9 minute read

Ein Beruf mit Zukunft?

Next Article
Arzt Sicht Sache

Arzt Sicht Sache

Beim Hausarzt DIALOG-TAG Ende April 2021 im Ordensklinikum Linz diskutierten namhafte Experten die künftige Rolle der Allgemeinmedizin

Egal ob Stadt oder Land: Die hausärztliche Versorgung ist für die Bevölkerung essentiell. Das gilt umso mehr in Zeiten der COVID-19-Pandemie. Waren während des ersten Lockdowns die Herausforderungen noch groß – Stichworte mangelnde Schutzausrüstung für das Personal, ständig wechselnde Vorgaben seitens der Politik, ein zeitweilig eingeschränkter Zugang für die Patienten und eine Informationsflut von unterschiedlichsten Seiten –, so hat sich mittlerweile alles recht gut eingependelt. Da allerdings in ganz Österreich Kassenplanstellen für Allgemeinmedizin immer öfter nur schwer nachbesetzt werden können, kommt der Attraktivierung des Berufsbilds eine wichtige Rolle zu. Wie das angegangen werden soll, diskutierte ein hochkarätig besetztes Podium beim diesjährigen HausarztDIALOG-Tag im Ordensklinikum Linz (Details zur Veranstaltung – siehe Infobox 1, siehe Seite 16).

Die Ansprüche der Jungen

Prim. Dr. Werner Saxinger, Vorstand der Abteilung für Haut- und Geschlechtskrankheiten am Klinikum Wels-Grieskirchen und Abgeordneter zum Nationalrat, kündigte an, dass noch 2021 wichtige Schritte in Richtung der Aufwertung der Allgemeinmedizin gesetzt würden, die im Regierungsprogramm festgeschrieben seien. Dazu zählen z. B. der Facharzt für Allgemeinmedizin oder mehr Möglichkeiten der Zusammenarbeit in der Primärversorgung. „Ich bilde seit 20 Jahren Turnusärzte aus und rede dabei sehr häufig mit ihnen über ihre Wünsche und Vorstellungen“ , erzählte er. „Und ich bin diesbezüglich

gar nicht so pessimistisch. Denn die Hälfte bis drei Viertel sagen, dass sie in die Allgemeinmedizin gehen wollten. Allerdings sind die Ansprüche heute anders als jene meiner Generation. Die maximale Flexibilisierung ist ein großes Thema. Die Jungen möchten nicht mehr Einzelkämpfer in einer Einzelordination sein. Sie möchten im Team arbeiten, vernünftige Arbeitszeiten haben usw. Auch durch die ökonomischen Herausforderungen einer Einzelpraxis fühlen sie sich oft überfordert.“

Facharzt für Allgemeinmedizin noch 2021?

Foto: © shutterstock.com/ alphaspirit.it, New Africa Nun könnte man sagen: Die Attraktivierung der Allgemeinmedizin ist in den vergangenen Jahrzehnten schon oft im Regierungsprogramm gestanden, ohne dass sich viel geändert hat. Warum sollte es diesmal klappen? „Wir sind jetzt ein Team von einigen Medizinern im Nationalrat. Und ich setze auch große Hoffnungen in den neuen Gesundheitsminister, der aus der Allgemeinmedizin kommt“ , erklärte Prim. Saxinger. „Deshalb glaube ich wirklich, dass in den nächsten Monaten einiges gelingen kann. So wollen wir z. B. noch im Herbst 2021 den Facharzt für Allgemeinmedizin auf Schiene bringen.“ Auch Dr. Erwin Rebhandl, Hausarzt in Haslach und OBGAM-Präsident, gab sich zuversichtlich. „Durch die Pandemie ist die Bedeutung der Allgemeinmedizin noch deutlicher gesehen worden“ ,

