehle.com

Wichtiger Hinweis: Viele der abgebildeten Miniaturen sind leicht vergrößert wiedergegeben, zur besseren Identifikation der Sujets und der beteiligten Buchmaler. Die exakten Größen finden sich in der dinglichen Beschreibung, die man jeweils heranziehen möge.

English summaries of the descriptions available on application.

Autoren: Prof. Dr. Eberhard König, Dr. Christine Seidel, Dr. h. c. Heribert Tenschert Gestaltung, Redaktion, Lektorat: Heribert Tenschert, Maria Danelius Fotos: Athina Nalbanti, Heribert Tenschert Satz und PrePress: LUDWIG:media gmbh, Zell am See Druck und Bindung: Passavia GmbH & Co. KG, Passau ISBN: 978-3-906069-32-6


Inhaltsverzeichnis Band IV und V Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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47 Das Stundenbuch der Katharina von Aragon – Als Geschenk von König Ludwig XII und Anne de Bretagne (?): Ein unerhört reiches Pariser Manuskript vom Martainville-Meister und Jean Pichore . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 48 Ein Stundenbuch, nach 1461 im Poitou oder der Loire-Region geschrieben, um 1500 vom Martainville-Meister vollendet . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 49 Das Pelée-Chaperon- Stundenbuch vom Martainville-Meister, zuletzt im Besitz des Comte de Paris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 50 Ein Stundenbuch vom Martainville-Meister, eventuell aus dessen Frühzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 51 Das Brevier des Dichters Octovien de Saint-Gelais: Ein frühes Hauptwerk von Jean Pichore aus der Zeit um 1494 . . . . . . . . . . . . . 187 52 Ein Stundenbuch als Panorama der Pariser Buchmalerei um 1500 – mit Miniaturen von Jean Pichore, Jean Coene, dem Meister der Philippa von Geldern und einem überragenden weiteren Maler . . . . . . . . . 217 53 Ein Stundenbuch für den Gebrauch von Coutances vom Martainville-Meister, in Zusammenarbeit mit Jean Pichores Werkstatt . . . . . . 237 54 Ein Stundenbuch mit mehr als 100 Bildern von Jean Pichore und seiner Werkstatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 55 Das Stundenbuch der Marguerite de Coësmes und des Charles d‘Angennes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 56 Das monumentale Stundenbuch der Madame Giraud de Prangey-Escertaines: seltenes Beispiel einer Pariser Handschrift für den Gebrauch von Langres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311

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57 Das Lignieres-Stundenbuch – von Jean Coene ganz eigenhändig ausgemalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 58 Ein mit 158 Bildern ungemein reiches Stundenbuch vom Gotha-Meister mit mehreren alttestamentarischen Zyklen und einem Totentanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 59 Ein Pariser Stundenbuch mit 124 Bildern vom Meister der Philippa von Geldern, dem Meister des Étienne Poncher und einem bislang unbekannten Meister mit Vorliebe für explizite Aktdarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 60 Ein Stundenbuch von Etienne Colaud und dem Meister des d’Urfé-Psalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 61 Ein Stundenbuch mit 99 Bildern von Etienne Colaud und dem Hauptmeister der Statuten des Michaelsordens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 62 Das Stundenbuch des Pierre Palmier, Erzbischof von Vienne, illuminiert von Etienne Colaud und Martial Vaillant . . . . . . . . . . 457 63 Das Stundenbuch des Pierre Duchesnay und der Antoinette Cain: Ein unbekanntes Werk vom Meister des Gouffier-Psalters . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 64 Das Erste Stundenbuch des Anne de Montmorency, Connétable de France, mit herrlichen Miniaturen von Noël Bellemare. . . . . . . 493 65 Das Zweite Stundenbuch des Anne de Montmorency, Konnetabel von Frankreich, ein Hauptwerk des Meisters des François de Rohan aus dem Jahr 1539 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 66 Ein Stundenbuch in Form der französischen Königslilie: Die Maquette für das Amienser Stundenbuch des französischen Königs Henri II . – später im Besitz von Napoleon, Eugene de Beauharnais und Viscount Combermere . . . . . . . . . . . . . 561 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591


56 Das mo­nu­men­ta­le Stun­den­buch der Ma­dame Gir­aud de Pran­gey-Esc­erta­ines: sel­te­nes Bei­spiel ei­ner Pa­ri­ser Hand­schrift für den Ge­brauch von Lang­res, im 19. Jahr­hun­dert als Ma­nus­kript Kö­nig Karls X. ge­stal­tet


STUNDENBUCH. Horae B. M. V. für den Gebrauch von Langres. Lateinische und französische Handschrift auf Pergament, in Schwarz, Rubriken vorwiegend in Blau, im Kalender nur die Feste in Blau und Rot, in Bastarda. Paris, ca. 1515 - 1520: Jean Coene 64 Bilder: 16 große Miniaturen in Renaissance­Architekturen mit Putten und Incipits von meist sechs Zeilen und vierzeiligen Initialen aus weißem Akanthus, die teilweise als Trompe­l’œil vor Bild und Rahmen gesetzt sind; 24 siebenzeilige Kleinbilder auf 23 mit entsprechend belebten Rahmen der gesamten Seite; 24 Kalenderbilder in zwölf Bordü­ renstreifen mit prächtigen dreizeiligen Initialen und rahmenden Goldleisten oder Kno­ tenstöcken; alle Textseiten mit Bordürenstreifen außen und Goldleisten um die Textfel­ der, zuweilen mit eindrucksvollen Gesichtern, Grotesken oder vorzüglich beobachteten Tieren, vor allem Vögeln. Die kleineren Initialen als goldene Lettern auf Flächen, bei den zweizeilige Initialen zu den Psalmenanfängen in Rot und Blau diagonal geteilt; einzeilige Initialen zu den Psalmenversen in Gold auf roten und blauen Gründen; Zeilenfüller in gleicher Art. Versalien gelb laviert. 128 Blatt feines Kalbspergament, das letzte leer; zwei Blatt Pergament als Vorsatz vorne; irrig foliiert mit 65bis, 75bis und 104bis. Gebunden in Lagen zu acht Blatt, davon abweichend die beiden Kalenderlagen 1-2(6), die um ein Blatt für eine Miniatur am Ende ergänzte Lage mit den Perikopen 3(4+1), sowie die Doppelblätter 8-9(2) und 17(2). Ohne Reklamanten. Trotz einiger unregelmäßiger Lagen vollständig erhalten, auf dem textlosen Blatt fol. 17/v vor dem Beginn des Marienoffiziums sind als Rückstände eingenähter Pilgerabzeichen Nahtlöcher zu erkennen. Quart (230 x 160 mm; Textspiegel: 132 x 80 mm). Zu 20, im Kalender zu 17 Zeilen; braun regliert. Vollständig und brillant erhalten, mit Ausnahme weniger kleiner Grotesken, so auf fol. 1 oben, vom Buchbinder völlig verschont; in den Farben frisch und stark. Mit dem heutigen Einband hat Roger Devauchelle (1905–1993) einen königlichen Einband wiederhergestellt, der zu unbekanntem Zeitpunkt bei Gruel in Paris geschaffen wurde und zwar eher für Karl X. (König von Frankreich und Navarra 1824–1830, gest. 1836) gedacht war als für dessen Enkel Henri duc de Chambord; dabei wurden Emails des 19. Jahrhundert wiederverwendet: Grünes Maroquin mit semé von fleurs de lis und Jakobsmuscheln, jeweils in Gold, mit Emailplatten des 19. Jahrhunderts und der Letter C sowie in der Mitte Frankreichs Königswappen mit Krone, umgeben vom Collier des Michaelsordens. Signatur DEVAUCHELLE auf dem inneren Deckel vorn. Mit den Wappen der Familie Giraud de Prangey auf fol. 1 (Blau, durch einen silbernen Streifen horizontal geteilt, oben drei silberne Mondsicheln, unten ein springender Hirsch, ebenfalls silbern) und denen der Familie Escertaines (auf Blau ein goldener Hirsch) auf fol. 4. Diese Familie hatte durch Wollkämmerei Reichtum angehäuft; deshalb wird die Beterin, die auf fol.

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17v ohne Wappen erscheint, vom heiligen Blasius begleitet, den man hier wie auf fol. 117v als Bischof mit dem Wollkamm als Marterinstrument dargestellt hat. Trotz der Bestimmung für diese Frau sind die Mariengebete (siehe die entsprechenden Formeln auf fol. 105 et 107) in männlichen Formeln redigiert. Wahrscheinlich sind auf fol. 65bis König Franz I. und seine Frau Claude de France im Profil dargestellt. Die französischen Königslilien unter dem Michaelsbild am Anfang der Suffragien, fol. 112v, gehören zum originalen Bestand. Hingegen wurden die Königswappen in der Form von France moderne, also drei goldene Lilien auf Blau, auf fol. 43, 58 und 75, in der Bekrönung der Miniaturen über die Wappen der Giraud de Prangey gemalt – am deutlichsten sichtbar auf fol. 58. Diese Übermalung wird erfolgt sein, als man den Prachteinband mit Königslilien im 19. Jahrhundert schuf – entweder für Karl X. oder dessen Enkel Henri duc de Chambord, den Sohn des 1820 ermordeten duc de Berry, der nach Karls Abdankung im Zuge der Revolution 1830 als Henri V zum König proklamiert wurde und 1883 kinderlos gestorben ist. Von besonderem Interesse wäre die Rolle des gerade erst von der Kunstgeschichte wieder entdeckten Graphikers und Daguerrotypisten Joseph-Philibert Girault de Prangey aus Langres (1804-1892), der ebenso wie ein etwa zeitgenössischer Bischof von Cambrai aus der Familie der Beterin stammt. Je nachdem, wann man den Einband von Gruel datiert, käme Joseph-Philibert, der wohlhabend war und als Orientalist große Verdienste hatte, als derjenige in Frage, der ein Werk aus altem Familienbesitz (als Monarchist oder für königliche Käufer) passend gestalten ließ; dann aber wäre eher an den glücklosen Henri V zu denken. Anfang des 20. Jahrhunderts war das Manuskript im Besitz von Théophile Belin, dem führenden Handschriftenhändler in Paris: In seinem Katalog Nr. 273 vom Februar 1903, Nr. 227, (und abermals mit korrigierter Beschreibung im Katalog 279 unter Nr. 3309) ist es mit großem Aplomb für 10.000,- Goldfrancs angeboten: als für Königin Claude de France gedacht! Zwei moderne Exlibris: das ältere von John Roland Abbey, einem der größten englischen Sammler des 20. Jahrhunderts, in dessen Tenth Cat. of the Celebrated Library. The Property of the Late Major J. R. Abbey, Sotheby’s London, 20.6.1978, es als Nr. 2994 beschrieben wird (£ 16.500,- an Traylen). Dazu das Exlibris eines Schweizer Sammlers: awf (Adrian Flühmann). Unser Katalog Catena aurea, 1985, Nr. 26. Text fol. 1: Kalender in französischer Sprache, nur wenige Tage besetzt; einfache Heiligentage in Schwarz; Feste in Blau oder Rot. Zum Teil in Paris ungewohnte Bezeichnungen der Hochfeste, so L’apparition n(ost)re seigneur am 6.1. Sorgfältig mit Heiligen von Langres und aus dem Burgund besetzt: auffällig sind Fest und Translation der beiden Hauptpatrone von Langres Didier und Urbain sowie des heiligen Mammès, dem die Kathedrale von Langres gewidmet ist: gregoire evesque (Translation dieses Bischofs von Langres: 4.1.); les sains gemeaulx (in Rot, gemeint sind Speosippus, Eleosippus und Meleosippus sowie die heilige Leonilla, kappadokische Märtyrer, deren Reliquien in der Kirche St.-Géome in Langres verehrt werden: 17.1.); translation de didier (19.1.); urbain (23.1.); anathorne (30.1.); blaise (als Fest: 4.2.); gengoul (als Fest: 11.5.); fale (Patron der Gemein-

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de Saint-Phal im Norden von Burgund: 16.5.); didier (als Fest: 23.5.); winebaud (29.5.); claude (6.6.); ferreul et forge (Ferreolus und Ferrucius von Besançon: 16.6.); thibault (Patron von St.-Thibaut: 8.7.); arnoul (18.7.); memer (Mamms, als Fest: 17.8.); menge (Bischof von Châlons-sur-Saône: 19.8.); ladre (Lazarus, Autun: 1.9.); reyne (Regina von Autun, als Fest: 7.9.); cire (12.9.); invencion des sains gemeaulx (18.9.); seigne (Gründer von St.Seine-l’Abbaye bei Cestres im heutigen Bistum Dijon:) 19.9.; andorche (Andochius Saulieu) 24.9.; translation saint memer (Mammès, Translatio: 10.10.); vinard (Langres:) 11.10.; sainte bouloigne (Bolonia von Vignory:) 16.10.; valier (Erzdiakon von Langres: 22.10.); benigne (Dijon: 3.11.). fol. 13: Perikopen: Johannes (fol. 13), Lukas (fol. 14v), Matthäus (fol. 15v) und Markus (fol. 16v). fol. 17v: Marienoffizium für den Gebrauch von Langres, ausdrücklich durch die Rubrik secundum Lingonensem vs(u)m auf fol. 17v bestätigt: Matutin (fol. 18), Laudes (fol. 26), Prim (fol. 33), Terz (fol. 37), Sext (fol. 40), Non (fol. 43), Vesper (fol. 46), Komplet (fol. 51). fol. 55: Horen von Heilig Kreuz (fol. 55) und Heilig Geist (fol. 58). fol. 61v: Bußpsalmen, mit Litanei (fol. 69) mit einer bewußt auf Langres eingestellten Heiligenauswahl, so unter den Märtyrern: Benignus, Mammes, Desiderius, Speosippus, Eleosippus, Meleosippus, Blasius, Gengulfus, Ferreolus, Ferrucius, Simphorianus und zugleich den in Paris gewohnten Dionysius und Mauritius, sodann unter den Bekennern Lupus, Amator, Claudius, Hubertus und die Gründer verschiedener Mönchsorden; unter den Frauen Leonilla. fol. 75: Totenoffizium, für den Gebrauch von Langres. fol. 104: Mariengebete, für einen Mann redigiert: Obsecro te (fol. 104), O intemerata (fol. 106). fol. 111v: Sieben Verse des heiligen Bernhard. fol. 112v: Suffragien: Michael (fol. 112v), Johannes der Täufer (fol. 113), Petrus und Paulus (fol. 113v), Jakobus (fol. 114), Stephanus (fol. 114v), Laurentius (fol. 115), Sebastian (fol. 115), Christophorus fol. 116), Desiderius (fol. 117), Blasius (fol. 117v), Nikolaus (fol. 118), Martin (fol. 118v), Claudius (fol. 119), Antonius Abbas (fol. 120), Anna (fol. 120v), Maria Magdalena (fol. 121), Katharina (fol. 121v), Margarete (fol. 122), Barbara (fol. 122v), Apollonia (fol. 123), Maurus (fol. 124). fol. 124v: Textende. Schrift und Schriftdekor Während andere Stundenbücher desselben Stils noch eine niedrige Textura verwenden, ist dieses sehr auf wendig gestaltete Manuskript in einer markanten Bastarda geschrieben. Die Schrift unterscheidet sich in mancher Hinsicht vom Pariser Brauch; so wird der Kalender zwar in französischer Sprache gegeben, aber mit einer begrenzten Zahl sorgsam

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bestimmter Heiliger; der in der Hauptstadt übliche Wechsel von Blau und Rot für die einfachen Heiligentage in Kalendarien, die auf jedem Tag besetzt sind, wird hier auf die Feste übertragen, die in entsprechenden Pariser Handschriften mit Gold hervorgehoben wurden, während einfache Heiligentage hier in Schwarz geschrieben sind. Die brillanten blauen Rubriken, teilweise mit schönen Kadellen, entsprechen burgundischer Ästhetik; sie stehen zumindest auf fol. 17v im Widerspruch zur Ausmalung. Deshalb mag das Buch in der Bischofsstadt Langres geschrieben und dann in eine Pariser Werkstatt geschickt worden sein, die entsprechend auch die farbigen Initialen ausführte. Statt der um sich greifenden Sitte, die Textseiten nicht mehr mit Randschmuck zu versehen, kommen in Kalender wie Text zu den Bordürenstreifen außen noch Leisten um die Textfelder hinzu. Entsprechend reich ist der Dekor der vom Prinzip der Kompartimente ausgehenden Randstreifen, die im Kalender auf den Recoseiten zu architektonisch gerahmten Bildfeldern für zwei übereinander gestellte Darstellungen werden. Eindrucksvoll ist die Phantasie für figürliche Elemente wie den Narren auf fol. 95, mitten im Totenofzium, aber auch Schmetterlinge und Vögel, seltener Grotesken verblüffen; auf fol. 65bis kommen zu den Putten noch François Premier und zwei wohl karikierte Hofdamen hinzu. Zierbuchstaben im Textverlauf sind als goldene Lettern auf rote und blaue Flächen gesetzt, die bei zweizeiligen Initialen in Rot und Blau diagonal geteilt sind, während die Farben bei einzeiligen alternieren. Auf deren Stufe wird der Schriftdekor von fol. 104 an herabgesetzt: Die zweizeiligen Initialen, z.B. neben allen Bildern zu den Suffragien, werden den einzeiligen gleichgestellt und erhalten nur noch einfarbige Fonds; in diesem Teil des Manuskripts steht auch die 4-zeilige Initiale zur einzigen großen Miniatur entsprechend in Pinselgold vor diagonal geteiltem blau-roten Grund. 39 Bildseiten sind durch Renaissance-Architekturen gerahmt, unabhängig davon, ob es sich um die 16 großen oder die insgesamt 24 kleinen Miniaturen handelt (von denen in einem Fall zwei auf einer Seite erscheinen). Diese Rahmen berücksichtigen die unterschiedliche Randbreite und sind deshalb zum Falz hin nur mit einer Säule, nach außen aber mit komplexeren Kombinationen aus Säule und Pfeiler besetzt. Die rafnierten Erfindungen gehörten offenbar zum Vorlagenschatz der Werkstatt und wurden deshalb in unserem Stundenbuch mehrfach wiederholt und auch variiert. Eindrucksvoll ist das Spiel von Putten, die meist damit beschäftigt sind, Festons zu binden, zuweilen die Tücher zu halten, auf die das Incipit geschrieben ist oder am Schaft einer dicken Säule nach oben zu klettern. Unter den Kleinbildern zu den Suffragien kommen naturalistisch gemalte Tiere hinzu, am prächtigsten zwei sehr kleine Bären auf Reco und Verso von fol. 120; hier hätte sich Durchpausen angeboten; aber man hat die Tiere dann doch frei gezeichnet. Die Bilder fol. 1: Den Kalender begleiten zwölf Bildstreifen in den sonst mit Bordüren besetzten Feldern auf den Reco-Seiten; in einer gemeinsamen Architektur, die von Grotesken bekrönt ist, sind jeweils zwei Bildfelder übereinander geordnet. Als Bekrönung dienen in

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Gold-Camaïeu als Verzierung der Architektur zu verstehende figürliche Elemente, darunter eine muntere Folge von Begegnungen zwischen Hund und Putto, die Putten bis auf zwei Ausnahmen flügellos: ein Reiter im Januar; ein stehender Putto im Februar; ein Putto auf einem Bären reitend im März; ein Putto, der einen anderen auf einer Karre zieht, im April; ein Vogel, der die Flügel breitet, im Mai; die Halbfigur eines Puttos, aus einem Gefäß auftauchend im Juni; ein Hund mit einem Putto, der blaue Flügel hat, über dem Löwen im Juli; Hund und sitzender Putto voneinander abgewendet im August; ein Hund der den ihm zugewandten Putto anspringt, im September; auf einen Stock gestützter Hund mit Leine, vom Putto mit einem Stock erzogen, im Oktober; Putto mit zwei Hunden, die sich zu ihm aufrichten, um von ihm umarmt zu werden, im November; Putto mit blauen Flügeln, der mit einem kräftigen Stock ausholt, um den Hund an der Leine zu schlagen, im Dezember. Beim Mahl im Januar sitzt ein bartloser Mann vor dem Kamin am bereits mit Speisen gedeckten Tisch und hält einen metallenen Becher; eine Frau bringt eine weitere Platte herein. Zum Wärmen am Kamin im Februar sitzt ein Bärtiger und hält die Hände zum offenen Feuer, das Funken sprüht. Zum Trimmen der Weinstöcke im März tritt ein Bauer mit einer Sichel von links ins Bild. Zum Stelldichein im Garten im April sitzt ein junges Paar vor einer Hecke, der Mann mit ungewohnt auf wendig geschmückten Ärmeln. Zum Ausritt im Mai sitzt ein junges Paar auf einem weißen Zelter, so weit nach vorn gerückt, daß der Kopf des Pferdes vom Bildrand abgeschnitten ist und der Blick in die Landschaft verdeckt wird. Bei der Heumahd im Juni hält der barfüßige Bauernbursche die Sense so, daß nur der schräge Stiel mit einem Griff ins Bild paßt; hinter ihm liegt das Gras in einer sauberen Linie am Boden. Ein Bauer steht bei der Kornernte im Juli mit seiner Sichel etwas ratlos in einer runden Lücke des Kornfelds. Im August holt ein junger Mann in einer nach rechts zur Landschaft geöffneten Scheune beim Dreschen so weit aus, daß vom Dreschflegel nur der Stab zu sehen ist. Zur Kelter im September ist ein junger Mann in den Bottich gestiegen, vor der Weinpresse, mit schwarzem Fond. Ruhig schreitet der Sämann bei der Aussaat im Oktober am unteren Bildrand über kahlem Acker; im Sockel unten in blauen Lettern semin. Der Schweinehirt holt zum Abschlagen der Eicheln im November vor herbstlich gebräunten Eichen aus. Vor einer Mauer, die einen steinernen runden Turm im Hintergrund von einem Fachwerkhaus vorn trennt, spielt das Schweineschlachten im Dezember, bei dem ein junger Mann einem Schwein die Kehle geschlitzt hat, eine Frau fängt das Blut in einer Kasserolle auf. Zwar sollten die Sternbilder am Himmel stehen, doch sind Mensch oder Tier auf der Erde in Landschaften gezeigt mit weiten Blicken bis zum Blau der Ferne: Der Wasser­ mann, ein nackter Knabe, dessen Geschlecht vom Wappen verdeckt wird, begießt mit einem Tonkrug trockenes Land mit dürren Bäumen. Menschenleer ist das Bild der Fi­ sche in einem Fluß am unteren Bildrand. Der Widder besetzt ganz die kahle weite Landschaft. Der Stier trabt als ein mächtiger brauner Bulle durchs Bild, verdeckt den Ausblick und läßt nur wenig Platz für dunklen Himmel und Wiese. Hinter einem blauen Schild mit goldenem Hirschen verbirgt sich das Zeichen der Zwillinge als ein junges Paar, nackt vor einem dichten Wäldchen. Der Krebs, wie in Frankreich gewohnt als Lan-

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gus­t e, schwimmt wie die Fi­sche vorn in ei­nem Ge­wäs­ser. Der Löwe ist viel klei­ner als die bis­her ge­zeig­ten Tie­re; in der Art, wie er oft in Lu­kas­bil­dern er­scheint, blickt er am Bo­ den ho­ckend zwi­schen Bäu­men aus dem Bild. Die Jung­frau steht mit ih­rem Palm­zweig weit vorn ne­ben ei­nem Baum. Men­schen­leer ist das Bild der Waa­ge, die an ei­ner durch das Bild ge­spann­ten Stan­ge hängt, über rasch ge­tupf­ter Land­schaft. Sehr klein, als sei sich der Ma­ler nicht si­cher, was er dar­zu­stel­len habe, zeigt sich der ge­flü­gel­te (!) Skor­pi­ on vor ei­ner Fels­land­schaft. Nach links springt der Schüt­ze durchs Bild und zielt nach rechts, als Ken­taur aus ei­nem Schim­mel und ei­nem bart­lo­sen Men­schen mit mäd­chen­ haft lan­gem Haar zu­sam­men­ge­setzt. Der Stein­bock schließ­lich, ein wei­ßer Zie­gen­bock in ei­nem Am­mons­horn, zeigt sich in kar­ger Win­ter­land­schaft und kah­len Bäu­men. fol.13: Die Perik­open be­gin­nen mit ei­ner gro­ßen Mi­ni­a­tur in pracht­vol­ler Rah­men­ar­chi­ tek­tur, die auf das im Lay­out an­ge­leg­te Un­gleich­ge­wicht von in­nen und au­ßen so re­a­giert, daß links nur eine Säu­le, rechts aber zwei Säu­len mit kost­ba­rem blau­en Stein­spie­gel zwi­ schen ih­nen den plas­tisch mo­del­lier­ten Bo­gen tra­gen, der mit zwei hän­gen­den Schluß­ stei­nen drei klei­ne­re Bö­gen über die Bild­flä­che schlägt; Put­ten mit klei­nen Fähn­chen sit­zen an bei­den Sei­ten: Jo­han­nes auf Pat­mos (fol. 13), der un­ver­än­dert ju­gend­li­che Evan­ ge­list, hat links vor ei­nem Fel­sen Platz ge­nom­men und schreibt auf eine Schrift­rol­le, zu der sich sein Ad­ler mit Blick wen­det. Ge­wäs­ser, die un­ter dem Schrift­feld be­gin­nen und rechts wie ein Fluß in die Tie­fe füh­ren, sol­len den Ort als In­sel be­zeich­nen; eine Wind­ müh­le auf ho­hem Fel­sen und nicht die Stadt Ephe­sus be­herrscht den Blick ins Blau der Fer­ne. Die­sel­be Vor­la­ge dien­te für Nr. 57 in die­sem Ka­ta­log. Die Inci­pits mit den drei wei­te­ren Evan­ge­lis­t en, die als Halb­fi­gu­ren ge­zeigt wer­den und wie ge­wohnt in In­nen­räu­men an ih­ren Evan­ge­li­en ar­bei­ten, er­hal­ten sie­benz­ei­li­ge Klein­ bil­der in ähn­lich pracht­vol­len Ar­chi­tek­tu­ren wie die gro­ßen Bild­sei­ten. Die Bild­mo­ti­ve ent­spre­chen ei­nem Vor­la­gen­schatz, den der­sel­be Ma­ler in un­se­rer Nr. 57 eben­so ver­ wen­de­te; doch ge­ben die mit spielen­den Put­ten (mit ei­ner Aus­nah­me durch­weg in GoldCam­aïeu) be­setz­ten Ar­chi­tek­tu­ren, die das ge­sam­te Schrift­feld ein­fas­sen, den Inci­pits sehr viel mehr Ge­wicht. Wie­der re­a­gie­ren die Säu­len auf das Lay­out; bei al­len drei Ver­ so-Sei­ten ste­hen links brei­te­re Ge­bil­de mit je­weils zwei Säu­len, rechts, also zum Falz hin, je­doch nur je­weils eine: Lu­kas (fol. 14v) sitzt rechts und schreibt auf ein Blatt, von sei­nem Stier be­äugt. Mat­thä­us (fol. 15v) tut es ihm sei­ten­ver­kehrt nach, vom En­gel be­ glei­tet. Mar­kus (fol. 16v) sitzt links, schreibt auf ein Blatt, das glatt über das Pult hin­ab­ fällt; rechts ne­ben ihm sein Löwe. fol. 17v: Auch das Ma­rien­of ­fi­zi­um ist nach den Vor­la­gen be­bil­dert, die für Nr. 55 und 57 ge­dient ha­ben; es be­ginnt aber mit ei­ner auf­wen­dig ge­stal­te­ten Dop­pel­sei­te, bei der die in Blau ge­schrie­be­ne vierz­ei­li­ge Rub­rik mit ei­ner nach oben aus­grei­fen­den Ka­del­ le zeigt, daß die­ses Ver­so erst nach­träg­lich ein Voll­bild er­hielt; die Rub­rik zur Ma­ri­enTerz zeigt, wie die Ka­del­le un­ge­stört aus­ge­se­hen ha­ben mag. Dar­ge­stellt ist eine Be­te­rin und der hei­li­ge Bla­si­us in ei­ner die gan­ze Sei­te um­fas­sen­den Zier­ar­chi­tek­tur: In ei­nem mit nied­ri­gem Vor­hang ge­schmück­ten Kir­chen­raum kniet Ma­dame Gir­aud de Pran­

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gey-d’Esc­erta­ines, be­glei­tet vom Bi­schof Bla­si­us, der an sei­nem Mar­ter­ins­t ru­ment, dem Woll­kamm, er­kenn­bar ist. Das Bild der vor­neh­men Dame war be­reits ge­plant, als die Ver­kün­di­gung (fol. 18) kon­zi­piert wur­de: Ma­ria kniet, in ih­rem blau­en Man­tel über ei­ nem Kleid in röt­li­chem Vi­o­lett, links un­ter ei­nem mit Wein­rot aus­ge­schla­ge­nen Bal­da­ chin, des­sen Au­ßen­sei­te mit schö­nem Blau be­spannt ist. Sie mü­ßte sich ei­gent­lich zu ih­ rem Bet­pult wen­den; dann wür­de sie Gab­ri­el an­schau­en, der von rechts ge­kom­men und ins Knie ge­sun­ken ist; doch durch die Be­te­rin und de­ren Pat­ron ist die Jung­frau ab­ge­ lenkt; so schaut sie nach links in Rich­tung der an­de­ren Bild­sei­te. Um ein paar Flie­sen zu­rück­ge­setzt, weist der Erz­en­gel, der ein gol­de­nes Li­li­en­zep­ter faßt, mit sei­ner Rech­ten di­rekt nach oben, wo von der Tau­be des Hei­li­gen Geis­tes gol­de­ne Strah­len­bün­del aus­ ge­hen. Nach rechts hin öff­net sich der Raum zu ei­ner im­po­san­ten Berg­land­schaft in der Fer­ne; zu Sei­ten ei­ner Säu­len­grup­pe ste­hen je­weils drei En­gel und bli­cken auf Ma­ria. In der Be­krö­nung des Rah­mens steht in wei­ßen Let­tern der En­gels­gruß: ave gra­cia ple­ na dom­invs t(ecvm). Zur Heim­su­chung (fol. 26), die die Lau­des er­öff­net, er­hält die Be­geg­nung von Ma­ria zur Lin­ken und Eli­sa­beth viel Raum, der durch zwei Bäu­me, links und mit­tig, und den Berg mit dem Haus ge­stal­tet wird, vor dem der grei­se Za­cha­ri­as sitzt: Ma­ria steht zwar so weit vorn, daß ihr Ge­wand­saum von der Ta­fel mit dem Inci­pit ab­ge­schnit­ten ist; doch wird die Land­schaft da­run­ter fort­ge­setzt. Die Grei­sin ist den ge­wun­de­nen Weg aus ih­rem mit Re­nais­sance-Fas­sa­de ge­schmück­ten Haus her­ab­ge­kom­men; bei­de rei­chen sich die rech­ ten Hän­de. Nach strik­ten Prin­zi­pi­en von De­ko­ra­ti­ons­hie­rar­chie mü­ßte die­se Bild­sei­te die ab­so­lu­te Spitze mar­kie­ren; denn in über­bor­den­der Phan­ta­sie sind Put­ten, haut­far­ ben wie auch in Gold-Cam­aïeu ein­ge­setzt: Drei gol­de­ne spie­len un­ter dem Schrift­feld, wäh­rend acht klei­ne le­ben­dig ge­färb­te Nack­te am Säu­len­schaft hoch­klet­tern, mit ih­ren Händ­chen die Füß­chen der hö­her An­ge­kom­me­nen stüt­zen oder sich hin­ter der Säu­le ver­ste­cken. Dazu kommt ein Schne­cken­paar in Gold als krö­nen­der Ab­schluß oben. Zur Prim folgt die An­be­tung des Kin­des (fol. 33) im Stall, der von links mit schad­haf­ tem Dach ins Bild­feld ragt. Da­vor kni­en Ma­ria links und Jo­seph rechts, bei­de mit zum Ge­bet ge­füg­ten Hän­den. Das Kind, von dem ge­ra­de Gold­strah­len aus­ge­hen, liegt auf ei­nem recht­e­cki­gen wei­ßen Tuch, das wohl an Al­tar­tuch ge­mah­nen soll und glatt auf dem Bo­den aus­ge­legt ist; um der klei­nen Ge­stalt mehr plas­t i­sche Prä­senz zu ge­ben, ist es von ei­nem gol­de­nen Oval um­fan­gen. Der Kna­be führt die Hand zum Mun­de, als wol­le er am Dau­men lut­schen, in­te­res­siert be­trach­tet vom Esel, wäh­rend der Och­se zu Ma­ria auf­blickt. Hin­ter der aus gro­ben Bret­tern ge­zim­mer­ten Rück­wand, die nach oben ab­ bricht, ha­ben sich be­reits zwei Hir­ten ein­ge­fun­den. Gol­de­ne Put­ten span­nen oben den De­kor und spie­len un­ten; die Be­krö­nung des Rah­mens ist mit Per­len und Edel­stei­nen ge­schmückt. Die Terz, de­ren Inci­pit als an den Sei­ten ein­ge­roll­ter Per­ga­ment­strei­fen von drei gol­de­nen Put­ten ge­hal­ten wird, er­öff­net mit der Hir­ten­ver­kün­di­gung (fol. 37), die sich in cha­rak­te­ ris­t i­scher Wei­se vom Vor­la­gen­we­sen löst: Ein En­gel, als recht klei­ne Halb­fig­ ur, in wei­ßem Hemd mit ro­ten Flü­geln, er­scheint vor Gold in Wol­ken: Drei Hir­ten un­ter­schied­li­chen

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Al­ters und eine Hir­tin schau­en auf; der jüngs­te liegt als Rü­cken­fi­gur vorn und schützt die Au­gen, der äl­tes­t e kniet links ne­ben ihm und rich­tet sich mit sei­nem Hir­ten­stab auf, der mitt­le­re rechts be­tet. Haupt­fi­gur ist eine jun­ge Frau, die er­staunt von ih­rem Spinn­ ro­cken abl­äßt und auf­schaut. Zwi­schen ih­nen drängt sich die Schaf­her­de; rechts ste­hen auf ei­nem Hü­gel stol­ze Ge­bäu­de in der schö­nen wei­ten Land­schaft. Recht nied­ri­ge gol­ de­ne Pro­phe­ten­sta­tu­et­ten um­ge­ben den Schaft der di­cken Säu­le rechts. Für die An­be­tung der Kö­ni­ge zur Sext (fol. 40) sitzt Ma­ria in ei­ner – ver­gli­chen mit der Weih­nacht – viel stär­ker ru­i­nier­ten Ecke des aus Bret­tern ge­zim­mer­ten Stalls; nun hält sie das Kind in ei­ner bis zum Bauch rei­chen­den Win­del auf dem Schoß. Die gol­de­nen Ga­ben sind Ge­fä­ßen für kirch­li­chen Ge­brauch ähn­lich, aber nicht ge­nau prä­zi­siert als Uten­si­li­en für die Fei­er der Mes­se. In der Mit­te hält ei­ner der wei­te­ren Kö­ni­ge, die al­ ters­mä­ßig nicht dif­f e­ren­ziert sind, ei­nen po­ly­go­na­len Be­cher mit De­ckel, wäh­rend der drit­te rechts hin­ten ein Zi­borium mit ku­gel­för­mi­gem Ober­teil bringt. Die Ge­stal­ten ver­tei­len sich so frei im Raum, daß die ge­wohn­te Ord­nung nicht mehr zu gel­ten scheint. Wie­der sind gol­de­ne Put­ten be­müht, die Ar­chi­tek­tur zu schmü­cken, de­ren Bo­gen mit den Na­men der Kö­ni­ge in Blau be­schrif­tet wer­den soll­te; wo nur für rex ia­spar rex mel­chi­or rex Platz war. Die Non, de­ren Inci­pit auf wei­chem Tuch zu ste­hen scheint, des­sen En­den von ei­nem gol­ de­nen Putto un­ten zu­sam­men­ge­hal­ten wer­den, wird wie ge­wohnt von der Dar­brin­gung im Tem­pel er­öff­net (fol. 43): Der ge­staf­fel­te drei­tei­li­ge Bo­gen mit sei­nen zwei hän­gen­ den Schluß­stei­nen er­in­nert an den Rah­men des Jo­han­nes­bil­des; doch prangt nun in der Mit­te ein Wap­pen­schild mit France an­cienne, also den drei gol­de­nen Li­li­en auf Blau, von gol­de­nen Put­ten ge­hal­ten. Die Be­we­gungs­rich­tung ist dies­mal um­ge­kehrt: Links steht Sim­eon am run­den Al­tar­tisch, mit Mit­ra; er kreuzt die Arme und beugt sich über den nack­ten Je­sus­kna­ben, der auf ei­nem oval ge­dreh­ten Tuch auf der wei­ßen De­cke liegt. Ma­ ria kniet be­tend, wäh­rend Jo­seph mit dem Körb­chen die zwei Tau­ben über­rei­chen will, eine Magd die Ker­ze hält und ein et­was jün­ge­rer Mann hin­zu­kommt. Er wirkt eben­so wie Ma­ria, Jo­seph und die Magd deut­lich klei­ner als der grei­se Sim­eon. Bei der Flucht nach Ägyp­ten zur Ves­p er (fol. 46) wird die schon von der Heim­su­chung be­kann­te Säu­le, an de­ren Schaft acht Put­ten hoch­klet­tern, in Cam­aïeu wie­der­holt. Im Bild kommt an­ders als in vie­len Pa­ri­ser Hand­schrif­ten der Zeit das Korn­wun­der hin­zu; es wird mit manns­ho­hem Korn links im Mit­tel­grund ge­zeigt. Vorn zieht die Hei­li­ge Fa­ mi­lie in dem durch drei hohe Bäu­me im Mit­tel­grund ge­glie­der­ten Bild­feld nach rechts: Ma­ria, im Da­men­sitz auf dem am Bo­den schnup­pern­den Esel, hält den in Gold-Cam­ aïeu ge­klei­de­ten Je­sus­kna­ben auf dem Schoß, wäh­rend Jo­seph den Zü­gel hält und fast im ver­lo­re­nen Pro­fil vo­ran­schrei­tet. Wie­der ist die Rah­mung durch gol­de­ne En­gel be­lebt. Die Ten­denz, sich im­mer stär­ker von den ge­wohn­ten Vor­la­gen zu lö­sen, er­reicht ih­ren Hö­he­punkt bei der Ma­rien­krö­nung zur Komp­let (fol. 51): Gott mit den Zü­gen des Va­ ters sitzt ge­mein­sam mit der ju­gend­li­chen Jung­frau Ma­ria auf ei­nem gol­den schim­mern­ den Thron mit kon­ka­ver Form. Der Va­ter seg­net die Got­tes­mut­ter; die gro­ße Tau­be des Hei­li­gen Geis­tes schwebt über dem Mit­tel­pfos­ten der Rück­leh­ne, der mit der obe­ren

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Kan­te an Chris­t i Kreuz den­ken läßt. Krei­se von Se­rap­him und au­ßen Cheru­bim um­ge­ ben die Er­schei­nung, die vor al­lem durch den schma­len Bild­strei­fen un­ter dem Inci­pit als Him­mel be­zeich­net ist; dort schaut ein gol­de­ner En­gel, der als Rü­cken­fi­gur ge­zeigt wird, ins Wei­te; oben strei­ten sich zwei Putti um ei­nen Stab. Eine gol­de­ne Pro­phe­ten­ sta­tue steht vor dem Pi­las­t er au­ßen. fol. 55: Die Er­ken­nungs­bil­der der Ho­ren ge­hö­ren zum fes­t en Brauch. So wird die KreuzMatu­tin mit der Kreu­zi­gung (fol. 55) er­öff­net: Da­bei er­weist sich, daß un­ser Ma­ler die Re­geln der Pers­p ek­ti­ve mit raf ­fi­nier­tem Ein­satz des Ho­ri­zonts eben­so über­ra­schend nut­zen kann wie die Mög­lich­keit, im Rah­men das Bild zu er­gän­zen: Das Haupt­bild wirkt auf den ers­ten Blick auf Ma­ria, Jo­han­nes und Mag­da­le­na un­ter Chris­ti Kreuz be­schränkt; doch sind die Sol­da­ten nur ein Stück in die Tie­fe hin­ter den Hü­gel Golg­atha ge­rückt; ihre un­zähl­ba­re graue Mas­se er­reicht mit den Köp­fen ge­ra­de ein­mal die Knie­hö­he des Erl­ösers. Über den Lan­zen mit zwei ro­ten Stan­dar­ten führt der Blick auf Ge­bir­ge im Blau der Fer­ne. Doch der Haupt­mann, der Je­sus als Got­tes Sohn er­kennt, fin­det im po­ly­go­na­len Pfei­ler rechts mit ei­nem Teil der Trup­pe hin­ter sich Platz, noch er­heb­lich nied­ri­ger als die Sol­da­ten und in Gold-Cam­aïeu. Dies­mal en­det das Bild­feld über dem Inci­pit; un­ten spie­len vor ei­nem mit gol­de­nen Trä­nen be­setz­ten blau­en Fond ge­flü­gel­te Put­ten mit De­kor für den Rah­men, auf des­sen In­schrift im Bo­gen oben ein wei­te­rer Putto weist; in blau­en Let­tern steht dort die Bit­te: sa­lva nos per v(ir)tvte (sic!) sanc­te. Bei der Matu­tin des Hei­li­gen Geis­tes prangt über dem Pfingst­wun­der (fol. 58) er­neut das fran­zö­si­sche Kö­nigs­wap­pen im Rah­men: Bei der Dar­brin­gung im Tem­pel war der­ sel­be Rah­men ein­ge­setzt; dazu ge­hört nun eben­falls der Putto un­ten, der die En­den des Tuchs faßt, auf die das Inci­pit ge­schrie­ben ist. Wie­der wird dem Bas-de-page ein blau­ er Fond hin­ter­legt; das Bild en­det also ober­halb des Inci­pits. Un­ter der Tau­be des Hei­ li­gen Geis­tes, von der wel­len­för­mi­ge gol­de­ne Strah­len aus­ge­hen, sitzt, leicht nach links aus der Bild­mit­te ver­scho­ben und sacht nach rechts ge­wen­det, die Mut­ter­got­tes; zu ih­ rer Rech­ten kniet der grei­se Pet­rus, auf der an­de­ren Sei­te der ju­gend­li­che Jo­han­nes; die zahl­lo­sen Nim­ben der hin­ter bei­den Knien­den deu­ten an, daß weit mehr als die ver­blie­ be­nen elf Apos­t el des Wun­ders der Ausg­ießung des Hei­li­gen Geis­t es ge­wahr wer­den. fol. 61v: Wie bei der Ma­ri­en-Matu­tin er­öff­nen die Buß­psal­men mit zwei Bil­dern, de­ren ei­nes auf Ver­so die – hier nur zweiz­ei­li­ge – in Blau ge­schrie­be­ne Rub­rik ent­hält, wäh­ rend auf dem Rec­to das Inci­pit den un­te­ren Teil des ge­rahm­ten Fel­des ein­nimmt. Dies­ mal sind die Rah­men we­nigs­tens in den au­ßen ste­hen­den Pi­las­tern, nicht aber in ih­rer Ge­samt­form auf­ei­nan­der ab­ge­stimmt; die Bild­the­men ih­rer­seits bil­den kei­ne Fol­ge von links nach rechts; denn auf Ver­so wird die bru­ta­le Fol­ge des­sen ge­zeigt, was auf Rec­ to ge­ra­de erst be­ginnt. Buch­ma­ler ver­füg­ten eben­so wie Dru­cker von Stun­den­bü­chern über Bil­der­se­ri­en zu be­stimm­ten The­men, aus de­nen für das ein­zel­ne Buch dann meist nur eine oder bes­t en­falls zwei Mo­ti­ve aus­ge­wählt wer­den konn­ten. So ver­band man die Buß­psal­men mit der Ge­schich­te von Da­vid und Bath­seba: Der Kö­nig schaut der Ehe­frau sei­nes treu­en Dienst­manns, des Het­hit­ers Urias, beim Bade zu, for­dert sie auf, in sei­nen

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Pa­last zu kom­men, schwän­gert sie, schickt Urias durch ei­nen Brief, den der Be­tro­ge­ne selbst be­för­dern muß (sie­he das Bild in Nr. 57), in den Tod, wird dann vom Pro­phe­ten Na­than an­ge­klagt, tut Buße und zeugt dann mit Bath­seba den spä­te­ren Kö­nig Sa­lomo. Mit Bath­seba im Bade (fol. 62), dem um 1500 für die Be­bil­de­rung der Buß­psal­men be­ lieb­tes­t en The­ma, be­ginnt die Ge­schich­te. Das Bild ist ganz da­rauf aus­ge­rich­tet, die ver­ füh­re­ri­sche Schön­heit der jun­gen Frau zu zei­gen: Bath­seba steht ganz nackt im sechs­e­cki­ gen Be­cken und schaut ver­son­nen auf die klei­ne gol­de­ne Brun­nen­fi­gur ei­nes Krie­gers – in an­de­rem Zu­sam­men­hang wür­de man den Kriegs­gott Mars er­ken­nen, hier aber ist viel­ leicht me­ta­pho­risch an Urias selbst zu den­ken, der ja in Da­vids Sold steht. Bath­seba ist al­lein, ba­det of­fen­bar im Gar­ten des Pa­lasts, der links im Mit­tel­grund steht. Von dort schaut Da­vid, von ei­nem jun­gen Mann be­glei­tet, he­raus, wäh­rend vor dem Ro­sen­spa­lier weit hin­ten zwei win­zi­ge Fi­gu­ren spa­zie­renge­hen. Durch die Kom­bi­na­ti­on der bei­den Bild­sei­ten ist Bath­se­bas ver­son­ne­ner Blick auf die Urias-Schlacht ge­rich­tet, die auf fol. 61v den ge­sam­ten Raum in­ner­halb des Rah­mens ein­nimmt. Wäh­rend un­ten, durch die zwei Zei­len Rub­rik un­ter­bro­chen, die Lei­chen der Er­schla­ge­nen lie­gen, wird im Zent­rum des Bil­des ein stolz in Gold ge­rüs­t e­ter Rei­ter auf ei­nem Schim­mel von der Lan­ze sei­nes von rechts he­ran­rei­ten­den Geg­ners durch­bohrt. Da sich der Ma­ler nicht si­cher sein konn­te, daß man das Bild rich­tig las, hat er vrie in gol­de­nen Let­tern auf die wein­ro­te Schab­ra­cke des Schim­mels ge­schrie­ben. fol. 75: Noch ein­mal wird die mit dem kö­nig­li­chen Wap­pen ge­schmück­te Bor­dü­re für das To­ten­of ­fi­zi­um ver­wen­det; nun steht ihre Pracht in ei­gen­ar­ti­gem Kon­flikt zu Hiob mit sei­nen Freun­den. Der Greis hockt in ei­nem wei­ßen Tuch, das wie ein Lei­chen­tuch wirkt, auf dem Dung, links im Bild, vor sei­nem Haus, das – in sol­chen Mi­ni­a­tu­ren un­ ge­wohnt, aber der bib­li­schen Ge­schich­te ent­spre­chend – eine Ru­i­ne ist. Hiob blickt auf zu den Freun­den und dis­ku­tiert sicht­lich mit ih­nen; es sind vier, wäh­rend in der Bi­bel nur drei zu Wort kom­men. Sie sind auf­wen­dig ge­klei­det, der lin­ke wirkt wie ein in fal­ sche Far­ben ge­klei­de­ter Ka­noni­ker. fol. 104: Von den Ma­rien­ge­be­ten ist nur das ers­t e be­bil­dert: Als Kopf­mi­ni­a­tur über dem Inci­pit in ei­nem Rah­men mit ei­nem in­ei­nan­der ver­dreh­ten Säu­len­paar er­scheint die Ma­ don­na mit Kind zum Obse­cro te, wäh­rend das O int­emer­ata bild­los bleibt: Als Halb­fi­gur er­scheint Ma­ria über der sil­ber­nen Mond­si­chel vor gol­de­nem Grund, von feu­ri­gen Se­ rap­him im blau­en Him­mel mit Sil­ber­wol­ken um­kränzt. Die Bild­idee greift also den Ge­ dan­ken an das in die Son­ne ge­klei­de­te Apo­ka­lyp­ti­sche Weib über dem Mond auf. Ma­ria hat den in eine lo­cke­re Win­del ge­hüll­ten nack­ten Kna­ben im Arm; bei­de wen­den sich nach rechts; des­halb wird ein Bild­ge­dan­ke zu­grun­de lie­gen, bei dem rechts Be­ter oder Be­te­rin­nen dar­ge­stellt wa­ren. fol. 111v: Bild­los blei­ben die Sie­ben Ver­se des hei­li­gen Bern­hard, die üb­ri­gens in Jean Fou­ quets Stun­den­buch des Étienne Che­va­li­er an die­sel­be Stel­le vor die Suf­fra­gien ge­setzt wa­ren.

