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Schauatelier und Sammlungspräsentation

Restaurierungsarbeiten an Jean Tinguelys Le Safari de la Mort Moscovite (1989) mit den Restauratoren Chantal Willi, Albrecht Gumlich und Jean-Marc Gaillard, 2016

Museum Tinguely

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Das Schauatelier des Museum Tinguely

seit 03.03.2021

Das Schauatelier der Konservierung & Restaurierung des Museum Tinguely ist eröffnet.

Mit der Eröffnung der neuen Sammlungspräsentation, die unter dem Motto le Définitif – c'est le Provisoire steht, wird auch das Schauatelier der Konservierung & Restaurierung des Museum Tinguely eingeweiht und für das Publikum sichtbar. Besucher*innen können nun im oberen Stockwerk, im letzten Ausstellungsraum dem Team der Konservierung & Restaurierung quasi über die Schulter sehen und so miterleben, wie die kinetischen Werke von Jean Tinguely gepflegt, erhalten und gegebenenfalls wiederhergestellt werden. Das erklärte Ziel des Schauateliers ist es, ein Verständnis für die aufwendige Erhaltung dieser zum Teil sehr fragilen Kunstwerke zu schaffen und gleichzeitig zu einem vorsichtigen Umgang mit ihnen anzuregen.

Tinguelys Kunst bewegt die Menschen nicht zuletzt, weil ihre handwerkliche Do-it-yourself-Dimension nur selten ein distanziertes Erhabenheitsgefühl vermittelt, sondern weil das Entstehen und Machen seiner Maschinen-Skulpturen immer auch ganz direkt präsent ist. Die Bewegung, der Zufall, das Funktionieren und auch das Kaputtgehen sind Teil der Kunst und verlangen nach sorgfältiger und wohlüberlegter Pflege. Das wird nun im Schauatelier sichtbar.

Das Team der Konservierung & Restaurierung des Museum Tinguely hat mit dem Schauatelier ein eigentliches Kompetenzzentrum für die Erhaltung der Kunst von Jean Tinguely im Speziellen und von kinetischer Kunst im Allgemeinen geschaffen. Hier werden die Werke der Museumssammlung gepflegt, hier werden aber auch Skulpturen aus anderen privaten und öffentlichen Sammlungen restauriert, und hier ist die Anlaufstelle für Privatpersonen wie auch für Institutionen, wenn es darum geht, Rat zu holen für den Umgang mit dieser Kunst. Im Zentrum steht dabei immer das Werk, das im Idealfall wieder in Bewegung versetzt oder gehalten werden kann – was aber immer unter Wahrung der restauratorischen Grundsätze erfolgt, die einen möglichst schonenden Umgang mit der Originalsubstanz gebieten.

Die Besucher*innen des Museum Tinguely können seit dem 3. März 2021 diese Prozesse verfolgen und sind eingeladen, zu bestimmten Zeiten mit den Restaurator*innen des Museum ins Gespräch zu kommen. ◀

Museum Tinguely

« le Définitif – c’est le Provisoire »

Neue Sammlungspräsentation im Museum Tinguely

seit 03.03.2021

25 Jahre nach der Eröffnung des Museum Tinguely am Basler Rheinufer legt die neu gestaltete Sammlungspräsentation einen Hauptfokus auf den charismatischen Künstler Jean Tinguely (1925–1991) und seine medienwirksamen Auftritte mit kinetischen Skulpturen und Aktionen. Sie schöpft wie nie zuvor aus dem Bestand des Museum Tinguely an einzigartigen Dokumenten auf Papier, Fotografien und audiovisuellen Zeitzeugnissen, die zentral für die wissenschaftliche Arbeit sind.

Jean Tinguely und seine Kunst in den Schlagzeilen

Schon zu Beginn seiner künstlerischen Karriere, Ende der 1950er-Jahre, sorgt er mit Do-it-yourself-Kunstmaschinen und Aktionen sowohl in der Kunstwelt als auch in der internationalen Presse für Furore: so etwa 1959 in Paris oder im Frühjahr 1960 in New York. Mit seinen Méta-Matics genannten Zeichenmaschinen katapultiert er sich auf die Titelseiten bekannter Zeitungen und lässt Journalisten in der ganzen Welt berichten: «Want To Be An Artist? Just Buy This Machine, And You Are In».

