Reflecting Freedom: Jüdisches Leben in Deutschland

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Reflecting Freedom

Jüdisches Leben in Deutschland

Herausgegeben von Hashomer Hatzair

IMPRESSUM

Konzept und pädagogische Leitung: Nitzan Menagem Grafik, Design & Layout: Jonas Kammerer Redaktion: Nitzan Menagem & Mika Kammerer

Danke an das Bildungsteam und die Teilnehmer*innen des Pessach-Seminars „Reflecting Freedom“

© 2022 Hashomer Hatzair Deutschland & ROSBOT Eine erste Fassung dieses Buches war möglich mit der Förderung durch #2021 JLiD - Jüdisches Leben in Deutschland. www.hashomer-hatzair.de rosbot@hashomer-hatzair.de

EINLEITUNG

Wir freuen uns sehr, euch die dreiteilige Publikation „Reflecting Freedom“ präsentieren zu können. Während des gleichnamigen Pessach-Seminars von Hashomer Hatzair Deutschland haben wir erkannt, wie wichtig es ist, jüdisches Leben in Deutschland aus intersektionalen Perspektiven sichtbarer zu machen.

Reflexion, also das bewusste Nachdenken, ist der erste Schritt auf dem Weg zu einem nachhaltigen gesellschaftlichen Wandel. Das Pessach-Fest als wohl der wichtigste Feiertag im Judentum erzählt die Geschichte der Überwindung von Sklaverei und Unterdrückung. Heute sehen wir mehr denn je die Notwendigkeit, die Fähigkeit zu kritischem Denken zu entwickeln, Empathie zu fördern und gemeinsames Handeln zu ermöglichen.

Reflecting Freedom soll euch zum Nachforschen und Nachdenken inspirieren. Wir geben nicht vor Expert*innen zu sein, sondern wir laden euch ein, den dynamischen Prozess der Peer-Education auf Grundlage der sozialistischen Werte von Gleichheit und Solidarität mitzugestalten und weiterzutragen.

Hashomer Hatzair Deutschland

Hashomer Hatzair Deutschland ist ein demokratischer, emanzipatorischer, säkular-jüdische Jugendverband, die sich für die Interessen von Kindern und Jugendlichen einsetzt. Durch außerschulische Bildungsarbeit und diskriminierungskritische Pädagogik versuchen wir unsere Vision einer freien und gerechten Gesellschaft zu verwirklichen. Wir leben unsere jüdische Identität säkular und stützen uns dabei auf die lebendige Kultur sowie auf Tradition, Geschichte und Religion des jüdischen Volkes und halten die Verbindung zu diesem Erbe aufrecht.

ROSBOT ist eine überkonfessionelle, interkulturelle Initiative für kritische Bildungsarbeit.

ROSBOT bietet Workshops, Trainings und Mentoring-Programme für Organisationen und Einzelpersonen an.

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Jüdische Frauenbewegungen

Feminismus und Hashomer Hatzair

Einleitung „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“

Dieser Grundsatz der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist bindend im Selbstverständnis von Hashomer Hatzair. Jeder und jede Einzelne hat das unveräußerbare, unteilbar und universelle Recht auf ein Leben ohne Diskriminierung aufgrund von Religion, Ethnie, Geschlecht, Gender und sexueller Orientierung.

Was die moralische Grundlage für unser gesellschaftliches Zusammenleben sein sollte, ist längst keine Selbstverständlichkeit. Weiterhin kommt es überall auf der Welt zu Menschenrechtsverletzungen. Auch dürfen wir nicht übersehen, dass die Menschenrechte Frauen nicht ausdrücklich die gleichen Rechte wie Männern zugestehen. Sogar in demokratischen Staaten werden Frauen weiterhin benachteiligt. Wir leben nicht in einer geschlechtergerechten Gesellschaft. Einerseits haben sich die Möglichkeiten der Teilhabe am für Frauen verbessert, andererseits sind die Lebensbedingungen für viele Frauen weiterhin schwierig. Sie werden auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt, sind im Alltag mit unterschiedlichen Ausprägungen von Sexismus konfrontiert oder müssen sich gegen verbale und körperliche Übergriffe wehren.

Ziel der Frauenbewegung ist Anerkennung und Gleichwertigkeit von Frauen in allen Bereichen der Gesellschaft, oder wie Marie Shear es formuliert hat: „Feminismus ist die radikale Auffassung, dass Frauen Menschen sind.“ Dieses Ziel ist

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trotz vieler Fortschritte und Verbesserungen längst nicht erreicht. Geschlechterrollen legen das erwartete Verhalten von Männern und Frauen in Familie, Beruf und im Alltag fest. Sie geben den Rahmen vor, in dem sich Menschen unterschiedlichen Geschlechts bewegen dürfen. In vielen Köpfen ist weiterhin ein traditionelles Rollenbild präsent. Frauen sollen attraktiv (i.d.R. für Männer) und gleichzeitig fürsorgliche Mutter sein (oder noch werden), sie sollen berufstätig sein, zugleich die Belange des Haushalts nicht vernachlässigen. Aber auch Männer sitzen in der Rollenfalle. Sie müssen stark sein, dürfen wenig Gefühle zeigen, sollen Karriere machen und die Familie finanziell versorgen.

Eine Geschlechterrolle besteht aus Verhaltensweisen und Einstellungen, die von der Gesellschaft als passend oder wünschenswert für das jeweilige Geschlecht betrachtet werden. „Männliche“ Eigenschaften werden höher bewertet als „weibliche“. Dies beruht nicht auf biologischen Merkmalen. Von Geburt an wird eine geschlechtsspezifische Ungleichheit gesellschaftlich konstruiert. Wir von Hashomer Hatzair wollen diese Denk-und Handlungsweise überwinden. Unser Ziel ist eine Gesellschaft, in der alle Menschen gleich an Würde und Rechten sind. Dazu müssen wir althergebrachte Geschlechterrollen aufbrechen. Ohne Geschlechtergerechtigkeit und Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen wird es keine freie Gesellschaft geben. Dafür blicken wir nicht nur auf die Missstände um uns herum, sondern hinterfragen unser eigenes Denken und Handeln selbstkritisch.

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Das erinnert an ein bekanntes Sprichwort, welches oft fälschlicherweise Mahatma Gandhi zugeschrieben wird, tatsächlich aber von einer Frau, nämlich der Autorin Arleen Lorrance stammt: „Sei du selbst die Veränderung, die du in der Welt sehen willst“.

Auf der 21. Nationalen Konferenz im Jahr 2014 hat Hashomer Hatzair Israel die Gleichberechtigung der Geschlechter als vierten Wert der Jugendbewegung angenommen. Seitdem ist Hashomer Hatzair auch offiziell eine feministische Bewegung. Als solche definieren wir unsere zentralen Anliegen: Gleichberechtigung und Wertigkeit aller Geschlechter, Chancengleichheit und Ende geschlechtsspezifischer Diskriminierung in allen gesellschaftlichen Bereichen und Institutionen.

Feminismus ist nicht ein Kampf der Frauen allein, sondern von Frauen und Männern gleichermaßen! Wir ermutigen euch, gegen jede Form von Sexismus zu protestieren, sei es auf der Straße, in der Nachbarschaft, in Schulen, in Betrieben, an Universitäten, am Arbeitsplatz und nicht zuletzt im eigenen Freund*innenkreis und innerhalb der Familien. In den letzten Jahren hat die Sichtbarkeit transgeschlechtlicher und nichtbinärer Menschen zugenommen. Zeitgleich sind nicht wenige Menschen, auch Frauen und Feministinnen besorgt über die mögliche Ausweitung der Selbstbestimmungsrechte für trans* Menschen. Wir aber sagen: es geht um ein gemeinsames Ziel, nämlich eine Gesellschaft, in der weiße, cisgeschlechtliche und heterosexuelle Männer nicht mehr an der Spitze der Privilegien stehen. Queere Lebensweisen eröffnen Wege aus der binären und hierarchisierten Geschlechterwelt. Wenn wir sagen, dass alle Menschen frei und gleich an Würde und Rechten geboren sind, dann müssen wir auch lernen, trans* Frauen als das wahrzunehmen, was sie sind: Frauen, und zwar gleich an Würde und Rechten wie alle Frauen.

