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Antiparasitikum bei COVID-19?

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Kein Einsatz von Ivermectin außerhalb klinischer Studien

Das Antiparasitikum Ivermectin war bereits zu Beginn der Pandemie als potenzielles COVID-19-Therapeutikum in den Fokus des Interesses gerückt. Seither sorgt sein Einsatz immer wieder für Kontroversen. Auf der Suche nach zugelassenen Arzneimitteln, die auch bei COVID-19 wirksam sind, machte eine australische Forschergruppe bereits im April 2020 eine interessante Beobachtung. Die einmalige Gabe von Ivermectin reduzierte binnen 48 h die Zahl der SARSCoV-2-Viren in einer Zellkultur um das 5.000-Fache.1 Es begann ein wahrer Hype um den Wirkstoff – zunächst in Lateinamerika, dann auch in Europa.

Antivirale Aktivität in vitro

Mittlerweile konnte in mehreren Untersuchungen nachgewiesen werden, dass Ivermectin eine In-vitro-Aktivität gegen SARS-CoV-2 zeigt.1,2 Für eine entsprechende antivirale Wirksamkeit in vivo müsste die Ivermectin-Dosis allerdings bis zu 100-fach höher sein als jene, die derzeit für die Anwendung beim Menschen zugelassen ist. Das machen pharmakokinetische Modelle deutlich: Obwohl sich Ivermectin in den üblichen Dosierungen im Lungengewebe anreichert, liegen die vorhergesagten systemischen Plasma- und Lungengewebekonzentrationen weit unter 2 µM, der halbmaximalen Hemmkonzentration (IC50) gegen SARS-CoV-2 in vitro.3,4 Das Sicherheitsprofil bei Standarddosierungen von 0,2 bis 0,4 mg/kg KG über ein bis zwei Tage gilt als vorteilhaft, jedoch sind toxische Effekte bei hohen Dosierungen nicht auszuschließen.

Über 60 klinische Studien

Zwischenzeitlich wurde eine Vielzahl klinischer Studien mit Ivermectin bei COVID-19 initiiert: clinicaltrials.gov listet 65 Studien, davon sind 21 bereits abgeschlossen.5 Eine valide und systematische Bewertung der Studien wird jedoch durch ihre große Heterogenität erschwert. Allein die Indikation „COVID-19“ umfasst die Prophylaxe von COVID-19, die ambulante Behandlung in frühen Krankheitsphasen, die Therapie stationärer COVID-19-Patienten sowie die Behandlung des Post-COVIDSyndroms. Teilweise wird Ivermectin als Monotherapie verabreicht, teilweise werden Kombinationen z. B. mit Doxycyclin oder Ribavirin eingesetzt. Die Zahl der Studienteilnehmer ist meist klein (n = 20 bis 400), auch Dosierungen und Vergleichsgruppen sind uneinheitlich. Aus den klinischen Untersuchungen gibt es Hinweise für eine schnellere klinische Besserung sowie für eine Reduktion der Mortalität bei Ivermectin-Gabe zusätzlich zur Standardtherapie. Daneben wird postuliert, dass sich die Rate symptomatischer Patienten nach einer Postexpositionsprophylaxe senken lasse. In Bezug auf die virale Clearance sind die Daten widersprüchlich.6 Anzumerken ist, dass der größte Anteil der Studienergebnisse bislang nur in PreprintForm veröffentlicht wurde. Die Anzahl jener Publikationen, welche peer-reviewed wurden, ist gering.

Schnellere Viruselimination, wenige klinische Effekte

Die Ergebnisse einer im „Peer-Review“ Verfahren begutachteten Studie mit 72 Patienten waren eher ernüchternd. Eingeschlossen wurden hospitalisierte, nicht sauerstoffpflichtige Patienten. Diese wurden in drei Gruppen randomisiert und mit Ivermectin, Ivermectin plus Doxycyclin oder Placebo behandelt. In der Ivermectin-Monotherapie-Gruppe wurde zwar eine schnellere Viruseliminierung in nasopharyngealen Abstrichen dokumentiert, jedoch ließen sich keine Effekte auf die klinischen Endpunkte (Symptome, Hospitalisierungsdauer) nachweisen.7 Eine andere Studie untersuchte den Effekt von Ivermectin auf Erwachsene mit einer milden COVID-19-Erkrankung. Die Ergebnisse wurden Anfang März im JAMA publiziert. Die Probanden (n = 400) wurden in zwei Gruppen randomisiert und erhielten über fünf Tage Ivermectin (0,3 mg/kg KG/d) oder Placebo. Den primären Endpunkt stellte die Zeit bis zur vollständigen Symptomfreiheit dar: Sie konnte mit Ivermectin von zwölf auf zehn Tage verkürzt werden. Der Unterschied war allerdings nicht signifikant.8

