EV_MAGAZIN_Danke Rudi_Eine Fußball-Legende

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DANKE, RUDI

DANKE, RUDI

OB LESEPR

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DANKE, RUDI EINE FUSSBALL -LEGENDE

100 SEITEN

ÃœBER RUDI ASSAUER SEIN LEBEN, SEINE KARRIERE


rudi ganz nah


Ein großer Tänzer sei der Rudi nicht gewesen, sagte seine Zwillingsschwester Karin Assauer. Zu diesem Tänzchen bei einer Familienfeier konnte sie ihn aber trotzdem überreden. Foto: Privat

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RUDI GANZ NAH

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EIN UNFASSBARER

TYP

Sportchef Peter Müller ist Rudi Assauer im Laufe der Jahre immer wieder begegnet. Hier beschreibt er einen Manager, der das Risiko nicht scheute, klare Kante liebte und der sich bei der Verpflichtung neuer Spieler auf sein eigenes Gespür verließ. Von Peter Müller

Es war Anfang 2009, als ich zuletzt mit ihm sprach. Ich rief ihn an, weil die Westdeutsche Allgemeine Zeitung ihren legendären Sportchef Hans-Josef Justen ehrenvoll in den Ruhestand verabschieden wollte – mit einer Doppelseite, auf der Prominente aus der Welt des Sports zu Wort kommen sollten, deren Wege er jahrelang begleitet hatte, mit denen er auf besondere Weise verbunden war. Einer davon war Rudi Assauer. Den Anfang jenes Telefonates werde ich nie vergessen. „Assauer!“ – „Guten Tag Herr Assauer, Peter Müller von der WAZ-Sportredaktion, dürfte ich Sie kurz stören!“ – „Das tun Sie doch schon!!!“ Er sagte das so laut, so schroff, so abweisend, dass für ein Sekündchen die Versuchung bestand, vor lauter Schreck sofort wieder aufzulegen. Die Aktentasche in der Hand, das Jackett lässig über dem Arm – mit weltmännischer Attitude entsteigt Rudi Assauer dem Business-Jet. Gar nicht typisch für Assauer, findet Firo-Fotograf Jürgen Fromm. „Bodenständigkeit war eines der Markenzeichen seiner Persönlichkeit.“ Foto: firo

Das hätte ihm so gepasst. Ich blieb auf höfliche Weise hartnäckig, und Rudi Assauer, der nie pflegeleicht war und das auch nie sein wollte, gefiel

genau das. Er war Profi genug, um zu wissen, dass ich meinen Job machen musste, und er hätte mich nicht ernst genommen, wenn ich mich dafür entschuldigt hätte. Hätte ich mich von ihm abwimmeln lassen, hätte er mich gar verachtet. Aber nun waren wir einmal im Gespräch, also legte er los und erzählte über Hans-Josef Justen und die gemeinsamen Jahre, die beiden stammten aus einer Generation. Natürlich drückte Rudi Assauer seine Wertschätzung aus, Beweihräucherung aber wäre für ihn nicht infrage gekommen. Es war ihm wichtig zu erwähnen, dass sie sich „oft gefetzt“ hätten. Womit er mich nicht überraschen konnte, ich hatte oft genug mitbekommen, wie sie sich in herzlich rauer Ruhrpott-Manier Nettigkeiten um die Ohren knallten. „Justen, was hast du denn da wieder für eine Scheiße geschrieben?“ – „Scheiße ist euer Spiel, ich schreibe nur, was ich sehe.“ So ging das hin und her, und jedesmal, wirklich jedesmal, wurden sie sich nach relativ kurzer Zeit doch einig. Wenn sie sich dann mit gegenseitigen Beleidigungen verabschiedeten, lachten sie.