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fol. 112v: Die Suf­f ra­gien er­hal­ten sie­benz­ei­li­ge Klein­bil­der mit Halb­fi­gu­ren in ähn­lich pracht­vol­len Ar­chi­tek­tu­ren wie die gro­ßen Bild­sei­ten, nun in der Mehr­zahl mit je­weils ei­nem oder zwei klei­nen Tie­ren, Schne­cken, In­sek­ten, aber auch zwei Bä­ren auf dem So­ckel un­ten, häu­fi­ger in der Be­krö­nung oben mit kur­zen In­schrif­ten ver­se­hen: Mi­cha­ el mit dem Teu­fel (fol. 112v), ei­nem ge­hörn­ten af­fen­ähn­li­chen We­sen, das er mit Lan­ze und Schild fest­hält; die blau­grund­ige Bor­dü­re ist im un­te­ren Strei­fen mit ei­nem semé von Kö­nigs­li­li­en ver­se­hen. Jo­han­nes der Täu­fer (fol. 113) weist auf das Lamm, das er auf ei­nem Buch hält; in der Be­krö­nung der Ar­chi­tek­tur soll die In­schrift in blau­en Let­tern viel­leicht hic est vere p(ro)phe(ta) hei­ßen. Pet­rus und Pau­lus (fol. 113v) als Grei­se in hef­ti­gem Ge­spräch über die Schrift, die als Buch er­scheint, vor Re­nais­sance-Ar­chi­tek­tur, mit In­schrif­ten tv es pet­rvs in wei­ßen Let­tern und dann in blau­en pa­vlvs doc. Jako­ bus als Pil­ger mit ei­nem Buch; oben die Bit­te s. iac­obe ora pro me (fol. 114). Steph­ a­nus (fol. 114v) als Di­a­kon vor blau­em Tuch, mit ei­nem Stein auf dem Haupt und der Bit­te: S. Steph­ane ora pro nobis. Lau­ren­ti­us (fol. 115) als Di­a­kon mit dem Rost, in Land­schaft; da­run­ter Se­bas­t i­an (fol. 115), zur Pfeil­mar­ter an ei­nen Baum ge­bun­den, ohne sei­ne Pei­ni­ger. Chris­t opho­rus (fol. 116) mit dem Chris­t us­kna­ben, auf dem So­ckel un­ten eine Li­bel­le mit wei­ßen Flü­geln. Des­iderius (fol. 117) als seg­nen­der Bi­schof; un­ ten eine graue Schne­cke. Bla­si­us (fol. 117v) als Bi­schof vor Eh­ren­tuch, mit dem Woll­ kamm, sei­nem Mar­ter­ins­t ru­ment, dazu oben die Bit­te in Blau: S. Blasi ora pro; un­ten eine Schne­cke. Ni­ko­laus (fol. 118) als Bi­schof vor Eh­ren­tuch, mit den drei Kna­ben im Pö­kel­faß. Mar­tins Man­tel­spen­de (fol. 118v) in der Land­schaft, mit ei­ner grü­nen Heu­schre­cke un­ten. Clau­di­us (fol. 119) als Bi­schof vor Eh­ren­tuch, mit ei­nem Kreuz­stab seg­ nend, mit ei­ner grü­nen Krö­te un­ten. An­to­ni­us Ab­bas (fol. 120) mit dem Schwein vor der Ein­sie­de­lei, oben in Weiß und dann Blau als ant­honi pas­tor an­ge­spro­chen, ob­wohl der Hei­li­ge ja in der Ein­sam­keit leb­te; un­ten ein schwar­zer Bär. Anna lehrt Ma­ria le­sen (fol. 120v) vor blau­em und ro­sa­far­be­nem Bro­kat mit re­lie­fier­ter Rück­wand, oben in Weiß als anna ma­ter aus­ge­wie­sen; un­ten ein grau­er Bär, nicht durch­ge­paust. Ma­ria Mag­ da­le­na (fol. 121) mit dem Salb­ge­fäß in der Land­schaft; un­ten eine präch­ti­ge Flie­ge. Ka­ tha­ri­na (fol. 121v) als ge­krön­te Jung­frau, nur mit dem Schwert in der Land­schaft; un­ten eine Schne­cke. Mar­ga­re­te (fol. 122), vom Be­elze­bub in Form ei­nes Dra­chens ver­schlun­ gen und aus des­sen Rü­cken mit ih­rem klei­nen gol­de­nen Kreuz wie­der auf­tau­chend; un­ ten Li­bel­le und Schne­cke. Bar­ba­ra (fol. 122v) vor ih­rem Turm in der Land­schaft; un­ten, nicht ge­nau durch­ge­paust, ein In­sekt mit Sta­chel und eine Li­bel­le. A­pol­lo­nia (fol. 123) mit dünn an­ge­deu­te­ter Zan­ge in der Land­schaft; un­ten ein sprin­gen­der Putto. Mau­rus (fol. 124) im schwar­zen Ha­bit der Be­ne­dik­ti­ner vor blau­em Tuch, das zu bei­den Sei­ten wie ein au­ßen mit Rosa be­zo­ge­nes Zelt zu­rück­ge­schla­gen ist. Zum Stil Die­ses Ma­nus­kript ist ein be­mer­kens­wer­tes Bei­spiel für Pa­ri­ser Buch­kunst im Diens­t e von Auf­trag­ge­bern aus ent­fern­ten Re­gi­o­nen mit ei­ge­ner Lo­kal­tra­di­ti­on. Wie weit die Ana­lo­gie zum Stun­den­buch­druck geht, lie­ße sich nur ent­schei­den, wenn man den Schrei­ber ge­nau­er fas­sen könn­te. Sei­ne vor­züg­li­che Bast­arda mit den blau­en Rub­ri­ken

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ist ent­we­der noch in der Bi­schofs­stadt Lang­res oder in der Haupt­stadt mit Blick auf bur­gun­di­sche Äs­t he­tik ge­schrie­ben wor­den. Daß man in Pa­ris dem Brauch ge­recht wer­ den konn­te, zeigt ein Uni­cum in un­se­rem Ka­ta­log Horae (Nr. 103.1: Bd. VII , S. 28972906), das eine für den Ge­brauch von Lang­res ein­ge­stell­te Fas­sung von Si­mon Vo­stres Gran­des Heu­res von 1519 bie­tet. Un­ser etwa gleich­zei­tig ent­stan­de­nes Ma­nus­kript war be­stimmt für eine wohl­ha­ben­de Fa­mi­lie, die noch im 19. Jahr­hun­dert durch eine be­deu­ ten­de Per­sön­lich­keit in Lang­res ver­tre­ten war. De­kor und Be­bil­de­rung sind zwei­fel­los in Pa­ris ent­stan­den; sonst hät­te sich der ver­ant­wort­li­che Buch­ma­ler mit Ge­hil­fen nach Lang­res be­ge­ben müs­sen. Alle Mi­ni­a­tu­ren stam­men von ei­nem Buch­ma­ler, von dem wir in un­se­rem Ka­ta­log 38 Boc­ca­ccio und Petr­arca in Pa­ris (LM NF I, 1997) eine sig­nier­te Mi­ni­a­tur der Kreu­zi­gung, die aus ei­nem nicht mehr nach­weis­ba­ren Mis­sale in Quart­for­mat he­raus­ge­löst wur­de, be­kannt ge­macht ha­ben. Als ios. co­ene be­zeich­net sich der Ma­ler; er wird es bes­ser ge­ wußt ha­ben als die ge­gen­wär­ti­ge fran­zö­si­sche Kri­tik, die zwar weiß, daß Jacques und Jean Co­ene als Buch­ma­ler in Pa­ris nach­weis­bar sind, aber in der Ent­ste­hungs­zeit des Kreu­zi­ gungs­bil­des eben­so wie un­se­res Stun­den­buchs ei­nen wei­te­ren do­ku­men­ta­ri­schen Hin­ weis ver­mis­sen. Wenn wir ge­nü­gend do­ku­men­tier­te Na­men hät­ten, müß­ten wir nicht un­ent­wegt mit Not­na­men ope­rie­ren. Wir zwei­feln nicht, daß der Ma­ler die Ent­rées der Claude de France aus­ge­malt hat, aber hal­ten fest: er hieß of­fen­bar Jean Co­ene, an­ge­sichts der Ge­ne­ra­ti­o­nen­fol­ge in sol­chen Fa­mi­li­en vom ers­t en Trä­ger des Na­mens an ge­rech­net, wird es Nr. IV ge­we­sen sein. Der ers­t e Ver­tre­ter der Fa­mi­lie Co­ene, Jacques, den man nicht glück­lich mit dem Bouc­ic­aut-Meis­t er im ers­t en Vier­tel des 15. Jahr­hun­derts gleich­ge­setzt hat, stamm­te aus Brüg­ ge. Flä­mi­sche Züge sucht man bei un­se­rem Jean Co­ene ver­ge­bens; der stand, wie un­se­re Mi­ni­a­tu­ren zei­gen, ent­schie­den in der Tra­di­ti­on der bei­den Le Bar­bier, die wir in Band III ge­wür­digt ha­ben; das zei­g t sein Ko­lo­rit eben­so wie die Ein­be­zie­hung der Land­schaft. In sei­ner Kunst ent­steht je­doch eine be­mer­kens­wer­te Span­nung durch die Art, wie er Re­nais­sance-Mo­ti­ve ver­ar­bei­tet: In den Mi­ni­a­tu­ren deu­tet er die neu­ar­ti­gen Ar­chi­tek­ tu­ren nur an; in den in Gold-Cam­aïeu aus­ge­führ­ten Ädik­ulen aber, mit de­nen er gan­ ze Text- und Bild­fel­der rahmt, be­dient er sich mit amü­san­ter Phan­ta­sie der ge­bo­te­nen Mög­lich­kei­ten und ver­blüfft durch die Viel­falt der Ver­si­o­nen. Mit 64 Bil­dern ist die­se voll­stän­dig und bril­lant er­hal­te­ne Hand­schrift ein be­son­ ders be­mer­kens­wer­tes Bei­spiel Pa­ri­ser Buch­kunst für frem­den lo­ka­len Brauch. Nicht ganz ge­klärt ist die Be­stim­mung des Schrei­bers; das Buch mag aus Lang­res zur Aus­ ma­lung nach Pa­ris ge­schickt wor­den sein. Eine Dame aus der noch im 19. Jahr­hun­ dert in Lang­res pro­mi­nen­ten Fa­mi­lie Gir­aud de Pran­gey, die im Woll­han­del er­folg­ reich war, wird nicht von ih­rer Na­mens­hei­li­gen, son­dern vom Not­hel­fer Bla­si­us mit dem Woll­kamm im Ge­bet zur Ver­kün­di­gung be­glei­tet (wir wissen nicht, ob Blaise zu jener Zeit auch als Frauenname gebräuchlich war).

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Als ein prächtiges und sowohl vollständig als auch makellos erhaltenes Bei­spiel von Re­nais­sance-De­kor mit Put­ten und na­tu­ra­lis­t i­schen Ele­men­ten über­zeugt die­ses Ma­nus­kript, in dem alle Text­sei­ten mit meist historisierten Bor­dü­ren aus­ge­stat­tet sind. Der ge­sam­te ge­mal­te De­kor stammt aus Pa­ris, wo der Meis­t er der Ent­rées der Claude de France, der eine Missalienminiatur in unserem Besitz als Jos Co­ene si­ gniert hat, auch alle Miniaturen geschaffen hat. Li­te­ra­tur Zum Ge­brauch von Lang­res sie­he die in­zwi­schen di­gi­tal vor­lie­gen­de, sehr um­fang­rei­ che Dis­ser­ta­ti­on von Jacques Lauga, Les ma­nusc­rits lit­urgi­ques dans le dio­cèse de Lang­res à la fin du Mo­yen Age: Les com­mandi­tai­res et le­urs ar­tist­es, Pa­ris IV, 2007, Nr. 26, S. 139 f.

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57 Das Lig­nie­res-Stun­den­buch – von Jean Co­ene ganz ei­gen­hän­dig aus­ge­malt


STUNDENBUCH. Horae B. M. V. für den Gebrauch von Paris. Lateinische und französische Handschrift auf festem Pergament. Rubriken in Rot, Kalender in Rot und Braun, in brauner, nicht sehr regelmäßiger Textura. Paris, ca. 1510 - 1515: Jean Coene 15 Bilder, 10 große Miniaturen in ganzseitigen Flüssig goldrahmen über vier Zeilen Text, 5 kleine Miniaturen als historisierte Initialen, meist vierzeilig, einmal fünfzeilig. Zweiund einzeilige Initiale in Blattgold auf abwechselnd weinroten und blauen Gründen, mit weißem Binnendekor, ebensolche Zeichenfüller. 164 Blatt Pergament, dazu je zwei originale, leere Pergamentvorsatzblätter vorne und hinten. Vorwiegend gebunden in Quaternionen, aber Kalenderlage 1 und 2 mit zwei Ternionen, es fehlt das Anfangsblatt von Non, von den Heilig-Kreuz-Horen, das Anfangs- und Schlußblatt des Totenoffiziums sowie das Anfangsblatt der Suffragien. Rot regliert zu 15, im Kalender zu 17 Zeilen, kaum (waagrechte) Reklamanten. Oktav (164 x 117 mm, Textspiegel 92 x 59 mm). Farbfrisch und sehr breitrandig erhalten, allerdings nicht ganz vollständig: es fehlen die großen Miniaturen zu Non (Darbringung im Tempel), den Kreuz-Horen (Kreuzigung) und dem Totenoffiz (Hiob o.ä.); außerdem wohl eine historisierte Initiale zu den Suffragien. Dunkelroter Maroquineinband des mittleren 18. Jahrhunderts auf flachen Rücken, dieser mit Titelprägung „HEURES GOTIQUE” und flächendeckender Vergoldung „à la grotesque”, Deckel in drei Fileten-Rahmen, Steh- und Innenkantenvergoldung, Marmorpapiervorsätze, Goldschnitt. Provenienz: Am Textende vor und nach Matutin sowie vor den Bußpsalmen und am Ende französische Gebetseintragungen der Zeit, von kalligraphischem Ehrgeiz, aber ohne Signatur. Auf dem zweiten leeren Blatt vorn, umgeben von schönen Federzügen, der Name „Ligniere(s)” aus der Mitte des 16. Jahrhunderts (die Lignieres waren pikardischer Adel, bekannt ist Antoine de Lignieres, Seigneur de la Faloise etc., floruit 1551: er ist evtl. der Einträger des Namens auf Vorsatz, s. Dictionnaire de la noblesse … XII, Sp. 119). Der Rücken des Einbands gleicht denjenigen Einbänden, die der Duc de la Vallière ab 1750 für seine Bibliothek herstellen ließ, es ist jedoch nicht möglich, dieses Manuskript in den vier großen La Vallière-Versteigerungen 1767, 1772, 1777 und 1784 ausfindig zu machen. Zuletzt europäischer Privatbesitz. Text Zu Beginn zwei leere Blätter, das erste, nach den Klebe- und Wurmsuren zu schließen, war früher festes Vorsatz im originalen Einband. fol.1: Kalender nach dem Brauch von Paris, jeder Tag besetzt, Heiligennamen in Braun und Rot, Goldene Zahl in Rot, Sonntagsbuchstaben sämtlich in Braun, ebenso die rö-

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mi­sche Ta­ges­zäh­lung. Aus­rich­tung auf Pa­ris, mit Gen­ovefa, Vin­cent, Di­o­ny­si­us, aber auch Rom­a­nus für Rou­en. fol. 13: Perik­open: Jo­han­nes (fol. 13), Lu­kas (fol. 14v), Mat­thä­us (fol.16), Mar­kus (fol. 18, mit fal­scher Rub­rik „Se­cun­dum lu­cam”). fol. 19: Ma­rien­ge­be­te: Obse­cro te – für eine Frau; fol. 23: O Int­emer­ata. ­fi­zi­um nach dem Brauch von Pa­ris: Matu­tin (fol. 28); Lau­des (fol. 39); fol. 28: Ma­rien­of Prim (fol. 52); Terz (fol. 58); Sext (fol. 62); Non (fol. 67, An­fang fehlt); Ves­per (fol. 70); Komp­let (fol. 77v). fol. 83: Ho­ren von Hei­lig Kreuz (fol. 83, An­fang fehlt) und von Hei­lig Geist (fol. 86v). fol. 91: Buß­psal­men, mit Li­ta­nei (fol. 103v). fol. 110: To­ ten­ of ­fi­ zi­ um für den Ge­brauch von Pa­ris (fol. 110, An­fang fehlt). fol. 159: Suf­fra­gien (fol. 159, An­fang fehlt): Mi­cha­el (fol. 159); Jo­han­nes der Täu­fer (fol. 160); Jo­han­nes der Evan­ge­list (fol. 160v); Pe­ter und Paul (fol. 161); Jako­bus (fol. 161v); Anna (fol. 162); Bar­ba­ra (fol. 163). fol. 164: Texten­de; fol. 164v – 165v mit zeit­ge­nös­si­schem Ge­bet von an­de­rer Hand. Schrift und Schrift­de­kor Die Text­ura, ob­zwar mit deut­li­chen Auf­lö­sungs­spu­ren, und die Aus­stat­tung mit Blatt­ gold-Ini­ti­a­len auf al­ter­nie­rend ro­tem und blau­em Grund, weist ins 15. Jahr­hun­dert zu­ rück, eben­so wie die Ein­rich­tung der Bild­sei­ten mit drei oder vier Zei­len Inci­pit und e­ben­so­gro­ßen Dorn­blatt-Ini­ti­a­len. Da­ge­gen sind die Rah­mun­gen der gro­ßen Mi­ni­a­tu­ren in Flüs­sig­gold als ge­mau­er­te Schmuck­leis­t en im Re­nais­sance-Stil mit Fes­tons und Gir­ lan­den schon dem 16. Jahr­hun­dert ge­hö­rig. Ins­ge­samt ist die se­kun­dä­re Aus­stat­tung auf das Not­wen­di­ge be­schränkt, so wei­sen die klei­nen Mi­ni­a­tu­ren kei­ner­lei Bor­dü­ren auf. Bild­fol­ge Die Perik­open be­gin­nen mit ei­ner gro­ßen Mi­ni­a­tur von Jo­han­nes auf Pat­mos (fol.13). Der ju­gend­li­che Evan­ge­list hat links vor ei­nem Stein­hü­gel Platz ge­nom­men und schreibt auf eine Schrift­rol­le, zu der sich sein Ad­ler mit ste­chen­dem Blick wen­det. Un­ten und rechts ist ein Fluß­lauf ent­wor­fen, im Mit­tel­grund sind fer­ne Bur­gen in lich­tem Blau an­ ge­deu­tet. Im Him­mel soll eine dun­kel dräu­en­de Wol­ke wohl auf die Apo­ka­lyp­se vor­aus­ wei­sen. So­dann drei his­t o­ri­sche Ini­ti­a­len: Lu­kas (fol. 14v) schreibt rechts auf ein Blatt, be­äugt von sei­nem Stier. Mat­thä­us (fol. 16) tut es ihm sei­ten­ver­kehrt nach, sein En­gel leis­t et ihm Ge­sell­schaft. Mar­kus (fol. 18) sitzt links, schreibt auf ein el­len­lan­ges Blatt, im Hin­ter­grund sein Löwe. Die Ma­rien­ge­be­te ha­ben eben­falls his­t o­ri­sier­te Ini­ti­a­len: Ma­ria (fol. 19), zum Obse­cro te, mit zum Ge­bet ge­fal­te­ten Hän­den und rie­si­gem Nim­bus, um­ge­ben von Flämm­chen (?);

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Ma­ria mit dem Kind zu O Int­emer­ata (fol. 23), wo­bei der Sohn Got­tes ein von Gold ­fi­zi­um be­ginnt wie im­mer mit der Ver­kün­ strah­len­des Hemd­chen an­hat. Das Ma­rien­of di­gung (fol. 28): Ma­ria thront, mit wun­der­ba­rem Um­hang in Blau über ei­nem vi­o­let­ ten Kleid, links un­ter ei­nem lu­xu­ri­ö­sen, in Wein­rot aus­ge­schla­ge­nen Bal­da­chin, wäh­ rend der Erz­en­gel Gab­ri­el von rechts her, schon ins Knie ge­sun­ken, mit sei­ner Rech­ten auf die Tau­be des Hei­li­gen Geis­tes weist, von der Strah­len in Gold aus­ge­hen. Dies ge­ schieht vor ei­nem grü­nen Eh­ren­tuch, das von ei­ner ge­mau­er­ten Wand hin­ter­fan­gen ist. Zu den Lau­des fin­den wir die Heim­su­chung (fol. 39v), die sich ganz auf die bild­fül­len­de Be­geg­nung von Ma­ria zur Lin­ken und Eli­sa­beth be­schränkt, letz­te­re ist ei­nen ge­wun­ de­nen Weg aus ei­nem von Bäu­men um­stan­de­nen Haus mit Turm he­run­ter­ge­kom­men; bei­de rei­chen sich die (lin­ken) Hän­de. Zur Prim folgt wie im­mer eine Dar­stel­lung der An­be­tung des Kin­des (fol. 52) im Stall, der von links mit lö­che­ri­gem Dach he­rein­ragt. Da­vor kni­en Ma­ria links und Jo­seph rechts, bei­de mit be­ten­den Hän­den; das Kind, von dem schö­ne wel­li­ge Gold­strah­len aus­ge­hen, liegt auf dem Um­hang Ma­ri­as und scheint am Dau­men zu lut­schen, in­te­res­siert be­trach­tet von Esel und Ochs in der Mit­te. Hin­ ter ei­nem Gat­ter ha­ben sich be­reits zwei Hir­ten ein­ge­fun­den. Die Terz macht na­tür­lich mit der Hir­ten­ver­kün­di­gung (fol. 58v) auf: Ein En­gel, ganz in Gold-Cam­aïeu ge­ge­ben, er­scheint in ei­ner dra­ma­ti­schen Wol­ke im Zent­rum oben: Ein die Au­gen schüt­zen­der bär­ti­ger Hir­te links und zwei wei­te­re rechts, alle mit ih­ren hou­let­tes, fol­gen dem Phä­no­ men, wäh­rend zwi­schen ih­nen die Her­de der Scha­fe sich drängt und wei­det. Die Sext ist wie ge­wöhn­lich der An­be­tung der Kö­ni­ge (fol. 62v) vor­be­hal­ten. Un­ter dem glei­chen schad­haf­ten Stall­dach der Ge­burt sitzt Ma­ria mit dem Kind auf dem Schoß, vor dem der äl­tes­t e Kö­nig mit ei­ner Scha­tul­le kniet. In der Mit­te hält der zwei­te Kö­nig ein Weih­rauch(?)-Ge­fäß, wäh­rend der jüngs­t e rechts hin­ten ei­nen run­den Kelch wie tri­um­ phie­rend reckt. Zur Ves­per fin­den wir die Flucht nach Ägyp­ten (fol. 70): Vor ei­ner kon­ ven­ti­o­nel­len Wald-, Hü­gel- und Berg­ku­lis­se be­wegt sich die Hei­li­ge Fa­mi­lie nach rechts: Ma­ria, im Da­men­sitz auf dem wit­tern­den Esel, hält den in schril­les Oran­ge ge­klei­de­ten Je­sus auf dem Schoß, wäh­rend Jo­seph, fast über­groß, die Zü­gel hand­habt. Eine Be­son­ der­heit scheint be­mer­kens­wert: Das Kind schaut mit ei­ner In­brunst auf den Zieh­va­ter, die das Weiß sei­ner Aug­äp­fel über Ge­bühr her­vor­tre­ten läßt. Zur Komp­let ist eine üp­pi­ge Dar­stel­lung der Ma­rien­krö­nung (fol. 77v) zu fin­den: Ma­ jes­tä­tisch thront auf ei­nem gold­ge­mus­ter­ten Ge­stühl Gott­va­ter links, mit der Rech­ten Ma­ria seg­nend, die klein vor ihm kniet und be­tet; hin­ter ei­nem Eh­ren­tuch mit Flam­men schwe­ben zwei En­gel mit der Kro­ne he­ran; von rechts und oben schie­ben sich Wol­ken­ knäu­el ins Bild, um den Ort der Hand­lung zu evo­zie­ren. Die­se set­zen sich so­gar un­ter dem Text als Bas-de-page fort. Zu den Hei­lig-Geist-Ho­ren er­scheint die le­ben­di­ge Dar­stel­lung ei­nes Pfingst­bil­des (fol. 86v) mit Ma­ria links im Ge­bet un­ter ei­nem Bald­achim. Pet­rus nimmt die Mit­te ein, rechts, in schö­ner Sym­met­rie, kniet der ju­gend­li­che Jo­han­nes. Da­hin­ter sind die üb­ri­ gen Apos­t el ver­sam­melt, wo im­mer mög­lich zu­min­dest mit grö­ße­ren Ge­sichts­par­ti­en

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kennt­lich. Über al­lem schwebt die Tau­be, von der gol­de­ne Strah­len aus­ge­hen, aber kei­ ne Flam­men. Die Buß­psal­men wer­den ein­ge­führt von ei­ner in Hand­schrif­ten sehr sel­te­nen Sze­ne: Die Über­ga­be des „Marsch­be­fehls“ von Da­vid an Uria, den Mann der Bath­seba (fol. 91). Da­vid, mit viel­sa­gen­dem Blick, hat auf ei­nem wein­ro­ten, gold­ge­mus­t er­ten Thron Platz ge­nom­men, mit der Lin­ken reicht er die Miss­ive an den von Kopf bis Fuß ge­rüs­te­ten Bot­schaf­ter wei­ter, der, ins Knie ge­sun­ken, nach ihr greift; zwei Be­ra­ter ste­hen im Mit­ tel­grund und ges­t i­ku­lie­ren bezw. äu­gen viel­sa­gend. Der ver­ant­wort­li­che Ma­ler Die­ser ist im vor­lie­gen­den Ma­nus­kript ohne je­den Zwei­fel zu be­stim­men: Es han­delt sich um Jean Co­ene, den an­de­re, v.a. fran­zö­si­sche und ame­ri­ka­ni­sche Ken­ner mit dem ­fi­gen Not­na­men „Meis­t er der Ein­zü­ge bezw. Be­gräb­nis­fei­er­lich­kei­ten der Anne de grif Bre­tag­ne” zu be­nen­nen be­lie­ben. Daß sich in un­se­rem Be­sitz eine Missa­lien­mi­ni­a­tur die­ses Meis­t ers be­fin­det, die im Gold­rah­men un­miß­ver­ständ­lich be­sagt: „de Jos Co­ene” und da­mit auf die flä­mi­sche Her­kunft der seit dem Ende des 14. Jahr­hun­derts für ihre Ma­ler be­rühm­ten Fa­mi­lie Co­ene ver­weist, ig­no­riert man lie­ber (sie­he Abb. der sig­nier­ ten Mi­ni­a­tur in der Ein­lei­tung zu die­sem Ka­ta­log). Auch un­se­re Num­mern 40, 55 und 56 sind ganz oder teil­wei­se von ihm ver­ant­wor­tet. Bei der vor­lie­gen­den hüb­schen Hand­ schrift, die lei­der auch dem Raub­griff der Van­da­len aus­ge­setzt war – es feh­len drei Mi­ ni­a­tu­ren – hat er sich, um es sport­lich aus­zu­drü­cken, nicht ge­ra­de selbst über­trof­fen, wie dies in Nr. 56 so gran­di­os der Fall ist. Dies ist also ein re­prä­sen­ta­ti­ves Pa­ri­ser Stun­den­buch um 1510, von sehr gu­ter Er­ hal­tung (bis auf die drei feh­len­den Mi­ni­a­tu­ren) und von der Hand je­nes Künst­lers ge­schmückt, der in sei­ner Kar­ri­e­re Auf­trä­ge von ho­her und höchs­t er Stel­le er­hielt, häu­fig auch vom Kö­nigs­hof selbst. Glück­li­cher­wei­se ken­nen wir sei­nen Na­men aus der Sig­na­tur ei­ner Pant­okra­tor-Mi­ni­a­tur in un­se­rem Be­sitz: Jos oder Jean Co­ene, aus ei­ner alt­be­rühm­ten flä­mi­schen Fa­mi­lie von Ma­lern und Il­lu­mi­na­to­ren. Im 16. Jahr­ hun­dert war die Hand­schrift im Be­sitz der Adels­fa­mi­lie de Lig­nie­res, was für die Ach­tung spricht, die man die­sem eher zu­rück­hal­tend il­lust­rier­ten Ma­nus­kript noch in spä­te­rer Zeit ent­ge­gen­brach­te. Li­te­ra­tur Das Ma­nus­kript ist bis­her nicht pub­li­ziert. Zu Jean Co­ene: LM NF I (1997), Nr. 2.

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58 Ein mit 158 Bil­dern un­ge­mein rei­ches Stun­den­buch vom Go­tha-Meis­ter mit zwei alttestamentarischen Zyklen und ei­nem To­ten­tanz


Stun­den­buch. Horae B. M. V. für den Ge­brauch von Rom. La­tei­ni­sche Hand­schrift auf Per­ga­ment, la­tei­ni­sche und fran­zö­si­sche Rub­ri­ken so­wie Er­läu­te­ run­gen im Bas-de-page in Rot, in dun­kel­brau­ner Fere-hum­anis­tica. Pa­ris, ca. 1510–1520: Go­tha-Meis­ter 158 Bil­der: auf je­der Buch­sei­te, mit Aus­nah­me der 4 Va­cat-Sei­ten und der 14 Voll­bil­ der, zu­min­dest ein Bild im brei­ten Au­ßen­rand ei­ner die gan­ze Sei­te um­ge­ben­den gol­de­ nen Zier­ar­chi­tek­tur, mit zweiz­ei­li­gem Text­feld un­ten: 14 text­lo­se Voll­bil­der in Ar­chi­ tek­tur­bor­dü­ren, 20 Klein­bil­der im Text­ver­lauf und 24 Ka­len­der­bil­der in Rand­strei­fen, dazu 100 Fi­gu­ren von Si­byl­len und Pro­phe­ten, Vor­fah­ren Chris­ti so­wie Sze­nen aus dem To­ten­tanz in den Bor­dü­ren der Text­sei­ten. Dreiz­ei­li­ge mit Ban­de­ro­len um­wi­ckel­te blaue Ini­ti­a­len auf Rot zu den Inci­pits. Zweiz­ei­li­ge Ini­ti­a­len zu den Psal­men­an­fän­gen, ein­zei­li­ge Ini­ti­a­len zu den Psal­men­ver­sen in Gold auf ro­ten, blau­en oder brau­nen Flä­chen. Zei­len­fül­ler der glei­chen Art oder als Kno­ten­stö­cke. Ver­sa­li­en gelb la­viert. 65 Blatt Per­ga­ment, vorn und hin­ten je vier Pa­pier- und zwei Per­ga­ment­vor­sät­ze, der ers­te Pa­pier­vor­satz mit ge­mus­ter­tem schwar­zen Pa­pier be­zo­gen. Ge­bun­den in La­gen zu acht Blatt, da­von ab­wei­chend die Ka­len­der­la­ge 1(6) so­wie die um wei­te­re Blät­ter er­gänz­ten La­gen 2 (8+1, 1. Blatt hin­zu­ge­fügt), 3 (8+2, 3. + 10. Blatt hin­zu­ge­fügt) so­wie die End­la­ge 7 (4). Kei­ ne Rekl­aman­ten. Ok­tav (188 x 118 mm; Text­spie­gel 128 x 69 mm). Rot reg­liert zu 38, im Ka­len­der zu 41 Zei­len. Kom­plett, breit­ran­dig und völ­lig un­be­schä­digt er­hal­ten, Mit­tel­brau­ner Ma­ro­quin­band des spä­ten 19. Jahr­hun­dert auf fünf Bünde, Rü­cken in Kas­ten­ blind­prä­gung, De­ckel ganz be­deckt von meh­re­ren or­na­men­ta­len oder fi­gür­li­chen Rol­len­stem­ peln in Blind­prä­gung nach Art des 15. Jahr­hun­derts. Vor­sät­ze mit ver­gol­de­tem Pa­pier und Mo­no­gramm „G“ be­zo­gen, Silb­er­schlie­ßen, Gold­schnitt, sig­niert „Gruel“. Auf fol. 22v er­scheint, vom Bild­feld in der Ar­chi­tek­tur­bor­dü­re au­ßen ab­ge­schnit­ten die un­te­ re Hälf­te des fran­zö­si­schen Kö­nigs­wap­pens mit den drei Li­li­en, frei­lich ganz in Goldc­amaīeu. Stem­pel „Bi­bli­oth. Brou­sso­nnet“ (19. Jahr­hun­dert) auf fol. 1. Spä­ter: Sale Sot­heby’s, 11/1929, Nr. 373: £ 230,- an Mag­gs. Da­nach Da­ni­el Sick­lès, Ven­te Pa­ris, 12.12.1945, Nr. 11: 201.000,Francs Zuschlag, an Georges Wend­ling, mit sei­nem blau­en Ex­lib­ris und Stem­pel. Zu­letzt fran­ zö­si­scher Pri­vat­be­sitz. Text fol. 1: Ka­len­der in la­tei­ni­scher Spra­che; je­der Tag be­setzt: Gol­de­ne Zahl, Fes­te und Sonn­tags­buch­sta­ben A in Rot, Sonn­tags­buch­sta­ben b-g in Dun­kel­braun. Hei­li­gen­aus­ wahl nord­fran­zö­sisch und wal­lo­nisch, da­run­ter auf­fäl­lig vie­le Hei­li­ge aus Tour­nai, aber auch aus Tours (Ven­antius 11.1.).

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fol. 7: lee­res Rec­to ei­ner ein­ge­füg­ten Bild­sei­te. fol. 8: Perik­open: Jo­han­nes (fol. 8), Lu­kas (fol. 8v), Mat­thä­us (fol. 9) Mar­kus (fol. 9v). fol. 9v: Ma­rien­ge­be­te, für ei­nen Mann re­di­giert: Obse­cro te (fol. 9v), O int­emer­ata für Ma­ ria und Jo­han­nes (fol. 10v). ­fi­zi­um für den Ge­brauch von Rom: Matu­tin (mit drei Psal­men­grup­pen fol. 12: Ma­rien­of für die Wo­chen­ta­ge, fol. 12), fol. 18 lee­res Rec­to für ein­ge­füg­te Bild­sei­te, Lau­des (fol. 19), fol. 23 lee­res Rec­to für ein­ge­füg­te Bild­sei­te, Prim (fol. 24), Terz (fol. 26), Sext (fol. 28), Non (fol. 30), Ves­per (fol. 32), Komp­let (fol. 35). fol. 37: lee­res Rec­to für ein­ge­füg­te Bild­sei­te. fol. 38v: Buß­psal­men, mit Li­ta­nei (fol. 42); die Hei­li­gen­aus­wahl we­nig aus­sa­ge­kräf­tig: die Pa­ri­ser Hei­li­gen Ger­vasius und Prot­hasius am Ende der Mär­ty­rer. fol. 45: Ho­ren von Hei­lig Kreuz (fol. 45) und Hei­lig Geist (fol. 46v). fol. 48: To­ ten­ of ­fi­ zi­ um, für den Ge­brauch von Rom: Ves­per (fol. 48), Matu­tin (fol. 50, nicht mar­kiert), Lau­des (fol. 57 mit ei­ner Rub­rik). fol. 61v: Suf­fra­gien: Tri­ni­tät (fol. 61v), Jo­han­nes der Täu­fer (fol. 61v), Jo­han­nes der Evan­ ge­list, Pet­rus und Pau­lus (fol. 62), Jako­bus, Steph­a­nus (fol. 62v), Chris­topho­rus (fol. 63), Se­ bas­ti­an (fol. 63v), Ni­ko­laus, An­to­ni­us (fol. 64), Anna, Ma­ria Mag­da­le­na (fol. 64v), Ka­tha­ ri­na, alle Hei­li­gen (fol. 65). fol. 65v: Texten­de. Schrift und Schrift­de­kor Mit 38 Zei­len im Text und im Ka­len­der so­gar 41 Zei­len, von de­nen min­des­tens acht leer blie­ben, ge­hört die­ses Ma­nus­kript zu je­nen Ge­bet­bü­chern aus dem frü­hen 16. Jahr­hun­ dert, die da­rauf an­ge­legt wa­ren, das ge­sam­te Text­vo­lu­men in ei­nen schlan­ken und von den Pro­por­ti­o­nen her recht stei­len Band zu pas­sen. Als Schrift dient kei­ne spät­go­tisch sti­li­sier­te Bast­arda, son­dern eine Art Fere-hum­anis­tica mit blaß­ro­ten Rub­ri­ken. Der Schrift­de­kor ist schlicht; die klei­ne­ren Ini­ti­a­len sind durch­weg in Pin­sel­gold auf un­kon­ tu­rier­ten far­bi­gen Flä­chen ge­hal­ten, die ih­rer­seits mit Gold ver­ziert sind; Zei­len­fül­ler wir­ken plas­ti­scher als die Zier­buch­sta­ben, selbst wenn sie nicht als Kno­ten­stö­cke, son­ dern mit Gold ver­zier­te Flä­chen ge­bil­det sind. Die dreiz­ei­li­gen Ini­ti­a­len für die vier­zehn wich­tigs­ten Inci­pits ver­tre­ten eine an­de­re De­ko­ra­ti­on­sart: Der Buch­sta­ben­kör­per wird mit Ban­de­ro­len um­wi­ckelt und er­scheint im­mer blau auf Rot. Der Band ist über­reich mit Bil­dern ver­se­hen; denn auf je­der Buch­sei­te, mit Aus­nah­me der vier­zehn Voll­bil­der er­scheint zu­min­dest ein Bild im brei­ten Au­ßen­rand ei­ner die gan­ze Sei­te um­ge­ben­den gol­de­nen Zier­ar­chi­tek­tur. Die­se Bil­der wer­den zu­wei­len mehr schlecht als recht in ei­nem zweiz­ei­li­gem Text­feld un­ten er­läu­tert; da­mit wird eine Tra­

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di­ti­on auf­ge­nom­men, die wohl von Jean Col­ombe in Bour­ges ent­wi­ckelt wur­de, als es da­rum ging, den – eben­falls im we­sent­li­chen aus dem Al­ten Tes­ta­ment stam­men­den – Bil­der­reich­tum im Stun­den­buch für Lou­is de Laval, la­tin 920 der Pa­ri­ser Na­ti­o­nal­bib­li­o­ thek, ver­ständ­lich zu ma­chen. Im Buch­druck hat sich dann sol­che Be­schrif­tung vor al­lem für die vie­len Rand­bil­der be­währt (horae ix, S. 4137-4218). Bei al­ler en­gen Mit­wir­kung des Ma­lers an Stun­den­buch­dru­cken wird man die Ein­tra­gun­gen auf Pin­sel­gold je­doch di­rek­ter auf die von Col­ombe ini­ti­ier­te Tra­di­ti­on zu­rück­füh­ren. Auf­fäl­lig ist auch, daß in ge­druck­ten Stun­den­bü­chern zwar wie­der­holt der To­ten­tanz The­ma war, ein Zyk­lus der Vor­fah­ren Jesu nach dem Li­ber ge­ne­ra­tio­nis von Mat­thä­us aber fehlt. Die Bil­der Den Text be­glei­ten Rand­bil­der, die bis auf das ers­te Bild und den To­ten­tanz zur Be­glei­ tung des To­ten­of ­fi­zi­ums vom In­halt völ­lig los­ge­löst sind. Doch sind sie in­so­fern auf die Text­ab­schnit­te ein­ge­stellt, als sie bei­spiels­wei­se für die Matu­tin und die Komp­let des Ma­rien­of ­fi­zi­ums gleich­sam in sich Ka­pi­tel bil­den: In der Matu­tin wer­den Jesu Vor­fah­ ren von Adam bis Isai (Jes­se) ge­zeigt; Jes­se er­öff­net dann aber auch die Lau­des; und in der Komp­let ver­drän­gen die Si­byl­len die Vor­fah­ren fast ganz. Die Bild­fel­der am Rand: fol. 8: Die Jo­han­nesp­erik­ope wird von der Aus­set­zung des Jo­han­nes auf die In­sel Pat­ mos be­glei­tet; die­se Bild­wahl hat zwar nichts mit dem Text zu tun, der ja der An­fang des Evan­ge­li­ums ist, paßt aber zu der in­halt­lich ir­ri­gen dop­pel­ten Dar­stel­lung von Jo­han­nes auf Pat­mos auf dem Voll­bild ge­gen­über und dem Klein­bild im Text. Die Ge­stal­ten, die dann die wei­te­ren Perik­open und die Ma­rien­ge­be­te be­glei­ten, sind im un­te­ren Rand­strei­fen iden­ti­fi­ziert als Ho­sea, Jere­mia, Joel, die Per­si­sche Si­byl­le, Ezec­hiel und die Li­by­sche Si­byl­le. fol. 12: Der Zyk­lus der Vor­fah­ren Jesu in Rand­fi­gu­ren be­ginnt mit Ab­ra­ham und rich­ tet sich nach dem Li­ber ge­ne­ra­tio­nis im 1. Kap. des Mat­thä­us-Evan­ge­li­ums, bringt de­ ren Rei­hen­fol­ge aber schon mit fol. 14 und 15 durch­ei­nan­der; denn Aram (oder Ram) er­scheint mit sei­nem Sohn Am­mi­na­dab vor Perez und Hez­ron, dem Sohn und En­kel Ju­das; da­nach läuft die Rei­he ver­nünf­tig wei­ter und er­reicht über Boas und Obed Jes­se am Ende der Matu­tin (fol. 17v). Mit Be­ginn der Lau­des wird die Rei­hen­fol­ge zu­nächst nicht fort­ge­setzt; denn Obed und Jes­se wer­den noch ein­mal er­wähnt; dann fol­gen Da­ vid und Sa­lomo, bei­de je­doch nicht als Kö­ni­ge, son­dern als Pro­phe­ten ge­kenn­zeich­net; erst Reha­beam er­hält auf fol. 20v eine Kro­ne. Abi­ja, der als gu­ter Mann be­zeich­net wird, muß wie­der ohne sie aus­kom­men, sein Sohn Asa aber ist wie­der ge­krönt. Jo­sap­hat, als be­son­ders fromm be­zeich­net, er­hält nur ein Zep­ter (fol. 22). Es kommt wie­der zu Ver­ wir­rung, nach­dem Eze­chias le grant, also Hi­skia auf fol. 26 er­wähnt wird: Amon, Hi­skias En­kel, und Ma­nas­se, Hi­skias Sohn, wer­den auf fol. 26v und 27 ver­tauscht; und erst auf fol. 28 ist von Hi­skia als Ma­nas­ses Va­ter die Rede. Dann wird noch ein­mal ge­sagt, Ma­ nas­se habe Amon ge­zeugt (fol. 28v); und die Fol­ge springt zu Jo­sias, der Joj­achim zeugt

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(fol. 29). Zu­gleich wird an die­ser Stel­le deut­lich, daß Ma­ler wie mo­der­ne Be­trach­ter durch­ei­nan­der­kom­men, weil man schließ­lich nicht mehr weiß, ob die Dar­ge­stell­ten den Va­ter oder den Sohn mei­nen. Mit Non be­ginnt die Se­rie der Vor­fah­ren, die erst in der ba­by­lo­ni­schen Ge­fan­gen­schaft ge­zeugt wur­den, mit Joj­achims Sohn Sala­tiel. Am Ende der Ves­p er sind Achim und Eli­ud er­reicht. Zu Be­ginn der Komp­let (fol. 35) tritt ge­gen­über der Ma­rien­krö­nung die Del­phi­sche Si­byl­le mit Chris­ti Kreuz auf. Auf fol. 35v ist von Elea­sar und Mat­tan, dem Groß­va­ter des Jo­seph, die Rede. Si­byl­len ver­drän­gen nun die Vor­fah­ren, so die Sa­mi­sche mit ei­nem Füll­horn oder auch nur Horn (fol. 36) und die Cum­äi­sche (fol. 36v). Mat­tan und Ja­kob, Ja­kob und Jo­seph wer­den dann zu Be­ginn der Buß­psal­men doch noch be­ rück­sich­tigt. Es fol­gen Pro­phe­ten, die nicht alle iden­ti­fi­zier­bar sind; auf fol. 43v wird dann ei­ner auf ir­ri­tie­ren­de Wei­se so er­klärt: „Ce proph­ete pe­nit­ent & iu­ste (falsch ge­schrie­ben: uu­ste)/ se no­mme mons(eig­neur) s. Je­han bap­tiste.“ Ent­spre­chend son­der­ba­re Pro­phe­ten­sprü­ che, teils in Ich-Form fol­gen, bis dann die Erith­rei­sche Si­byl­le auf fol. 47 die­sen Zyk­lus ab­schließt. ­fi­zi­um wird so­dann von ei­nem To­ten­tanz be­glei­tet, der mit Papst Das ge­sam­te To­ten­of und Kö­nig be­ginnt, bis zum Klein­kind und dann noch zu Mönch und Ein­sied­ler führt. Zu den Suf­fra­gien wird auf fol. 61v noch ein­mal die Cum­äi­sche Si­byl­le in ganz an­de­rer Ge­stalt als auf fol. 36v dar­ge­stellt; da­nach er­schei­nen Pro­phe­ten mit la­tei­ni­schen Sprü­ chen, de­ren Her­kunft nicht im ein­zel­nen ge­klärt wer­den konn­te; sie sind na­men­los und ha­ben kei­ne At­tri­bu­te. Die Rand­bil­der im Ka­len­der: Im Ka­len­der kommt zum Bild­feld au­ßen noch ein wei­te­res un­ten hin­zu: Der grö­ße­re Raum au­ßen nimmt die Mo­nats­bil­der auf; im sehr nied­ri­gen un­ten hin­ge­gen fin­den die Tier­kreis­zei­chen Platz; dem kommt – an­ders als bei­spiels­wei­se in un­se­rer Nr. 56 – ent­ ge­gen, daß man den Wech­sel des Zo­diak sei­ner­zeit in die Mit­te des Mo­nats setz­te. fol. 1: Zum Ja­nu­ar ist ein wohl­ha­ben­der Mann beim Wein­trin­ken am Tisch sit­zend ge­ zeigt; am un­te­ren Rand schüt­tet der­weil der Was­ser­mann als ge­flü­gel­ter Putto zwei Krü­ge in den Fluß (fol. 1). Zum Feb­ru­ar wärmt sich eine Dame am Feu­er; drei, nicht die ge­wohn­ten zwei, gro­ße Fi­sche schwim­men in ei­nem Bach (fol. 1v). Im März schnei­ det ein Bau­er die Wein­re­ben zu­rück; der Wid­der in ei­ner Land­schaft er­in­nert an ei­nen Zie­gen­bock (fol. 2). Im Ap­ril ist ein Edel­mann beim Spa­zier­gang ge­zeigt, wäh­rend der Stier zwi­schen zwei Fel­sen Stel­lung be­zieht (fol. 2v). Im Mai ist der Aus­ritt ei­nes ed­ len Her­ren ge­zeigt; die Zwil­lin­ge wer­den als nack­tes Paar aus Mann und Frau in Halb­ fi­gur ge­ge­ben (fol. 3). Zum Juni wird eine Frau bei der Schaf­schur ge­zeigt, wäh­rend der Krebs sich wie eine Lan­gus­te über ein tro­cke­nes Fluß­bett schiebt (fol. 3v). Im Juli be­gibt sich ein Bau­er mit ei­ner gro­ßen Sen­se zur Heu­mahd; ein klei­ner Löwe steht im un­te­ren Bild­feld in ei­ner Land­schaft (fol. 4). Au­gust ist der Mo­nat für die Korn­mahd mit gro­

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ßen Garben, zwischen denen die Jung frau im unteren Bildfeld Platz genommen hat (fol. 4v). Im September beginnt hier bereits die Aussaat auf dem Feld; die Waage zeigt zwei große balancierte Schalen (fol. 5). Der Oktober is die Zeit der Weinkelter; der Skorpion erscheint im unteren Bildfeld (fol. 5v). Im November schlägt man Eicheln für die Schweine; der Schütze wird als Kentaur mit Pfeil und Bogen gezeigt (fol. 6). Zum Ende des Jahres werden die Schweine geschlachtet, ein Jüngling facht das Feuer an, vor dem die erlegten Tiere liegen; als Ziegenbock bildet der Steinbock das letzte Tierkreiszeichen des Kalenders (fol. 6v). Die textlosen Miniaturen und die Kleinbilder im Textfeld: fol. 8: Den Perikopen is ers im Zuge der Arbeit an diesem Manuskript mit fol. 7 ein textloses Blatt für ein Vollbild vorangesellt worden; zunächs sollten für alle vier Evangelisen 14- oder 15zeilige Bilder mit Ganzfiguren genügen. Nachdem fol. 7 als unregliertes Einzelblatt eingeschaltet wurde, sind zur Johannesperikope drei Bilder dem Evangelisen gewidmet. Eine ganzseitige Miniatur zeigt Johannes auf Patmos, der ungewöhnlicherweise nicht die Frau in der Sonne, sondern drei der vier Apokalyptischen Reiter sieht, die aus einer Wolke im Himmel ausbrechen (fol. 7v). Das Kleinbild zum Textanfang hat bereits Johannes auf Patmos (fol. 8) zum Thema; dort schreibt er, begleitet vom Adler. Für die folgenden Perikopen genügen entsprechende Evangelisenbilder in Interieurs: Lukas (fol. 8v), begleitet von dem Stier, beim Verfassen seines Evangeliums, Matthäus im Gespräch mit Engel (fol. 9) und Markus mit dem Löwen (fol. 9v). Auch die Mariengebete erhalten Kleinbilder: Marias Klage unter dem Kreuz (fol. 9v) leitet das Obsecro te ein, während dem O intemerata, das auch an Johannes gerichtet is, nur ein Bild der blond gelockten Madonna mit Kind in Wolken (fol. 10v) vorangesellt wird; da der Text in der siebtletzten Zeile einsetzt, is dafür nur ein entsprechend niedriges Hochrechteck freigehalten. fol. 11v: Das Marienofzium is mit dem gewohnten Zyklus versehen; dafür sind zu Laudes und Prim unreglierte Einzelblätter eingeschaltet; sons ergibt sich jeweils am Ende der vorausgehenden Stunde, daß dem neuen Incipit eine ganze leere Seite gegenüberseht. Die Matutin wird traditionell von der Verkündigung (fol. 11v) eröfnet. Aus der Tiefe des Bildraums und dem durch einen Bogen geöfneten Garten kommt der Erzengel von links, mit zum Segen erhobener Hand und begleitet von der Taube des Heiligen Geistes. Maria, die eben noch in ihr Gebet vertieft war, hebt überrascht die Hände und beginnt sich umzuwenden. Über Gabriel schwebt Gottvater und, als wäre die Taube nicht Hinweis genug auf die Fleischwerdung, gleitet das kleine nackte Chrisuskind auf den Strahlen herab. Vor die Laudes is ein nicht regliertes Einzelblatt eingesellt für die Heimsuchung (fol. 18v). Da die Matutin mitten auf fol. 17v endet und das neue Incipit am Anfang von fol. 19

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ein­setzt, hat der Schrei­ber mit die­ser Her­vor­he­bung der zu­wei­len un­bebil­der­ten Stun­de ge­rech­net: Die Jung­frau Ma­ria ist, von zwei En­geln be­glei­tet, über die links an­ge­deu­te­ ten Hü­gel he­rab­ge­stie­gen und wird nun von der be­tag­ten Eli­sa­beth be­grüßt, hin­ter der ein von Pi­las­tern flan­kier­ter Tor­bo­gen ih­res statt­li­chen Hau­ses steht. Auf­fäl­lig groß sind Hän­de und Arme der bei­den Frau­en. Zur Prim wur­de eben­falls ein Ein­zel­blatt in den La­gen­ver­bund ein­ge­schal­tet. Un­ter dem ho­hen Dach des pers­p ek­ti­visch weit nach rechts hin­ten ra­gen­den Stalls, der bis auf ein paar Kie­sel leer­ge­fegt und ge­räu­mig wirkt, sind Ma­ria und Jo­seph zur An­be­tung des Kin­ des (fol. 23v) nie­der­ge­kniet. Hin­ter ih­nen er­kennt man die Fut­ter­krip­pe von Ochs und Esel, die de­mü­tig zwi­schen der Jung­frau und dem Zieh­va­ter am Bo­den kau­ern und zum Kind sehen. Der nack­te Kna­be liegt auf ei­nem wei­ßen Tuch, das über ein ova­les Wei­ den­ge­flecht ge­spannt ist. Rechts hin­ten bli­cken schon zwei Hir­ten von drau­ßen he­rein. Ob­wohl schon zur Prim Hir­ten den Stall er­reicht ha­ben, folgt erst zur Terz die ganz­ sei­ti­ge Mi­ni­a­tur mit der Hir­ten­ver­kün­di­gung (fol. 25v): Hier ist viel Platz, die gro­ßen Lei­ber der Hir­ten in Sze­ne zu set­zen. Vorn links, von ei­nem Hir­ten­hund be­äugt, der rechts am un­te­ren Bild­rand auf­recht sitzt, hockt ein Hir­te, hin­ter ihm steht ein zwei­ter, in die Bild­tie­fe ge­dreht; bei­de hal­ten sich die Hand vor die Au­gen an­ge­sichts der gol­de­ nen Strah­len, die von der Er­schei­nung des En­gels rechts oben aus­ge­hen. Un­ter dem En­ gel, der vor Gold­grund in Wol­ken er­scheint und ein lee­res Schrift­band trägt, steht noch ein drit­ter Hir­te hin­ter der dicht ge­dräng­ten Schaf­her­de. Die An­be­tung der Kö­ni­ge (fol. 27v) zur Sext spielt nicht mehr im Stall, son­dern in ei­ nem präch­ti­gen Stein­haus, das zwi­schen Pi­las­tern den Blick in die Wei­te öff­net und an ei­nen statt­li­chen Pa­last den­ken läßt. Bei­den Mi­ni­a­tu­ren ist im­mer­hin ge­mein­sam, daß die Sze­nen ganz im In­nen­raum spie­len, das Dach nicht wie in al­ter Tra­di­ti­on von au­ßen sicht­bar wird und da­mit der Blick auf den Stern von Beth­le­hem noch ent­schie­de­ner aus­ ge­schlos­sen wird als in den meis­ten zeit­ge­nös­si­schen Weih­nachts­bil­dern. Un­ter ei­nem Bal­da­chin sitzt Ma­ria und hält den Kna­ben auf dem Schoß, der noch nackt, aber be­reits in herrsch­erli­cher Pose den äl­tes­ten Kö­nig emp­fängt. Auf Kni­en prä­sen­tiert der sei­ne Gabe, wäh­rend die zwei jün­ge­ren im Mit­tel­grund mit­ei­nan­der spre­chen. Be­glei­tet von ei­ner Magd mit dem Tau­ben­korb und ei­ner wei­te­ren Frau so­wie Jo­seph und drei wei­te­ren Män­nern hat Ma­ria bei der Dar­brin­gung im Tem­pel zur Non (fol. 29v) das Got­tes­haus be­tre­ten. Im Pro­fil kniet sie vor dem Al­tar; dort hat sie den Kna­ben auf das Tuch ge­legt, hin­ter dem Sim­eon, als Pries­ter mit ei­ner Mit­ra und ei­nem Chor­man­ tel, ganz ru­hig un­ter dem Al­tar­bal­da­chin steht. Wäh­rend sich die Hei­li­ge Fa­mi­lie auf der Flucht nach Ägyp­ten (fol. 31v) zur Ves­p er vor den Scher­gen des He­ro­des ret­ten kann, blickt sich Jo­seph, der den Esel mit sei­ner kost­ba­ ren Fracht in Si­cher­heit führt, um: Im Hin­ter­grund hat die Ar­mee des He­ro­des eine be­ fes­tig­te Stadt ver­las­sen und trifft nun auf den Sä­mann, der vor ei­nem Block von manns­ ho­hem Korn steht. Hier mag die Le­gen­de so ver­stan­den sein, daß der Bau­er be­zeugt, er habe die Hei­li­ge Fa­mi­lie zu­letzt ge­se­hen, als das Korn noch ganz klein ge­we­sen sei. Da