sagte er. „Vielleicht gelingt ja tatsächlich die Aufwertung in der jetzigen Konstellation. Es ist kein Verzug mehr zulässig!“ Der Facharzt für Allgemeinmedizin z. B. ist eine schon mehrere Jahrzehnte alte Forderung der Fachgesellschaften für Allgemeinmedizin. Warum es den Facharzttitel überhaupt (noch) braucht? „Wir wissen aus Befragungen der Absolventinnen und Absolventen um die große Bedeutung“ , hob Prof.in Dr.in Kathryn Hoffmann vom Zentrum für Public Health der MedUni Wien hervor. „Schon während des Studiums und vor allem in der postgradualen Ausbildung würde die Allgemeinmedizin dann tatsächlich als eigenständiges medizinisches Fach wahrgenommen und gelehrt werden“ , erklärte sie die Hintergründe. Wichtig sei auch, dass Hausärzten Point-of-CareUntersuchungen, etwa der Ultraschall, ermöglicht würden. „Erst dann wird die Allgemeinmedizin von den Jungen auch als eine moderne Medizin wahrgenommen werden, die 70 bis 80 Prozent aller Fälle auffangen und – bei guter Ausstattung – auch abschließend behandeln könnte.“ Eine verpflichtende Lehrpraxis gibt es mittlerweile. „Damit die Allgemeinmedizin schon vom Studienbeginn an präsenter ist, ist es allerdings wichtig, dass sie nicht zur Gänze erst am Ende der Ausbildung absolviert wird, sondern ein Teil schon zu Beginn“ , gab Dr. Rebhandl zu bedenken. Er plädierte darüber hinaus für eine Verlängerung der Lehrpraxis von derzeit sechs auf mindestens zwölf Monate. Ebenfalls wichtig sind dem engagierten Hausarzt: flexible Zusammenarbeitsformen, eine Verminderung des bürokratischen Aufwands sowie ein neues, transparentes Honorierungssystem mit mehr Pauschalen.

Bei der Veranstaltung waren – unter Einhaltung der COVID-Maßnahmen - drei Teilnehmer der Podiumsdiskussion vor ort (von re.n.li: Dr. Erwin Rebhandl, Mag. Jakob Hochgerner und Mag. Franz Kiesl mit Moderator Johannes Oberndorfer, Geschäftsführer der RMA Gesundheit), sowie zwei Online zugeschaltet (Prof. Kathryn Hoffmann, Prim. Werner Saxinger).

X Infobox 1: Über die Veranstaltung

Beim Hausarzt DIALOG-Tag am 24. April 2021 referierten Spitals- und niedergelassene Ärzte wieder auf Augenhöhe ausgewählte medizinische Themen. Die Veranstaltung wurde gemeinsam mit dem Fachmagazin HAUSARZT, der OBGAM sowie dem Ordensklinikum Linz umgesetzt und war DFPapprobiert. Zur Mittagszeit konnten auch Laien – über minimed.at oder Facebook-Live-Stream – an der hochkarätig besetzten Podiumsdiskussionsrunde zum Thema „Visionen der (haus-)ärztlichen Versorgung inklusive der Rolle von HausärztInnen in der Krise“ teilnehmen. Das Interesse an der Ärztefortbildung und der Podiumsdiskussion war sehr groß. Weitere Infos: minimed.at; obgam.at; ordensklinikum.at.

Honorierungssysteme

„Mit der Forderung nach einfacheren, pauschalierten Honorierungsmodellen laufen Sie bei mir offene Türen ein“ , sagte Mag. Franz Kiesl von der Österreichischen Gesundheitskasse und führte dazu aus: „Analog zu den gesetzlichen Vorgaben für PVE könnte auch die Honorierung von Einzel- und Gruppenpraxen mit Grund- und Fallpauschalen, ausgewählten (wenigen) Einzelleistungsvergütungen und Bonuszahlungen für die Erreichung definierter Ziele erfolgen. In Oberösterreich gibt es z. B. PVE-Piloten, die mit einem jährlichen Pauschalbetrag honoriert werden, der das bisherige Einkommen eines Vertragsarztes nicht nur sicherstellt, sondern es sogar um fünf Prozent erhöht. Dieses Modell findet in Oberösterreich bei den Ärzten den größten Zuspruch. “ Kiesl erläuterte die Nachteile eines Einzelleistungssystems: hoher bürokratischer Aufwand sowohl für die Ärzte als auch für die Kasse; Förderung einer großen Einzelleistungsmenge statt einer Entlohnung des Zeitaufwandes; keine Transparenz in Bezug auf das Gesamteinkommen eines Vertragsarztes, stattdessen eine Diskussion über den Tarif für einzelne Leistungen usw. Im Übrigen wünscht sich Kiesl nicht nur hinsichtlich der – aus seiner Sicht – „insgesamt attraktiven Honorierung“ , sondern auch hinsichtlich der „mittlerweile sehr flexiblen (Zusammen-)Arbeitsmodelle“ der Vertragsärzte ein besseres „Marketing“ gemeinsam mit den Ärztekammern. Es gelte „die vielen positiven Aspekte des Vertragsarztberufes offensiv darzustellen“ .