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Erziehung bedeutet für uns als Bildungsorganisation die Erziehung hin zur Gleichstellung der Geschlechter und Überwindung traditioneller Normen, die einer Befreiung aus den engen Geschlechterrollen entgegenstehen.

Wir haben den Selbstanspruch, dass unsere Kenim (Ortsgruppen) und die Gruppen so weit, wie nur möglich sichere Orte sind. Orte an denen der Umgang miteinander von Respekt geprägt ist, Respekt, den wir auch nach außen tragen. Wir dulden keinerlei Form von sexistischen Äußerungen, Verhaltensweisen und Anspielungen und bemühen uns um einen wertschätzenden Umgang miteinander.

Wir als Hashomer Hatzair sehen für uns die Verantwortung, Sexismus zu erkennen, zu benennen und dagegen vorzugehen. Wir unterstützen einen sozialen Wandel, der dies ermöglicht, in unserer Bewegung selbst, in der Zivilgesellschaft und auf politischer Ebene.

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Jüdische Frauenbewegung

Einführung

Politische Ziele: Wir wollen wichtige Themen der jüdischen Frauenbewegungen in Deutschland & im internationalen Zusammenhang durch die verschiedenen Epochen hindurch kennenlernen. Was hat Frauen auf der ganzen Welt miteinander verbunden? Wofür haben sie gekämpft?

Wir fragen nach dem Platz von jüdischen Frauen im politischen Leben überhaupt, besonders aber nach deren Rolle in den feministischen Bewegungen in Deutschland und anderswo. Wir wollen verstehen lernen, welchen Einfluss ihre jüdische Identität auf das private und politische Leben dieser Frauen hatte.

Hintergrundinformationen: Im Jahr 2021 lebten Jüdinnen und Juden seit 1700 Jahren auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands. Ziel der Feierlichkeiten aus Anlass dieses Jubiläums war es, die Vielfalt und Präsenz jüdischen Lebens sichtbar zu machen. Die Geschichte jüdischen Lebens wird häufig auf Shoah und Antisemitismus oder aber auf Religion und den gegenwärtigen Nahostkonflikt reduziert.

Dem Magazin „Der Spiegel“, Teil des deutschen Medien-Mainstreams, gilt das Judentum bis heute noch als „die unbekannte Welt nebenan“ und wird mit stereotypen Darstellungen ultraorthodoxer meist männlicher Juden bebildert. Die Diversität von 1.700 Jahre jüdisch-deutscher Geschichte und jüdischem Leben in Deutschland wird in den gängigen öffentlichen Diskursen kaum erwähnt. Die jüdische Frauenbewegung spielt dabei so gut wie keine Rolle. Die Ursache dafür sieht die

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queer-feministische, jüdische Bloggerin Debora Antmann in der Tatsache begründet, dass auch linke feministische Diskurse von christlichen Narrativen durchzogen sind.

Der Mangel an Verständnis und Unwissenheit über das Judentum im Allgemeinen, vor allem aber das Unverständnis über die Positionen und Kämpfe der jüdischen Frauen sind Ausdruck dieser christlich-deutschen Dominanzkultur in einer postnationalsozialistischen Gesellschaft. Wir wollen diese Herausforderung annehmen und den jüdischen Frauen zu der Anerkennung verhelfen, die sie verdienen.

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Wichtige Persönlichkeiten

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Esther Bejarano (1924-2021)

Esther Bejarano, geb. 1924 als Esther Loewy, war eine jüdische Sängerin, Autorin und Ehrenvorsitzende der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“. Esther hat als Überlebende des Holocaust die ganze Brutalität des Nazi-Regimes erlebt. Mit anderen jungen Frauen war sie im Mädchenorchester in Auschwitz-Birkenau und musste musizieren, während andere Häftlinge in die Gaskammer geführt wurden.

1945 emigrierte sie (noch vor der Gründung Israels) nach Palästina. Dort absolvierte sie eine Gesangsausbildung in Tel Aviv und schloss sich danach dem sozialistischen Arbeiterchor Ron an. 1960 kehrte sie nach Deutschland zurück. 1986 gründete Esther Bejarano das Auschwitz-Komitee für die Bundesrepublik Deutschland zur „Aufklärung der Verbrechen und der Ursachen des Faschismus, Bekämpfung der menschenfeindlichen Ideologie und Praxis des Faschismus und die Verteidigung demokratischer Rechte und Freiheiten der Menschen“.

Sie veröffentlichte mehrere autobiographische Bücher. Der jungen Generation wurde sie als die „älteste Rapperin der Welt“ durch Auftritte mit der Rapgruppe „Microphone Mafia“ ein Begriff.

Esther starb im Juli 2021 in Hamburg. Wir widmen ihr dieses Buch.

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Hildegard Loewy

(1922-1943)

Hildegard Loewy war bis zum Verbot 1938 Mitglied der Jugendorganisation Hashomer Hatzair und beteiligte sich an den Widerstandsaktionen der Gruppe um Heinz Joachim. Sie wurde im Juli 1942 festgenommen und am 10. Dezember 1942 zum Tode verurteilt. Am 4. März 1943 wird sie, noch nicht einmal 21 Jahre alt, in Berlin-Plötzensee ermordet.

Im Jahr 2022 rief Hashomer Hatzair Deutschland ein Geschichtsprojekt ins Leben, um die Spuren unserer Organisation in Deutschland seit den 1930er Jahren zu suchen. Diese Suche hat uns zu Hilde und anderen Mitgliedern, die im Widerstand aktiv waren, geführt.

Im November haben wir Stolpersteine zum Gedenken der Loewy Familie in der Luitpoldstraße 40 in Berlin-Schöneberg verlegt. Inzwischen haben wir auch persönlichen Kontakt zur Familie und den Nachkommen von Hilde Schwester Eva, die selbst durch die Flucht nach Erez Israel überlebt hat.

Hilde und Eva Loewy werden als Teil des Geschichtsprojekts gemeinsam mit dreizehn anderen Mitgliedern von Hashomer Hatzair in den 1930er Jahren gewürdigt und der neuen Generation von Hashomer Hatzair in Deutschland kreativ vorgestellt.

Chazak Veematz, Rest in Power, Hilde!

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Clara Zetkin (1857-1933)

Clara Zetkin war eine marxistische Theoretikerin, Friedensaktivistin und Frauenrechtlerin. Einer ihrer politischen Schwerpunkte war die Emanzipation der Frauen. Sie forderte unter anderem Frauenwahrecht, freie Berufswahl und eigene Arbeitsschutzgesetze.

1907 wurde sie Leiterin des neu gegründeten „Frauenbüros“ der SPD und eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der sozialdemokratischen Frauenbewegung in Deutschland. Im Ersten Weltkrieg demonstrierte Clara Zetkin ihre Antikriegshaltung und organisierte 1915 in Bern eine Antikriegskonferenz sozialistischer Frauen.

Von 1920-1933 vertrat Clara Zetkin die Kommunistische Partei Deutschlands im Reichstag. Als dessen Alterspräsidentin forderte 1932 die eine Einheitsfront aller Werktätigen gegen Faschismus und Nationalsozialismus.

Sie starb im Juni 1933 im Exil in der Nähe von Moskau.

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Rosa Luxemburg (1871-1919)

Rosa Luxemburg war Sozialistin und wuchs in Warschau auf. Als Mitglied der verbotenen polnischen Arbeiterpartei musste sie nach ihrem Abitur fliehen. Sie studierte zunächst in Zürich. Dann zog es sie nach Berlin, um der damals fortschrittlichen Arbeiterpartei SPD beizutreten.

Nachdem die SPD 1914 den Kriegskrediten beistimmte, gründete Rosa Luxemburg aus Protest zunächst die „Gruppe Internationale“, später zusammen mit Karl Liebknecht den „Spartakusbund“, aus dem die KPD hervor ging.