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im Korn­wun­der aber die Saat über Nacht zur Rei­fe hoch­ge­schos­sen war, ge­ben die Sol­ da­ten, die da­von nichts wis­sen, ihre Su­che auf. ­fi­zi­ums bil­det zur Komp­let die Ma­rien­krö­nung (fol. 34v). Den Ab­schluß des Ma­rien­of Vor ei­ner trop­fen­förmi­gen leuch­ten­den Licht­au­re­o­le sit­zen Chris­tus und Ma­ria auf ei­ nem Re­gen­bo­gen, zwi­schen ih­nen die Tau­be des Hei­li­gen Geis­tes. Wäh­rend Ma­ria ihr ge­krön­tes Haupt de­muts­voll senkt, seg­net sie der Hei­land. Ma­ria er­scheint häu­fi­ger zur Rech­ten Chris­ti, hier aber zu sei­ner Lin­ken, rechts im Bild. Die Buß­psal­men wer­den wie in Nr. 56 durch eine präch­ti­ge Dop­pel­sei­te ein­ge­lei­tet, aus der Ge­schich­te von Da­vids Ehe­bruch mit Bath­seba. Wie­der ent­spre­chen links und rechts nicht der zeit­li­chen Ab­fol­ge der Er­zäh­lung; denn auf Ver­so wird Urias Tod (fol. 37v) auf dem Schlacht­feld und rechts Bath­seba im Bade (fol. 38) ge­zeigt, die Kö­nig Da­vid vom Bal­kon sei­nes Pa­las­tes aus mit Bli­cken ver­schlingt. Als rei­zen­der Akt ver­hüllt sie ge­ra­de mal mit ei­nem fei­nen wei­ßen Tuch die Scham (nicht aber de­ren Be­haa­rung), und greift da­mit ein in der Zeit äu­ßerst be­lieb­tes The­ma auf. Daß der Tod des Uria auf dem vor­ her­ge­hen­den Blatt ge­zeigt wird, mag sich durch die Hie­rar­chie der Bild­the­men zu­ei­nan­ der er­klä­ren, nach der die Ba­den­de das ei­gent­li­che Er­ken­nungs­bild für den Text wäre. Den Hei­lig-Kreuz-Ho­ren dient auch in die­sem Ma­nus­kript die Kreu­zi­gung (fol. 44v) als Er­ken­nungs­bild: Das Kreuz mit dem er­staun­lich klein dar­ge­stell­ten Er­lö­ser ist hoch an den rund­bo­gi­gen Ab­schluß der Mi­ni­a­tur ge­rutscht, um Platz für die block­haft ge­ schlos­se­nen Grup­pen der Bei­fi­gu­ren zu schaf­fen: links die kla­gen­de Ma­ria und Jo­han­ nes, be­glei­tet von wei­te­ren Frau­en, rechts der Centu­rio in gol­de­ner Rüs­tung, der so­e­ben den Got­tes­sohn er­kannt hat, mit sei­nen Sol­da­ten. Der Ho­ri­zont liegt sehr tief, etwa auf Hüft­hö­he der Bei­fi­gu­ren, und schafft da­mit den Ein­druck, man bli­cke zu ih­nen und zum all­zu kühn ver­klei­ner­ten Chris­tus hoch. Zu den Hei­lig-Geist-Ho­ren hat sich der Ma­ler eine un­ge­wöhn­li­che For­mu­lie­rung des Pfingst­wun­ders (fol. 46) über­legt. Auf eine Ap­sis hin aus­ge­rich­tet kniet Jo­han­nes hin­ter ei­nem Bet­pult, zu dem sich von der an­de­ren Sei­te her kom­mend Ma­ria mit ei­nem Buch zum Ge­bet ge­wandt hat. Auf ih­rer Sei­te ste­hen die Apos­tel, or­dent­lich an­ge­reiht, mit Pet­rus im Vor­der­grund; wäh­rend die Grup­pe ihre Hän­de zum Ge­bet fal­tet, ist Jo­han­ nes der ein­zi­ge, der durch den Aus­druck von Über­ra­schung in sei­ner Hal­tung der Sze­ ne eine un­ge­wöhn­lich le­ben­di­ge Dy­na­mik ver­leiht. Zum To­ten­of ­fi­zi­um wähl­te man um 1500 gern das Hi­obs­the­ma. Auch hier wird Hiob auf dem Dung (fol. 47v) ge­zeigt: Die drei Freun­de ste­hen dies­mal links vor ei­nem statt­li­ chen Re­nais­sance­bau, wäh­rend der nack­te Dul­der rechts vor ei­nem schä­bi­gen aus Holz ge­zim­mer­ten Stall­ge­bäu­de kniet und ih­nen de­mü­tig zu­ge­wen­det ver­harrt. Die 27 Sze­nen aus dem To­ten­tanz in den äu­ße­ren Rand­strei­fen pas­sen mit ih­ren fran­zö­si­schen Be­zeich­ nun­gen im un­te­ren Rand der Ar­chi­tek­tur­bor­dü­re nur in­halt­lich, nicht aber wört­lich zum Text, der ja in sei­nen we­sent­li­chen Par­ti­en aus dem Psal­ter und dem Buch Hiob stammt. Für die Suf­fra­gien sind Klein­bil­der vor­ge­se­hen, die die Ge­be­te ein­lei­ten: die Tri­ni­tät (fol. 61v), Jo­han­nes der Täu­fer mit dem Lamm (fol. 61v), Jo­han­nes der Evan­ge­list mit

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dem Gift­be­cher (fol. 62), Pet­rus und Pau­lus (fol. 62), Jako­bus (fol. 62v), die Stei­ni­gung des Steph­a­nus (fol. 62v), Chris­topho­rus mit dem Chris­tus­kind (fol. 63), Se­bas­ti­ans­mar­ ty­ri­um (fol. 63v), Ni­ko­laus mit den drei Jüng­lin­gen (fol. 64), An­to­ni­us (fol. 64), Anna lehrt Ma­ria le­sen (fol. 64v), Ma­ria Mag­da­le­na (fol. 64v), Ent­haup­tung der Ka­tha­ri­na (fol. 65), Alle Hei­li­gen (fol. 65). Zum Stil Den Ma­ler nen­nen wir nach ei­nem Stun­den­buch der heu­ti­gen For­schungs­bib­li­o­thek G ­ o­tha, das 1939 im Zuge von un­ver­ant­wort­li­chen Ver­äu­ße­run­gen aus öf­fent­li­chen deut­ schen Bib­li­o­the­ken „als ent­behr­lich aus­ge­schie­den“ wur­de: Memb. II 70. Die­ses Werk ha­ben wir 2009 in Leuch­ten­des Mit­tel­al­ter Neue Fol­ge VI als Nr. 26 aus­führ­lich be­schrie­ ben; vier Jah­re zu­vor hat­ten wir den Band be­reits in un­se­rem Ka­ta­log Er­leuch­te­te Stun­den als Nr. 248, S. 117, vor­ge­stellt; zwei Jah­re da­nach konn­te der Band von Go­tha zu­rück­er­ wor­ben wer­den und durch Heft 312 der Se­rie pa­trimo­nia ge­wür­digt wer­den. Der für die­ses Ma­nus­kript ver­ant­wort­li­che Haupt­ma­ler war an ei­ner gan­zen An­zahl be­deu­ten­ der ge­druck­ter Stun­den­bü­cher be­tei­ligt. In die­ser Hand­schrift bril­liert der Ma­ler durch sei­ne Er­fin­dungs­ga­be und den ver­schwen­ de­ri­schen Reich­tum der Bil­der. Ein er­staun­lich bil­der­rei­ches Stun­den­buch aus der Zeit, in der man durch klei­ ne Schrift­ty­pen zwi­schen Bast­arda und An­ti­qua bei er­höh­ter Zei­len­zahl über­aus schlan­ke Ge­bet­bü­cher schuf, die ei­ner­seits der Tra­di­ti­on ge­recht blei­ben und an­ de­rer­seits durch Be­zü­ge vor al­lem auf das Alte Tes­t a­ment neue In­hal­te auf­neh­men soll­ten. Mit Re­nais­sance-Ar­chi­tek­tu­ren als Rand­schmuck für alle Text­sei­ten, die zu­dem noch ein Rand­bild er­hiel­ten, dazu vier­zehn ein­drucks­vol­len text­lo­sen Bild­ sei­ten re­prä­sen­tiert die­ser Band die Pa­ri­ser Buch­kunst des frü­hen 16. Jahr­hun­derts auf ein­drucks­vol­le Wei­se. Den Ma­ler nen­nen wir nach ei­nem Stun­den­buch, das auf ku­ri­o­sem Weg von der be­ rühm­ten Go­tha­er Bib­li­o­thek ver­äu­ßert und dann über uns wie­der zu­rück­er­wor­ben wur­de. Er ver­tritt sei­nen ei­ge­nen Stil in ei­ner Zeit, da vie­le Ma­ler wie er auch zur ­Il­lu­mi­nie­rung von Stun­den­buch­dru­cken ein­ge­setzt wur­den. Doch so eng er selbst auch mit dem Buch­druck ver­bun­den war, so be­weist die­ses Ma­nus­kript doch, wie viel­f äl­tig das Hand­schrif­ten­we­sen noch auf die neu­en He­raus­for­de­run­gen re­a­gie­ ren konn­te. Li­te­ra­tur Das Ma­nus­kript ist un­ver­öf­fent­licht. Zum na­men­ge­ben­den Ma­nus­kript sie­he Net­teko­ven und Hopf 2007.

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59 Ein Pa­ri­ser Stun­den­buch mit 124 Bil­dern vom Meis­ter der Phili­ppa von Gel­dern, dem Meis­ter des Étienne Pon­cher und ei­nem bis­lang un­be­kann­ten Meis­ter mit Vor­lie­be für ex­pli­zi­te Akt­dar­stel­lun­gen


Stun­den­buch. Horae B. M. V. für den Ge­brauch von Rom. La­tei­ni­sche Hand­schrift auf Per­ga­ment, Rub­ri­ken in Blau und hel­lem Rot, mit ei­nem la­tei­ni­ schen Ka­len­der in Schwarz, Rot und Blau auf Pin­sel­gold; in Nach­trä­gen am Schluß fran­zö­si­ sche Rub­ri­ken zu den la­tei­ni­schen Tex­ten; in brau­ner Text­ura. Pa­ris, ca. 1505-10: Meis­ter der Phili­ppa von Gel­dern und Meis­ter des Eti­enne Pon­ cher (oder Meis­ter der Ma­rie Char­lot) so­wie ein drit­ter be­deu­ten­der Ma­ler, der alle gro­ßen Mi­ni­a­tu­ren ver­ant­wor­tet: der Meis­ter von Cailh­ava-Bröle­mann nach die­ sem Ma­nus­kript(?) 124 Bil­der: 19 gro­ße Mi­ni­a­tu­ren in ar­chi­tek­to­ni­scher Rah­mung, da­von sechs als Voll­bil­ der, die üb­ri­gen mit acht oder neun Zei­len Inci­pit im Bild­feld mit vierz­ei­li­ger Akant­husIni­ti­a­le; ein Kopf­bild über 14 Zei­len Text mit vierz­ei­li­gem gol­de­nen Zier­buch­sta­ben auf blau­em Grund in Voll­bor­dü­re. 18 klei­ne Mi­ni­a­tu­ren un­ter­schied­li­cher Grö­ße im Text­feld; 32 fi­gu­ra­ti­ve Bild­fel­der in den Bor­dü­ren, da­von 24 im Ka­len­der, des­sen sechs Sei­ten auch Bor­dü­ren­strei­fen zum Falz ha­ben, alle Ka­len­der-Ein­tra­gun­gen auf Gold­grund; dazu 40 Bild­fel­der, fast von der Brei­te des Text­spie­gels im un­te­ren Rand­strei­fen. Alle Text­sei­ten von au­ßen mit drei­sei­ti­ger Klam­mer aus Kom­par­tim­ent-Bor­dü­ren oder auch Bor­dü­ren auf Per­ga­ment- oder Gold­grund, zu­wei­len an Texten­den nur im obe­ren Teil des Blat­tes, bis zur je­weils letz­ten be­nutz­ten Zei­le he­run­ter rei­chend. Zahl­rei­che Text­bor­dü­ren mit ein­zel­nen Gro­tes­ken. Zweiz­ei­li­ge Ini­ti­a­len zu den Psal­men­an­fän­gen mit Akant­hus­buch­sta­ ben, ein­zei­li­ge zu den Psal­men­ver­sen in Gold auf ro­ten und blau­en Grün­den, Zei­len­fül­ler in glei­cher Art. Ver­sa­li­en gelb la­viert. 80 Blatt Per­ga­ment, vor­ne 2 flie­gen­de und hin­ten 2 flie­gen­de Vor­sät­ze aus Pa­pier, dazu Mar­ mor­pa­pier auf dem De­ckel und dem ers­t en flie­gen­den Vor­satz; 1 flie­gen­der Per­ga­ment­vor­satz vor­ne. Ge­bun­den in La­gen zu acht Blatt, die text­lo­sen Voll­bil­der teil­wei­se auf ein­ge­schal­te­ ten Blät­tern: da­von ab­wei­chend die Ka­len­der­la­ge 1 (4: das lee­re End­blatt für ein Voll­bild ge­ nutzt), Lage 2 (8+1+4: mit ein­ge­schal­te­tem Bild 14; die Jo­han­nes-Pas­si­on auf ein­ge­schal­te­tem Bi­nio fol. 10-13); 6 (8-2+1:vor Zä­sur zwei End­blät­ter ent­fernt, das un­reglierte fol. 43 mit Bild auf Ver­so zur Lage ge­hö­rig, das ent­spre­chen­de fol. 46 ein­ge­schal­tet; das Voll­bild auf fol. 48v auf Rück­sei­te des Texten­des); 7 (8+1: am Ende fol. 57 ein­ge­schal­tet); 10 (4); als End­la­ge hin­ zu­ge­fügt 11 (4-1: das lee­re End­blatt ent­fernt). Äl­te­re, teil­wei­se ge­trimm­te Fo­li­ie­rung in Tin­te rechts oben; kei­ne Rekl­aman­ten. Voll­stän­dig er­hal­ten; kei­ne Ver­lus­t e durch Trim­men; ohne die ge­rings­t en Ge­brauchs­spu­ren, in den Far­ben von höchs­t er Bril­lanz. Un­re­gel­mä­ßi­ge La­gen vor al­lem durch Hin­zu­fü­gun­gen. Groß-Ok­tav (229 x 154 mm; Text­spie­gel: 145 x 80 mm, die gol­de­ne Leis­te 152 x 86 mm). Rot reg­liert zu 32, der Ka­len­der zwei­spal­tig zu 33 Zei­len. Ge­bun­den in au­ber­gi­ne­far­be­nes Ma­ro­quin des frü­hen 19. Jahr­hun­derts, am un­te­ren Ende des Rü­ckens sig­niert koeh­ler, auf fünf fal­sche Bünde, in ei­nem Feld be­zeich­net als heu­r es/ ma­nus/cri­tes, die üb­ri­gen Fel­der mit flo­ra­len Mo­ti­ven in Gold­prä­gung; die De­ckel mit drei­fa­cher File­ten­rah­mung und Blatt­werk in den Ecken, Gold­schnitt.

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Kei­ne Hin­wei­se auf Be­stel­ler und äl­te­re Be­sit­zer. Der Band be­fand sich An­fang des 19. Jahr­ hun­derts in der be­rühm­ten Samm­lung von Léon Cailh­ava aus Lyon und wur­de auf des­sen Auk­ti­on am 21.10.1845 in Pa­ris von A. Font­aine für 525,- Gold­francs (580,- mit Fonta­ines Kom­mis­si­on) für A. Bröle­mann er­stei­gert. Da­von zeugt ein vorn ein­ge­füg­ter Brief von A. Font­aine vom 23.10.1845, der die­se und an­de­re Hand­schrif­ten bei Jacques-Jo­seph Tech­ener in Pa­ris prü­fen soll­te. Dazu ein ein­ge­bun­de­nes Blatt mit Be­mer­kun­gen des Samm­lers, der in den Gro­tes­ken an­ti­ka­tho­li­sche Kri­tik er­ken­nen möch­te. Kup­fer­stich-Wap­pen-Ex­lib­ris von Hen­ry-Au­gus­t e Bröle­mann (1826-1904) im In­nen­de­ckel vorn, in des­sen Ka­ta­log von 1897, Nr. 66. Lot 82 in der Auk­ti­on sei­ner Nich­te, Ma­dame Mal­let, bei Sot­heby’s Lon­don, 1926; die zu­ge­hö­ri­ge Be­schrei­bung auf dem ers­t en flie­gen­den Vor­satz vorn ein­ge­klebt: £ 225,- an Mag­gs – un­ter "Ger­man manu­scripts"! Zu­letzt spa­ni­sche Pri­vat­samm­lung. Text fol. 1: Ka­len­der: auf ver­gol­de­ten Text­spie­gel ge­schrie­ben, in la­tei­ni­scher Spra­che, je­ doch wie ein fran­zö­sisch­spra­chi­ger Ka­len­der zu je­dem Tag be­setzt; cha­rak­te­ris­tisch ist ein Ver­lust an La­tein­kennt­nis, wenn Lau­do­ma­rus, Abt von Corb­ion in der Di­ö­ze­se Char­ tres am 19.1. als lom­erii und am 9.9. lom­eris falsch la­ti­ni­siert wird. Je­weils zwei Mo­ na­te pro Sei­te; die Text­ko­lum­nen mit Pin­sel­gold grun­diert; die Gol­de­ne Zahl und die Sonn­tags­buch­sta­ben A blau, die Sonn­tags­buch­sta­ben b-g schwarz; Hei­li­gen­ta­ge ab­wech­ selnd schwarz und rot, Fes­te blau. Die Bor­dü­re nicht durch Gold­leis­ten ab­ge­grenzt; eine senk­rech­te Gold­leis­te hin­ge­gen trennt die Ko­lum­nen. Die Hei­li­gen­aus­wahl we­nig spe­ zi­fisch: Gen­ovefa nur mit ih­rer Trans­latio (26.11.) er­wähnt; an­de­re Pa­ri­ser Lo­kal­hei­li­ge wie O ­ p­por­tuna feh­len. Fes­te: Lupi et eg­idii (1.9., Saint Loup de Sens ei­gent­lich am 2.9.); ­Di­o­nys­ii (9.10.). Zahl­rei­che Hei­li­ge mit un­ter­schied­li­cher lo­ka­ler Zu­ord­nung aus ver­ schie­de­nen Re­gi­o­nen Frank­reichs. fol. 4: leer, mit Voll­bild auf Ver­so. fol. 5: Perik­open: Jo­han­nes (fol. 5, als Suf­fra­gium), Lu­kas (fol. 6), Mat­thä­us (fol. 6v) Mar­ kus (fol. 7). fol. 7v: Ma­rien­ge­be­te für ei­nen Mann re­di­giert: Obse­cro te (fol. 7v), O int­emer­ata (fol. 8v). fol. 9 auf ein­ge­schal­te­tem Bi­nio: Pas­si­on nach Jo­han­nes: Egres­sus est. fol. 14: leer, mit Voll­bild auf Ver­so. fol. 15: Ma­rien­of ­fi­zi­um für den Ge­brauch von Rom: Matu­tin (fol. 15: mit drei Psal­men­ grup­pen für die Wo­chen­ta­ge), Lau­des (fol. 22), Prim (fol. 27), Terz (fol. 29), Sext (fol. 31), Non (fol. 33), Ves­per (fol. 35), Komp­let (fol. 38); Ad­vents­of­fi­zi­um mit hell­ro­ten Rub­ri­ken. fol. 43: leer, mit Voll­bild auf Ver­so. fol. 44: Ho­ren des Hei­li­gen Kreu­zes. fol. 46: leer, mit Voll­bild auf Ver­so.

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fol. 47: Ho­ren des Hei­li­gen Geis­tes. fol. 48v: Voll­bild. fol. 49: Buß­psal­men, mit Li­ta­nei (fol. 53), den Pa­ri­ser Hei­li­gen Ger­vasius und Prot­hasius am Ende der Mär­ty­rer; Or­dens­hei­li­ge als ei­ge­ne Grup­pe, Clara und Eli­sa­beth am Ende der Frau­en. fol. 57: leer, mit Voll­bild auf Ver­so. fol. 58: To­ ten­ of ­fi­ zi­ um, für den Ge­brauch von Rom: Ves­per (fol. 58), die wei­te­ren von ei­ner Rub­rik ein­ge­lei­tet: Matu­tin (fol. 61), Lau­des (fol. 69v). fol. 74v: Suf­fra­gien: Tri­ni­tät (fol. 74v), Mi­cha­el (fol. 74v), Jo­han­nes der Täu­fer (fol. 75), Jo­ han­nes der Evan­ge­list (fol. 75), Pe­ter und Paul (fol. 75v), Jako­bus (fol. 75v), Lau­ren­ti­us (fol. 76), Se­bas­t i­an (fol. 76), Ni­ko­laus (fol. 76v), Anna (fol. 76v), Mag­da­le­na (fol. 77), Ka­tha­ri­ na (fol. 77), Mar­ga­re­ta (fol. 77v). fol. 77v: ur­sprüng­li­ches Texten­de. Spä­ter hin­zu­ge­füg­te Suf­fra­gien: Gott­va­ter (fol. 77v), Sohn (fol. 78), Hei­li­ger Geist (fol. 78), Fia­crius (fol. 78v). fol. 78v: Sta­bat ma­ter dolo­ro­sa, in Form ei­nes Suffr­agi­ums, durch die Rub­rik be­zeich­net als Deu­ota conte­mplatio be­a­te ma­rie. fol. 79v: Ge­be­te zur Mes­se und an­de­ren An­läs­sen in la­tei­ni­scher Spra­che mit fran­zö­si­ schen Rub­ri­ken: Do­mine ihu xpe qui hanc sac­rat­iss­i­mam car­nem (fol. 79v mit deux mil­le ans de vraye par­don von Papst Bo­ni­faz); am Ende Pour le tien amy qui est mort: Sus­cipe pi­ is­sime deus. Am Ende in et­was grö­ße­rer Schrift: „Fi­nis“. Schrift und Schrift­de­kor Das Buch ge­hört zu den sehr eng be­schrie­be­nen Ma­nus­krip­ten stei­len For­mats, die in we­ni­ger als hun­dert Blatt den Grund­be­stand von Stun­den­buch­tex­ten durch wei­te­ re Ge­be­te er­gän­zen und mit rei­cher Be­bil­de­rung auf­neh­men konn­ten. Das be­deu­tends­te Bei­spiel sind die so­ge­nann­ten Peti­tes Heu­res der Anne de Bre­tag­ne (Pa­ris, NAF 3027: Lero­quais 1943, Nr. 1; Av­ril und Reyn­aud 1993, Nr. 238). An­ders als dort ist für die­se Auf­ga­be eine recht ecki­ge, noch der Text­ura ver­wand­te Schrift ge­wählt wor­den. Haupt­ far­be der Rub­ri­ken ist Blau; nur im Ad­vents-Of ­fi­zi­um wech­selt man bei den sehr aus­ führ­li­chen An­ga­ben zu ein­zel­nen Tex­ten zu hel­lem Rot. Der Schrift­de­kor mit der Zu­ord­nung von Gold auf wein­ro­ten und blau­en Flä­chen zu den ein­zei­li­gen Zier­buch­sta­ben am Zei­len­be­ginn, hin­ge­gen wei­ßem Akant­hus mit Blu­men zu den zweiz­ei­li­gen Ini­ti­a­len, ge­hört zum Brauch der Zeit. Vierz­ei­li­ge Ini­ti­a­len wer­den ent­spre­chend den zweiz­ei­li­gen ge­stal­tet; nur der Zier­buch­sta­be zu Be­ginn der Jo­han­nesPas­si­on weicht mit Gold auf Blau ab.

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Die mit Aus­nah­me des Ka­len­ders und des Kopf­bilds zur Jo­han­nes-Pas­si­on nur von au­ ßen als drei­sei­ti­ge Klam­mern um den Text­spie­gel ge­leg ­ten Bor­dü­ren spie­len mit den drei Mög­lich­kei­ten der zeit­ge­nös­si­schen Pa­ri­ser Buch­ma­le­rei, ohne hie­rar­chi­sche Un­ter­ schie­de zu be­zeich­nen: Akant­hus in Blau und Gold steht ne­ben Blu­men auf Per­ga­ment­ grund; bun­ter Akant­hus und Blu­men wer­den auf Gold­grund ge­setzt; als drit­te Mög­lich­ keit wer­den aus bei­dem zu­sam­men­ge­setz­te Kom­par­tim­ent­bor­dü­ren ver­wen­det. Über­all wird der Text­spie­gel in sonst un­ge­wohn­ter Wei­se mit vier Gold­leis­ten in kräf­tig schwar­ zer Kontu­rie­rung ab­ge­setzt; die­se Leis­ten zur Mar­kie­rung der Jus­ti­fi­ka­ti­on fin­den sich auch beim Ju­das­kuß, der ein­zi­gen Mi­ni­a­tur, die als Kopf­bild in Bor­dü­ren an­ge­legt ist. Rand­bil­der un­ter dem Text aus Tier­fa­beln Die­ses Stun­den­buch zeich­net sich durch eine un­re­gel­mä­ßig ver­teil­te Fol­ge von Bil­dern aus Tier­fa­beln aus; of­fen­bar wa­ren noch mehr Fel­der vor­ge­se­hen, die dann mit Ran­ken­ werk ge­füllt wur­den, so auf fol. 20/v, 23/v, 37v/38, 50/v, 55v, 59/v, 61/v, 62/v, 64/v, 69/v, 70/v. Auf­fäl­lig ist auch der Um­stand, daß mensch­li­che Ge­stal­ten oder Köp­fe teil­wei­se nur vor­ge­zeich­net, aber nicht aus­ge­malt sind. fol. 18: Der Kopf ei­nes Hahns, vom Fuchs ver­schlun­gen, von Sing­vo­gel be­ob­ach­tet. fol. 18v: Zwei Häh­ne strei­ten. fol. 19: Ein gro­tes­kes Halb­we­sen. fol. 19v: Ein Affe rei­tet ein hyb­ri­des We­sen. fol. 24: Ein Säu­ge­tier schaut ei­nem Af­fen nach, der mit ei­ner Lan­ze vor­ bei­schrei­tet. fol. 24v: Ein Kra­nich schnat­tert, wäh­rend ein Affe sich am Schwanz sei­nes gro­tes­ken Reit­tiers zu schaf­fen macht. fol. 25: Ein Hirsch im dich­ten Ge­hölz, von Jagd­ hun­den ver­folgt. fol. 25v: Ein Affe macht sich am Schwanz sei­nes gro­tes­ken Reit­tiers zu schaf­fen. fol. 34: Eine Ente fliegt über zwei Kü­ken, die im Was­ser schwim­men. fol. 34v: Zum Nest mit den Jun­gen kommt ein Raub­vo­gel her­ab­ge­flo­gen. fol. 36: Ein Affe be­ob­ ach­tet vom Ufer zwei Bleß­hüh­ner im Was­ser. fol. 36v: Zwei jun­ge En­ten, von ei­nem Af­ fen am Ufer be­ob­ach­tet. fol. 39: Ein gro­tes­ker Vier­bei­ner mit Fe­der­schmuck ei­nes Wie­ de­hopfs. fol. 39v: Ein Kra­nich mit leicht ge­öff­ne­tem Schna­bel. fol. 41: Ein hyb­ri­des Tier sieht, wie ein Affe mit Ka­pu­ze eine Rau­pe mit Flü­geln flie­gen las­sen will. fol. 41v: Ein Affe mit Kra­nich. fol. 42: Zwei hyb­ri­de Tie­re schau­en zu ei­nem flie­gen­den Sing­vo­gel auf. fol. 42: Ei­nem hyb­ri­den Tier zeigt ein Affe den Hin­tern, wäh­rend ein Sing­vo­gel mit ge­schlos­se­nen Flü­geln über ih­nen schwebt. fol. 51: Ein Mensch, nur vor­ge­zeich­net, trägt ei­nen fla­chen Korb auf dem Kopf; ihm folgt ein Affe. fol. 51v: Ein Schwan flat­tert übers Was­ser mit zwei schwim­men­den bun­ten Kü­ken. fol. 52: Ein hyb­ri­des Tier schaut sich um zu zwei Hun­den, von de­nen ei­ner auf den Rü­cken des an­de­ren ge­sprun­gen ist, über de­nen eine ge­flü­gel­te Rie­sen­rau­pe fliegt. fol. 51v: Ein gro­tes­kes bun­tes Tier, von Af­fen ge­rit­ten und mit lan­ger Stan­ge an­ge­feu­ert. fol. 52: Ein Schreit­vo­gel mit lan­gem Schna­ bel und ein Jä­ger mit Arm­brust, des­sen Ge­sicht nur vor­ge­zeich­net ist. fol. 52v: Fünf gro­ tes­ke Vö­gel, zwei am Bo­den und drei in der Luft. fol. 60: Gro­tes­kes Reit­tier mit ei­nem Af­fen. fol. 60v: Ein Halb­we­sen, an ei­nem Baum fest­ge­bun­den, und ein Affe mit ei­nem Korb. fol. 62: Ein hyb­ri­der Vo­gel, wie­der mit Kopf­fe­dern des Wie­de­hopfs. fol. 62v: Ein Schreit­vo­gel schnappt nach Sack, den ein Affe trägt. fol. 66: Ein Kra­nich und ein hyb­ri­des We­sen ge­hen auf­ei­nan­der zu. fol. 66v: Ein hyb­ri­des Tier mit Zaum­zeug, von Ka­

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puzen­Afen gezogen. fol. 67: Ein hybrides Tier und Afe mit Bogen, ohne Pfeil. fol. 67v: Ein hybrides Kaninchen von Greif vogel verfolgt. fol. 68: Ein groteskes Tier mit Strick um den Hals, von kleinerem gezerrt. fol. 68v: Kranich bedroht kleinen Vogel am Ufer eines Teichs, darin schwimmen zwei Küken. fol. 71: Ein groteskes Tier sucht drei, die sich im Gebüsch verseckt haben. fol. 71v: Ein Afe reitet Groteske mit sichelförmigen Ohren. fol. 72: Ein Hirschkalb von Jagdhunden im Gebüsch verfolgt. fol. 72v: Ein Vogel erschreckt das groteske Reittier eines Afen. fol. 73: Ein grotesker Vogel will einen Af­ fen auf halten, der einen Vogel in seiner Kiepe trägt. fol. 73v: Zwei Afeneltern mit zwei Afenjungen beim Ernten roter Früchte. Die Bilder fol. 1: Kalender: Da jeweils zwei Monate auf eine Seite gesetzt sind und jeder ein Mo­ natsbild und ein Tierkreiszeichen erhält, aber nur in den äußeren und unteren Rand­ sreifen dafür Platz is, beziehen sich auf Recto die beiden Bilder unten auf die linke, die im Außenrand auf die rechte Spalte. Auf Verso wird das umgekehrt gehandhabt: Nun bezieht sich die Bordüre außen auf die linke, die unten auf die rechte Spalte. Die Tier­ kreiszeichen sind durchweg auf die Erde geholt, so daß sie in teilweise irritierender Har­ monie zu den Monatsbildern sehen, wenn beispielsweise das Zeichen der Jungfrau mit einer großen aufgesellten Garbe neben dem Bauern seht, der das Korn schneidet. In ungewöhnlicher Erscheinung als grüne gebogene Wesen gleichen Krebs und Skorpion einander. Die Reihenfolge entspricht der Norm: Älterer Herr am Speisetisch mit dem Wassermann als Putto; jüngerer Herr am Kamin mit den Fischen; Trimmen der Wein­ söcke mit Widder; Mädchen beim Blumenpflücken mit Stier; Ausritt eines Paares mit Zwillingen als nacktem Paar; Heuschneiden mit Krebs; Heurechen mit Löwe; Korn­ schneiden mit Jung frau; Weintreten und junge Frau mit der Waage; Sämann mit Skorpi­ on; Schweinehirt beim Eichelschlagen mit Schütze als Kentaur; Abflämmen des Schweins mit Steinbock im Ammonshorn. fol. 4v: Erschafung Evas: Gott mit Jesu Zügen und dessen Kreuznimbus, von einem Engel begleitet, seht unter Sonne und Mond und faßt Evas Hand, die aus Adams Seite aufseigt, vor Bäumen an einer von einem Flußlauf unten und rechts begrenzten Wiese. Die Kombination der Szene aus der Genesis mit dem Anfang des Johannesevangeliums geht zunächs einmal nur auf den Gleichklang von In principio zurück, war aber wohl auch durch die Analogie von Eva und Maria begründet. fol. 5: Evangelisen­Porträts zu den Perikopen: Johannes auf Patmos als Vollbild mit vorgeschaltetem Incipit (fol. 5): Der jugendliche Evangelis sitzt wie in vielen anderen Pariser Stundenbüchern der Zeit (so in Nr. 56) vor einem links aufgetürmten Felsen, schreibt auf ein Schriftband, vom Adler beäugt; hier flattert sein goldener Mantel auf. Die dicke Säule des äußeren Rahmens enthält eine Nische mit der Halbfigur eines Ge­ lehrten in Gold­Camaïeu. Die übrigen drei als Halbfiguren in 10zeiligen Kleinbildern: Lukas, mit dem Stier, malt ein Stafeleibild der Mater dolorosa (fol. 6); Matthäus mit dem Engel (fol. 6v) und Mar­

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kus mit dem Löwen (fol. 7), jeweils vor einem Ehrentuch und auf ein ähnliches Schrift­ band schreibend wie Johannes. fol. 7v: Auch die beiden Mariengebete erhalten Kleinbilder mit Halbfiguren: Madonna (fol. 7v) mit dem in goldenen Kittel gekleideten Kind vor rosafarbenem Tuch zum Obse­ cro te. Mater dolorosa (fol. 8v) vor Pinselgoldgrund, vom selben Typus wie das Bild, an dem Lukas auf fol. 6 arbeitet zum O intemerata. fol. 9: Zur Johannespassion ein kleiner Zyklus von Passionsbildern aus einem Kopf bild über 12 Zeilen Incipit und Randbildern von etwa 10 Zeilen Höhe: Der Judaskuß mit Gebet im Garten Gethsemane im Hintergrund (fol. 9) is ähnlich konzipiert wie Johan­ nes auf Patmos: Von links senkt sich das Gelände bis zum Bach Kidron herab, der die rechte untere Bildecke umspielt; doch erhebt sich hinten in einer tieferen Bildebene der Ölberg mit dem Leidenskelch (und der Hosie). Die beiden Szenen sind gegenläufig ange­ legt: Jesus betet hinten nach links gerichtet, er wendet sich vorn, wo Judas vor der Solda­ tenschar von links an ihn herantritt, aber nach rechts. Dadurch gerät Petrus in die Bild­ mitte, wie er über dem zu Boden gesürzten Malchus sein Schwert in die Scheide seckt. In den Außenrändern dann Kleinbilder mit Halbfiguren, in Absimmung mit dem Text, wie in der Pariser Buchmalerei gewohnt, ohne die jüdischen Hohenprieser: Geißelung (fol. 9v), Dornenkrönung (fol. 10), Handwaschung des Pilatus (fol. 10v), Kreuztragung (fol. 11), Kreuzigung (fol. 11v), Grablegung (fol. 12). fol. 14v: Dem Marienofzium vorgeschaltet ein Vollbild der Vertreibung aus dem Para­ dies (fol. 14v); damit wird der auf fol. 4v begonnene Gedanke aufgenommen, diese Ho­ rae B. M. V. in den Zusammenhang von Eva und Maria zu sellen: In die architektoni­ sche Rahmung der Miniatur eingesellt is das Paradiesesor links, in dem der Erzengel Gabriel ein einfaches Schwert erhebt, um die nackten Ureltern zu vertreiben; so beugt sich Adam vor der recht niedrigen Mauer, während Eva aufrecht zu ihm und dem Engel blickt. Beide bemühen sich, ihre Scham zu bedecken; das gelingt nicht. Der Zyklus zu den Mariensunden entspricht der Norm: Den Vollbildern is jeweils das 8zeilige Incipit vorgeschaltet; es verdeckt anders als in Nr. 58 Partien von Gegensänden und Figuren: Neben der Verkündigung zur Matutin (fol. 15) erscheint in der Säule au­ ßen eine Gesalt aus dem Alten Tesament, vielleicht König David. In einem sattlichen Renaissance­Raum, der durch eine schräg nach rechts hinten führende Säulenreihe ins Freie blicken läßt, seht ein Baldachin mit einem Betpult. Von links is der Engel einge­ treten; nun beugt er das Knie und weis mit seinem Lilienzepter zur Taube. Maria kniet betend, immer noch zu ihrem Gebetbuch gewendet. Bei der Heimsuchung zu den Laudes (fol. 22) is Maria gegen ikonographischen Brauch nicht über’s Gebirg, sondern aus einer hellen Landschaft gekommen. Nun seht sie vor einem niedrigen Felsabbruch, zu dem die betagte Elisabeth aus ihrem Haus rechts oben herabgesiegen is, um vor der Jungfrau ins Knie zu sinken.

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Bei der An­be­tung des Kin­des zur Prim (fol. 27) wer­den cha­rak­te­ris­ti­sche Pa­ri­ser Ele­ men­te in nüch­ter­ner Klar­heit ge­bo­ten: Der Stall ragt von links mit sei­nem schad­haf­ten Dach und den oben ab­ge­bro­che­nen Wän­den, die aus Bret­tern kons­t­ru­iert sind, ins Bild. Jo­seph und Ma­ria kni­en vor dem Kna­ben, der nackt auf eine ova­le ge­floch­te­ne Krip­pe ge­legt ist, von Ochs und Esel und – hin­ter ei­nem bild­pa­ral­le­len Zaun – von zwei Hir­ ten be­trach­tet. Bei der Hir­ten­ver­kün­di­gung zur Terz (fol. 29) sind die Fi­gu­ren stär­ker in den Mit­tel­ grund ge­rückt, wäh­rend Was­ser un­ter dem Inci­pit den an­ge­neh­men Ort be­zeich­net. Drei Hir­ten ras­ten hier; zu ih­nen ge­hört auch die Hir­tin, die links im Mit­tel­grund ei­nen der Hir­ten an der Schul­ter faßt; der En­gel er­scheint in Gold-Cam­aïeu mit dem glo­r ia in ex­cel­sis auf ei­nem gol­de­nen Schrift­band, als Halb­fi­gur vor dun­kel­blau­en Wol­ken. In der­sel­ben Art von schad­haf­tem Bret­ter­ver­schlag wie die Weih­nacht spielt auch die An­be­tung der Kö­ni­ge zur Sext (fol. 31): Von links hin­ten tre­ten die Kö­ni­ge ein; der jüngs­te ist schon durch die Ent­fer­nung im Raum klei­ner; aber bart­los, wie er ist, wirkt er fast noch wie ein Ju­gend­li­cher. Der äl­tes­te Kö­nig kniet vor Ma­ria, die ihm mit ge­senk­tem Blick das nack­te Kind prä­sen­tiert. Sim­eon un­ter dem Bal­da­chin am Al­tar ist bei der Dar­brin­gung im Tem­pel zur Non (fol. 33) sei­ten­ver­setzt; denn hier steht er links, wäh­rend Ma­ria, die das Kind noch hält, von rechts ge­kom­men ist. Jo­seph hält ein lee­res Tau­ben­körb­chen; und der Magd fehlt die Ker­ze. In ver­blüf­fen­der Ana­lo­gie zu Dar­stel­lun­gen der Weis­heit Salo­mos, viel­leicht nach ei­ner ent­spre­chen­den Bild­vor­la­ge, wird He­ro­des beim Kin­der­mord von Beth­le­hem zur Ves­p er (fol. 35) dar­ge­stellt. Er thront links, von ei­ner Mut­ter an­ge­klagt, die vor dem Thron mit ei­nem le­ben­den Kind auf dem Arm kniet, wäh­rend am un­te­ren Bild­rand un­ter dem Inci­ pit ein to­tes Kind liegt. Im hin­te­ren Teil des Thron­saals steht ein Rat­ge­ber und schaut zu, wie ein Sol­dat ei­nen nack­ten Kna­ben mit dem Dolch ab­schlach­tet. Im ge­druck­ten Pa­ri­ser Stun­den­buch kommt der Kin­der­mord seit Pi­cho­res Ok­tav­se­rie von 1504/1506 vor (horae Ix, Nr. 22, Abb. 9 auf S. 3996), je­doch im­mer in ei­ner an ita­li­e­ni­schen Vor­ bil­dern ori­en­tier­ten Zent­ral­kom­po­si­ti­on. Die Ma­rien­krö­nung zur Komp­let (fol. 38) er­weist sich als eine be­mer­kens­wer­te Kom­po­ si­ti­on: Schau­platz ist Got­tes leuch­tend blau­er Thron im Him­mel vor ei­ner Mand­orla mit gol­de­nen Strah­len und um­ge­ben von leuch­tend gel­bem Fond, den un­ten und von rechts blaue Wol­ken­bän­der um­ran­den. Gott in Jesu Ge­stalt sitzt auf dem Thron, wäh­rend sich die Ge­stalt der blau ge­wan­de­ten Jung­frau, über de­ren be­reits ge­krön­tem Haupt ein be­ ten­der En­gel schwebt, aus dem Blau der Wol­ken löst und zum Thron ge­wen­det ist. fol. 43v: Dop­pel­sei­ten auf ei­nem text­lo­sen Voll­bild und ei­nem Bild mit vor­ge­schal­te­tem Inci­pit er­öff­nen die Matu­tin von Hei­lig Kreuz und Hei­lig Geist: Chris­tus auf der Rast (fol. 43v): Der nur mit dem Len­den­schurz Be­klei­de­te sitzt auf dem Kreuz, ne­ben ihm liegt sein Rock; aus ei­nem Stadt­tor sind drei Män­ner ge­tre­ten, de­ren ers­ter auf ihn ein­ re­det, als sei Hiob mit sei­nen drei Freun­den ge­meint. Of­fen­bar ist eine Bild­vor­la­ge aus

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dem alt­tes­ta­ment­li­chen Zu­sam­men­hang hier auf Chris­tus über­tra­gen; der Platz vor dem Stadt­tor läßt zu­gleich an die Kreuz­tra­gung den­ken. Die Kreu­zi­gung (fol. 44) kommt mit we­ni­gen Fi­gu­ren aus: Jo­han­nes und Ma­ria links, ei­nem grei­sen Sol­da­ten in gol­de­ner Rüs­tung, der sich auf ei­nen Stock stützt, und dem Haupt­mann auf ei­nem Schim­mel, der ei­nen dün­nen gol­de­nen Kom­man­do­stab schwingt, hin­ter ihm Rei­ter mit Lan­zen in sil­ber­nen Rüs­tun­gen. Chris­ti Ab­stieg in die Vor­höl­le (fol. 46v): Mit gol­de­nem Kreuz­stab und flat­tern­dem ro­ ten Man­tel schrei­tet der Auf­er­stan­de­ne, des­sen Stirn mit dem Blut von der Dor­nen­kro­ ne ge­zeich­net ist, nach rechts, hält vor ei­nem Baum an, der an den der Er­kennt­nis er­in­ nern soll, und ge­langt so zur Fels­öff­nung der Vor­höl­le, de­ren Fun­ken hoch­schnel­len. Der grei­se Adam und Eva als ju­gend­li­che Frau in un­er­hör­ter Nackt­heit ent­stei­gen be­tend mit an­de­ren der Höl­len­pfor­te. Bei der Ausg­ießung des Hei­li­gen Geis­tes zur Geist-Matu­tin (fol. 47) rückt die kni­en­de A­pos­tel­schar, die von Pet­rus an­ge­führt und nach rechts ge­wen­det ist, mit Ma­ria so über das Inci­pit, als sei das Bild als Kopf­mi­ni­a­tur kon­zi­piert. Über Ma­ri­as Ge­bet schwebt die Tau­be und sen­det feu­ri­ge Gold­strah­len aus. fol. 48v: Zu den Buß­psal­men eine Dop­pel­sei­te: Auf der zu­fäl­lig leer­ge­blie­ben Ver­so-Sei­te blieb Platz für ein Voll­bild mit Da­vids Kampf ge­gen Go­li­ath: Der Hir­ten­kna­be holt im Mit­tel­grund mit sei­ner Schleu­der noch ein­mal aus, wäh­rend der Rie­se schon mit blu­ten­ der Stirn ge­trof­fen ist und nun in sei­ner gol­de­nen Rüs­tung mit schwar­zem Helm nach rechts tau­melt. Im Hin­ter­grund tobt eine Schlacht vor ei­nem Heer­la­ger, wei­ter ent­fernt er­kennt man eine Brü­cke vor ei­ner Stadt. Über dem Inci­pit das Bad der Bath­seba (fol. 49), die in ei­nem run­den gol­de­nen Brun­nen sehr nackt steht. Wäh­rend eine Magd ein Hand­tuch be­reit­hält, schau­en der grei­se Kö­nig Da­vid und hin­ter ihm ein jün­ge­rer Höf­ ling aus dem Pa­last. fol. 57v: Auch zum To­ten­of ­fi­zi­um wer­den zwei Bil­der ge­schal­tet: Das Voll­bild nimmt das schon in Nr. 54 zu fin­den­de The­ma aus dem Gleich­nis vom Gast­mahl des Rei­chen auf: Haupt­fi­gur scheint der Rei­che in sei­nen Höl­len­qua­len zu sein; er weist mit dem Zei­ ge­fin­ger auf sei­ne durs­ti­gen Lip­pen, um­ge­ben von bun­ten Teu­feln in ei­ner Fel­sen­gru­be. Ganz un­ver­bun­den ist die Er­schei­nung im Him­mel über dem wei­ten Blick in die Land­ schaft. Da zeigt sich in ei­nem Wol­ken­kranz Ab­ra­ham mit ei­nem ma­le­ri­schen Tur­ban als Büs­te mit der See­le des ar­men La­za­rus auf dem Arm. Der Text­an­fang der To­ten­ves­p er ge­gen­über er­öff­net mit Hiob auf dem Dung (fol. 58): Wie die meis­ten Va­ri­an­ten die­ses The­mas liegt der Mist­hau­fen vor statt­li­chen Häu­sern, die be­son­ders na­hen sind frei­lich nur Fach­werk­bau­ten: Hiob wen­det sich wie in un­se­rer Nr. 53 von den drei Freun­den ab nach links. fol. 74v: Zu den Suf­fra­gien Klein­bil­der mit Halb­fi­gu­ren, vor­wie­gend vor Land­schaft: auf fol. 74v die thro­nen­de Tri­ni­tät mit Je­sus und Gott­va­ter, der Tau­be zwi­schen ih­ren Häup­tern und dem auf­ge­schla­ge­nen Buch des Le­bens; da­run­ter Mi­cha­els Kampf mit dem Teu­fel. Auf fol. 75 Jo­han­nes der Täu­fer mit dem Lamm und Jo­han­nes der Evan­ge­

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lis mit dem Schlangenkelch; am Rand außen die Taufe Chrisi mit Engel und Täufer so­ wie die Aussetzung auf Patmos; auf fol. 75v Petrus mit Schlüssel und Paulus mit Schwert sowie Jakobus als Pilger; auf fol. 76 Laurentius mit Ros und goldenem Palmzweig so­ wie Sebasians Pfeilmarter; auf fol. 76v Nikolaus mit den drei Knaben im Bottich und Anna, die der Jungfrau Maria das Lesen beibringt; auf fol. 77 Magdalena mit Salbgefäß in Felsenlandschaft und Katharina mit Palmzweig und dem Knauf des Schwerts; auf fol. 77v schließlich Margareta mit kleinem goldenen Kreuz aus dem Drachen auftauchend, durch die Gitter ihres Gefängnisfensers zu sehen. Zum Stil Das Buch is wesentlich geprägt von einem Maler, den man lange für einen Vertreter der Schule von Rouen im Sinne von Ritter und Lafond 1913 hielt. Noch unter diesem Ge­ sichtspunkt haben sich Pächt und Thoss 1977 um sein Œuvre verdient gemacht. John Plummer hat ihn 1982 (Nr. 91­92) nach der französischen Fassung der Vie du Christ des Ludolf von Sachsen benannt, die 1506 für Philippa von Geldern, die zweite Frau Her­ zog Renés II . von Lothringen geschafen wurde (Lyon, Bibl. mun., ms. 5125). Avril und Reynaud haben dieses Manuskript 1993 ausgesellt und kommentiert. Spätesens von dem Zeitpunkt an hat man den Gedanken aufgegeben, der Meiser der Philippa von Gel­ dern habe möglicherweise eine Zeitlang in Rouen gearbeitet; er gilt seither als ein wich­ tiger Vertreter der Pariser Buchmalerei. Wir folgen diesen Vorarbeiten gern; uns inte­ ressiert an ihm selbsversändlich auch die Mitarbeit an Inkunabeln und Frühdrucken, insbesondere von Anthoine Vérard. Im Werk des Meisers der Philippa von Geldern nimmt das hier vorgesellte Stunden­ buch eine bemerkenswerte Rolle ein durch seinen Reichtum, die Vielfalt von Randbil­ dern, die in seiner Werksatt entsanden und vielleicht wie der unvollendet gebliebene Mann auf fol. 51 von ihm vorgezeichnet wurden. Besonders eindrucksvoll sind die Randbilder des Meisers der Philippa von Geldern zum Kalender. In ähnlichem Format finden sich viele Kleinbilder im Text, die, wie ein kur­ zer Blick beweis, von anderer Hand sind; sie sammen von dem Maler, dem wir in Band III dieses Katalogs drei Stundenbücher zuschreiben konnten (Nrn. 43, 44 und 45): Es is der Meiser des Étienne Poncher, den wir früher Meiser der Marie Charlot nannten; doch schließen wir uns nun Isabelle Delaunay an, die das Œuvre von Arbeiten für den Pariser Bischof Étienne Poncher (1464­1525) neu geordnet hat. Ihm sind die kleinen Mi­ niaturen mit den Evangelisen­Porträts und die Passion einschließlich des Judaskusses zuzuschreiben; ebenso sammen die kleinen Marienbilder und die ebenfalls kleinforma­ tigen Miniaturen zu den Sufragien von seiner Hand. Ein Problem sellen die 19 großen Miniaturen dar: Sie sammen von einem Maler, der sich weder während all unserer Erkundungen der letzten 35 Jahre noch in den Fortschrit­ ten der wissenschaftlichen Handschriftenkunde ausfindig machen ließ. Zwar trif t man bei ihm auf Anklänge an die Meiser der Philippa von Geldern und von Martainville, dazu Pichore, Coene, Poncher­Meiser u. a. – wie man überhaupt bei seinen Bildern

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von ei­nem Re­sumé der Pa­ri­ser Buch­ma­le­rei um 1500 spre­chen könn­te, so­zu­sa­gen ein Strauß in ei­ner Blu­me, aber die ent­schei­den­den Cha­rak­te­ris­ti­ka ge­hö­ren ihm al­lein. Von die­sen sei­en hier nur die be­son­ders ins Auge fal­len­de Vor­lie­be für den nack­ten mensch­ li­chen Kör­per an­ge­führt, und da­bei vor al­lem den weib­li­chen Akt mit sei­nen ana­to­mi­ schen Ge­ge­ben­hei­ten in lie­be­vol­ler Prä­zi­si­on: Ver­gli­chen mit der Eva des Li­mbo-Bil­des ist die ge­fei­er­te Bath­seba Bour­dic­hons im zer­schnit­te­nen Stun­den­buch für Lud­wig XII . ein Mus­ter künst­le­ri­scher De­zenz. Wer sich in un­se­rem Cailh­ava-Bröle­mann-Ma­nus­kript die Er­schaf­f ung der Eva, die Ver­trei­bung aus dem Pa­ra­dies (ge­ra­de­zu ko­kett kon­ fron­tiert mit der Ver­kün­di­gung) vor al­lem auch die Li­mbo-Dar­stel­lung und na­tür­lich die Bath­seba (mit Scham­be­haa­rung – was kunst­his­to­risch bis­lang als völ­lig un­denk­bar hin­ge­stellt wur­de) an­ge­le­gen sein läßt, wird un­se­rer Be­ur­tei­lung des Ma­lers als ei­ner ganz ei­ge­nen Ge­stalt in der Buch­ma­le­rei zu­stim­men. Am nächs­ten kom­men ihm noch il­lu­mi­nier­te Me­tall- oder Holz­schnit­te in Per­ga­ment­dru­cken, wie z. B. der Perc­eval von Gall­iot du Pré 1528, ver­glei­che den Ka­ta­log Franc­ois Ier, Chan­tilly 2015, Nr. 146, oder aber der spät an­set­zen­de Meis­ter des Ni­co­las le Conte, ver­glei­che Orth I, Abb. 224 und comp. Ill. 29, dazu den Ein­zug in Je­ru­sa­lem in wei­land Bres­lau­ers Samm­lung, s. Aus­ stel­lungs­ka­ta­log N. Y. 1994, Nr. 12. Sehr interessant zu vergleichen ist das Manuskript Borghese 183 der Vaticana, im Aufbau, Layout (ebenfalls zwei Monate auf einer Seite im Kalender) und in der Größe sehr ähnlich, wohl ganz vom Philippa-Meister gestaltet, außer der Hiobs-Miniatur, die eventuell von unserem anonymen Hauptmaler stammt (vgl. Morello 1988, Abb. 30!). An der Er­kennt­nis, daß wir vor ei­nem auf kür­ze­re Sicht un­auf­lös­ba­ren Rät­sel ste­hen, führt all das nicht vor­bei: Soll­ten wir ihn nicht den Cailh­ava-Bröle­mann-Meis­ter nen­nen? Mit 124 Bil­dern, da­run­ter 19 gro­ßen Mi­ni­a­tu­ren ist die­ses Pa­ri­ser Stun­den­buch ein ein­drucks­vol­les Bei­spiel für die Kunst drei­er Buch­ma­ler, die auch an der Il­lu­mi­nie­ rung von ge­druck­ten Stun­den­bü­chern be­tei­ligt wa­ren: Ge­gen­sei­tig stützt sich da­mit die Lo­ka­li­sie­rung aller Buch­ma­ler in Pa­ris: Der Meis­t er der Phili­ppa von Gel­dern, den man lan­ge für Rou­en in An­spruch ge­nom­men hat, steht so ne­ben ei­nem Il­lu­mi­ na­tor, der im­mer­hin für Étienne Pon­cher, den 1525 ver­stor­be­nen Bi­schof von Pa­ ris, ge­ar­bei­tet hat. Hin­zu kommt ein enig­ma­ti­scher Künst­ler, der hier alle gro­ßen Mi­ni­a­tu­ren ver­ant­wor­tet und auf dem Ge­biet der Akt­dar­stel­lung Bahn­bre­chen­des leis­t et. Reich­tum des De­kors, strah­len­de Frei­heit des künst­le­ri­schen Aus­drucks und über­bord­en­de Bil­der­zahl cha­rak­te­ri­sie­ren die­ses Ma­nus­kript, das zu­gleich zu je­nen Stun­den­bü­chern des frü­hen 16. Jahr­hun­derts ge­hört, die mit klei­ner Schrift bei ho­ her Zei­len­zahl er­laub­ten, mög­lichst vie­le Tex­te in schma­len Bän­den un­ter­zu­brin­ gen. Als be­son­de­ren Reiz bie­tet die­se Hand­schrift ne­ben den mo­nu­men­ta­len ganz­ sei­ti­gen Mi­ni­a­tu­ren eine über­ra­schen­de Fol­ge von Rand­bil­dern aus dem Be­reich der Tier­fabel, wie sie sonst we­der in Hand­schrif­ten noch Früh­dru­cken zu fin­den ist. Li­te­ra­tur Das Ma­nus­kript ist bis­her nicht pub­li­ziert.