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Streicheleinheiten für den Star: Assauer 2005 mit Schalke-Spieler Lincoln nach einem Spiel in Freiburg. Foto: REUTERS

Als Sportjournalist den Schalke-Manager Rudi Assauer im Alltag zu erleben, war das eine. Da war er mal umgänglich und mal nicht, je nach Anlass oder nach Laune. Das andere war, einen Termin für ein Interview mit ihm zu haben. Das war immer lohnenswert. Weil dieser Mann etwas zu sagen hatte. Und weil er, wenn er etwas sagte, dann auch dazu stand. „Das können Sie ruhig so schreiben“, fügte er so manches Mal hinzu, wenn er bewusst Heikles formuliert hatte. In meiner Erinnerung saß er in seinem Büro in der Geschäftsstelle bei Interviews nie ohne Zigarre. Er fragte auch nicht, ob sein Rauchen stören würde, das wäre ja noch schöner gewesen. Der Zigarrenqualm gehörte auch zur Komposition, er verlieh den Worten zusätzliches

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Gewicht. Wenn man ihn da so sitzen sah und reden hörte, dachte man unweigerlich: ein unfassbarer Typ. Einmal sprachen wir über Talente, es muss Ende der Neunziger gewesen sein. Er regte sich darüber auf, dass ein Schalker Jugendspieler, 16 Jahre alt, mit einem Berater in sein Büro gekommen sei. Der habe gleich mal erwähnt, wer so alles an dem zweifelsohne hochtalentierten Jungen interessiert sei, und sich dann erhofft, dass Rudi Assauer ein hübsches Sümmchen für eine langfristige Perspektive auf Schalke offerieren würde. Assauer: „Die beiden haben schön blöd geguckt, als ich ihnen erzählt habe, dass sie sich einen anderen Doofen suchen können.“ Weggeschickt hat er sie, ohne weitere Worte. Auch auf das Risiko hin, dass sich

der junge Mann in Zukunft woanders zu einem Top-Spieler entwickeln könnte. Es ging Assauer ums Prinzip. Ein Jugendlicher sollte gefälligst für Schalke spielen wollen, nicht für Geld. Dass darüber auch zu reden war, war ihm natürlich klar. Aber zuerst mal sollten Werte wie Ehrgeiz, Leidenschaft, Dankbarkeit und Demut zählen. Mit einem Berater in Assauers Büro? Auf Wiedersehen, Junge! In demselben Gespräch erzählte Rudi Assauer, wie es auch anders ging. Ein Talent aus dem Ausland stellte sich vor. Der A-Jugendliche, der ihm empfohlen worden war, wollte unbedingt für Schalke spielen. Sie redeten lange miteinander. Und weil dieser Junge nicht einmal nach den Bedingungen gefragt hatte, nicht


RUDI GANZ NAH nach Gehalt und nicht nach Vergünstigungen, gab Rudi Assauer ihm eine Chance. Sie zahlte sich aus, der Junge wurde später Profi auf Schalke, wenn auch kein großer. Rudi Assauer hatte ohnehin ein unglaubliches Gespür dafür, wer zu Schalke passte und wer nicht. Als er 1993 Youri Mulder von Twente Entschede verpflichtete, holte er den Niederländer in Norddeutschland von einem Probetraining ab. „Da sagte er: Wir müssen eben an Bremen vorbei, weil ein Freund Geburtstag hat“, erzählte der Niederländer nach der Trauerfeier für Rudi Assauer. „Da haben wir zwei, drei Stunden auf einem Geburtstag gesessen und Bier getrunken. Mit mir als neuem Spieler. Das kann man sich gar nicht vorstellen, dass man das heute mit Nabil Bentaleb macht.“

„Die beiden haben schön blöd geguckt, als ich ihnen erzählt habe, dass sie sich einen anderen Doofen suchen können.“ Rudi Assauer

Rudi Assauer wusste nach dieser gemeinsamen Tour mit unterhaltsamem Zwischenstopp ganz genau, was für ein Typ Youri Mulder war. Er nahm ihn unter Vertrag, Mulder schlug voll ein – und ist als einer der Eurofighter, die 1997 den Uefa-Cup nach Schalke holten, bis heute eine königsblaue Legende geblieben. Deutlich riskanter als die Verpflichtung dieses robusten Kämpfertypen aus dem Nachbarland war einige Jahre später der Transfer eines als wehleidig verrufenen Ballkünstlers aus der Nachbarschaft. Als Rudi Assauer im Jahr 2000 dem Dortmunder Andreas Möller erklärte, dass er dessen Zukunft auf Schalke sehe, hielt selbst der Nationalspieler den Schalker Manager für übergeschnappt. Möller zu Schalke, das war so undenkbar wie Roland Kaiser als neuer Sänger der Rolling Stones. Aber Assauer war so überzeugend, dass Möller sich auf dieses Abenteuer einließ. Die Anfangsmonate waren anstrengend, nicht nur für Möller, auch für Assauer. Es gab Protestkundgebungen auf dem Trainingsgelände, auch nicht wenige Vereinsaustritte, in der Nordkurve des Parkstadions war ein Transparent zu lesen: „Zecke Möller – willkommen in der blau-weißen Hölle!“ Assauer war stinksauer, legte sich auch mit den eigenen