Nach der blutigen Niederschlagung des Januaraufstands 1919 wurde Rosa Luxemburg zusammen Karl Liebknecht in Berlin durch Regierungstruppen verhaftet und in Gefangenschaft brutal ermordet. Rosas Leiche wurde in den Landwehrkanal geworfen, wo sie erst Ende Mai 1919 gefunden wurde. Rosa Luxemburg trat ihr gesamtes politisches Leben für einen demokratischen Sozialismus mit freien Wahlen und größtmöglicher Mitbestimmungen des Einzelnen ein. Eines ihrer bekanntesten Zitate ist lautet: „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden, sich zu äußern.“

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Tosia Altman (1919-1943)

Tosia Altmann war eine der Anführerin des jüdischen Untergrunds und Organisatorin des Aufstands im Warschauer Ghetto. Sie schloss sich als Mädchen der zionistischen Jugendgruppe Hashomer Hatzair in Polen an.

Als die Führung des Verbandes gezwungen war, vor dem Terror des nationalsozialistischen Besatzungsregimes zu fliehen, kümmerte sich Tosia Altman, um diejenigen, die im besetzten Polen gefangen waren. Sie unterstützte den Widerstand, schmuggelte Waffen und Informationen in das Warschauer und andere jüdische Ghettos.

Nach einem Brand in ihrem Versteck wurde sie schwer verletzt verhaftet und starb an 26. Mai in Gefangenschaft der Gestapo.

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Olga Benário Prestes (1908-1942)

Olga Benario wurde 1908 in München geboren. Im Alter von fünfzehn Jahren trat sie dem Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD) bei.

1928 half sie bei der Flucht ihres Geliebten und Genossen Otto Braun aus dem Gefängnis Moabit. Mit Hilfe der KPD floh sie darauf hin nach Moskau. Sie arbeitete als Ausbilderin für die Kommunistische Jugendinternationale (KJI) in der Sowjetunion, sowie in Frankreich und Großbritannien. Auf Anordnung der Komintern begleitete 1934 sie Luís Carlos Prestes, den Generalsekretär der Kommunistischen Partei Brasilien und ihren späteren Ehemann zurück nach Brasilien, um dort eine Revolution vorzubereiten.

Sie wurde 1936 verhaftet und ins nationalsozialistische Deutschland ausgeliefert. Olga Benario wurde 1942 im KZ Ravensbrück ermordet.

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Hannah Arendt (1906-1975)

Hannah Arendt ist eine bedeutende jüdische Philosophin und Theoretikerin des 20. Jahrhunderts. Sie wurde in Königsberg (heute: Kaliningrad) geboren. Nach ihrem Studium in Heidelberg setzte sie ihre wissenschaftliche und philosophische Arbeit in Berlin fort.

Als Gegnerin des Nationalsozialismus musste sie 1933 nach Paris fliehen und schloss sich der World Zionist Organization an. 1941 gelingt ihr die Ausreise nach New York. Sie schreibt u.a. für die deutsch-jüdische Exilzeitung „Aufbau“ und arbeite an ihrem Hauptwerk „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“. 1961 nimmt sie als Berichterstatterin am Eichmann-Prozess in Jerusalem teil und veröffentlicht 1963 das kontrovers diskutierte Buch „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht über die Banalität des Bösen“.

Hannah Arendt starb 1975 und liegt in New York begraben.

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timeline Wellen des Feminismus

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Frauen kämpften um Gleichberechtigung, für eine stärkere Vertretung von Frauen in Gewerkschaften, für das Wahlrecht und das Recht auf Abtreibung. Im Jahr 1911 fand der erste internationale Frauentag statt.

Stimmrechte für Frauen (1918)

Das Wahl- und Wahlrecht aller Bürgerinnen über 21 Jahre wurde 1918 in der Weimarer Verfassung verankert.

Proletarische Frauenbewegung & Internationaler Frauentag

Jüdische Frauen im Widerstand (1939-1945)

Frauen spielten eine wichtige Rolle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Oft waren diese Frauen aktiv in sozialistischen, kommunistischen oder zionistischen Jugendbewegungen.

Paragraph 218

Abtreibung galt bis in die 1970er Jahre als eine Straftat. Im Zuge der sexuellen Revolution der späten 60er Jahre forderten feministische Aktivistinnen die Aufhebung des Paragraphen 218 und die Legalisierung der Abtreibung.

Anti-Baby-Pille

Die westdeutsche Studentenbewegung von 1968 kämpfte nicht nur für die Reform ihrer Universitäten, sondern gegen autoritäre Strukturen in der Gesellschaft. Die Forderung der neuen Frauenbewegung nach Freigabe der „Pille“ steht sinnbildlich für sexuelle Emanzipation und Selbstbestimmung.

Reform des Familienrechts (1977)

Mit diesem Gesetz treten eine Reihe neuer Regelungen in Kraft: Unter anderem wird die sogenannte „Hausfrauenheirat“ abgeschafft, die die Ehefrau gesetzlich zur Haushaltsführung verpflichtet.

Black Feminist Movement (1986)

Mitte der 1980er Jahre gründeten Schwarze Frauen in Deutschland das kulturpolitische Forum ADEFRA e. V. von und für Schwarze Frauen*.

*Selbstbeschreibung nach www. adefra.de

LGBTQI-Rechte (2001)

Im Jahr 2001 wurde das Lebenspartnerschaftsgesetz für zwei gleichgeschlechtliche Personen eingeführt, das sich zivilrechtlich weitgehend an der (traditionell verschiedengeschlechtlichen) Ehe orientierte. Im Juni 2017 stimmte der Bundestag der gleichgeschlechtlichen Ehe („Ehe für alle“) zu.

Gleichstellung von ehelicher und außerehelicher Vergewaltigung (1997) 1997 stimmte eine Mehrheit der Bundestagsabgeordneten für einen Antrag weiblicher Abgeordneter eheliche und außerehelicher Vergewaltigung gleichzustellen. Seitdem ist Vergewaltigung in der Ehe eine Straftat.

Deutsche Wiedervereinigung (1990)

Nach der Wiedervereinigung waren die Ausgangsbedingungen der ost- und westdeutschen Frauenbewegungen denkbar unterschiedlich. Anders als im Westen war die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt in der DDR-Verfassung fest verankert.

#MeToo

Im Oktober 2017 beschuldigten zahlreiche Frauen den Filmproduzenten Harvey Weinstein sexueller Belästigung, Nötigung oder Vergewaltigung. Die Schauspielerin Alyssa Milano ermutigte Frauen unter der Verwendung des Hashtags #MeToo auf das Ausmaß sexueller Belästigung und sexueller Übergriffe aufmerksam zu machen. Seitdem wurde dieses Hashtag millionenfach verwendet und brachte das Thema sexualisierte Gewalt gegen Frauen (und Männer) auf die Tagesordnung.

#aufschrei (2013)

Bereits im Jahr 2013 gab es in Deutschland eine ähnliche Bewegung. Nachdem eine Frau sexistische Erfahrungen auf Twitter gepostet hatte, initiierten die Online-Feministin Anne Wizorek und andere junge Frauen den Hashtag #aufschrei (engl: #Outcry). Frauen berichteten von sexistischen Äußerungen und Übergriffen, denen sie in ihrem täglichen Leben ausgesetzt sind. Das Hashtag #outcry wurde innerhalb weniger Tage über 50.000-mal verwendet und führte zu einer öffentlichen Auseinandersetzung mit Sexismus in Printmedien und Talkshows.

workshops

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Teil I: Einführung und zeitliche Einordnungen

Ziel dieses Workshops ist es, eine persönliche Beziehung zum Thema zu finden. Vorkenntnisse innerhalb der Gruppe sowie deren spezifischen thematische Interessen werden gesammelt. Diese Ergebnisse werden auf der Zeitachse in den jeweiligen „Wellen der Frauenbewegung“ zugeordnet.

Teil II: Wichtige Personen und Organisationen

Die Teilnehmenden lernen die Biografien jüdischer Frauenrechtlerinnen kennen. Sie machen sich mit den unterschiedlichen gesellschaftlichen Diskursen vertraut. Das Verständnis für die Herausforderungen und Kämpfe in der jeweiligen Zeit wird gestärkt. Die Teilnehmenden bilden Arbeitsgruppen zu folgenden Themen:

Jüdische Frauen….

(1) … und Sozialismus

(2) … im Widerstand gegen den Nationalsozialismus

(3) … in der BRD (Westdeutschland)

(4) … Frauenbewegung in der DDR (Ostdeutschland)

(5) … und Religion

Teil III: Zusammenfassung und Evaluation

Die Teilnehmenden erkennen mit Blick auf die historischen Zeitschiene die Bedeutung von jüdischen Frauen und Organisationen im jeweiligen historischen und politischen Kontext.