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60 Ein Stun­den­buch, von Éti­enne Col­aud und dem Meis­ter des d’Urfé-Psal­ters gestaltet


Stun­den­buch. Horae B. M. V. für den Ge­brauch von Pa­ris. La­tei­ni­sche und fran­zö­si­sche Hand­schrift auf Per­ga­ment, Rub­ri­ken in Rot und Blau, mit ei­ nem Ka­len­der in Schwarz, ge­schrie­ben in brau­ner Bast­arda. Pa­ris (der Buch­block viel­leicht schon im 15. Jahr­hun­dert an­ge­legt), um 1505–1510: Eti­enne Col­aud und der Meis­ter des d’Urfé-Psal­ters 40 Bil­der: 17 gro­ße Mi­ni­a­tu­ren mit Text­strei­fen, die meist als Trompe l’œil ge­stal­tet und mit drei-, sel­te­ner vierz­ei­li­gen blau mo­del­lier­ten wei­ßen Akant­hus­buch­sta­ben auf Pin­sel­ gold­grund mit Blü­ten aus­ge­stat­tet sind; 15 da­von ge­rahmt von Ar­chi­tek­tur­bor­dü­ren in Pin­sel­gold in der Art ita­li­e­ni­scher Re­nais­sance­rah­men, zwei in tra­di­ti­o­nel­len Bor­dü­ren, eine da­von mit Dorn­blatt-Ini­ti­a­le; 23 Klein­bil­der, die wie jede bild­lo­se Text­sei­te mit ei­nem Bor­dü­ren­strei­fen au­ßen ver­se­hen und mit bun­ten Akant­hus­ran­ken, Blü­ten­stie­len, ge­le­ gent­lich Gro­tes­ken­schmuck, Tie­ren und In­sek­ten auf Pin­sel­gold­grund aus­ge­stat­tet ist; in Hin­zu­fü­gun­gen vierz­ei­li­ge Ini­ti­a­len in Pin­sel­gold auf di­a­go­nal ge­teil­ten Flä­chen aus Rot und Blau; ein- und zweiz­ei­li­ge Ini­ti­a­len in Pin­sel­gold auf ro­ten oder blau­en Flä­chen; Zei­len­fül­ler der­sel­ben Art im Wech­sel mit gol­de­nen Kno­ten­stö­cken. Ver­sa­li­en gelb la­viert. 122 Blatt Per­ga­ment, vor­ne 2 alte reg­lierte Vor­sät­ze aus Per­ga­ment, dazu je ein flie­gen­des Vor­satz aus Pa­pier vor­ne und hin­ten. Ge­bun­den in La­gen zu acht Blatt, da­von ab­wei­chend die Kal­end­er­la­gen 1–2(6) und 15(4). Ohne die ge­wohn­te Zä­sur vor den Buß­psal­men und mit eher zu­fäl­lig sich er­ge­ben­den La­gen­wech­seln vor dem Ma­rien­of­fi­zi­um, dem To­ten­of­fi­zi­um, den Ma­rien­ge­be­ten, die man des­halb auch vor das Ma­rien­of­fi­zi­um hät­te stel­len kön­nen, und den Suf­fra­gien; die Ma­rien­ge­be­te zur Pas­si­on am Ende in der wohl wäh­rend der Ar­beit hin­zu­ge­ füg­ten Lage 16(8); kei­ne Rekl­aman­ten. Rot reg­liert zu 25, im Ka­len­der zu 20 Zei­len. Ok­tav (172 x 122 mm, Text­spie­gel 119 x 78 mm). Voll­stän­dig und sehr gut er­hal­ten. Ro­ter fran­zö­si­scher Ma­ro­quin-Ein­band des frü­hen 17. Jahr­hun­derts à la Du Seu­il, mit reich ver­gol­de­tem Rü­cken auf fünf Bünde, De­ckel mit dop­pel­ter File­ten­rah­mung und ein­ge­stell­tem Hoch­recht­eck in Dop­pel­file­ten mit Eck­fleu­rons, Steh- und In­nen­kan­ten­ver­gol­dung, Mar­mor­ pa­pier­vor­sät­zen, Gold­schnitt. Pro­ve­ni­enz: Ge­gen­über der Dar­brin­gungs­mi­ni­a­tur fin­det sich am Fuß von fol. 44v fol­gen­der Ein­trag des 16. Jahr­hun­derts: „En Temps Deu“(=Ent­endu?), also „zu ge­ge­be­ner Zeit“. Ex­lib­ris des 19. Jahr­hun­derts mit Mo­no­gramm A A M (?) und De­vi­se „Sine ang­ulis an­gulo“. Der Text fol. 1: Ka­len­der, nicht je­der Tag be­setzt, Hei­li­gen­ta­ge in Schwarz, Fest­ta­ge in Rot, Gol­ de­ne Zahl in Rot, Sonn­tags­buch­sta­be A in Rot, Sonn­tags­buch­sta­ben b-g in Schwarz, Rö­mi­sche Ta­ges­zäh­lung in Rot; Pa­ri­ser Hei­li­gen­aus­wahl. Mit je­weils vier fran­zö­si­schen Merk­ver­sen für die Hei­li­gen­fol­ge am Ende ei­nes je­den Mo­nats.

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fol. 13: Perik­open: Jo­han­nes als Suf­fra­gium (fol. 13), Lu­kas (fol. 13v), Mat­thä­us (fol. 14), Mar­kus (fol. 16); Jo­han­nes­pas­si­on (Be­ginn auf ei­nem fehl­ge­bun­de­nen Blatt fol. 15 und dann von fol. 17 an bruch­los voll­stän­dig). fol. 21: Ma­rien­of ­fi­zi­um für den Ge­brauch von Pa­ris, von ei­ner Rub­rik auf fol. 20v ein­ge­ lei­tet: Matu­tin (fol. 21), Lau­des (fol. 31v), Prim (fol. 37), Terz (fol. 40), Sext (fol. 42v), Non (fol. 45), Ves­per (fol. 47v), Komp­let (fol. 51). fol. 54v: Buß­psal­men, mit Li­ta­nei (fol. 60), da­run­ter Pa­ri­ser Hei­li­ge wie Di­o­ny­si­us, Ger­ vasius und Prot­hasius. fol. 64: Ho­ren von Hei­lig Kreuz (fol. 64), von Hei­lig Geist (fol. 66v). fol. 69: To­ten­of ­fi­zi­um: Ves­per (fol. 69), Matu­tin (nicht her­vor­ge­ho­ben: fol. 73), Lau­des (mit ei­ner Rub­rik: fol. 84). fol. 93: Ma­rien­ge­bet: Obse­cro te, für ei­nen Mann re­di­giert, ge­folgt von ei­nem Ge­bet an den Erz­en­gel Mi­cha­el (fol. 95) und den Ma­rien­ge­be­ten Ave glo­ri­os­iss­ima dei geni­trix (fol. 95) und Vir­go ma­ria ma­ter dei (fol. 96). fol. 97: Her­ren­ge­be­te zum Fron­leich­nams­fest. fol. 101: Suf­fra­gien: Tri­ni­tät (fol. 101), Mi­cha­el (fol. 102v), Pet­rus und Pau­lus (fol. 103), Se­bas­t i­an (fol. 103), An­to­ni­us (fol. 103v), Ro­chus (fol. 104), Ma­ria (fol. 104v), Jo­han­nes der Täu­fer (fol. 105), Jo­han­nes der Evan­ge­list (fol. 105), Jako­bus (fol. 105v), Lau­ren­ti­us (fol. 106), Steph­a­nus (fol. 106), Di­o­ny­si­us (fol. 106v), Chris­t opho­rus (fol. 107), Eus­tachius (fol. 108), Clau­di­us (fol. 108v), Ni­ko­laus (fol. 109), Ma­tur­inus (fol. 109v), Mar­tin (fol. 110), Mag­da­le­na (fol. 110), Ka­tha­ri­na (fol. 110v), Bar­ba­ra (fol. 111), Gen­ovefa (fol. 111v), Sal­ve sanc­ta fac­ies (fol. 112). fol. 113: Ma­rien­ge­bet zur Pas­si­on Chris­ti (ohne Rub­rik): Pleur­ant Ma­rie avec sa comp­aigne;, ge­folgt von wei­te­ren fran­zö­si­schen Ma­rien­ge­be­ten Glo­rie­use vie­r­ge pu­cel­le (fol. 114v), Plus ha­ult ro­cher (fol. 119). fol. 120: Texten­de. Schrift und Schrift­de­kor Das Buch ist in ei­ner Bast­arda ge­schrie­ben, wie sie in der zwei­ten Hälf­te des 15. Jahr­hun­ derts üb­lich war. Der Schrei­ber hat eine ge­wis­se Ten­denz zur Aus­zie­rung sei­ner Schrift, läßt zu­wei­len in den Suf­fra­gien Zei­len da­für frei, hat aber nir­gend­wo Platz für Ka­del­ len. Viel­leicht blieb das Ma­nus­kript un­be­ar­bei­tet lie­gen, bis man es im frü­hen 16. Jahr­ hun­dert in der Werk­statt von Étienne Col­aud de­ko­rie­ren und be­bil­dern ließ. Das legt die Bild­form der Mi­ni­a­tur zu den Buß­psal­men, die mit ein­ge­zo­ge­nem Boge­nab­schluß von ei­ner tra­di­ti­o­nel­len Bor­dü­re um­ge­ben ist, eben­so nahe wie die Dorn­blatt-Ini­ti­a­le zu den Ma­ri­en-Lau­des. Die wohl als Nach­trag zu ver­ste­hen­de letz­te Lage wird aber be­reits vom ers­ten Schrei­ber ge­schrie­ben sein.

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Mit Ausnahme der Bordüren zu den beiden abweichenden Bildseiten und der DornblattInitiale zur Heimsuchung dürften die gemalten Elemente hingegen ers aus der Zeit sammen, als man sich daran machte, das Buch nach dem Renaissance-Geschmack des frühen 16. Jahrhunderts zu vollenden. Dabei hat man die Textseiten mit traditionellen Bordürensreifen außen versehen, die nur an den vertikalen Rändern mit harten schwarzen Konturen begrenzt sind. Die kleinen Initialen verraten ebenso wie die Zeilenfüller, bei denen sich rote und blaue Flächen mit dem goldenen Knotensock abwechseln, Standard der Zeit um 1510; dazu gehören auch die größeren Initialen, die im Buchblock meis vierzeilig den Buchsabenkörper als weißen Akanthus blau modellieren und auf goldene Flächen mit Blüten sellen. Abweichend finden sich in den Hinzufügungen vierzeilige Initialen in Pinselgold auf diagonal geteilten Flächen aus Rot und Blau. Am Ende des Bandes wurde ein Bild der Kreuztragung ofenbar ers nachträglich eingesetzt; der Bordürensreifen außen war bereits mit Pinselgoldgrund ausgeführt; deshalb hat man diesen Dekor oben und unten einfach mit Kreissegmenten abgeschnitten und auf ungewöhnliche Weise zu einer breiten Säule umgewidmet; denn das zusätzliche Bild im Resfeld unter vier Zeilen Textende brauchte eine rahmende Architektur. Bildfolge Die Perikopen werden von neun- bis elfzeiligen Kleinbildern eröfnet, sie zeigen ganzfigurig Johannes auf Patmos: Auf einem schrofen Felsen hat sich links der Adler niedergelassen; zu der winzigen Erscheinung des Apokalyptischen Weibes auf der Mondsichel, das gekleidet is in die Sonne, schaut der jugendliche Evangelis auf (fol. 13). Lukas als Madonnenmaler (fol. 13v) sitzt in einem engen Raum vor einer Stafelei mit recht kleinem, noch ganz leerem Bild; die Jungfrau mit Kind is ihm erschienen und sitzt nun ungemein raumgreifend in einer Mandorla rechts. Nicht zum Incipit, das auf fol. 14 nur die letzten beiden Zeilen ausmacht, sondern auf fol. 14v hält der Engel ein Buch zur Inspiration von Matthäus an seinem Schreibpult. Das Gebet Chrisi auf dem Ölberg (fol. 15) schiebt sich als große Kopfminiatur zum Beginn der Johannesassion zwischen die Evangelisenporträts: Während die Jünger im Vordergrund schlafen und der HE rr auf dem Ölberg zu einem in blauem Camaïeu erscheinenden winzigen Engel betet, der mit dem Kreuz im Himmel erscheint, bahnen sich im Hintergrund bereits die Schergen mit Judas den Weg in den Garten. Hinter dem Stadttor erheben sich Gebirge im Blau der Ferne, vielleicht schneebedeckt. Ers danach folgt die Markuserikope, die von einem elfzeiligen Bild des Evangelisen Markus in seiner Schreibsube eingeleitet wird (fol. 16). Links vorn, zu seinen Füßen liegt der Löwe; rechts oben is ein roter Vorhang zurückgezogen, der eher das Bild enthüllt, als daß er zu einem Baldachin gehören könnte. Das Marienoffizium beginnt wie gewohnt mit einer prächtigen Verkündigung Mariä zur Matutin (fol. 21): Links fluchtet die Seitenwand mit bunten Steinsiegeln im Renaissance-Dekor nach hinten; dort öfnet sich der Raum und gibt den Blick frei auf einen ummauerten Garten als Symbol der Jungfrau, ohne einen Baum, der die Assoziation zu Eva erlauben würde. Von links kniet der Engel in einer antikisierenden Version

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des Diakonsgewandes, dessen Oberteil gegürtet is, und reckt die Linke so weit hoch, daß sie geradezu die goldene Gloriole um die Taube des Heiligen Geises berührt. Unter einem runden zeltartigen Baldachin is Maria an ihrem Betpult niedergekniet und wendet sich sacht um. Bei der Heimsuchung zur Laudes (fol. 31v) treten Maria und Elisabeth nicht allein auf: Maria wird von Joseph begleitet, während ihre Base Elisabeth hier als gutsituierte verheiratete Frau erscheint, die eine Dienerin bei sich hat. Behutsam legt die Alte ihre Hand auf den gesegneten Leib der Jungfrau. Vom Haus des Zacharias is nichts zu sehen; goldene Strahlen weisen von rechts oben zu Maria. Die Miniatur is ein echtes Kopf bild in einem bescheidenen Architekturrahmen innerhalb des Textsiegels, der mit harten Konturen gegen den mit Pinselgold gemalten Grund der Bordüre abgesetzt is. Zur Prim gehört die Anbetung des Kindes (fol. 37), die von Architektur ohne Bordüre gerahmt is. Der verfallene Palas Davids, der in der Pariser Buchmalerei selten assoziiert wird, erhebt sich wie eine Burgruine in der Mitte zwischen dem Blick auf Hügel und Ferne links und dem Giebel des Stalls rechts. Im Morgengrauen kniet links Joseph, von zwei Engeln in weißen Gewändern flankiert; größer als er ragt die Jungfrau Maria unter dem Giebel auf; die hat das nackte Jesuskind auf den Saum ihres blauen Mantels gebettet, unter dem sie selbs ein weißes Gewand trägt. Wieder von Architektur gerahmt is die Hirtenverkündigung zur Terz (fol. 40): Links führen grüne Hügel hinab zur Ebene, in der sich die Schaf herde drängt; rechts seigen schrofe Felsen auf; vorn seht ein Hirte links, ein zweiter hockt rechts auf dem Boden. Zwischen den beiden liegt der Hirtenhund ruhig schlafend zusammengerollt. Hinter der Herde im Mittelgrund taucht ein dritter, bereits ein wenig dunkel abgetönt, auf. Im Himmel erscheint, als Ganzfigur verkürzt, ein in rote Tunika gehüllter Engel und simmt das Gloria in excelsis an. Von ihm gehen alternierend gerade und geflammte Goldsrahlen aus. Seitenverkehrt werden Stall und Ruine aus dem Weihnachtsbild für die Anbetung der Könige zur Sext (fol. 42v) wiederholt. Während die Gottesmutter würdig unter dem Dach des Stalls mit dem nackten Sohn auf ihrem Schoß Platz genommen hat und von Joseph begleitet wird, der ebenso wie sie einen fas schwarzen Schatten auf die Seitenwand des Stalls wirft, drängen von rechts die Könige ins Bild. Der ältese hat seine Krone bereits zur Seite gelegt und reicht dem Knaben seine Gabe dar, während die beiden jüngeren in recht alter Tradition miteinander srechen; über dem mittleren erscheint ein Licht, der Stern von Bethlehem oder göttliches Zeichen, das goldene Strahlen zu Maria sendet. Bei der Darbringung im Tempel zur Non (fol. 45) sind Maria und Joseph mit dem Taubenkörbchen gemeinsam mit der Kerzenträgerin von links gekommen und vor dem großen Altartisch niedergekniet, der von rechts schräg ins Bild ragt. Hinter dem Altar seht Simeon. Ein Akolyth mit Buch beobachtet die Szene von einem in die Tiefe zurückgesetzten Baldachin aus, der Prieser hat den Knaben bereits mit von einem Tuch verhüllten Händen entgegengenommen. Mariens Gewand is hier von kleinen goldenen Blumen übersät, die an Sterne erinnern mögen.

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Zur Ves­per ge­hört die Flucht nach Ägyp­ten (fol. 47v): Nach links, auf Ver­so also aus dem Buch he­raus zieht ein nun plötz­lich ju­gend­li­cher Jo­seph den Esel über den stei­ni­ gen Weg. Lan­ge blon­de Lo­cken fal­len über die Schul­tern der Got­tes­mut­ter, die spie­le­ risch den nack­ten Kna­ben an sich drückt. Von der Ge­fahr ist in die­ser lieb­li­chen Sze­ne in ei­ner Land­schaft, die von schrof­fen Fel­sen rechts zu sanft an­stei­gen­den Hü­geln links führt, nichts zu spü­ren. Für die Ma­rien­krö­nung zur Komp­let ist im Him­mel kein Thron vor­ge­se­hen (fol. 51). Gott in Ge­stalt des Va­ters, mit wei­ßem Bart, Ti­a­ra und Spha­ira, steht auf Wol­ken und seg­net die kni­en­de Mut­ter­got­tes, wäh­rend zwei En­gel ihr die Kro­ne auf das Haupt set­ zen. Die Wol­ken ha­ben sich ge­öff­net und er­lau­ben ei­nen Blick in die leuch­ten­den himm­ li­schen Sphä­ren. Die Buß­psal­men er­öff­nen wie im ers­ten Stun­den­buch des Anne de Mont­morency (Nr. 64) mit Da­vids Buße (fol. 54v) – zu ei­ner Zeit, da, wie auch un­ser Ka­ta­log zeigt, Bath­ seba im Bade das Haupt­the­ma für die­sen Text ge­wor­den war – und in ei­nem Lay­out mit Bor­dü­re, das weit ins 15. Jahr­hun­dert zu­rück­weist. Wie in der Rou­enna­iser Buch­ ma­le­rei üb­lich, ist Da­vids Pa­last der Schau­platz; un­ge­wöhn­lich auch dort ist al­ler­dings die Kenn­zeich­nung des Raums als Schlaf­ge­mach, von dem der reu­ig kni­en­de Greis zum feu­ri­gen En­gel auf­blickt, der ihn vor die Wahl zwi­schen Schwert und har­pu­nen­haf­tem Speer stellt. Zur Kreu­zi­gung (fol. 64), die die Hei­lig-Kreuz-Ho­ren er­öff­net, ist das Kreuz in ei­ner fel­si­gen Land­schaft ohne jede mensch­li­che Be­hau­sung vor dräu­end blau­em Him­mel auf­ ge­rich­tet. Ma­ria in Blau und Jo­han­nes in Rot be­ten zum Er­lö­ser, wäh­rend Ma­ria Mag­ da­le­na kost­bar ge­klei­det den Kreuz­stamm und die Füße Chris­ti um­schlingt. Zu den Hei­lig-Geist-Ho­ren ha­ben sich die Apos­tel und Ma­ria für die Ausg­ießung des Hei­li­gen Geis­tes (fol. 66v) in ei­nem Kir­chen­raum ver­sam­melt. Im Kreis, des­sen Mit­te für die Mut­ter­got­tes vor­ge­se­hen ist, kni­en sie, steil auf­ge­rich­tet, und bli­cken be­tend hoch zur Tau­be des Hei­li­gen Geis­tes, von der dich­te gol­de­ne Strah­len aus­ge­hen. Vorn rechts sind Pet­rus und Jo­han­nes zu er­ken­nen. Hiob auf dem Dung (fol. 69), der sich vor ei­ner Scheu­ne links nie­der­ge­las­sen hat und von zwei Freun­den be­sucht wird, er­öff­net die To­ten­ves­per. Zum Ma­rien­ge­bet Obse­cro te er­scheint in ei­ner pracht­vol­len Mi­ni­a­tur ma­jes­tä­tisch die Mond­si­chel­ma­don­na (fol. 93) in ei­nem ova­len Strah­len­kranz, wie eine fla­che Skulp­tur, von zwei En­geln, die auf den Spit­zen der sehr gro­ßen Mond­si­chel zu schwe­ben schei­nen, ge­hal­ten und gleich­zei­tig von zwei wei­te­ren be­krönt. Dem Suf­fra­gium der Tri­ni­tät wird in ei­nem durch sie­ben Zei­len Inci­pit ein­ge­schränk­ ten und da­durch recht breit ge­ra­te­nen Bild­feld eine fei­er­li­che Ins­ze­nie­rung des Gna­den­ stuhls (fol. 101) vo­ran­ge­stellt. Un­ter ei­nem Bal­da­chin thront Gott­va­ter mit ei­ner Kai­ser­ kro­ne, die wie in der Ent­ste­hungs­zeit aus dem welt­li­chen Kron­reif mit ei­ner zent­ra­len Mit­ra be­steht, brei­tet die Arme aus und prä­sen­tiert das Kru­zi­fix, über dem die Tau­be

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des Heiligen Geises schwebt. Zwei Engel haben den Baldachin aufgetan, der vor einer leuchtenden Aureole hinter den geöfneten Wolkenbahnen erscheint. Die daran anschließenden Sufragien erhalten keineswegs nur meis elf Zeilen hohe Kleinbilder, sondern in Einzelfällen auch Kopf bilder; wie bei den Evangelisen-Porträts sind die Darsellungen ganzfigurig angelegt; sie sellen meis die Hauptfigur in die Landschaft, seltener in Interieurs, und fügen, wo nötig, weitere Gesalten hinzu: Michael besiegt den Drachen (fol. 102v), Petrus und Paulus (fol. 103), Pfeilmarter Sebasians mit einem Peiniger (fol. 103), Rochus mit Engel und Hund (fol. 104), Johannes der Täufer mit dem Lamm (fol. 105), Johannes der Evangelis mit dem Kelch (fol. 105), Jakobus als Pilger (fol. 105v), Laurentius mit dem Ros (fol. 106), Steinigung des Stephanus mit zwei Peinigern zu den Seiten (fol. 106), Dionysius beim Gang mit dem abgeschlagenen Kopf von zwei Engeln begleitet (fol. 106v). Ein Kopf bild hebt Chrisophorus (fol. 107) hervor, der das Chrisuskind zwischen zwei seilen Felsen durch das Wasser trägt. Wieder nur in einem Kleinbild wird Eusachius gezeigt, der beim Überqueren eines Flusses erleben muß, wie eines seiner zwei Kinder von einem Wolf und das andere von einem Löwen geraubt wird (fol. 108). Noch einmal ein Kopf bild wird Claudius, dem Lokalheiligen des Jura (fol. 108v) zugesanden, er thront als Bischof ohne Attribute. Für die reslichen Sufragien genügen dann Kleinbilder: Nikolaus mit den drei Jünglingen im Bottich (fol. 109), Maturinus, der eine Besessene heilt (fol. 109v), Martin, der seinen Mantel mit einem Bettler teilt (fol. 110), Maria Magdalena mit Salbgefäß als Einsiedlerin vor dem Felsen von La Sainte Baume (fol. 110), Katharina mit Fragmenten des Rades und dem Schwert (fol. 110v), Barbara mit dem Turm (fol. 111), Genovefa, um deren Kerze Engel und Teufel sreiten (fol. 111v), in voller Breite des Textsiegels, nur sieben Zeilen hoch am Seitenende über einer einzeiligen Rubrik, wohl weil Miniatur und Text ers am Ende der Arbeit hinzugekommen sind: das Schweißtuch Chrisi zum Gebet Salve Sanca facies (fol. 111v) nicht von der heiligen Veronika, sondern von zwei Engeln präsentiert. fol. 112v: zum Mariengebet zur Passion Chrisi nach vier Zeilen Textende die Kreuztragung Chrisi: Wie zu Beginn des 15. Jahrhunderts gewohnt, hat der Zug der Soldaten mit Chrisus, Maria und Johannes das Stadttor links verlassen; das Kreuz wird wie noch beim Bedford-Meiser mit dem Stamm voraus getragen. Doch wird nicht nur radikale Isokephalie bei den Helmen der Soldaten vor bildparalleler Stadtmauer eingeführt; ersaunlicher noch is der Weg, der dann begangen werden soll: Rechts hinten sind Stufen einer Treppe in den Berg geschlagen; sie führen ofenbar hinauf nach Golgatha, einer Kuppe über seilen Felsen, auf deren Wiese bereits die beiden Schächerkreuze sehen. Zum Stil Während bei Marien-Laudes und den Bußpsalmen Bordüren und eine Dornblatt-Initiale von einem vorausgehenden Versuch zeugen, das Buch künslerisch auszusatten, erweis es sich in den wichtigen großen Miniaturen als eine einheitliche Arbeit aus dem Atelier von Étienne Colaud, dessen Œuvre von Handschriften der Statuten des Michaelsordens für Franz I. aus besimmt wurde, die um 1527 entsanden sind. Die erhalte-

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nen Ma­nus­krip­te die­ses Werk­komp­le­xes sind je­doch so di­vers, daß sich da­raus kein Stil ei­ner be­stimm­ten Hand ab­le­sen läßt. Das ist eher mög­lich durch ein erst kürz­lich auf­ge­ tauch­tes Stun­den­buch in Pri­vat­be­sitz, das Col­aud 1513 sig­niert hat. Da­mit rückt auch die Tä­tig­keit des Ma­lers zu­min­dest bis in die Jah­re um 1510 zu­rück. So läßt sich un­ser Stun­den­buch mit sei­nen recht gra­phisch be­grif­fe­nen Bil­dern in eben­so strikt gra­phisch ge­stal­te­ten Re­nais­sance-Rah­men als ein frü­hes Werk von Étienne Col­aud be­grei­fen, das er in der Zeit um 1505–1508 be­gon­nen hat. Eine Rei­he von gro­ßen und die klei­ne­ ren Mi­ni­a­tu­ren am Ende (Heim­su­chung, Dar­brin­gung, Flucht nach Ägyp­ten, Ma­rien­ krö­nung, Hiob, Mond­si­chel-Ma­don­na, Gna­den­stuhl) so­wie die Suf­fra­gien-Klein­bil­der und die Kreuz­tra­gung stam­men von ei­ner zwei­ten, durch­aus kon­ge­ni­a­len Hand, die wir hier nach ei­nem Psal­ter der alt­be­rühm­ten Fa­mi­lie d’Urfé nen­nen (be­gin­nend mit Pi­erre d’Urfé, der schon 1508 starb und sich ge­gen Ende sei­nes Le­bens im ge­nann­ten Ma­nus­kript mit Na­mens­ein­trag ver­e­wig­te, da­nach noch für Ge­ne­ra­ti­o­nen be­zeugt im Be­sitz die­ser Adels­fa­mi­lie): Zu­erst in Pa­ris am 22.1.1996 als Nr. 2 der Ta­jan-Auk­ti­on ver­stei­ gert, taucht er, mit na­he­zu iden­ti­scher er­schöp­fen­der Be­schrei­bung in ei­ner Pa­ri­ser Auk­ ti­on am 21.11.2001 wie­der auf; Nr. 56: ca. 500.000,- Francs, dort Um­schlag­ab­bil­dung: mit 30 Jah­re zu früh an­ge­setz­ter Da­tie­rung und ir­ri­ger Lo­ka­li­sie­rung. Ein voll­stän­dig er­hal­te­nes Stun­den­buch, das viel­leicht schon im spä­ten 15. Jahr­hun­ dert von ei­nem Pa­ri­ser Schrei­ber nach lo­ka­lem Brauch an­ge­legt und be­reits durch un­ge­wöhn­li­che Tex­te er­gänzt wur­de, aber kaum, daß es in die Hän­de von Buch­ma­ lern ge­ra­ten war, un­be­ar­bei­tet blieb. Erst um 1505–1510 ge­lang­te das Buch in die Werk­statt des sehr ver­dien­ten Étienne Col­aud; die Mi­ni­a­tu­ren ge­hö­ren zu den frü­ hes­t en Ar­bei­ten die­ses im Pa­ri­ser Buch­we­sen of­fen­bar hoch an­ge­se­he­nen Künst­ lers, der auch als Buch­händ­ler ar­bei­te­te. Er­gänzt wur­de er bei ei­ner Rei­he von gro­ ßen und der Mehr­zahl der klei­ne­ren Mi­ni­a­tu­ren durch ei­nen aus dem Psal­ter des Phi­lip­pe d’Urfé be­kann­ten, sehr be­gab­ten Meis­ter, den wir hier nach die­sem Ma­nus­kript be­nen­nen wol­len. Li­te­ra­tur Das Ma­nus­kript ist bis­her nicht pub­li­ziert. Zu Col­aud liegt jetzt die post­hum er­schie­ ne­ne Mo­no­gra­phie von Ma­rie-Blan­che Cous­seau aus dem Jah­re 2016 vor, in der lei­der – durch den un­zei­ti­gen Tod der Ver­fas­se­rin – die Fra­gen der Zu­schrei­bung kei­ner end­ gül­ti­gen Klä­rung zu­ge­führt wer­den.

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61 Ein Stun­den­buch mit 99 Bil­dern von Éti­enne Col­aud und seinem Atelier


Stun­den­buch. Horae B. M. V. für den Ge­brauch von Pa­ris. La­tei­ni­sche Hand­schrift auf Per­ga­ment, Rub­ri­ken in La­tein und Fran­zö­sisch in Rot, mit ei­ nem Ka­len­der in Schwarz, Blau und Rot, in schwar­zer Bast­arda. Pa­ris, um 1515–1520: Éti­enne Col­aud und der „Hauptmaler der Statuten des Sankt Michaels-Ordens” 99 Bil­der: 20 gro­ße Mi­ni­a­tu­ren über un­ter­schied­lich lan­gen Inci­pits, eine rei­che Fol­ ge von 49 Klein­bil­dern mit Hei­li­gen und Sze­nen aus der Heils­ge­schich­te, 6 gro­ße his­to­ ri­sier­te Ini­ti­a­len so­wie 24 Ka­len­der­mi­ni­a­tu­ren, alle mit ein­fa­cher gol­de­ner Rah­mung; der ge­sam­te Text bis auf die letz­te Sei­te mit vier­sei­ti­ger Gold­grund­bor­dü­re und bun­ten Akant­hus­ran­ken, Streu­blu­men, Vö­geln und Gro­tes­ken, ge­le­gent­lich auf Bo­den­strei­fen; dreiz­ei­li­ge Ini­ti­a­len in Blau mit wei­ßem Ban­de­ro­len­de­kor auf ro­ten, in­nen gol­de­nen Grün­ den, Pflan­zen und Blu­men­mo­ti­ve auf Dorn­blatt­rest um­schlie­ßend, und in gol­de­nen Fes­t ons auf blau­em Grund mit wei­ßem Li­ni­en­de­kor; ein- und zweiz­ei­li­ge Ini­ti­a­len in Pin­sel­gold auf Rot oder Blau mit gol­de­nem Li­ni­en­de­kor; Zei­len­fül­ler in glei­cher Art. Ver­sa­li­en gelb la­viert. 148 Blatt Per­ga­ment, vor­ne und hin­ten je 2 flie­gen­de Vor­sät­ze aus al­tem Per­ga­ment. Ge­bun­den in La­gen zu acht Blatt, da­von ab­wei­chend die Ka­len­der­la­ge 1 (6) so­wie die La­gen 3(6), 4(8+1, das 9. Blatt hin­zu­ge­fügt) und die End­la­ge 19(8-1, das letz­te Blatt ohne Text­ver­lust ent­fernt). Wie­der ist auf eine Zä­sur vor den Buß­psal­men ver­zich­tet. We­ni­ge ho­ri­zon­ta­le Rekl­aman­ten. Rot reg­liert zu 24, im Ka­len­der zwei­spal­tig zu 17 Zei­len, mo­der­ne lü­cken­haf­te Blei­stift­fo­li­ie­ rung links oben. Kom­plett, vom Buch­bin­der nur im Ka­len­der et­was ge­trimmt, nir­gend­wo sonst sind die Bor­ dü­ren ver­sehrt. Ok­tav (183 x 126 mm, Text­spie­gel 146 x 84 mm). Al­ter oliv­grü­ner Samt auf glat­ten Rü­cken, eine ver­gol­de­te Schlie­ße. Auf fol. 129v wird statt des im Suf­fra­gium an­ge­ru­fe­nen Kai­sers Karl des Gro­ßen eine Frau im Ge­bet ge­zeigt, viel­leicht han­delt es sich hier um eine Char­lot­te oder die schwarz ge­klei­de­te Wit­we ei­nes ver­stor­be­nen Charles. Ganz und gar un­ge­wöhn­lich im Zuge die­ser Per­so­na­li­sie­ rung sind die fünf Ma­rien­ge­be­te, in de­nen die Be­te­rin, an­ders ge­klei­det, noch ein­mal ge­zeigt wird (fol. 136). Kei­ne wei­te­ren Hin­wei­se auf Auf­trag­ge­ber und frü­he­re Be­sit­zer. Der Text fol. 1: Ka­len­der in La­tein, nicht je­der Tag be­setzt, Hei­li­gen­ta­ge in Schwarz, Fest­ta­ge in Blau und Rot, Gol­de­ne Zahl in Rot, Sonn­tags­buch­sta­be A in Gold auf ro­ten oder blau­ en Flä­chen, Sonn­tags­buch­sta­ben b-g in Schwarz, im Ka­len­der Rig­ober­tus (8.1.), Gu­il­ ler­mus (10.1.), Karl der Gro­ße (28.1.), Gert­ru­dis (17.3.), Theo­bal­dus (9.7.) und die Trans­ latio Ben­edicti (11.7.), Mau­rilio­nis (13.9.: An­gers), Gen­ovefa als Fest (26.11.).

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fol. 7: Perik­open: Jo­han­nes (fol. 7), Lu­kas (fol. 8), Mat­thä­us (fol. 9), Mar­kus (fol. 10), ge­ folgt vom Chris­t us­ge­bet: O beat­is­sime Do­mine ihesu Christe re­spic­ere dign­eris (fol. 10v). fol. 16v: Ma­rien­ge­be­te, für ei­nen Mann re­di­giert: Obse­cro te (fol. 16v), O int­emer­ata, für Ma­ria und Jo­han­nes (18v), Sta­bat ma­ter (fol. 20), Mis­sus est Gab­ri­el (fol. 21v) und wei­te­ re kur­ze Ge­be­te: Ave re­gi­na celo­rum (fol. 25v), Ge­bet des hl. Au­gust­inus: Deus prop­icius esto mi­chi (fol. 26), O bone Ihesu (fol. 27v). fol. 30: Ma­rien­of ­fi­zi­um mit ei­ner ein­lei­ten­den Rub­rik auf fol. 29 für den Ge­brauch von Pa­ris, mit ein­ge­schal­te­ten Ho­ren von Hei­lig-Kreuz und Hei­lig-Geist: Matu­tin (fol. 30 mit drei vol­len Nok­tur­nen), Lau­des (fol. 42v), Kreuz-Matu­tin (fol. 48v), Geist-Matu­tin (fol. 49v), Ma­ri­en-Prim (fol. 50), Terz (fol. 54v), Sext (fol. 57v), Non (fol. 60v), Ves­per (fol. 63v), Komp­let (fol. 68), Hei­lig-Kreuz-Komp­let (fol. 71), Hei­lig-Geist-Komp­let (fol. 72). fol. 73: Ho­ren der Emp­fäng­nis Mariä, Matu­tin (fol. 73), Komp­let (fol. 77v). fol. 79v: Buß­psal­men, mit Li­ta­nei (fol. 88v), da­run­ter Ger­vasius und Prot­hasius, Di­ onysius, Eus­tachius, Eu­tropius, Karl der Gro­ße, Remi­gius, Eli­gius, Ägi­dius, Leob­inus, Gen­ovefa und wei­te­re Pa­ri­ser Hei­li­ge. ten­ of ­fi­ zi­ um, für den Ge­brauch von Pa­ris: Ves­per (fol. 95), die wei­te­ren Stun­ fol. 95: To­ den durch Rub­ri­ken mar­kiert: Matu­tin (fol. 99), Lau­des (fol. 112). fol. 119: Suf­fra­gien: Tri­ni­tät (fol. 119), Gott­va­ter (fol. 119v), Sohn (fol. 120), Hei­li­ger Geist (fol. 120v), Ant­litz Chris­ti: Sal­ve sanc­ta fac­ies (fol. 121), Mi­cha­el (fol. 121v), Jo­han­nes der Täu­fer (fol. 122), Jo­han­nes der Evan­ge­list (fol. 122v), Pet­rus und Pau­lus (fol. 123), Jako­bus (fol. 123), Alle Apos­tel (fol. 123v), Steph­a­nus (fol. 124), Lau­ren­ti­us (fol. 124v), Evan­ge­lis­ten (fol 124v), Chris­t opho­rus (fol. 125), Se­bas­t i­an (fol. 125v), Clau­di­us (fol. 126), Di­on­ y­si­us (fol. 127), Mar­tin (fol. 127v), Ni­ko­laus (fol. 127v), Fran­zis­kus (fol. 128), An­to­ni­us Ab­bas (fol. 128v), An­to­ni­us von Pa­dua (fol. 128v), Ro­chus (fol. 129), Karl der Gro­ße (fol. 129v), Anna (fol. 130), die zwei Schwes­tern Ma­ri­ens (fol. 130), Mag­da­le­na (fol. 130v), Ka­tha­ri­na (fol. 131), Mar­ga­re­te (fol. 131), A­pol­lo­nia (fol. 131v), Bar­ba­ra (fol. 132), Gen­ovefa (fol. 133). fol. 133v: La­tei­ni­sche Ge­be­te: Sie­ben Ver­se des hei­li­gen Gre­gor: Do­mine Ihesu Chris­ti ad­ oro te in cru­ce pen­den­tem (fol. 133v), fünf Ma­rien­ge­be­te, die in der Rub­rik Jo­han­nes dem Evan­ge­lis­t en zu­ge­schrie­ben wer­den: Medi­atrix om­nium (fol. 135); Au­xili­atrix om­nium und Re­par­atrix de­bil­ium (fol. 135v); Illu­min­atrix pe­cc­ato­rum (fol. 136); Al­le­vi­atrix pe­cc­ato­rum (fol. 137). fol. 138: Ie­sus titu­lus tri­umph­alis def­en­de nos und wei­te­re Chris­t us­ge­be­te; Sie­ben Ver­se des hei­li­gen Bern­hard von Clair­vaux: Il­lu­mi­na ocu­los meos (fol. 141), und eine Fol­ge wei­te­rer kur­zer Ge­be­te für die Meß­fei­er. fol. 146v: XV Freu­den Mariens: Dou­lce dame.

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Schrift und Schrift­de­kor Die Schrift ge­hört im­mer noch zur Fa­mi­lie der Bast­arda, zeigt aber an­ders als die Bast­ arda in Nr. 61 eine Ten­denz zur Fere-hum­anis­t ica. Die ein­fa­chen Ini­ti­a­len ver­ra­ten hin­ ge­gen tra­di­ti­o­nel­le­re Züge, sind sie doch sehr klar ge­zeich­net und ste­hen auf fi­lig­ran de­ ko­rier­ten Flä­chen. In den Suf­fra­gien sind die­se Fel­der deut­lich mit schwar­zen Li­ni­en kon­tu­riert. Die schlan­ken Bor­dü­ren zu al­len Text­sei­ten ver­wen­den durch­weg Pin­sel­gold für den Fond; zum Falz hin ge­nügt eine ein­fa­che Gold­leis­t e, die oben und un­ten von den de­ko­rier­ten Rand­strei­fen klar ab­ge­setzt ist. Ini­ti­a­len zu den mit Kopf­bil­dern be­stück­ten Inci­pits ste­hen als blaue Akant­hus­buch­ sta­ben auf ro­tem Grund; ihr Bin­nen­feld wird mit Blü­ten und Früch­ten auf Pin­sel­gold de­ko­riert. Die­sel­be Art von Rand­schmuck aus Bor­dü­ren­klam­mer mit bun­tem Akant­hus und Blü­ ten so­wie der Gold­leis­t e zum Falz hin wird bei den Bild­sei­ten bei­be­hal­ten. Un­ab­hän­gig von der Grö­ße wer­den Mi­ni­a­tu­ren ein­heit­lich ge­rahmt: Als un­te­re Kan­te ge­nügt eine schwar­ze und eine gol­de­ne Li­nie; die senk­rech­ten und obe­ren Leis­t en wer­den als Kas­t en­ rah­men mit ei­ner Keh­le nach in­nen ver­stan­den, die im Licht von links oben mo­del­liert ist. Bild­fol­ge Für den zwei­spal­tig an­ge­leg­ten Ka­len­der, in dem je­dem Mo­nat nur eine Sei­te ge­wid­met ist, sind je­weils zwei Kopf­mi­ni­a­tu­ren vor­ge­se­hen, die ver­ti­kal ge­trennt in ei­nem ge­mein­ sa­men gol­de­nen Rah­men er­schei­nen. Im je­weils et­was brei­te­ren lin­ken Feld steht das Mo­nats­bild mit ganz­fig­u­ri­gen Sze­nen, rechts das Tier­kreis­zei­chen, wie ge­wohnt nicht im Him­mel, son­dern auf die Erde ge­holt und in ei­ner Land­schaft ge­zeigt. Land­ar­beit wird be­vor­zugt mit drei Män­nern ge­schil­dert, auf die der Ma­ler ver­schie­de­ne Tä­tig­kei­ ten auf­tei­len kann: Zum Ja­nu­ar wärmt sich ein Herr am Feu­er; der Was­ser­mann ist ein nack­ter Kna­be, der in ei­nem Fluß steht und da­rein sei­nen Krug aus­leert (fol. 1). Im Feb­ru­ar sitzt ein Paar zu Tisch in der Stu­be vor ei­nem Ka­min; zwei gro­ße Fi­sche schwim­ men in ei­nem Bach (fol. 1v). Im März ar­bei­ten Land­leu­te beim Be­schnei­den der Wein­ stö­cke; der Wid­der, ohne Hör­ner, be­wegt sich in der Land­schaft auf die Män­ner links zu (fol. 2). Im Ap­ril flech­ten zwei edle Da­men Blu­men­krän­ze in ei­nem Ro­sen­haag; ih­nen prä­sen­tiert ein Edel­mann eine Rose; beim Stier ent­steht auch hier der Ein­druck, er re­a­ gie­re auf das Mo­nats­bild (fol. 2v). Zum Mai wird der Aus­ritt ei­nes ed­len Paa­res ge­zeigt; die Zwil­lin­ge tau­chen als nack­tes Paar in Um­ar­mung hin­ter ei­nem Ge­büsch auf; ohne viel Phan­ta­sie auf­zu­wen­den, könn­te man mei­nen, die­ses so oft ver­wen­de­te Mo­tiv spie­le hier auf die vor­neh­men Leu­te an, zu­mal das Busch­werk hin­ter bei­den Sze­nen das glei­ che ist und die Köp­fe über­ein­stim­men (fol. 3). Zur Heu­mahd im Juni zeigt sich ein Bau­ er mit Sen­se, ein zwei­ter mit Re­chen, wäh­rend sich ein drit­ter so­e­ben mit ei­nem Trunk er­frischt; der gro­ße Krebs in Fluß­bett läßt eher an eine Lan­gus­te den­ken (fol. 3v). Bei der Korn­mahd ar­bei­ten der Schnit­ter mit der Si­chel und zwei wei­te­re im manns­ho­hen Korn, wo­bei ei­ner eine Gar­be bin­det und der drit­te eine wei­te­re Schnei­se ins Feld schlägt; rechts tän­zelt ein Löwe in der Land­schaft (fol. 4). Im Au­gust schwin­gen beim Korn­dre­

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schen zwei Män­ner die Dresch­fle­gel, der drit­te siebt; die Jung­frau er­scheint mit Mär­ty­ rer­pal­me und Buch wie eine Hei­li­ge in der Land­schaft (fol. 4v). Im Sep­tem­ber ist Zeit für die Wein­kel­ter: Ein Mann bringt Re­ben in der Büt­te, ein zwei­ter gießt in ein gro­ßes Faß den Saft, wäh­rend der drit­te im Bot­tich die Trau­ben stampft; die Waa­ge wird von der Hand Got­tes aus den Wol­ken ge­zeigt (fol. 5). Im Ok­to­ber wird die Aus­saat für das nächs­te Jahr ge­tä­tigt – nur von zwei Män­nern, de­ren ei­ner sich ge­ra­de Saat­gut in die Schür­ze lädt, wäh­rend der an­de­re sä­end durch die Fur­chen schrei­tet; der Skor­pi­on, ein ei­gen­tüm­lich lang­schwänzi­ges Ge­tier rich­tet sich im rech­ten Bild zum Bau­ern hin auf (fol. 5v). Im No­vem­ber schlägt, wäh­rend ein Hir­te die Arme un­ter­ge­schla­gen hat, ein an­de­rer Ei­cheln von den Bäu­men, die von vie­len grau­en Schwei­nen ver­speist wer­den; der Schüt­ze wird als bo­gen­span­nen­der Ken­taur ge­zeigt (fol. 6). Im letz­ten Mo­nat des Jah­res, im De­zem­ber, schie­ben Ge­hil­fe und Bä­cker Brot­lai­be in den Back­ofen; der Stein­bock ist ein Zie­gen­bock mit Hör­nern, der aus ei­nem Am­mons­horn he­raus­schaut (fol. 6v). fol. 7: Die Perik­open er­öff­nen mit ei­ner Kopf­mi­ni­a­tur: Jo­han­nes auf Pat­mos. Der ju­gend­ li­che Evan­ge­list mit Tin­ten­faß und Fe­der sitzt links an Fel­sen un­ter Bäu­men, blickt auf zum Him­mel und sieht dort das mit der Son­ne be­klei­de­te Apo­ka­lyp­ti­sche Weib auf der Mond­si­chel. Die­ses Bild­mo­tiv ge­hört wie die Ver­ban­nung des Jo­han­nes auf die In­sel Pat­ mos zur Apo­ka­lyp­se; die­ses Miß­ver­ständ­nis war man ge­wohnt, ob­wohl der Evan­ge­list in das auf sei­nem Schoß auf­ge­schla­ge­ne Buch die be­rühm­ten An­fangs­wor­te sei­nes Evan­ ge­li­ums schrei­ben mü­ßte. Die fol­gen­den drei Perik­open er­hal­ten sie­ben- bis achtz­ei­li­ge Klein­bil­der: Der grau­haa­ ri­ge Lu­kas mit dem Stier (fol. 8) sitzt en-face, hat den Blick ge­senkt; und es wirkt, als sei das gan­ze Bild, das in den un­ters­t en Zei­len steht, auf eine in der Buch­ma­le­rei ein­zig­ar­ ti­ge Wei­se von oben ge­se­hen. Mat­thä­us (fol. 9) sitzt an sei­nem Schreib­pult und schaut auf sein Schrift­band; so kann er ei­gent­lich den En­gel, der ihm ein of­fe­nes Buch prä­sen­ tiert, gar nicht recht se­hen. Mar­kus (fol. 10) hockt wie sein Löwe, der rechts im Bild er­ scheint, un­ter Bal­da­chin und vor dreh­ba­rem Pult am Bo­den. Die an­schlie­ßen­den Ge­be­te ent­hal­ten sechs gro­ße his­t o­ri­sier­te Ini­ti­a­len, elfz­ei­lig die ers­te, zehnz­ei­lig die fünf an­de­ren: Zum Obse­cro te die ein­zi­ge Halb­fi­gur in die­ser Fol­ge, die be­ten­de Ma­ria (fol. 16v) mit ei­nem Buch, eher Mat­ro­ne als An­nunzi­ata, so­mit wohl aus dem Zu­sam­men­hang der Di­pty­chen von Mut­ter und Sohn, wie sie Bour­dic­hon und der Meis­ter des Münch­ner Boc­ca­ccio in Tours ent­wi­ckelt hat­ten, vor Pur­pur mit gol­ de­nen Flämm­chen oder Trä­nen. Zum O int­emer­ata Jo­han­nes und Ma­ria mit dem Kind (fol. 18v). Zum Sta­bat ma­ter folgt, dem Inci­pit wi­der­spre­chend, aber in bes­ter Tra­di­ti­ on, die Pietà (fol. 20) mit Ma­ria, Jo­han­nes und Mag­da­le­na, die sit­zend den to­ten Chris­ tus un­ter dem Kreuz be­wei­nen. Zu Mis­sus est die Ver­kün­di­gung an Ma­ria (fol. 21v) in Ganz­fi­gu­ren, von der Kom­po­si­ti­on eng mit der gro­ßen Mi­ni­a­tur auf fol. 30 ver­wandt, aber nur mit dem Bett der Jung­frau und nicht auch noch dem run­den Bal­da­chin dort. Die Mond­si­chel­ma­don­na (fol. 25v), also das Apo­ka­lyp­ti­sche Weib auf der Mond­si­chel, zu Ave re­gi­na. Au­gust­inus von Hippo (fol. 26) als Bi­schof mit Krüm­me und Buch vor dem glei­chen Fond wie die Ma­ria auf fol. 16v. An­ders als die­ses an Gott ge­rich­te­te und mit

