Verdun, Astronomie in Bern

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ASTRONOMIE UND GEODÄSIE IN BERN Bilddokumentation zum Doppeljubiläum 200 Jahre «Alte Sternwarte Bern» und 100 Jahre «Astronomisches Institut» der Universität Bern Herausgegeben vom Astronomischen Institut der Universität Bern Andreas Verdun

ASTRONOMIE UND GEODÄSIE IN BERN

Bilddokumentation zum Doppeljubiläum 200 Jahre «Alte Sternwarte Bern» und 100 Jahre «Astronomisches Institut» der Universität Bern

Herausgegeben vom Astronomischen Institut der Universität Bern

Haupt

Autor: PD Dr. Andreas Verdun Astronomisches Institut Universität Bern Sidlerstrasse 5 CH-3012 Bern

1. Auflage: 2023 ISBN 978-3-258-08287-5

Gestaltung und Satz: Katarina Lang Book Design, Zürich mit Nikolaj Jaberg, Basel Lithografien: FdB Fred Braune, Bern Umschlagabbildung: Das Observatorium Zimmerwald beim Messen von Distanzen zu Satelliten mit einem Laserstrahl. (Bild: AIUB, Emiliano Cordelli)

Alle Rechte vorbehalten.

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Inhalt Zum Geleit 6

1. Chronologische Übersicht 8

2. Die mathematischen Wissenschaften in «bernischen Landen» des 16. bis 18. Jahrhunderts 12

3. Die «Station primaire» von 1812 bis 1821 20

4. Die Sternwarte «Uraniae» von 1822 bis 1876 28

4.1 Erbauung der Sternwarte und Gestaltung des Umfeldes auf der Grossen Schanze 30

4.2 Direktorien und Dozenturen 38

4.3 Die Sternwarte bis 1847 50

4.4 Erste bauliche Erweiterung 1848 60

4.5 Zweite bauliche Erweiterung 1853/54 zur Zeitbestimmungsstation 66

4.6 Dritte bauliche Erweiterung 1861 zur Meteorologischen Zentralstation 72

5. Das Tellurische Observatorium von 1876 bis 1958 82

5.1 Planung und Erbauung 84

5.2 Direktorien und Dozenturen 94

5.3 Die Geophysikalische Station 102

5.4 Die astronomische Kuppel und der Meridiansaal 110

5.5 Vom «Physikalischen Kabinett» zum «Physikalischen Institut» 114

5.6 Abbruch des Tellurischen Observatoriums im Jahr 1958 122

6. Die Muesmatt-Sternwarte und die Gründung des Astronomischen Instituts im Jahr 1922 128

6.1 Planung, Erbauung und bauliche Erweiterungspläne 130

6.2 Direktorien und Assistenzen 142

6.3 Forschung und Lehre 148

7. Das Astronomische Institut im Gebäude Exakte Wissenschaften der Universität Bern seit 1961 168

7.1 Erbauung, bauliche Erweiterungen und Infrastruktur 170

7.2 Direktorien und Dozenturen 178

7.3 Lehrbereiche 194

7.4 Forschungsbereiche 202

7.5 Datenanalyse- und Auswertezentren 212

7.6 Nationale und internationale Zusammenarbeiten 220

8. Das Observatorium und die Fundamentalstation in Zimmerwald seit 1955/56 (Swiss Optical Ground Station and Geodynamics Observatory) 236

8.1 Erbauung und bauliche Erweiterungen (Kuppeln) 238

8.2 Instrumentarium (Teleskope, Laser, Detektoren, etc.) 250

8.3 Optische Beobachtungen zur Astronomie und Astrophysik 274

8.4 Optische Beobachtung von geodätischen Satelliten 282

8.5 Laser-Distanzmessungen zu Satelliten und Raumsonden 288

8.6 Radio- und Mikrowellen-Messungen von Satelliten und Atmosphäre 300

8.7 Optische Himmelsüberwachung des erdnahen Raumes 304

8.8 Einbindung in globale Netzwerke und Messkampagnen 312

8.9 Im Dienste der Fundamentalastronomie und der Nachhaltigkeit 330

9. Die Sternwarte Uecht und das neue Observatorium «Space Eye» 338

9.1 Die Sternwarte Uecht seit 1951 340

9.2 Das Space Eye-Observatorium für Weltraum und Umwelt seit 2022 346

Strukturiertes Literaturverzeichnis 352 Bildlegenden und Bildnachweise 371

Zum Geleit

Im Jahr 1812 wurde im Zuge der Vermessungen der französischen Ingenieur-Geografen auf dem höchsten Punkt der Berner Fortifikationsbauten, der Bastion «Hohliebi», in einer Holzhütte (ehemaliges Pulverhäuschen) ein Vermessungspunkt (die sog. «Station primaire») erstellt, von dem aus eine Sichtverbindung zu den beiden Jurahöhen Chasseral und Röthifluh bestand und der somit besonders geeignet für den Aufbau eines Triangulationsnetzes war. Dieser Punkt wurde später der Ursprung der Schweizerischen Landesvermessung. An genau dieser Stelle wurde 1822 die erste Berner Sternwarte «Uraniae» erbaut, die somit die Institutionalisierung von Astronomie und Geodäsie in Bern verkörperte. Teil der 1834 gegründeten Universität Bern wurde die Astronomie aber erst mit dem Bau der Sternwarte Muesmatt im Jahr 1922.