Rudi Assauer mit Andi Möller, den er von Dortmund nach Schalke geholt hatte. Foto: imago

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Schätze

aus dem familienalbum Den Fußballer und den Manager Rudi Assauer kennen viele, den Menschen Rudi Assauer nur wenige. Wir begaben uns auf Spurensuche. Ein Besuch bei seiner Tochter und seiner Zwillingsschwester in Herten. Von Walter Bau

Tochter Bettina Michel und Zwillingsschwester Karin Assauer kramen in Kartons voller Fotos, Zeitungsausschnitten und anderen Erinnerungsstücken. Foto: Lars Heidrich /FUNKE Foto Services

Eines der letzten gemeinsamen Fotos: Rudi Assauer mit Tochter Bettina Michel. Foto: Privat

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Rudi als Steppke in Lederhose, bei der Konfirmation, als Jugendfußballer. Rudi neben seiner Zwillingsschwester, im Plausch mit Starkoch Eckhart Witzigmann, als Model für einen Herrenausstatter, beim Strandurlaub auf Sylt. Rudi in Schwarz-Weiß und in Farbe. Dazu jede Menge Zeitungsausschnitte, Plakate, alte Urkunden von Bundesjugendspielen. Rudi, Rudi, Rudi. Es sind Kartons voller Erinnerungen, die Rudi Assauers Tochter Bettina Michel und seine Zwillingsschwester Karin Assauer an diesem Morgen herausgekramt haben. Im Aschenbecher auf dem Couchtisch liegen noch die letzten, angerauchten Davidoff-Zigarren. Doch es sind nicht allein die Bilder und Zeitungsschnipsel. Es sind die Geschichten und Anekdoten, die die beiden Frauen über ihren verstorbenen Vater und Bruder zu erzählen haben, die dieses Treffen besonders machen. „Wir waren


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Bei Bettina Michel zuhause liegen im Ascher noch die letzten angerauchten Zigarren ihres Vaters. Foto: Lars Heidrich /FUNKE Foto Services

beiden schon als Kinder sportlich“, erzählt Karin Assauer, zehn Minuten jünger als ihr Zwillingsbruder. „Der Rudi spielte Fußball, ich machte Leichtathletik. Wir gehörten immer zu den Besten.“ Gern hätte sie auch mal mitkicken wollen, sagt Karin Assauer schmunzelnd. „Aber der Rudi hat mich immer weggescheucht.“ Mädchen und Fußball – das wäre ja noch schöner. Klein-Rudi als Macho. Oder die Geschichte von Rudi Assauers Auftritt bei „ran“ im Sat1-Studio, als er seine geliebte Zigarre nicht aus der Hand legen wollte. „Entweder ich kann rauchen, oder ich komm‘ nicht“, habe er den Fernsehleuten signalisiert. Sat1 gab schließlich nach. „Beim Auftritt im Studio standen auf Druck der Feuerwehr zwei Eimer mit Wasser hinter den Kulissen“, lacht Bettina Michel. Bettina Michel hat ihren an Alzheimer erkrankten Vater zuhause gepflegt, bis zu seinem Tod am 6. Februar 2019. Sie erzählt von alten Weggefährten Rudi Assauers, die bis zum Ende da waren; und von „Freunden“, die sich auch nach Assauers Tod nicht gemeldet hätten und nicht zur Trauerfeier kamen. „Da merkt man, auf wen Verlass ist und wer sich drückt“, sagt sie.

