From Elsewhere. Magazin. No. 3. Februar 2023

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1 Herausgeber

sīc scriptum erat

Wir sind Entomologen der Bibliotheken. Wir sammeln Sätze, lesend auf subtiler Jagd. Wir sind Sententiologen. Und da alles, was wir in unseren Satzkästchen zusammentragen, von einem Autor schon gesagt wurde, haben wir dieses Problem der Entomologen, von dem Ernst Jünger berichtet, nicht: „Höchst ungern läßt der Subtile Jäger sich die Autorschaft bestreiten; die Verleihung von Namen ist sein [...] Waidrecht, um das er, ohne es zu merken, auf absonderliche und oft auch unduldsame Weise kämpft.“

Wir haben nach erfolgreicher Jagd auf Sätze ein ganz anderes Problem – nämlich: Führen wir ihre Quelle und auch die Autorschaft mit oder nicht?

Es nicht zu tun, eröffnet den gesammelten Sätzen die Möglichkeit, ihren Eigensinn zu entfalten: Was ist ein Satz zu sagen imstande, wenn man ihn aus seinem angestammten Satzgefüge befreit und aus seiner Prägung durch einen Autorennamen?

Es nicht zu tun, heißt aber auch, eine Ordnungswidrigkeit zu begehen: Sätze wirken in Satzgefügen; Sätze haben einen Autor; und ob es dieses Gefüge ist oder jenes und ob es dieser Autor ist oder ein anderer – das macht einen Unterschied. In unserer Sententiologie haben wir uns für das Mitführen des Autorennamens und für das Mitführen der Quelle entschieden: SĪC SCRIPTUM ERAT – so wurde es geschrieben.

All dies weisen wir unter jedem Satz und in einem umfassenden Endnotenapparat nach, der die Sätze zusätzlich noch mit anderen Sätzen, Kontexten und Autoren in Verbindung bringt. So lässt sich beides erschließen: der Eigensinn eines Satzes, der in subtiler sententiologischer Jagd gefangen wurde, sein Gefüge und das Netz, in das er sich einwebt. Und für jeden der hier ausgestellten Sätze gilt erstens, was Ernst Jünger über den Gedanken geschrieben hat: „So funkelt der Gedanke in der grauen Rinde [...].“ Und es gilt zweitens, was Heiner Müller über den Stein geschrieben hat: „Der Stein arbeitet in der Wand.“

In diesem Sinne wünschen wir viel Freude bei der Lektüre unserer sententiologischen Erkundungen.

2 Editorial
Herausgeber 1 Editorial 2 Grimm'sche Sätze über den Satz und den Vers 4 [sic!] 5 Müller 5 Huysmans 6 Hölderlin 7 Luhmann 8 Luzifer 9 Bentham 10 Luhmann 11 Beuys 12 Horkheimer / Adorno 13 Luhmann 14 Schlegel 15 Mose 16 Kleist 17 Schmitt 18 Benjamin 19 Kluge 20 Sophokles 21 Kant 22 Brecht 23 Carroll 24 Goethe 25 Hölderlin 26 Homer 27 Jünger 28 Heidegger 29 Nietzsche 30 Shakespeare 31 Büchner 32 Ovid 33 Brennan 34 Hölderlin 35 Anmerkungen 36 Impressum 40 3 Inhalt

SATZ, m. sententia, thesis, faeces, saltus u.s.w. ablautende bildung zu sitzen, mhd. saz, satz, gen. satzes, ahd. in ursaz, bîsaz [...].

1) was man festsetzt, einsetzt, anordnet, zusammenstellt, sinnlich und übertragen [...].

a) [...] als terminus der grammatik bezeichnet satz die form der verknüpfung von redetheilen, welche zum ausdrucke eines gedankens dient, in einfachster form die verknüpfung von subject und prädicat; nähere bestimmungen durch zusätze und zusammensetzung: einfacher, zusammengesetzter satz, haupt-, neben-, frage-, bedingungs-, folge-, vorder-, nach-, aussagesatz u.s.w. [...].

b) in logischem gebrauche eine festgeformte aussage, deren giltigkeit behauptet wird [...].

c) im sinne von gesetz [...];

d) einsatz beim spiel [...].

Vers, m

1) metrisch gegliederte satzreihe, mhd. vers, ahd. fers, ags. fers, færs, fyrs kommt vom lat. versus, eigentlich das umdrehen des pfluges, die furche, dann linie, zeile. [...]

2) vers, vereinigung mehrerer rhythmischer zeilen zu einem ganzen [...]

4 Grimm'sche Sätze über den Satz und den Vers

Wer mit dem Meißel schreibt Hat keine Handschrift

Müller
1  5 [sic!]

Er konnte seinen Blick von dieser unwahrscheinlichen, aus Indien stammenden Orchidee nicht losreißen;

Huysmans
2  6 [sic!]

Und vieles

Wie auf den Schultern eine Last von Scheitern ist Zu behalten.

Hölderlin
3  7 [sic!]

Der Flug muß über den Wolken stattfinden, und es ist mit einer ziemlich geschlossenen Wolkendecke zu rechnen.

Luhmann
4  8 [sic!]

Ich will in den Himmel steigen und meinen Stuhl über die Sterne Gottes erhöhen; ich will mich setzen auf den Berg der Versammlung in der fernsten Mitternacht; ich will über die hohen Wolken fahren und gleich sein dem Allerhöchsten.

Luzifer
5  9 [sic!]

Wesentlich ist demnach die zentrale Position, die vom Aufseher eingenommen wird, in Verbindung mit der wohlbekannten und äußerst effektiven Einrichtung, die es ermöglicht, zu sehen, ohne selbst gesehen zu werden

Bentham
6  10 [sic!]

Auf der Ebene der Beobachtung erster Ordnung, die nie ganz aufgegeben werden kann, kann zwischen Realität und Realitätsillusion nicht unterschieden werden.

Luhmann
7  11 [sic!]
Beuys Ich kenne kein Weekend. 8  12 [sic!]
Horkheimer / Adorno
9  13 [sic!]
Fun ist ein Stahlbad.

Vielleicht sollte es stattdessen für anspruchsvolle Theorieleistungen eine Art Parallelpoesie geben, die alles noch einmal anders sagt und damit die Wissenschaftssprache in die Grenzen ihres Kommunikationssystems zurückweist.

Luhmann
10  14 [sic!]

Noch viel verborgne Unverständlichkeit wird ausbrechen müssen.

Schlegel
11  15 [sic!]

Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe;

Mose
12  16 [sic!]
Kleist Ach! 13  17 [sic!]

Ich glaube an den ϰατέxων; er ist für mich die einzige Möglichkeit, als Christ Geschichte zu verstehen und sinnvoll zu finden.

Schmitt
14  18 [sic!]

Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert.

Benjamin
15  19 [sic!]

Gespenster haben keine Meldepflicht.

Kluge
16  20 [sic!]

Ungeheuer ist viel. Doch nichts Ungeheuerer, als der Mensch.

Sophokles
17  21 [sic!]

Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir.

Kant
18  22 [sic!]

Die Sterne sind nicht immer da Es kommt ein Morgenrot.

Brecht
19  23 [sic!]

We're all mad here.

Carroll
20  24 [sic!]
Goethe
21  25 [sic!]
Klopstock!

Leicht fanget aber sich

In der Kette, die Es abgerissen, das Kalblein.

Hölderlin
22  26 [sic!]

Doch wenn du die Gefährten anflehst und verlangst, daß sie dich lösen, so sollen sie dich alsdann mit noch mehr Banden binden!

Homer
23  27 [sic!]

Der Dichter ist Waldgänger.

Jünger
24  28 [sic!]

Im Holz sind Wege, die meist verwachsen jäh im Unbegangenen aufhören.

Heidegger
25  29 [sic!]

Aber jedes Land wird endlich ausgenützt, und immer wieder muss die Pflugschar des Bösen kommen.

Nietzsche
26  30 [sic!]
Shakespeare
27  31 [sic!]
Ihr Lauf, Sir, Nutzt sie ab.

Wir wissen wenig voneinander.

Büchner
28  32 [sic!]

Argus, da liegst du, und das Licht, das dir für so viele Augensterne ausreichte, ist erloschen, und über die hundert Augen kommt eine einzige Nacht.

Ovid
29  33 [sic!]

Ich würde so etwas nie ohne Lippenstift lesen.

Brennan
30  34 [sic!]
Hölderlin
ja! 31  35 [sic!]
Z,

1 Heiner Müller, Mommsens Block (1992/93). In: Heiner Müller, Werke 1: Die Gedichte, hg. v. Frank Hörnigk, Frankfurt am Main 1998, S. 257.

2 Joris K. Hysmans, Gegen den Strich (1884), Zürich 1981, S. 181 (Kapitel VIII). „Er“, das ist: Jean Floressas Des Esseintes aus Fontenay-sous-Bois, der „in den Ruf eines exzentrischen Sonderlings nicht zuletzt dadurch“ kam, „daß er weiße Samtanzüge und goldverbrämte Westen und als Krawatte im tiefen Ausschnitt des Hemdes einen Strauß Parmaveilchen trug“. (S. 68) Exzentriker, Sammler und Leser: „Er las oder träumte.“ (S. 57). Das macht keinen Unterschied. Sätze sind Orchideen.

3 Friedrich Hölderlin, Mnemosyne (1800–1804). In: sämtliche werke, historisch-kritische ausgabe, hg. v. D. E. Sattler, band 8: gesänge. editorischer teil, hg. v. D. E. Sattler, Stroemfeld / Roter Stern, Frankfurt am Main / Basel 2000, S. 739. Das Faksimile des Satzes findet sich in band 7: gesänge. dokumentarischer teil, S. 381.

4 Niklas Luhmann, Soziale Systeme (1984). Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt am Main 1994, S. 13 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft: 666). Das Buch ist des Teufels, auf dem Rücken trägt es „das Malzeichen, nämlich [...] die Zahl seines Namens. Hier ist Weisheit! Wer Verstand hat, der überlege die Zahl des Tiers; denn es ist eines Menschen Zahl, und seine Zahl ist sechshundertsechsundsechzig.“ (Offb 13, 17–18)

5 Jes 14, 13–14. Ein Jammer! „Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern!“ (Jes 14, 12) Über diese „Beobachtungstechnik des Teufels“ schreibt Luhmann: „Der Versuch, eine Grenze zu ziehen, um von der anderen Seite aus Gott und seine Schöpfung zu beobachten, galt in der alten Welt als der Fall des Engels Satan. Der Beobachter muss sich ja, da er das Beobachtete und anderes sieht, für besser halten und damit Gott verfehlen. In der heutigen Welt ist dies Sache der Protestbewegungen.“ Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, zweiter Teilband, Frankfurt am Main 1997, S. 847–848 (Kapitel 4, Abschnitt XV: Protestbewegungen). Es gilt aber gleichermaßen: In der heutigen Welt ist dies Sache der Systemtheorie. Ach! – schon wieder der Teufel (vgl. Endnote 4).

6 Jeremy Bentham, Panoptikum oder Das Kontrollhaus (1787), aus dem Englischen v. Andreas Leopold Hofbauer, hg. v. Christian Welzbacher, Berlin 2013. S. 29 (Brief V.: Wesentliche Punkte des Entwurfs). Goethe hatte all dies nicht verstanden und sprach vom „Narren Bentham“ – von der narzisstischen Kränkung, dass Bentham ihn als Auto-Icon um Jahrhunderte überdauert hat, wusste Goethe aber nichts. Johann Peter Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens (1836/1848), hg. v. Christoph Michel unter Mitwirkung v. Hans Grüters, Berlin 2011, S. 692 (Mittwoch, den 3. Februar 1830). Bentham‘s Auto-Icon kann im Student Centre des University College London besucht werden: https://www.ucl.ac.uk/ culture/auto-icon. Free entry!

7 Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, erster Teilband, Frankfurt am Main 1997, S. 93 (Kapitel I: Gesellschaft als soziales System, VI: Operative Schließung und strukturelle Kopplungen). Und der Satz vor dem Satz lautet: „Man sieht, daß die Sonne ‚aufgeht‘, und kann es nicht anders sehen, obwohl man weiß, daß man sich täuscht.“ Das ist ein systemtheoretischer Befehl zur Demut.

8 Joseph Beuys, Ich kenne kein Weekend (1972). Hierzu sagt das Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE): „Das Auflagenobjekt [...] ist 1971–1972 entstanden; Auflage: 95 Exemplare, Format: 53 x 66 x 11 cm. Es besteht aus einer Reclam-Ausgabe der „Kritik der reinen Vernunft“ von Immanuel Kant, die zusammen mit einer Maggiflasche in den Deckel eines Aktenkoffers montiert wurde. Die Reclam-Ausgabe ist rot bestempelt mit den Worten

‚B E U Y S: ich kenne kein Weekend‘.“ Hier: https://www.bkge.de/Projekte/Kant/ matthias-weber/Beuys_Joseph.php

9 Max Horkheimer / Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung. Philosophische

36 Anmerkungen

Fragmente (1944), Kapitel: Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug, Frankfurt am Main 1988, S. 149.

10 Niklas Luhmann, Unverständliche Wissenschaft (1979). In: ders., Soziologische Aufklärung 3. Soziales System, Gesellschaft, Organisation, Wiesbaden 2018, S. 217.

11 Friedrich Schlegel, Ueber die Unverständlichkeit. In: Athenaeum. Eine Zeitschrift von August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel. Dritten Bandes Zweites Stück. Berlin 1800, S. 350.

12 1. Mose 1, 2. In der Radiosendung „ Madame Psychosis Hour (Mo–Fr 0.00–1.00 Uhr)“ ist dieser Satz ein „seit drei Jahren gleichbleibendes Mitternachtssprüchlein“, das Mario Incandenza übrigens „allem schwarzen Zynismus zum Trotz einfach unwiderstehlich findet: Ihre Silhouette beugt sich vor und sagt: ‚Und sehet, die Erde war wüst und leer. Und es war finster auf der Tiefe. Und WIR sprachen: Sehet, wie der Arsch tanzt.‘“ David Foster Wallace, Unendlicher Spaß (1996), aus dem Amerikanischen übersetzt von Ulrich Blumenbach, Köln 2009, S. 262 u. 265.

13 Heinrich von Kleist, Amphitryon. In: Sämtliche Werke. Berliner Ausgabe, Band IV, hg. v. Roland Reuß und Peter Staengle, Stroemfeld / Roter Stern, Frankfurt am Main/Basel 1991, S.140 (letzter Seufzer von Alkmene).

14 ϰατέxων = Katechon: der Aufhalter. Carl Schmitt, Glossarium. Aufzeichnungen aus den Jahren 1947–1958, erweiterte, berichtigte und kommentierte Neuausgabe, hg. v. Gerd Giesler und Martin Tielke, Berlin, 2015, S. 47 (Eintrag vom 19.12.1947). Einige Zeilen später hält Schmitt fest: „Man muß für jede Epoche der letzten 1948 Jahre den ϰατέxων nennen können. Der Platz war niemals unbesetzt, sonst wären wir nicht mehr vorhanden.“ Ebd. Siehe auch: Carl Schmitt, Der Nomos der Erde (1950), Berlin 2011, S. 29: „Ich glaube nicht, daß für einen ursprünglich christlichen Glauben ein anderes Geschichtsbild als das des Kat-echon [sic!] überhaupt möglich ist.“ 2 Thess 2,3–8: „3 Lasset euch niemand verführen in keinerlei Weise; denn er kommt nicht, es sei denn, daß zuvor der Abfall komme und offenbart werde der Mensch der Sünde, das Kind des Verderbens, 4der da ist der Widersacher und sich überhebt über alles, was Gott oder Gottesdienst heißt, also daß er sich setzt in den Tempel Gottes als ein Gott und gibt sich aus, er sei Gott. 5Gedenket ihr nicht daran, daß ich euch solches sagte, da ich noch bei euch war? 6Und was es noch aufhält, wisset ihr, daß er offenbart werde zu seiner Zeit. 7Denn es regt sich bereits das Geheimnis der Bosheit, nur daß, der es jetzt aufhält, muß hinweggetan werden; 8 und alsdann wird der Boshafte offenbart werden, welchen der HERR umbringen wird mit dem Geist seines Mundes und durch die Erscheinung seiner Zukunft ihm ein Ende machen.“ Über die beiden üblen Tiere, die kommen, wenn der ϰατέxων geschlagen ist, berichtet die Offenbarung des Johannes in Kapitel 13, 11–18, über das Ende dieser Tiere und den revelatorischen Schimmelreiter in Kapitel 19, 11–21.

15 Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte (1940). In: Walter Benjamin, Gesammelte Werke II, Frankfurt am Main 2011, S. 961 (Kap. IX). „Er“, das ist: der Engel der Geschichte, der in einem Text Heiner Müllers als „der glücklose Engel zur Ruhe“ kommt: „wartend auf Geschichte in der Versteinerung von Flug Blick Atem. Bis das erneute Rauschen mächtiger Flügelschläge sich in Wellen durch den Stein fortpflanzt und seinen Flug anzeigt.“ Heiner Müller, Glücksgott (1958). In: ders., Theater-Arbeit (Texte 4), Berlin 1989, S. 18.

16 Alexander Kluge, Kongs große Stunde. Chronik des Zusammenhangs, Frankfurt am Main 2015, S. 451 (Kapitel 10/1: Schwester Vernunft). Wer Gespenster oder die Folgen ihres Erscheinens sehen möchte, kann sich an Leif Geiges wenden, von 1950–1971 Haus- und Hofffotograf des Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg: Spuk! Die Fotografien von Leif Geiges, hg. v. Andreas Fischer und Dieter Vaitl, Museumskatalog (Haus der Graphischen Sammlungen, 01.05.–26.09.2021), Petersberg 2021. Besonders zu empfehlen ist diese

37 Anmerkungen

unerhörte Begebenheit: eine „geschlossene Schreibmaschine“, Fabrikat Roeder A. Ney, die im Oktober 1946 „plötzlich von selbst zu schreiben begann“ – „wirre Dinge“ natürlich: „bajmctbrmxzz , ; LöwumnbÄBtenJHetbTjr:N%‘;VfemainmiBNNg“. (S. 110–111)

17 Friedrich Hölderlin, Antigonae (1804). In: sämtliche werke, historisch-kritische ausgabe, hg. v. D. E. Sattler, band 16: Sophokles, hg. v. Michael Franz, Michael Knaupp und D. E. Sattler, Stroemfeld / Roter Stern, Frankfurt am Main / Basel 1988, S. 299 (Intro zu Akt. II: Chor der Thebanischen Alten). Im Sound der Interlinearversion des Sophokles-Textes, die Sattler & Kollegen auf der gegenüberliegenden Seite mitführen (S. 298), klingt das so: „Viel das Furchtbare. Und-nichts als-der-Mensch furchtbarer regt-sich.“ Hölderlin selbst hatte sich an diesen Satz mühsam heranübersetzt. Im Stuttgarter Foliobuch schreibt er Ende 1800 noch: „Vieles gewaltige giebts. Doch nichts / Ist gewaltiger, als der Mensch.“ Ebd., S. 56.

18 Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft (1788), Stuttgart 2016, S. 232 (Zweiter Teil: Methodenlehre der reinen praktischen Vernunft, Beschluß).

19 Bertolt Brecht, Legende vom toten Soldaten (1922). In: Bertolt Brecht, Und der Haifisch, der hat Zähne. Die großen Songs und kleinen Lieder, hg. v. Helga Bemmann, Henschelverlag, Berlin 1979, S. 106 (19. Strophe).

20 Lewis Carroll, Alice‘s Adventures in Wonderland (1865), Penguin Popular Classics, London 1994, S. 76 (Pig and Pepper).

21 Johann Wolfgang Goethe, Die Leiden des jungen Werthers (1774), hg. v. Joseph Kiermeier-Debre, München 1997, S. 34 (Erster Theil, Brief vom 16. Juny). Im Tanz mit Lotte geriet Werther, als „die Blizze“ kamen und „der Donner“ – Menetekel des braven Albert –, völlig aus dem Häuschen und konnte nach „zwey Maulschellen“ das ganze erhabene Wetter nur noch in den Bildern und Begriffen von Klopstocks Frühlingsfeier aus dem Jahre 1759 erfassen (S. 32–33): „Ein Wogensſturz sſich sſtürzte wie vom Felsſen / Der Wolk’ herab, und Orion gürtete, / Da entrannsſt du, Tropfen! der Hand des Allmächtigen! / Wer sſind die tausſendmal tauſsend, / Wer die Myriaden alle, / Welche den Tropfen bewohnen, und bewohnten? / Und wer bin ich?“ Friedrich Gottlieb Klopstock, Oden. Hamburg, 1771, S. 24.

22 Friedrich Hölderlin, Randnotiz zu Mnemosyne (1800–1804). In: sämtliche werke, historisch-kritische ausgabe, hg. v. D. E. Sattler, band 7: gesänge, dokumentarischer teil, hg. v. D. E. Sattler, Stroemfeld / Roter Stern, Frankfurt am Main / Basel 2000, S. 381.

23 Homer, Die Odyssee, übersetzt von Wolfgang Schadewaldt, mit einem Nachwort von Rainer Nickel, Berlin 2012, S. 210 (Buch XII, Vers 52).

24 Ernst Jünger, Der Waldgang (1951), Stuttgart 1980, S. 42 (Kapitel 17). Wichtig ist zu wissen: „Wenn ein Schiff untergeht, versinkt auch die Apotheke mit.“ Ebd., S. 70.

25 Martin Heidegger, Holzwege (1950), hg. v. Friedrich-Wilhelm von Hermann, Frankfurt am Main 2015, Vorblatt: „Holz lautet ein alter Name für Wald. Im Holz sind Wege, die meist verwachsen jäh im Unbegangenen aufhören. Sie heißen Holzwege. Jeder verläuft gesondert, aber im selben Wald. Oft scheint es, als gleiche einer dem anderen. Doch es scheint nur so. Holzmacher und Waldhüter kennen die Wege. Sie wissen, was es heißt, auf einem Holzweg zu sein.“

26 Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft (1882). In: Kritische Studienausgabe, hg. v. Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Band 3, München 2020, S. 376 (1. Buch, 4. Eintrag: Das Arterhaltende). In einem Interview, das Alexander Kluge und Heiner Müller im April 1993 geführt haben, stellt Müller fest: „Aber es ist die Aufgabe der Intelligenz, Chaos zu schaffen, Ordnungsvorstellungen zu stören, die ja immer illusionär sind, immer Verengungen von Sichten sind.“ Alexander Kluge & Heiner Müller, „Ich schulde der Welt einen Toten“, Gespräche, Berlin 1995, S. 30.

38 Anmerkungen

Im O-Ton in der Sendung PRIMETIME vom 04.04.1993: www.dctp.tv/filme/primetime-04-04-1993?thema=heiner-muller. Den Ovid‘schen Kontext dieser Pflugschar entfaltet Müller im Gedicht ORPHEUS GEPFLÜGT aus den frühen 1950er Jahren: „So war sein Platz unter den Pflügen.“ Heiner Müller, Orpheus gepflügt. In: Heiner Müller, Werke 1: Die Gedichte, hg. v. Frank Hörnigk, Frankfurt am Main 1998, S. 49. Die aktuellen Forschungsergebnisse der Ethnomaieutischen Lehrmittel-Versuchsanstalt zur Pflugschar des Bösen sind hier einsehbar: https://www.from-elsewhere.com/2021/05/04/die-pflugschar-des-bösen

27 William Shakespeare, Timon aus Athen (1623), deutsch von Frank-Patrick Steckel, Schauspielhaus Bochum, Programmbuch Nr. 51, Spielzeit 1990/91, S. 13 (1. Akt, 1. Szene). Der Satz gehört in einen Dialog – und der geht so: „DICHTER Lange nicht gesehen. Was macht die Welt. MALER Ihr Lauf, Sir, Nutzt sie ab.“ In der Wieland'schen Übersetzung von 1763, Timon von [sic!] Athen, klingt der Satz des Malers etwas schal – und der ganze schöne Dialog ist dahin: „POET Ich hab‘ euch lange nicht gesehen; wie geht‘s in der Welt? MAHLER So daß es besser seyn könnte, mein Herr.“ William Shakespeare, Timon von Athen. In: Theatralische Werke in 21 Einzelbänden, übersetzt von Christoph Martin Wieland, hg. v. Hans und Johanna Radspieler, Band 7: Timon von Athen, Zürich 1993, S. 7.

28 Georg Büchner, Danton‘s Tod. Dramatische Bilder aus Frankreichs Schreckensherrschaft (1835), originalgetreuer Nachdruck der Erstausgabe, hg. v. Joseph Kiermeier-Debre, München 1997, S. 9 (1. Akt, Eingangszene): „ JULIE Du kennst mich Danton. DANTON Ja, was man so kennen heißt. Du hast dunkle Augen und lockiges Haar und einen feinen Teint, und sagst immer zu mir: lieber Georg! Aber (er deutet ihr auf Stirn und Augen) da, da, was liegt hinter dem? Geh‘, wir haben grobe Sinne. Einander kennen? Wir müßten uns die Schädeldecken aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren. —“ (S. 9–10) Zu diesem grundlegenen Kommunikationsproblem siehe: Niklas Luhmann, Soziale Systeme (1984). Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt am Main 1994, S. 191–241.