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ei­nem Bild sei­nes fik­ti­ven Au­tors be­bil­der­te Ge­bet wird O bone ihesu mit ei­nem neunz­ ei­li­gen Klein­bild er­öff­net, das den Ad­res­sa­ten zeigt: den Schmer­zens­mann vor den Pas­ si­ons­werk­zeu­gen, auf sei­nem Sar­ko­phag sit­zend (fol. 27v). fol. 29v: Die Matu­tin des Ma­rien­of ­fi­zi­ums er­öff­net mit ei­ner Dop­pel­sei­te: links die Er­ schaf­fung Evas (fol. 29v) über zwei Zei­len in Rub­ri­ken­rot mit ei­nem Re­sü­mee der Schöp­ fungs­ge­schich­te In princi­pio und rechts, über den fünf Zei­len des Text­an­fangs, die Ver­ kün­di­gung an Ma­ria (fol. 30). Ent­spre­chen­de Dop­pel­sei­ten ken­nen wir aus Nr. 59; dort aber ist die Er­schaf­f ung Evas der Jo­han­nes-Perik­ope ge­gen­ü­ber­ge­stellt; und an­ge­sichts des Text­frag­ments, das hier bei­ge­fügt ist, dort aber fehlt, könn­te man mei­nen, daß die dor­ti­ge Ana­lo­gie ur­sprüng­li­cher ist als die Ge­gen­ü­ber­stel­lung hier (in Nr. 59 bil­de­ten Aus­t rei­bung aus dem Pa­ra­dies und Ver­kün­di­gung eine Dop­pel­sei­te). Der Be­zug ist eng, auch wenn hier nicht Je­sus mit ei­nem En­gel, son­dern Gott­va­ter mit Kai­ser­kro­ne das Weib aus der Rip­pe des schla­fen­den Adam er­schafft. Im Ver­kün­di­gungs­bild ist der En­ gel durch ei­nen Bo­gen links hin­ten ein­ge­tre­ten, um ein we­nig zu­rück­ge­setzt nie­der­zu­ knien, wäh­rend sich Ma­ria von ih­rem Bet­pult un­ter ei­nem run­den Bal­da­chin vor ih­rem grau be­zo­ge­nen Bett zu ihm wen­det. Der Blick in den Gar­ten schafft da­bei eine Ver­bin­ dung in ty­po­lo­gi­schem Zu­sam­men­hang, der Ma­ria als neue Eva ver­steht. Zur Lau­des wird die Heim­su­chung (fol. 42v) als Tref­fen Ma­ri­ens mit ih­rer Base Eli­sa­ beth in ei­ner Land­schaft ge­zeigt. Der Jung­frau ist Eli­sa­beth, mit kost­ba­rem Man­tel und auf­wen­di­gem Kopf­putz, aus ih­rem Haus rechts oben ei­lig ent­ge­gen­ge­kom­men, um ihre Hand zu er­grei­fen. Die Ho­ren von Hei­lig Kreuz er­hal­ten als tra­di­ti­o­nel­les Er­ken­nungs­bild die Kreu­zi­gung (fol. 48v). Rie­sen­haft rich­tet sich das Kru­zi­fix vor ei­ner Stadt­sil­hou­et­te auf, die als ge­ ra­de Li­nie auf­fäl­lig das Bild be­stimmt; sie liegt auf Höhe von Chris­ti Len­den­tuch und di­rekt über den Häup­tern von Ma­ria und Jo­han­nes in der an­sons­ten men­schen­lee­ren Land­schaft. Das Pfingst­bild (fol. 49v) zur Matu­tin des Hei­li­gen Geis­t es kon­zent­riert sich auf die Er­ schei­nung der Tau­be un­ter ei­nem Rund­bo­gen, der zum Him­mel bli­cken läßt. In ei­nem Kreis, der sich zum Be­trach­ter hin öff­net, ha­ben die be­ten­den Apos­t el Platz ge­nom­men, mit Ma­ria links, der als ein­zi­ger ein Bal­da­chin als Wür­de­zei­chen zu­kommt, und Jo­han­ nes rechts. Pet­rus und ein zwei­ter grei­ser Apos­tel ihm ge­gen­über tra­gen ein auf­fäl­li­ges Zei­chen auf der Stirn: weiß wie eine Fe­der der Tau­be. Zur Ma­ri­en-Prim wird die An­be­tung des Kin­des ge­zeigt (fol. 50v). In dem bi­zarr sti­li­ sier­ten schad­haf­ten Stall, des­sen bild­pa­ral­le­le Sei­ten­wand ein gro­ßes Loch zeigt, hat die Jung­frau den nack­ten Kna­ben auf den Saum ih­res blau­en Man­tels ge­bet­tet, wäh­rend Ochs, Esel und ein be­son­ders jung ge­ge­be­ner Jo­seph der An­be­tung des Soh­nes bei­woh­ nen. Jo­seph hält wohl eine wei­ße Ker­ze in der Hand, als An­deu­tung der Weih­nacht. Die Hir­ten­ver­kün­di­gung (fol. 54v) zur Terz zeigt drei Hir­ten, die, auf der Rast von der himm­li­schen Er­schei­nung über­rascht, sich stau­nend in An­be­tung be­ge­ben. Die klei­nen

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Schafe tummeln sich ruhig auf der Wiese im Mittelgrund. Über ihnen erscheint ein in Gold gekleideter Engel, der das Gloria in excelsis anstimmt. Vor wenigen Balken eines Fachwerkbaus mit einem bizarren Rest von Putz, die auf an­ dere Weise als bei der Prim den Stall von Bethlehem meinen und den Blick zum Stern im Himmel erlauben, wird zur Sext die Anbetung der Könige (fol. 57v) gezeigt. Von links sind sie eingetreten, der Älteste reicht barhäuptig dem auf dem Schoß seiner Mut­ ter sitzenden Knaben einen goldenen Deckelkelch, während der bartlose jüngste mit dem mittleren spricht; beide halten entsprechendes für die Liturgie geeignetes Gerät, eine Monstranz und ein rundes Ziborium. Maria, ganz in Blau und hier mit verhülltem Haupt gegeben, thront unter einem roten Baldachin. Zur Non bei der Darbringung im Tempel (fol. 60v) steht der greise Simeon mit Mi­ tra links unter einem Baldachin am Altar, dessen Schmalseite die vorderste Bildebene bestimmt. Maria reicht, eher zum Betrachter als zum Priester gewendet, den nackten Knaben auf einem weißen Tuch, das ein aufälliges Rund bildet. Ihr folgt Joseph, nun greisenhaft mit weißem Haar, der die Kerze und das Körbchen mit Tauben trägt. Ein Akolyth in Albe steht an der hinteren Schmalseite des Altars und hält wie bei der Mes­ se ein aufgeschlagenes Buch. Die Flucht nach Ägypten (fol. 63v) zur Vesper zeigt ein ungewöhnliches ikonographisches Detail. Hier führt nicht Joseph den Esel, vielmehr hat Maria den Zügel in die Hand ge­ nommen und blickt sorgenvoll nach links zum Christuskind, das sie in ein goldenes Tuch gewickelt eng an die Brust gedrückt hat, während Joseph rechts bereits seinen Weg aus dem Bild fortsetzt. Den Abschluß des Marienofziums markiert die Marienkrönung (fol. 68) zur Komplet. Ein Kreis aus blauen Wolken reißt auf und läßt in die hellen Himmelssphären blicken, vor denen die blondgelockte Muttergottes kniet. Zwei kleine Engel in Diakonsgewän­ dern fliegen über ihr und bringen die Krone. Von seinem schwebenden goldenen Thron unter einem runden Baldachin segnet Christus. In sehr ungewöhnlicher Weise wird in diesem Stundenbuch auch jeweils die Komplet von Heilig Kreuz und Heilig Geist bebildert: Die Grablegung (fol. 71) kombiniert Vor­ stellungen von Felsengrab und Sarkophag vor den horizontal gereihten Türmen eines imaginären Jerusalem: Während Maria, Johannes und Maria Magdalena klagend hin­ ter dem Sarkophag stehen, betten zwei ältere Männer, Joseph von Arimathia und Niko­ demus, den Leichnam auf dem straf gespannten weißen Leichentuch in den Steinsarg. Für die Komplet von Heilig Geist hat sich der Maler für eine äußerst ungewöhnliche Ikonographie entschieden: Chrisi Erscheinung im Gemach seiner Mutter (fol. 72). Ma­ ria, die am Fußende ihres Bettes in einem Buch gelesen hatte, breitet erstaunt die Arme aus; denn durch einen hohen Bogen rechts ist der Auferstandene eingetreten; auch er hebt die Hände in ähnlicher Weise. Die Miniatur variiert einen Metallschnitt aus der bilderreichen Serie in Klein­Oktav, die Jean Pichores Werkstatt schuf und die erstma­ lig von Jean le Barbier 1509 gedruckt wurde (siehe Horae IX, Nr. 28, Abb. 34, S. 4036).

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Beispiele dafür sind auch in den anderen Künsten äußerst rar: Rogier van der Weyden hat mit dieser Szene das Dreiblatt des Berliner Miraflores­Altars abgeschlossen, der dann von Juan de Flandes kopiert wurde, und Peter Hemmel von Andlau hat im Ulmer Chorfenster diese seltene Ikonographie aufgegrifen, die nicht biblisch begründet wird. fol. 73: Auch die Horen der Empfängnis Mariä, die sich anschließen, wohl weil sie noch zum Block der von Matutin bis Komplet reichenden Stundengebete gehören, werden zur ersten und letzten Stunde bebildert: Zur Matutin wird der Kuß an der Goldenen Pforte (fol. 73) gezeigt. Joachim beugt sich liebevoll zu seiner Frau Anna, die ihm durch das hier ganz mit Gold ausgemalte Tor aus der Stadt entgegenkommt, um sich ihr für den Kuß zu nähern, dem die Jungfrau Maria entspringen wird. Zur Komplet dieser Horen, die fast nie mehr als ein Eröfnungsbild erhalten, wird die Maria immaculata mit Bild­ formeln für die Beiworte ihrer Jungfräulichkeit gezeigt (fol. 77v). Wie zuweilen in ent­ sprechenden Miniaturen (so Nr. 64, fol. 23v) werden die lateinischen Beiworte nicht alle in die Spruchbänder eingeschrieben; selbst das Spruchband unter dem am Himmel er­ scheinenden Gottvater blieb leer. Die Vorlage für diese Miniatur bildet ein Metallschnitt für gedruckte Stundenbücher. Erstmals läßt sich die Verwendung der Maria immaculata mit Emblemen in der Metallschnittserie nachweisen, die zwischen 1497 und 1502 vom Meister der Apokalypsenrose (alias Meister der Très Petites Heures der Anne de Bre­ tagne) für Thielman Kerver geschafen wurde (siehe dazu Horae IX, Nr. 17, Abb. 17, S. 3978). Im Stundenbuch der Katharina von Aragon (Nr. 47) dient eine handgemalte Version als Erkennungsbild derselben Horen, nur eben zur Matutin gestellt. fol. 79: Zu den Bußpsalmen ist ein weißhaariger David in Buße gezeigt, der vor seinem Palast die Zeichen seiner Würde abgelegt hat und zu einem Engel betet, der ihm im Himmel die Wahl zwischen Pfeil und Flammenschwert gibt, analog zur in den Bildge­ genständen dann wiederum abweichenden Miniatur in Nr. 61. fol. 95: Die Miniatur zum Totenofzium zeigt Hiob auf dem Dung. Von links sind die Freunde zu dem Aussätzigen gekommen, der sich, nur mit einem Lendentuch beklei­ det, auf dem Dung vor den Mauern der Stadt niedergelassen hat und sich skeptisch zu den Freunden wendet. fol. 119: Die Sufragien eröfnen mit einer großen Miniatur, die alle drei Personen der Trinität in Gestalt Christi zeigt: Auf einem Regenbogen thronend präsentieren sie das aufgeschlagene Buch des Lebens vor einer strahlenden Mandorla, die hinter den aufge­ brochenen Wolkenkränzen zum Vorschein kommt. Zu den übrigen Sufragien erscheint dann eine Folge von sieben­ bis achtzeiligen Bil­ dern, die ganzfigurig beginnen, aber tendenziell oft zu Kniestücken werden: In ähnli­ chen Himmelsvisionen wie der Trinität sind zunächst die drei Personen des dreieinigen Gottes einzeln dargestellt: Gottvater, nun als Greis (fol. 119v), Chrisus als Weltenrichter (fol. 120), der Heilige Geis mit den Zügen Jesu, geflügelt (fol. 120v); dann folgt Veronika mit dem Schweißtuch (fol. 121).

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Die Heiligen beginnen mit Michael erschlägt den Drachen (fol. 121v); es folgen: Johannes der Täufer mit dem Lamm (fol. 122), Johannes der Evangelis mit dem Giftbecher (fol. 122v), Petrus und Paulus und Jakobus als Pilger (fol. 123), Aposel, angeführt von Bartholomäus und Andreas, zwischen beiden Johannes (fol. 123v), Stephanus als Diakon mit einem Stein am blutenden Kopf (fol. 124), Laurentius mit dem Rost und Evangelisen, angeführt von Johannes mit dem Kelch (fol. 124v), Chrisophorus mit dem Chri­ stuskind (fol. 125), Sebasians Pfeilmarter (fol. 125v), Claudius als Bischof (fol. 126), Dionysius mit dem abgeschlagenen Haupt in den Händen (fol. 127), Martin im schwar­ zen Habit eines Benediktinerabts, wohl in Anspielung auf die Martinsabtei von Tours und Nikolaus mit den drei Jünglingen im Bottich (fol. 127v), Stigmatisation des Franziskus (fol. 128), Antonius Abbas mit dem Schwein vor einem Flechtzaun und Antonius von Padua als jugendlicher Franziskaner (fol. 128v), Rochus mit Hund und Engel (fol. 129). Das Sufragium für Karl den Großen eröfnet auf ungewöhnliche Weise mit Chrisus, eine schwarz gewandete Beterin segnend (fol. 129v). In klarer Hierarchie mit einem Pa­ riser Schlußpunkt folgen dann: Anna lehrt Maria lesen und Maria Jacobe und Maria Salome betend als Halbfiguren (fol. 130), Maria Magdalena mit Salbtopf und Buch (fol. 130v), Katharina mit Radfragment und Schwert sowie Margarete, dem Drachen ent­ stiegen (fol. 131), Apollonia mit der Zange (fol. 131v), Barbara mit dem Turm (fol. 132), Genovefa mit dem Streit von Engel und Teufel um ihre Kerze (fol. 133). Das Gregorsgebet erhält eine geradezu einzigartig reiche Bebilderung, die mit einer gro­ ßen Miniatur der Gregorsmesse (fol. 133v) eröfnet, die den Papst mit zwei Akolythen nur vor einem Kruzifix über dem Altar betend zeigt und nicht vor dem Schmerzensmann mit Kelch und Hostie, der den Sinn der Vision verdeutlicht. Danach folgen sechszeilige Kleinbilder zu jedem der sieben Versanfänge, die das Geschehen der Passion bebildern: Essigschwamm, Kreuzesod und Grablegung (fol. 134), Chrisus im Limbus befreit Adam und Eva, Himmelfahrt Chrisi und Weltgericht (fol. 134v). Die Incipits der folgenden Gebete erhalten ebenfalls Kleinbilder von acht bis neun Zei­ len Höhe: Darbringung im Tempel zum Gebet Mediatrix omnium (fol. 135), Maria findet den 12jährigen Chrisus im Tempel zu Auxiliatrix omnium und Ecce homo zu Repa­ ratrix debilium (fol. 135v); Betende Stifterin unter dem Kreuz zuIlluminatrix peccatorum (fol. 136); Pietà mit Maria und Christus allein zu Alleviatrix peccatorum (fol. 137). Chrisus als Salvator mundi segnend zu Iesus titulus triumphalis defende nos (fol. 138) und zuletzt Bernhard von Clairvaux als Zisterzienserabt zu seinen Sieben Versen Illumina oculos meos (fol. 141) fol. 146v: Mariengebet: Doulce dame. Zum Stil Dieses Stundenbuch ist einheitlich ausgemalt, in einer Manier, die auf graphische Klar­ heit angelegt ist, Figur und Landschaftselemente ebenso wie Wolken als plastische Ein­ heiten begreift. Damit stehen die Miniaturen dem von Étienne Colaud 1513 signierten

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Stun­den­buch in Pri­vat­be­sitz nahe. Die­se Ein­schät­zung wird auch von den hier ein­ge­ setz­ten Bild­vor­la­gen be­stä­tigt; so kann man die bei­den un­ter­schied­lich gro­ßen Bil­der der Ver­kün­di­gung in un­se­rem Ma­nus­kript mit Col­auds deut­lich spä­te­rer Mi­ni­a­tur des­sel­ ben The­mas im Mis­sale für Fran­çois Ier de Dinte­ville (lat. 9446 der BnF, Cous­seau 2016, Abb. 57) ver­glei­chen: Dort fin­det man im­mer noch den­sel­ben Grund­be­stand, je­doch er­gänzt durch zu Mani­eris­men ten­die­ren­de mo­di­sche Züge in Ge­wan­dung und Far­be. Wenn man den – manches mal nicht nachvollziehbaren – Kriterien der Händeschei­ dung in Cousseaus unvollendet gebliebenem Buch über Colaud folgen wollte, so wäre in unseren Miniaturen die Machart des von ihr so genannten "Hauptmalers der Statuten des Sankt Michaels-Ordens" ("Exécutant principal des Statuts") wiederzuerkennen, die Colauds Faktur sehr nahe kommt, vgl. Cousseau 2016, Tafeln X, XI , XIV, XVI , XVII , Abb. 31 - 35, 65, 86 - 88, 92 - 105, wobei unserer Meinung nach hierin mindestens zwei, wohl aber drei verschiedene Hände am Werk sind. Unser Manuskript entspricht am be­ sten den Abb. 32, 35, 95, 98, 99 und Tafel XI . Mit 99 Bil­dern, da­run­ter 20 gro­ßen und der er­staun­lich dich­ten Fol­ge von 49 Klein­ bil­dern, da­run­ter ei­ner ein­zig­ar­ti­gen Se­rie zu den Ver­sen des hei­li­gen Gre­gor so­wie sechs gro­ßen his­t o­ri­sier­ten Ini­ti­a­len, dazu ei­nem be­son­ders pracht­voll be­bil­der­ten Ka­len­der er­weist sich die­ses kom­plett er­hal­te­ne Stun­den­buch als ein ein­drucks­vol­ ler Schatz von Text und Bild, der mit der Be­bil­de­rung der je­weils letz­ten Stun­de der Ho­ren von Hei­lig Kreuz, Hei­lig Geist und Emp­f äng­nis Mariä eine wohl ein­zig­ar­ti­ ge Be­son­der­heit auf­weist und durch zwei Bil­der von Be­te­rin­nen eine Art von Per­ so­na­li­sie­rung leis­t et, die man­gels je­den Hin­wei­ses lei­der nicht zur Be­stim­mung des Auf­trags führt. Li­te­ra­tur Das Ma­nus­kript ist bis­her nicht pub­li­ziert.

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62 Das Stun­den­buch des Pi­erre Pal­mier, Erz­bi­schof von Vien­ne, il­lu­mi­niert von Col­aud und eventuell Martial Vaillant


Stun­den­buch. Horae B. M. V. für den Ge­brauch von Rom. La­tei­ni­sche Hand­schrift auf Per­ga­ment, Rub­ri­ken in Rot, Ka­pi­tel­ü­ber­schrif­ten in Blau und Gold, mit ei­nem Ka­len­der in Braun, Fes­te in Gold, in brau­ner hu­ma­nis­ti­scher Mi­nus­kel. Pa­ris, nach 1527: der späte Éti­enne Col­aud und eventuell Martial Vaillant 17 Mi­ni­a­tu­ren un­ter­schied­li­cher Grö­ße: ein ganz­sei­ti­ges Stif­ter­bild in Re­nais­sance-Ar­ chi­tek­tur­rah­mung, eine gro­ße Wap­pen­ma­le­rei mit den Arma Chris­ti, 13 Mi­ni­a­tu­ren in Text­spie­gel­brei­te, acht bis 14 Zei­len hoch, zwei Bil­der, die je­weils et­was mehr als die Hälf­ te des Text­spie­gels in An­spruch neh­men; alle be­bil­der­ten Sei­ten in um den Text­spie­gel ge­leg­ten Ar­chi­tek­tu­ren, zu­wei­len Spie­le­rei­en mit Trompe l’œil für die Text­an­fän­ge; drei gro­ße dreiz­ei­li­ge wei­ße oder ro­sa­far­be­ne Ini­ti­a­len mit Ban­de­ro­len auf Gold mit Blü­ten­ de­kor. Durch­ge­hend mit blau­en Sei­ten­ti­teln mit­tig über dem Text­spie­gel ver­se­hen; zweiz­ei­li­ ge Ini­ti­a­len zu den Psal­men­an­fän­gen, ein­zei­li­ge zu den Psal­men­ver­sen so­wie Pa­ra­gra­phen­zei­ chen in Pin­sel­gold auf Rot oder Blau mit gol­de­nem Li­ni­en­de­kor, Zei­len­fül­ler in glei­cher Art; Ver­sa­li­en gelb la­viert. 134 Blatt sehr fei­nes Per­ga­ment, vor­ne und hin­ten 2 flie­gen­de Vor­sät­ze aus Pa­pier, Mar­mor­ pa­pier, dazu vor­ne ein fes­tes Per­ga­ment­vor­satz un­regliert. Ge­bun­den in La­gen zu acht Blatt, da­von ab­wei­chend die 1. Ka­len­der­la­ge 1 (8-2+1, die ers­ten bei­den Blät­ter ohne Text­ver­lust ent­fernt, ein un­re­glier­tes Blatt mit ei­ner Mi­ni­a­tur hin­zu­ge­fügt) und 4 (8+1, das 9. Blatt hin­ zu­ge­fügt); mo­der­ne Blei­stift­fo­li­ie­rung rechts oben. Kei­ne Rekl­aman­ten. Klein-Ok­tav (151 x 94 mm; Text­spie­gel 106 x 59 mm). Kaum sicht­bar in Grau reg­liert zu 24, auf fol. 89-112v zu 23, auf fol. 113-134 zu 22 Zei­len, im Ka­len­der zu 21 Zei­len. Ro­ter Ma­ro­quin­band des 17. Jahr­hun­derts auf fünf ech­te Bünde, mit ein­fa­cher gol­de­ner File­ ten­rah­mung auf den De­ckeln, Mar­mor­pa­pier­vor­sät­zen, Gold­schnitt. Kom­plett und aus­ge­zeich­net er­hal­ten. Pi­erre Pal­mier (gest. 1555), der in Ne­a­pel ge­bo­re­ne, wohl in Lyon auf­ge­wach­se­ne Fran­zo­se, ab 1527 Erz­bi­schof von Vien­ne, un­ter des­sen Epis­ko­pat die dor­ti­ge Ka­thed­ra­le voll­en­det wur­ de, hat sich auf ei­ner Mi­ni­a­tur, die die­sem Stun­den­buch vo­ran­ge­stellt wur­de, in An­be­tung des Gna­den­stuhls mit sei­nem Wap­pen port­rai­tie­ren las­sen. Text fol. 2: Ka­len­der in La­tein, fort­lau­fend ge­schrie­ben, je­der Tag be­setzt: Fes­te in Gold, Sonn­tags­buch­sta­ben A in Gold, Sonn­tags­buch­sta­ben b-g in Braun, Ta­ges­zäh­lung in ara­ bi­schen Zif­fern in Braun, rö­mi­sche Ta­ges­zäh­lung in Blau. Rigo­berti episc­opi (8.1.), Gil­ berti conf­es­so­ris (4.2.), Pa­uli episc­opi Nar­bo­nis (22.3.), Rup­erti episc­opi (27.3.), Proch­ orii mart­iris (9.4.), Gerv­asii und Proth­asii (19.6.), Clo­doaldi conf­es­so­ris (7.9.), Mar­tin als Fest (11.11.), Ed­mundi re­gis et marty­ris (20.11.), Gen­ovefe de mi arde (26.11.), Mel­erij episc­opi (16.12.), Sab­ini episc­opi et mar­tyr (30.12.).

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fol. 10v: Perik­open: Jo­han­nes (fol. 10v), Lu­kas (fol. 11v), Mat­thä­us (fol. 12v), Mar­kus (fol. 13v); Jo­han­nes­p as­si­on: Egres­sus est (fol. 14v), nach Rub­rik auf fol. 14. ­fi­zi­um für den Ge­brauch von Rom, mit drei Psal­men­grup­pen für die fol. 20: Ma­rien­of Wo­chen­ta­ge zur Matu­tin: Matu­tin (fol. 20), Lau­des (fol. 31), Prim (fol. 38v), Terz (fol. 41v), Sext (fol. 43), Non (fol. 45v), Ves­per (fol. 49v), Komp­let (fol. 54). fol. 58: Ho­ren von Hei­lig Kreuz (fol. 58), Hei­lig Geist (fol. 61)und Emp­fäng­nis Mariä (fol. 63v). fol. 67v: Buß­psal­men, mit Li­ta­nei (fol. 73v); da­run­ter Ger­vasius und Prot­hasius, Di­o­ny­ si­us und Gen­ovefa so­wie, ne­ben Fran­zis­kus und Do­mi­ni­kus, auf­fäl­lig die Fran­zis­ka­ner Bern­har­din von Si­e­na und Bona­vent­ura. fol. 79: To­ ten­ of ­fi­ zi­ um, für den Ge­brauch von Rom: Ves­per (fol. 79), die wei­te­ren Ho­ren mit ei­ner Rub­rik be­zeich­net: Matu­tin (fol. 83), Lau­des (fol. 96). fol. 104v: Ge­be­te zur Eu­cha­ris­tie­fei­er: In ele­va­ti­one corpo­ris do­mi­ni (fol. 104v), in ele­va­ti­ one cali­cis (fol. 105), in­ter ele­va­ti­one corpo­ris xpi (fol. 105v), quando capi­tur pax (fol. 106), ge­folgt von wei­te­ren Ge­be­ten vor, wäh­rend und nach der Kom­mu­ni­on und dem Ge­bet des hei­li­gen Gre­gor: Do­mine i(e)h(s)v Christe ad­oro te (fol. 109v), es fol­gen die Ma­rien­ ge­be­te re­di­giert für ei­nen Mann: Sta­bat ma­ter (fol. 110v), Obse­cro te (fol. 112), O int­emer­ata, an Ma­ria und Jo­han­nes, (fol. 113v). fol. 115v: Suf­fra­gien: Tri­ni­tät (fol. 115v), Va­ter (fol. 115v), Sohn (fol. 116), Hl. Geist (fol. 116v). Am Kir­chen­jahr ori­en­tier­te Fol­ge: Ge­burt Chris­ti (fol. 116v), Be­schnei­dung (fol. 117), Epi­ pha­nie (fol. 117v), Hl. Kreuz (fol. 118), Os­tern (fol. 118v), in die­bus rog­atio­num, also für Mon­tag bis Mitt­woch der 5. Wo­che nach Os­tern (fol. 119), Him­mel­fahrt (fol. 119), Pfings­ten (fol. 119v), Fron­leich­nam (fol. 119v). An der Li­ta­nei ori­en­tier­te Fol­ge: Mi­cha­el (fol. 120), alle En­gel (fol. 120v), Jo­han­nes der Täu­fer und Pet­rus (fol. 121), Pau­lus (fol. 121v), And­re­as und Jo­han­nes der Evan­ge­list (fol. 122), Jako­bus (fol. 122v), Tho­mas (fol. 123), Phi­lipp und Bar­tho­lo­mä­us (fol. 123v), Mat­ thä­us und Si­mon und Juda (fol. 124), Mat­thi­as (fol. 124v), Mar­kus (fol. 125), Lu­kas (fol. 125), alle Apos­tel (fol. 125v), Lau­ren­ti­us (fol. 126), Se­bas­ti­an (fol. 126v), alle Mär­ty­rer (fol. 127), Gre­gor und Hi­e­ro­ny­mus (fol. 127v), Au­gust­inus (fol. 128), Amb­ro­si­us und Mar­tin (fol. 128v), Ni­ko­laus (fol. 129), Clau­di­us (fol. 129v), Ro­chus (fol. 130), alle Be­ken­ner (fol. 130v, Rub­rik auf fol. 130), Ma­ria Mag­da­le­na (fol. 130v), Ka­tha­ri­na und Mar­ga­re­te (fol. 131), Bar­ba­ra (fol. 131v), A­pol­lo­nia (fol. 132), Gen­ovefa (fol.132v), alle Jung­frau­en (fol. 133), alle Hei­li­gen (fol. 133v). fol. 134 Texten­de.

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Schrift und Schrift­de­kor In ei­ner sehr ed­len An­ti­qua ist die­ses Ma­nus­kript ge­schrie­ben, wie sie für Stun­den­bü­ cher nur zö­gernd ein­ge­setzt wur­de, wie wir sie aber in un­se­rem Stun­den­buch Nr. 63 vom Meis­ter des Gouf ­fi er-Psal­ters wied­er­fin­den, wo au­ßer­dem die frei­hän­di­ge Ver­tei­ lung und wech­seln­de Grö­ße der Mi­ni­a­tu­ren zu ver­glei­chen wäre. Die Wahl der im ita­lie-­ ni­schen Hu­ma­nis­mus ent­wi­ckel­ten Schrift be­dingt zu­gleich, daß man sich vom Hor­ ror va­cui des Spät­mit­tel­al­ters löst und Zei­len freil­äßt, vor al­lem aber kur­ze Rub­ri­ken in sonst lee­re Zei­len so ein­trägt, daß die um­ge­ben­de Lee­re zum Ge­stal­tungs­merk­mal wird. Das be­deu­tet frei­lich nicht, daß man im Text­block die Zei­len­fül­ler auf­gä­be. Zur fort­ schritt­li­chen Buch­kul­tur ge­hö­ren auch die Sei­ten­ti­tel, die man zwar für groß­for­ma­ti­ge Text­hand­schrif­ten kann­te, in Ge­bet­bü­chern aber ver­mied. Die Zeit der Bor­dü­ren ist end­gül­tig vor­bei; ihre Funk­ti­on über­neh­men die Ar­chi­tek­tu­ ren, die aus­schließ­lich auf be­bil­der­ten Sei­ten als Rah­mung ein­ge­setzt sind. Sie sind nüch­ tern kon­zi­piert, un­be­lebt, nur spar­sam de­ko­riert, aber nicht nur mit Pin­sel­gold, son­dern bei Säu­len­schäf­ten auch mit Bunt­far­ben ge­stal­tet. Die Bil­der Dem Ka­len­der vo­ran­ge­stellt ist, von wuch­ti­gen Säu­len ge­rahmt, eine ganz­sei­ti­ge Mi­ni­ a­tur (fol. 1v), die Pi­erre Pal­mier be­tend zur Er­schei­nung des Gna­den­stuhls im Him­mel zeigt. Als Erz­bi­schof im Chor­man­tel hat er die Mit­ra auf den Prie-dieu ge­legt, der das Wap­pen sei­nes Hau­ses – drei gol­de­ne Palm­we­del auf Blau – trägt. Vor dräu­end dun­ kel­blau­em Fond öff­net sich ein Wol­ken­kranz; da­rin zeigt sich auf Pin­sel­gold­grund der grei­se Va­ter mit Tau­be und dem Kru­zi­fix. Der tra­di­ti­o­nel­len Kon­zep­ti­on der Mi­ni­a­tur ent­spricht, daß kein Blick­kon­takt zwi­schen Be­ter und Gott­va­ter her­ge­stellt wird. Nur die ers­te Perik­ope ist be­bil­dert; da­bei grei­fen Ma­ler wie Schrei­ber auf ganz und gar un­ge­wohn­te Wei­se ein Rest­feld am Ende des Ka­len­ders auf: Neunz­ei­lig an­ge­legt ist dort die Kom­bi­na­ti­on des nied­ri­gen Bild­fel­des mit zwei Zei­len da­vor ge­spann­ter Rub­rik, wie sie sonst nie vom Ka­len­der aus den Text vor­be­rei­tet: Der ju­gend­li­che Jo­han­nes auf Pat­ mos, frei­ge­las­sen (fol. 10v), wen­det sich er­regt zu ei­ner himm­li­schen Vi­si­on, von der die Mi­ni­a­tur nur die auf die Erde fal­len­den gol­de­nen Strah­len zeigt. Be­glei­tet wird er von sei­nem stol­zen Ad­ler, der eben­so groß wie der jun­ge Evan­ge­list im Bild­feld er­scheint. Das Bild­feld selbst ist von schma­len Leis­ten um­ge­ben, Text, Bild und Rub­rik sind dann von ei­ner kräf­ti­ge­ren Re­nais­sance-Ar­chi­tek­tur ein­gef­aßt. Die Jo­han­nes­pas­si­on lei­tet ein ähn­lich am Texten­de in neun Zei­len un­ter­ge­brach­tes Bild mit Rub­rik ein: Chris­tus auf dem Öl­berg (fol. 14): Wäh­rend der Got­tes­sohn be­tend vor dem Kelch mit der Hos­tie ge­zeigt wird, schla­fen rechts ne­ben ihm die drei Lieb­lings­ jün­ger. Pet­rus trägt be­reits sein Schwert, das hier als krum­mer Sä­bel dar­ge­stellt ist, in der Hand, mit dem er spä­ter dem Sol­da­ten Malc­hus bei der Ge­fan­gen­nah­me das Ohr ab­schla­gen wird.

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Zum Ma­rien­of ­fi­zi­um wird die Matu­tin tra­di­ti­o­nell von der Ver­kün­di­gung (fol. 20) ein­ ge­lei­tet. In ei­nem mit bun­ten Stein­spie­geln ver­zier­ten Re­nais­sance-In­te­ri­eur be­tet Ma­ ria un­ter ei­nem Bal­da­chin, des­sen Tuch le­ben­dig aus­schwingt und in sei­nen Far­ben mit dem En­gel kor­res­pon­diert; denn die In­nen­sei­te ist im sel­ben Rot wie Gab­ri­els Ge­wand und die Au­ßen­sei­te im sel­ben hel­len Grün wie die En­gels­flü­gel ge­hal­ten. Schwung­voll ist der Erz­en­gel von rechts in das Ge­mach ge­tre­ten und beugt die Knie, wäh­rend er mit weit er­ho­be­ner Hand auf die Tau­be des Hei­li­gen Geis­tes deu­tet, die in der Mit­te über bei­den schwebt. Er trägt hier eine Art Pep­los, der als das klas­si­sche Ge­wand par ex­cellence zur Aus­stat­tung des In­te­ri­eurs paßt. In ei­nem nur neun Zei­len ho­hen Bild­strei­fen zu den Lau­des wird die Heim­su­chung (fol. 31) als dy­na­mi­sche Be­geg­nung Eli­sa­beths, die links aus ih­rem Haus ge­tre­ten ist, und der Jung­frau Ma­ria ge­zeigt. Vom Hü­gel öff­net sich der Blick nach links hin­ten in ein tieflie­ gen­des Ge­wäs­ser mit ei­ner Stadt auf dem jen­sei­ti­gen Ufer, als sei Ma­ria, die ei­gent­lich über’s Ge­birg zu Eli­sa­beth ging, von dort ge­kom­men. Die Jung­frau, ganz in Blau und noch in Be­we­gung be­grif­fen, wen­det sich mit er­ho­be­nen Hän­den Eli­za­beth zu, die als ver­hei­ra­te­te Frau ihr Haar in ei­ner auf­wen­di­gen Kopf­be­de­ckung ver­hüllt hat. Auch die Grei­sin, in Rot und Gelb ge­klei­det, scheint mit ei­nem so ra­san­ten Schritt auf die künf­ ti­ge Got­tes­mut­ter zu­zu­kom­men, daß die Bän­der und Säu­me ih­res Ge­wan­des im Win­ de flat­tern. Die An­be­tung des Kin­des (fol. 38v) zur Prim, wie­de­rum neunz­ei­lig und nur zu­fäl­lig im Text­ver­lauf am An­fang der Sei­te, ist von der glei­chen fest­li­chen Wür­de wie der ge­sam­te Ma­rien­zyk­lus: Vom Stall ist nur eine höl­zer­ne Stüt­ze vor ru­i­nö­sem Putz zu se­hen. Doch wie schon zur Ver­kün­di­gung wird Ma­ria durch ei­nen präch­ti­gen grü­nen, in­nen rot aus­ ge­schla­ge­nen Bal­da­chin, der wie von gött­li­chem Hauch be­wegt ist, aus­ge­zeich­net. Sie hat die Hän­de ele­gant vor der Brust ver­schränkt, wie sie den nack­ten Sohn kni­end an­be­tet. Wäh­rend Ochs und Esel das auf ei­ner Strah­len­au­re­o­le ge­bet­te­te Kind be­schnup­pern, kommt Jo­seph, der hier un­ge­wöhn­lich­er­wei­se als jun­ger Mann mit brau­nem Haar und Bart er­scheint, mit ei­ner Ker­ze hin­zu. Der sel­ten so jung ge­zeig­te Zieh­va­ter trägt eine Ker­ze, um auf die Weih­nacht zu wei­sen, in der das Er­eig­nis sich zu­trägt. Zur Terz er­scheint wie üb­lich die Hir­ten­ver­kün­di­gung (fol. 41v). Ein jun­ger mu­si­zie­ren­ der und ein al­ter Hir­te mit wei­ßem Bart ha­ben sich links und rechts nie­der­ge­kniet, der­ art die Mit­te des Bil­des ei­nem gro­ßen wei­ßen Hir­ten­hund und den wei­den­den Scha­fen über­las­send. An­däch­tig bli­cken die Män­ner zum Him­mel auf, wo­bei die himm­li­sche Er­schei­nung im Bild wie schon zur Jo­han­nesp­erik­ope für den Be­trach­ter nur durch die gol­de­nen Strah­len, die in das obe­re Bild­feld fal­len, an­ge­deu­tet wird. Zur Sext ist das vor­ge­se­he­ne Bild­feld so nied­rig, daß die Fi­gu­ren in der An­be­tung der Kö­ni­ge (fol. 43) nur kni­end in der Mi­ni­a­tur Platz fin­den. Ma­ria hat un­ter ih­rem Bal­da­ chin mit dem nack­ten Kna­ben auf dem Schoß Platz ge­nom­men, und in ei­ner Ges­te gro­ ßer Ver­eh­rung kni­en alle drei Kö­ni­ge in der ge­wohn­ten Al­ters­fol­ge vom Greis bis zum bart­lo­sen Jüng­ling be­reits vor dem Kna­ben, um ihre Ga­ben zu prä­sen­tie­ren.

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Zur Non wird die Dar­brin­gung im Tem­pel (fol. 45v) ge­zeigt, hier in ei­ner un­ge­wöhn­li­ chen For­ma­ti­on: Sim­eon, an des­sen Mit­ra ein gol­de­ner Halb­mond prangt, steht links ne­ben ei­nem run­den Tisch, der eher an ein zeit­ge­nös­si­sches Mö­bel­stück denn an ei­nen Al­tar­tisch er­in­nert (vgl. auch un­se­re Nr. 55), wohl aber mit ei­nem wei­ßen Tuch ver­se­ hen ist, das mit grie­chi­schen Kreu­zen be­stickt ist. Der Greis hält den nack­ten Je­sus­kna­ ben, der zu sei­ner rechts kni­en­den Mut­ter zu­rückdrängt. Jo­seph, auch hier noch in bes­ ten Jah­ren, kommt mit ei­ner Ker­ze hin­zu und läßt so kei­nen Zwei­fel da­ran, daß das an Mariä Licht­meß er­in­nert und nicht etwa die Be­schnei­dung Chris­ti ge­meint ist. Die Flucht nach Ägyp­ten (fol. 49v) zur Ves­per er­hält am Be­ginn der Sei­te mit 14 Zei­len ein un­ge­wohnt ho­hes Bild­feld; es gibt dem Ma­ler er­neut Ge­le­gen­heit, eine licht­durch­flu­ te­te be­weg­te Land­schaft zu zei­gen. Ent­lang ei­nes klei­nen Bäch­leins führt der Zieh­va­ter den Esel, der die kost­ba­re Fracht trägt. Ma­ria hat ih­ren in ei­nen pur­pur­ro­ten Rock ge­ klei­de­ten Sohn auf dem Schoß zu sich ge­nom­men und gibt ihm die Brust; die idyl­li­sche Sze­ne ist in ers­ter Li­nie Pas­to­ra­le und nicht dra­ma­ti­sche Flucht, auch wenn der Zieh­va­ ter sor­gen­voll blickt. Das hö­he­re Bild­for­mat gilt dann auch für die Komp­let mit ei­ner ma­jes­tä­ti­schen Ma­ rien­krö­nung (fol. 54): Vor gol­de­nem Grund auf ei­ner Wol­ken­bank kniet die Mut­ter­got­ tes vor dem thro­nen­den Gott­va­ter, der vor dem glei­chen be­weg­ten Bal­da­chin­tuch wie bis­her Ma­ria, mit lan­gem wei­ßen Bart, Mit­ra und Spha­ira aus­ge­stat­tet, die Hand seg­ nend über ih­rem Haupt er­hebt. Be­glei­tet wird sie von ei­nem gro­ßen En­gel, der die Lau­te schlägt; sein ro­ter Pep­los fällt so he­rab, daß da­run­ter die ju­gend­li­che Brust des ei­gent­lich ge­schlechts­lo­sen Ge­flü­gel­ten zum Vor­schein kommt. Für die Matu­tin von Hei­lig Kreuz hat­te der Schrei­ber of­fen­bar nur eine gro­ße Ini­ti­a­le vor­ge­se­hen, so ­daß für die Kreu­zi­gung (fol. 58) nur et­was mehr als die Hälf­te des Text­ fel­des in acht Zei­len Höhe zur Ver­fü­gung steht. Auf den An­fangs­buch­sta­ben D ver­zich­ tet der Ma­ler, weil er dann doch eine be­weg­te Kom­po­si­ti­on ent­wi­ckeln will: Mäch­tig ragt das Kreuz vor ei­ner ins Zwie­licht ge­tauch­ten Stadt­sil­hou­et­te auf – mit Gold über dem Ho­ri­zont und dunk­lem Blau oben. Links ste­hen Ma­ria, Jo­han­nes und eine wei­te­ re trau­ern­de Frau, rechts hin­ge­gen der be­rit­te­ne Centu­rio, der mit sei­nen Sol­da­ten uns den Rü­cken zu­wen­det. Zur Matu­tin des Hei­li­gen Geis­tes hat der Schrei­ber wie­der die vol­le Brei­te für eine frei­ lich nicht sehr hohe Mi­ni­a­tur frei­ge­las­sen; doch nutzt der Ma­ler das recht nied­ri­ge Bild­ feld für eine er­staun­lich dy­na­mi­sche Kom­po­si­ti­on mit dem Pfingst­wun­der (fol. 61). Um Ma­ria, die mit der Tau­be die Mit­tel­ach­se des Bil­des be­stimmt, ha­ben sich die Apos­tel ver­sam­melt und bli­cken mit teils er­reg­ter Ges­tik nach oben, wo vor dunk­lem Grund die Tau­be er­scheint und gol­de­ne Strah­len aus­sen­det. Auch für die Buß­psal­men war nur eine elfz­ei­li­ge Ini­ti­a­le vor­ge­se­hen; das da­für nö­ti­ge D ist ein­zei­lig in die rech­te obe­re Ecke des Bild­felds ge­stellt. Dar­ge­stellt ist Da­vids Buße (fol. 67v). Vor dem Tor ei­ner Stadt oder sei­nes Pa­las­tes kniet der weiß­haa­ri­ge Kö­nig und hat

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die Zei­chen sei­ner Wür­de vor sich nie­der­ge­legt. Im Him­mel über ihm er­scheint wie­der der En­gel mit Stab und Schwert, wie in un­se­rer Stil­grup­pe ge­wohnt (vgl. Nrn. 60 und 61). Das To­ten­of ­fi­zi­um er­öff­net nach der Rubik am Sei­ten­en­de mit der Dar­stel­lung von Hiob auf dem Dung (fol. 79). Wäh­rend der nur in ein Lei­nen­tuch ge­hüll­te Greis den Blick nach links ab­wen­det, re­den die bei­den reich ge­klei­de­ten Freun­de hef­tig auf ihn ein. Die Suf­fra­gien, text­lich das Auf­fäl­ligs­te in die­sem Stun­den­buch, sind nur mit ei­nem ein­zi­gen Bild ge­schmückt; dies­mal hat der Schrei­ber nicht an eine Bild­i­ni­ti­a­le ge­dacht, son­dern ne­ben dem sechsz­ei­li­gen Raum auch Platz für ei­nen ein­zei­li­gen Buch­sta­ben frei­ge­las­sen. Dort wird der Gna­den­stuhl (fol. 115v) wie­der­holt, wie er auf dem ein­zi­gen text­lo­sen Voll­bild am An­fang des Bu­ches ge­zeigt war. Die letz­te Mi­ni­a­tur des Stun­den­buchs folgt der ab­schlie­ßen­den Für­bit­te an alle Hei­li­gen. In ei­ner Wap­pen­mi­ni­a­tur von 19 Zei­len Höhe, die sich dem Texten­de an­schließt, wer­den die Arma Chris­ti (fol. 134) auf ei­nem blau­en Schild und als Helm­zier ge­fei­ert, die aus Dor­nen­kro­ne, Mar­ter­säu­le, Hahn und Gei­ßel­werk­zeu­gen be­stehen und vor schwar­zem Grund von vier präch­ti­gen rot-gol­de­nen Akant­hus­ran­ken hin­ter­fan­gen werden. Zum Stil Alle Mi­ni­a­tu­ren sind in ei­ner fort­ge­schrit­te­nen Pha­se sei­ner Tä­tig­keit im Stil des Pa­ri­ ser Buch­ma­lers Étienne Col­aud aus­ge­führt wor­den; sie fol­gen sei­nem Vor­rat an Mo­ti­ ven und ver­ra­ten das cha­rak­te­ris­tisch gra­phi­sche Ver­ständ­nis von For­men und das kla­re Ko­lo­rit, das den Ma­ler kenn­zeich­net. Der Um­stand, daß sich der Auf­trag­ge­ber in sei­ ner Bi­schofs­wür­de zeigt, legt die Ent­ste­hung nach 1527 fest, also den Jahren, nach­dem Étienne Col­aud den Auf­trag für die Sta­tu­ten­bü­cher des Mi­cha­els­or­dens er­hal­ten hat­te. Zu überlegen wäre, ob nicht neben Colaud ein weiterer Künstler am Manuskript mitarbeitete, nämlich der bei Cousseau, S. 89f., mit dem Manuskript des Dauphin Francois, n. a. lat. 104, erwähnte und mit zwei Miniaturen in Farbe abgebildete Martial Vaillant, der ab 1523 aktiv war und dies bis in die späten 50er Jahre hinein blieb. Beide Miniaturen, vor allem die Pfingstdarstellung (Cousseau, fig. 3) sind, trotz der Größenunterschiede und leicht abweichender Gruppierung, von einer überraschenden Ähnlichkeit, die es erlaubt, diesen namentlich dokumentierten Maler in die Zuschreibung unter Vorbehalt miteinzubeziehen. Kom­plett und aus­ge­zeich­net er­hal­ten ist die­ses edle Ma­nus­kript in An­ti­qua. Als ein Bei­spiel aus der spä­ten Zeit des hand­ge­schrie­be­nen Stun­den­buchs hält sich der Text im we­sent­li­chen an den al­ten Brauch, weicht aber in den Suf­f ra­gien spek­ta­ku­lär ab; die Aus­stat­tung mit Suf­f ra­gien zu Fes­t en des Kir­chen­jahrs mag mit dem Auf­trag­ge­ ber zu tun ha­ben: Pi­erre Pal­mier, Erz­bi­schof von Vien­ne von 1527–1555. Doch zu­ gleich er­staunt über­haupt, daß ein so ho­her Prä­lat für sein per­sön­li­ches Ge­bet sol­che Suf­f ra­gien an­le­gen ließ! Der Pa­ri­ser Buch­ma­ler Éti­enne Col­aud hat den Auf­trag­ ge­ber ein­drucks­voll dar­ge­stellt und den Band dann, eventuell unter der Mitarbeit

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von Martial Vaillant, üp­pi­ger aus­ge­stat­tet, als es der Schrei­ber vor­ge­se­hen hat­te. So bie­tet das Ma­nus­kript Mi­ni­a­tu­ren un­ter­schied­li­cher Grö­ße: vor al­lem ein ganz­sei­ ti­ges Stif­ter­bild in Re­nais­sance-Ar­chi­tek­tur­rah­mung und eine gro­ße Wap­pen­ma­le­ rei, die den heu­te ge­wohn­ten Be­griff der Arma Chris­t i für die Pas­si­ons­werk­zeu­ge in un­ge­wohn­ter Wei­se wört­lich nimmt. Sollte unsere Vermutung hinsichtlich des bis­ lang fast unbekannten Martial Vaillant zutreffen, wäre damit ein organischer Zu­ sammenhang zwischen Étienne Colaud und dem Meister des Gouffier-Psalters ge­ schaffen. Li­te­ra­tur Das Ma­nus­kript ist un­ver­öf­fent­licht.

