


Lady Vain. Säugling, der mit den Nereïden surft.
Sie gelten als weltweit unerreichte Koryphäe der biophilosophischen Chimärenzüchtung. Aber kaum jemand kennt Sie.
Ich arbeite im Verborgenen, im biophilosophischen Underground, wenn Sie so wollen, da dringt nicht viel nach Außen. Und wenn doch einmal, dann versteht‘s niemand.
Chimären sind keine eingängigen Wesen?
Für die meisten sind Chimären unverständlich und unheimlich. Und meine Forschung erst recht.
Warum zieht man sich in einen biophilosophischen Underground zurück?
Ein Geburtstrauma. Ich wurde auf einem sinkenden Schiff geboren. Alles lag im Nebel. Kurz nach der Abnabelung und vor dem ersten Schrei taumelte ich im Tauchgang durch die wüste See dem zerbrochnen Schiffsrumpf hinterher. Das war ultimativer Underground, das kann ich Ihnen sagen.
Es war der Schiffsrumpf der Lady Vain?
Ich konnte ja noch nicht lesen und die goldenen Buchstaben am Bug nicht entziffern — aber es war die Lady Vain, das Schiff meines Vaters Dr. Charles Moreau. Ich verstand nichts von dem, was dort vor sich ging. Im Rauschen der tiefen See hörte ich dann plötzlich einen wirklich ganz bezaubernden Sirenengesang: THE GREAT LADY VAIN NEVER FEELS PAIN.. . Und den verstand ich. Natürlich dachte ich damals, dass ich diese Lady Vain bin, diese Grande Dame der Vergeblichkeit. Noch heute, wenn ich in meiner Badewanne liege, träume ich von ihr. Ach, Lady Vain!
Das geschah am 01.02.1887 zwischen 12:30 und 13:00 Uhr. Sie waren ungefähr
30 Minuten alt oder 60 Minuten und trieben auf hoher See unbegleitet unter Wasser umher. Üblicherweise ertrinken Menschen da.
Ja.
Aber Sie ertranken nicht?
Nein.
Verblüffend.
Ja, verblüffend. Mit meinem Ertrinken hatte ich ja selbst gerechnet, trotz der vollständigen Ahnungslosigkeit, in der ich mich zu diesem Zeitpunkt befand. Aber ich konnte atmen. Die Nymphen des Meeres hatten mich aufgenommen. Ich war ein Säugling, der mit den Nereïden surft. Meistens übrigens mit Aktaia, mit der ich heute noch befreundet bin. Verblüffend.
Ja, das war verblüffend und ein unendliches Glück.
In the land of Gods and Monsters. Psycho-Daddy.
Und dieses Glück hatte ein jähes Ende, als Sie auf der Insel Ihres Vaters strandeten. Eine glücklose Landung?
Ich strandete im Garten des Bösen und alles Glück war dahin. Nachdem die Nereïden mich mit Klagegesängen am Strand abgesetzt hatten — ich weiß gar nicht mehr nach wie vielen gemeinsamen Jahren, aber ich war vermutlich schon 16 oder 17 Jahre alt —, war das Erste, was ich sah, das Grab meiner Mutter, Circe Naumann-Moreau. In den Wellen verschwunden am Tag meiner Geburt. Ich war ganz verstört. Und das Zweite, was ich sah, war mein Vater. Ein blutverschmierter Irrer, das Skalpell in der rechten, den Meißel in der linken Hand, umringt von erbärmlichen Kreaturen, skurrile, zitternde Körper im Choc der Vivisektion. Ich war ganz entsetzt.
Eine Chorea-Huntington-Armee?
Ja.
Und Ihr Vater hat Sie erkannt?
Ja. Er begann zu singen, von gefallenen Engeln, Göttern, Monstern.
Und Sie wussten von seinen Experimenten?
Ja. Ich sah die Ergebnisse. Und auch ich begann zu singen, im Chor mit den Nereïden, die im Meer noch schwammen, aus dem ich kam: „In the land of Gods and Monsters / I was an angel living in the garden of evil.“
Ein Sängerkrieg auf der Insel des Dr. Moreau?