Die Teilnehmenden benennen den Einfluss jüdischer Frauen auf die Gesellschaft und den politischen Diskurs in Deutschland heute.

Die Teilnehmenden sind motiviert, das gesellschaftliche und politische Engagement jüdischer Frauen verstärkt zu unterstützen.

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Judentum in der DDR

Die Bedeutung des Sozialismus für Hashomer Hatzair

Einleitung

Alle Menschen sind dazu fähig, ihr Leben kreativ mitzugestalten. Daher möchten wir als Hashomer Hatzair, dass wir alle in einer Gesellschaft leben können, in der wir unser Potential frei von Ausbeutung und Unterdrückung entfalten können. Soziale Gerechtigkeit sowie wirtschaftliche und politische Gleichheit sind für uns zentrale Werte. Wir denken, dass der Kapitalismus Produktionsweisen hervorbringt, die nicht mit diesen Werten vereinbar sind, sondern Armut, Krieg, Unwissenheit, Umweltzerstörung und Unfreiheit verursachen. Wenn wir von Sozialismus sprechen, denken wir an eine von Grund auf neu organisierte Gesellschaftsform.

Kleinere, kooperative Gemeinschaften setzen sich aus Individuen und Gruppen zusammen, die in einer einvernehmlichen freien und egalitären Beziehung zueinanderstehen. Diese Gemeinschaften stellen ein Gleichgewicht zwischen den individuellen und kollektiven Bedürfnissen her. Wir sind davon überzeugt, dass ein so funktionierendes Kollektiv eine Kraft ist, die jede*n Einzelne*n befreien kann. Sozialismus bedeutet für uns, ein erfülltes Leben zu führen, in einer demokratischen Gesellschaft, in der alle Menschen selbstbestimmt, befreit und kreativ ihren Beschäftigungen nachgehen können.

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ben können, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Bewegung. In unserer pädagogischen Praxis steht die Erziehung zu gegenseitiger Solidarität und Uneigennützigkeit an vorderster Stelle.

Wir wollen uns zu verantwortungsvollen, sozialen und aktiven Menschen entwickeln. Wir setzen uns stets kritisch mit der Gesellschaft auseinander. Dabei haben wir die Courage, für unsere Werte einzustehen, auch wenn wir uns dabei gegen den Mainstream stellen. Soziale Verantwortung umfasst viele Lebensbereiche. Daher versuchen wir zu verstehen, welchen Einfluss politische Entscheidung auf unser Leben haben und wir dennoch sozial verantwortlich handeln können. Zu diesem Zweck nutzen wir Methoden der politischen Bildungsarbeit, etwa die Organisation und Durchführung gemeinschaftlicher Aktivitäten („Avoda Kehilatit“), Gruppenerfahrungen, gelebte Solidarität und Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls, auch symbolisiert durch das Tragen unseres traditionellen blauen Hemdes.

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Shomeric Safe(r) Space

Mit unseren Angeboten wollen wir einen Sichereren Raum (engl. Safer Space) für jüdische Kinder und Jugendliche schaffen. Machtverhältnisse und Abhängigkeiten aus Politik und Wirtschaft durchdringen auch unsere privatesten Lebensbereiche. Wir werden durch Schule, die verschiedenen Medien und oft auch in der Familie auf eine bestimmte Weise sozialisiert, die uns unkritisch der kapitalistischen Lebensform gegenüber macht. Wir werden nicht dazu erzogen, Ausbeutung und Ungerechtigkeiten innerhalb unserer Gesellschaft zu erkennen oder gar in Frage zu stellen. Aber überall dort, wo Menschen ausgebeutet werden, gibt es organisierte Formen des kulturellen und politischen Widerstands. Dahinter stehen Individuen und Gruppen, die sich weigern, strukturelle und physische Gewalt als gesellschaftliche Realität zu akzeptieren. Sie wehren sich und setzen sich für soziale Veränderungen zum Wohle aller Menschen ein. Wir wollen und können nicht vor der Realität des Lebens im Kapitalismus davonlaufen. Bestimmte Widersprüche, auch die in unserem eigenen Leben müssen wir lernen auszuhalten. Aber durch einen steten Prozess der Bildung und kritischen Praxis können wir die Grundlagen für einen politischen und gesellschaftlichen Wandel schaffen, der den Kapitalismus schließlich überwinden wird.

Bestimmte Verhaltensweisen können uns und unseren Shomerischen Safer(r) Space bedrohen. In Konfliktsituationen versuchen wir, mit Argumenten bestimmte Verhaltensweisen zu verändern. Wir tolerieren viele verschiedene Ansichten und Ideen. Aber wir gehen entschieden gegen jegliche Form von Sexismus, Antisemitismus, Rassismus und Homophobie vor. Diskriminierung und Intoleranz haben nichts mit „Meinungsfreiheit“ zu tun, sondern verletzen das grundlegende Recht anderer Menschen auf einen eigenen sicheren Raum.

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Wir sind der Überzeugung, dass Bildung, Gespräche und Diskussionen uns zu einem respektvollen Dialog und sinnhafter Kommunikation führen. Trotz aller Unterschiede ist es möglich, eine Übereinkunft für unsere Ideen zu finden, um gemeinsam handeln zu können. Um überhaupt noch eine lebenswerte Zukunft haben zu können, ist ein radikaler Wandel notwendig. Das Werkzeug, um diesem Wandel zu ermöglichen, müssen wir zunächst in Sichereren Räumen erarbeiten. Die Welt verändert sich stetig und schnell. Um handlungsfähig zu bleiben, müssen wir damit Schritt halten können. Wir brauchen Orte, an denen wir unsere Ideen konkretisieren können. In einem demokratischen, nonformalen und sozialistischen Bildungsprozess können wir lernen, welche unserer Stärken wir bei der Umgestaltung der Gesellschaft nutzen wollen.

In unseren Safe(r) Spaces sollen sich Menschen wohl und sicher fühlen, gleichzeitig aber auch inspiriert und motiviert werden. Antonio Gramsci sagte einmal: „Ich bin ein Pessimist wegen meiner Intelligenz, aber ein Optimist wegen meines Willens“. Auch wir wollen in diesem Sinne von einem politischen Pessimismus zu einem revolutionären Optimismus übergehen, der uns bei den bevorstehenden Herausforderungen zur Seite stehen wird.

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Wie machen wir das?

Hashomer Hatzair Deutschland will allen Mitgliedern ermöglichen, gleichberechtigt an den Aktivitäten teilzunehmen. Niemand wird wegen finanzieller Benachteiligung von unseren Aktivitäten abgewiesen. Die Teilnahme an unseren Aktivitäten erfordert Motivation und den Wunsch, Teil von Hashomer Hatzair zu sein, aber nicht den Zugang zu Geld.

Es gibt eine Vertrauensperson, die sog. „Memuna“, an die ihr euch ohne Scham wenden könnt, wenn ihr mit Situationen sexualisierter Gewalt konfrontiert seid. Diese Arbeit findet innerhalb unserer Aktivitäten und Strukturen parallel zum Bildungsprozess statt, den der Jugendverband sowohl intern als auch international mit dem Weltverband von Hashomer Hatzair durchläuft. Hashomer Hatzair hat sich in Deutschland als sozialistische, feministische Organisation neu gegründet, nicht nur auf dem Papier!

Wir haben Strukturen, geschaffen die es ermöglichen, unsere Werte zu verwirklichen und uns gleichzeitig gegen Antisemitismus, Rassismus, Sexismus sowie andere Formen von Diskriminierung zur Wehr zu setzen. Gemeinsam stehen wir für eine andere, bessere Gesellschaft ein.