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63 Das Stun­den­buch des Pi­erre Du­che­snay und seiner Frau An­toi­net­te Cain: Ein un­be­kann­tes Werk von dem Meis­ter des Gouf ­fier-Psalters


STUNDENBUCH. Horae B. M. V. für den Gebrauch von Paris. Lateinische und französische Handschrift auf Pergament, in schwarzer humanistischer Schrift, mit roten Rubriken. Paris, ca. 1535–1545: Meister des Claude Goufer-Psalters (Charles Jourdain?) Vierzehn Bilder unterschiedlicher Größe in Ädikulen, die den ganzen Textspiegel mit der Miniatur einfassen und mit Köpfen sowie in neun Fällen mit einer großen CamaïeuFigur besetzt sind – auf diesen Seiten zweizeilige Initialen auf Pinselgold; dreizehn Bilder in voller Breite des Textspiegels, über 5 bis 15 Zeilen Text, ein achtzeiliges Bild als Hochrechteck im Textspiegel; keine Bordüren. Kleinere Initialen in Pinselgold auf Feldern im Wechsel von Rot, Blau, Rot und Grün mit goldener Verzierung: Psalmenanfänge zweizeilig, Psalmenverse, am Zeilenbeginn, einzeilig. Versalien gelb laviert. 138 Blatt Pergament, dazu ein Doppelblatt Pergament und ein Doppelblatt leeres Papier vorn, ein Binio Pergament hinten. Gebunden in 18 Lagen, vorwiegend zu acht Blatt ohne bewußte Zäsuren; davon abweichend nur die Eingangslage 1 (4), die um das erste Blatt ergänzte Lage 2 (8+1), die um das zweitletzte Blatt beraubte Lage 10 (8-1) sowie die im Textverlauf unregelmäßige Lage 15 (8). Keine Reklamanten. Zu 19 Zeilen in Text und Kalender, Reglierung nicht sichtbar. Duodez (138 x 90 mm; Textsiegel: 92 x 60 mm). Bis auf ein Blatt vollständig, sehr schön und breitrandig erhalten. In einem modernen Holzdeckel-Einband, bezogen mit gemustertem Samt des 19. Jahrhunderts. Goldschnitt. Mit Einträgen der Familie Duchesnay aus Compiègne, von der Heirat des Pierre Duchesnay und Antoinette Cain am 25. Februar 1642 bis 1701 auf den Blättern, die dem Buchblock vor- und nachgeschaltet sind. Zuletzt französischer Privatbesitz. Der Text fol. 1: Kalender, fortlaufend geschrieben, in lateinischer Sprache, nicht jeder Tag besetzt: Fese in Rot; einfache Heiligentage und Sonntagsbuchsaben b-g in Braun; Sonntagsbuchsaben A als goldene Initialen auf abwechselnd roten und blauen Feldern. Die Heiligenauswahl entspricht mit Genovefa (3.1.), Dionysius (9.10.) und Marcellus (3.11.) Pariser Brauch. fol. 12: Perikopen: Johannes als Suffragium (fol. 12), Lukas (fol. 13), Matthäus (fol. 14), Markus (fol. 15). fol. 15v: Johannes-Passion mit Schlußgebet Deus qui manus tuas. fol. 23: Gebet vor dem Marien-Ofzium: O(raci)o dicenda ante horas: Clementissime domine deus.

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fol. 23v: Ma­ri­en-Of ­fi­zi­um für den Ge­brauch von Pa­ris, mit Text­än­de­run­gen im Lau­fe des Kir­chen­jahrs für die Matu­tin, ein­ge­schal­tet die Ho­ren von Hei­lig Kreuz und Hei­lig Geist: Matu­tin mit drei Nok­tur­nen, also neun Psal­men und neun Le­sun­gen (fol. 23v), Lau­des (fol. 41v), Kreuz-Matu­tin (fol. 50), Geist-Matu­tin (fol. 51), Ma­ri­en-Prim (fol. 52), Ma­ri­en-Terz (fol. 57v), Ma­ri­en-Sext (fol. 62), Ma­ri­en-Non (fol. 66), Ma­ri­en-Ves­per (fol. 70), Ma­ri­en-Komp­let (An­fang fehlt vor fol. 76). fol. 80v: Buß­psal­men, mit Li­ta­nei (fol. 89); die be­schei­de­ne Hei­li­gen­aus­wahl mit Mar­cel­ lus und Gen­ovefa weist auf Pa­ris. fol. 93v: To­ ten­ of ­fi­ zi­ um: Ves­per (fol. 93v), Matu­tin (fol. 96v), Lau­des (fol. 115). fol. 123v: Suf­fra­gien: Tri­ni­tät (fol. 123v), Gott­va­ter (fol. 124), Je­sus (fol. 124v), Hei­lig Geist (fol. 124v), Sal­ve sanc­ta fac­ies (fol. 125), Mi­cha­el (fol. 126), Jo­han­nes der Täu­fer (fol. 126v), Jo­han­nes der Evan­ge­list (fol. 126v), Pe­ter und Paul (fol. 127), Alle Apos­tel (fol. 127v), Stepha­ nus (fol. 127v), Lo­renz (fol. 128), Se­bas­t i­an (fol. 128v), Alle Mär­ty­rer (fol. 129), Ni­ko­laus (fol. 129v), Clau­di­us (fol. 129v), An­to­ni­us Ab­bas (fol. 130v), Di­o­ny­si­us (fol. 131), Mar­cel­ lus (fol. 131), Ro­chus (fol. 131v), Ma­ria (fol. 132), Anna (fol. 132v), Ma­ria Mag­da­le­na (fol. 133), Ka­tha­ri­na (fol. 133v), Mar­ga­re­ta (fol. 134), Bar­ba­ra (fol. 134v), A­pol­lo­nia (fol. 135). fol. 136: Ge­be­te zur Mes­se und Ge­be­te von Kir­chen­vä­tern: vor der Kom­mu­ni­on: Do­mine non sum di­gnus (fol. 136), nach der Kom­mu­ni­on: Vera per­ceptio corpo­ris (fol. 136). fol. 136v: Sie­ben Ver­se des hei­li­gen Gre­gor: O do­mine ih(es)u xp(ist)e ad­oro te in cru­ce ­pen­den­tem. fol. 137v: Ge­bet des hei­li­gen Au­gust­inus: Deus prop­icius esto mi­chi pec­cat­ori. fol. 138: Texten­de; fol. 138v ur­sprüng­lich leer. Schrift und Schrift­de­kor Das Buch ver­tritt, wie schon die vor­he­ri­ge Nr. 62, eine neue Zeit: Ge­schrie­ben in ei­ner ed­len hu­ma­nis­ti­schen An­ti­qua, auf Blät­tern, die nicht mehr sicht­bar reg­liert sind, be­wegt sich das Lay­out zwi­schen dem al­ten Hor­ror va­cui und der Frei­heit, Räu­me groß­zü­gig frei­zu­las­sen. Bei die­sem Ein­druck spielt frei­lich eine Tat­sa­che mit: We­nigs­tens stel­len­ wei­se blie­ben die Rub­ri­ken leer, so in Par­ti­en des Ma­ri­en-Of ­fi­zi­ums. Der Ka­len­der mit sei­nen aus in­halt­li­chen Grün­den zu­wei­len lee­ren Zei­len steht in ei­nem ge­wis­sen Ge­gen­ satz zu den Psal­men, de­ren Ver­se je­weils am Zei­len­be­ginn ein­set­zen und bei der zier­li­ chen Schrift­grö­ße vie­le Zei­len­fül­ler zur Fol­ge ha­ben. Die cha­rak­te­ris­ti­sche Farb­fol­ge der Buch­sta­ben­fel­der, bei de­nen Rot ab­wech­selnd mit Blau und Grün al­ter­niert, sorgt auch bei den Zei­len­fül­lern durch das le­ben­di­ge Grün für kräf­ti­ge Farb­ak­zen­te.

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Die Bild­fol­ge fol. 12: Von den Perik­open er­hal­ten nur die Tex­te aus dem Jo­han­nes-Evan­ge­li­um Bild­ schmuck: Nur vier Zei­len hoch ist das Bild­feld für Jo­han­nes auf Pat­mos (fol. 12): In er­ reg­ter Be­we­gung, eine Hand auf ei­nem ge­öff­ne­ten Buch, die an­de­re zum Him­mel er­ho­ ben, kniet der ju­gend­li­che Evan­ge­list in der Land­schaft; auch der Ad­ler wirkt bewegt, wie er so mit den Flü­geln schlägt. In der Rah­men­ar­chi­tek­tur mag eine an­ti­ki­sche Her­me mit ei­nem ge­hörn­ten We­sen, das Li­bel­len­flü­gel hat, den Teu­fel oder ei­nen Sa­tyr mei­nen. Für das Ge­bet im Gar­ten Geth­sem­ane zur Jo­han­nes-Pas­si­on (fol. 15v) sind sie­ben Zei­len frei­ge­las­sen: In der Bild­mit­te kniet Je­sus, weit nach hin­ten ge­rückt, im Ge­bet zum En­ gel, der in ei­nem ro­ten Ge­wand vor gol­de­nem Grund er­scheint und ihm das Kreuz, nicht den Kelch bringt. Vorn lie­gen die Lieb­lings­jün­ger, Pet­rus und Jo­han­nes links, Jako­bus rechts, in tie­fem Schlaf. Ein an­ti­kisch ge­rüs­te­ter Krie­ger steht in der Rah­men­ar­chi­tek­tur. Im Ma­ri­en-Of ­fi­zi­um sind un­ter­schied­lich gro­ße Bild­räu­me für den ge­wohn­ten Zyk­lus zu den ein­zel­nen Ma­ri­en-Stun­den und die Matu­tin von Hei­lig Kreuz und Hei­lig Geist frei­ ge­las­sen: Die Ma­rien­ver­kün­di­gung zur Matu­tin (fol. 23v) spielt vor schwar­zem Grund. Ma­ri­as Bal­da­chin geht vom lin­ken Bild­rand aus und über­fängt ihr rot aus­ge­schla­ge­nes Bett und ihr Bet­pult. Vom Buch, das dort auf­ge­schla­gen ist, wen­det sie sich mit er­schro­ cke­ner Ges­te nach rechts zum En­gel um, des­sen ent­schie­den ge­streck­ter rech­ter Zei­ge­ fin­ger vor der Li­li­en­va­se in der Mit­te fast Ma­ri­as ab­weh­ren­de Hand be­rührt. Er trägt eine Art Pep­los aus Pur­pur und Grau und dazu wun­der­bar bun­te Flü­gel. Die Tau­be des Hei­li­gen Geis­tes er­scheint in ei­ner gol­de­nen Glori­ole über dem Haupt der Jung­frau; ihre Hei­lig­keit wird nur durch ei­nen zar­ten gol­de­nen Schein aus­ge­drückt. Bei der Heim­su­chung zu den Lau­des (fol. 41v) kommt Ma­ria mit ei­nem ge­wis­sen Schwung von links; ihr ist Eli­sa­beth ent­ge­genge­eilt, die noch gar kei­ne Zeit hat, vor der Jung­frau in die Knie zu sin­ken, wo sie doch schon die Rech­te aus­ge­streckt hat, um den ge­seg­ne­ ten Leib der Jung­frau zu füh­len. Ein Baum rechts grenzt die Haupt­grup­pe von ei­nem jüng­lings­haf­ten En­gel ab, der in glei­cher Grö­ße wie die bei­den Frau­en auf­tritt, dies­mal als Be­glei­ter Eli­sa­beths und nicht Ma­ri­as. Ein zwei­ter En­gel, al­ler­dings im gol­de­nen Ca­ maïeu des Rah­mens, er­scheint in die­sem links. Die Ho­ren er­öff­nen mit den ver­trau­ten Bild­the­men: Die Matu­tin von Hei­lig Kreuz ist mit der Kreu­zi­gung (fol. 50) kennt­lich ge­macht: Im Breit­for­mat wirkt Chris­tus ei­gen­ tüm­lich klein und ge­ra­de­zu ge­drückt; er wird wie in un­se­rer vo­ri­gen Num­mer nicht nur von Ma­ria und Jo­han­nes, son­dern auch von Mag­da­le­na be­weint, die am Kreu­zes­stamm un­ten kniet und im Pro­fil un­tröst­lich zum to­ten Er­lö­ser auf­blickt. Nur Ma­ria ver­kör­ pert hier Ruhe, wie sie ge­ra­de­zu dis­tan­ziert da­steht und be­tet, wäh­rend Jo­han­nes mit wei­tem Schritt he­ran­ge­eilt zu sein scheint. Ein Schä­del be­nennt die Stel­le als Golg­atha. Fel­sen tür­men sich hin­ter der Mut­ter­got­tes, Bäu­me ste­hen hin­ter dem Lieb­lings­jün­ger. In der Mit­te hin­ter dem Kreuz tau­chen Stadt­mau­ern vor dem Blau der Fer­ne auf. Die nack­te Män­ner­fi­gur in der Rah­men­ar­chi­tek­tur mit ih­rer Blatt­ran­ke über der Scham (die da­run­ter trotz­dem gut sicht­bar ge­macht wird) wird wohl – auch durch den Ap­fel in der

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Linken – Adam meinen und im Bezug zu Chrisus als dem zweiten Adam sehen. Die Horen von Heilig Geis werden durch das Pfingstwunder (fol. 51) ausgewiesen: Zwischen monumentalen Pfeilern verbreitet die Taube ihr goldenes Licht, das nach außen feurig rot wird. In kleinen Gesalten, die geschickt in zwei Raumtiefen verteilt sind, erscheinen die Aposel, vorn zwei, der linke von ihnen is Johannes, um die sitzende Maria kniend, die von ihrem Buch aufschaut und die Hände zum Gebet hebt. Petrus is noch am linken Rand zu erkennen; die anderen sehen in der Raumtiefe unter dem überwältigenden Lichtschein. Die Taube erscheint ein zweites Mal als Architekturzier im Rahmen. Zur Anbetung des Kindes zur Prim (fol. 52) sind bereits die Hirten geeilt. Maria sitzt in der Mitte des Bildes, neben ihr hat sich Joseph niedergelassen; er is ein Mann besen Alters, wie man ihn im 16. Jahrhundert häufiger dargesellt hat. Links knien zwei Hirten, ein dritter kommt von hinten. Schauplatz is eine öde Fläche voller Geröll, mit Gebäuden, deren Troslosigkeit wirkt, als seien hier Kriegszersörungen zu beklagen: Ehemals prächtige Architektur is nur noch Ruine, bizarr hebt sich Gebälk eines zersörten Daches gegen den Himmel ab. In dieser manierisischen Szenerie eilt hinten ein Mann durch ein Tor. Ochs und Esel halten sich im Freien auf, hinter Joseph und Maria. Von großem äshetischen Reiz is die Hirtenverkündigung zur Terz (fol. 57v), deren Einschaltung sich über die Anwesenheit der Hirten schon zur Prim hinwegsetzt: Man blickt über die Hirten, die mit ihrem aufmerksam zum Himmel aufschauendem Hund eine Art Rahmen bilden, in die weite Landschaft, zur Schaf herde in der Tiefe und dann zu dem wilden Gewölk, über dem der Engel des Herrn in goldenem Schein schwebt. Eine am Rahmen befesigte Herme mit dem Hirtengott Pan, der aus einer Art Feldflasche trinkt, verbindet antike Tradition in humanisischem Sinn mit der weihnachtlichen Pastorale im Bild. Die Anbetung der Könige zur Sext (fol. 62) spielt eher vor einem Stall als das Weihnachtsbild zur Prim. Links lehnt Joseph zwar an einer leuchtend hellen klassischen Architektur; dahinter aber seht der dunkle Stall mit dem Ochsen. Vorn sitzt Maria auf einer gemauerten Brücke. Vor ihr kniet der ältese König, während der mittlere mit der hier üblichen lebendigen Bewegung herankommt und der Mohrenkönig sill verweilt. Der jugendlich wirkende Joseph bringt die Kerze zu Lichtmeß, während Maria vor dem Altar bei der Darbringung im Tempel zur Non (fol. 66) kniet. Mehrere Prieser scharen sich um das nackte Kind, das auf einem Tuch auf dem Altar sitzt. Die goldene Schale erklärt sich vielleicht aus einer Vermischung des eigentlich gemeinten Themas mit der Beschneidung; die würde auch das Treiben der Prieser besser erklären. In der Tür hinten seht eine hinreißende manierisische Männerfigur. Ein Standbild des gehörnten Moses mit den Gesetzesafeln im Rahmen zeigt, wie nah Götter wie Pan und Patriarchen wie Moses im Manierismus einander kamen. Von besonderer Dramatik is die Flucht nach Ägypten zur Vesper (fol. 70): Maria, die mit dem Kind auf dem Esel reitet, is ganz an den linken Bildrand versetzt; dort wendet sich der Jesusknabe zu drei Engelköpfchen, die in Wolken auftauchen, während der wie-

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der ganz ju­gend­li­che Jo­seph mit we­hen­dem Man­tel vo­raus schrei­tet. Ein bär­ti­ger Mann in Rüs­tung er­scheint in der Rah­mung, viel­leicht in An­spie­lung auf die Sol­da­ten, die der Hei­li­gen Fa­mi­lie fol­gen. Ne­ben dem an­ti­qua­ri­schen Sinn brach­te die neue Zeit in alte Bild­tra­di­ti­o­nen auch das In­te­res­se für den Kör­per; das macht aus Bath­se­bas Bad zu den Buß­psal­men eine be­mer­ kens­wer­te Dar­stel­lung: Im Breit­for­mat nimmt das Be­cken, in dem die nack­te Bath­seba steht, die lin­ke Bild­hälf­te ein; von rechts naht, wie­der mit dem cha­rak­te­ris­ti­schen Be­we­ gungs-Schwung, eine Die­ne­rin in bun­tem Ge­wand, um der schö­nen Her­rin rote Früch­ te an­zu­bie­ten. Hin­ter ihr er­hebt sich Da­vids Pa­last; und von ei­nem Bo­gen­fens­ter aus blickt der Kö­nig auf die Frau­en. Mit der weib­li­chen Scham spielt die Fi­gur im Rah­men; sie trägt eine Art Pep­los und rafft den Saum des Ge­wan­des, wo­bei viel­leicht be­wußt un­ klar blei­ben soll, ob sie mit nack­ten Brüs­ten da­steht. Hiob auf dem Dung er­öff­net hier, wie zur glei­chen Zeit sonst auch, das To­ten-Of ­fi­zi­um (fol. 93v): Die Be­we­gung führt von links nach rechts. Der äl­tes­te der drei Freun­de re­det auf den Dul­der ein, wäh­rend Hi­obs Frau mit gro­ßer Ges­te auf den mus­ku­lö­sen Greis weist, der auf dem Mist sitzt, merk­wür­di­ger­wei­se vor ei­nem mo­nu­men­ta­len Stein­so­ckel, der zwei Säu­len trägt. Den fast nack­ten Hiob pers­ifliert in der Rah­mung ein nack­ter Sa­ tyr mit ei­ner lan­gen Flö­te (und, ne­ben­bei, eri­gier­tem Glied!). Zu den Suf­fra­gien wird nur die Tri­ni­tät in ei­nem Klein­bild dar­ge­stellt: Die Not Got­ tes – im Bild­ti­tel des Spät­mit­tel­al­ters Pit­ié de not­re Seig­neur – ver­kör­pert die Drei­ei­nig­ keit (fol. 123v): Gott­va­ter sitzt als Greis auf Wol­ken, mit der päpst­li­chen Ti­a­ra ge­krönt, hält er den to­ten Sohn auf dem Schoß, wäh­rend die Tau­be über Chris­ti Haupt schwebt. Der Ma­ler Die Ma­le­rei entstand be­reits kurz vor der Mit­te des 16. Jahr­hun­derts. In der Fi­gu­ren­ bil­dung, der ita­li­e­nisch ge­präg­ten Ge­wan­dung und der hef­ti­gen Be­we­gung hat sich ein Ma­nie­ris­mus durch­ge­setzt, wie er für die Zeit Hein­richs II . von Frank­reich cha­rak­te­ ris­tisch ist. Den Ma­ler fin­det man in zahl­rei­chen be­mer­kens­wer­ten Hand­schrif­ten und Früh­dru­cken der Zeit um 1550 wie­der: Er hat für das Stun­den­buch des Claude Gouf­ fier un­ter an­de­rem die Sze­ne der Heim­su­chung, M. 538 der New Yor­ker Pier­pont Mor­ gan Lib­rary, ge­malt (sie­he den Aus­st.-Kat. von Ro­ger Wi­eck, Pain­ted Prayers, New York 1997, Nr. 42). Dort sind in viel grö­ße­rem For­mat die we­sent­li­chen Cha­rak­te­ris­ti­ka auch un­se­rer Mi­ni­a­tur wie­der zu er­ken­nen: die Hef­tig­keit der Be­we­gung, die Bunt­heit, die stei­len Pro­por­ti­o­nen der Fi­gu­ren und die Lie­be für das Pro­fil. Der Auf­trag­ge­ber Claude Gouf ­fi er ge­hör­te zu den wich­tigs­ten Per­sön­lich­kei­ten an Hein­richs II . Hof: Er lei­ te­te das Ka­bi­nett des Kö­nigs und war Grand Écuyer de France. Sein Schloß d’Oiron in Éco­uen rich­te­te er neu ein; er bau­te die dor­ti­ge Ga­le­rie, in of­fen­ba­rem Wett­streit mit Fon­tai­ne­bleau, und sam­mel­te Kunst­wer­ke al­ler Art. Das Schloß in Éco­uen, heu­te das Mus­ée na­ti­o­nal de la Re­nais­sance, hat das En­ga­ge­ment des Grand Écuyer für die Kunst in ei­ner gro­ßen Aus­stel­lung 1994/95 ge­fei­ert. Gou­ffi­ers be­deu­tends­te Hand­schrift war das groß­for­ma­ti­ge Stun­den­buch, ehe­mals bei Fir­min-Di­dot, des­sen Blät­ter nicht nur in

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New York, son­dern über die Welt ver­streut zu fin­den sind (Aus­st.-Kat. Liv­res d’heu­res roya­ux, Éco­uen 1993, Nr. 14). Hin­zu ge­hört auch der – ganz von sei­ner Hand stam­men­ de – Psal­ter des Claude Gouf ­fi er, Pa­ris, Ar­se­nal, Ms. 5095 (eben­da, Nr. 9 – nach ihm ist unser Künstler benannt). So­gar be­son­ders soig­niert aus­ge­mal­te ge­druck­te Stun­den­bü­ cher wie Vélins 1581 der Pa­ri­ser Na­ti­o­nal­bib­li­o­thek (eben­da, Nr. 25) und ein wei­te­res in un­se­rem Be­sitz, rei­hen sich hier ein. Da auch das Stun­den­buch von Gou­ffi­ers Ehe­ frau, Ma­rie de Gaig­non, zur sel­ben Stil­ten­denz ge­hört (eben­da, Nr. 16), schließt sich der Kreis. Wie ge­schätzt un­ser Meis­ter von den be­deu­tends­ten Bü­cher­samm­lern der Zeit war, er­sieht man auch da­raus, daß er zum be­rühm­ten (drit­ten) Stun­den­buch des Anne de Mont­morency, heu­te in Chan­tilly, nicht we­ni­ger als fünf Mi­ni­a­tu­ren bei­steu­er­te (fol. 1v, 2, 13v, 52v und 58v, wo­bei letz­te­re im Ka­ta­log L’art du ma­nusc­rit de la Re­nais­sance en France, Chan­tilly 2001, auf S. 61 in Far­be ab­ge­bil­det ist). Von un­se­rem Meis­ter stammt auch das Stun­den­buch der Ka­tha­ri­na von Me­dici, Kö­ni­gin von Frank­reich, heu­te im Va­ti­kan: Vat.lat.14936, sie­he Mor­ello, Die schöns­t en Stun­den­bü­cher der Bib­liot­heca Va­tic­ ana, 1988, S. 96: Ta­fel xxiv, und Abb. 18, 45, 105, 120! Dazu das Ma­nus­kript aus der ehe­ma­li­gen Samm­lung Ro­bert Hoe: da­tiert 1537 für Fr. du Gué­lin, Ka­ta­log Hoe III , 2468, und Ka­ta­log Gro­lier Club, Ill. Mss. 1892, Nr. 53: Abb. auf Ta­fel vor S. 27. Wir ha­ben es also hier mit ei­nem Il­lu­mi­na­tor ho­hen Rangs zu tun, der um 1535 bis 1550 für hohe und höchs­te Per­sön­lich­kei­ten des Ho­fes wie den Écuyer de France Claude Gouf­ fier und des­sen Ge­mah­lin Ma­rie de Gaig­non Hand­schrif­ten und Früh­dru­cke aus­mal­te. Er ge­hört zu den letz­ten gro­ßen Meis­tern der Buch­ma­le­rei über­haupt. Jede Spur ei­nes sol­chen Künst­lers ist kost­bar; und so zeigt sich an un­se­rem klei­nen Stun­den­buch ein As­ pekt die­ser Kunst, den man an­ge­sichts der groß­for­ma­ti­gen Ar­bei­ten ver­gißt: Der Meis­ ter des Claude Gouf ­fi er-Psalters, der viel­leicht mit Charles Jourd­ain iden­ti­fi­ziert wer­den darf, der für die Il­lu­mi­na­ti­on von Gou­ffi­ers Stun­den­buch­dru­cken 1558 be­zahlt wur­de (sie­he Horae VIII , Nr. 141.4), hat also auch im nor­ma­len Stun­den­buch­for­mat ele­gan­te Hand­schrif­ten aus­ge­führt, in de­nen sich nichts vom Zau­ber sei­ner Kunst ver­liert: Im Ge­gen­teil scheint er ge­ra­de in der räum­li­chen Be­schrän­kung zu be­son­de­rer Ele­ganz zu fin­den. Be­son­ders be­mer­kens­wert sind da­bei die ma­nie­ris­ti­schen Züge, die sich in den Rah­men­ar­chi­tek­tu­ren mit ih­ren gro­ßen Her­men am bes­ten aus­drü­cken. Hier lebt ein von der An­ti­ke ins­p i­rier­ter Sinn für das Nack­te, das Fau­ni­sche, der we­nigs­tens punk­tu­ ell in be­mer­kens­wer­ter Span­nung zum re­li­gi­ö­sen In­halt ste­hen kann. Ein na­he­zu voll­stän­dig er­hal­te­nes Stun­den­buch aus der letz­ten Blü­te­zeit der Gat­ tung, das mit Schrift und Lay­out, mit den ma­nie­ris­t i­schen Rah­men und dem le­ben­ di­gen Ko­lo­rit, der hef­ti­gen Be­wegt­heit sei­ner Fi­gu­ren und der Art, wie die her­kömm­ li­chen Bild­the­men neu ge­stal­tet sind, vor­züg­lich in die Zeit Hein­richs II . um die Mit­te des 16. Jahr­hun­derts paßt. Es wur­de von ei­nem der he­raus­ra­gen­den Buch­ma­ ler je­ner Zeit il­lu­mi­niert. Die­ser Künst­ler, des­sen Haupt­wer­ke für den Grand Écuy­ er de France Claude Gouf ­fi er ent­stan­den sind, der aber auch vom Mar­schall Anne de Mont­morency und so­gar von Kö­ni­gin Ka­tha­ri­na von Me­dici für ihre Stun­den­bü­cher he­ran­ge­zo­gen wur­de, ge­hört zu den gro­ßen Meis­t ern der ma­nie­ris­t i­schen Ma­le­rei,

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die man in Frankreich um Fontainebleau gruppiert. Vielleicht haben wir es hier mit jenem Charles Jourdain zu tun, dessen Name im Umfeld des Claude Goufer fällt, weil er für die Illuminationen von dessen gedruckten Stundenbüchern namentlich bezahlt wurde und man nicht umhin kann, seine künstlerische Handschrift auch in diesem Kodex auszumachen. Literatur LM NF VI , Nr. 32.

Auss.-Kat. Livres d’heures royaux, Écouen 1993. Auss.-Kat. Les trésors du Grand Écuyer. Claude Gouffier, collecionneur et mécène de la Renaissance, Écouen 1994/95, insbes. S. 108-114.


64 Das ers­te Stun­den­buch des Anne de Mont­morency, Conn­ét­able de France un­ter François Ier, mit herr­li­chen Mi­ni­a­tu­ren von Noël Bellem­are


STUNDENBUCH. Horae B. M. V. für den Gebrauch von Rom. Lateinische Handschrift mit Kalender, Rubriken in Rot, Blau und Gold, geschrieben in schwar­ zer und dunkelbrauner Fere­humanisica, auf Pergament. Paris, um 1530­38: Von Noël Bellemare und dem Meiser des François de Rohan für Anne de Montmorency nach einer Vorlage von Étienne Colaud gesaltet 48 Bilder, davon neun ganzseitige Miniaturen in manierisischen Zierarchitekturen in Pinselgold, eine Wappenminiatur und ein späteres Frontispiz, sechs große Kopf bilder in Renaissance-Rahmen in Pinselgold und 31 Kleinbilder, dazu auf jeder Textseite vierseitige Bordüren, auf Pinselgold oder Farbe mit Akanthus, Blumen, Blattranken, Vögeln und Insekten – entweder in erfindungsreichen Kompartimenten französischer Tradition oder in der Art flämischer Streublumenbordüren oder italianisierend mit Kandelabern und Grotesken, darein verwoben gelegentlich Spruchbänder; in vom Schreiber leer gelassenen Resfeldern auf Verso-Seiten vor größeren Textanfängen blaue Kartuschen mit den Rubriken. 2- bis 4-zeilige Initialen in Blau oder Rot mit dichter Weißhöhung auf Pinselgold oder auf rotem Grund mit goldenem Binnenfeld bzw. in Gold auf blauem Grund mit weißem Liniendekor; 2- bis 4-zeiligen Initialen mit Streublumen, Früchten oder Insekten; einzeilige Initialen und Paragraphenzeichen in Pinselgold auf Rot oder Blau mit Linien­ dekor, Weiß auf Gold oder Gold auf Blau, Zeilenfüller in gleicher Art oder als Knotensöcke in Pinselgold; auf den ergänzten Blättern 1­ bis 2­zeilige Initialen in Blau auf Gold mit rotem Liniendekor. Versalien nicht farbig hervorgehoben. 133 Blatt Pergament, dazu hinten ein leeres Vorsatz aus Pergament sowie Marmorpapier als feses und fliegendes Vorsatz vorn und hinten. Gebunden vorwiegend in Lagen zu acht Blatt, davon abweichend die Kalenderlage mit dem frühesens 1538 hinzugefügten Wappenbild 1 (6+1), die zweite Lage des Marienoffiziums 6 (8­1+2) mit den zusätzlichen Miniaturen für die Matutin von Heilig­Kreuz und Heilig­Geis, Lage 7 (8+2) mit zwei eingefügten Miniatu­ ren zur Eröffnung der Mariensunden und Lage 8 (8+1) mit einer weiteren eingefügten Mi­ niatur. Keine Reklamanten. Zu 22, im Kalender zu 33 Zeilen, rot regliert. Oktav (200 x 135 mm; Textspiegel 130 x 73 mm). Komplett, vielleicht bis auf ein Blatt vor der Marien­Komplet, und glänzend schön erhalten. Gebunden in Haifischleder (Galuchat, 18./19. Jahrhundert?) auf sechs sichtbare Bünde; zwei moderne Silberschließen. Dieses is das erse bekannte Stundenbuch für Anne de Montmorency; sein zweites präsentie­ ren wir hier als Nr. 65: Auf fol. 7 seht sein Schild mit dem Schwert seines Amts als Konne­ tabel in einer ganzseitigen Miniatur: D’or à la croix de gueules cantonnée de seize alérions de sable ordonnés 2 et 2 (auf Gold ein rotes kantonniertes Kreuz mit 16 Vögeln in Schwarz – eigentlich Blau – angeordnet 2 und 2). Auf fol. 123/123v findet sich sein Monogramm AM in der Bordüre zu den Suffragien von Johannes dem Täufer und Johannes dem Evangelisen;

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da­mit wird sein Vor­na­me als Ab­kür­zung von Jo­han­nes (im Deut­schen wäre es Han­nes) und nicht in Ana­lo­gie zu Ma­ria als Bei­na­me für Män­ner als Anna de­fi­niert. Anne de Mont­morency (1493–1567) war wohl der wich­tigs­te fran­zö­si­sche Staats­mann in der Re­gie­rungs­zeit von Fran­çois Ier (1494–1547, am 25.1.1515 ge­krönt). Als en­ger Ver­trau­ter be­glei­te­te er den fran­zö­si­schen Kö­nig bei den mi­li­tä­ri­schen Kam­pag­nen in Ita­li­en und wur­de mit ihm 1525 nach der Schlacht von Pavia ge­fan­gen­ge­nom­men und kehr­te mit ihm ein Jahr spä­ter nach dem Ver­trag von Mad­rid zu­rück. 1538 wur­de er zum Kon­net­abel von Frank­reich er­nannt, er­hielt also das höchs­te mi­li­tä­ri­sche Amt im Kö­nig­reich. Erst zu dem Zeit­punkt wird das Wap­pen ge­malt wor­den sein; es ver­steht sich als Nach­trag zum Grund­be­stand des Buchs. Ver­hei­ra­tet war er mit Ma­de­leine de Savoie (um 1510–1586). Für die fran­zö­si­sche Kul­tur der Re­nais­sance wirk­te er ins­be­son­de­re durch die Er­rich­tung des gut er­hal­te­nen Schlos­ses von Éco­uen so­wie des im 19. Jahr­hun­dert über­bau­ten Schlos­ses von Chan­tilly. Um 1930 war das Ma­nus­kript im Be­sitz des spa­ni­schen Ad­li­gen Don Di­ego de Fu­nes: Je­sus Do­mín­guez Bord­ona, Ma­nos­cri­tos con pint­uras II, Mad­rid 1933, Nr. 2139, Abb. 737; zu­ letzt in ei­ner wei­te­ren spa­ni­schen Pri­vat­samm­lung. Der ur­sprüng­li­che Text fol. 1: Ka­len­der in La­tein, je­der Tag be­setzt, Hei­li­gen­ta­ge in Schwarz, Fest­ta­ge in Blau oder Rot, Gol­de­ne Zahl in Blau, Sonn­tags­buch­sta­ben b-g in Schwarz, Sonn­tags­buch­ sta­be A in Pin­sel­gold auf ro­ten oder blau­en Flä­chen; die Hei­li­gen­aus­wahl mit Rigo­berti (8.1.), La­unom­ari (18.1.), Ans­elmi (18.3.), Wulf­ranni (20.3.), Gauch­erii (9.4.), der Mut­ ter des hl. Au­gust­inus Mon­ica (4.5.), Got­hard, Abt von Hil­des­heim (5.5.), Clau­di­us als Fest­tag (6.6.), Leo­fr­edi (21.6.), Ro­chus als Fest­tag (16.8.), Clo­doaldi (7.9.), Ge­ral­dus, Bi­ schof von Or­lé­ans (13.10.), Papst Melchi­adis (10.12.) und Ur­si­nus (30.12.) eher uni­ver­ sal, der Fest­tag der hei­li­gen Anna (26.7.) als ein mög­li­cher Hin­weis auf den Kon­net­abel Anne de Mont­morency, der je­doch wohl eher eine Kurz­form von Jo­han­nes als Na­men trug, als ho­hes Fest in Blau her­vor­ge­ho­ben. fol. 7: Wap­pen und Voll­bild auf Ver­so. fol. 8: Perik­open: Jo­han­nes (fol. 8), Lu­kas (fol. 8v), Mat­thä­us (fol. 9v), Mar­kus (fol. 10v). fol. 12: Pas­si­on Chris­ti nach Jo­han­nes. fol. 18v: Ma­rien­ge­be­te, für ei­nen Mann re­di­giert: Obse­cro te (fol. 18v), O int­emer­ata (fol. 21), ge­folgt von den Grü­ßen zu den fünf Ma­ri­en­fes­ten (salu­tat­i­ons des cinq fes­tes de la vierge): Ave cui­us con­ceptio (fol. 23v) und dem Ma­rien­ge­bet Sta­bat ma­ter dolo­ro­sa (fol. 24v) und ei­nem zu Eh­ren der Jung­frau am Sonn­tag ge­be­te­ten Mis­sus est gab­ri­el ange­lus ad mar­iam (fol. 26v). fol. 31: Ma­rien­of ­fi­zi­um für den Ge­brauch von Rom, auf ei­ner blau­en Ta­fel, fol. 30v, als sol­ches an­ge­kün­digt (s. vsvm ro­man­vm), mit ein­ge­stell­ten Ho­ren von Hei­lig Kreuz und Hei­lig Geist: Ma­ri­en-Matu­tin (fol. 31), Lau­des (fol. 38), Matu­tin von Hei­lig Kreuz (fol. 46),

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Matu­tin von Hei­lig Geist (fol. 48), Prim (fol. 50), Terz (fol. 55), Sext (fol. 60), Non (fol. 64), Ves­per (fol. 68), Komp­let, bild­los (fol. 74). fol. 78: Buß­psal­men (fol. 78) und Li­ta­nei (fol. 85), die Hei­li­gen­aus­wahl deu­tet auf Pa­ris. fol. 91: To­ ten­ of ­fi­ zi­ um für den Ge­brauch von Rom: Ves­per (fol. 91), die bei­den wei­te­ren Stun­den von ei­ner Rub­rik ein­ge­lei­tet: Matu­tin (fol. 95v), Lau­des (fol. 114v). fol. 120: Suf­fra­gien: Tri­ni­tät (fol. 120), Gott­va­ter (fol. 120v), Chris­tus (fol. 121), Hei­li­ger Geist (fol. 121v), Ant­litz Chris­ti (fol. 122), Mi­cha­el und Jo­han­nes der Täu­fer (fol. 123), Jo­ han­nes der Evan­ge­list (fol. 123v), Pet­rus und Pau­lus (fol. 124), Jako­bus (fol. 124v), Steph­a­ nus (fol. 125), Lau­ren­ti­us und Se­bas­ti­an (fol. 125v), Ro­chus (fol. 126v), Ni­ko­laus (fol. 127), Chris­topho­rus (fol. 127v), An­to­ni­us (fol. 128v), Clau­di­us (fol. 129), Fia­crius (fol. 129v), meh­ re­re Mär­ty­rer und Alle Hei­li­gen (fol. 130), Anna (fol. 130v), Ma­ria Mag­da­le­na (fol. 131), Ka­tha­ri­na (fol. 131v), Bar­ba­ra (fol. 132), Mar­ga­re­ta (fol. 133). fol. 133v: leer. Die fünf Ma­rien­ge­be­te zum Text: Auf fünf Rec­to-Sei­ten wur­den, frü­hes­tens 1538, fol­gen­de Tex­te ein­ge­tra­gen: fol. 46: Ave sanct­iss­ima ma­ria und Sub tuum presi­dium. fol. 48: Suf­fra­gium: Alma re­dem­pto­ris ma­ter. fol. 50: In­viol­ata, inte­gra et casta est ma­ria und Dul­cis amica dei rosa. fol. 55: Suf­fra­gium: un­ter der Rub­rik Sa­lut­acio an­gel­ica: Sal­ve re­gi­na. fol. 60: Suf­fra­gium: In tem­po­re pasch­ali: Re­gi­na celi let­are und Be­ata visc­era ma­rie. Schrift und Schrift­de­kor Ge­schrie­ben in ei­ner ele­gan­ten Fere-hum­anis­tica, zu 22 Zei­len, so daß der Text recht dicht gef­aßt ist, der Band aber nicht so schlank wie bei­spiels­wei­se Nr. 59. Die Ver­sa­li­en, die schon fast wie An­ti­qua aus­se­hen, sind un­be­han­delt. Blaue Rub­ri­ken ver­drän­gen die hell­ro­ten weit­ge­hend. Pracht­voll ge­stal­tet sind die mit Bin­den ver­se­he­nen blau­grundi­gen Ta­feln auf Ver­so-Sei­ten, die in gol­de­ner An­ti­qua die an­schlie­ßen­den Inci­pits, z.B. ein­ zel­ne Ma­rien­stun­den, an­kün­di­gen. Wie das gänz­lich über­ein­stim­men­de Pin­sel­gold be­ weist, wur­den sie of­fen­bar im glei­chen Zuge aus­ge­führt wie die Ini­ti­a­len im Grund­text. Ein­zei­li­ge Ini­ti­a­len sind in Pin­sel­gold auf braun­ro­te und blaue Flä­chen ge­setzt; bei den Zei­len­fül­lern kom­men Kno­ten­stö­cke hin­zu, so daß z.B. beim Sta­bat ma­ter (fol. 24v) oder in der Li­ta­nei das Gold der Kno­ten­stö­cke mit Rot und Blau in strik­ter Fol­ge ab­wech­ selt. Die zweiz­ei­li­gen Ini­ti­a­len zu Psal­men­an­fän­gen al­ter­nie­ren in Pin­sel­gold auf blau­en Flä­chen und als wei­ße Akant­hus­zwei­ge auf ro­ten Flä­chen mit gol­de­nen Bin­nen­fel­dern. Buch­sta­ben, die kei­ne Bin­nen­fel­der um­schlie­ßen, ste­hen ganz auf gol­de­nen Flä­chen. Nur auf sol­chem gol­de­nen Fond, be­vor­zugt in den Bin­nen­fel­dern der wei­ßen Buch­sta­ben, fin­

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den sich Blü­ten­zwei­ge. Die vierz­ei­li­gen Ini­ti­a­len zu den wich­tigs­ten Inci­pits ver­zich­ten auf die Mög­lich­keit, Gold­buch­sta­ben auf Blau aus­zu­bil­den. Von be­zau­bern­der Viel­falt sind die Voll­bor­dü­ren, die alle Text­sei­ten um­ge­ben: Auf Rec­ to und Ver­so wird zwar die­sel­be Zeich­nung ein­ge­setzt; die un­ter­schied­li­chen Grund­far­ ben, Gold, Braun­rot, Blau, aber auch Schwarz sor­gen schon für eine er­staun­li­che Wir­ kung, die vom De­tail be­stä­tigt wird. Vö­gel, da­run­ter schö­ne Pfau­en, aber auch hyb­ri­de We­sen, die be­reits ganz dem Ma­nie­ris­mus zu­ge­hö­ren, be­set­zen die­sen Rand­schmuck, der an we­ni­gen Stel­len auf den Text an­spielt, am deut­lichs­ten die Schä­del im To­ten­of­ fi­zi­um. Das Buch soll­te in ei­ner ers­ten Pla­nung of­fen­bar zu den wich­tigs­ten Tex­ten ganz­sei­tig ge­rahm­te Bil­der mit dem Inci­pit vor die Mal­flä­che oder un­ter dem Kopf­bild er­hal­ten. Dann wä­ren nur die Ma­ri­en-Matu­tin, die Buß­psal­men und die To­ten­ves­p er mit je ei­nem Bild aus­ge­stat­tet wor­den. Étienne Col­aud dürf­te für die­se Pha­se ver­ant­wort­lich ge­we­sen sein, ist je­doch nicht dazu ge­kom­men, die zu­ge­hö­ri­gen Bil­der zu Ende zu brin­gen, da er wäh­rend der Ar­beit am Buch ver­drängt wur­de zu­guns­ten ei­nes sehr viel an­spruchs­ vol­le­ren Pro­gramms, das den Bild­be­stand ent­schie­den be­rei­cher­te: Voll­bil­der und klei­ ne Bil­der wa­ren be­reits bei den Perik­open und den Ma­rien­ge­be­ten im An­schluß an den bild­lo­sen Ka­len­der ne­ben ei­nem Kopf­bild an­ge­legt: Jo­han­nes wird durch ein Voll­bild, die Jo­han­nes­p as­si­on und das Obse­cro te durch Kopf­bil­der her­vor­ge­ho­ben; für die an­de­ ren Tex­te aber ge­nü­gen Klein­bil­der. Ent­spre­chend kon­zi­piert ist am Ende des Ban­des auch der Block mit den Suf­fra­gien. Im Ver­lauf des Ma­rien­of ­fi­zi­ums hat man zu­nächst die Lau­des bild­los be­las­sen wol­len, dann aber die Mi­ni­a­tur in ein Rest­feld ge­zwängt. Bei den Mat­uti­nen von Hei­lig Kreuz und Hei­lig Geist so­wie der Ma­rien­prim war si­cher an ein­ge­schal­te­te Bil­der ge­dacht; sonst setz­ten de­ren Inci­pits nicht so auf­fäl­lig an den Sei­ten­an­fängen nach lee­ren Zei­len ein. Bei Non und Ves­p er hat der Schrei­ber selbst dann Platz für Voll­bil­der auf Ver­so­sei­ten von auf Rec­to en­den­den Tex­ten frei­ge­las­sen. Der kon­zep­ti­o­nel­le Wan­del, für den dann auch zwei Künst­ler be­son­de­ren Ran­ges ge­ won­nen wur­den, be­traf also nicht ein schon fer­ti­ges Buch, das um­ge­ar­bei­tet wor­den wäre, son­dern voll­zog sich wäh­rend der Ar­beit. Nicht im Zuge die­ser Um­o­ri­en­tie­rung auf ein an­spruchs­vol­les Pro­gramm sind hin­ge­gen die Tex­te und die Bor­dü­ren auf den Rec­to-Sei­ten der ein­ge­füg­ten Blät­ter mit Bil­dern auf Ver­so, fol. 7, 46, 48, 50, 55 und 60, zu ver­ste­hen: Die Schrift ist ähn­lich, im Duk­tus aber pa­ra­do­xer Wei­se ein we­nig al­ter­tüm­li­cher. Vom Grund­be­stand wei­chen die schwar­zen Zier­buch­sta­ben auf gol­de­nem Grund und die Bor­dü­ren ab; sie sor­gen für eine sehr viel fort­schritt­li­chere Wir­kung. Der De­kor geht von der erst im 16. Jahr­hun­dert auf­ge­kom­ me­nen Mode der Grot­tes­ken aus, die sich an­ders als mit­tel­al­ter­li­che Gro­tes­ken aus den Grot­ten der Do­mus au­rea Kai­ser Ne­ros in Rom her­lei­tet. Da­mit wird der Kan­de­la­ber­ de­kor, der vor al­lem der alt­rö­mi­schen Re­li­ef­kunst ver­pflich­tet war, durch stär­ker fi­lig­ra­ ne Schmuck­for­men ab­ge­löst. Be­son­ders deut­lich wird die­ser Um­stand an Stel­len, wo wie

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auf fol. 58v/59 eine Kan­de­la­ber­bor­dü­re aus dem Grund­be­stand ne­ben ei­ner der­ar­ti­gen Hin­zu­fü­gung steht. Der­sel­be Ge­gen­satz er­gibt sich auch beim Über­gang vom Ka­len­ der zum Buch­block, wo der De­zem­ber von ei­ner blau­grundi­gen Kan­de­la­ber­bor­dü­re, das Wap­pen des Kon­net­abels aber von ro­sa­far­be­nen Fel­dern um­ge­ben ist mit ei­nem dün­nen Ge­flecht aus schwar­zen Zier­for­men, die be­reits auf das im spä­te­ren 16. Jahr­hun­dert be­ lieb­te Be­schlag­werk vor­aus­wei­sen. Das Wap­pen gibt ei­nen kla­ren An­halts­p unkt: Über das Schwert des Kon­net­abels ver­ füg­te Anne de Mont­morency erst 1538. Da­mit wird auch deut­lich: Die Rec­tos der ein­ ge­schal­te­ten Blät­ter für Bil­der er­hiel­ten Schrift und Rand­schmuck erst zu die­ser Zeit in ei­ner neu­en Kam­pag­ne, die nichts mit dem glei­ten­den Über­gang bei der im­mer rei­che­ ren Ge­stal­tung des Ban­des zu tun hat. Die Bil­der fol. I: Dem ge­sam­ten Ma­nus­kript ist ein Ti­tel­blatt aus der Zeit um 1600 vo­ran­ge­stellt. Auf leuch­tend ro­tem Grund zeigt es eine ein­drucks­vol­le gol­de­ne Kar­tu­sche in der Art von ar­chi­tek­to­ni­schem Zier­werk. Ge­rahmt von zwei En­geln und ver­ziert mit Roll­werk faßt es den in gol­de­nen Let­tern ge­schrie­be­nen Titu­lus des Stun­den­buchs ein, der auf ein blau­es Oval ge­schrie­ben ist, das wie ein kost­ba­rer Stein von dem ma­nie­ris­ti­schen Roll­ werk ein­gef­aßt wird. fol. 7: Wap­pen des Anne de Mont­morency, von der Her­zogs­kro­ne be­krönt und dem Col­ li­er des Mi­cha­els­or­dens um­ge­ben, mit dem Schwert des Kon­net­abels, ganz­sei­tig, das Text­feld als ro­ter Grund mit gol­de­nen Flam­men, ge­rahmt von ei­ner Bor­dü­re mit sti­li­sier­ ten Blat­tran­ken und Kar­tu­schen auf Rosa, wie sie für die spä­ter er­gänz­ten Sei­ten cha­ rak­te­ris­tisch sind. Im drit­ten Stun­den­buch des Kon­net­abels von 1551 (Chan­tilly, Mus­ée Con­dé, Ms. 1476, fol. 1v-2) steht das Wap­pen mit der Her­zogs­kro­ne und der Or­dens­ ket­te auf Ver­so ne­ben dem Schwert, des­sen Spitze die­ses Mal nach oben ragt; je­weils vor Him­mel mit Wol­ken (Brown 2013, Far­babb. Pl. 109). fol. 7v: Die Perik­open er­öff­net eine ganz­sei­ti­ge Mi­ni­a­tur mit Jo­han­nes auf Pat­mos (fol. 7v). Der Evan­ge­list sitzt an ei­nen dür­ren Baum ge­lehnt vor ei­ner Fel­sen­höh­le, als habe der Ma­ler als ers­ter in un­se­rem Ka­ta­log­werk Pa­ris mon amour end­lich ein­mal da­rü­ber nach­ge­dacht, wo Jo­han­nes in sei­ner Ver­ban­nung mög­li­cher­wei­se ge­haust hat. Er er­hebt die Hän­de und schaut in den Him­mel, wo über ihm die gold­far­be­ne Er­schei­nung des Apo­ka­lyp­ti­schen Wei­bes auf der Mond­si­chel schwebt. Die üb­ri­gen drei Perik­open er­hal­ten sie­ben- bis achtz­ei­li­ge Klein­bil­der, in de­nen sie als be­weg­li­che Voll­fi­gu­ren vor Re­nais­sance-Ar­chi­tek­tur er­schei­nen; ihre Köp­fe hat eben­falls Noël Bellem­are aus­ge­malt: Lu­kas (fol. 8v) mit dem Stier an ei­nem dreh­ba­ren run­den Schreib­pult; Mat­thä­us (fol. 9v) an ei­nem ent­spre­chen­den ecki­gen Pult, sich wie über­ rascht zum En­gel um­dre­hend; Mar­kus (fol. 10v) als Greis, sei­ne Schreib­fe­der prü­fend, mit dem Lö­wen, der sich auf­rich­tet, und ei­nem schö­nen Blick zwi­schen Säu­len ins Freie.

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fol. 11v: Die Passion Chrisi nach Johannes eröfnet mit einer wuchtig mit vielen kleinen Putten gerahmten ganzseitigen Miniatur der Gefangennahme Chrisi: Unten links wird der Bach Kidron angedeutet. An dessen Ufer is Malchus mit einer Laterne hingesürzt; auf ihn läßt Petrus mit einem mächtigen Hieb sein Schwert niederfahren. Im wilden Gedränge aus Soldaten von links und der Frau, die mit einer Laterne Jesus ausleuchten will, rechts, sorgt das Gold-Camaïeu, in das Judas gekleidet is, dafür, daß zwischen glänzenden Rüsungen der Judaskuß das Zentrum dieser von Noël Bellemare selbs brillant gesalteten Miniatur bildet. Das Incipit des Mariengebets Obsecro te is um eine groteske Architektur gewunden, deren Kielbogen von zwei geflügelten Drachen gebildet wird. Darunter thront die Muttergottes (fol. 18v) umgeben von zwei großen musizierenden Engeln. Während sie ihrem Sohn die Brus reicht, kommen zwei kleinere Engel hinzu, um ihr die Krone der Himmelskönigin auf das Haupt zu setzen. Die folgenden Gebete eröfnen mit sieben- bis achtzeiligen Kleinbildern; die konzeptionell ganzfigurig gedachten Gesalten werden vom unteren Bildrand leicht abgeschnitten: Noch einmal thront Maria mit Kind zwischen zwei Engeln (fol. 21); sehr ungewöhnlich wirkt die Beschneidung der Gesalt bei einer Variante der Maria immaculata (fol. 23v) mit Bildmotiven der Beiwörter der Jungfrau, wie wir sie von einem Metallschnitt des Meisers der Apokalypsenrose für Thielmann Kerver 1497-1502 (Horae IX, Nr. 17, Abb. 17, S. 3978) und verwandten Werken bis hin zu Benings Schlußbild im Breviarium Grimani in Venedig kennen; hier passen nicht alle Symbole und auch keine Beischriften ins Bild. Wieder sind alle Gesalten von Noël Bellemare gemalt worden. Die ungemein sensible kleine Pietà (fol. 24v) sammt ganz von seiner Hand, ebenso die Verkündigung (fol. 26v) zum Gebet der Empfängnis. Das Marienofzium wird durch eine große blaue Kartusche mit goldenem Titel (fol. 30v) eingeleitet. Das Incipit der Matutin is vor die als Ganzbild konzipierte Verkündigung (fol. 31) gesellt. Die Jungfrau kniet unter einem Baldachin links an ihrem Betpult; von rechts is der Engel in das überbordend mit Renaissance-Dekor verzierte Zimmer getreten und ins Knie gesunken. Er weis auf die Taube des Heiligen Geises, die von der kleinen Halbfigur Gottvaters gesandt wurde, der durch ein rundbogiges Fenser in das prachtvolle Ambiente blickt. Noël Bellemare hat auch hier für die feine Durchbildung der Gliedmaßen und Gesichter gesorgt. Zum goldenen Dekor gehören Engel, die am Säulenschaft außen klettern und an die viel zahlreicheren im Stundenbuch für Langres (Nr. 56) denken lassen. Zu den Laudes mag zunächs kein Bild geplant gewesen sein; nach sieben Zeilen Textende nimmt die Heimsuchung (fol. 37v) 15 Zeilen ein und greift über den Textspiegel nach unten aus, in einer Architektur, die dann aber wieder Bild und Text umfaßt. In einer hell erleuchteten Landschaft trefen sich, äußers anmutig gekleidet, Maria von links und Elisabeth. Die Jungfrau nimmt die Hand ihrer Base, die mit einem weißen Tuch Hals und Kinn verbirgt.