Die Ausstellung thematisiert den Beginn seiner Künstlerkarriere, die in den grossen Kunstmetropolen im Ausland begann, bevor erste Auftritte in der Schweiz folgten. Skulpturen aus der umfangreichen Sammlung des Museum Tinguely, ergänzt durch wichtige Leihgaben und Dokumente, zeichnen den künstlerischen Werdegang Tinguelys nach. Zu sehen sind u.a. Marilyn und Autoportrait conjugal, die Tinguely im Herbst 1960 in der Kunsthalle Bern zeigte. Spätestens mit diesem Auftritt von Tinguelys Schrottskulpturen in der Bundeshauptstadt hätte auch dem Schweizer Museumspublikum auf-

fallen können, dass in Paris und New York ein Schweizer Künstler kometenhaft aufgestiegen war. Aber selbst nach seiner Beteiligung mit der monumentalen Auftragsarbeit Heureka an der «Expo 64» in Lausanne dauerte es noch einige Jahre, bis seine kinetischen Skulpturen auch Eingang in Schweizer Museumssammlungen fanden.

Spektakel auf unterschiedlichen Bühnen

Tinguelys Schaffen der 1950er- und 1960er-Jahre ist innovativ und facettenreich. Es sprengte bisherige Konventionen der Kunstgeschichte. Tinguely provoziert und amüsiert zugleich, erklärt Leben zur Kunst, er arbeitet mit Bewegung, Klang und Geräusch. Seine Arbeiten fordern uns zur direkten Teilnahme auf und sprechen stets mehrere sinnliche Ebenen des Kunsterlebnisses an.

Als Impulsgeber gelingt es Tinguely, seine kinetische Maschinenkunst immer wieder neu zu positionieren. Er erschafft lautstarke Klangspektakel mit Alltagsgegenständen und stellt diese und sich selbst ins Rampenlicht, indem er sich an verschiedenen Theaterinszenierungen mit internationaler Besetzung beteiligt – teils als Bühnenbildner, teils als Schauspieler –, und behandelt mit seinen Werken brisante Fragen der damaligen Zeit. So etwa mit dem Flaschenzertrümmerer Rotozaza No. 2 (1967). Das Werk wurde erstmals am 19. Oktober 1967 mit einer Performance in New York vorgeführt. Tinguely beabsichtigt damit, «die praktische und rationelle Seite der produktiven Maschine lächerlich zu machen». Kritik an Konsumismus und Überproduktion, die Tinguelys Werk bis heute brandaktuell macht, ist darin ebenso enthalten wie die damals vorherrschende angespannte Situation des Kalten Krieges.

Im Museum Tinguely wird die selten gezeigte Rotozaza No 2 vom Restauratorenteam für interessierte Besucher*innen in Aktion versetzt.

Gruss Dein Jeannot – begehrte Künstlerbriefe

Tinguely versteht seine Kunst als Unsinn mit Sinn. In seinen Inszenierungen spielen Lebenslust, aber auch Vergänglichkeit eine wichtige Rolle. Dies spiegelt sich nicht nur in seinen kinetischen Skulpturen wider, sondern auch in seinen Arbeiten auf Papier, in denen er uns als erfindungsreicher Zeichner und Collagekünstler begegnet. Im Laufe seines künstlerischen Schaffens versandte er Hunderte Briefe an Freunde und Personen, mit denen er auf der ganzen Welt arbeitete. Diese farbenfrohen Briefzeichnungen und Collagen aus Alltagsmaterialien besitzen eine eigene Sprache und werden zu spannenden visuellen Zeitzeugnissen. Einige davon wurden für die Ausstellung vertont, was ein neues auditives Ausstellungserlebnis ermöglicht. Darüber hinaus können die Besucher*innen in der Ausstellung die kreative Tätigkeit des Briefschreibens, das in der heutigen digitalen Welt in den Hintergrund getreten ist, wieder für sich entdecken und selbst handschriftlich gestaltete Briefe à la Tinguely verfassen. ◀

Die Ausstellung « le Définitif – c’est le Provisoire » wurde kuratiert von Annja Müller-Alsbach und Anja Seiler

Jean Tinguely, Rotozaza No. 2, 1967, Installationsansicht « le Définitif - c'est le Provisoire »