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Judentum in der DDR

Einführung

Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) entstand aus der Teilung Deutschlands nach 1945. Offizielle Staatsideologie war der Marxismus-Leninismus. Im Jahre 1990 wurden in einem Einigungsvertrag die Auflösung der DDR und ihr Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland festgelegt. Laut offiziellen Angaben lebten etwa 500 Jüdinnen und Juden in der DDR. Unter ihnen waren viele jüdisch-deutsche Kommunist*innen, die nach dem 2. Weltkrieg am Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft mitwirken wollten. Diese Hoffnung wurde allerdings bereits nach wenigen Jahren enttäuscht. Stalins antisemitische Propaganda sowie die fehlende Aufarbeitung der NS-Zeit führte zu einer Ablehnung des Staates Israel und generellem Misstrauen gegen die jüdische Bevölkerung in der DDR. Seither waren „Antizionismus“ und die Solidarität mit den unterdrückten Palästinenser*innen bis in die 1980er-Jahre grundlegend für die Außenpolitik der Sowjetunion und ihrer Verbündeten. Auch nach dem Tod Stalins im Jahr 1953 haben sich die Bedingungen für Jüdinnen und Juden in der DDR kaum verbessert.

Unsere Ziele

Die Bedeutung jüdischen Lebens in der DDR wird bis heute ignoriert. Wir wollen den Einfluss von Jüdinnen und Juden auf die Gesellschaft der DDR erkunden und würdigen. Wir fragen nach den Beweggründen von Jüdinnen und Juden beim Aufbau der DDR zu helfen.

Gleichzeitig untersuchen wir die schwierige Beziehung der herrschenden Sozialistischen Einheitspartei Deutschland (SED) zum Judentum. Wir wollten mögliche Widersprüche zwischen DDR-Sozialismus und jüdischer Identität diskutieren, aber auch Anknüpfungspunkte zwischen Judentum und Sozialismus suchen.

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Wichtige jüdische Persönlichkeiten in der DDR

Anna Seghers (1900-1983)

Anna Seghers war eine deutsche Schriftstellerin und von 1952 bis 1978 Präsidentin des Schriftstellerverbandes der DDR.

Sie wurde 1900 in Mainz geboren, 1925 zog sie mit ihrem Mann nach Berlin um. Im Jahr 1928 veröffentlichte sie ihr erstes Buch und erhielt dafür den Kleist Preis, die bedeutendste literarische Auszeichnung der Weimarer Republik. 1928 trat sie der KPD bei und war Mitbegründerin des Bundes proletarischrevolutionärer Schriftsteller.

Nach der Machtergreifung der Nazis wurden ihre Bücher verbrannt. Anna Seghers floh ins Exil, zunächst in die Schweiz, dann nach Marseille. 1941 gelang es ihr, mit ihrer Familie nach Mexiko-Stadt auszuwandern. Diese Zeit bildet den Hintergrund in Anna Seghers Roman „Transit“ (erschienen 1944 und 2018 von Christian Petzold verfilmt). 1947 kehrte Anna Seghers nach Berlin zurück und zog 1950 in den Ostteil der Stadt. 1951 erhielt sie den Nationalpreis der DDR, 1952 wurde sie Präsidentin des Schriftstellerverbandes der DDR. Sie starb am 1. Juni 1983 und wurde auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin beigesetzt.

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Irene Runge (*1942)

Irene Runge immigrierte 1949 mit ihrer Familie aus den USA in die DDR. Sie studierte Soziologie und ist bis heute publizistisch tätig.

1986 gründete sie die Gruppe „Wir für uns – Juden für Juden“ woraus 1990 der Jüdische Kulturverein Berlin e.V. (JKV) hervorging. Durch sein gesellschaftliches und politisches Engagement hatte der Verein eine breite Wirkung auch über die jüdische Bevölkerung Deutschlands hinaus.

Seit 1990 ist Irene Runge Mitherausgeberin der „Blätter für deutsche und internationale Politik“. Sie engagiert sich zudem für die kulturelle und soziale Integration von jüdischen Migrant*innen aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion.

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Lea Grundig (1906 -1977)

Lea Grundig war eine deutsche Malerin und von 1964 bis 1970 Präsidentin des Verbandes Bildender Künstler der DDR.

Sie wuchs als Jüdin in Dresden auf, lehnte sich aber früh gegen die gegen die orthodoxe Religionsauslegung auf. Anfang der 20er Jahre studierte sie Malerei und Grafik an der Akademie der Bildenden Künste Dresden. Sie war Mitglied der KPD und 1926 Mitbegründerin der Assoziation revolutionärer bildender Künstler („Künstlergruppe Asso“).

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde sie als Jüdin und Kommunistin verfolgt, ihre Kunstwerke wurden als „entartet“ diffamiert. 1940 gelang es ihr ins britische Mandatsgebiet Palästina zu fliehen. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges kehrte Lea Grundig nach Dresden zurück. Sie erhielt eine Professur für Grafik an der Hochschule für Bildenden Künste.

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Salomea Genin (*1932)

Salomea Genin wurde 1932 als Kind einer jüdisch-polnischrussischen Familie in Berlin geboren. Im Mai 1939 flüchtete sie mit ihrer Familie vor den Nationalsozialisten nach Australien.

In Melbourne trat sie 1949 der Kommunisten Partei bei und besuchte 1951 als Mitglied der australischen Delegation die „3.Weltfestspielen der Jugend und Studenten“ in Ost-Berlin. 1954 wollte sie in die DDR immigrieren, um ein antifaschistisches Deutschland mitaufzubauen, aber die DDR verweigerte die Einreise. Die Gründe dafür liegen im Verborgenen.

Sie lebte zunächst im Westteil Berlins, bevor sie 1963 endlich nach Ostberlin übersiedeln durfte und Mitglied der SED wurde. Sie arbeite aber auch als informelle Mitarbeiterin für die Staatssicherheit (STASI). In den 80er Jahren distanzierte sie sich innerlich von der SED und dem System der DDR. Im Mai 1989 trat sie aus der SED aus und schloss sich dem oppositionellen „Neuen Forum“ an. Salomea schrieb zwei Bücher über ihr widersprüchliches Leben.

Bis heute gibt sie Lesungen und spricht als Zeitzeugin vor diversen Gruppen.

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Jüdische Gemeinden

Im November 1946 zählte die Jüdische Gemeinde in Berlin 7274 Mitglieder. 2442 von ihnen lebten im Ostteil der Stadt lebten. Nach einer Volkszählung von 1946 lebten auf dem Territorium der künftigen DDR insgesamt noch 4500 Jüdinnen und Juden. Das entspricht dem Zehnfachen der Anzahl, die 1990 noch in der DDR zu finden war. Die größten jüdischen Gemeinden waren Berlin (DDR), Dresden, Erfurt, Leipzig und Magdeburg.

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timeline 19491990

1949 Gründung der DDR Unmittelbar nach der Befreiung Berlins kehrten die ersten Juden in den sowjetischen Teil der Stadt zurück. Viele wollten helfen, ein sozialistisches Deutschland zu schaffen.

1953 Stalins Tod

Nach Stalins Tod durften jüdische SED-Parteigenoss*innen auch wieder Mitglied der jüdischen Gemeinden werden. Am 11. Oktober 1953 wurde das Denkmal für die jüdischen Opfer des Faschismus auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee eingeweiht.

1952/53

Stalinistischer Slánský-Prozess in Prag

In einem von Stalin inszenierten Schauprozess wurden Rudolf Slánský, Generalsekretär der KSČ, sowie 13 andere führende Parteimitglieder, darunter 11 Juden, der Teilnahme an einer trotzkistisch-zionistischen Verschwörung angeklagt und zum Tode oder lebenslangen Haftstrafen verurteilt.

Kurz darauf floh Julius Meyer, Mitglied der SED, Mitglied der Volkskammer und Präsident des Verbandes Jüdischer Gemeinden in der DDR, mit fünf anderen Gemeindevorstehern nach Westdeutschland.

16. November 1976

Ausbürgerung des Sängers und Liedermachers Wolf Biermann.

3. August 1961

Bau der Berliner Mauer.

1984 Lobbyarbeit jüdischer SED-Mitglieder Jüdische SED-Mitglieder, unter anderen Irene Ruge, fragten amerikanisch-jüdische Organisationen um finanzielle Unterstützung der DDR an.

9. November 1988 - Gedenken an die Novemberpogrome von 1938

Das Gedenken an die Opfer der Novemberpogrome 1938 wurde in größerem Stil begangen und sollte sichtbar für die westliche Welt die antifaschistische Haltung der DDR demonstrieren. Die „Neue Synagoge“ wurde wieder aufgebaut. Zum ersten Mal wurden Gäste aus Israel offiziell in der DDR empfangen, ein Wendepunkt im ambivalenten Annäherungsprozess zwischen der DDR und Israel.