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Wo zur Marien-Matutin der Text des Ofziums in einer schönen Tafel angekündigt wurde, fordert die blaue Kartusche auf fol. 44v memento morI; das bezieht sich weder auf den nachgetragenen Text auf dem Reco von fol. 45, noch auf die nun folgende Matutin des Heiligen Kreuzes. Die Kreuzigung (fol. 45v) is nach Johannes auf Patmos das zweite eingeschaltete Vollbild und zugleich das erse, auf dessen Reco zusätzliche Gebete geschrieben wurden: Vor einem in Gold, Violett und Blau leuchtenden Himmel erhebt sich eine Bergkette und die Silhouette einer Stadt. Nur Maria und Johannes sehen unter dem Kreuz. Die Miniatur wurde von Étienne Colaud hinzugefügt. Der Bildtitel aD vesPeras De CruCe verrät, daß man sich nicht mehr allzu gut mit Stundenbüchern auskannte, zumal im Hymnus auf der gegenüberliegenden Seite von der hora matutina die Rede is – und nicht einmal des Bildthema zur Vesper paßt; denn zu der Stunde wird Chrisus ja bereits vom Kreuz abgenommen. Auch das Pfingsbild zur Matutin von Heilig Geis (fol. 47v) erforderte ein eingeschaltetes Blatt; wieder sammt die Miniatur von Étienne Colaud; sie überzeugt mit ähnlich farbsarker Wirkung: Um die erhöht sitzende Maria haben sich die Aposel versammelt und beten zur in breitem Goldschein schwebenden Taube des Heiligen Geises, in einem Bild, das die Ausgießung des Heiligen Geises tatsächlich durch Flammen ausdrückt, die vor dem schwarzen Grund aufflackern. Zur Marien-Prim hat man begrifen, daß das blaue Feld auf fol. 48v die Mariensunde ankündigen muß, die jeweils folgt; von jetzt an sind auch die Sockel der Bilder vernünftig beschriftet, hier mit aD PrImam. Die Anbetung des Kindes (fol. 49v) hat Étienne Colaud gemalt. Vom schäbigen Stall von Bethlehem is nichts zu sehen: Während Maria unter einem Baldachin im Freien kniet und das nackte Kindlein anbetet, kommt Joseph vor einer Renaissance-Architektur mit einer Lampe, um die Heilige Nacht anzudeuten, in der das Geschehen eigentlich spielt. Der Sattel im Vordergrund greift ein Motiv auf, das man in Florenz seit Masaccio und Domenico Veneziano (Berlin, Gemäldegalerie) kennt; er weis zurück auf die beschwerliche Reise zur Volkszählung nach Bethlehem und voraus auf die Flucht nach Ägypten. Bei der Hirtenverkündigung zur Terz (fol. 54v), zeigt Étienne Colaud drei Männer in prachtvoll bunter Kleidung, musizierend um ein Lagerfeuer sitzend, während die Schafe im Mittelgrund weiden. Ein Putto erscheint hier in den Wolken über ihnen und simmt das Gloria in excelsis an, mit dem er die Geburt des Herrn verkündet. Zur Sext hat Maria für die Anbetung der Könige (fol. 59v) im Zentrum der Miniatur Platz genommen, den nackten Sohn auf ihrem Schoß. Nicht wie sons üblich nacheinander, sondern von beiden Seiten kommen die Könige hinzu, um ihre Gaben zu präsentieren; nur der ältese hat seine Krone bereits abgelegt. Der jüngse rechts is tiefschwarz und trägt einen schwarzen Turban mit einem blauen Tuch und hellgrüne Pluderhosen. Das erse Vollbild des Marienofziums auf einem leer gebliebenen Verso im Textverlauf is die Darbringung im Tempel zur Non (fol. 63v); spätesens an dieser Stelle wußte der Schreiber etwas vom erweiterten Bildzyklus, von dem er bei Matutin und Laudes noch

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nichts ahnte. Am Altar, der nur ein wenig nach rechts gerückt und bildparallel gesellt is, nimmt Simeon den Chrisusknaben entgegen, während Joseph rechts seine Kopf bedeckung ehrfürchtig abgenommen hat. Von links tritt eine Frau hinzu; sie müßte eine Kerze tragen, Joseph das Taubenkörbchen; doch diese Tradition scheint hier vergessen. Ein Akolyth präsentiert dem Prieser wie bei der Messe ein geöfnetes Buch. Dessen Antlitz wurde ebenso wie die Köpfe der Frauen in der vom Meiser des François de Rohan vorbereiteten Miniatur von Noël Bellemare fertiggesellt. Die wild beweg te Flucht nach Ägypten zur Vesper (fol. 67v) erweis sich als ganz eigenhändiges Werk vom Meiser des François de Rohan, unverkennbar angesichts der ausdruckssarken Gesichter, scharfen Farbkontrase und leuchtenden Farben sowie der Landschaft. Nach links führt Joseph den Esel, an einer Palme vorbei, die an das Wunder der Dattelpalme erinnert, die sich in Martin Schongauers Kupfersich zu Maria und dem Kind beugt und in Dürers Marienleben wiederkehrt, ein Jahrhundert früher aber schon in unserem Limburg-Manuskript für Louis d’Orléans auftaucht (s. unseren Kat. 77 von 2016). Maria hat ihr Wickelkind zart im Arm. Über der Heiligen Familie türmen sich dunkle Wolken und Engelsköpfchen, die himmlisches Geleit bedeuten. Zur Komplet is keine Miniatur geschaltet. fol. 78: Der büßende David zu Beginn der Bußpsalmen is wie die Verkündigung zur Marien-Matutin als Kopf bild über vier Zeilen Incipit konzipiert, gehört somit zur ältesen Planungsphase der Handschrift. Sie zeigt den König in besem Alter, eindrucksvoll von Noël Bellemare entwickelt, im weiten Palasgarten kniend, lebhaft im Profil, umgeben von einer Architektur, die sicher von anderer Hand vorbereitet wurde, vielleicht eher von Étienne Colaud als dem Meiser des François de Rohan. Am Himmel zeigt sich winzig klein ein goldener Engel mit dem srafenden Schwert. Putten in Gold-Camaïeu vor blauem Grund spielen im Sockel der Rahmung; die links reißen einem Löwen das Maul auf, in Anspielung auf den berühmten Beweis von Davids Stärke. fol. 91: Auch zur Toten-Vesper seht das Bild über vier Zeilen Incipit. Szenen aus dem Gleichnis vom Gasmahl des Reichen und dem armen Lazarus (Lk. 26), wie auch dieser Katalog mit Bildern des Reichen in der Hölle zeigt (so Nrn. 54 und 59), waren im frühen 16. Jahrhundert beliebtes Thema für die Bebilderung des Totenofziums in Stundenbüchern. Dabei sanden mehrere Szenen zur Verfügung, von denen meis nur eine einzelne gewählt wurde, weil man wie in unserer Nr. 59 bei der Aussattung der Vesper mit zwei Miniaturen ungern auf eine Darsellung Hiobs verzichtete (siehe König 1978 sowie König und Bartz 1987). Das Bildfeld is in einen Innenraum mit Festafel und den Blick auf den Hof geteilt: Ein Diener weis den in Lumpen gekleideten armen Lazarus ab, während innen der Reiche (die gegenwärtige Literatur bevorzugt den lateinischen Begrif Dives, als sei es ein Name) an einer üppig gedeckten Tafel sitzt. Wieder hat Noël Bellemare die von anderer Hand, wohl Étienne Colaud, vorbereitete Miniatur in den Figuren vollendet.

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fol. 120: Die Sufragien eröfnet die thronende Trinität: Chrisus als Schmerzensmann sitzt zur Rechten des in päpslichem Ornat erscheinenden Vaters, zwischen ihren Häuptern breitet die Taube des Heiligen Geises ihre Flügel. Gemeinsam thronen sie auf einer Bank und präsentieren das Buch des Lebens, während sich hinter ihnen Engelscharen um einen Goldgrund reihen. Man wird ohne Zögern an die eigentümliche Erscheinung des Aufersandenen Chrisus im dritten Stundenbuch für Anne de Montmorency denken (Chantilly, Ms. 1476, fol. 3v: Brown 2013, Pl. 111): Zwölf Jahre liegen zwischen beiden Miniaturen; sie zeigen die Entwicklung ein und desselben Malers: Noël Bellemare. Danach folgen 24 Kleinbilder von sieben bis acht Zeilen Höhe zu den Sufragien, allesamt von Noël Bellemare gesaltet, ers im Laufe der Arbeit setzen sich Halbfiguren durch und der Anteil des genialeren Malers nimmt zu: Gottvater thronend (fol. 120v); das segnende Chrisuskind (fol. 121), nackt unter einem wild flatternden Umhang; die Taube des Heiligen Geises (fol. 121v); Veronika (fol. 122) präsentiert das recht kleine Schweißtuch; Michael im Kampf mit dem Drachen und Johannes der Täufer mit dem Lamm (fol. 123); Johannes der Evangelis mit dem Giftbecher (fol. 123v); Petrus und Paulus (fol. 124); Jakobus als Pilger (fol. 124v); Stephanus (fol. 125); Laurentius und Sebasians Pfeilmarter (fol. 125v); Rochus mit Engel und Hund (fol. 126v); Nikolaus mit den drei Jünglingen im Bottich (fol. 127); Chrisophorus mit dem Chrisusknaben (fol. 127v); Antonius mit dem Schwein vor der Einsiedelei (fol. 128v); Claudius (fol. 129); Fiacrius (fol. 129v); männliche Märtyrer (fol. 130), der Text zu Allen Heiligen bildlos; Anna lehrt Maria lesen (fol. 130v); Maria Magdalena (fol. 131); Katharina mit Schwert und Rad (fol. 131v); Barbara mit dem Turm (fol. 132); Margarete seigt aus dem Drachen (fol. 133). Die drei Maler In den Beschreibungen kamen wir nicht umhin, schon von den drei Hauptvertretern der Pariser Buchmalerei im frühen 16. Jahrhundert, die dieses Buch gesaltet haben, zu sprechen: Ihre Abfolge verbindet sich mit der Umgesaltung des Buchs von einem recht sparsamen Programm hin zur gültigen Pracht. Gern wüßte man, an welchem Punkt das Manuskript in die Hände des Konnetabels gelangt is. Wir sind überzeugt, daß Anne de Montmorency dieses Stundenbuch nicht ers erhielt oder erwarb, als er 1538 zum Konnetabel ernannt wurde. Er wird schon vorher auf ein von Étienne Colaud begonnenes Buch zugegrifen haben, um dann den von ihm geschätzten Meiser des François de Rohan, dem er sein zweites Stundenbuch ganz anvertrauen sollte (unsere Nr. 65), gemeinsam mit dem genialen Noël Bellemare einzubeziehen. Einige Miniaturen sind von Étienne Colaud, andere vom Meiser des François de Rohan angelegt worden, deren jeweilige Eigenart am besen in der Geburt Chrisi und der Flucht nach Ägypten zu Tage tritt; eine Sonderrolle spielte Noël Bellemare, der sensibelse und eindrucksvollse Künsler seiner Zeit in Paris. Er hat nur wenige Miniaturen insgesamt konzipiert, wohl aber die meisen Figuren in den von anderen vorbereiteten Bildern bearbeitet und damit dieses Manuskript auf eine besondere Höhe gebracht. Schon der in

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Paris ofenbar fremde Meiser des François de Rohan gibt mit seinem Temperament dem Bildauf bau wie dem Kolorit ein ganz ersaunliches Gepräge; durch die Eingrife von Noël Bellemare aber wird daraus ein spannendes Spiel, das auf Überraschung setzt. Die Handschrift wurde zunächs schlichter konzipiert, dann aber in einem fließenden Übergang immer auf wendiger gesaltet. Nachdem Étienne Colaud den Auftrag in schlichterem Konzept übernommen hatte, kamen die beiden bedeutenderen Zeitgenossen hinzu – diesen Übergang wird man mit Anne de Montmorencys Zugrif auf das Buch verbinden dürfen. Die drei Maler blieben danach ofenbar während dieses ganzen Prozesses an der Ausmalung beteiligt. Ers 1538 is ein klarer Wechsel auszumachen; er besand nicht etwa darin, daß man für Vollbilder zusätzliche Blätter einschaltete, sondern nur in der Gesaltung der zunächs leer gebliebenen Reco-Seiten. Sie erfolgte, wie das Wappen auf dem Reco von fol. 7 beweis, als Anne de Montmorency das Schwert des Konnetabels erhielt. Da er 1538 ernannt wurde, wird man den Grundbesand des Buches mit all seinen ganzseitigen Miniaturen ein gutes Stück früher setzen und die Ergänzungen 1538 datieren. Noël Bellemare, den man früher als Meiser der Getty-Episeln kannte, is aus Antwerpen nach Paris gelangt, wo er zwischen 1515 und 1546 nicht nur als Buchmaler, sondern auch als Entwerfer von Glasfensern und als Tafelmaler nachweisbar is und vielleicht noch länger arbeitete. Von seiner Kuns und Erfindungsgabe zeugen Fenser in St. Germain l’Auxerrois und die eindrucksvolle Passionsafel in St. Gervais et Prothais. Einige der bedeutendsen Aufträge für Mitglieder des königlichen Hofs in den 1520er Jahren hat er ausgeführt; so illuminierte er für Franz I. 1529/30 einen Discours de Cicéron, übersetzt von Étienne Le Blanc (Paris, BnF, fr. 1738). Die elegant bewegten Figuren und die leuchtend helle Farbigkeit dieses Künslers bringen eine neue manierisische Qualität in die Pariser Buchmalerei. Der Meiser des François de Rohan, der mit kraftvollen Formen und Farben geradezu dramatische Energie zeigt, wird nach dem Porträt des François II de Rohan in der Fleur de vertu (Paris, BnF, Ms. fr. 1877, fol. 1, ca. 1530) genannt. Wegen seiner wilden Formund Farberfindungen hielt ihn Orth 1998 zunächs für einen Künsler aus dem deutschen oder schweizerischen Raum. Zwischen 1529 und 1549 hat er Manuskripte für Margarete von Navarra und Franz I. ausgemalt, so dessen Stundenbuch im New Yorker Metropolitan Museum (2011.353). Zur gleichen Zeit ließ Anne de Montmorency nach seiner Ernennung zum Konnetabel von Frankreich 1539 ein zweites Stundenbuch vollsändig vom Meiser des François de Rohan ausmalen. Da wir dieses Werk hier als Nr. 65 ausgiebig erörtern, sei auf den folgenden Katalogbeitrag verweisen. Bei dem dritten Maler handelt es sich um Étienne Colaud, der als Buchmaler und Buchhändler in den 1520er Jahren in Paris gearbeitet und auch eine Reihe gedruckter Stundenbücher illuminiert hat: Cousseau 2010 und 2016, vor allem aber auch unseren Katalog 75 Horae B. m. v. von 2003 bis 2015). Ihm wird der reiche Dekor verdankt, der von italienischen Grotesken über illusionisische Blumenbordüren in flämischer Manier

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bis hin zu Ein­band­stem­pel­mo­ti­ven ei­nen un­er­hör­ten Er­fin­dungs­reich­tum für zeit­ge­nös­ si­sche De­ko­ra­ti­ons­mo­ti­ve of­fen­bart, von ihm stam­men die Num­mern 60 bis 62 die­ses Ka­ta­logs. Ein­drucks­voll in groß­ar­ti­ger Far­big­keit, über­bor­den­dem De­kor und pa­cken­den Bil­ dern ist die­ses Stun­den­buch schon auf den ers­t en Blick. Es ge­winnt aber un­ge­mein, wenn man den be­tei­lig­ten Buch­ma­lern Noël Bellem­are, dem Meis­ter des Fran­çois de Ro­han und Étienne Col­aud auf die Spur kommt und schließ­lich wahr­nimmt, wie in ei­nem flie­ßen­den Über­gang die Aus­stat­tung er­gänzt und der An­spruch er­wei­tert wur­de. In sei­ner Pracht steht die­ses Stun­den­buch für jene Buch­kul­tur, die sich den in Frank­ reich ver­brei­te­ten re­for­ma­to­ri­schen Ten­den­zen ent­ge­gen­stellt und die alte Spi­ri­tu­a­ li­tät auf­recht­er­hal­ten will. Dazu paßt die am stärks­t en über­ra­schen­de Ei­gen­art: Die­ ses Ma­nus­kript, das auch das Mo­no­gramm von Anne de Mont­morency zeigt, hat der gro­ße Kon­net­abel des Kö­nigs Franz I. durch Wap­pen und Schwert sei­nes Amts als sein ei­gen be­zeich­net. Es stammt da­mit aus den höchs­t en Krei­sen des Hofs. Ei­gent­lich ist es ein Buch für Éco­uen, das Mus­ée na­ti­o­nal de la Re­nais­sance, das in ei­nem Schloß des Kon­net­abels vor den To­ren von Pa­ris sei­nen Platz ge­fun­den hat, oder für Chan­tilly, wo es in der une­rmeß­lich schö­nen Bib­li­o­thek des Duc d’Au­ma­le ne­ben dem drit­ten Stun­den­buch des Prin­zen ei­nen wür­di­gen Platz hät­te. Li­te­ra­tur Das Ma­nus­kript ist nicht pub­li­ziert. Zu Anne de Mont­morency zu­letzt – jeweils ohne Kennt­nis un­se­res Ma­nus­kripts: Eli­ za­beth A. R. Brown, Ma­de­leine de Savoie and the Chan­tilly Hours of Anne de Mont­ morency, in: Sand­ra Hind­man und James H. Mar­row (Hrsg.), Books of Hours Recon­side­ red, Lon­don/Turnh­out 2013, S. 431–468. Thier­ry Cré­pin-Le­blond, Anne de Mont­morency. 15 mars 1493–12 novem­bre 1567. Un homme de la Re­nais­sance, Éco­uen 2014.

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65 Das zwei­te Stun­den­buch des Anne de Mont­morency, Kon­net­abel von Frank­reich, ein Haupt­werk des Meis­ters des Fran­çois de Ro­han aus dem Jahr 1539 mit 35 Mi­ni­a­tu­ren in denk­wür­dig ma­kel­lo­ser Er­hal­tung


Stun­den­buch. Horae B. M. V. für den Ge­brauch von Rom. La­tei­ni­sche Hand­schrift auf Per­ga­ment, Rub­ri­ken in Rot und Blau, mit ei­nem Ka­len­der in Schwarz, ge­schrie­ben in schwar­zer An­ti­qua. Pa­ris, 1539 da­tiert: Meis­ter des Fran­çois de Ro­han Ins­ge­samt 35 Bil­der: 14 ganz­sei­ti­ge Mi­ni­a­tu­ren auf Ver­so-Sei­ten in pracht­vol­len Re­nais­ sance­ah­men mit Pin­sel­gold und bun­ter Stein­i­mi­ta­ti­on, teil­wei­se mit über­mal­ten Wap­ pen, die Inci­pits auf den ge­gen­über lie­gen­den Sei­ten mit dreiz­ei­li­gen Ini­ti­a­len ohne Rand­ schmuck; 21 Klein­bil­der, de­ren Text­fel­der um­rahmt von Fran­zis­ka­ner­kor­deln; zwei- und dreiz­ei­li­ge Ini­ti­a­len in Blau und Rot um­wi­ckelt mit wei­ßen Ban­de­ro­len, auf gol­de­nen Flä­ chen, die mit Akant­hus­ran­ken, Blu­men oder Blatt­werk ver­ziert sind; ein­zei­li­ge Ini­ti­a­len und Pa­ra­gra­phen­zei­chen in Pin­sel­gold auf Rot, Blau und Grün mit gol­de­nem De­kor, Zei­len­ fül­ler in glei­cher Art oder als Kno­ten­stock un­ter­schied­li­cher Far­be. 98 Blatt Per­ga­ment, vor­ne 6 und hin­ten 5 flie­gen­de Vor­sät­ze aus al­tem Per­ga­ment, auf dem 6. Vor­satz vorn und 1. hin­ten zwei leer ge­blie­be­ne ge­mal­te Kar­tu­schen aus dem spä­ten 16. oder frü­hen 17. Jahr­hun­dert. Ge­bun­den vor­wie­gend in La­gen zu acht Blatt, da­von ab­wei­chend die La­gen 9 (8+1), 10 (6), 11 (2+6) und die End­la­ge 14 (4). Rot reg­liert zu 25 Zei­len für Text wie Ka­len­der. Ok­tav in stei­lem Hoch­for­mat (230 x 136 mm, Text­spie­gel 161 x 74 mm). Ro­ter Ma­ro­quin­band des 18. Jahr­hun­derts auf glat­ten Rü­cken, die­ser mit el­abo­rier­ter Kom­ par­tim­ent­ver­gol­dung, De­ckel in drei­fa­cher File­ten­rah­mung, Steh- und In­nen­kan­ten­ver­gol­dung, sehr schö­ne best­irnte Bro­kat­pa­pier­vor­sät­ze, Gold­schnitt. Kom­plett und von völ­lig ma­kel­lo­ser Er­hal­tung. Ge­schaf­fen für Anne de Mont­morency, Kon­net­abel von Frank­reich, des­sen Wap­pen auf meh­ re­ren Bild­sei­ten mit Gold über­deckt, aber un­zwei­fel­haft im Ge­gen­licht les­bar, da­tiert 1539. Ge­sto­che­nes Ex­lib­ris von Charles Jo­uas im Vor­der­de­ckel mit der De­vi­se Et Beauv­ill­a in, tou­jours il vous aime (Zi­tat aus „Ma­ri­on Del­orme“ von Vic­tor Hugo), d. i. Éti­enne Beauv­ill­ain, Ban­quier und Samm­ler des frü­hen 20. Jahr­hun­derts, des­sen Samm­lung in Pri­vat­ver­ käu­fen in den 80er und 90er Jah­ren auf­ge­löst wur­de. Die­ses Ma­nus­kript war in der Auk­ti­on Ader Pi­card Ta­jan, 16.9.1988, Nr. 67bis: 1.850.000,- Francs plus Auf­geld, an Pi­erre Be­res. Zu­letzt eu­ro­pä­i­sche Pri­vat­samm­lung. Text fol. 1: Ka­len­der in la­tei­ni­scher Spra­che, fort­lau­fend ge­schrie­ben, nur we­ni­ge Tage be­ setzt: Hei­li­gen­na­men in Schwarz, Fest­ta­ge in Rot, Gol­de­ne Zahl in Rot, Sonn­tags­buch­ sta­be A in Pin­sel­gold auf ro­ten, blau­en oder grü­nen Flä­chen, Sonn­tags­buch­sta­ben b-g in Schwarz; die Hei­li­gen­aus­wahl lo­kal un­spe­zi­fisch, fran­zis­kan­isch bee­influßt: Anna als Fest­tag (27.7.), Fran­zis­kus als Fest­tag (4.10.).

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fol. 10: Perik­open: Jo­han­nes (fol. 10), Lu­kas (fol. 10v), Mat­thä­us (fol. 11v), Mar­kus (fol. 12). fol. 13v: Jo­han­nes­pas­si­on. fol. 19: Ma­rien­of ­fi­zi­um für den Ge­brauch von Rom, mit ein­ge­stell­ten Ho­ren von Hei­ lig Kreuz und Hei­lig Geist: Matu­tin (fol. 19), Lau­des (fol. 28v), Kreuz-Matu­tin (fol. 35), Geist-Matu­tin (fol. 36), Ma­ri­en-Prim (fol. 37), Terz (fol. 40v), Sext (fol. 44), Non (fol. 47v), Ves­per (fol. 51), Komp­let (fol. 56). fol. 64: Buß­psal­men, mit Li­ta­nei (fol. 69), da­rin Pa­ri­ser Hei­li­ge wie Gen­ovefa. fol. 74v: To­ ten­ of ­fi­ zi­ um, für den Ge­brauch von Rom: Ves­per (fol. 74v), die wei­te­ren Stun­ den mit Rub­rik her­vor­ge­ho­ben: Matu­tin (fol. 77v), Lau­des (fol. 87v). fol. 93: Suf­fra­gien: Tri­ni­tät (fol. 93), Mi­cha­el (fol. 93), Jo­han­nes der Täu­fer (fol. 93v), Jo­ han­nes der Evan­ge­list (fol. 93v), Pet­rus und Pau­lus (fol. 94), Jako­bus (fol. 94), Steph­a­nus (fol. 94v), Lau­ren­ti­us (fol. 95), Se­bas­t i­an (fol. 95), Ni­ko­laus (fol. 95v), An­to­ni­us (fol. 95v), Ro­ chus (fol. 96), Anna (fol. 96), Mag­da­le­na (fol. 96v), Ka­tha­ri­na (fol. 96v), Mar­ga­re­te (fol. 97), Bar­ba­ra (fol. 97v), A­pol­lo­nia (fol. 98). Schrift und Schrift­de­kor 1539 ent­stan­den zwei eng ver­wand­te Stun­den­bü­cher, ei­nes für Franz I. (heu­te im Met­ro­ poli­tan Mu­se­um, New York), das an­de­re für des­sen Kon­net­abel Anne de Mont­morency, das wir hier vor­stel­len, und zwar ver­mut­lich in die­ser Rei­hen­fol­ge; denn un­ser Ma­nu­ skript zieht Kon­se­quen­zen aus dem Buch, das für den Kö­nig ent­stan­den ist: Bei­de Stun­ den­bü­cher sind in sehr ähn­li­cher An­ti­qua ge­schrie­ben, die sich in der Ent­ste­hungs­zeit be­reits seit ei­ner Wei­le für Ge­bet­bü­cher durch­ge­setzt hat­te, nach­dem sie von Hu­ma­nis­ ten ei­gent­lich klas­si­schen Tex­ten vor­be­hal­ten war (s. Abbildungen in der Einleitung). Be­mer­kens­wert fein sind die ein­zei­li­gen gol­de­nen Ini­ti­a­len auf al­ter­nie­rend ro­ten, blau­ en, wie­der ro­ten und grü­nen Flä­chen; dazu wer­den in bes­ter Tra­di­ti­on, ob­wohl, wie de­ ko­ra­ti­ve Leer­zei­len be­wei­sen, der Hor­ror va­cui nicht mehr in vol­lem Maße gilt, doch noch Zei­len­fül­ler in den­sel­ben Far­ben so­wie als Kno­ten­stö­cke, nicht nur in Gold-Ca­ maïeu, son­dern in ver­schie­de­nen Far­ben aus­ge­führt. Grö­ße­re Zier­buch­sta­ben sind zum Teil mit vor­züg­lich erf­aß­ten Blü­ten ge­schmückt, die, zwar sti­li­siert, aber doch er­kenn­ ba­re Sor­ten dar­stel­len. Ein ent­schei­den­der Schritt voll­zieht sich zwi­schen dem Stun­den­buch für Franz I. und un­se­rem Ma­nus­kript: Wäh­rend dort alle wich­ti­gen Inci­pits mit Kopf­bil­dern über vier Zei­len Text mit ent­spre­chend gro­ßer Ini­ti­a­le ver­se­hen sind, wird in un­se­rer Hand­schrift die we­sent­li­che Be­bil­de­rung text­los, als ge­rahm­tes Ge­mäl­de ge­stal­tet. Im glei­chen Zuge ver­zich­tet man auf jede Bor­dü­re. Die ein­fa­chen Text­sei­ten hat man in die­sen Jah­ren oh­ ne­hin kaum noch mit Ran­ken­werk ge­schmückt. Bei den Suf­fra­gien lebt der schon un­ter Anne de Bre­tag­ne be­lieb­te Trend fort, eine Fran­zis­ka­ner­kor­del, mit Pin­sel­gold ge­höht, um den Text­spie­gel zu le­gen, in dem dann Klein­bil­der er­schei­nen.

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Die für die Bil­der er­run­ge­ne Frei­heit vom Text hat Anne de Mont­morency of­fen­bar so be­ein­druckt, daß er zwölf Jah­re spä­ter in sei­nem drit­ten Stun­den­buch (Chan­tilly, Mus­ée Con­dé, Ms. 1476, 1943: Meur­gey 1930, Nr. 93, Taf. cxxvii b; Orth 2015, Nr. 91, mit Abb. 240-243 und Taf. 45) das­sel­be Prin­zip be­fol­gen ließ. Noch ent­schie­de­ner wird bei den gro­ßen Inci­pits der tra­di­ti­o­nel­le Rand­schmuck über­ wun­den: Bi­zar­re Ar­chi­tek­tu­ren über­neh­men die Rol­le der Bor­dü­ren. Das ge­schieht in un­se­rem zwei­ten Stun­den­buch für Anne de Mont­morency im­mer­hin noch mit ei­ner ge­ wis­sen Re­fe­renz zum Brauch; denn so wie der Text ori­en­tie­ren sich auch die rei­nen Bild­ sei­ten an der vom Gol­de­nen Schnitt be­stimm­ten Ver­schie­bung der Rän­der, die zum Falz hin sehr schmal und dann nach oben, au­ßen und un­ten zu­neh­men. Für die Bild­sei­ten folgt da­raus die Aus­stat­tung mit un­ter­schied­lich di­cken ver­ti­ka­len Glie­dern, die je­dem fran­zö­si­schen Re­nais­sance-Rah­men be­reits ei­nen ma­nie­ris­ti­schen Grund­zug ge­ben. Die Tat­sa­che, daß un­ten die Rand­strei­fen be­son­ders hoch sind, lädt dazu ein, So­ckel un­ter­ schied­lichs­ter Art zu er­fin­den; nach oben aber kann­te schon die seit vie­len Ge­ne­ra­ti­o­nen etab­lier­te Tra­di­ti­on eine be­mer­kens­wer­te Frei­heit, die hier noch mehr als für Franz I. aus­ge­lebt wird. Erst im drit­ten Stun­den­buch, 1551, soll­ten sich dann die Rah­men gänz­ lich von der Äs­the­tik der Buch­sei­te lö­sen. Bild­fol­ge Die Mi­ni­a­tu­ren va­ri­ie­ren auf un­ter­schied­li­che Wei­se die ent­spre­chen­den Mo­ti­ve im Stun­den­buch für Franz I. Das sehr viel groß­zü­gi­ge­re und für Mi­ni­a­tu­ren in fran­zö­si­ schen Stun­den­bü­chern un­ge­wohnt stei­le For­mat lädt nun aber zu er­staun­li­chen Lö­sun­ gen für Land­schaft und In­te­ri­eur ein. Man hat so­gar den Ein­druck, daß der Ma­ler in der Ab­fol­ge der Bil­der zu­neh­mend an Frei­heit ge­gen­über den ikono­gra­phi­schen Kon­ven­tio­ nen ge­winnt und sei­ne Kunst schon beim fünf­ten ganz­sei­ti­gen Bild, dem Pfingst­wun­der, zu un­ge­ahn­ter Höhe stei­gert. Die Perik­open er­öff­nen mit ei­ner ganz­sei­ti­gen Mi­ni­a­tur: Jo­han­nes auf Pat­mos (fol. 9v) sitzt rechts, zum Text ge­wen­det, mit sei­nem Buch an ei­nem Baum­stumpf vor der­art dich­ tem Ge­büsch, daß man den Ort trotz der Was­ser­flä­che links im Mit­tel­grund, nicht als In­sel iden­ti­fi­zie­ren mag. Be­glei­tet von sei­nem Ad­ler mit dich­tem Ge­fie­der, das dem Vo­ gel Vo­lu­men gibt, wen­det er sich er­regt um und blickt zum Him­mel, wo die Vi­si­o­nen vom Apo­ka­lyp­ti­schen Weib ih­ren An­fang neh­men. An­ders als im ers­ten Stun­den­buch für Anne de Mont­morency (Nr. 64) schaut Jo­han­nes statt des Apo­ka­lyp­ti­schen Wei­ bes, also der Mut­ter mit dem Kind, die auf der Mond­si­chel steht und in die Son­ne ge­ klei­det ist, die im Text Apc. 12,1-2 vo­raus­ge­hen­de Ver­fol­gung der Schwan­ge­ren durch das sie­ben­köp­fi­ge Un­ge­heu­er, das die vor ihm Flie­hen­de ver­schlin­gen will. In präch­ti­gen Far­ben und mit ener­gi­schem Pin­sel schil­dert der Ma­ler die wil­de Sze­ne ein­drucks­voll. Im Lor­beer­kranz im Zent­rum des un­te­ren Rah­mens wur­de das Wap­pen von Anne de Mont­morency mit Gold über­malt. Im Pfei­ler der Rah­mung links in gol­de­nen Let­tern eine De­vi­se auf blau­em Grund: devm time.

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Die drei fol­gen­den Perik­open wer­den von sechsz­ei­li­gen Klein­bil­dern ein­ge­lei­tet und zei­ gen je­weils hin­ter Vor­hän­gen, die sich für uns Be­trach­ter öff­nen, die ein­zel­nen Evan­ge­ lis­ten mit ih­ren At­tri­buts­we­sen: Lu­kas am Schreib­pult, be­glei­tet vom ge­flü­gel­ten Stier (fol. 10v), Mat­thä­us mit dem En­gel, der ihm ein ge­öff­ne­tes Buch prä­sen­tiert (fol. 11v), und mit wei­ßem Bart den Evan­ge­lis­ten Mar­kus in sei­ner Schreib­stu­be, zu des­sen Fü­ßen sich der schwar­ze Löwe nie­der­ge­legt hat (fol. 12). Die­se Bild­sei­ten sind wie am Ende des Bu­ches die Suf­fra­gien von ei­ner Fran­zis­ka­ner­kor­del um­ge­ben. fol. 13: Die Jo­han­nes­p as­si­on lei­tet wie in Anne de Mont­morencys ers­tem Stun­den­buch eine ein­drucks­vol­le ganz­sei­ti­ge Dar­stel­lung der Ge­fan­gen­nah­me Chris­ti ein: Von rechts stürzt Ju­das auf den Got­tes­sohn zu, um ihm den Kuß des Ver­rats zu ge­ben. Wäh­rend Noël Bellem­are im ers­ten Stun­den­buch, Nr. 64, bei die­ser Sze­ne mit an­ti­ken Rüs­tun­ gen prunk­te, tritt beim Meis­ter des Fran­çois de Ro­han der­ar­ti­ges In­te­res­se hier zu­ rück; denn er gibt nur ei­nem der Scher­gen ein Schild und dem grei­sen Bär­ti­gen, der ­Chris­ti Arm faßt, ei­nen kaum als sol­chen zu er­ken­nen­den grü­nen Pan­zer über den Schul­tern; die an­de­ren aber läßt un­ser Ma­ler eher so aus­se­hen, als sei­en sie die An­klä­ ger bei ­Pi­la­tus. Noch stär­ker als in Nr. 64 hebt sich im Vor­der­grund die Ne­ben­sze­ne von ­Pet­rus und Malc­hus als eine ei­ge­ne Bild­ein­heit ab: Pet­rus holt mit sei­nem krum­ men ­Sä­bel erst noch zum kräf­ti­gen Hieb aus, um dem vor ihm lie­gen­den, et­was klein ge­ra­te­nen ­Malc­hus ein Ohr ab­zu­schla­gen. Die­ser klam­mert sich an eine gro­ße La­ter­ne, wäh­rend er mit ­sei­nem Kno­ten­stock das auf ihn nie­der­schnel­len­de Schwert ab­zu­weh­ ren sucht. Die Matu­tin er­öff­net mit der Ver­kün­di­gung (fol. 18v) in ei­nem präch­ti­gen Schlaf­ge­mach: Von links ist der En­gel hin­ein­ge­schwebt, steht auf­recht und weist auf die Er­schei­nung Gott­va­ters in der Höhe, der die Tau­be zu Ma­ria hi­nabsen­det. Rechts kniet die Got­tes­ mut­ter, ähn­lich zu Gott und dem En­gel um­ge­wen­det wie Jo­han­nes auf Pat­mos zur Vi­ si­on. Pracht­vol­le Farb­ak­kor­de und flat­tern­de Ge­wän­der be­le­ben die Sze­ne­rie, wäh­rend sich die ge­sam­te Dy­na­mik des Ma­lers in den wild be­weg­ten Ban­de­ro­len äu­ßert, die mit ave und ecce den Di­a­log zwi­schen Ma­ria und dem En­gel wie­der­ge­ben. Vor dem So­ckel der rah­men­den Ar­chi­tek­tur wird aus ei­nem grü­nen Kno­ten­stock ein Me­dail­lon ge­bil­det; da­rin er­scheint Mo­ses als Halb­fi­gur mit den Ge­set­zes­ta­feln zwi­schen den Na­mens­be­ stand­tei­len mo – yses. In der zent­ra­len Kar­tu­sche des Pfei­lers links au­ßen steht in fei­ nem Pin­sel­gold die Jah­res­zahl 1539. Zu den Lau­des wird die Heim­su­chung (fol. 28) vor ei­ner wil­den Fels­land­schaft ge­zeigt: In der präch­ti­gen Log­gia sei­nes Hau­ses sitzt der grei­se Za­cha­ri­as; Eli­sa­beth ist Ma­ria ent­ge­gen­ge­gan­gen und er­greift mit ih­rer Rech­ten die rech­te Hand der Jung­frau. Mit ih­ rem lin­ken Zei­ge­fin­ger weist sie auf de­ren Bauch; und Ma­ria, die sich wie eine Ve­nus im Kontr­apost be­wegt, er­wi­dert mit ver­stän­di­ger Mie­ne den Gruß. Die ein­ge­stell­ten Hei­lig-Kreuz-Ho­ren er­hal­ten wie üb­lich nur je­weils ein Aus­zeich­ nungs­bild: Zur Matu­tin ist für die Kreu­zi­gung (fol. 34v) das gro­ße Kreuz vor ei­nem in Rot und Gelb schim­mern­den Him­mel über luf­tig-leich­ter Land­schaft auf­ge­rich­tet und nimmt die ge­sam­te Höhe des Bild­fel­des ein. Ge­schun­den hängt Chris­tus, das Ge­sicht

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ganz ins Pro­fil zur Mut­ter ge­dreht, am Kreuz­bal­ken. In mit­tel­al­ter­li­cher Tra­di­ti­on, die auch beim Blick in die Höhe die Ge­stal­ten ver­klei­nert, sind Ma­ria und Jo­han­nes un­ter dem Kreuz ent­schie­den grö­ßer als die ei­gent­li­che Haupt­fi­gur: Da­bei wirkt der ju­gend­ li­che Jün­ger in sei­ner Trau­er an der Schä­del­stät­te durch die im Wind flat­tern­den Haa­ re ganz be­son­ders le­ben­dig. Die Far­ben des Him­mels, die Fel­sen und auch die Ge­stalt Chris­ti ver­wun­dern in fran­zö­si­scher Kunst; sie las­sen eben­so wie die Fül­le der Dra­pe­ri­ en an Ma­le­rei des frü­hen 16. Jahr­hun­derts im süd­deut­schen Sprach­raum den­ken, als sei die­se Kunst nicht ohne jene um­wäl­zen­de Be­we­gung zu ver­ste­hen, die sich bei­spiels­wei­se in Alb­recht Alt­dorf­ers um 1512 ent­stan­de­ne Kas­se­ler Kreu­zi­gung aus­drückt. Eine ge­ wis­se Ruhe soll sich dann of­fen­bar durch die In­schrift im So­ckel des Bil­des ein­stel­len; dort heißt es: adora­mus te christe. Zu den Hei­lig-Geist-Ho­ren wird mit der Ausg­ießung des Hei­li­gen Geis­tes (fol. 35v) eine un­er­hör­te Stei­ge­rung er­reicht, wie sie kaum in ei­nem zwei­ten Stun­den­buch zu fin­den ist: Vor schwarz­brau­nem Grund, auf dem die gol­de­nen Flämm­chen auf­leuch­ten, er­he­ben sich drei bun­te Säu­len, de­ren Schäf­te in den­sel­ben Far­ben, Hell­grün und Rosa, ge­hal­ ten sind wie die Rah­mung. In der Höhe wer­den ihre Ka­pi­tel­le vom Licht um die Tau­be über­spielt. Da­run­ter thront zent­ral die Mut­ter­got­tes, um­ge­ben von den im Raum ver­ teil­ten Apos­teln und vie­len wei­te­ren Men­schen, die ihr Er­stau­nen durch be­son­ders be­ weg­te Ges­tik und Mi­mik aus­drü­cken. Das Farb­ver­ständ­nis des Ma­lers führt auch in die­ser Mi­ni­a­tur zu un­ge­wöhn­lich le­ben­di­ger Wir­kung: Hell­grün, Gelb und Rosa rah­ men tie­fes Blau und Rot und zeich­nen eine ganz be­son­ders schö­ne Sil­hou­et­te vor dem dunk­len Fond. Zur Prim der Ma­rien­stun­den wird die An­be­tung des Kin­des (fol. 36v) ge­zeigt. Vor ei­nem mäch­ti­gen Säu­len­stumpf, der das Bild­feld in zwei Hälf­ten teilt, den Blick in die Land­ schaft links und das Schwarz hin­ter Ochs und Esel im Stall, hat Ma­ria den nack­ten Kna­ ben auf ei­nen Stroh­bal­len ge­legt. Wie eine kri­ti­sche Ref­l e­xi­on über äl­te­re Dar­stel­lun­gen von Chris­ti Ge­burt wirkt der Blick auf die Krip­pe, in der das Kind dem Evan­ge­li­um zu­ fol­ge lie­gen mü­ßte. Sie ist rechts so hoch über den Köp­fen der bei­den Tie­re an­ge­bracht, daß man dort den Got­tes­sohn gar nicht an­be­ten könn­te. In ele­gan­tem Schwung beugt sich Ma­ria von rechts, der un­ge­wöhn­lich jun­ge Zieh­va­ter mit brau­nem Haar und Bart von links über das Kind. Ihre Haar­fül­le hat die Got­tes­mut­ter mit ei­nem ros­far­be­nen Tuch ge­bän­digt. Über dem Neu­ge­bo­re­nen, auf Höhe des feh­len­den Ka­pi­tells, schwe­ ben zwei ge­flü­gel­te Put­ten, um das Glo­ria an­zu­stim­men. Links öff­net sich der Blick hin zur ro­ten Mor­gen­son­ne; da­vor steht im Mit­tel­grund ein Hir­te, der wie in den Ber­li­ner Weih­nachts­bil­dern von Alt­dor­fer zum Him­mel schaut, aber noch kei­nen En­gel er­blickt, zu­mal die Put­ten vorn für ihn aus der Tie­fe nicht zu se­hen sind. Zur Terz ist die Ver­kün­di­gung an die Hir­ten (fol. 40) dann Haupt­the­ma: Drei wild be­ weg­te Män­ner in Grau, Blau und Rot sind auf­ge­schreckt, der eine, mit sei­ner Sack­pfei­ fe, wirft sich am Bo­den he­rum, ein zwei­ter scheint nach links Reiß­aus neh­men zu wol­ len, der drit­te aber blickt, nur sein lin­kes Bein im Knie ge­beugt, stau­nend zum Him­mel. Der hat sich ge­öff­net, um ei­nen von strah­len­dem Licht um­ge­be­nen En­gel er­schei­nen zu

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las­sen, der fest­lich das Glo­ria in ex­cel­sis an­stimmt. Zwei bi­zarr dür­re Bäu­me rah­men die Sze­ne; in ih­nen drückt sich ei­ner­seits künst­le­ri­sche Be­ob­ach­tungs­ga­be aus, je­doch nicht auf die Jah­res­zeit be­zo­gen, son­dern eher me­ta­pho­risch im Blick auf die Er­neu­e­rung der al­ten mor­schen Welt durch das Evan­ge­li­um. In der bis zu ei­nem ima­gi­nä­ren Beth­le­ hem im Mit­tel­grund hin wun­der­bar er­leuch­te­ten Land­schaft zeigt sich wie­der ein­mal der Farb­sinn des Ma­lers, der kräf­ti­ges Ko­lo­rit ne­ben Pas­tell­tö­ne setzt und da­durch au­ ßer­ge­wöhn­lich fri­sche und le­ben­di­ge Wir­kun­gen er­zielt. Den So­ckel der Ar­chi­tek­tur schmück­te er­neut das heu­te über­mal­te Wap­pen. Zur Sext, bei der An­be­tung der Kö­ni­ge (fol. 43v), thront Ma­ria, nun mit of­fe­nem Haar, links vor dem glat­ten ro­ten Tuch ih­res Bal­da­chins und emp­fängt die Ga­ben der drei Kö­ ni­ge. Em­pha­tisch kniet der äl­tes­te von ih­nen mit aus­ge­brei­te­ten Ar­men, wäh­rend der mitt­le­re, wie ein zeit­ge­nös­si­scher Wür­den­trä­ger mit schwar­zem Hut, auf den eine viel zu schlan­ke Kro­ne ge­steckt ist, vor ei­nem Pi­las­ter in der Pa­last­ru­i­ne ru­hig die Mit­te ein­ nimmt. Von rechts stürmt der Jüngs­te, ein wahr­haft dun­kel­häu­ti­ger Jüng­ling in gol­de­ nem Har­nisch, he­rein. Die exo­ti­sche Her­kunft wird durch das Dro­me­dar un­ter­stri­chen, das rechts hin­ten aus dem Ge­fol­ge der Kö­ni­ge her­vor­blickt. Am lin­ken Pi­las­ter der Rah­ mung das über­mal­te Wap­pen. Die Dar­brin­gung im Tem­pel (fol. 47) zur Non ist von gro­ßen Flä­chen be­stimmt: Der bild­pa­ral­le­le Al­tar­kas­ten ist mit ei­nem gol­de­nen Re­li­ef ge­schmückt und mit dem ge­ wohn­ten wei­ßen Tuch be­deckt; grün und rot ist der Bal­da­chin, grau die glat­ten Wän­ de im Hin­ter­grund, doch hell­blau der Blick ins Freie links und eine zent­ra­le Säu­le, vor der ein ju­gend­li­cher Ako­lyth mit ei­nem ge­öff­ne­ten Buch hin­ten steht; rechts ne­ben ihm ver­harrt eine Ker­zen­trä­ge­rin. Doch von be­son­de­rer Dy­na­mik ist die Sze­ne vorn: Den recht mus­ku­lö­sen Kna­ben hat Ma­ria dem Pries­ter Sim­eon über­reicht, der den leb­haft zur Mut­ter zu­rück­stre­ben­den die­ses Mal vor dem Al­tar ent­ge­gen­nimmt. Jo­seph hat dort be­reits die Täub­chen ab­ge­setzt, die nun – ein sehr sel­te­nes Mo­tiv in der Ma­le­rei, das man seit dem Net­zer Al­tar aus dem 14. Jahr­hun­dert am ehes­ten in Deutsch­land fin­det – frei über das wei­ße Tuch lau­fen. Den So­ckel schmückt das über­mal­te Wap­pen in ei­nem Lor­beer­kranz. Die tie­fe Land­schaft bei der Flucht nach Ägyp­ten (fol. 50v) zur Ves­p er er­laubt, den Vor­ der­grund, wo der Zieh­va­ter zü­gig den Esel mit der kost­ba­ren Fracht an der Dat­tel­pal­ me und am gol­de­nen Idol vor­bei nach links führt, auf be­son­ders glück­li­che Wei­se mit dem Korn­wun­der zu ver­bin­den. Im Mit­tel­grund be­we­gen sich die Sol­da­ten des He­ro­des nach rechts, also in die ent­ge­gen­ge­setz­te Rich­tung. Sie be­fra­gen den Bau­ern, der ge­ra­de ge­sät hat­te und durch ein Wun­der so­fort hoch ge­wach­se­ne rei­fe Äh­ren er­hielt, nach der Hei­li­gen Fa­mi­lie; er ver­si­chert ih­nen, er habe sie zu­letzt bei der Saat ge­se­hen; des­halb bre­chen sie die Su­che ab. Ikono­gra­phisch eng­stens ver­wandt ist die Sze­ne im Stun­den­ buch für Franz I.; umso ein­drucks­vol­ler ist zu be­ob­ach­ten, wie hier schon al­lein durch den Weg­fall des Schrift­fel­des eine ge­ra­de­zu be­rau­schen­de Dy­na­mik mög­lich wur­de. Im So­ckel des Rah­mens er­scheint er­neut die Jah­res­zahl 1539 in ei­ner Kar­tu­sche.