Im Jahr 2022 kann somit gleich ein Doppeljubiläum gefeiert werden: 200 Jahre «Uraniae» (alte Sternwarte Bern) und 100 Jahre «AIUB» (Astronomisches Institut der Universität Bern). Die vorliegende Bilddokumentation soll Einblicke in die Entwicklung von Astronomie und Geodäsie in Bern bieten und dadurch diese Jubiläen gebührend würdigen. Die Betonung liegt dabei auf «Bild-Dokumentation», die sich von einer wissenschafts-historiographischen Monografie unterscheidet, in der die wissenschaftlichen Entwicklungen und Errungenschaften der letzten zweihundert Jahre im Detail untersucht und rekonstruiert werden. Diese Aufgabe hätte aber den Rahmen des Möglichen bei weitem gesprengt. Sie würde vermutlich aber auch nur eine kleine Interessensgruppe ansprechen. Das Ziel besteht vielmehr darin, eine möglichst grosse Leserschaft mit prägnanten und eindrücklichen Bildern aus der Geschichte der Astronomie und Geodäsie hier in Bern anzusprechen, diese mit kurzen und verständlichen Texten zu begleiten und dadurch «Ein-Blicke» und «Ein-Sichten» zu ermöglichen.

Es wird dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhoben, was allein schon deshalb nicht möglich ist, weil aus der Flut von Bildern und Dokumenten eine Auswahl getroffen werden musste. Es wurde jedoch sehr grosser Wert darauf gelegt, dass jedes Bild einen bestimmten Sachverhalt oder eine Begebenheit repräsentativ widerspiegelt, ohne die geschichtliche Entwicklung zu verfälschen oder zu verzerren. Zusammen mit den kurzen Bildbeschreibungen und genauen Bildnachweisen sowie dem ausführlichen Literaturverzeichnis am Schluss des Buches sollte mit vorliegender Publikation die Grundlage für künftige wissenschafts-historische Forschungen und Studien geschaffen werden.

Um eine chronologische und inhaltliche Übersicht über die präsentierten Bilder zu erhalten, helfen einerseits die in Kapitel 1 dargestellten Grafiken. Andererseits wurden die einzelnen Kapitel genau nach dieser Übersicht strukturiert, so dass es möglich ist, sich jederzeit an diesen Grafiken zu orientieren. Zudem enthält jedes Kapitel eine kurze Einleitung, in welcher der historische/wissenschaftliche Kontext des gebotenen Bildmaterials beschrieben wird.

Es ist eine Binsenwahrheit, dass ein gegenwärtiger Zustand nur dann genau verstanden wird, wenn man weiss, wie er entstanden ist. Diese Aussage gilt auch und besonders für historische Begebenheiten. Deshalb ist es gerade bei historischen Prozessen wichtig, in die Ver-

gangenheit zu blicken und diese bei der Betrachtung miteinzubeziehen. Deshalb wurde in Kapitel 2 summarisch der Zustand der mathematischen Wissenschaften in Bern kurz illustriert. Kapitel 3 gibt sodann den historischen Kontext, der schildert, warum und wie es überhaupt zur Gründung der «Station primaire» gekommen ist. Erst dann wird es in Kapitel 4 möglich, die Erbauung und Geschichte der alten Sternwarte Bern detaillierter zu verstehen.

Die alte Sternwarte «Uraniae» wurde, trotz mehrerer Ausbau-Phasen, im Jahr 1876 abgerissen und an deren Stelle das sog. «Tellurische Observatorium» erstellt. Wie der Name sagt, verschob sich damit die wissenschaftliche Tätigkeit von der Astronomie und Geodäsie zur Meteorologie und Geophysik. Daraus entstand schliesslich das Physikalische Institut der Universität Bern. Diese Entwicklung wird in Kapitel 5 dargestellt.

Seit dem Abbruch der alten Sternwarte Bern gelangte die Astronomie unter die Domäne der Mathematik und wurde als theoretische Disziplin gepflegt. Während dieser Zeit entstand zwar die bis heute hier in Bern praktizierte Tradition der Himmelsmechanik, beobachtende Astronomie wurde kaum mehr betrieben. Erst mit dem Bau der Muesmatt-Sternwarte in Bern im Jahr 1922 waren die Voraussetzungen für die Gründung eines Astronomischen Instituts der Universität Bern gegeben. In Kapitel 6 wird auf die Geschichte und die Forschung an der Muesmatt-Sternwarte als dem damaligen Astronomischen Institut eingegangen.

Im Jahr 1958 wurde auch das Tellurische Observatorium abgerissen und an dessen Stelle das heutige Gebäude für Exakte Wissenschaft erbaut. Es wurde 1961 fertiggestellt. Wie sein Name besagt, beherbergte dieses Gebäude alle exakten Wissenschaften «unter einem Dach», worin sowohl die Astronomie als auch die Physik und Mathematik neu angesiedelt wurden. Dieser Übergang wird in Kapitel 7 kurz illustriert. Insbesondere wird darin das «neue» Astronomische Institut mit all seinen Aktivitäten in Lehre und Forschung dargestellt. Es war die Zeit der aufkommenden Ära von Weltraumfahrt und von Computern.

Da die Muesmatt-Sternwarte wegen ihrer Verortung in der Stadt Bern nie richtig für wissenschaftliche Spitzenforschung genutzt werden konnte (das Stadtlicht war zu hell für astronomische Beobachtungen), musste eine neue Forschungs- und Beobachtungsstation gesucht werden. Im Jahr 1956 konnte die «Zweigsternwarte» in Zimmerwald ihren Betrieb aufnehmen. Gleichzeitig verlagerte sich dabei der Forschungsschwerpunkt von der Astronomie/Astrophysik zur Satellitengeodäsie und automatischen Himmelsüberwachung. Diese Entwicklung ist Thema des Kapitels 8. Schliesslich darf das Outreach-Projekt «Space Eye» in Kapitel 9 nicht unerwähnt bleiben.

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Verdankungen

Zahlreiche Institutionen und Organisationen sowie Private haben Bildmaterial für dieses Buch freundlicherweise zur Verfügung gestellt, was an dieser Stelle gebührend verdankt sei. Es sind dies:

• Astronomischen Instituts der Universität Bern

• Physikalisches Institut der Universität Bern

• Institut für Angewandte Physik der Universität Bern

• Bibliothek Exakte Wissenschaften Universität Bern

• Universitätsbibliothek Bern

• Burgerbibliothek Bern

• Stadtarchiv Bern

• Staatsarchiv Bern

• Schweizerische Nationalbibliothek Bern

• Kantonale Denkmalpflege Bern

• Eidgenössisches Archiv für Denkmalpflege

• Amt für Gebäude und Grundstücke Kanton Bern

• Bernisches Historisches Museum

• Bundesamt für Landestopografie swisstopo Wabern/Bern

• Schweizerische Geodätische Kommission SGK

• Universitätsbibliothek Basel

• Zentralbibliothek Zürich

• ETH-Bibliothek Zürich

• Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR

• GeoForschungsZentrum GFZ Potsdam

• Österreichische Nationalbibliothek Wien

• Institut Géographique Nationale IGN, Paris/Saint-Mandé

• Bibliothèque de l’Observatoire de Paris

• European Space Agency ESA

• University of Chicago Library, Photographic Archive

• National Aeronautics and Space Administration NASA

• Jet Propulsion Laboratory JPL, Pasadena, California

• International Laser Ranging Service ILRS

• International GNSS Service IGS

• IGS Central Bureau, Allison Craddock

• Global Geodetic Observing System GGOS

• International Combination Service for Time-variable Gravity Fields COST-G

• GOCE High-Level Processing Facility GOCE HPF

• European Gravity Service for Improved Emergency Management EGSIEM

• Grupo Mecánica Vuelo GMV, Tres Cantos, Espagna

• Mathematisches Forschungsinstitut Oberwohlfach MFO

• Kapteyn Astronomical Institute, Department of Astronomy, University of Groningen

• American Institute of Physics, Niels Bohr Library

• Science Museum Group London

• Institute of Astronomy, University of Cambridge

• United Nations Office for Outer Space Affairs UNOOSA

• Space Eye / Velvet

• Stiftung Sternwarte Uecht, Niedermuhlern/Bern

• Mario Botta Architetti

• Manu Friederich Bern

• Keystone SDA Bern

• Getty Images, Seattle, Washington

• Tamedia Publikationen Deutschschweiz AG Zürich

• Springer Verlag Berlin / Heidelberg

• Benteli-Verlag Bern

• Privat-Archive und Privat-Bibliotheken

Folgende Institutionen und Stiftungen haben dieses Buch finanziell unterstützt, entweder durch direkte Beiträge oder durch die Reduktion von Copyright- oder Digitalisierungs-Gebühren:

• Astronomisches Institut der Universität Bern

• Philosophisch-naturwissenschaftliche Fakultät der Universität Bern

• Fondation Johanna Dürmüller-Bol, Muri/Bern

• UniBern Forschungsstiftung

• Staatsarchiv Bern

• Burgerbibliothek Bern / Burgergemeinde Bern

• Universitätsbibliothek Bern – Zentrum Historische Bestände

• Bernisches Historisches Museum

• Getty Images, Seattle, Washington

• Keystone SDA Bern

Schliesslich sei all jenen Personen gedankt, die sich aktiv an der Gestaltung dieses Buches beteiligt haben, sei es durch eigene Beiträge oder sonstige Mithilfe. Es sind dies: Prof. Dr. Adrian Jäggi, Prof. Dr. Gerhard Beutler, Prof. Dr. Thomas Schildknecht, Prof. Dr. Rolf Dach, Dr. Daniel Arnold, Pierre Fridez, Jan Dirk Brinksma (alle Universität Bern), Dr. Adrian Wiget, Dr. Elmar Brockmann, Dr. Martin Rickenbacher, Frau Beatrice Winter (alle swisstopo) sowie alle nicht genannten Bibliothekarinnen/Archivarinnen und Bibliothekare/Archivare der oben genannten Institutionen.

Nicht zuletzt sei dem Verleger Herr Matthias Haupt, Inhaber Haupt Verlag Bern, und seinem Team sowie Frau Katarina Lang, Book Design & Visual Communication Zürich, für die Gestaltung, Herstellung und Herausgabe des Buches herzlich gedankt.

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Chronologische Übersicht

Die zeitliche Entwicklung der Astronomie (Sternkunde) und Geodäsie (Erdvermessung) in Bern lässt sich aufgrund überlieferter Quellen (z.B. Handschriften und Bücher) bis zur Gründung der «Hohen Schule» im 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Als noch unselbständige Fachgebiete wurden sie bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts vorwiegend in die Lehrbereiche Mathematik und Naturlehre integriert. Erst mit der Errichtung der «Station primaire» im Jahr 1812 als primärer schweizerischer Triangulationspunkt zuerst der französischen, dann der schweizerischen Landesvermessung, sowie mit der Erbauung der Sternwarte «Uraniae» im Jahr 1822 als Ersatz für die «Station primaire», erhielten Astronomie und Geodäsie eine bauliche und somit institutionelle Repräsentation.

Die auf den nachfolgenden drei Seiten dargestellten Grafiken geben eine chronologische Übersicht über die zeitliche Entwicklung von Bauten und Instrumenten, von Lehre und Forschung sowie von der personellen Besetzung von Direktorien, Assistenzen und Dozenturen für den Zeitraum von der Gründung der Berner Akademie im Jahre 1805 bis heute. Um den zeitlichen Bezug zu erleichtern, wurden die wesentlichen Daten zur Geschichte der Hohen Schule, der Akademie sowie der Universität Bern eingetragen, insbesondere das Gründungsjahr 1834 der Universität Bern sowie das Jahr 1903 der Einweihung ihres Hauptgebäudes. Diese chronologischen Übersichten können nur eine grobe zeitliche Orientierung und keine Detail-Entwicklungen widergeben, ohne die Darstellungen zu überladen und damit die Übersichtlichkeit zu verlieren. Die inhaltliche Struktur dieser Festschrift richtet sich im Wesentlichen nach diesen chronologischen Übersichten.

Gemäss der ersten Übersicht fällt die historisch-kontextuelle Einbettung von Kapitel 2 noch in die Zeit der «Hohen Schule» von Bern, und Kapitel 3 ist in die Zeit der Akademie Berns zu verorten. Kapitel 4 befasst sich dann mit der Geschichte und Entwicklung der alten Sternwarte «Uraniae» sowie deren drei baulichen Erweiterungen. Kapitel 5 ist dem Tellurischen Observatorium gewidmet. Die Aufschlüsselung der Assistenzen und Dozenturen ab 1922 ist in einer separaten chronologischen Detail-Übersicht wiedergegeben. Die farblich gekennzeichneten Gebiete in Lehre und Forschung sind nur grobe Angaben und widerspiegeln die historisch belegten Tätigkeiten nur näherungsweise, insbesondere auch deshalb, weil sich die Benennungen

der Lehr- und Forschungsgebiete im Laufe der Zeit änderten. Die Direktorien wurden ebenfalls nur nach den Hauptforschungs- und Tätigkeitsgebieten der jeweiligen Direktoren eingefärbt. Die Direktorien der Professoren Wilhelm von Beetz (1822–1886) und Adolph Paalzow (1823–1908) wurden zwar der Vollständigkeit halber eingezeichnet, auf ihre Tätigkeit kann in dieser Festschrift aber nicht eingegangen werden, weil sie mit zwei Jahren respektive einem Jahr Amtszeit zu kurz waren und daher (fast) keine historisch nennenswerten Spuren hinterlassen haben.

In den beiden weiteren Übersichten wird die Entwicklung des Astronomischen Instituts seit der Gründung im Jahre 1922 sowie des Observatoriums in Zimmerwald seit der Erbauung im Jahre 1955/56 dargestellt. Es liegt in der Dichte des vorhandenen Quellenmaterials, dass das zu diesen Übersichten entsprechende Bildmaterial viel detaillierter präsentiert werden kann. Kapitel 6 beinhaltet die Entstehung, Gründung und Entwicklung des Astronomischen Instituts und der Sternwarte an der Muesmattstrasse in Bern, wobei besonderes Gewicht auf die Forschung und Lehre seit 1922 bis zur Erbauung des Gebäudes Exakte Wissenschaften (ExWi) der Universität Bern gelegt wurde. Nach dessen Fertigstellung im Jahr 1961 erfolgte der Umzug des Astronomischen Instituts von der Muesmattstrasse ins ExWi an der heutigen Sidlerstrasse 5 (benannt nach Georg Sidler, dem Förderer der theoretischen Astronomie und Himmelsmechanik in Bern). Es ist daher naheliegend, diese Zäsur als eigenständigen Entwicklungsschritt in einem separaten Kapitel 7 darzustellen. Die Übersicht zum Observatorium Zimmerwald umfasst sowohl die bauliche als auch die instrumentelle Entwicklung. Die dabei angegebenen Jahreszahlen beziehen sich auf die operationelle Inbetriebnahme (Fertigstellung) von Bauten und/oder Instrumenten (z.B. Laser, Teleskope). Die in Kapitel 8 präsentierte bauliche und instrumentelle Entwicklung des Observatoriums Zimmerwald richtet sich ganz nach dieser in der Übersicht dargelegten Struktur. Das Kapitel 9 ist dem Observatorium Uecht bei Niedermuhlern, ca. 3 km südlich von Zimmerwald, sowie dem dort ab 2022 im Entstehen begriffenen Observatorium «Space Eye» gewidmet, die beide eng mit den Aktivitäten am Astronomischen Institut der Universität Bern und der Entstehung des Observatoriums Zimmerwald verknüpft sind.

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91.0.02 Astronomie und Geodäsie an der Berner Hochschule, Akademie und Universität 1002B01
10 1.0.03 Direktorien, Dozenturen und Assistenzen am Astronomischen Institut der Universität Bern 1003B01
111.0.04 Bauliche und instrumentelle Entwicklung des Observatoriums in Zimmerwald 1004B01

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Die Sternwarte «Uraniae» von 1822 bis 1876

Mit dem Bau der ersten Sternwarte in Bern, der «Uraniae», als Ersatz für die «Station primaire» von 1812, die nur aus einer «morschen Baracke» bzw. aus einem ehemaligen Pulverhäuschen bestand, erhielt die Astronomie und Geodäsie in Bern 1822 eine feste bauliche und institutionelle Repräsentation, die durch ihren Standort auf der hochgelegenen Bastion «Hohliebi» auch von der Stadt und ihrer Umgebung aus leicht wahrgenommen werden konnte. Neben dem Observatorium in Genf zählte die Sternwarte Bern somit zu den ersten in der Schweiz. Über die Planung und Erbauung des Observatoriums ist wenig bekannt. Dagegen sind die Beschreibungen der fertiggestellten Sternwarte mit ihrem Instrumentarium durch verschiedene Publikationen ihres Begründers, Friedrich Trechsel, gut dokumentiert. Leider geriet das kleine Observatorium auf der Grossen Schanze schon bald in eine Phase des Umbruchs und der Neugestaltung, ausgelöst einerseits durch den Abbau der westlichen Fortifikationsbauten Berns, andererseits durch den Bau des Berner Bahnhofs. Verschiedene erhalten gebliebene Pläne des Gebietes der Grossen Schanze zeugen von den Bestrebungen und Ideen, wie diese Umgebung im Zuge des Rückbaus der alten Befestigungsbauten neu gestaltet werden sollte. Davon war auch der SternwartenHügel Ende der 1830er Jahre stark betroffen. Erst 1841 konnte die Sternwarte vor der Zerstörung durch die Rückbauten der Bastion «gerettet» und das umliegende Gelände befriedet werden.

In der Folge erlebte die «Uraniae» drei bauliche Erweiterungen. Die ersten beiden von 1848 und 1853/54 wurden durch Trechsels Nachfolger, Rudolf Wolf, initialisiert und realisiert, die dritte von 1861 durch Heinrich von Wild. Während Wolf noch bestrebt war, die ehemals «geodätische» Station in ein astronomisches Observatorium mit einer neuen Kuppel umzugestalten, wandelte Wild die Sternwarte sukzessive in eine meteorologische Station um, wozu er einen eigens dafür konzipierten Anbau erstellen liess, auf dem seine selbstregistrierenden meteorologischen Instrumente installiert wurden. Die Einführung der Telegrafie in der Schweiz ver-

langte nach genauen Zeitbestimmungen, weshalb Wolf 1853/54 einen neuen Meridiankreis der Münchner Firma Ertel anschaffte, der es erlaubte, die Zeit durch astronomische Beobachtungen genau zu bestimmen. In der Kuppel stellte er ein Linsenteleskop (Refraktor) auf, den er von der Realschule Bern ausleihen konnte und mit dem er regelmässig die Sonne und ihre Flecken beobachtete. Obwohl Wolfs astronomische Tätigkeit und Resultate in ihrer Bedeutung weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt wurden, hinderte dies seinen Nachfolger, Heinrich von Wild, nach der Berufung Wolfs 1855 nach Zürich nicht daran, die Sternwarte in eine meteorologische Station umzufunktionieren und astronomische Beobachtungen, zusammen mit seinem Assistenten und Mathematiker, Georg Sidler, nur noch in zweiter Priorität durchzuführen. Nach dem Weggang Wolfs nach Zürich übernahm sein Schüler, Johann Rudolf Koch, interimsmässig die Leitung der Sternwarte, bis Heinrich von Wild diese übernahm.

Den durch Wild 1861 erwirkte Anbau mit Terrasse sowie der wenige Jahre später erbaute kleine Wohntrakt und die direkt am Anbau anschliessende hölzerne Meteostation sind auf Fotografien, die zwischen 1864 (z.B. anlässlich der Dokumentation des Abbruchs des Christoffelturms zu Beginn des Jahres 1864) und 1868 entstanden sind, gut erkennbar. Im Jahr 1868 wechselte Heinrich von Wild nach Russland, wo er von der Russischen Akademie der Wissenschaften zum Direktor des Physikalischen Zentralobservatoriums in St. Petersburg berufen wurde. Die Sternwarte wurde bis zu ihrem Ende dann von verschiedenen Direktoren und Assistenten mehr oder weniger erfolgreich geleitet, bis das Direktorium schliesslich dem Physiker Aimé Forster übergeben wurde. Doch dieser hatte ganz andere Pläne. Nach seinen Ansichten benötigte die Schweiz keine astronomische, sondern eine geophysikalische Station mit internationaler Ausstrahlung. Auf seine Initiative hin wurde die «Uraniae», die alte Sternwarte Bern, im Jahr 1876 abgerissen und an deren Stelle das «Tellurische Observatorium Bern» erbaut.

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294.0.02  Die «Uraniae» im Jahr 1845 auf der Daguerrotypie von Friedrich Andreas Gerber (1797–1872) 4002B01

4.1 Erbauung der Sternwarte und Gestaltung des Umfeldes auf der Grossen Schanze

Der Begründer der Sternwarte, Johann Friedrich Trechsel, beschreibt diese in seiner «Nachricht von der in den Jahren 1821 und 1822 in Bern errichteten Sternwarte» wie folgt: «Dieses einfache und bescheidene Observatorium ist an Platz, und genau auf der Stelle des seit 1812 bestandenen, und bis im Frühjahr 1821 immer benutzten, Beobachtungs-Cabinetes [i.e., das Pulverhäuschen oder «Station primaire»] auf der hiesigen grossen Schanze erbaut worden. Um nemlich die im Jahr 1812, und seither, gemachten, vielen und zum Theil sehr genauen Bestimmungen der geographischen Lage, und besonders die mit grosser Sorgfalt festgelegte Mittags-Linie [i.e., Meridian bzw. Nord-Süd-Richtung] sofort auf das neue Observatorium übertragen zu können, ward das Centrum des frühern Cabinetes, über welchem im Jahr 1812 die Azimuthbeobachtungen gemacht worden waren, sehr sorgfältig beybehalten. Das jetzige Mittagsfernrohr [i.e., ein Fernrohr, das nur entlang des Meridians bewegt werden kann] steht genau über diesem Centrum. Das keineswegs grosse und massive, aber artige Gebäude ist auf einem hinreichend soliden, massiv steinernen Fundamente nur leicht, aber fest, aus Mauerwerk aufgeführt. Seine freye und erhöhte Lage auf der Bastion einer Schanze, ganz am nordwestlichen Ende der Stadt, sichert es gegen Erschütterungen durch Wagen, Arbeiter u.s.w. Der Grund desselben besteht aus aufgeschütteter, aber seit 200 Jahren festgesessener Erde. Etwas tiefer streicht ein Sandstein-Lager, das oberhalb und unterhalb der Stadt zu Tage geht. Das Gebäudchen hat die Form eines regelmässigen Achtecks von 63 franz. Fuss [ca. 20 m] äusserm Umfang, und ist genau nach den Himmelsgegenden gestellt. Auf der Ostseite ist der Eingang, auf der Westseite ein kleiner Vorsprung zu einem Erker, in welchem einige Schränke, und eine bewegliche Treppe nach der Kuppel hinauf, angebracht sind. Auf den Seiten Süd-Ost, Süd-West, Nord-Ost, Nord-West sind hohe, auf Rollen bewegliche Schiebfenster; vor diesen stehen inwendig im Saal steinerne Consolen zum festen Aufstellen der Instrumente. Zwey solche Consolen stehen zu beyden Seiten des Meridian-Durchschnittes, welcher mitten durchs Gebäude geht, und ganz, mit Ausnahme einiger nöthiger Verbindungen, geöffnet werden kann. Diese 6 Consolen, so wie auch die Säulen des Mittagsfernrohrs, und das steinerne Fussgestell der Pendul-Uhr sind unabhängig vom Gebäude, und allfälligen Erschütterungen durch Windstösse oder Bewegungen im Innern desselben. Sie sind unmittelbar in die Erde eingemauert, und treten frey durch den Fussboden des Saales, welcher 2' [ca. 65 cm] höher steht, als die Fläche der Bastion, und einen luftigen Unterzug hat. Dadurch, und durch Vertäfelung des 10' [ca. 3.2 m] hohen Saales, ist für Trockenheit trefflich gesorgt. Der Meridiandurchschnitt ist nur leicht

mit blechbedeckten Wetterladen zugemacht, und kann sehr geschwind geöffnet werden. Von einem beweglichen, und auch von einem flachen Dache hat man abstrahirt, der Sicherheit und Festigkeit wegen. Das Zenith [i.e., der Punkt an der Himmelsphäre senkrecht über dem Standort] ist indessen völlig frey, und kann sowohl am Mittagsrohr, als auch mittelst Instrumenten auf den beyden Meridian-Consolen beobachtet werden. Der obere Aufsatz, oder die Kuppel des Observatoriums, besteht zwar nur aus Zimmerarbeit, doch können an das eichene Gebälk starke hölzerne Consolen so fest und unabhängig vom Fussboden angeschraubt werden, dass daselbst der allenthalben freye Horizont auch zu genauen und messenden Beobachtungen benutzt werden kann. In Bezug auf die Lage gegen die Stadt ist noch anzuführen, dass das Observatorium in einer Entfernung von 3224 franz. Fussen [ca. 1050 m] vom grossen Münsterthurm, unter einer Abweichung von 24°.9'.20'' vom Westpunkte nach Norden liegt, und dass der hart an dem Gitter des obern Thores vorbeygehende Meridian desselben, die ganze Stadt auf der Ostseite lässt. So viel über den Bau und die allgemeine Einrichtung unserer kleinen Sternwarte.»

Als Instrumentarium führt Trechsel an:

1. Mittagsfernrohr (Meridiankreis), ursprünglich das Versicherungsrohr zum grossen Ramsdenschen Azimuthalkreis, das der Mechaniker Schenk (Bern) mit einem Ver tikalkreis von ca. 30 cm Durchmesser bestückt hat.

2. Azimuthalkreis von Ramsden (London), den Tralles 1797 erhielt

3. Pendeluhr von Vulliamy (London)

4. Bordakreis von Schenk (Bern)

5. Repetitions-Theodolit von Reichenbach (München), verbessert durch Schenk (Bern)

6. Fernrohr (Refraktor) von Dollond (London) mit ca. 1 m Brennweite und ca. 7 cm Öffnung

7. Kleines englisches Äquatorial-Instrument, erweitert mit Korrektionsvorrichtungen durch Schenk (Bern)

8. Tellurium

9. Armillarsphäre

10. Himmelsglobus

11. 6-zölliger Sextant von Cary (London) mit künstlichem Horizont von Cauchoix (Paris)

12. Diverse meteorologische Instrumente

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Präsentation der neuen Sternwarte «Uraniae» anlässlich der Versammlung der allgemeinen Schweizerischen Gesellschaft für die gesamten Naturwissenschaften in Bern, den 22., 23. und 24. July 1822 durch Friedrich Trechsel, dem Begründer der Sternwarte «Uraniae» in Bern. (Naturwissenschaftlicher Anzeiger der allgemeinen Schweizerischen Gesellschaft für die gesamten Naturwissenschaften, No. 8, 1822, 58–59)

314.1.02  Trechsels «Nachricht von der in den Jahren 1821 und 1822 in Bern errichteten Sternwarte» 4102B03 4102B02 4102B01 4102B04
32 4.1.03  Reste des Fortifikationswalles mit der Bastion Hohliebi um 1838 4103B01
334.1.04  Plan des Terrains der Grossen Schanze bei Bern mit der nächsten Umgebung von 1839 4104B01 4104B02

6 Die Muesmatt-Sternwarte und die Gründung des Astronomischen Instituts im Jahr 1922

In seinem Spendenaufruf für die Errichtung einer neuen Sternwarte in Bern schrieb der Gründer des Astronomischen Instituts der Universität Bern (AIUB), Prof. Dr. Sigmund Mauderli, im Jahr 1919:

«Bern besitzt wohl ein meteorologisches Observatorium (in Verbindung mit dem physikalischen Institut des Herrn Prof. Forster), keinesfalls aber eine Sternwarte, trotzdem ein «Café zur Sternwarte» und auch eine «Sternwartenstrasse» [i.e., die jetzige Sidlerstrasse] auf das Vorhandensein einer solchen schliessen lassen. Denn alles Wesentliche zur Vornahme von Himmelsbeobachtungen, vor allem ein etwas ausserhalb dem Lichtkreis der hellen Bahnhofbeleuchtung gelegenes Observatorium und die Beobachtungsinstrumente fehlen hier vollständig oder sind, was die letzteren betrifft, nach dem Inventar des physikalischen Institutes (Rub. Astronomie) unbrauchbar, veraltet oder haben, nach Herr Professor Forsters eigenen Angaben, nur noch historisches Interesse.

Dementsprechend liegen die Verhältnisse in Bern heute und schon seit langen Jahren so, dass unsere zahlreichen Studierenden der Astronomie, welches Fach laut Prüfungsreglement sowohl als Hauptfach wie auch als Nebenfach gewählt werden kann […], wohl die astronomischen Vorlesungen hören können, Examen bestehen und später Lehrer höherer Mittelschulen wieder selbst in diesem Fache unterrichten müssen, ohne jemals ein astronomisches Instrument und noch weniger die damit zu beobachtenden Wunder der Sternenwelt gesehen zu haben, wenn sie nicht gelegentlich die Sternwarte in Neuenburg oder diejenige der Kantonsschule in Solothurn oder die noch weiter entfernten in Basel, Zürich oder Genf wenigstens besichtigen würden.

Dieser Umstand, nach welchem also unsere Hochschule hinsichtlich der Ausbildung in der Astronomie nicht nur gegen die Hochschulen von Neuenburg, Basel, Zürich und Genf, sondern sogar gegen die Kantonsschule in Solothurn (jetzt auch Aarau) zurückgeblieben ist, in Verbindung mit der unbestreitbaren Tatsache, dass das Interesse für die schöne Wissenschaft in Bern und im ganzen Kanton herum

nicht geringer ist als anderswo, war daher auch der Grund, warum der Unterzeichnete es sich schon im Anfang seiner akademischen Tätigkeit in Bern zu seiner Lebensaufgabe machte, wenn nur irgend möglich in nicht zu ferner Zeit auch der Berner Hochschule zu einer Sternwarte zu verhelfen.

[…] Im weiteren erachtete ich es dann als meine Pflicht, die letzten Jahre auch dadurch auszunützen, dass ich durch entsprechende Eingaben an die bernische Regierung, bezw. die Unterrichtsdirektion mit meinen Wünschen, die ja auch diejenigen der Studierenden waren, bekannt zu machen. Und auch da begegnete ich aufrichtigem Wohlwollen. So wurde durch sie die Beschaffung einiger für die praktischen Uebungen dringend notwenigen Instrumente mit erfreulicher Bereitwilligkeit gutgeheissen und dann im Mai 1918 auch eine eigentliche astronomische Professur geschaffen und der Unterzeichnete mit der Abhaltung der dadurch vorgesehenen Vorlesungen und Uebungen betraut.

Damit ist noch nicht alles, aber doch schon vieles erreicht und vor allem der Weg weiteren initiativen Vorgehens offen; denn es besteht jetzt kein Zweifel mehr, dass dieselbe Regierung, die diesen wichtigen Schritt getan hat, auch den folgenden damit in innigem Zusammenhang stehenden, nämlich die Errichtung einer Sternwarte, folgen lassen wird.»

Mauderlis Aufruf war erfolgreich. Er konnte genügend private Spenden und Steuergelder seitens der Regierung einwerben, um die Sternwarte Muesmatt und somit das spätere Astronomischen Institut der Universität Bern zu gründen. Der lange Weg dazu war beschwerlich und begann schon 1911.

128
1296.0.02  Ehemaliges Gebäude des Astronomisches Instituts und Sternwarte Muesmatt in Bern 6002B01

6.1 Planung, Erbauung und bauliche Erweiterungspläne

Der Unterzeichnete, seit 20. Dezb. 1910 im Besitze der Venia docendi für praktische Astronomie an der Universität Bern, hat auf Ersuchen des Dekanates der phil. Fakultät für das kommende Sommersemester eine Vorlesg. angekündigt, betitelt:

Orientierung am Himmelsgewölbe nach Stern-Bildern und Stern-Coordinaten.

Dieselbe bildet das Fundament für alle in das Gebiet der praktischen Astronomie gehörenden Fragen, insbesondere aber der für das Wintersemester 1911/12 vorgesehenen grossen Vorlesung über geographische Ortsbestimmungen. In beiden Vorlesungen bilden praktische Übungen die wesentlichsten Bestandteile und es sind jene ohne diese undenkbar, wie denn überhaupt eine Astronomie ohne Instrumente als ein Unding bezeichnet werden muss. Diese Einsicht veranlasste den Unterzeichneten schon vor Einreichung des Habilitationsgesuchs Erkundigungen darüber einzuziehen, ob in Bern die zur Abhaltung von Beobachtungen und Übungen erforderlichen Instrumente vorhanden sind. Es lag nahe, anzunehmen, dass dies der Fall ist; denn dem Vernehmen nach musste Bern eine Sternwarte besitzen; wenigstens ist die Bezeichnung «Sternwarte» den HH. Studierenden und auch sonst fast jedermann in und um Bern sehr geläufig.

Indessen ergaben wiederholte Anfragen und Besuche das definitive Resultat, dass eine Sternwarte in Bern nur dem Namen nach existiert und Instrumente irgend welcher Art, sei es zur Vornahme von Messungen oder Beobachtungen, nicht vorhanden sind. Dass dem wirklich so ist, erhellt übrigens auch daraus, dass seit der Eröffnung der Sternwarte der Kantonsschule in Solothurn diese sehr oft von Studierenden der Berner Hochschule besucht wird. Auch nach der Einreichung des Habilitationsgesuches, als der Unterzeichnete Gelegenheit hatte, persönlich mit Herr Prof. Dr. Forster Rücksprache zu halten, wurde obiges Resultat in vollen Teilen bestätigt; desgleichen auch durch Herrn Prof. Dr. G. Huber.

Wenn das Habilitationsgesuch trotzdem aufrecht gehalten und eine Vorlesung dennoch angekündigt wurde, so geschah dies teils auf Grund zahlreicher Aufmunterungen von Seiten der Besucher unserer Sternwarte [Solothurn], dann aber auch mit Rücksicht darauf, dass mit Ausnahme des grossen Refraktors derselben alle übrigen Instrumente transportabel sind und daher auch in Bern verwendet werden können, […] Es ist dies umso leichter möglich, als mehrere derselben Letzterem selbst als Eigentum angehören und daher ohne Schwierigkeit nach Bern überführt werden können. […] Damit soll aber keineswegs gesagt sein, dass der Unterzeichnete die Lösung für eine besonders glückliche hält.

Das allein richtige wird im Gegenteil erst dann erreicht sein, wenn auch in Bern zum Bau einer Sternwarte geschritten wird; nicht in erster Linie zur Heranbildung von Astronomen, sondern zur Vermittlung derjenigen astronomischen Kenntnisse, über die jeder Gebildete, vor allem aber die Lehrer jeder Stufe verfügen sollte. […] Die Schweiz ist nicht arm an Sternwarten, aber sie ist arm an solchen, die nicht nur der Wissenschaft, sondern vor allem der Ausbildung der studierenden Jugend gewidmet sind. […] In Bern besteht ein Oberseminar für Primarschullehrer, an der Universität eine Lehramtsschule für Sekundar- und Gymnasiallehrer. Welch günstige Gelegenheit zur allseitigen Bestätigung der Sternwarte würde sich da bieten!»

Es sollte noch über zehn Jahre unermüdlicher Überzeugungsarbeit dauern, bis Mauderli endlich seine Berner Sternwarte und sein Astronomisches Institut der Universität Bern verwirklichen sah. Seine Strategie dabei bestand darin, dass er neben den zahlreichen kleineren Instrumenten einen grossen Refraktor der Firma Merz als Occasion auf Staatskosten bestellte, der in der Folge zusammen mit allen anderen Instrumenten irgendwo aufgestellt und untergebracht werden muss: in einer neuen Sternwarte! Durch diesen provozierten Sachzwang konnte er zwar keine zusätzlichen Steuer-, aber genügend private Spendengelder akquirieren, um das Projekt «Sternwarte Bern» realisieren zu können.

Bereits am 2. April 1930 ersuchte Mauderli die Unterrichtsdirektion des Kantons Bern um Erlaubnis, Vorarbeiten für eine Verlegung des Astronomischen Instituts bzw. der Sternwarte aufgrund der ansteigenden Lichtverschmutzung und der zunehmenden Verbauung des Horizontes einzuleiten. «Da nicht ersichtlich ist, in welcher Weise am Orte selbst Abhülfe der Uebelstände geschaffen werden kann, ist der Unterzeichnete gezwungen, der hohen Regierung entweder die Errichtung eines Zweiginstituts ausserhalb der Stadt Bern mit vorläufiger Beibehaltung des jetzigen Instituts für Schülerübungen und öffentliche Demonstrationen oder dann die gänzliche Verlegung desselben als dringend zu empfehlen.» Das Gesuch wurde abgelehnt.

Am 23. Dezember 1938 stellte Mauderli das Gesuch um einen Ausbau des Astronomischen Instituts an der Muesmattstrasse. «Die Dringlichkeit eines solchen Ausbaues ist so alt wie das Institut selbst; denn schon zur Zeit der Anfertigung der Pläne im Jahre 1921 hat der Unterzeichnete auf die Notwendigkeit eines bescheidenen Hörsaales hingewiesen, der damals auch ohne bedeutende Mehrkosten hätte ein- oder angebaut werden können.» Auch dieses Gesuch wurde abgelehnt.

Mauderlis Brief vom 28. März 1911 an die Erziehungsdirektion des Kantons Bern «Hochgeehrter Herr Erziehungsdirektor!
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1316.1.02  Mauderlis Initiative zur Gründung eines Astronomischen Instituts an der Universität Bern 6102B01 6102B06 6102B02 6102B03 6102B04 6102B05 6102B07 6102B08 6102B09

Aus der Sicht der heutigen beobachtenden Astronomie wirkt es befremdend, dass eine neue Sternwarte mitten in einem Stadtquartier erstellt wurde, wie der Situationsplan des Muesmatt-Quartiers von Bern aus dem Jahr 1922 illustriert. Die neue Sternwarte wurde gleich neben dem Gebäude des Oberseminars und gegenüber einem Wohnquartier erstellt, wobei aus den Plänen hervorgeht, dass zwei Orientierungen des Sternwarten-Gebäudes konzipiert wurden. Schon bald stellte sich heraus, dass Lichtverschmutzung, Ausdünstungen von Heizungen im Winter und andere Faktoren sich ungünstig auf astronomische Beobachtungen auswirkten. Das Hauptargument für diesen Standort war wohl die rasche Erreichbarkeit sowohl des Direktors und seinen Assistenten als auch der Studierenden. Es erstaunt daher nicht, dass Mauderli im Jahr 1930, also nur 8 Jahre nach dem Bau der neuen Sternwarte, einen Antrag auf Verschiebung der Sternwarte z.B. auf den Berner Hausberg Gurten eingereicht hat (und der natürlich prompt abgelehnt wurde).

Situationsplan bei der Muesmattstrasse

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in Bern von 1922
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1336.1.04  Baupläne für das Astronomische Institut an der Muesmattstrasse in Bern 6104B01 6104B02 6104B03 6104B04 6104B05 6104B06
134 6.1.05  Erbauung des Astronomischen Instituts an der Muesmattstrasse in Bern 6105B01 6105B06 6105B04 6105B02 6105B05 6105B07 6105B03
1356.1.06  Das 1922 fertiggestellte Astronomische Institut mit Sternwarte in Bern 6106B01 6106B026106B03 6106B04 6106B05 6106B06
136 6.1.07  Das Teleskop (175mm-Merz-Refraktor) und die Astrokamera (mit Voigtländer-Objektiv) 6107B01 6107B04 6107B056107B07 6107B02 6107B03
1376.1.08 Der Meridiankreis von Lerebours und Secrétan, Paris 6108B01 6108B026108B03 6108B046108B056108B06 6108B076108B086108B09

Astronomie (Sternkunde) und Geodäsie (Erdvermessung) sind jene exakten Wissenschaften, die Auskunft über den Platz des Menschen im Universum geben und ihn im wahrsten Sinne auf diesem Planeten «Erde» verorten. Die Geschichte der exakten Wissenschaften an der Universität Bern, insbesondere der Astronomie und Geodäsie, ist Teil der Universitätsgeschichte und somit Teil der Kulturgeschichte Berns. Vor genau 200 Jahren wurde hier die erste Sternwarte «Uraniae» gebaut, und vor genau 100 Jahren wurde das Astronomische Institut der Universität Bern (AIUB) gegründet.

Das vorliegende Buch wurde anlässlich dieses Doppeljubiläums im Jahr 2022 vom AIUB herausgegeben. Es führt Seite für Seite auf eine «Entdeckungsreise» durch die Geschichte der Astronomie und Geodäsie in Bern. Insbesondere bietet diese einmalige Dokumentation ein reichhaltiges Bild- und Quellen-Material als Grundlage für künftige wissenschafts-historische Forschungen.

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