„Fünf-Minuten-Medizin“

Es könne schon sein, dass das Honorar den heutigen Jungärzten zu Beginn nicht so wichtig sei, entgegnete Prof.in Dr.in Hoffmann. Das ändere sich aber, wenn sie die große Arbeitsbelastung in Kassenpraxen miterlebten. „Diese Fünf-Minuten-Medizin hält die nachkommende Generation nicht mehr für angemessen“ , gab sie zu bedenken. Bei vollen Wartezimmern sei zumindest ein entsprechend gutes Honorar notwendig. Kiesl relativierte anhand eines Rechenbeispiels diese „Fünf-Minuten-Medizin“ in Kassenpraxen stark, was folglich für Aufregung in der Diskussion sorgte. Prim. Saxinger entgegnete: „Ich würde Sie gern einmal einladen, am Vormittag in eine Allgemeinordination zu schauen, wo 20 bis 40 Personen im Warteraum sitzen, mit den verschiedensten Bedürfnissen und Krankheiten. Die wollen reden, die wollen ernst genommen werden. Wenn wir Jungärzte für die Allgemeinmedizin begeistern wollen, dann müssen wir das System ändern. Jetzt ist es schon oft Fließbandarbeit. Das akzeptiert die nachkommende Generation nicht mehr. “

X Infobox 2: Ansprechpartner für „niederlassungswillige“ Ärzte

Ärzte, die den Beruf Hausarzt in Erwägung ziehen, können sich an Fachgesellschaften, Vereine und Plattformen wie die Österreichische Gesellschaft für Allgemeinmedizin (oegam.at, mit Links zu den Bundesländer-Organisationen) oder die Junge Allgemeinmedizin Österreich (jamoe.at) wenden. Auch die Ärztekammer (aerztekammer.at) und die Sozialversicherung (gesundheitskasse.at) bieten Beratungen für Ärzte an, die sich für die Niederlassung interessieren.

Flexible Zusammenarbeit

Dr. Rebhandl betonte die Notwendigkeit einer guten Praxisorganisation und der Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen. Seit ihm das in seiner PVE möglich sei, habe er um zirka 50 Prozent mehr Zeit für den einzelnen Patienten. Nun will nicht jeder Arzt in einer PVE arbeiten. Teilweise gibt es auch bereits andere Möglichkeiten der flexiblen Zusammenarbeit. So ist es – nach langem Kampf – mittlerweile möglich, dass Jungärzte sich nach der Lehrpraxis in einer niedergelassenen Praxis anstellen lassen. „In der Schweiz funktioniert das extrem gut, dass man nach fünf Jahren Anstellung die Option hat, in die Ordination einzusteigen“ , schilderte Dr. Rebhandl. In Österreich müssten Möglichkeiten wie diese den jungen Kollegen noch besser vermittelt werden. „Wir sind auch gerade in der finalen Abstimmung, um Wiedereinsteigern eine Art Lehrpraxis zu ermöglichen“ , so der OBGAM-Präsident weiter. „Kolleginnen und Kollegen, die nach dem Turnus für Allgemeinmedizin in anderen Bereichen arbeiten, sollen so motiviert werden, in den niedergelassenen Bereich zu wechseln. Nach einer befristeten Anstellung können sie in eine Einzel- oder Gruppenpraxis einsteigen.“

Präzises ABDM – das neue 24-Stunden-Blutdruckmessgerät

Noch mehr Komfort für Ihre Patienten, noch mehr Leistungsfähigkeit für Sie.

| Kommunikation mit allen gängigen Praxis-Systemen über GDT | Inklusive neuer intuitiver PC-Software profil-manager XD 6.0 für den optimalen Ablauf in Praxis und Klinik | Übersichtliche Darstellung aller ABDM-Daten inklusive Pulsdruck und MBPS (morgendlicher Blutdruckanstieg) | Gerät über eindeutige Patientennummer initialisierbar | Möglichkeit zur Anzeige von Fehlmessungen (Artefakten) | Hotline-Service

boso TM-2450 | Medizinprodukt BOSCH + SOHN GmbH & Co. KG Handelskai 94-96 | 1200 Wien

X Nachgefragt: Wie optimistisch sind Sie?