Ja. Ich und die Nereïden gegen Psycho-Daddy.
Als seine Tochter hätten sie seine Laboratorien übernehmen können. Wenn Sie sein Wirken einmal beschreiben.
Nein. Das können Sie nachlesen. Ich werde darüber nicht sprechen. Nur so viel: Als wir den Gesang siegreich beendeten, lief ich in den Dschungel. Auch das ein ultimativer Underground, das können Sie mir glauben. Das Herz der Finsternis?
The Horror! Und ein Kosmos der evolutionären Möglichkeiten. Aber kaum jemand hatte das gemerkt. Es herrschte eine fürchterliche Depression.
Aber die Giraffenfrau und der Pumamann hatten dieses Potential erkannt?
Ja. Sie adoptierten mich. Ich lehrte Ihnen das Sprechen und sie mich einen biophilosophischen Willen, der vor Nichts mehr Halt machen sollte. Schattenrisse. Flaschenpost.
Wie lernt man das?
Indem man sich in eine Höhle zurückzieht und zeichnet. Die Höhle lag am südlichen Ende der Insel. Die Sonne ging nie unter. Ich zeichnete Schattenrisse am Tag und in der Nacht. Das ultimative Universum der Chimäre.
Eskapismus und Weltaneignung im Schattenriss?
Ja, vermutlich. Die Wirklichkeit langweilte mich, das ist heute noch so. Im Schattenriss dagegen wohnen Möglichkeiten. Er ist aber auch, das hatte ich dann schnell begriffen, eine ziemlich seelenlose Form. Mein Problem war: wie kann ich das real machen — und zwar ohne Skalpell und ohne Meißel und ohne Chorea-Huntington-Armee und ohne Psycho-Daddy!
Sie waren ratlos?
Ich hatte keine Ahnung.
Und dann?
Und dann kam eines Morgens eine Flaschenpost von Johann Andreas Naumann. Das ist mein Lieblingscousin 2. Grades aus Köthen. Das muss
man sich mal vorstellen. Ich weiß bis heute nicht, wie es einer Flasche gelingt, von Köthen bis auf eine Insel in der Südsee zu kommen. Wie lange das gedauert haben muss. Der Brief war ja nicht datiert. Und woher er wusste, wo ich war. Wirklich seltsam. Er hat‘s mir bis heute nicht verraten.
Und der Brief war unversehrt, noch lesbar?
Ich lese die Nachricht einmal vor: „Kann doch mancher großer Professor in seiner Stube viele nützliche Entdeckungen machen; warum sollten wir Landleute dieses nicht können? Ich erwarte dich in Köthen. Dein Johann.“
Und Sie gehörten als Inselbewohnerin zu solchen Landleuten?
Ja klar. Der Nachricht war übrigens noch eine handgezeichnete Skizze der Insel beigefügt, mit einem roten X am Nordufer: „Fuchsbau. Bitte hineinstürzen wenn der Mars links über der Venus steht.“
Das passiert im Mai.
Es war Mai.
Und?
Ich habe mich von der Giraffenfrau und dem Pumamann verabschiedet, meine Schattenrisse eingepackt und mich in diesen Fuchsbau gestürzt.
Ein tollkühnes Manöver.
Oh ja, ziemlich tollkühn. Und plötzlich saß ich da am Rande des Schlossgrabens von Schloss Mosigkau in einem Fuchsbau nordöstlich von Köthen. Johann saß in einem Fuchsbau in der Horngrabenniederung südwestlich von Köthen — er hatte sich verrechnet.
Eine erneute glücklose Landung?
Keineswegs, das war sehr hübsch dort und es dauerte auch nicht lange, bis Johann mich gefunden hatte. Ach, was für ein Wiedersehen, obwohl wir uns noch nie gesehen hatten. Er sprach zu mir: „Warum soll man die Schöpfung einem Gott überlassen, den wir nicht kennen?“ Und ich wusste, ich brauche Apparate, ich brauche ein Labor — und eine Matrix oder einen Universalsamen, wie Johann sagte.