29 P. Ovidius Naso, Metamorphosen (ca. 1–8 n. Chr.), übersetzt und hg. v. Michael von Albrecht, Stuttgart, 2010, S. 67 (1. Buch, Vers 720). Im Lateinischen klingt‘s wie eine gemeißelte Handschrift: „CENTUMQUE OCULOS NOX OCCUPANT UNA“.

30 Maeve Brennan. Quelle unbekannt. Ein famoser Satz, der zum Titel einer Biographie avancierte: Michaela Karl, Ich würde so etwas nie ohne Lippenstift lesen. Maeve Brennan. Eine Biographie, Hamburg 2019. THE FUTURE IS FEMALE.

31 Mitteilung von Emma von Nindorf (Pseudonym für Emma von Suckow), einer verdeckten Ermittlerin der 1840er Jahre, die aus einem in der „traulichen Wohnstube“ geführten Gespräch mit dem „wohl siebzigjährigen wahnsinnigen Dichter Hölderlin in Tübingen“ berichtet (vermutlich aber nur vom Hören-Sagen): „Dieser hatte oft helle, schöne Momente; wenn er sich aber in irgend einen Satz verstrickt hatte und fühlte, sich nicht mehr herauswinden zu können, so pflegte er ihn mit dem letzten schlagenden Argumente: ‚Z, ja!‘ zu schließen (wahrscheinlich als dem Endbuchstaben im Alphabet).“ Friedrich Hölderlin, sämtliche werke, historisch-kritische ausgabe, hg. v. D. E. Sattler, band 9: Dichtungen nach 1806 / Mündliches, hg. v. Michael Franz und D. E. Sattler, Stroemfeld / Roter Stern, Frankfurt am Main / Basel 1999, S. 319. Siehe dazu auch D. E. Sattler, Friedrich Hölderlin. 144 fliegende Briefe, Bd. 1, Darmstadt 1981, S. 11: „Eine abendländische Metapher: der Dichter sitzt schweigend am Rand und wartet, bis alles nach Hause geht.“ Darunter eben auch jene verdeckten Ermittler, die als Prototypen des Eckermann-Syndroms seit dem frühen 18. Jahrhundert verzückt vom MASTER' S VOICE akribisch – Sätze sammeln. Vg. hierzu auch das Editorial dieser Ausgabe (S. 2), für alles Weitere vor allem: Holger Heubner, Das Eckermann-Syndrom. Zur Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Autoreninterviews, Berlin 2002, S. 63–80.

39 Anmerkungen

Herausgeber

Maeve von Ungern-Tannenberg

Arthur Baron von Aktaion

Henriette von Löwenstern

Assistenz: Killalusimeno

Peacock Island Press, Headquarter im Kavaliershaus

Peacock Island vor Berlin

Subtile Jagd

Nachweise

Arthur Baron von Aktaion

EINBAND: Arthur Baron von Aktaion. Close-up der Installation Multiple Realities von Chiharu Shiota (Cisterne des Frederiksberg Museums Kopenhagen, 21.05.2022). ISO 10.000, f/11, 1/25 Sek, OM-1

EINBAND (vorne, innen): Friedrich Hölderlin, Vorbemerkung zur „Friedensfeier“ (1800–1804). In: sämtliche werke, historisch-kritische ausgabe, hg. v. D. E. Sattler, band 8: gesänge. editorischer teil, hg. v. D. E. Sattler, Stroemfeld / Roter Stern, Frankfurt am Main / Basel 2000, S. 438

SEITE 1: Maeve & Arthur. Helmut Kraus, www.helm69.com

EDITORIAL: Ernst Jünger, Subtile Jagden (1967), Stuttgart 2917, S. 25 u, 31 ∙ Heiner Müller, Und vieles / Wie auf den Schultern (1979). In: ders. Rotwelsch, Berlin 1982, S. 89

SEITE 4: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities: Eintrag „Satz“ / Eintrag „Vers“: http://dwb. uni-trier.de/de

EINBAND (hinten, innen): Friedrich Hölderlin, Patmos (1800–1804). In: sämtliche werke, historisch-kritische ausgabe, hg. v. D. E. Sattler, band 7: gesänge. dokumentarischer teil, hg. v. D. E. Sattler, Stroemfeld / Roter Stern, Frankfurt am Main / Basel 2000, S. 421 info@from-elsewhere.com www.from-elsewhere.com

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