Mal ohne Zigarre: Rudi Assauer sonnt sich am Strand von Sylt. Foto: Privat

Die Fotos und Zeitungsausschnitte wollen die beiden Frauen demnächst mal sortierten und einkleben. „Solange der Papa lebte, konnte ich das nicht“, sagt seine Tochter. Einige der Fotos illustrieren das ausführliche Interview mit Rudi Assauer aus dem Jahr 2007 auf den folgenden Seiten.

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Zwillinge Hand in Hand: Klein-Rudi mit Schwester Karin. Foto: Privat

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KIND DES RUHRGEBIETS Das Ruhrgebiet hat Rudi Assauer geprägt – auch wenn er dort nicht geboren wurde. 2007, gut ein Jahr nachdem er als Manager von Schalke 04 abgetreten war, sprach Assauer in einem ausführlichen Interview mit unserer Redaktion über seine Kindheit in Herten-Süd, seine Anfänge als Fußballer und über seine Gefühle, als er einmal aus dem Westen wegging. Von Stefan Reinke und David Nienhaus

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Am Anfang der Karriere: Rudi Assauer (untere Reihe, 3. v. r.) 1956 bei einem Fußballturnier in Duisburg-Wedau. Fotos: Privat

Herr Assauer, Sie kommen gebürtig aus dem Saarland. Fühlen Sie sich dennoch als ein Kind des Ruhrgebiets? Ich bin im Saarland zwar zur Welt gekommen, aber meine Mutter hat mich dort quasi im Galopp verloren (lacht). Sie ist Saarländerin und im Ruhrgebiet war die Situation damals nicht gerade rosig. Da sie wusste, dass es Zwillinge gibt, hat man ihr geraten, einen ruhigeren Ort zu finden. Drei, vier Wochen später waren wir wieder im Ruhrgebiet. Wie war die Kindheit im Revier? In Herten-Süd, wo ich groß geworden bin, haben die Bergleute gewohnt. Die ganze Region war auf Zeche Ewald zu Hause. Ich bin direkt am Katzenbusch aufgewachsen. Da wohnten die Malocher. Deswegen bin ich auch nie aufs Gymnasium gegangen. Oben in Herten-Nord, bei den besseren Leuten, da wurde kein Fußball gespielt. Die haben Volleyball gespielt oder vielleicht mal Handball. Bei uns ist nur gepöhlt worden. Unsere Wohnung war direkt gegenüber der Schule. Wenn die Schule anfing, musste ich nur über die Straße gehen.

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Zum Glück war meine Zwillingsschwester sehr eifrig, da konnte ich gut abschreiben. Wenn die Schule zu Ende war, fand eine halbe Stunde später das erste Pflichtspiel statt. Das waren Straßenkämpfe – Augustastraße gegen Herner Straße. Lederbälle hatten wir nicht, wir spielten mit einem Stoffball. Als nach über einem Jahr einer einen Lederball zu Weihnachten bekommen hatte, war das die Sensation. Ein Vater hatte aus Holz zwei Tore gezimmert, und wir haben dann gespielt, bis es dunkel wurde. Zu Hause gab’s dann eine Tracht Prügel, weil wir von oben bis unten verdreckt waren.

der Spielvereinigung alle Jugendmannschaften durchlaufen. Damals gab’s ja noch keine Pampersliga, aber ich habe in allen Schülermannschaften gespielt. Als jungem Burschen haben sie mir dann einen Vertrag gegeben. Herten spielte damals in der zweiten Liga. Ich war dann so genannter Vertragsspieler und bekam im Monat 50 Mark. Das Geld musste ich natürlich zu Hause auf den Tisch legen. Für jedes gewonnene Spiel gab es 10 Mark, für jedes Unentschieden 5 Mark.

Fußball hat also von Anfang an eine große Rolle gespielt.

Das war egal. Es ging mir nur ums Fußballspielen. Ich war ja damals auch noch in der Lehre als Stahlbauschlosser und das Geld musste ich natürlich auch abgeben. Das war normal.

Es gab nichts anderes. Meine Eltern hatten auch kein großes Vermögen. Der Alte hat gearbeitet und ist nach der Arbeit in die Kneipe gegangen – Bier und Korn. Wir haben Fußball gespielt. Ihren ersten Vertrag haben Sie mit 18 bei der SpVgg. Herten unterschrieben. Da war ich von Anfang an. Ich habe bei

Was war das für ein Gefühl, fürs Fußballspielen Geld zu bekommen?