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Zur Komplet rahmen graue Wolken den Blick auf den besirnten gelben Grund mit der Marienkrönung (fol. 55v). Auch musizierende Engel bilden eine Art Rahmen um die Muttergottes links und den auf Wolken thronenden Gottvater rechts, über dessen kai­ serlicher Bügelkrone perspektivisch gesehen die Scheibe seines Nimbus schwebt. Maria is niedergekniet, um die Krone zu empfangen. Oben is vor die Krönungsszene an ei­ nem Band eine Kartusche mit den Worten laus deo gehängt, am unteren Rand findet sich erneut das übermalte Wappenfeld. Zu den Bußpsalmen hatte sich schon um 1500 Bathseba im Bade (fol. 63v) als belieb­ teses Thema durchgesetzt: Während König David auf einer Terrasse seines Palases links im Beisein eines Ratgebers einem knienden Boten, der in Weiß und Schwarz mit einem Dominikaner verwechselt werden könnte, die Botschaft überreicht, bietet unten eine Magd der nackten Bathseba eine Schale mit Früchten an. Von rechts kommt eine ältere Dienerin mit dem runden Spiegel, der gern auch Luxuria kennzeichnet. Nur der Brunnen, der sich als goldener Zierrat, von einem kleinen Löwen bekrönt, mit der Akt­ figur Bathsebas verbindet, is zu sehen, aber kein Becken. Dichtes Laub umgibt die Frau und verdeckt eigentlich den Blick von Davids Palas aus. Die sons dem Maler so wich­ tige Sicht in die Tiefe versellt ein runder Turm. Erneut, diesmal auf Rot, seht die Jah­ reszahl 1539 im Rahmen. Die letzte ganzseitige Miniatur im Stundenbuch eröfnet das Totenoffizium mit einer Darsellung von Hiob auf dem Dung (fol. 74). Den aufrecht sitzenden Dulder, der nur mit einem Lendentuch bekleidet is, besucht seine schöne junge Frau, gefolgt von zwei Freunden. Der Mishaufen vor einer niedrigen dunklen Mauer, die den Vordergrund rasch begrenzt, wird vom Maler nur sehr zurückhaltend geschildert. Künslerisch geht es um die noble Architekturkulisse mit Garten unter einem Bogen, von dem herab zwei entfernte Zuschauer nach unten sehen, und einem für Bilder Hiobs höchs ungewöhn­ lichen Blick in einen Palasraum rechts, so daß nur allzu deutlich wird, wie äshetische Intention und Nacherzählung von biblischen Geschichten in dieser Bildkultur auseinan­ der gehen; denn ehe Hiob der Aussatz befiel, is ja sein Haus und Vermögen zersört worden. Die religiöse Dimension soll dann aber doch eingefangen werden durch ein weit ausgreifendes Spruchband; darauf seht die Bitte aus Hiobs zweiter Antwort an Bildad: miseremini mei miseremini saltem vos amici mei (Erbarmt euch meiner, ihr mei­ ne Freunde: Hiob 19,21), der im Buch Hiob die berühmte Stelle folgt: Ich weiß, daß mein Erlöser lebt. In kirchlicher Tradition aber wurde das miseremini zur wichtigsen Bitte der Seelen im Fegefeuer. Die Sufragien eröfnen mit sechs­ bis siebenzeiligen Kleinbildern, die durchweg mit Vollfiguren besetzt sind. Der Text is so kompakt, daß auf die meisen Seiten zwei An­ rufungen und deshalb auch zwei Bilder passen; jede dieser Seiten wird mit einer recht­ eckig geführten und am unteren Rand geknoteten Franziskanerkordel gerahmt: Die Trinität erscheint als Gnadensuhl umgeben von Engeln im Himmel; Michael be­ siegt den Drachen (fol. 93), Johannes der Täufer mit dem Lamm und Johannes der Evangelis mit dem Giftbecher (fol. 93v), Petrus und Paulus in einer Landschaft und Jakobus

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der Ältere als Pilger mit einem Buch (fol. 94), die Steinigung des heiligen Stephanus (fol. 94v), Laurentius mit dem Ros und die Pfeilmarter Sebasians (fol. 95), Nikolaus mit den drei Jünglingen im Bottich und Antonius Abbas in einer Landschaft (fol. 95v), Rochus mit dem Engel und Anna lehrt Maria das Lesen (fol. 96), Magdalena mit dem Salbgefäß und Katharina in einer Landschaft (fol. 96v), Margarete entseigt dem Drachen (fol. 97), Barbara vor dem Turm, in dessen Torbogen ein Kelch mit einer Hosie seht (fol. 97v), Apollonia mit Zange und Zahn vor einem Ehrentuch (fol. 98). Zum Stil Gegen die silisische Vielfalt, mit der Anne de Montmorency aus seinem dritten Stun­ denbuch, das heute in Chantilly liegt, geradezu eine Bildergalerie der Zeit um 1550 machte (Orth schreibt die nur 14 Miniaturen einer Vielzahl von Malern zu: dem Meiser der Getty Episles, des Gouffier­Psalters, des Gouffier­Stundenbuchs, dem Flora­Meis­ ter, Jean Cousin und Niccolò dell’Abbate) zeichnet sich unser zweites Stundenbuch für denselben Auftraggeber durch das Vertrauen in einen einzigen Maler aus: Alle Mini­ aturen hat der Meiser des François de Rohan geschafen, der bereits Wesentliches für Annes erses Stundenbuch (unsere Nr. 64) getan hatte, dort aber noch in enger Zusam­ menarbeit mit Noël Bellemare, der nun nicht mehr zum Zuge kommt. Den Maler nennt man nach dem poetischen Bildnis dieses Prälaten, der als Erzbischof von Lyon und Primas von Frankreich den Fiore di Virtu, einen italienischen Moraltrak­ tat eines Bruders Tommaso aus dem frühen 14. Jahrhundert, übersetzt hatte. – An die­ ser Stelle kommen wir nicht umhin, darauf hinzuweisen, daß wir in unserem Katalog LXVII , Unterwegs zur Renaissance, 2011, als Nr. 8 die frühese bekannte Abschrift des italienischen Originals mit seinen faszinierenden Bildern aus ganz anderer Epoche (1340) vorsellen konnten. – Das französische Prachtexemplar des Fleur de Vertu aus dem Jahre 1530, fr. 1877 der BnF (Orth 2015, Nr. 59), hingegen zeigt den Übersetzer François II de Rohan in einem Garten, der am besen mit der Umgebung unserer Bathseba zu verglei­ chen is: Genau simmt die spezifische Renaissance­Architektur überein; geradezu ein Markenzeichen is die Stilisierung des dichten Laubwerks sowie die auf wendige asym­ metrische Rahmung, die in unserem Stundenbuch überall die Bordüren ersetzt. Ganz glücklich kann man mit dem Fleur de Vertu als Ausgangspunkt für die Besimmung des Künslers nicht sein; denn im dortigen Bildbesand fehlt die Wildheit der Raumtiefe, die im zweiten Stundenbuch für Anne de Montmorency noch entschiedener als im sil­ gleichen Auftrag für Franz I. so fasziniert. Bei den Schilderungen im Moraltraktat von 1530 wirkt es, als habe sich der Maler an älteren Vorbildern orientiert und deren tep­ pichhafte Landschaften nur mit ein paar eindrucksvollen Felsen garniert. Zudem hat der Maler in den neun Jahren, die das namengebende Werk von unserem Stundenbuch trennen, ofenbar an Statur gewonnen: Das bezeugt ein Rückblick auf das hier vorgesellte erse Stundenbuch für Anne de Montmorency (Nr. 64); doch selbs in viel kürzerer Zeitdisanz tritt künslerische Dynamik zu Tage, wenn man die Bilder in unserer Handschrift mit denen des ebenfalls 1539 datierten Stundenbuchs vergleicht, in

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dem Franz I. zum nor­man­ni­schen Hei­li­gen Mark­ulf be­tet – ein ra­res Bei­spiel für die Le­ gen­de, die­ser Hei­li­ge gebe sei­ne ei­ge­ne Heil­kraft di­rekt nach der Krö­nung an den frisch Ge­krön­ten wei­ter; wes­halb sein Kult vor al­lem im Spät­mit­tel­al­ter zur Vor­stel­lung vom „roi thau­matu­r­ge“ ge­hör­te (Marc Bloch, Les rois tha­uma­tur­ges, Pa­ris und Straß­burg 1924). Das Stun­den­buch für Franz I., in dem Myra Orth das ei­gent­li­che Haupt­werk des Künst­ lers sah, hat si­cher sei­nen kö­nig­li­chen Rang; doch umso mehr fällt die er­staun­li­che Stei­ ge­rung ins Ge­wicht, die un­ser Ma­nus­kript aus­zeich­net und die zu­gleich ein Licht auf das oft miß­ver­stan­de­ne Ver­hält­nis von Auf­trä­gen un­ter­schied­lich ho­her Per­sön­lich­kei­ ten wirft. Es stimmt ja kei­nes­wegs, daß es die Kö­ni­ge wa­ren, die je­weils die präch­tigs­ten Wer­ke be­stell­ten. Im Rück­blick auf das 15. Jahr­hun­dert mag man nur an Karl VII . und sei­nen Fi­nanz­mi­nis­ter Étienne Che­va­li­er den­ken oder auch an Lud­wig XII ., der sei­ne schöns­ten Bil­der­hand­schrif­ten nicht selbst be­stellt, son­dern von sei­nem Kanz­ler, dem Kar­di­nal Georges d’Amb­oise ge­schenkt be­kom­men hat. So sieht es auch hier aus: Viel­leicht hat Anne de Mont­morency im Ate­li­er des Künst­lers das für den Kö­nig be­stimm­te Buch noch in Ar­beit ge­se­hen und den Meis­ter des Fran­çois de Ro­han dann zu ei­nem wei­te­ren Schritt er­mun­tert: In sei­nem Stun­den­buch woll­te der Kon­net­abel dann of­fen­bar Voll­bil­der ohne Text ha­ben; und so er­hielt er Mi­ni­a­tu­ren von ei­ner un­vor­stell­ba­ren Wucht, die im Grund­be­stand den Bil­dern für den Kö­nig durch­aus ent­spre­chen, aber, vom Text­feld auf der Sei­te be­freit, noch sehr viel wei­ter ge­hen! Bei ei­nem solch er­staun­li­chen Ma­ler be­dau­ert man umso mehr, daß man den Na­men nicht kennt. Sei­ne Ak­ti­vi­tä­ten wa­ren un­ge­mein breit ge­streut: Ne­ben sei­nen Buch­ma­ le­rei­en ste­hen zahl­rei­che Ent­wür­fe für den Buch­druck. Sie müß­ten da­für sor­gen, daß ein­mal er­mit­telt wer­den kann, wie un­ser Ma­ler hieß, der bei­spiels­wei­se elf von drei­zehn gro­ßen Holz­schnit­ten für die 1541 bei Si­mon de Co­lines (für An­geli­ers frè­res) in Pa­ris ge­druck­ten Schrift des Jean Mil­les de Sou­vigny, De Pra­xis crimi­nis pers­equ­endi, ent­wor­ fen hat. Ein an­er­kann­tes Haupt­werk des Meis­ters des Fran­çois de Ro­han aus dem­sel­ben Jahr 1539, in dem die­ser Künst­ler ein von der Li­te­ra­tur be­wun­der­tes Stun­den­buch für Kö­nig Franz I. ge­schaf­fen hat. Zwar sind die Wap­pen mit Gold über­malt, aber frag­ los die­je­ni­gen des Kon­net­abels Anne de Mont­morency, des­sen ers­tes Stun­den­buch wir hier als Nr. 64 vor­stel­len. In cha­rak­te­ris­ti­scher Wei­se ver­su­chen Schrei­ber und Ma­ler für den ei­gent­lich sei­ nem Kö­nig nach­ge­ord­ne­ten Heer­füh­rer, den Auf­trag für Franz I. noch zu über­tref­ fen: Hier sind Bor­dü­ren aus­ge­schal­tet und alle Haupt­bil­der text­los auf Ver­so ge­ stellt. Nicht mehr auf Trompe-l’œils an­ge­wie­sen, ver­fügt der Ma­ler nun über stei­le Räu­me zur ein­zig­ar­ti­gen Stei­ge­rung sei­ner Bild­vor­la­gen. Das wird be­son­ders deut­ lich bei Bil­dern wie der Flucht nach Ägyp­ten, die der­sel­ben Bild­vor­la­ge wie im Pa­ ral­lel­stück folgt, und noch ent­schie­de­ner beim Pfingst­bild, des­sen Em­pha­se ein­zig­ ar­tig in der Buch­ma­le­rei da­steht!

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Zu­gleich ge­sellt sich durch den Meis­ter des Fran­çois de Ro­han ein künst­le­ri­sches Idi­ om in die fran­zö­si­sche Hof­kul­tur, das nicht nur aus dem Zu­sam­men­spiel von ita­li­e­ ni­scher Re­nais­sance und nie­der­län­di­schem Ma­nie­ris­mus er­k lärt wer­den kann: Der er­staun­li­che Land­schafts­ma­ler mit sei­nen wild be­weg­ten Farb­spie­len und Dra­pe­ri­ en so­wie sei­nem Sinn für star­ke Emo­ti­on war zwei­fel­los mit Ma­le­rei aus dem süd­ deut­schen Sprach­raum ver­traut – da­für spre­chen auch die ein­zig­ar­ti­gen Ge­birgs­dar­ stel­lun­gen in sei­nen Land­schaf­ten, die wir so nir­gend­wo an­ders in zeit­ge­nös­si­scher Buch­ma­le­rei fin­den. Li­te­ra­tur Das Ma­nus­kript ist der neu­es­ten Li­te­ra­tur be­kannt, nach­dem es bei Ader Pi­card Ta­jan, Pa­ris, 18. Sep­tem­ber 1988, lot 67bis: 1.85M Francs Zu­schlag, be­schrie­ben wur­de; so fi­gu­riert es im aus­ge­zeich­ne­ten, wie im­mer är­ger­li­cher Wei­se ano­ny­men fran­zö­si­schen Wi­kipe­dia-Ar­ti­kel über den Meis­ter des Fran­çois de Ro­han als ei­nes sei­ner Haupt­wer­ ke; dort wird auch kein Zwei­fel an der Be­stim­mung des Buchs für den Kon­net­abel Anne de Mont­morency ge­las­sen. In­ten­siv mit die­sem Ma­nus­kript aus­ei­nan­der­ge­setzt hat sich Eli­za­beth A. R. Brown in ih­rem Bei­trag „Ma­de­leine de Savoie and the Chan­tilly Hours of Anne de Mont­ morency“ in: Sand­ra Hind­man und James H. Mar­row (Hrsg.), Books of Hours Recon­side­ red, Lon­don/Turnh­out 2013, S. 431–468; sie be­zeich­net den Band als „The 1539 Mont­ morency Hours” (S. 435-438) und bil­det auf Fig. 3-5 Bath­seba, eine Dop­pel­sei­te aus dem ­Ka­len­der und Jo­han­nes (die­sen er­neut in Far­be, Pl. 110) zu­tref­fend als Wer­ke des Mei­sters von Fran­çois de Ro­han ab, wür­digt auch die hohe Qua­li­tät von ­Per­ga­ment und Schrift, um vom tra­di­ti­o­nel­len Grund­cha­rak­ter un­se­res Ma­nus­kripts aus den Haupt­ ge­gen­stand ih­rer Un­ter­su­chung, das Mont­morency-Stun­den­buch von 1551 in Chan­tilly bes­ser zu ver­ste­hen, ohne je­doch auf den hier be­ton­ten Un­ter­schied im Lay­out ein­zu­ ge­hen. In ei­nem wich­ti­gen Punkt kön­nen wir ih­ren Aus­füh­run­gen nicht fol­gen: Brown meint, auf fol. 40 und 55v Wap­pen des Hau­ses Sa­voy­en er­ken­nen zu kön­nen, im ers­ten Fall un­ ter der Hir­ten­ver­kün­di­gung als Al­li­anz­wap­pen mit Mont­morency, im zwei­ten Fall un­ ter der Ma­rien­krö­nung Sa­voy­en al­lein. Der Ge­dan­ke ist ver­füh­re­risch, weil die Wap­pen der Ehe­leu­te je­weils ein zent­ra­les Kreuz, bei Mont­morency in Rot, bei Sa­voy­en in Sil­ber ha­ben; doch sind bei sehr star­kem Ge­gen­licht die klei­nen Ad­ler, die al­ér­i­ons des Hau­ses Mont­morency auf je­weils al­len vier Vier­teln der heu­te über­mal­ten Wap­pen auch un­ter der Hir­ten­ver­kün­di­gung und der Ma­rien­krö­nung deut­lich zu er­ken­nen, vor al­lem aber allein das rote Kreuz von Mont­morency! Von ei­nem Al­li­anz­wap­pen, wie es bei­spiels­wei­ se Cré­pin-Le­blond 2014, S. 39, aus den Fuß­bo­den­flie­sen im Schloß von Éco­uen ab­bil­det, kann des­halb nicht die Rede sein. Ge­gen die Ein­be­zie­hung von Ma­de­leine de Sa­voy­en in den De­kor un­se­res Stun­den­buchs spricht auch die Ge­stal­tung der Fran­zis­ka­ner-Kor­deln um die Sei­ten mit Klein­bil­dern; dort fehlt der cha­rak­te­ris­ti­sche 8-förm­ige Kno­ten der Sa­voyer (das be­ob­ach­tet auch Brown auf S. 459 in Anm. 25). Daß Anna und Mag­da­le­na

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im Kalender in Rot ausgezeichnet sind (Brown, S. 435) würde auch in Stundenbüchern ohne jeden Bezug zu diesem Ehepaar nicht verwundern.


66 Ein Stun­den­buch in Form der fran­zö­si­schen Kö­nigs­li­lie: Die Ma­qu­ette für das Amien­ser Stun­den­buch des fran­zö­si­schen Kö­nigs Hen­ri II – spä­ter im Be­sitz von Na­po­le­on, Eu­gè­ne de Beau­har­nais und des Vis­count Comb­erm­ere


STUNDENBUCH. Horae B. M. V. für den Gebrauch von Rom. Lateinische Handschrift auf Papier, in schwarzer Antiqua, mit Rubriken in roter Tinte oder in goldenen Kapitälchen. Paris, 1553: Jean Lemaire de Gien oder Charles Jourdain bzw. Geoffroy Ballin? Elf Miniaturen in den seitlichen Bögen der fleurs de lis. Alle Seiten mit goldener Leiste, die auf Doppelseiten die Form der fleurs de lis ausbildet; die durch die Lilienform entstehenden Restfelder zwischen den Textzeilen und dem Textspiegel vorwiegend blau- und rotgrundig, zuweilen auch mit Pinselgold gefüllt. Bedeutende Textanfänge ebenso wie die Psalmenanfänge mit zweizeiligen, Psalmenverse mit einzeiligen Zierbuchstaben in Gold auf abwechselnd roten und blauen Flächen, die genauso mit goldenem Filigran gemustert sind wie die Zeilenfüller sowie die Füllungen zur Lilienform hin. Versalien nicht farbig betont. 117 Blatt Papier; dazu ein zugehöriges Blatt als fliegendes Vorsatz vorn sowie je ein neueres Doppelblatt für die Doublüren. Die Lagenordnung ist nicht zu ermitteln, vermutlich wenigstens zum Teil in Lagen zu vier Blatt. Ohne Reklamanten. Zu 24, im Kalender in der Regel zu 19 Zeilen, braun regliert. Geschlossen in halber Lilienform, so daß die geöffneten Doppelseiten jeweils den Umriß einer ganzen fleur de lis ergeben (181 x 80 mm); der Textspiegel um etwa 3-4 mm schmaler, aber nicht ganz einheitlich bemessen; die leeren Ränder nehmen nach hinten etwas ab. Bis auf ein Blatt am Anfang des Kalenders vollständig. Vor allem zu Beginn und zum Ende hin im Falz leicht gebräunt, einige Blätter behutsam restauriert, stellenweise ergänzt und zum Falz hin stabilisiert. In einem stilgerecht erneuerten Einband des späten 18. oder frühen 19. Jahrhunderts: Maroquin citron mit goldgeprägten fleurs de lis im unendlichen Rapport (also semé), Doublüren in rotem Maroquin mit all-over-Goldprägung in Bogensatz mit Akanthus- und Blütendekor. Punzierter Goldschnitt. Provenienz: Vorsatz mit schwer lesbaren Besitzeinträgen, u.a. von 1630. Diese Eintragungen aber sind essentiell für die Provenienz seit 1800. Charles de Viel-Castel, Vater des Diplomaten, Schriftstellers und Kommandeurs der Ehrenlegion gleichen Namens (?), ist mit Signatur von 1808 vermerkt. Viel-Castel hat den Band offenbar zu jener Zeit Kaiser Napoleon oder seiner Frau Josephine geschenkt, da wir danach die Eintragung von Baron Combermere finden, er habe das Manuskript am 31. Juli 1815 in Malmaison, also der ehemaligen Residenz von Josephine, nun im Besitz von Eugène de Beauharnais, erhalten. Stapleton Cotton, Baron (später Viscount) Combermere war seit 1812 die rechte Hand Wellingtons und nach dessen Sieg bei Waterloo von 1815 auch dessen Nachfolger: Er traf am 15. Juli in Paris ein. Bis Ende 1816 war er sodann Oberkommandierender der englischen Streitkräfte in Frankreich (vgl. DNB XII, 1887, S. 351 ff., und The Complete Peerage III, 1913, S. 388 f.). Glücklicherweise sind wir über seinen Aufenthalt in La Malmaison gut unterrichtet: Wir lesen in Bd. 1 seiner Biographie, geschrieben von Lady Combermere, anhand seiner Briefe „Memoirs and Correspondence of Field-Marshal Viscount

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Combermere (…)“Bd. 1, 1866, S. 328-330: „We have been established at this delightful villa (= Malmaison) about ten days. Our host, Eugène Beauharnais is at Munich: (…) On Lord Combermere’s departure from Malmaison, Eugène presented him with an alabaster vase, which had been the gift of Pope Pius VII. to Josephine (…) Lord Combermere also asked for and obtained a posting-book, once used by Napoleon, as well as several works which had formed part of his library.“ Seit fast 200 Jahren war das Werk dann in angelsächsischem Privatbesitz. Der Text fol. 1: leer. fol. 1v: Übersicht zu den Osterdaten von 1553 bis 1564. fol. 2: Kalender in lateinischer Sprache, der Januar fehlt: jeder Tag besetzt, Feste in Rot, einfache Heiligentage und die Sonntagsbuchstaben b­g in Schwarz, die Sonntagsbuch­ staben A als goldene Initialen abwechselnd auf Blau und Rot. Die Heiligenauswahl ist französisch, aber lokal wenig spezifisch; sogar die großen Heiligen der Hauptstadt fehlen. fol. 13: Perikopen: Johannes als Sufragium mit Antiphon und dem Schlußgebet Protector in te sperantium (fol. 13), Johannespassion (fol. 14v). fol. 24v: Marienoffizium für den Gebrauch von Rom: Matutin (fol. 24v mit Psalmen­ gruppen für die Wochentage), Laudes (fol. 33v), Prim (fol. 43v), Terz (fol. 47v), Sext (fol. 51), Non (fol. 54v), Vesper (fol. 57v), Komplet (fol. 63). fol. 67: Bußpsalmen, mit Litanei (fol. 76); die Heiligenauswahl mit Betonung von Paris (Dionysius, Genovefa). fol. 80: Totenoffizium für den Gebrauch von Rom. fol.102v: Suffragien: Trinität (fol. 102v), Gottvater (fol. 103), Christus (fol. 103v), Heiliger Geist (fol. 104), Antlitz Christi (fol. 104v), Michael (fol. 106), Schutzengel (fol. 106v), Heilig Kreuz (fol. 108). fol. 109: Gebete zur Kommunion: Omnipotens et misericors deus, ecce accedo ad sacramentum corporis et sanguinis unigeniti filii tui. fol. 112: Gebet des heiligen Augustinus, nach dem Erwachen an den Heiligen Geist zu richten: Christus, propitius esto mihi peccatori. fol. 113v: Gebet des heiligen Bernardin von Siena: O Bone Iesu, o dulcis Iesu. fol. 115: Sieben Verse des heiligen Bernhard: Illumina oculos meos. fol. 116: Textende; fol. 116v leer.

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Schrift und Schriftdekor Die Antiqua entstand im Zuge der humanistischen Buchkultur in Italien und orientierte sich an karolingischer Minuskel ebenso wie an antiker Epigraphik. In ihrem Ursprungs­ land blieb sie lange auf klassische Texte beschränkt, in Frankreich aber, wo sie seit dem frühen 16. Jahrhundert auch heimisch wurde, hat man sie, wie Myra Orth an verschie­ denen Stellen aufgezeigt hat, schnell auch für Gebetbücher eingesetzt. Mit der Antiqua verschwinden zahlreiche mittelalterliche Schreibgepflogenheiten; so gibt man die griechi­ schen Buchstaben xp in Christi Namen auf, schreibt Iesus statt ihesus, alles Eigenarten, die bei der Entstehung dieses Stundenbuchs schon geläufiger Brauch waren. Schon in den Nummern 61, 62, 63 und 65 dieses Katalogs trefen wir auf Beispiele ihrer Verwendung. Von der Schreiberkunst her könnte man auch bereits auf den mittelalterlichen Horror va­ cui verzichten, Titelzeilen mittig setzen und Zeilenfüller unterdrücken. Das aber würde dem eigentümlichen Konzept dieses Buches entgegenstehen: Hier geht es darum, durch möglichst geschlossenen Schriftspiegel, der überdies von einer goldenen Leiste umfaßt ist, die Grundform der französischen Königslilie zu umreißen und auf jeder geöfneten Doppelseite anschaulich werden zu lassen. Deshalb müssen alle Texte aneinander an­ schließen; selbst für die bedeutendsten Incipits wie die Marien­Matutin werden höch­ stens einmal zwei Zeilen frei gelassen, um die Gesamtwirkung nicht zu beeinträchtigen. Deshalb versteht es sich von selbst, daß man mit einzelnen Seiten, die nur die halbe Kö­ nigslilie evozieren, nichts anfangen kann: fol. 1 und fol. 116v sind deshalb leer geblieben. Die Form des Buches sorgt im Kalender für extreme Abkürzungen; hier rechnet man of­ fenbar mit Lesern, denen die wesentlichen Angaben ohnehin vertraut sind und die des­ halb zum Beispiel „ioais an por“ am 6. Mai in Johannis ante portam latinam und „na. b. ma“ am 8. September in „nativitas beatae mariae“ auflösen können. Der Eigenart des Buches verdankt sich auch das sehr ungewöhnliche Aussehen der Litanei; denn man hat dort die sonst eisern beibehaltene Regel durchbrochen und die einzelnen Heiligen im Textverlauf und nicht jeweils neu am Zeilenbeginn genannt. Zur einheitlichen Wirkung trägt überdies bei, daß man den ganzen Apparat des Schrift­ dekors auf gleichartige Elemente beschränkt; damit überwindet man zugleich die mittel­ alterliche Tradition der Hierarchisierung des Textschmucks: Nur zwei Buchstabengrö­ ßen und, von wenigen Seiten abgesehen, nur zwei Farben für die Untergründe bleiben übrig: Rot und Blau; sie werden konsequent mit Gold verziert. Freilich sind an einigen Stellen die in Gold aufzutragenden Elemente, z.B. die Buchstaben auf Blau vergessen worden. Die stilistischen Eigenarten dieses Dekors gehen auf die Kompartimentbordü­ ren zurück, die man vor allem in Paris und Rouen bereits im späteren 15. Jahrhundert gepflegt hat. Ein besonderer Reiz, der bei flüchtiger Betrachtung übersehen werden kann, besteht da­ rin, daß Zeilenfüller teilweise für Rubriken genutzt wurden, die in kleinen goldenen Ka­ pitälchen geschrieben sind.

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Die Bildfolge Die Lilienform des Buches läßt nur in den seitlichen Rundungen Bilder zu; sie erhalten eine unregelmäßige Blasenform, die jedoch vom Maler geschickt für Landschaften und Interieurs genutzt wird. Fraglos ist die große Zeit der Buchmalerei zur Entstehungszeit des Bandes bereits vorbei; doch hat eine begabte Hand ihr Bestes versucht, die neuen Er­ rungenschaften der manieristisch geprägten Kunst der eigenen Epoche für die Aufgabe zu nutzen, die vor allem darin bestand, ein von der Form her außerordentliches Buch zu gestalten. fol. 14v: Die Kreuzigung Christi kann hier zur Johannespassion stehen, weil in diesem Buch auf die sonst mit diesem Thema eröfneten Horen des Heiligen Kreuzes verzich­ tet wurde. Das Bild gehört zu den besten Leistungen in diesem Manuskript: Das Kreuz Christi erhebt sich in einer saftig grünen Landschaft, die unter einem diesigen Himmel bis in blaue Fernen erschlossen wird. Nur Maria und Johannes umgeben den toten Er­ löser. Der Jünger erscheint in weißem Gewand, um das ein üppiger purpurner Mantel gebauscht ist. Marias Kleid scheint aus jenem dunkelroten Stof gefertigt, den man in früheren Kreuzigungsbildern nur selten findet. Mit ihrem blauen Mantel wird sie von einem schrofen Felsen hinterfangen, der ihrer Gestalt Kraft gibt und an jüngere Vor­ stellungen denken läßt, in denen die Stärke der Muttergottes in Begrifen wie dem spa­ nischen Maria Pilar gefaßt sind. Das Marienoffizium beweist, daß dem Manuskript recht alte Vorstellungen zugrundelie­ gen. Man kommt an keiner Stelle auf den Gedanken, von französischen Konventionen zur Bebilderung von Stundenbüchern abzuweichen; die späte Entstehungszeit drückt sich nur im Schnitt der Gewänder und den vielen Bäuschen in den Draperien aus. So erscheint der Erzengel Gabriel in der Marienverkündigung zur Matutin (fol. 24v) in einer Art Peplos, freilich mit weißem Hemd unter dem zweifach gegürteten Oberge­ wand. Er tritt im Profil von links zu Maria ein; prächtig hebt sich seine Gestalt vor dem schwarzen Grund ab. Maria sitzt hinter einem Betpult unter einem grün­roten Balda­ chin und schaut mit zum Gebet gefügten Händen zum Engel und zur Taube auf, die in goldenen Strahlen aus der Höhe kommt. Der Horror vacui führt dazu, daß die Heimsuchung zur Laudes (fol. 33v) in einem et­ was kleineren Bildfeld unterkommen muß. Man wollte die Miniatur nicht alleinstellen; um aber mit dem Textbeginn nicht erst auf der nächsten Seite beginnen zu müssen, hat man eine Zeile oberhalb der Miniatur noch ganz für Schrift genutzt. In buckliger Wie­ senlandschaft reichen sich Maria und Elisabeth die Hände. Die Jungfrau ist von links gekommen; ihre ältere Base eilt ihr aus dem Torturm ihres stattlichen Hauses von rechts entgegen und neigt sich so, als sei sie im Begrif, in die Knie zu sinken. Zwischen beiden ragt in der Ferne eine schneebedeckte Bergspitze hervor. Maria trägt wieder Blau und Purpur, Elisabeth umgekehrt einen roten Mantel über Blau; doch ihr Rot ist frischer, karminfarben.

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Unter hellblauem Himmel spielt die Anbetung des Kindes zur Prim (fol. 43v), die den­ noch recht dunkel wirkt, weil der Stall mit seinen grauen Pfosten und dem entsprechen­ den Dach vor einer fast schwarzen Ruinenwand steht, in die rechts eine rundbogige Öf­ nung führt. Das Kind liegt in der Mitte, auf der Krippe, über der die Köpfe von Esel und Ochs erscheinen. Joseph steht links mit einer brennenden Kerze, durch die man die Nacht wie die Weihe des Ereignisses charakterisierte. Maria betet ihr Kind von rechts an. Der Ziehvater trägt über Ocker ein kräftiges Rot, die Jungfrau hingegen die bekann­ te Kombination aus Blau über Purpur. In einer lichten Landschaft, in deren Mitte sich die Schafe drängen, spielt die Hirtenverkündigung zur Terz (fol. 47v): Am vorderen Bildrand liegt ein junger Hirte; ihn weist ein Jüngling auf den Engel hin, der mit dem Schriftband des glorIa von rechts oben herab­ schwebt, während ein dritter Hirte rechts auf seinen Stab gestützt zuschaut. Farbstark und ganz auf der Höhe der Zeit ist die Anbetung der Könige zur Sext (fol. 51): Der Stall hat nun links eine Spur monumentaler Renaissance­Architektur, ehe sich die Formen im Dunkel verlieren. Unter dem goldenen Stern, der von rechts oben Licht streut, haben die Weisen aus dem Morgenland haltgemacht. Vor der Muttergottes mit dem nackten Knaben und dem Ziehvater Joseph, der sich im Hintergrund hält, kniet der älteste König; er hat seinen Kronhut am Boden abgelegt und betet den Knaben an. Derweil reicht der noch gekrönte mittlere König sein Geschenk dem Joseph, während der junge Mohrenkönig, die Krone auf dem Haupt, von rechts herzutritt. Auch bei der Darbringung im Tempel zur Non (fol. 54v) herrscht die Renaissance: In monumentaler Tempelarchitektur spielt die Hauptszene mit Simeon, der das Kind von der knienden Muttergottes entgegennimmt, sowie Joseph, der die Kerze trägt, und einer jungen Frau, deren Taubenkörbchen verdeckt oder gar vergessen ist. Bei aller Beschrän­ kung hat der Buchmaler aber rechts noch Platz für eine Gruppe von Männern, die das Ereignis diskutieren. Die geschickte Inszenierung von hellem Himmel, lichtgrüner Landschaft und dunkel­ grauem Weg, auf dem der Esel nach links schreitet, macht die Flucht nach Ägypten zur Vesper (fol. 57) zu einem besonders typischen Bild: Der Esel, mit der Muttergottes im Damensitz, trottet gesenkten Kopfs nach links; Joseph führt ihn nicht, sondern schrei­ tet wie in manchen Bildern seit den Jahren um 1500 hinterher; er wirkt hier, derselben Zeittendenz folgend, auch nicht mehr so alt wie gewohnt (und eben noch bei den ande­ ren Szenen). Im Wolkenkranz scheint goldener Grund auf; das ist der Himmel, in dem die Marien­ krönung zur Komplet (fol. 63) vollzogen wird. Die Magd Gottes ist gerade aufgestiegen; noch ist sie nicht ganz im Bildfeld angekommen; betend blickt sie zum Betrachter, wäh­ rend Jesus links und Gottvater rechts die Krone halten, über der die Taube mit feurigen Strahlen schwebt. fol. 67: Davids Buße zu den Bußpsalmen war schon um 1500 gern durch andere Themen, beispielsweise durch Bathseba im Bade oder durch das Jüngste Gericht ersetzt worden.

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Wieder vergewissert man sich der Tradition, allerdings mit einer formal ziemlich fort­ schrittlichen Variante des Themas: Da kniet der alttestamentliche König vorn, recht ju­ gendlich und in einem wieder modisch gewordenen Profil. Er blickt auf zu einem Engel, der mit einem Stab in der Hand erscheint, um ihm Gottes Unmut mitzuteilen; frühere Generationen von Buchmalern zeigten an seiner Stelle lieber Gott selbst. Die Landschaft mit Wald links und einer Burg rechts wirkt luftig und frei. fol. 80: Hiob auf dem Dung hatte sich schon um 1500 als das wichtigste Bildthema zum Totenoffizium durchgesetzt. Hier sitzt er mit einer Ruine im Rücken. Von links sind zwei Freunde und die sehr junge Frau des Dulders hinzugetreten. Die lichtvolle Kulisse zeigt wieder, wie weit sich diese Buchmalerei von der Spätgotik entfernt hat. Die Lilienform Die Lilienform ist zweifellos eine eindeutige Reverenz an König und Königreich, doch sollte man nicht vergessen, daß man die französische Lilie zuweilen in einem sehr ernsten religiösen Zusammenhang gesehen hat. Seit Raoul de Presles Übersetzung der „Civitas Dei“ des Kirchenvaters Augustinus sieht man darin ein göttliches Zeichen, das in der Dreiheit von France moderne zum Symbol der Trinität wird. Diese Lesart erhält beson­ deres Gewicht durch die Tatsache, daß sich der Merowinger Chlodwig als erster Herr­ scher eines germanischen Volks nach dem Ritus der römischen und nicht dem der by­ zantinischen Kirche taufen ließ. Deren Trinitätslehre hat deshalb für das Spätmittelalter ihre eigentliche Stütze im französischen Königtum. Eine bezeichnende Legende erzählt, wie das Lilienbanner von Gott einem Engel anvertraut wurde, damit der es einem Ein­ siedler bringe, der es seinerseits an die heilige Clotilde weitergegeben hat, damit sie ih­ ren von Bischof Remigius frisch getauften Chlodwig damit ausstattete. Das ganze Ge­ schehen hat der Meister der Münchner Legenda aurea für die Übergabe des sogenannten Bedford­Stundenbuchs (London, British Museum, Add. MS 18850, fol. 288v) in einer ganzseitigen Miniatur gefaßt. Da nun Chlodwigs Taufe die Grundlage für die Krönung und Salbung der französischen Könige in Reims war, ergibt sich eine schlüssige Kette von Umständen, die der fleur de lis eine ungemein wichtige geistliche und weltliche Be­ deutung gaben. Ein Parallelstück: das Stundenbuch für Henri II von 1555 in Amiens Man kennt nur ein vergleichbares Manuskript: das Ms. Lescalopier 22 der Stadtbiblio­ thek in Amiens, auf das Henry Martin schon 1894 in einer kleinen Veröfentlichung hingewiesen hat und das seit 1923 zuweilen in Ausstellungen präsentiert wurde. 1555, also zwei Jahre später als in unserem Manuskript, beginnt dort die komputistische Ta­ fel; es ist nicht völlig klar, wann Wappen und Zeichen von Henri II dort eingemalt wor­ den sind; doch ist die Herkunft aus königlichem Besitz zumindest seit den Zeiten Lud­ wigs XIII . (1610­1643) gesichert. 1866 ist der Band in die Bibliothèque municipale von Amiens gelangt: Wappen von König Heinrich II . von Frankreich auf fol. 1v und Lud­ wig XIII . auf fol. 2 sind ergänzt durch die Initialen von Heinrich II . (H mit drei Crois­

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sants), dazu das dop­pel­te P der Di­ane de Poi­tiers, und von Lud­wig XIII . (ge­krön­tes L und dop­pel­tes Lamb­da). Das Buch ist ein we­nig spä­ter als un­se­res ent­stan­den, denn die Oster­daten be­gin­nen erst 1555. Das Stun­den­buch in Ami­ens ist auf Per­ga­ment ge­schrie­ben, gleicht aber mit sei­ner An­ ti­qua eben­so wie mit den ein- bis zweiz­ei­li­gen Ini­ti­a­len in Gold auf blau­en oder ro­ten Fel­dern und ent­spre­chen­den Zei­len­fül­lern per­fekt un­se­rem Ma­nus­kript. Mit den 128 Blatt ist das Exemp­lar in Ami­ens et­was um­fang­rei­cher, ge­schrie­ben auf Per­ga­ment und fast exakt so groß: 182 x 80 mm. Ge­bun­den ist es in 29 La­gen vor­wie­gend zu vier Blatt – da­von ab­wei­chend 1 (2), 2 (8+1), 28 (8). 24zei­lig sind die Text­sei­ten an­ge­legt, die Ka­ len­der­sei­ten zu 19 Zei­len; schwarz ist die Tin­te, rot die Rub­ri­ken und zwar in fran­zö­ si­scher Spra­che. Auch im Auf­bau gleicht der Band in Ami­ens stark un­se­rem Buch; auf fol. 3 setzt der Ka­len­der ein, ge­folgt von den bei­den Jo­han­nes-Perik­open (die Pas­si­on be­ginnt auf fol. ­fi­zi­um (fol. 25v) führt zu den Buß­psal­men (fol. 74v) mit Li­ta­nei (fol. 16v). Das Ma­rien­of ­fi­zi­um (fol. 91). Da­ran schlie­ßen al­ler­dings ab fol. 107 an­de­re 84) und dann dem To­ten­of Ge­be­te und Suf­fra­gien an; auf­fäl­lig sind Tex­te zu Eh­ren des deut­schen Kai­sers Hein­rich II . (fol. 110) und des hei­li­gen fran­zö­si­schen Kö­nigs Lud­wig IX . (fol. 110v); dazu gibt es ein Gen­ovefa-Suf­fra­gium (fol. 111) und am Ende ein Ge­bet für fran­zö­si­sche Kö­ni­ge bei der Hei­lung von Skro­fu­lo­se (fol. 121v). Un­ter­schie­de im Bild­pro­gramm un­ter­strei­chen, daß der Band in Ami­ens ein auf­wen­di­ ge­rer Auf­trag war: Er zeigt im Ka­len­der die Mo­nats­bil­der mit dem Tier­kreis­zei­chen auf den Rec­to-Sei­ten (Fest­mahl, Aus­schnei­den von Bü­schen, Be­schnei­den der Wein­stö­cke, Mann mit kranz­bin­den­den Frau­en, Jagd, Schaf­schur, Heu­mahd, Korn­mahd, Pflü­gen, Wein­le­se, Flachs­bre­chen, Schwei­ne­schlach­ten). Die Ho­ren des Hei­li­gen Kreu­zes er­öff­ nen auf fol. 16v mit der Ge­fan­gen­nah­me Jesu; auf fol. 23v fol­gen die Pas­si­ons­werk­zeu­ge. Wie in un­se­rem Ma­nus­kript ent­hält das Ma­rien­of ­fi­zi­um den ge­wohn­ten Zyk­lus. Bei der Ma­rien­ver­kün­di­gung tritt je­doch Gab­ri­el von rechts ein (fol. 25v); die Ab­stän­de zwi­schen den Stun­den­an­fän­gen sind et­was wei­ter: Heim­su­chung (fol. 41), An­be­tung des Kin­des (fol. 50), Hir­ten­ver­kün­di­gung (fol. 53v), An­be­tung der Kö­ni­ge (fol. 56v), Dar­brin­gung im Tem­pel (fol. 59v), Flucht nach Ägyp­ten (fol. 62v), Ma­rien­krö­nung (fol. 68v). Die Buß­ psal­men er­öff­nen auf fol. 74v mit Da­vid und Bath­seba. Zu Hiob auf fol. 91 kom­men nur die drei Freun­de. Zum Ma­ler Die Fra­ge, ob man die bei­den Hand­schrif­ten ein und der­sel­ben Buch­ma­ler­werk­statt zu­ schrei­ben kann, muß eben­so wie die Be­zü­ge zu an­de­ren Mi­ni­a­tu­ren auf – al­ler­dings be­ den­kens­wer­te – Hy­po­the­sen be­schränkt blei­ben. Doch so wie man in der Aus­stel­lung Liv­res d’heu­res roya­ux in Éco­uen 1993 auf das Amien­ser Stück (Nr. 24) ein ge­druck­tes Stun­den­buch von 1558 fol­gen ließ, das für Clau­ de Gouf ­fi er von ei­ner mar­kan­ten Ma­ler­per­sön­lich­keit aus­ge­malt wor­den ist, so ver­bin­

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den auch wir un­ser Ma­nus­kript mit der­sel­ben Stil­grup­pe. Da­bei darf man nicht ver­ges­ sen, daß die Grö­ßen­un­ter­schie­de und die völ­lig an­de­re Art des Auf­trags von vorn­her­ein aus­schlie­ßen, in bei­den Hand­schrif­ten Mi­ni­a­tu­ren exak­ter Ent­spre­chung zu fin­den. Die Ver­bin­dung scheint uns je­doch aus­zu­rei­chen für eine Ein­ord­nung in die Pa­ri­ser Buch­ma­ le­rei der Zeit um 1553/55, die nur noch von we­ni­gen Per­sön­lich­kei­ten ver­tre­ten wur­de. Da die Na­men der drei Buch­ma­ler über­lie­fert sind, die für Claude Gouf ­fi er (sie­he hier Nr. 63!) in den 50er Jah­ren ge­ar­bei­tet ha­ben, wird man an­ge­sichts der Ähn­lich­kei­ten in der Fak­tur da­von spre­chen dür­fen, daß der – oder die – Ma­ler even­tu­ell je­ner Jean Le­ maire de Gien von 1555 oder aber doch Charles Jourd­ain bzw. Geoff­roy Bal­lin sein dürf­ ten. Die Über­ein­stim­mung mit Mi­ni­a­tu­ren in ei­nem der ge­druck­ten Stun­den­bü­cher zu Claude Gou­ffi­ers Hoch­zeit 1558 in un­se­rem Be­sitz läßt ei­gent­lich kei­nen Zwei­fel da­ran zu, daß wir es hier zu­min­dest mit der näm­li­chen Werk­statt zu tun ha­ben. Das Auf­tau­chen die­ses Co­dex ist eine Sen­sa­ti­on. Es kann kein Zwei­fel da­ran be­ste­ hen, daß un­se­re Pa­pier­hand­schrift nicht nur der ein­deu­tig für Hen­ri II ge­stal­te­ten Amien­ser Hand­schrift um zwei Jah­re vo­raus­geht, son­dern daß sie als eine Art Ma­ qu­ette für die­ses auf das kost­ba­re­re Per­ga­ment ge­schrie­be­ne Ma­nus­kript ge­dacht war. Es han­delt sich bei bei­den Hand­schrif­ten um Wer­ke aus dem di­rek­ten Um­feld des Kö­nigs, der als Kunst­freund un­ter an­de­rem da­durch her­vor­trat, daß er 1555 ein neu­es Corps de Lo­gis im Louv­re er­rich­ten und von Gou­jon mit den be­rühm­ten Ka­ rya­ti­den aus­stat­ten ließ. Die un­end­lich wert­vol­le Hand­schrift war wohl bis 1815 im­ mer in ad­li­gem oder kö­nig­lich-kai­ser­li­chem Be­sitz. Am 31. Juli je­nes Jah­res wur­de sie im Schloß von Mal­mai­son, das für Na­po­le­on und sei­ne Gat­tin Jo­sep­hine er­rich­ tet wor­den war, Ba­ron Comb­erm­ere, Wel­ling­tons rech­ter Hand in Frank­reich, von Eu­gène de Beau­har­nais samt wei­te­ren Bü­chern aus Na­po­le­ons Be­sitz als Ge­schenk über­reicht. Seit­her fast 200 Jah­re in an­gel­säch­si­schem Pri­vat­be­sitz, muß das Auf­ tau­chen die­ses Werks hier als Trou­va­ille son­der­glei­chen ge­fei­ert wer­den: so­wohl als Do­ku­ment geist­vol­ler kö­nig­li­cher Bü­cher­pfle­ge des 16. Jahr­hun­derts, aber eben­so auch als ein­zig­ar­ti­ge Re­li­quie der größ­ten Buch­bin­der­kunst Eu­ro­pas, der fran­zö­si­ schen des 16. Jahr­hun­derts, wie­der­ge­bo­ren un­ter Na­po­le­on I. Li­te­ra­tur LM NF IV, Nr. 33.

Aus­schließ­lich zum Ver­gleichs­stück in Ami­ens: Cat. de la bibl. de M. le Comte de l’Ésc­alo­pier, Pa­ris 1866, Nr. 501. Cat. géné­ral, XIX , Pa­ris 1893, S. 472, Nr. 22 (501). H. Mi­chel, Un liv­re d’heu­res du XVIe siè­cle en for­me de Fleur de Lys, in: La Cu­rio­sité uni­ver­sel­le 1894, Nr. 381, S. 4 f. oder 3-5.

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P. Ne­veux und E. Da­cier, Les riches­ses des bi­bli­othè­ques pro­vin­ci­ales de France, Pa­ris 1932, I, S. 36 und Taf. XI . J. Lesto­quoy, Un ma­nusc­rit de la Bibl. mun. d’Ami­ens ay­ant ap­part­enu à Hen­ri II , in: Bull. de la Soc. Nat. des An­ti­qu. de France, 1962, S. 47-51. J. Deso­bry, Un liv­re d’heu­res de Hen­ri II , roi de France, in: Bulle­tin trime­striel des ­An­ti­quai­res de Pi­car­die 61, 1985/1987, Nr. 604, S. 315-327. J. Vézin, For­mes in­so­li­tes, in: Mise en page et mise en tex­te du liv­re ma­nusc­rit, Pa­ris 1990, S. 457 f. Aus­stel­lungs­ka­ta­lo­ge: Pa­ris 1923: Le liv­re fran­çais des orig­ines à la fin du Se­cond Em­pire, Nr. 64. Pa­ris 1937: Chefs-d’œuvre de l’art fran­çais, Nr. 784. Pa­ris 1972: Le Liv­re, Nr. 225, S. 74. Ami­ens 1987: Les liv­res ill­ustrés du Mo­yen Âge. Ami­ens 1993: In­cuna­bles et mer­veil­les de la Bi­bli­othè­que d’Ami­ens du VI­I Ie siè­cle à nos jours. Éco­uen 1993: Liv­res d’heu­res roya­ux. La peint­ure des ma­nusc­rits à la cour de France au temps d’Hen­ri II, Nr. 24, mit Abb. der Dop­pel­sei­te der kö­nig­li­chen Wap­pen. Liv­res d’heu­res à l’usage d’Ami­ens et de plu­sie­urs au­tres lie­ux, Aus­st.-Kat. Ami­ens 1998/99, Nr. 21, S. 68-70, zwei nicht ge­zähl­te Far­babbildungen.

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Bibliographie für Paris mon Amour III-V Die wichtigsten Kataloge des Antiquariats Heribert Tenschert: Horae b. m. v.: Tenschert, Heribert und Ina Nettekoven (Hrsg.), Horae b.m.v. 158 Stundenbuchdrucke der Sammlung Bibermühle. 1490–1550, Bde. I–III , Bibermühle 2003. Tenschert, Heribert (Hrsg.), Horae b.m.v. 365 gedruckte Stundenbücher der Sammlung Bibermühle. 1487–1586, Bde. IV–VI ,Bibermühle 2014; Bde. VII–IX , Bibermühle 2015. Leuchtendes Mittelalter: König, Eberhard, mit Heribert Tenschert, 89 libri manu scripti 89 illuminati vom 10. bis zum 16. Jahrhundert (Leuchtendes Mittelalter I), Rotthalmünster 1989. Ders. und Heribert Tenschert, Sechzig illuminierte und illustrierte Manuskripte des Mittelalters und der Renaissance (Leuchtendes Mittelalter II ), Rotthalmünster 1990. Ders. und Heribert Tenschert, Das goldene Zeitalter der burgundischen Buchmalerei. 1430– 1560 (Leuchtendes Mittelalter III ), Rotthalmünster 1991. Ders., Große Buchmalerei zwischen Rouen und Paris: Der Froissart des Kardinals Georges d’Amboise aus der Sammlung des Fürsten Pückler-Muskau (Leuchtendes Mittelalter IV ), Rotthalmünster 1992. Ders., Psalter und Stundenbuch in Frankreich vom 13. bis zum 16. Jahrhundert (Leuchtendes Mittelalter V), Rotthalmünster 1993. Ders. und Heribert Tenschert 44 Manuskripte vom 14. bis zum 17. Jahrhundert aus Frankreich, Flandern, England, Spanien, den Niederlanden, Italien und Deutschland (Leuchtendes Mittelalter VI ), Rotthalmünster 1993/94. Neue Folge: König, Eberhard, mit Gabriele Bartz, Boccaccio und Petrarca in Paris (Leuchtendes Mittelalter. Neue Folge I), Rotthalmünster und Bibermühle 1997. Ders. mit Gaudenz Freuler u.a., Leuchtendes Mittelalter. Neue Folge II, Rotthalmünster und Bibermühle 1998. Ders. mit Beiträgen von Gabriele Bartz und Heribert Tenschert, Vom Heiligen Ludwig zum Sonnenkönig: 34 Werke der Französischen Buchmalerei aus Gotik, Renaissance und Barock (Leuchtendes Mittelalter. Neue Folge III ), Rotthalmünster und Bibermühle 2000.

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Bibliographie

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Register Zum rascheren Auffinden von Autoren, Übersetzern und Bearbeitern (1); Buchmalern (2), Schreibern (3); Buchbindern (4); sowie Auftraggebern und Provenienzen (5). Die Nummern beziehen sich auf diejenigen des Katalogs. Da es sich bei den Handschriften durchgehend um Stundenbücher handelt, werden diese im Register nicht eigens aufgeführt. A Abbey, Major J. R. (5) 56 Angennes, Charles de (5) 55 Anne de Bretagne, Königin (5) 47? Anne de Montmorency (5) 64, 65 Aragon: siehe Katharina von Aragon B Ballin, Geoffroy (2) 66? Beauharnais, Eugène de (5) 66 Beauvillain, Etienne (5) 65 Beckford, William (5) 51 Belin, Théophile (5) 56 Bellemare, Noël (2) 64 Bidoire, Pierre (5) 55 Boucher, Michelle (5) 55 Brölemann, A. (5) 48, 59 Broussonet, Bibl. (5) 58 C Cailhava, Léon (5) 59 Cain, Antoinette (5) 63 Chaperon, Claude (5) 49 Charles X, König (5) 56? Coene, Jean (2) 52, 55, 56, 57 Coësmes, Marguerite (5) 55 Colaud, Etienne (2) 60, 61, 62, 64 Combermere, Viscount (5) 66

D Devauchelle, R. (4) 56 Diane de Poitiers (5) 66 Duchesnay, Pierre (5) 63 Duriez, L. M. J. (5) 59 F Fleury, Librairie (5) 53 Flühmann, Adrian (5) 56 Fontaine, A. (5) 59 Funes, Don Diego de (5) 64 G Giraud de Prangey-Escertaines, Mme de (5) 56 Gotha-Meister (2) 58 Grey, Thomas Philip Earl de (5) 51 Gruel, Léon (4) 56, 58 H Hauptmeister der Statuten des Michaelsordens (2) 61 Henri II , Roi de France (5) 66 Henri, duc de Chambord (5) 56? J Jourdain, Charles (2) 63, 66?

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Register

K Katharina von Aragon, Königin von England (5) 47 Koehler (4) 59 L La Vallière, duc de (5) 57? Lemaire de Gien, Jean (2) 66 Lignières, Antoine de (5) 57 Louis XII, König von Frankreich (5) 47? M Mallet, Mme Etienne (5) 59 Maria von England, Königin (5) 47? Martainville-Meister (2) 47, 48, 49, 50, 53 Meister der Marie Charlot, siehe Meister des E. Poncher Meister der Philippa von Geldern (2) 52, 59 Meister des Psalters von Claude Gouffier (2) 63 Meister des d’Urfé-Psalters (2) 60 Meister des Etienne Poncher (2) 52, 59 Meister des François II de Rohan (2) 64, 65 Meister des Gothaer Stundenbuchs, siehe Gotha-Meister Montmorency: siehe Anne de Montmorency

N Napoleon I, Empereur (5) 66 P Palmier, Pierre (5) 62 Paris, Comte de (5) 49 Pelée, Claude (5) 49 Pelée, Familie (5) 49 Pichore, Jean (2) 47, 51, 52, 53, 54 R Rahir, Edouard (5) 55 R. B. (5) 48 S Saint-Gelais, Octovien de (5) 51 Sicklès, Daniel (5) 58 Smith, William Henry (5) 54 T Trubert, Georges: Atelier (2) 48? V Vaillant, Martial (2) 62? Viel-Castel, Charles de (5) 66

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V

LXXXII H T 


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