Erste Liebe. Schwarzer Schmetterling.
Aber vorher kam die Erste Liebe?
Es war eine Juninacht im Osternienburger Teichgebiet. Ich hatte Johann auf eine subtile ornithologische Jagd begleitet. Er beobachtete Rötelfalken und Naumanndrosseln und sang traurige Lieder vom barfüßigen Leiermann und ich hatte mich nach einem Bad im Bauernteich am Ufer zur Ruhe gelegt, einen Negroni in der rechten Hand und auf dem Schoß Johanns schönes Buch DER PHILOSOPHISCHE BAUER . Und dann flog am Uferrand der Pachliopta Polydorus, der schwarze Schmetterling. Auf den Flügeln leichte helle Schatten und rötliche Flecken Ich war ganz hingerissen.
Und Polydorus?
Auch hingerissen. Er landete auf meiner Nase.
Eine glückliche Landung?
Eine Liebeserklärung, würde ich sagen. Ich war ein Schmetterling für diesen Schmetterling und er ein Schmetterling für mich. Seit diesem Augenblick sind wir eine romantische Chimäre. Ich nannte ihn Nox.
Fiat Nox?
Seit jener Juninacht kann ich im Dunklen sehen.
Die Erste Liebe hält für immer?
Ja.
Nox gilt als begabter Sänger.
Er singt jeden Morgen für mich ein kleines Lied: „Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht / Auf die Fluren verstreut, schöner ein froh Gesicht, / Das den großen Gedanken / Deiner Schöpfung noch einmal denkt.“
Klopstock!
Ach!
Ratlosigkeit in Köthen. Tumult in Cambridge.
Dieses frohe Gesicht, von dem Nox singt, das sind Sie, oder?
In meinen theoretischen Arbeiten ja, also in meiner Dissertation DIE BIOPHILOSOPHIE DES SCHIMÄRISCHEN. Aber das ist nur die eine Seite meiner Forschung, die mein geliebter Nox in seinem morgendlichen Lied immer so schön besingt. Am Abend singe ich den Refrain dazu, den verrate ich Ihnen hier jetzt mal, der ist für das Verständnis meiner Studien ganz entscheidend: „Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht / Aber schöner ist‘s, wenn die frohe Animalie, / Den großen Gedanken / Deiner Schöpfung noch einmal schafft.“
Noch einmal schafft? Das wäre eine beachtliche Leistung!
Ja natürlich. Meine biophilosophischen Studien sind schöpferisch.
Ganz im Sinne Ihrer Habilitationsschrift?
Ja, in DIE REALE REALITÄT DES SCHIMÄRISCHEN beschreibe ich die Realität der Chimäre als reales Wesen. Das hatte nur niemand verstanden. Alle dachten, das sei schon wieder ein theoretisches Traktat. Wie man ein Buch so dermaßen missverstehen kann, ist wirklich völlig unverständlich.
Trotzdem wurde Ihre Habilitation von der Hochschule Köthen angenommen?
Eigentümlicherweise ja. Das gesamte Kollegium war ratlos, in jeder Hinsicht ratlos. Und da sie das öffentlich nicht zugeben wollten, hatten sie sich aus Scham auf eine kollektive Begeisterung verständigt. Ich erhielt daraufhin einen Ruf an das Darwin–College der University of Cambridge.
Den Sie angenommen haben?
Ja selbstverständlich. Cambridge! Darwin! Das College liegt fußläufig zu seinem Wohnhaus.
Sie hätten auch nach Renthendorf gehen können.
Das Angebot der Brehm‘schen Gedenkstätte kam zu spät. Ich liebe Brehm‘s Thierleben, ich blättere immer wieder gerne darin. Rückblickend würde ich aber sagen, es war ein glücklicher Zufall, dass Cambridge schneller war.
Ich brauchte damals dringend einen evolutionärbiologischen intrasynaptischen Impuls. Verstehen Sie?
Nein.
Das ist ganz einfach. Wer die Darwin‘schen Prinzipien der Variation und Selektion im Schaffen beherrscht, der braucht keinen Gott mehr.
Wie Johann Andreas Naumann zu Ihnen sagte: „Warum soll man die Schöpfung einem Gott überlassen, den wir nicht kennen?“
Ja. Aber das geht nur, wenn Sie über die passende Methode verfügen. Und die konnte ich in meiner kurzen Zeit in Cambridge verfeinern.
Sie haben Cambridge dann aber trotzdem schnell wieder verlassen?
Ziemlich schnell, würde ich sagen.
Freiwillig?
Na ja, wie man‘s nimmt. Ich hatte mit meiner Antrittsvorlesung ÜBER DIE
SCHIMÄRISCHE ABBILDZÜCHTUNG DES FÜNFTEN PFERDS DER APOKALYPSE für großen Aufruhr im Corpus–Christi–College gesorgt. Die Kollegen hielten dieses Pferd für eine göttliche Schöpfung. Und ich legte ihnen dar: nein, da war eine schimärische Bricolage im Spiel. Es gab vorher schon eine große Rivalität zum Darwin–College, aber nach meinem Vortrag waren die Corpus–Christi–Kollegen außer sich. Sie riefen, mit irren Blicken, ich sei des Teufels und eine verkommene Ausgeburt meines Psycho-Daddies Dr. Charles Moreau. Sie riefen zu einer Hetzjagd gegen mich auf.
Eine gefährliche Situation?
Eine völlig absurde Situation. Nox flog durch den Hörsaal und sang das Klopstock‘sche Lied von Mutter Natur und ich meinen abendlichen Refrain dazu. Die Herren des Corpus–Christi–College waren aber schnell erschöpft von ihrer Fassungslosigkeit. Sie bekreuzigten sich und verließen den Saal.
Und Sie?
Ich kündigte und verließ Cambridge.
Was eigentlich ist eine Chimäre?
In der Antike ist das die Chimaira, ein feuerspuckendes Mischwesen mit notorisch übler Laune, erstmals gesichtet südlich von Antalya, vorne Löwe, hinten Drache und in der Mitte Ziege, gefährlich für alle, die sich näherten, endgültig erledigt von Bellerophon, dem listigen Bleigießer. Dem würde die moderne Biologie vermutlich nicht folgen?
Niemals. Sie versteht unter einer Chimäre schlicht einen Organismus, der sich aus Zellen verschiedener Organismen zusammensetzt.
Und was ist eine Chimäre für Sie?
Ich bin von alldem ganz weit entfernt. In meiner Welt ist eine Chimäre eine Mixta Naturalia, ein gemischtes Naturphänomen.
Sie beschränken sich nicht mehr auf Organismen? Das ist eine erhebliche Ausdehnung des Begriffs der Chimäre.
Eine ganz erhebliche sogar. Ich habe nie verstanden, warum diese hübsche Idee des Schimärischen immer auf Organismen enggeführt wurde. Das lässt sich weiter fassen und so mache ich das auch. Ich arbeite mit der organischen und der anorganischen Natur gleichermaßen und schimärisiere Chimären aus Menschen, aus Tieren, aus Pflanzen, aus Erde, aus Wasser, aus Steinen, aus Holz — was ich gerade da habe. Manchmal arbeite ich auch mit der ideellen Natur, also mit Ideen, mit Begriffen, mit Theorien oder auch mit Kunsterzeugnissen, wenn sie mir gefallen.
Ein schimärisches Verfahren, das dem Grundsatz folgt: mal sehen, was herauskommt?
Ja. Es ist ein Verfahren, das sich von den Ergebnissen überraschen lässt. Es geht um Zufall?
Nicht um einen zufälligen Zufall. Es ist ein kontrollierter Zufall. Ich kontrolliere den Zufall durch mein schimärisches Verfahren.
Können Sie dieses Verfahren einmal beschreiben?
Es sind drei Techniken, die ich beliebig kombiniere: Substitution, Ergänzung und Ästhetik.
Wie geht das?
Substitution heißt: ich tausche Merkmale eines Naturphänomens gegen Merkmale eines anderen Naturphänomens aus. Ergänzung heißt: ich füge beliebige Merkmale eines Naturphänomens einem anderen Naturphänomen hinzu.
Und wieso Ästhetik?
Das muss alles hübsch aussehen, ansonsten ertrage ich das nicht.
Und mit diesen Techniken erzeugen Sie reale Chimären?
Wenn ich meine Laborapparaturen in Gang setze und etwas Geduld aufbringe, ja. Manchmal mache ich aber auch nur hübsche Modelle oder Zeichnungen, zur Ablenkung.
Auch Schattenrisse?
Auch Schattenrisse habe ich nie aufgegeben. Das Ziel aber sind immer reale Chimären, die ich hier schaffe.
Retorten-Genese. Auto-Chimäre.
Wo ist hier?
Ich habe mich nach meinem Rückzug aus Cambridge in alten Laboratorien im Berliner Grunewald eingerichtet, erst in der Sandgrube im Jagen 86 und dann auf dem Teufelsberg, wo ich seitdem fröhlich schimärisiere.
Öffentlich?
Nein, höchstens mal im Austausch mit meiner schimärischen Community, in Symposien oder in Workshops oder so etwas. Das mache ich regelmäßig. Aber für eine breite Öffentlichkeit damals noch nicht.
Wann war damals?
Ich habe keine Ahnung.
Ach wirklich?
Von Ihrem Geburtsdatum bis heute gerechnet, zweifellos.
Aber das ist doch völlig unerheblich, mein lieber von Osten. Wo ich bin, ist Jetzt. Glauben Sie wirklich, ich hätte meine schimärischen Verfahren nicht auf mich selbst angewendet?
Haben Sie?
Ich habe mich in einer Retorten-Genese mit der Zeit schimärisiert.
Retorten-Genese?
Das ist die Anwendung von Substitution, Ergänzung und Ästhetik zur schimärischen Schöpfung in maximal-hermetisch abgeriegelten Glaskolben.
Glaskolben?
Das ist wirklich nichts besonderes, das ist seit dem frühen 16. Jahrhundert bekannt, das können Sie bei meinen Kollegen nachlesen, in den ELEMENTA CHEMICAE von Barchusen. Dort gibt es auch herrliche Illustrationen.
Und was ist das Ergebnis?
Ich bin eine Auto-Chimäre. Ich lebe im Zeitenflug.
Unsterblich?
Selbstverständlich.
Ach was.
Verblüffend, nicht?
Verblüffend.
Und, mein lieber von Osten, eine Bürde. Ich stehe täglich vor der Frage:
Wie erkläre ich das? Wenn ich mit Menschenzungen rede, so versteht‘s niemand, und wenn ich mit Engelszungen rede, so versteht‘s auch niemand.
Und wenn Sie schweigen?
Dann kommen dunkle Worte — von überall her.
Deshalb Ihre Liebe zu Nox, dem schwarzen Schmetterling?
Ja. Er versteht alles, er glaubt alles und er ist gutmütig — in seinen Flügeln hat das Böse keinen Ort.
Teufelsberg. Bureau Moreau. Auch in Ihren Forschungen hat das Böse keinen Ort?
Niemals. Ich bin die fröhliche Wissenschaft, wo ich bin, ist‘s bunt, heiter und hübsch, auch wenn‘s bisweilen etwas kurios und seltsam aussieht. Manchmal misslingt mir natürlich auch etwas — ehrlich gesagt, misslingt‘s dann ganz gehörig — und das Kuriose und Seltsame hat dann plötzlich einen, wie soll ich sagen, unheimlichen Anstrich?
Einen monströsen Anstrich?
Ja, könnte man sagen.
Das Monströse als Risiko?
Immer! Wer in meinen Sphären forscht, der forscht im Risiko. Aber ich habe das ganz gut im Griff und mein Teufelsberg hier ist ein idealer Ort, solche Monster auch räumlich abzusichern. Aber das passiert ja nur manchmal.
Und für solche Fälle ist der Teufelsberg ein Hochsicherheitstrakt?
Hier kommt nichts und niemand rein und nichts und niemand raus, solange ich das nicht will. Mein Teufelsberg ist maximal-hermetisch abgeriegelt, wie die praktischen Glaskolben des 16. Jahrhunderts.
Ein teuflischer Glaskolben im Grunewald?
Hier ist nichts Teuflisches. Dafür sorgt mein geliebter Nox, mein Katechon.
Eine Schutzzone des Schimärischen?
Ein Ort der schimärischen Glückseligkeit.
Und Sie sitzen dort in einem Bureau?
Das zugleich mein Labor ist, ja, ganz oben in der Kuppel. Das ist selbstverständlich auch hermetisch abgeschottet. Ich muss da machen können, was ich will, das darf niemand sehen.
Und jetzt wollen Sie sich öffnen?
Ich habe mich entschieden, kleine öffentliche Dependancen meines Bureaus einzurichten, in denen ich mit Menschenzungen und mit Engelszungen vom Schimärischen berichten und schöne Dinge aus meiner schimärischen Welt vorführen kann.
Es geht um Aufklärung?
Nein! Dann wäre ja der ganze schöne Zauber meiner Mixta Naturalia dahin und alle würden immerzu alles ganz genau verstehen wollen. Das wäre unerträglich phantasielos. Und aushalten würde das auf Dauer auch niemand, so eine Verständlichkeit.
„Wahrlich, es würde euch bange werden, wenn die ganze Welt, wie ihr es fodert, einmal im Ernst durchaus verständlich würde.“ Hat Schlegel einmal gesagt.
Ja, da hat er recht, Ihr Herr Schlegel. Das stimmt für die ganze Welt und für meine biophilosophische Welt des Schimärischen natürlich erst recht. Man muss ganz im Gegenteil alles immer unverständlicher machen!
„Noch viel verborgne Unverständlichkeit wird ausbrechen müssen.“ Hat Schlegel einmal gesagt.
Ja, das ist ein kluger Mann, Ihr Herr Schlegel. Und Sie können mir glauben, mein lieber von Osten, dass ich dazu ganz gehörig etwas beitragen könnte. Aber eigentlich geht‘s mir nicht einmal darum. Es geht schlicht und einfach um Einblicke. Chimären sind gesellige Wesen, sie wollen gesehen werden, verstehen Sie?
Ja, das verstehe ich. Könnte man sagen, Ihr Bureau ist im schönsten Sinne des Wortes ein Guckkasten?
Ach, das haben Sie jetzt aber schön gesagt. Ja, ein Guckkasten für schimärische Sensationen.
Chimären sind gesellige Wesen, sie wollen gesehen werden.
Animalie im Interview mit Wilhelm von Osten. Teufelsberg, Berlin. 04. Mai 2023
Scylla kommt!
Animalie im Interview mit Henriette von Löwenstern über Das Scylla-Experiment. Peacock Island, 31. Dezember 1999
Steine in Dosen. Henry, der wasserscheue Gemmologist, im Interview mit Animalie über schimärische Kulinarik und Idealkristalle als Nahrungsergänzungsmittel. Banana Island, 15. September 1976
Biophilosophische Bricolage in der Bibel. Animalie im Interview mit Wilhelm von Osten über ihre Antrittsvorlesung Bericht über die schimärische Abbildzüchtung des fünften Pferds der Apokalypse. Cambridge. 1. Oktober 1954
So now may every man be his own statue. Jonathan Bentham im Interview mit Animalie
über seinen Essay Auto-icon; or, Farther uses of the dead to the living. A fragment.
London. 6. Juni 1932
Warum sollten wir Landleute dieses nicht können?
Animalie im Interview mit Johann Andreas Naumann
über Universalsamen und schimärische Techniken. Köthen. 15. Mai 1926