An eine Karriere als Fußballer war noch nicht zu denken? Nein. Ans Geldverdienen habe ich nicht gedacht. Es hat einfach Spaß gemacht. Damals gab es ja auch andere Bedingungen. Die Obergrenze bei der Bezahlung


RUDI GANZ NAH lag bei 1200 Mark, sogar für Nationalspieler. Mehr durfte keiner verdienen, auch wenn unter der Hand bei den großen Vereinen mehr gezahlt wurde. Man konnte damals den Verein zwar wechseln, aber dann ist man für ein Jahr gesperrt worden. Ich hatte dann gedacht, ich mache die zwei Jahre noch durch und wechsele dann mit 20. Andere aus meinem Jahrgang, wie Wolfgang Overath, waren gewechselt und konnten ein Jahr lang nur trainieren. Die Profis damals waren ja auch nur Semi-Profis. Die hatten alle noch einen Beruf. Timo Konietzka hat bei der Stadt Dortmund immer die Gaslaternen ausgemacht. Was waren Sie für ein Spielertyp? Es hat dazu gereicht, dass ich immer gespielt habe. Ich war aber nie Nationalspieler, auch wenn ich zweimal dran war. In unserem Jahrgang waren so viele Spieler, die später auch in der Nationalmannschaft sehr erfolgreich gespielt haben. Ich hatte schon Respekt vor den großen Spielern, als ich mit 19, 20 Jahren in Dortmund angefangen hatte. Als ich dort ankam, saß der große Heini Kwiatkowski in der Kabine und ich habe den voller Ehrfurcht mit „Guten Tag, Herr Kwiatkowski“ begrüßt. Da waren alle die großen Spieler – Tilkowski, Redder, Paul, Kurrat, Emmerich, Libuda, Siggi Held kam mit mir. Das war eine Riesen-Truppe.

„Wenn die Schule zu Ende war, fand eine halbe Stunde später das erste Pflichtspiel statt.“

Sie wurden dann auch gleich Pokalsieger und Europacup-Sieger ... ... ich war damals der jüngste Spieler auf dem Platz beim Finale in Glasgow. Das war das erste Mal, dass eine deutsche Mannschaft einen europäischen Wettbewerb gewann. Haben Sie gemerkt, dass dieser Titelgewinn etwas für die Region bedeutete? Ich habe Fußball gespielt. Da habe ich mir nicht großartig Gedanken über die Region gemacht. Besonders war es natürlich, weil wir eben die erste deutsche Mannschaft waren. Glücklicherweise habe ich mitspielen dürfen. In Glasgow hatte es so gegossen, der Boden war weich und tief, und du bist gerannt wie

Als junger Mann schien Rudi Assauer (hier mit Schwester Karin) die Kamera noch nicht ganz geheuer zu sein.

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„Ich „Ichhatte hatteimmer immer gedacht, gedacht,aussem aussem Pott Pottgehste gehsteeh eh nicht nichtweg.“ weg.“

ein Bekloppter. Nach 60 Minuten hatte ich Wadenkrämpfe – oh Gott, oh Gott. Aber ich musste durchspielen, weil man ja noch nicht auswechseln durfte. Das war schon eine schöne Zeit (lacht). Das Geld kam dann ja trotzdem bald ins Spiel. Sie wechselten 1970 von Dortmund nach Bremen. Nur weil es dem BVB finanziell sehr schlecht ging oder weil Sie weg wollten? Ich wollte nicht wechseln, auch weil ich gerade geheiratet hatte. Dann hatte der BVB aber finanzielle Probleme und mein Vertrag lief aus, wie auch der von Emma (Lothar Emmerich, Anm. d. Red.). Die brauchten Geld, und deshalb haben sie mich verkauft. Dann bin ich nach Bremen gegangen. 150.000 Mark haben die für mich bekommen. Das war ‘ne Menge Geld. Gab es auch andere Angebote? Ja, der Wuppertaler SV war an mir interessiert. München 60 auch. Aber dann wurde es eben Bremen. Auch das war ‘ne schöne Zeit. Wir hatten zwar mehr unten als oben gespielt, aber es war schön. Wie schwer war es, die Heimat zu verlassen?

International im Einsatz: Rudi Assauer (oben, 3. V. l.) 1961 mit einer Westfalenauswahl in England. In der unteren Reihe ganz links unverkennbar: der junge „Stan“ Libuda. Fotos: Privat

Rudi Assauer bei einem Einsatz anlässlich eines Turniers 1961 in Amsterdam.

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Das war nicht so einfach. Meine Frau kam aus Dortmund. Ich hatte immer gedacht, „aussem Pott gehste eh nicht weg“. Das war schon eine große Umstellung. Aber letztendlich hat die Station Bremen sehr viel Spaß bereitet. Ich habe regelmäßig gespielt und bin dann ja auch am Ende der Laufbahn nahtlos auf den Managerposten gewechselt. Samstags habe ich noch gespielt, stand auffem Platz und danach musste ich noch ins Büro und dachte, „Okay, jetzt biste FußballManager. Was machste jetzt? Jetzt gucken wir erstmal dumm aus der Wäsche.“ Mein Ziehvater Dr. Böhmert (damaliger Präsident von Werder, Anm d. Red.) hatte mir gesagt, dass ich fürs Fußballspielen langsam zu alt werde. In der Geschäftsstelle wäre ich wertvoller für Bremen. Sie sagten, Sie wollten eigentlich im Pott bleiben. Warum?


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Rudi Assauer mit Mannschaftskameraden (mittlere Reihe r.) auf einem undatierten Foto.

Ich hatte meine ganze Jugend hier verbracht. Meine Freunde, die Leute, mit denen ich in Dortmund gespielt habe, waren alle hier. Aber wie gesagt, Bremen war eine sehr schöne Zeit. Auch wenn Fußball dort nicht so der absolute Renner war. Wenn du da ein Loch gegraben, Wasser reingelassen und ein Bötchen draufgesetzt hast, sind die Leute lieber dort hin gegangen. Im Ruhrgebiet gab’s nichts anderes als Fußball. Als ich da oben hingegangen bin, kamen maximal 15.000 bis 20.000 Zuschauer ins Stadion. In der Roten Erde war die Hütte immer gerammelt voll. Sind Sie als Kind auch ins Stadion gegangen? Mit meinem alten Herrn bin ich mit dem Fahrrad am Kanal entlang nach Gelsenkirchen gefahren. Irgendwo am Stadion gab es immer ein Loch im Zaun, wo ich dann durchgefitscht bin. Wenn es ganz eng wurde, dann haste dich auf irgendwelche Bierkästen gestellt oder bist auf einen Baum geklettert. Da gab es immer

was. In der Glückauf Kampfbahn haben die Zuschauer sogar während des Spiels auf der Torlatte gesessen. Das war im Stadion Rote Erde in Dortmund genauso. Wie all die Leute es geschafft haben, ins Stadion zu kommen – keine Ahnung.

Wir wollten das Stadion eh umbauen und haben uns das als Vorbild genommen. Bayern München hatte zu der Zeit das neu gebaute Olympiastadion, Gelsenkirchen bekam das Parkstadion. In Bremen mussten wir nachziehen.

Sie sind dann Manager geworden. Ausgerechnet jemand aus der Malochergegend. Wie hat sich das angefühlt, plötzlich im Fußball mit Geld hantieren zu müssen?

Bremen ist aufgestiegen, warum sind Sie dennoch zum Zweitligisten Schalke 04 gegangen?

Das war eine große Umstellung. Ich hatte aber schon in Dortmund eine Banklehre gemacht. Ja, und dann saß ich da am Montagmorgen in Bremen und dachte: „Watt machste jetzt?“ Das hat sich weiter entwickelt. Ich hatte Werbemaßnahmen eingeführt, die es bis dato noch nicht gab. In der Pause hab ich die Tore genutzt und da Jalousien mit Werbung drangehängt. In Anderlecht hatte ich gesehen, dass dort die Tribünenblöcke eigene Namen hatten. Das habe ich mir abgeguckt. In Bremen gab es die Haupttribüne mit der „Gauleiterloge“ und die Gegentribüne.

