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Wenn die Diagnose im Kindesalter ausbleibt

Herausforderungen bei Erwachsenen mit Lennox-Gastaut-Syndrom kognitive Leistungsfähigkeit hätten. Durch eine adäquate Behandlung könne man also einen Teil dieser kognitiven Entwicklungsstörungen wieder abfangen – so die Hypothese. „ Deshalb ist es so wichtig, die Diagnose eines LennoxGastaut-Syndroms so früh wie möglich zu stellen“, schlussfolgert der Facharzt für Neurologie. Dass eine adäquate Therapie Erfolg in puncto sozialer Integration und kognitiver Leistung haben könne, hätten bereits die Daten einer Studie mit einem Beobachtungszeitraum von drei Jahren gezeigt:2 Die Alltagsadaption habe sich durch die Medikation deutlich verbessern lassen.

Doz. Podewils zufolge gilt die LennoxEnzephalopathie als Syndrom des Kindesalters – die Diagnose im Erwachsenenalter ist bislang unüblich. Als Take-home-Message hebt er hervor: „I m Fokus der Diagnose eines LennoxGastaut-Syndroms sollten die charakteristischen Anfallsformen stehen “ Sowohl EEG-Veränderungen als auch kognitive Leistungen könnten sich nämlich sehr variabel gestalten.

Leitkriterien

Das Lennox-Gastaut-Syndrom (LGS) zählt zu den am schwierigsten zu identifizierenden – und zu behandelnden – epileptischen Störungen. Diese seltene, im Verlauf schwere, Erkrankung beginnt meist im Kindesalter. Hierbei treten multiple epileptische Anfallsformen überwiegend in tonischer Form oder mit atypischen Absencen auf. Oft passieren sie im Schlaf und werden daher übersehen.1 Hinzu kommt die Problematik, dass die Erscheinungsformen und Verläufe insbesondere im Erwachsenenalter differieren können. Diesen speziellen diagnostischen Herausforderungen widmeten sich drei Experten im Rahmen eines Pressebriefings im November 2022.*

Diagnosekriterien

Das Lennox-Gastaut-Syndrom kann im Wesentlichen an klinischen Merkma- len festgemacht werden. „Wir ordnen das LGS den generalisierten Epilepsien mit Entwicklungsverzögerungen, Intelligenzminderung und zusätzlichen Verhaltensstörungen und einem charakteristischen Anfalls- bzw. auch EEGMuster zu“, erklärt Priv.-Doz. Dr. Felix von Podewils, MHBA, Leiter des interdisziplinären Epilepsiezentrums der Klinik und Poliklinik für Neurologie an der Universitätsmedizin Greifswald. In der Regel manifestiere sich diese Epilepsieform vor dem achten Lebensjahr, mit einem Peak zwischen dem dritten und fünften Lebensjahr. „ Fünf Jahre nach Epilepsiebeginn haben 75-95 Prozent der Patientinnen und Patienten kognitive Störungen und/oder Verhaltensstörungen“, führt der Experte weiter aus. Dies spreche dafür, dass neben einer Grundveranlagung, die wahrscheinlich syndromabhängig sei, auch die epileptischen Anfälle Auswirkungen auf die

„ Häufig: atonische und (teils schlafgebundene) tonische Anfälle, atypische Absencen

„ Epileptische Spasmen

„ Myoklonische Anfälle, Sturzanfälle

„ Nonkonvulsiver Status epilepticus (50-75 %)

„ Bewusstseinstrübung, z. T. unterbrochen von kurzen tonischen Anfällen

„ Fokale klonische Anfälle, z. T. mit Übergang in bilateral tonisch-klonische Anfälle

EEG:

„ Diffuse Slow-Spike-Wave-Komplexe (< 3/s) im Wachen

„ Mit zunehmendem Lebensalter nicht mehr nachweisbar

„ (Non-REM)-schlafgebundene schnelle Rhythmen (10-20/s als Korrelat der tonischen Anfälle)

„ Vorliegen einer Intelligenzminderung ist kein Diagnosekriterium

SCREENING-INSTRUMENT

Das „Refractory Epilepsy Screening Tool for LGS“ (REST-LGS) wurde von einer Gruppe von Expert:innen entwickelt, um sowohl die Identifizierung als auch die Behandlung der Erkrankung zu verbessern. REST-LGS soll dabei helfen, zwischen dem Lennox-GastautSyndrom und anderen refraktären Epilepsien zu unterscheiden, indem auch wichtige – auf LGS hindeutende – Nebenkriterien erfasst werden.

Publikation: Piña-Garza JE et al., Epilepsy Behav. 2019 Jan;90:148-153.

Variables EEG

Als EEG-Charakteristika dieser seltenen Epilepsieform können irreguläre 1,5 bis 2,5 Herz Slow-Spike-Waves (SSW), generalisierte Polyspike-Paroxysmen und generalisierte Low-Voltage-Fast-Activity genannt werden. Laut Dr. Volker Sepeur, Ärztlicher Leiter des Epilepsiezentrums am Christlichen Klinikum Unna, können die typischen SSW-Komplexe jedoch mit dem Alter abnehmen:

„ Bei bis zu 20 % der Patienten lassen sich LGS-typische Muster nach zehn bis 20 Jahren nicht mehr nachweisen.“

Zudem hänge die epileptische Aktivität im EEG von der Aufmerksamkeit der zu untersuchenden Person ab und könne beispielsweise durch Stress unterdrückt werden. Zu sehen sei sie zumeist bei Müdigkeit oder im Schlaf. Jedoch: „ F ür LGS-Patienten ist ein Langzeit-Video-EEG häufig nicht tolerabel“, berichtet der Vortragende aus Erfahrung. In seinem Fazit stellt Dr. Sepeur folglich den Stellenwert der Elektroenzephalographie bei der Diagnose dieser therapierefraktären Epilepsieform in Frage.

Späte Krankheitserkennung ist möglich

Prof. Dr. Adam Strzelczyk, Leitender Oberarzt am Epilepsiezentrum der Universitätsklinik Frankfurt, schloss die Vortragsreihe mit einem Fallbeispiel ab: „ Die Patientin war seit ihrem sechsten Lebensjahr bei Kollegen in Behandlung – mit der Diagnose einer fokalen Epilepsie. Im Rahmen der Transition wurde diese nochmals überprüft, auf Grund häufiger Sturzanfälle wurde ein LGS in Betracht gezogen “ Die Betroffene erlitt 15-25 Anfallstage pro Monat, darunter multiple Stürze. Letztere sind mit einem hohen Verletzungsrisiko verbunden. Nach Überprüfung der Diagnose wurden die Medikation und die sozialmedizinische Situation verbessert. Letztendlich konnte die Betroffene von modernen Therapeutika profitieren und die Anfallsfrequenz wurde deutlich reduziert.

Mag.a Ines Pamminger, BA

* Online-Pressebriefing von Jazz Pharmaceuticals, vom 22.11.22: „Herausforderungen der Diagnostik bei Erwachsenen mit einem nicht diagnostizierten Lennox-Gastaut-Syndrom“.

Quellen:

1 Camfield PR, Epilepsia. 2011 Aug;52 Suppl 5:3-9.

2 Patel AD et al., Epilepsia. 2021 Sep;62(9):2228-2239.

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