Foto: © Werner Saxinger, privat

Prim. Dr. Werner Saxinger

Dermatologe am Klinikum WelsGrieskirchen und Politiker „Wenn es uns gelingt, den Facharzt für Allgemeinmedizin zu installieren und Zusammenarbeitsmodelle anzubieten, dann werden wir viele junge Kolleginnen und Kollegen begeistern können, in die Allgemeinmedizin zu gehen.“

„Ich sehe mich durch die Diskussion bestätigt in der Sichtweise, dass der Hausarzt eine extrem wichtige Rolle spielen muss im Gesundheitssystem. Wie auch jetzt schon. PVE sind ein riesiger Fortschritt. Sie bringen für alle Beteiligten Vorteile.“

„Durch die Pandemie ist die Bedeutung der Allgemeinmedizin sichtbarer geworden. Ich finde es großartig, dass PVE jetzt möglich sind. Daneben müssen aber auch Einzel- und Gruppenpraxen bestmöglich gefördert werden.“

„Es gibt sehr viele gute Ansätze. Wenn wir weiter in diese Richtung arbeiten, dann glaube ich, dass wir es in absehbarer Zeit schaffen, der Bevölkerung eine wirklich gute Primärversorgung in Österreich zu garantieren.“

„In Oberösterreich haben wir ein gutes organisches Wachstum der PVE. Diese können nicht in die Landschaft ,hineinverordnet‘ werden, sondern müssen immer gemeinsam mit den bestehenden Primärversorgern gesehen werden. In diesem Sinne sind wir auf dem richtigen Weg.“

Foto: © ÖGK

Mag. Franz Kiesl Leiter Versorgungsmanagement 1, Österreichische Gesundheitskasse

Foto: © MedUni Wien & Matern

Prof.in Dr.in Kathryn Hoffmann Zentrum für Public Health der MedUni Wien

Foto: © Erwin Rebhandl, privat

Dr. Erwin Rebhandl Hausarzt in Haslach und OBGAM-Präsident

Foto: © Wakolbinger

Mag. Jakob Hochgerner Gesundheitsdirektor der oberösterreichischen Landesverwaltung

Neue Regeln der Inanspruchnahme

Eine mangelnde Attraktivität des Berufs hänge oft mit konkreten Erlebnissen im Behandlungsalltag zusammen, die von einem geringen Respekt gegenüber dem öffentlichen Gesundheitssystem geprägt seien, brachte Mag. Jakob Hochgerner, Gesundheitsdirektor der oberösterreichischen Landesverwaltung, einen weiteren Aspekt ein. In diesem Sinne sei es wichtig, dass den Gatekeepern im System der gebührende Respekt entgegengebracht werde: „Allgemeinmediziner werden in Zukunft mit gewaltigen Herausforderungen konfrontiert sein“ , gab er zu bedenken. „Andere Regeln der Inanspruchnahme könnten erforderlich werden. Sonst wird man in den Ordinationen schlicht überrannt – und findet sich damit in einer unattraktiven Arbeitssituation wieder.“ Zu Beginn der Pandemie wurde der Bevölkerung 1450 als Hauptansprechnummer nahegelegt. „Es war eine gute Idee, dass man – als noch wenig über das Virus bekannt war – nicht alle Patienten direkt ins Gesundheitssystem hat strömen lassen“ , meinte Prof.in Dr.in Hoffmann rückblickend. Aber die Schnittstelle zur Allgemeinmedizin habe nicht funktioniert. Will heißen: Die Menschen seien nach dem Kontakt mit der Gesundheitsnummer oft mit ihren Ängsten und Symptomen allein zu Hause gewesen, statt sich zusätzlich bei ihren Hausärzten zu melden. „Es braucht ein gutes Monitoring der Patienten, die in Isolation oder in Quarantäne sind“ , hob Prof.in Dr.in Hoffmann hervor. Die Telemedizin habe in Zeiten der Pandemie einen Aufschwung erlebt: „Aber auch hierfür sind neue Honorierungssysteme dringend erforderlich.“ Einig waren sich alle Diskutanten am Podium darüber, dass die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung weiter gesteigert werden sollte und dass im ländlichen Raum auch der Gemeindeentwicklung eine wichtige Rolle zukommt. Prof.in Dr.in Hoffmann: „Eine gute Infrastruktur lockt Menschen aufs Land – und so auch junge Leute, die Hausärztinnen und Hausärzte werden wollen.“

This article is from: