Roesti/Keist, Stimmen der Heuschrecken

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Die Stimmen der Heuschrecken

Einführung Heuschrecken haben zusammen mit Zikaden, Froschlurchen, Vögeln und Säugetieren eine grenzenlose Vielfalt von Lautäußerungen entwickelt (S. 19 und 20). Die verschiedenen Tiergruppen haben unabhängig voneinander die unterschiedlichsten Methoden entwickelt, Töne und Geräusche zu erzeugen. Die Lautäußerungen unterscheiden sich in der Zusammensetzung der Frequenzen (Tonhöhe), im Rhythmus und in der Lautstärke. Die Entfernungen, aus denen wir Menschen die Gesänge wahrnehmen, sind sehr unterschiedlich. Der tiefe Gesang des Uhus (Bubo bubo) ist über vier Kilometer, die Paarungsrufe der Kreuzkröte (Bufo calamita) über zwei Kilometer und der Spontangesang der Eschenzikade (Cicada orni) über 500 Meter weit hörbar. Gesänge wie derjenige des Wintergoldhähnchens (Regulus regulus) oder der Bergzikade (Cicadetta montana) sind über wenige Dutzend Meter zu hören und die Gesänge von vielen Laubheuschrecken sind aufgrund der hohen Frequenzen nur aus kürzester Distanz wahrnehmbar. Alle Lautäußerungen haben aber etwas gemeinsam: Sie sind ein energetisch billiges und sehr effektives Kommunikationsmittel. Im Vergleich zur Körpergröße und zum Aktivitätsradius der jeweiligen Tierarten gelangen die Geräusche über relativ große Distanzen zu einem Empfänger. Die Geräusche der Kurzfühlerschrecken liegen im Bereich zwischen 5 und 40 kHz, die lauten Frequenzen sind im hörbaren Bereich unter 20 kHz. Die Lautäußerungen von Langfühlerschrecken liegen im Bereich von 5–100 kHz, die lautesten Frequenzen liegen bei manchen Arten bei 30–60 kHz. Im Vergleich dazu liegen die Frequenzen der Gesänge von Vögeln, Froschlurchen und der menschlichen Sprache viel tiefer. Sie liegen meist deutlich unter 10 kHz. Die Lautäußerungen von Zikaden erreichen nur selten 15 kHz. Das beste menschliche Gehör haben in der Regel Kinder und junge Frauen, sie hören Töne von 16 Hz bis knapp über 20 kHz. Alterung oder Schädigungen des Gehörs durch Lärm führen dazu, dass wir die höheren Frequenzen nicht mehr wahrnehmen können. Deshalb sind besonders ältere Personen auf einen UltraschallDetektor angewiesen (S. 25).

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Für die meisten Heuschrecken (die Grillen bilden eine Ausnahme, S. 21) sind jedoch weniger die Frequenzen der Lautäußerungen bedeutsam, sondern vielmehr die Strukturierung der Lautäußerungen bezüglich zeitlichem Ablauf und Lautstärke. So können nach Bukhvalova (in Drosopoulos & Claridge 2006) in einem Lebensraum nur Arten zusammen vorkommen, die verschiedene akustische «Kanäle» benutzen, und diese Kanäle sind vor allem durch die Silben-, Vers- oder Strophenlänge und deren Wiederholungsraten charakterisiert. Zusätzlich zu den Lautäußerungen verständigen sich viele Heuschrecken (vor allem Laubheuschrecken) durch Vibrationssignale. Deren Bedeutung spielt in der Erforschungsgeschichte der Heuschreckenkommunikation eine untergeordnete Rolle. Dies vielleicht, weil ihre Erfassung und Dokumentation schwierig ist, vielleicht aber auch, weil sie in unserem Leben eine untergeordnete Rolle spielen. Verschiedene Kapitel in Drosopoulos & Claridge (2006) zeigen, wie wichtig die Kommunikation über Vibrationssignale ist. Langfühlerschrecken haben in den Vorderschienen, Kurzfühlerschrecken beidseits im ersten Hinterleibssegment ein Gehörorgan. Weniger bekannt ist, dass sie auch in jedem Bein einen Vibrationssensor besitzen. Sie können somit über Vibrationsempfindungen viel über ihre Umwelt erfahren. Die Reichweite von Vibrationssignalen ist allerdings viel geringer als die der Schallsignale und reine Vibrationssignale ohne Ton sind auch bei Laubheuschrecken selten. Arten der Gattungen Meconema verständigen sich hauptsächlich mit Klopfbewegungen. Arten der Gattungen Antaxius, Barbitistes, Ephippiger und Troglophilus schütteln regelmäßig, oder bei der Paarung, ihren Körper und versetzen die Unterlage in Bewegung. Es ist anzunehmen, dass Vibrationsbewegungen vor allem in der Nahkommunikation gebraucht werden und den Weibchen helfen, singende Männchen effektiv aufzuspüren. Es wäre möglich, dass der Gesang allein nicht ausreicht, um die Schallquelle zu lokalisieren. Ob Vibrationen auch bei anderen Gesängen, wie beispielsweise bei den kurzen, scharfen Lauten etlicher Langfühlerschrecken oder bei den Werbegesängen von Kurzfühlerschrecken, eine Bedeutung haben, ist weitgehend unbekannt.

15.07.2009 06:56:47


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