9. November 1989 - Fall der Berliner Mauer

Die SED hoffte, mit Hilfe des Jüdischen Weltkongresses die deutsche Wiedervereinigung verlangsamen oder stoppen zu können. Der damalige Parteivorsitzende der SED, Gregor Gysi, selbst jüdischer Abstammung, wandte sich wegen finanzieller Investitionen an den Jüdischen Weltkongress, um die Unabhängigkeit der DDR zu wahren: „Insbesondere Juden sollten ein Interesse an der Erhaltung von zwei deutsche Staaten haben“.

Offizielle „Wiedervereinigung“ mit Westdeutschland
3. Oktober 1990

workshops

Teil I – Einführung

Wir nutzen ein Quiz als spielerische Wissensvermittlung und Einführung in das Thema. Im Anschluss stellen wir zwei Videofilme vor. In Kleingruppen gucken die Teilnehmenden je einen der beiden Filme an und teilen danach ihre Eindrücke den anderen Gruppen mit. Die Teilnehmenden erhalten Einblick in die Gesellschaft und die historischen Ereignisse der DDR.

Teil II - Biografien

Im zweiten Teil des Workshops beschäftigen sich die Teilnehmenden in Break-out-sessions mit den Biografien jüdischer Persönlichkeiten, die in der DDR lebten. Mit der Methode „Weltcafé“ diskutiert die Gruppe unterschiedliche Aspekte jüdischen Lebens in der DDR.

Teil III- Evaluation und weiterführende Fragen:

Die Teilnehmenden ordnen das Judentum in der DDR im politischen Kontext ein. Ein besonderer Schwerpunkt der Auseinandersetzung mit diesem Thema ist das widersprüchliche und teils belastete Verhältnis zwischen Judentum und Sozialismus.

Mit welche Herausforderung sind Minderheiten in einer sozialistischen Gesellschaft konfrontiert?

Wo fallen Anspruch und Wirklichkeit im Verhältnis zu unterdrückten Gruppen in sozialistischen Initiativen auseinander?

Was können wir aus der kritischen Auseinandersetzung mit der Geschichte der DDR für eine sozialistische Jugendbewegung lernen?

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Säkulares Jüdisches Leben in Deutschland

Jüdisches Leben in Deutschland

Einleitung

„Die Bedeutung des Schabbats ist, die Zeit zu feiern und nicht den Raum. Sechs Tage der Woche leben wir unter der Tyrannei der Dinge des Raums; am Schabbat versuchen wir uns einzustimmen auf die Heiligung der Zeit. An diesem Tag sind wir aufgerufen, Anteil zu nehmen an dem, was ewig ist in der Zeit, uns vom Geschaffenen dem Geheimnis der Schöpfung selbst zuzuwenden, von der Welt der Schöpfung zur Schöpfung der Welt. (...)

Der Grund ist, daß der siebte Tag eine Goldgrube ist, wo man das kostbare Metall des Geistes finden kann, mit dem man den Palast in der Zeit baut, ein Bereich, in dem der Mensch bei Gott zu Hause ist, ein Bereich, in dem der Mensch bestrebt ist, der Gottesebenbildlichkeit nahezukommen … Die Liebe zum Schabbat ist die Liebe des Menschen für das, was er mit Gott gemeinsam hat. Daß wir den Schabbattag haben, ist ein Hinweis darauf, daß Gott den siebten Tag heiligte“

Aus: Abraham Heschel: Der Schabbat –seine Bedeutung für den heutigen Menschen

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Hashomer Hatzair ist eine jüdische, säkulare und humanistische Bewegung. Wir sehen uns als Teil der lebendigen Geschichte und Kultur des Judentums. Unser Erbe, die Schriften und Überlieferungen, sind die Grundlage für unseren Humanismus. Als Juden und Jüdinnen verbindet uns ein gemeinsames Schicksal. Dies bestärkt uns in der Zugehörigkeit zu unserer langen Tradition. Diese Zugehörigkeit möchten wir mit allen, die sich mit uns identifizieren, teilen - unabhängig davon, ob sie jüdisch im Sinne der Halacha sind oder nicht.

Von den Ursprüngen bis in die Gegenwart gab und gibt es verschiedene Strömungen innerhalb des Judentums, auch im Hinblick auf Gottesvorstellungen und Glauben. Diese Offenheit anderen Auffassungen gegenüber gibt auch uns die Freiheit, unser Judentum auf eigene Weise zu praktizieren. Für diese Freiheit, unsere eigene und die der anderen werden wir uns entschlossen einsetzen. Unser Gewissen ist der moralische Kompass, nach dem wir Entscheidungen treffen.

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Wir allein sind für unser Tun und die Konsequenzen unseres Handelns verantwortlich. Als Hashomer Hatzair sehen wir uns in der Pflicht gegenüber den Menschen und der Umwelt überall auf der Erde. Wir glauben fest an die Gleichheit von Mann und Frau. Niemand wird aufgrund seines Geschlechtes bei unseren Aktivitäten und Feierlichkeiten benachteiligt.

Wie praktizieren wir unser Judentum?

Kritische Auseinandersetzung: Grundlage des Judentums ist die Tora, das sind die fünf Bücher Mose, die den wichtigsten Teil der hebräischen Bibel, den Tanach bilden. Zusätzlich gibt es zahlreiche rabbinische Schriften, die uns beim Verständnis und Auslegung der Bibel helfen. All diese Texte sind das Ergebnis menschlicher Einsicht und Weisheit. Durch kritisches Lesen können die Überlieferungen aktuell im Bezug auf die jeweilige Zeit, in der wir leben verstanden werden und anderseits helfen, unsere Zeit zu verstehen. Als Hashomer Hatzair beziehen wir uns auf sowohl auf religiöse als auch auf säkulare, philosophische Schriften. So lernen wir, unsere jüdische Tradition ihrer gesamten Vielfalt zu begreifen.

Gemeinsame Studien: Das „jüdische Bücherregal“ gibt uns Zugang zum Wissensschatz unserer größten Denker*innen. In deren Büchern finden wir die Quellen der Inspiration für unsere Bildungsarbeit. Wir studieren die Schriften und Aufsätze in kleinen Gruppen, „Chevruta“ genannt. In diesem intimen Rahmen können wir das Wesen eines Textes erkennen, reflektieren und individuell interpretieren.

Feiertage: Das jüdische Jahr hat viele Feiertage. Jeder von ihnen hat eine spezielle Bedeutung, bestimme Gebräuche, Speisen und Lieder. An diesen Tagen kommen wir zusammen

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und feiern auf unsere Weise. Wir bekennen uns zu unseren jüdischen Wurzeln, bewahren die Tradition und passen sie an Bedürfnisse unsere Gegenwart an. Wir möchten, dass die jüdische Perspektive in die heutige Gesellschaft hineinwirkt. Hashomer Hatzair zeigt, wie humanistisch, modern und universell die Werte des Judentums waren und weiterhin sind.

Heute sehen wir es als gegeben an, mindestens einen Tag in der Woche zur freien Verfügung zu haben. Dieses Recht ist gesetzlich festgeschrieben. Im Judentum ist dieser eine freie Tag sogar eines heiligen „zehn Gebote“: „Sechs Tage darfst du schaffen und all deine Arbeit tun. Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem Herrn, deinem Gott geweiht.“ Was für ein revolutionärer Gedanke in Zeiten, in denen versklavte Menschen ununterbrochen für die Reichen arbeiten sollten!

Bis heute ist der Schabbat der Tag in der Woche, an dem die Menschen ihre täglichen Aktivitäten unterbrechen und zur Ruhe kommen können. Das gibt uns die Möglichkeit, den Stress des Alltags hinter uns zu lassen, unser Leben aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und uns auf das zu besinnen, was uns wirklich wichtig ist. Als Hashomer Hatzair denken wir, dass es gerade in einer egoistischen und wettbewerbsorientierten Gesellschaft grundlegend ist, den Schabbat bewusst zu feiern. Der siebte Tag soll nicht einfach nur ein freier Tag sein, sondern uns dazu anhalten, über uns und unser Tun nachzudenken. Es muss immer daran erinnert werden, schreibt Rabbi Abraham Heschel, dass der Schabbat „kein Tag ist, um ein Feuerwerk zu schießen oder Purzelbäume zu schlagen, sondern eine Gelegenheit, unser zerrissenes Leben zu reparieren“. Es ist der eine Tag, der alle anderen Tage

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Schomerische Kabbalat Schabbat

in der Woche inspirieren soll. Als Hashomer Hatzair führen wir diese wichtigste und älteste Tradition des Judentums fort. Am Schabbat erinnern wir uns gemeinsam an den Auftrag, den uns dieser Tag gibt.