X Infobox: Der Wirkstoff Ivermectin

Ivermectin ist ein Breitband-Antiparasitikum, das in Österreich als orale Formulierung (Scabioral®) für die Behandlung von Skabies (Krätzmilbe) und von parasitärem Befall mit Fadenwürmern zugelassen ist. Seine Wirkung beruht auf einer Bindung an glutamatgesteuerte Chloridkanäle, welche zur Lähmung und zum Tod der Parasiten führt. Setzt man es gegen SARS-CoV-2 ein, so wird eine Blockade des Zelltransporterproteins Importin α/β1 vermutet, das für den Transport von zellulären und viralen Proteinen in den Zellkern benötigt wird. In der EU ist Ivermectin weder zur Prophylaxe noch zur Therapie von COVID-19 zugelassen. In Tschechien und der Slowakei wird das Mittel mit Sondergenehmigungen eingesetzt. Allerdings ist in der Slowakei kein ivermectinhaltiges Arzneimittel zugelassen. Die Off-Label-Anwendung von Ivermectin gefährdet die inländische Versorgung von Skabies-Patienten, deshalb hat das BASG unlängst ein Exportverbot für Scabioral® ausgesprochen.

Zwei Metaanalysen mit unterschiedlichen Conclusions

Zwei Forscherteams legten kürzlich umfassende Metaanalysen des Einsatzes von Ivermectin vor. Die Front Line COVID-19 Critical Care Alliance (FLCCC) wertete 24 kontrollierte klinische Studien mit insgesamt 7.300 Patienten aus. Zusätzlich wurden In-vitro- und Tierstudien sowie Real-World-Daten berücksichtigt. Die Ärztegruppe aus den USA schloss daraus, dass Ivermectin die Mortalität senken könne, und sprach sich für den Einsatz von Ivermectin zwecks der Prophylaxe und Therapie von COVID-19 aus.9 Anders fiel die Bewertung der zweiten großen Metaanalyse von dem International Ivermectin Project Team aus, welches die Ergebnisse von 18 randomisierten kontrollierten Studien (n = 2.282) systematisch untersuchte. Im Rahmen dieser Analyse konnte nachgewiesen werden, dass Ivermectin mit reduzierten Entzündungsmarkern (C-reaktives Protein, d-Dimer und Ferritin) und einer schnelleren viralen Clearance assoziiert ist. Im Gegensatz zur FLCCC forderten die Autoren jedoch weitere Evidenz, um den Einsatz von Ivermectin rechtfertigen zu können.10

Aktuelle Empfehlungen

Derzeit empfehlen weder die WHO noch Fachgremien explizit den Einsatz von Ivermectin für die Prophylaxe oder Therapie von COVID-19. In der aktuellen S3-Leitlinie zur stationären Therapie von COVID-19 wird mit starkem Konsens von einer Behandlung mit Ivermectin abgeraten.11 Die EMA befindet, dass die verfügbaren Daten für den Beleg der Wirksamkeit nicht ausreichten und sich die Verwendung von Ivermectin für die Behandlung von COVID-19 außerhalb klinischer Studien nicht rechtfertigen lasse. Ergebnisse von gut konzipierten und ordentlich durchgeführten klinischen Studien seien dringend erforderlich, um klare Empfehlungen geben zu können.

Mag.a Dr.in Irene Senn

Quellen: 1 Caly L et al. Antiviral Res 2020;178:104787. 2 Lehrer S et al. In Vivo 2020;34(5):3023-3026. 3 Guzzo CA et al. J Clin Pharmacol 2002;42(10):11221133. 4 Chaccour C et al. Am J Trop Med Hyg 2020;102(6):1156-1157. 5 www.clinicaltrials.gov., abgerufen am 17.4.2021. 6 Fachgruppe COVRIIN am Robert-Koch-Institut: Medikamentöse Therapie bei COVID-19. 7 Ahmed S et al. Int J Infect Dis 2021;103:214-216. 8 López-Medina E et al. JAMA 2021;325(14):1426-1435. 9 FLCCC Alliance: www.covid19criticalcare.com, abgerufen am 17.4.2021. 10 Hill A et al. 2021:DOI: 10.21203/rs.21203.rs-148845/ v148841. 11 Kluge S et al. AWMF-Register Nr 113/001 2021; Stand 23.2.2021.

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