friedrich Zeitschrift für Potsdam Januar 2011

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sich selber aus dem Sumpf zieht. Überhaupt sind solche Diskussionen immer Schutzbehauptungen. Wie meinen Sie das? Na, es ist immer woanders. Schuld sind immer die anderen. Hitler war Österreicher. (lacht) Sehr witzig. Aber Sie berühren da etwas äußerst Spannendes: Als die deutschsprachige Urfassung von ›Funny Games‹ seinerzeit in Amerika rezensiert wurde, war dauernd von »Nazi« und »deutscher Film« die Rede, obwohl es gar keiner war. Ein solcher Film könne nur aus einem durch die eigene Vergangenheit traumatisierten Deutschland kommen, hieß es. Und heute sehen Sie und Ihre Kollegen die Kapuze über dem Kopf des Jungen in der US-Fassung – und denken unweigerlich sofort an Guantanamo. Das alles sollte man nicht überbewerten.

In ›Nahaufnahme‹, einer Art Selbstzeugnis in Interviewform, gehen Sie sogar noch einen Schritt weiter und sagen: »Ich glaube nicht an Ziele. Ich glaube an die Genauigkeit. (...) Es ist immer die Form; der Inhalt ist zweitrangig.« Das klingt, bezogen auf Ihre Filme, seltsam oberflächlich, weil es deren gesellschaftliche Tragweite unterminiert. Na ja, natürlich wäre auch eine absolutgesetzte Form nicht viel wert. Spricht man über Kunst, dann ist nur eben alles bestimmt von dieser Relation. Inhalt gibt es ja viel, nicht? Jeder Krawallartikel in einer Boulevardzeitung ist Inhalt genug. Daraus kann ich ein großes Kunstwerk formen, wenn ich eine adäquate Form finde – oder eine große Scheiße. Meinen Studenten rate ich immer: Wenn du kommst und möchtest einen weiteren Film über den Holocaust machen, lass es sein. Dreh stattdessen lieber einen Film über das

Im Alltag besteht eine Verpflichtung uns selbst und unseren Nächsten gegenüber, die es in der Kunst nicht gibt. Kommen wir zu Ihren Filmen, die der derzeit grassierenden Kultur der Beschwichtigung diametral gegenüberstehen: Sie sind intensiv und unerbittlich bis an die Schmerzgrenze, oft gar darüber hinaus. Woher rührt diese Unerbittlichkeit, die ja letztlich auch eine Liebe zur Exaktheit und Akribie ist? Sie haben das Stichwort schon selbst geliefert: Dass meine Filme diese Intensität haben, hat ursächlich mit meinem Bemühen um Genauigkeit zu tun. Das gilt für jede Kunstform: Je genauer, desto stärker ist die Wirkung. Die oberste künstlerische Tugend ist die Exaktheit. Waren Sie davon schon immer fasziniert? Es ist, glaube ich, weniger eine Frage der Faszination, sondern vielmehr eine Verpflichtung. Man hat so ernsthaft und so genau wie irgend möglich zu sein. Allein mit künstlerischem Feeling kommen Sie nicht arg weit.

Café irgendeiner Großmutter – aber so, dass er mich trifft. Erstmal kleinere, leckere Brötchen backen – und nicht gleich die opulente, aber ungenießbare Hochzeitstorte. Kompromisse scheinen jedenfalls nicht Ihr Ding zu sein. Sagen wir: Ich bemühe mich, sie zu vermeiden. Da an einem Spielfilm allerdings zig Leute beteiligt sind, geht es nie ohne. Leider. Gilt das für sämtliche Bereiche des Lebens oder bloß für Ihre Filme? In erster Linie für die Arbeit. Im Privatleben bleiben wir ja gewissermaßen alle unter unserem Niveau. (lacht) Jeder hat Vorstellungen und Ideale, doch die sind nie hundertprozentig umsetzbar. Im Alltag besteht eine Verpflichtung uns selbst und unseren Nächsten gegenüber, die es in der Kunst nicht gibt. Da bist du einzig der Sache gegenüber in der Pflicht. (überlegt) Privat bin ich ein eher schüchterner Mensch. Meine Frau regt sich


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