Ganz einfach: Weil ich hier 70.000 Leute im Stadion hatte. Hier wird Fußball gelebt. Übertrug sich denn die Ruhrgebietsmentalität bei Schalke auch auf den Platz? Ja, natürlich. Zumindest bei den Spielern, die aus dem Großraum Ruhrgebiet kamen. Die Bedeutung des Fußballs war eine ganz andere. Hier saßen die Kinder im Stadion auf den Schultern der Väter. Das haste in Bremen kaum gesehen. Da sind die Frauen samstags mit den Kindern zur Nordsee gefahren.

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verblasste erinnerungen Im April 2014, kurz vor Rudi Assauers 70. Geburtstag, besuchte unser Redakteur Manfred Hendriock Assauer bei ihm zuhause in Herten. Gut zwei Jahre zuvor hatte Assauer seine Alzheimer-Erkrankung publik gemacht. Ein Rückblick.

Von Manfred Hendriock (Text) und Jakob Studnar (Fotos)

Rudi Assauer will nicht streiten. Er will vielleicht nur ein wenig mit seinem Äußeren kokettieren. Ganz schön eitel sei er immer noch, sagt seine Tochter Bettina, doch diese Einschätzung mag Rudi Assauer partout nicht teilen, „wirklich nicht”. Die Tochter lässt nicht locker und legt liebevoll nach: „Dicker, natürlich bist du eitel.” Auf jeden Fall sieht Rudi Assauer adrett aus, als wir ihn an diesem Tag zu Hause in Herten besuchen – da, wo er gemeinsam mit seiner Tochter Bettina Michel lebt. Die Jeans sitzt perfekt, das moderne Hemd ebenso. Und man sieht immer noch kaum ein graues Haar an seinem markanten Kopf. Nur das Sprechen fällt ihm schwer, die Wörter wollen einfach nicht mehr so aus dem Mund purzeln, wie es früher immer ging. „Aber er erkennt die Leute noch”, versichert Bettina, „visuell hat er jeden auf dem Schirm.” Und an seinem Verhalten würde man gleich merken, wen er mag – und wen er lieber nicht

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mehr sehen möchte. Rudi Assauer nickt und nuckelt an seiner dicken, geliebten Zigarre. Die ist ihm geblieben. Trotz seiner schlimmen Erkrankung, die den Kopf des früheren Schalke-Managers so fürchterlich lähmt. Alzheimer. Es ist noch nicht lange her, da war Gerald Asamoah hier in Herten. Der frühere Fußball-Nationalspieler von Schalke 04 zählt zu denen, die er gerne mag; als Asamoah 1999 zu Schalke wechselte, hat „Assi” ihn „Blondie” getauft. Ganz einfach „Blondie”. Der Kosename ist ihm damals so in den Sinn gekommen. Man könnte ein Buch darüber schreiben, was sie alles gemeinsam erlebt haben. Fotograf Jakob Studnar hat Bilder mitgebracht, die beide gemeinsam zeigen. Bilder vom Tag der verpassten Deutschen Meisterschaft am 19. Mai 2001. Bilder von den Schalker Pokalsiegen; auch ein Jahr später, als Assauer im Überschwang den Pott fallen ließ.

Heute nimmt Rudi Assauer die Bilder in die Hand und starrt sie an. Es sieht aus, als würde er träumen. Die Besuche, die Rudi Assauer hier in Herten bekommt, sind seltener geworden. Als Huub Stevens noch Trainer auf Schalke war, hat er öfter vorbeigeschaut, manchmal mit Torwart-Trainer Holger Gehrke. Dann sind sie zusammen rausgegangen und haben einen Herrenabend verbracht – anschließend hat Stevens seinen alten Weggefährten wieder nach Hause gefahren. Auch mit Asamoah ist Assauer zum Essen vor die Tür gegangen, und wenn Reiner Calmund vorbeikommt, ist die Freude besonders groß: „Calli”, wie Assauer einst ein Schwergewicht unter den Bundesliga-Managern, bringt nämlich immer ein Tablett Kuchen mit, und bei Sahnetorte kann „Assi” einfach nicht Nein sagen. „Früher”, erzählt Bettina, „hat er mehr auf die Figur geachtet.” „Rausfahren, gut essen gehen – das sind


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Rudi Assauer im Jahr 2014 im Garten seines Hauses in Herten.

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