Pädagogische Praxis:

Als Hashomer Hatzair möchten wir junge Menschen (Chaninchim*ot) dabei unterstützen, ihren eigenen Zugang zum Judentum zu finden und sich selbstbewusst mit ihrem kulturellen Erbe zu verbinden.

Die Aktivitäten von Hashomer Hatzair orientieren sich an unseren Feiertagen und traditionellen Festen. Gemeinsam mit den lesen wir religiöse und säkulare, klassische und moderne Texte. Auf diese Weise bekommen unsere Chanichim*ot einen authentischen Zugang zur Geschichte und Tradition des Judentums.

Hashomer Hatzair steht als jüdische säkulare jüdische Jugendbewegung allen Personen offen, die sich mit unseren Idealen identifizieren und und bereit sind, sich dafür einzusetzen.

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Säkulares Jüdisches Leben in Deutschland

Einführung

Nach dem Ende des 2. Weltkrieges und der Befreiung der letzten Überlebenden aus den Konzentrationslagern schien eine Konsolidierung jüdischen Lebens in Deutschland unmöglich. Dennoch lebten hier nach 1945 verschiedene Gruppen der jüdischen Gemeinden. Osteuropäische Juden, die auf Möglichkeiten zur Auswanderung warteten, aber „hängengeblieben“ sind. Überlebende des Holocaust, aber auch Jüdinnen und Juden, die aus dem Exil zurückkehrten. Seit den 50er Jahren kam eine neue Gruppe von Immigrant*innen aus verschiedenen Ländern dazu, die die neugegründete Bundesrepublik als Heimat wählten.

Im Juli 1950 gründete sich der Zentralrat der Juden in Deutschland. Er hatte zum einen die Aufgabe, die Zersplitterung der jüdischen Gruppen innerhalb Deutschlands zu überwinden und eine gemeinsame Identität zu finden. Zum anderen musste der Zentralrat sich innerhalb der jüdischen Welt rechtfertigen. Die jüdischen Gemeinden weltweit verdammten den Präsenz eines deutschen Nachkriegsjudentums und konnten nicht verstehen, warum Jüdinnen und Juden ausgerechnet im Land der Täter leben wollten. Dennoch konnte sich eine jüdische Gemeinde in Deutschland entwickeln, die durch die Zuwanderung aus verschiedensten Ländern eine sehr vielfältige und sich ständig verändernde Gemeinde ist.

Unsere Ziele

Wir möchten Möglichkeiten säkularen jüdische Lebens in Deutschland erforschen. Unter dem Titel „Reflecting Freedom“ diskutieren wir, wie wir unsere jüdische Identität selbstbewusst und selbstbestimmt (er)leben können.

In welcher Form findet säkulares jüdisches Leben statt?

Wie definiert sich Judentum außerhalb eines religiösen Kontextes?

Welche Rolle spielt für säkulares jüdisches Leben die Beziehung zu Israel?

Wie definieren wir uns als Jüdinnen und Juden unabhängig von religiösen und/oder konservativen Institutionen?

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organisationen

Jüdisch & Intersektional

Die Initiative für kritische Bildungsarbeit wurde von Ina Holev und Miriam Yosef konzipiert. Mit Workshops, Vorträgen und Beratungsangeboten sollen Jüdinnen*Juden in feministischen Kontexten Sichtbarkeit erlangen und antisemitismuskritische Bildungsarbeit geleistet werden.

Info: www.instagram.com/jewishintersectional

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Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus

Die Initiative entwickelt seit 2003 Konzepte für die pädagogische Auseinandersetzung mit Antisemitismus in der Migrationsgesellschaft und erarbeitet lebensweltlich orientierte Ansätze und Materialien für die politische Bildung.

Info: www.kiga-berlin.org

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Stiftung ZURÜCKGEBEN

Stiftung zur Förderung jüdischer Frauen in Kunst und Wissenschaft. Die Stiftung ZURÜCKGEBEN ist die einzige Stiftung in Deutschland, die explizit jüdische Frauen in Kunst und Wissenschaft fördert. 1994 wurde sie gegründet, ein Jahr später konnten die ersten Fördermittel vergeben werden. Seitdem hat ZURÜCKGEBEN etwa 180 Projekte jüdischer Frauen mit weit über einer halben Million Euro finanziell unterstützt.

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Jüdisches Filmfestival Berlin & Brandenburg (JFFB)

Das JFBB ist das älteste und renommierteste Festival für jüdische und israelische Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme in Deutschland und findet alljährlich im Sommer in Berlin und Potsdam statt. Info: www.jfbb.info

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Amadeu Antonio Stiftung

Stiftung zur Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet. Die wichtigste Aufgabe der Amadeu Antonio Stiftung, über eine finanzielle Unterstützung hinaus ist es, Aufmerksamkeit für engagierte Menschen vor Ort zu schaffen.

Info: www.amadeu-antonio-stiftung.de

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Jüdisches Museum Berlin

Das Museum bietet einen Überblick über 1700 Jahre deutsch-jüdischer Geschichte. Im Jahr 2020 wurde die neue Dauerausstellung „Jüdische Geschichte und Gegenwart“ in Deutschland eröffnet. Bekannt ist auch das Gebäude selbst.

Der US-amerikanische Architekt Daniel Libeskind gestaltet nicht einfach ein Museumsgebäude, sondern erzählt mit architektonischen Mitteln deutsch-jüdische Geschichte.

Info: www.jmberlin.de

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TaMaR Germany e.V.

Vereinigung junger, progressiver und jüdischer Erwachsener zwischen 18 und 35 Jahren. In einem informellen Rahmen können junge Personen an Seminaren, Shabbatot etc. teilnehmen.

TaMaR Germany bietet ein Forum, in dem jüdisches Leben in Deutschland vielfältig erlebt, gelebt und selbstbestimmt gestaltet werden kann und fühlt sich einem offenen, pluralistischen und progressivem Judentum verpflichtet.

Info: www.tamargermany.de

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Anmerkungen:

Wir haben hier exemplarisch eine Auswahl von Organisationen vorgestellt. Es gibt zahlreiche andere Initiativen und Organisationen, die Aspekte säkularen jüdischen Lebens repräsentieren und unterstützen und die wir für nicht weniger wichtig erachten. Eine wachsende Anzahl jüdischer Individuen aus den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen von Kultur über Bildung bis hin zu Politik prägen die Öffentlichkeit in Deutschland mit. Einige von ihnen werden wir in der Gruppenarbeit und den Recherchen sicher kennenlernen.

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timeline

Beginn der Konsolidierung jüdischen Lebens in Deutschland

(ab 1947)

Nach dem 2. Weltkrieg kehrten einige tausend vertriebene Jüdinnen und Juden nach Deutschland zurück. Dies markiert den Neuanfang jüdischen Lebens in Deutschland nach seiner fast vollständigen Zerstörung.

Gründung des „Zentralrats der Juden in Deutschland“

(1950)

Führende Vertreter der jüdischen Gemeinden gründen eine Gesamtvertretung der in Deutschland lebenden Juden und Jüdinnen in Frankfurt am Main. Der Zentralrat der Juden in Deutschland setzt sich für die Rechte der Juden ein und fordert Wiedergutmachung für die im Nationalsozialismus erlittenen Qualen.

Der Eichmann-Prozess (1961)

Der Prozess gegen Eichmann in Jerusalem erregte internationales Aufsehen und wurde weltweit mit großem Interesse von den Medien verfolgt, insbesondere aber in Deutschland und Israel. Die Verurteilung Eichmanns bedeutete eine Wende in der westdeutschen Vergangenheitsaufarbeitung und thematisierte erstmals öffentlichkeitswirksam die Verbrechen der Nazis.

Erste Einwanderung von Israel nach Deutschland (ab 1980)

In den frühen 1980er Jahren sind in Westdeutschland rund 9.000 Israelis als „Ausländer“ registriert.

Die postsowjetischen Einwanderungswellen (ab 1990)

Bis 1990 zählte die jüdische Gemeinde in Ost- und Westdeutschland zwischen 30.000 und 40.000. Nach dem Fall des „eisernen Vorhanges“ ist die Zahl um rund 220.000 jüdische Einwanderer, die aus der Sowjetunion emigrierten, gestiegen.

Eröffnung des jüdischen Museums in Berlin (2001)

Das im Jahr 2001 eröffnete Jüdische Museum in Berlin ist das größte jüdische Museum in Europa. Das erste Jüdische Museum in Berlin wurde am 24. Januar 1933 unter der Leitung von Karl Schwartz gegründet, sechs Tage bevor die Nazis offiziell an die Macht kamen.

Spitz Magazin Berlin (seit 2012)

„Spitz“ ist das erste hebräisch sprachige Magazin in Berlin und Deutschland der Nachkriegszeit. Neben aktuellen Berichten zu kulturellen und gesellschaftlichen Ereignissen enthält das Magazin viele praktische Information für israelische Neuberliner*innen.

Neugründung von Hashomer Hatzair Deutschland (2012)

Nach über 70 Jahren wird die deutsche Sektion der internationalen sozialistisch-zionistischen Jugendorganisation Hashomer Hatzair wieder gegründet. Ursprünglich war Hashomer Hatzair in Deutschland seit 1930 bis zu ihrem Verbot durch die Nazis im Jahr 1939 aktiv.

Olim Le’Berlin (2014)

Olim Le‘Berlin („Lass uns nach Berlin aufsteigen“) war der Name einer Facebook-Seite, in dem eine Gruppe von israelischen Expats mehr Israelis auffordert, wegen der günstigen Lebenshaltungskosten nach Berlin auszuwandern. Symbolisch dafür steht der in Israel beliebte Fertigpudding „Milky“, der als ähnliches Produkt in deutschen Supermärkten um über die Hälfte günstiger ist. Vor allem die Verwendung des Verbes „olim“ („wir steigen auf“) löste in Israel große Kontroversen aus, da dieses Wort ausschließlich für die jüdische Aliya (Einwanderung nach Israel) verwendet wird.

Erstes ID Festival Berlin (2015)

Das ID Festival Berlin ist ein jährliches Kunstfestival, das Arbeiten von in Deutschland lebenden israelischen Künstler*innen präsentiert.

Jalta – (seit 2017)

„Jalta - Positionen zur jüdischen Gegenwart“ ist eine Zeitschrift, in der jüdische und nicht-jüdische Stimmen zu Wort kommen. Jalta erscheint unregelmäßig im Neofelis Verlag Berlin.

workshops

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Judentum aus der Perspektive von Hashomer Hatzair

Das Judentum aus der Perspektive von Hashomer Hatzair stellt den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt. Respekt und Verantwortungsbewusstsein bestimmen unsere Weltsicht. Wir leben ein aktives Judentum, das sich auf unsere Tradition und Geschichte bezieht. Unser Judentum ist Inspiration, um Antworten auf die Fragen unserer Zeit zu finden. Auch wenn wir uns auf unsere Ursprünge beziehen, ist unsere jüdische Lebensweise offen und modern.

Unsere Identität basiert auf der tiefen Verbundenheit mit unsere jüdischen Erbe und der Überzeugung dass wir ein gemeinsames Schicksal teilen. Als säkulare humanistische Bewegung steht Hashomer Hatzair allen offen, die sich mit unseren Grundsätzen identifizieren können, unabhängig davon, ob die Halacha sie oder ihn als Jüdin oder Juden definiert. Fragen zur Nachbesprechung:

Was bedeutet für dich säkulares Judentum?

Wo siehst Widersprüche mit deiner eigenen Auffassung von Judentum?

Was ist das Besondere an einem jüdischen Humanismus?

Worin besteht die Verbindung zu unserem jüdischen Erbe?

Wie kann das Judentum aus der Perspektive von Hashomer Hatzair auch in Zukunft attraktiv bleiben?

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Quellen

SPIEGEL GESCHICHTE 4/2019 „Jüdisches Leben in Deutschland“, Magazin vom 30. Juli 2019

Sharon Adler: „Jüdinnen in Deutschland nach 1945. Erinnerungen, Brüche, Perspektiven - Teil II“, in: Deutschland Archiv, 18.09.2020, Link: www.bpb.de/315715

Charlotte Misselwitz: „„Man darf das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Die Kinderärztin Inge Rapoport: Von Hamburg, über die USA in die DDR“, in: Deutschland Archiv, 03.11.2020, Link: www.bpb.de/318155

Angelika Königseder/Juliane Wetzel: „Frauen in Lagern für jüdische Displaced Persons“, in: Deutschland Archiv, 30.11.2020, Link: www.bpb.de/322025

AVIVA-Berlin, „Sharon Adler, Chefredakteurin“, 2021, Link: https://www.aviva-berlin.de/aviva/content_About%20us_Mitarbeiterinnen. php?autorin=Sharon%20Adler

HaGalil, Jüdisches Leben Online. „Die jüdische Frau in der deutschen Frauenbewegung“, 2011, Link: https://www.hagalil.com/2011/03/frauenbewegung-2/

Mechthilde Vahsen: “Wie alles begann – Frauen um 1800”, in: Dossier Frauenbewegung, 08.09.2008, Link: https://www.bpb.de/gesellschaft/gender/frauenbewegung/35252/wie-alles-begannfrauen-um-1800?p=all

Charlotte Kreutzmüller: “Luise Kautzky”, in: Stolpersteine in Berlin, Link: https://www.stolpersteine-berlin.de/en/biografie/4465

“Women‘s movements in Germany — a long history”, in: Deutsche Welle, Link: https://www.dw.com/en/womens-movements-in-germany-a-long-history/g-42833523

Arbeitskreis „Stalin hat uns das Herz gebrochen“ der Naturfreundejugend Berlin [Autor*innenkollektiv] (2017): Stalin hat uns das Herz gebrochen: Antisemitismus in der DDR und die Verfolgung jüdischer Kommunist*innen, 1. Auflage, Münster: edition assemblage

MDR (2020): „Ich war ein DDR-Bürger und auch jüdisch“

Charlotte Misselwitz (2020): Als ob wir nichts zu lernen hätten von den linken Juden der DDR ... | bpb, in: Bundeszentrale für politische Bildung

Daniel Niemetz: (2016): 16. November 1976: Wolf Biermann und seine Ausbürgerung

Michael Hoh: (2015): A Jew in the GDR Lernen aus der Geschichte (2018): Jüdisches Leben in der DDR | lernen-aus-dergeschichte.de

Alexander Muschik: Die SED und die Juden 1985–1990

Link: https://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/132869/die-sed-unddie-juden-19851990

Thomas Haury: Antisemitismus in der DDR

Link: https://www.bpb.de/politik/extremismus/antisemitismus/37957/antisemitismus-in-derddr

Michael Brenner: Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland nach 1945 Link: https://www.bpb.de/apuz/30047/die-juedische-gemeinschaft-in-deutschland-nach-1945

“Anger as Berlin’s cheap pudding lures Israelis”, Al Arabiya News

Link: https://english.alarabiya.net/variety/2014/10/17/Anger-sparked-as-Berlin-s-cheappudding-lures-Israelis-

Tal Alon: “Bursting the Israeli Bubble”, Spitz Magazine Link: https://spitzmag.de/wp-content/uploads/2013/05/Seite_16-Jewish-Voice-fromGermany-No_7.pdf

“Germany: A Haven for Jewish Immigrants | Focus on Europe”, DW News Link: https://www.youtube.com/watch?v=xhQtcvKbm9Y

Judentum aus der Perspektive von Hashomer Hatzair

Das Judentum aus der Perspektive von Hashomer Hatzair stellt den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt. Respekt und Verantwortungsbewusstsein bestimmen unsere Weltsicht. Wir leben ein aktives Judentum, das sich auf unsere Tradition und Geschichte bezieht. Unser Judentum ist Inspiration, um Antworten auf die Fragen unserer Zeit zu finden. Auch wenn wir uns auf unsere Ursprünge beziehen, ist unsere jüdische Lebensweise offen und modern

www.hashomer-hatzair.de

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